Ein Tsatagsfest

Ein Tsatagsfest

Burg Tannwirk, Baronie Witzichenberg, 10. Efferd 1045 BF

Es war ein sonniger Morgen an diesem denkwürdigen 10. Efferd 1045 BF, als Ihre Wohlgeboren, Baroness Eleonore Eberwulf von Tannwirk, zu sehr früher Stunde die Augen aufschlug und wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett sprang. Ihre kleinen Schuhe standen bereit und flugs waren die kleinen Füßchen rein geschlupft und trugen die junge Dame eilig ins elterliche Schlafzimmer nebenan.

Mit dem erwartungsvollen, fröhlichen Ruf „Geschenke“ wurden Ingrawin und seine Gattin Melinde, ihres Zeichens Baronin von Witzichenberg, aus dem Schlaf gerissen. „Isses schon Zeit für die Schwertübungen?“, klang Melindes Stimme dumpf aus dem Kissen hervor. „Noch nicht, mein Schatz, aber bald. Leonore ist schon wach,“ meldete sich Ingrawin zu Wort. Melinde hob den Kopf und das kleine Mädchen kletterte zwischen seine Eltern. „Herzlichen Glückwunsch zum Tsatag, mein Schatz!“ Melinde drückte ihre Tochter an sich. Leonore gab ihren Eltern ein Küsschen und kuschelte sich an sie. „Wann bekomme ich Geschenke?“ und blickte ihre Eltern erwartungsvoll an. „Nach dem Frühstück, Liebling“, erklärte ihr Vater. „Und wann beginnt das Fest?“ fragte das Kind weiter. „Nach Deinem Mittagsschlaf“, erwiderte die Mama. Leonore schmollte ein wenig. Sooo lange freute sie sich bereits auf das Fest und endlich, endlich war der große Tag da! Heute, an ihrem zweiten Geburtstag, sollte es ein Fest für sie geben und alle Kinder aus der Umgebung, gleich welchen Standes, waren eingeladen. Eleonores größte Sorge war, außer der Frage, ob sie Geschenke bekommen würde, dass das Wetter gut werden würde. Und draußen stand die Praioscheibe an einem blauen Himmel, der keinen Regen verhieß.

Der Morgen zog sich endlos. Zuerst absolvierten die Eltern mit allen waffenfähigen Mitgliedern des Hofes die morgendlichen Waffenübungen. Mit ihrer Nana Liliane Eberwulf von Tannwirk, Melindes Ziehmutter und Leonores Oma-Ersatz schaute sie zu und hatte das Gefühl, dass die Erwachsenen heute noch länger mit ihren Waffen zugange waren, als üblich. Dabei war doch heute ihr – Eleonores – Geburtstag! Endlich gab es Frühstück und endlich ging auch das vorüber. Die Bewohner von Burg Tannwirk gratulierten der Baroness und es gab auch ein Ständchen zum Tsatag: „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien…“ „NEIN!“ brüllte Leonore entsetzt. „Sonne! Ich wünsche mir Sonne! Bitte, Herr Praios, schenke mir Sonne zum Tsatag!“ Die Erwachsenen lachten und Liliane nahm das Mädchen beruhigend auf den Arm. „Komm‘, wir schauen jetzt nach Deinen Geschenken.“ Liliane, Melinde und Ingrawin gingen in das Kaminzimmer, wo Melinde und Ingrawin bereits am Abend vorher den Geburtstagtisch gedeckt hatten. Auf dem Tisch brannten zwei Kerzen. Etliche Päckchen warteten darauf ausgepackt zu werden. Es gab süßes Gebäck, ein neues Kleid mit passenden Schuhen und Haarband, ein Holzschwert, einen Ball und einiges mehr, aber leider nicht das Pony, das sich Leonore so dringend gewünscht hatte. „Jetzt bist Du noch zu jung für ein eigenes Pony“, erklärten ihr die Eltern.

