Stella Nova

was: Briefspiel

wer: Themengruppe, Forscher/Gelehrte/Interessierte

wo: Nordmarken

wann: Peraine 1043 BF

SL: DanSch

Personen:

Der Tempel der Allwissenden (12. Peraine 1043 BF)

Der Frühlingsregen ließen den Stadtpark von Elenvina grau und verwaschen erscheinen und das zarte Grün und die ersten Blüten konnten den Eindruck nicht schmälern. Die jungen Blätter der Bäume hingen schlaff herab, vom schweren Efferdstropfen geschwängert. Wie es schien, hielt der Frühling einen feuchten Einzug dieses Jahr. Allein der kleine, verspielte Tempel im Rohalschen Stil, mit seiner bunten Glaskuppel, stemmte sich gegen die Trübe dieses Tages. Wollte man meinen, dass nicht viele Besucher ihren Weg dorthin fanden dieser Tage, wäre derjenige, der die schwere Türe in den Tempel der Allwissenden öffnete, überrascht: Ein lautes Stimmengewirr von einer Gruppe von Geweihten und Besuchern erfüllte die heilige Halle.

Einige Monde ist es wohl schon her, als verborgen vor den meisten Augen, aber dennoch nicht unbemerkt, ein Himmelflackern am Sternenhimmel erschien. Taten die meisten Gelehrten es als eine Laune der Götter ab, so gab es eine Handvoll von Leuten, die dem Frieden nicht trauten. Und recht hatten sie! Aus dem Flackern, dem hellen, winzig- kleinen Lichtpunkt, wurde bald ein Stern, der täglich, oder besser gesagt nächtlich, größer wurde. Es wurde beobachtet, gegrübelt und berechnet. Und in einer Nacht, als der Stern besonders hell erleuchtete, war man sich klar: Das Ziel waren die Nordmarken! Alsbald brachen die Neugierigen, die Sternenkundler und die Gelehrte auf, in der Hoffnung, mehr Klarheit im Hesindetempel zu Elenvina zu gelangen.

Erst waren es einzelne, nun war es eine beachtliche Gruppe, die ihren Weg in den Tempel der Allwissenden fanden. Und heute, am 12 Perainemond 1043 nach Bosparans Fall, hatten sich 4 Grüppchen gebildet, die jeweils um einen Gelehrten versammelt waren. Denn unstimmig war man über die Bedeutung des Sternenfalls und so gab es verschiedene Meinungen und Ansichten. Der junge Norbarde Ghazbar Hulkonjeff kam aus dem Svelttal angereist und kannte sich mit dem Wert von Sternengold aus. Eine tiefgehende Bedeutung dessen, sah er allerdings nicht. Im Gegensatz zu der hiesigen Hesindegweihten Nirjaschka. Die Bornländerin hatte gehört, das Sternenschätze in der jetzigen Zeit als Götterzeichen galten und ist sich sicher, das es sich bei dieser ´Stella Nova´, genau um das handelte. Belsazar ay Asango, ein Horasier mit chirakanischen Wurzeln, kam wiederum mit einer alten, niedergeschriebenen Prophezeiung, die besagte, das ein Königskind unter einem Sternenregen geboren werden sollte. Der letzte im Bunde war der kriegserfahrene Chronist Melchior Praiotreu aus Gratenfels. Dieser kam mit einem dicken Folianten voller Verschwörungstheorien und Auslegungen alter Kriegsschauplätze angereist und witterte hinter dem Sternzeichen, den Beginn eines neuen Krieges. Und so wurde, jeweils in einer der 6 Nischen des Tempels an einem Tisch vorgetragen, diskutiert, zugehört, überlegt und abgeschätzt. Elador Thedon, der Hohe Lehrmeister des Hesindetempels, hatte die Hände hinter seinem Rücken verschränkt und grinste zufrieden vor sich hin. Schon lange waren seine Hallen nicht mehr mit dem Geist und den Stimmen der Gelehrsamkeit gefüllt gewesen, wie an diesem Tag. Und so schlenderte er von Nische zu Nische und hörte hier und da zu. ´Oh Hesinde, was für ein Tag! Mögest du unsere Geister mit Erkenntnis füllen!´, schickte er ein stilles Gebet an die Sternensucher.

Am Tisch der Sternenschatzsucher

Mit einem süffisanten Lächeln schaute der junge Norbarde in die Runde und ließ seinen Zuhörern einen langen Blick auf seine Schätze. Mitte Zwanzig war er, hatte leicht gebräunte Haut und trug einen prächtigen, tiefschwarzen Schnauzer. Sein Kopf war kahl geschoren, auch wenn der dunkle Schatten verriet, das es wohl einige Tage her war. Seine Augen waren von einem warmen Braunton, fast schon gülden wie bei einem reichhaltigen Honig. Gekleidet war der Sternenjäger, der sich Ghazbar nannte, in bequemer Kleidung aus braunem Wildleder, dessen Gürtel und Warms mit Borten, Federn und kleinen Bernsteinen geziert war. Direkt vor ihm hatte er ein Ledertuch ausgebreitet auf den 4 Steine unterschiedlichster Metalle und Größe lagen. Der Kenner konnte den hellsilbernen Stein als Madasilber erkennen, sowie den dunkelroten und den schwarzen als Meteoreisen und das reinweiße als Arkanium. “Dat alles sind Funde von Masseln, als Sterne, denen ich jefolgt bin. Glaubt mir, ich hab eine Menge Kaffs jesehen, da kann man echt meschugge werden. Aber es lohnt, auch wenn man malochen muss. Beschiskeln kann mich da kehner, ich hab dafür ein Riecher!” Dabei tippte er auf seine große, ausgeprägte Nase.

