Vollmondnacht

Vollmondnacht

aus: Die Geschichte der Kinder Mirils und: Von Knappschaften und Bündnissen
mit Bezug auf:

Herzogenfurt, Baronie Schweinsfold, Boron 1043 BF

Das Madamal stand in dieser Nacht in seiner ganzen Fülle am Firmament. Mihoal wachte in der Frühe des neuen Tages auf. Er trug sein Nachtgewand, so wie er sich am Abend zuvor schlafen gelegt hatte. Jedoch befand er sich nicht in seinem Bett, so wie es sein sollte. Er lag auf dem harten Granitboden vor einer Türe. Der junge Rechklamm brauchte ein paar Momente, um sich zu orientieren. Ja, er war auf der Burg der Baronin von Schweinsfold, wo er sich seit der hiesigen Hochzeit aufhielt. Da er sich dessen bewusst war, dass er mondsüchtig war, überraschte es ihn nicht, dass er an einem ungewöhnlichen Ort aufwachte. Dennoch war es ihm äußerst peinlich und er hoffte, dass ihn niemand beobachtet hatte. Daher raffte er sich schnell auf, um den Weg zurück in seine Kammer zu suchen. Wo war er genau? Oh, nein, stellte er leicht entsetzt fest, er hatte vor der Türe der Knappin Sonnhild von Hadingen gelegen. Hoffentlich war er nur vor der Türe der jungen Hadingerin gewesen. Es machte ihn stets unruhig, nie zu wissen, wo er sich wirklich in diesen Vollmondnächten herumtrieb. Nun, ja, wenigstens schien er sich hier nicht in Gefahr gebracht zu haben, wie es manchmal war, wenn er mit seinem Schwertvater Gelon Adlerkralle unterwegs war und nachts außerhalb des Lagers herumstromerte. Denn das geschah auch, wenn sie am Rande der Schwarzen Lande unterwegs waren. Gelon mahnte oft, dass dies noch einmal Mihoals Tod sein würde.

Schnell suchte der Knappe den Weg zurück in sein Quartier. Er wollte jetzt nicht doch noch entdeckt werden. Die Bilder der Träume der vergangenen Nacht hingen ihm noch nach. Die Welt von oben, aus luftigen Höhen. Das waren die Bilder, die sich stets in jenen Vollmondnächten wiederholten. Als ob er fliegen würde. Aber nicht allein. In seinen Träumen begegnete er seinen Geschwistern. Zumindest erzählten sie einander von ihren Erlebnissen und ihren Bedrängnissen. In dieser Nacht berichtete Niamh, die älteste seiner drei Schwestern, von einem großen Fest, auf dem sie mit ihrer Lehrmeisterin Gera gewesen war. Dort musste sie mit anschauen, wie dieser Fiesling von Baron, der Eisensteiner, ihre Mutter Miril so fertig gemacht hatte mit seinen Worten, dass sie vor aller Augen zusammengebrochen war. Das hatte Niamh ziemlich mitgenommen und fertig gemacht. Auch Mihoal hatte dieser Bericht aufgewühlt. Er spürte einen tiefen Zorn gegenüber dem Eisensteiner Baron.

Die Jüngste der sieben Geschwister, Koarmin, hingegen erzählte, dass sie Geppert, den Sohn der Waldbauern Isenheym, gerettet hatte. Er war mitten im Breewald in eine Wildfalle getreten und hatte sich sein Bein schlimm verletzt. Koarmin hatte ihn quer durch den Wald getragen bis zur Brücke, wo der Karrenweg den Weißenbach quert. Dort waren ihr zwei Elfen begegnet, solche wundervollen Wesen hatte sie noch nie zuvor gesehen. Mihoal dachte, dass nun spätestens die Phantasie mit seiner jüngsten Schwester durchging und sie ein Märchen erzählte. Doch eine der Elfen sei ihre Großmutter Lúthien gewesen. Die Elfen heilten den Bauernjungen. Dann seien ihre Eltern, Galahan und Miril, den Weg entlang gekommen mit einer größeren Gesellschaft, mit Ritterinnen und dem Zwergen Palladiosch. Es habe mächtig Ärger gegeben, als klar wurde, dass Koarmin erneut verbotenerweise im Breewald herumgestromert war. Doch dann habe sie eine der Ritterinnen aus der Situation gerettet. Ira sei ihr Name. Ira von Plötzbogen. Mihoal wusste aus den Briefen seiner Mutter, dass Ira die neue Herrin auf der Hyndanburg war, im Rittergut Rickenbach im Südwesten der Baronie Eisenstein. Dann habe Koarmin den Geppert zusammen mit der Ritterin Ira zu seinen Eltern gebracht. Die Isenheyms leben im Walddorf Grimlinghausen, mitten im Breewald. Dort hatte es dann einen Aufstand gegeben. Die Waldbauern wollten der Berta, der Witwe des Bauern Beh, ans Fell. Sie habe die Fallen im Wald ausgelegt. Nur Cullan habe sie alle vor den wütenden Bauern gerettet. Cullan war der Hund von Xobbel, dem Sohn des Schmieds Xallinosch. Zwerge selbstverständlich. Danach seien sie zurück zur Scheuburg geritten. Unterwegs hatte Ira sich mit der kleinen Koarmin über ritterliche Tugenden unterhalten. Das kleine Mädchen, das sich so sehnsuchtsvoll wünschte, einmal eine Ritterin zu werden wie ihre Großmutter Noitburg, hatte sich in die Plötzbogen verliebt. So sehr wollte sie nun, dass sie Pagin und Knappin bei der Herrin auf der Hyndanburg werde, dass ihr Herz fast zersprang. Doch ihr Vater Galahan würde das niemals erlauben…

Was für merkwürdige Träume wieder einmal, dachte Mihoal als er dann endlich seine Kammer erreichte und sich leise hinein schlich. Nun ging die Sonne bald auf und es wurde Zeit für die morgendlichen Schwertübungen. So zog er sich schnell an. Er war froh, dass ihn niemand entdeckt zu haben schien...


Autor: Innozenz m.c.