Der Vormittag verging dann doch schneller als Gedacht. Die Mama und der Papa mussten noch einige geschäftliche Dinge bearbeiten, aber die Nana Liliane ging mit dem Mädchen in den Burghof, wo die Vorbereitungen für das Fest voran gingen. Es wurde ein Zuber mit Wasser für Apfelschnappen und ein Spiel mit Wurfringen aufgebaut, ebenso eine Bude, an der man mit Bällen auf kleine Kegel werfen konnte. Eine Gruppe Puppenspieler baute ein Puppentheater auf. Für das große Picknick wurden Tische, Bänke und Decken im Burggarten verteilt. Ingrawin überwachte die Vorbereitungen für das Fest und hatte auch dafür gesorgt, dass ausreichend Wachen auf Posten sein würden, um ein friedliches Fest zu gewährleisten. Auch Melinde schaute vorbei und überzeugte sich von dem Fortschritt der Vorbereitungen. Liliane und Leonore dekorierten im Burgarten Büsche mit Schleifen, stellten Lampions auf und schmückten die Tische mit Blumengirlanden.

Gegen Mittag kamen die ersten Gäste: Die Familie Siebenstein kam von Junkergut Bussardstein herüber geritten und etwas später kamen auch Nyah und Reto von Tannwirk mit ihren Kindern von Junkergut Drachenstieg. Der älteste Sohn von Nyah und Reto, Falk, versah seit dem ersten Praios seinen Dienst als Page auf Burg Tannwirk. Freudig begrüßte er seine Familie, die er manchmal doch ganz schön vermisste. Aus Witzichenberg kamen Lara von Siebenstein und ihr Lebensgefährte Frodebrand Efferdlieb von Harthals-Schwarzklamm zur Burg hinauf.

Aus dem St.-Theria-Hospital kamen die Hofmaga, die gelehrte Dame Circe ter Greven mit ihrem Lebensgefährten, dem Leiter des Hospitals, Herrn Doktor Dario Eraldo und der Scholarin Elina. Der Hauptmann Beril Deckschlag, inzwischen seit gut einem halben Jahr Kommandant der Motte Feldertrutz, war ebenso eingeladen, wie seine Hochwürden Ardan von Siebenstein vom Praiostempel zu Kefberg, Ihre Hochwürden Elfriede Gumbeltritt und Ihre Gnaden Helgolind Behrenfreit vom Perainetempel in Kreuzweiher.

Herr Deckschlag brachte dem Geburtstagskind einen kleinen Holzschild mit und kämpfte spielerisch mit den beiden Pagen. Auch mit den beiden Knappinnen maß er sich, doch musste er feststellen, dass besonders Praiolind von Neidenstein, die vom Ritterschlage nicht mehr weit entfernt war, ihm eine ebenbürtige Gegnerin war.

Beim Mittagsmahl zogen kurzfristig Wolken am Himmel auf, was das Geburtstagskind mit einer sorgenvollen Miene registrierte, aber nach einem Blick auf Seine Hochwürden Ardan dachte sich das Kind, dass alles gut gehen müsse mit dem Wetter, wenn doch ein Geweihter des Herrn Praios anwesend sei. Die beiden Pagen, Rinalda von Sturmfels und Falk von Tannwirk, hatten für den Nachmittag frei bekommen, um an dem Feste teilnehmen zu können.

Schon vor der Traviastunde kamen die ersten Kinder aus dem Dorf und bald danach auch die Kinder aus der Umgebung. Leonore und ihre Eltern begrüßten jeden Gast mit Handschlag. Beim Picknick stürzten sich die jungen Gäste auf Kuchen und süßes Gebäck und hinterließen auf den leeren Platten nichts als Krümel. Anschließend ging es zu den Spielen und dem Puppentheater. Zum Abschluss des Theaterstücks, in dem ein Schatz gestohlen worden war, gab der Wengel den Kindern noch die Aufgabe, den Schatz zu suchen und gerecht unter sich aufzuteilen.