Eine der Anwesenden glänzte jedoch durch Begeisterungslosigkeit. Es war eine aufregende junge Frau, die sich am Tisch der Schatzsucher eingefunden hatte. Mittelgroß gewachsen, exzentrisch und mit einer rahjagefälligen, aber schlanken Figur gesegnet, fiel es Valeria Xaviera Rahjalina von Belhanka schwer den Ausführungen dieses … in ihren Augen Wilden ... zu folgen. Verächtlich rümpfte die Rahjageweihte ihr Näschen. Diese Nordmarken machten sie langsam aber sicher krank. Heimat ihrer Vorfahren, ja, doch war sie von der Göttin zu so viel Höherem berufen worden, als hier einer Gruppe nachzulaufen, die einfach gestrickt in beinahe fremden Zungen zu reden schien. Sie strich ihr festes weinrotes Kleid zurecht, das eng gehalten war und so ihre schmale Taille, das schöne runde Becken und ihre Oberweite gut zur Geltung brachte. Lange seitliche Schlitze bei den Beinen ließen ihr dabei einiges an Bewegungsfreiheit. Den ebenso roten Mantel hatte sie abgelegt. Dazu trug Valeria über-kniehohe Stiefel mit leichten Absätzen. Ihre honigblonden Locken hatte sie einfach zusammengebunden und immer wieder löste sich dabei eine widerspenstige Strähne, die ihr ins Gesicht fiel. Eben jenes kindliche Antlitz bestach durch große himmelblaue Augen und einen schmalen Mund, beides mit dezenter Schminke hervorgehoben. Alleine ihr Äußeres sollte es jedem klar erscheinen lassen, dass sie eigentlich nicht hierher gehörte.

Ihr Platz war in Rahjas Palast auf Deren, wo sie als Mündel der Rahjakirche aufgewachsen war. Sie sollte im Machtzentrum des Kultes eine Position bekleiden und nicht in diesem verbohrten Herzogtum, wo alle Einwohner auf ihren Knien in die Praios- und Traviatempel hinein rutschten, anstatt ... nun ja, es gab schließlich so viele andere Dinge, die man im knienden Zustand tun konnte - schönere Dinge ... erfüllendere Dinge. Es war auf jeden Fall ein erheblicher Rückschlag für sie und ihre persönliche Entwicklung, als Gylvana - ihre Lehrmeisterin und einflussreichste Dienerin der Schönen auf dem Kontinent - sie nach Elenvina entsandte um ihre Augen und Ohren in den Nordmarken zu sein. Eine Aufgabe, die ihre Befähigung und ihr Format meilenweit unterschreiten sollte, wie Valeria befand. Aber was nutzte es schon sich lang und breit darüber zu erregen? Wie es schien musste sie sich nun öfters mit solchen Hinterwäldlern abgeben. Der deutlichen Order, dass man dem Phänomen fallender Sterne nachzugehen hatte, konnte sie sich schließlich nicht entziehen. Die Welt war im Wandel, das war deutlich und Gylvana wollte Informationen. Vielleicht war dieser Stern ja auch ihre Eintrittskarte für die Rückkehr nach Belhanka. Ein Geschenk an die Göttin und vielleicht fiel dabei auch für sie selbst was ab, aus dem man sich schönen Schmuck schmieden lassen konnte. Bei diesem Gedanken huschte erstmal ein liebliches Lächeln über das Antlitz der jungen Frau. Ihr Blick ging für einen kurzen Moment hin zur jungen Meta, die so etwas wie ihre Begleitung war. Ein Mädchen, das nicht gerade viel aus sich zu machen schien, doch dennoch recht nett war. Als Almadanerin war sie auch nicht ganz so weit entfernt von jener Lebenseinstellung, die Valeria als normal empfand. "Kaff … Beschinskel … meschugge ... malochen … weißt du wovon der schwafelt?" Flüsterte sie ihr zu.