Den beiden Knappinnen Praiolind von Neidenstein und Amadis von Eberbach war die Aufgabe zugefallen, die Fährten und auch die falschen Fährten für die Schatzsuche in Form von Pfeilen zu legen und den Schatz zu verstecken (und heimlich zu bewachen). Eine johlende Meute Kinder brach in Begleitung der Erwachsenen auf und machte sich auf die Suche nach Hinweisen, die den Weg zum versteckten Schatz weisen mochten. Die älteren Kinder waren munter voran, während die jüngeren versuchten, so schnell wie möglich hinterher zu eilen. Da die Vorderen immer mal wieder umdrehen mussten, wenn sie einer falschen Fährte gefolgt waren, blieb das Feld der Schatzsucher einigermaßen zusammen.

Leonore wurde schon müde und wurde von ihrem Vater auf die Schultern gesetzt und verfolgte die weitere Suche von dort. Schließlich führte die Spur nach Witzichenberg, über den Dorfplatz, zum Peraine-Schrein, zum Dorfbrunnen, zum Gasthaus, wo die Wirtsleute Kuno und Endilia Folmin, die Schatzsucher mit Getränken versorgten. Apfelschorle für die Kinder und ein Apfelwein für die Erwachsenen. Schließlich ging die wilde Jagd aus Witzichenberg hinaus und die Spuren führten sie zu einem Feld, auf dem große Heuhaufen aufgebockt waren. Johlend und schreiend rannten die Kinder darauf zu und stürzten sich suchend auf die Heuhaufen. Melindes Gesichtszüge entgleisten, ob der drohenden Zerstörung. Die beiden Knappinnen stürzten aus ihrem Versteck und es gelang ihnen, die meisten Heuböcke zu retten, nur drei wurden von den Kindern umgerissen und in einem fand sich die Schatztruhe.

Nach der Verteilung der Beute, jedes Kind erhielt ein Beutelchen mit ein paar Kreuzern und etwas süßem Gebäck, löste sich die Festgesellschaft langsam auf. Eleonore war zu müde, ihre Gäste zu verabschieden, aber ihre Mama vertrat sie würdig, während Ingrawin seine müde Tochter vor sich auf sein Pferd setzte und zurück zur Burg brachte.

Praiolind und Amadis bekamen von dem Bauern, dem das Heu gehörte, Rechen in die Hand gedrückt und durften die Bescherung wieder gut machen.

In Elinas Nähe stand Tsadan Bachenthal, ein hübscher Junge von vielleicht 14 Götterläufen, der ihr schon öfters aufgefallen war, da er zurzeit ein wenig im Hospital aushalf. Er bemerkte ihre Blicke und lächelte. Elina schoss das Blut in die Wangen und sie wandte ihren Blick ab, nur um ihn nicht mehr anschauen zu müssen. Doch schließlich war er es, der sie ansprach. Sie unterhielten sich über dies und jenes und Elina bemerkte, dass er gar nicht so ungebildet war, wie sie erwartet hatte und sie ihm sogar ganz gut die unterschiedlichen Wirkungen verschiedener Heilzauber erklären konnte. Die Zeit verflog nur so und als es schließlich spät am Nachmittag war und die Gäste auf die Burg gingen, um dort noch zu Abend zu essen, verspürte Elina den Wunsch, noch zu bleiben. Doch als auch Circe und Dario sich zur Burg aufmachten, löste sie sich und warf dem Jungen noch ein bedauerndes Lächeln zu. Den kurzen Weg zur Burg legte sie tänzelnd und mit träumerischem Blick zurück, worüber Circe und Dario schmunzelten.

"Gut, daß auch Aufklärung zur Unterweisung gehört", bemerkte Dario trocken. "Das war's dann wohl mit Aufmerksamkeit im Magieunterricht." Circe sah Dario nur eindringlich an, sagte aber nichts.

Auf der Burg speisten und tranken die erwachsenen Gäste noch festlich zu Abend. Zu späterer Stunde, als Ingrawin und Melinde sich zur Ruhe begaben, stellte Ingrawin fest: „Ganz schön anstrengend, so eine Kinder-Tsatagsfeier, nicht wahr?“ „Ja, und nächstes Jahr sind es dann schon zwei!“

(Geschrieben von Windwanderer unter der Mitarbeit von Cassie, Deckschlag, Circe, Dario, Elina und Bösalbentrutz)