Meta Croÿ war eine Knappin im Alter der Rahjani und ihr gegenüber dennoch grundverschieden. Die heiligen 12 Götterläufe Ausbildungszeit hatte sie im letzten Sommer hinter sich gebracht, doch der Ritterschlag blieb ihr verwehrt. Sie war vielleicht 165 Halbfinger groß, wenig weiblich - also für den durchschnittlichen Mann, an dem sie nie vortäuschte, Interesse zu haben - und zu wenig rundlich an Brust und Becken. Sie kleidete sich in Reitgewand, trug dazu Schwert und Dolch. Ihre blonden, lockigen Haare waren ungezähmt, ihr hübsches Gesicht ungeschminkt. Mit verschränkten Armen und zurückgelehnt hörte sie zu. Die Rahjani schien eine Frage an sie zu stellen, doch ehe Meta antworten konnte, lag deren Aufmerksamkeit schon auf jemand anderen. Es schmälerte ihr Interesse an beiden Personen, war es doch gegen die Etikette und das Gespräch mit ihr war wohl zweitrangig oder unwichtig. Nichts desto trotz sprach sie halblaut zu sich selbst. „Der Kerl, woher er auch kommt, das werde ich ihn mal fragen, sollte, wäre er gut erzogen, so reden, dass man ihn versteht. Yo no hablo en mi lengua materna. Entiendes? Ich verstehe nur malochen und dafür bin ich nicht hier.“

Die junge Croÿ schaffte es damit wieder die Aufmerksamkeit der Geweihten auf sich zu ziehen. “Ten cuidado, Meta. También hablo tu lengua materna.” Sie ließ ein Augenzwinkern folgen und lächelte abschätzig. Die Almadanerin sollte nicht vergessen wer ihr gegenüber stand und nicht einmal auf die Idee kommen sie zu unterschätzen. Sie war nicht so einfach gestrickt wie ihr Onkel Thymon oder ihr Cousin Linnart. Bei beiden setzte der Verstand aus wenn sie eines wackelnden Weiberhinterns ansichtig wurden. Sie war aus einem anderen Holz geschnitzt. “Doch sag an, was bedeutet dieses … malochen? Es ist eine Unart wenn Menschen vor jenen in fremden Zungen sprechen, die dies nicht verstehen.”

Meta wandte sich artig, aber mit gewissem Stolz der hübschen Frau zu. “Die sprechen, als ob sie es...ach, ich muss auf meine Etikette achten. Aber hört Euch mal die Rustikalen aus den Bergdörfern an.” Meta wirkte jünger, als sie war. Gerade im direkten Vergleich neben der gleichaltrigen Rahjani. Der Blick des Kerls gegenüber war ihr nicht entgangen, wurde Rahja im Haus vom Traurigen Stein doch ausgiebig verehrt. Sie selbst war sicher hübscher, als man es jetzt sah. Wie ein zerrupfter, junger Schwan wirkte Meta gegenwärtig. “Malochen, das ist nichts für uns. Arbeit, meist schwere Arbeit. Wir sollten betonen, dass unsere Hände zart bleiben müssen.” Sie zwinkerte. "Nur ein kleiner Tipp." Die junge Frau wandte sich den anderen am Tisch zu. "Meta Croÿ, immer noch Knappin und gerade im Dienste von Thymon vom Traurigen Stein, sollte ich mich noch nicht vorgestellt haben.” Sie lächelte lieb, aber etwas Seltsames, Ungefährliches lag in ihrem Blick. Und das hatte nichts mit Rahja zu tun.

Valeria kicherte glockenhell auf. “Wir und hart arbeiten? Neeeein …”, sie sah sich unter den anderen am Tisch um und klimperte unschuldig mit ihren Wimpern. Innerlich fühlte sie erste Anflüge von Zorn aufsteigen. Sie fixierte Ghazbar, ihr Lächeln schwand und ihre Augen funkelten. Sah er in ihnen am Ende bloß Gehilfen zum ´malochen´? Die Geweihte wandte sich wieder Meta zu. “Was erwartet sich Thymon denn von dieser Sache hier?” Es konnte nicht allzu viel sein, sonst wäre er selbst angetanzt - so gut kannte sie ihren Onkel bereits.

Irritierend arglos sah Meta in die wundervollen Augen der anderen Frau. Wie sprach man die gleich wieder an? “Euer Ehren … ähh wie lautet Eure korrekte Anrede? Euer Gnaden? Und irgendwie seid Ihr mit Thymon verwandt, oder?” Die junge Frau schien in der Runde etwas schüchtern und schüttelte den Kopf, um ihr Haar in seine ursprüngliche Wildheit zu bekommen. Sie lächelte spitzbübisch. “Nun ja, Thymon hat mich geschickt. Eine Knappin. Vielleicht will er mich prüfen? Vielleicht im Ort damit angeben? Wer weiß das schon? Ich hätte eigene Pläne … ihr werdet es sicher alles dem Tempel spenden, wenn die Herren genug malocht haben?” Dann flüsterte sie. “Den Herren in grau, woher meint Ihr, kommt der?”

Die Geweihte musste ob Metas - vielleicht vorgespielter - Naivität grinsen. "Onkel Thymon hat dir nicht gesagt was du hier sollst? Vielleicht ist ja genau das herauszufinden auch ein Teil deiner Aufgabe …", Valeria schlug einen verspielt verschwörerischen Ton an und fuhr flüsternd fort: "... ein Tipp, er will bestimmt ein Stück vom Kuchen. Der Mann hat Gold und er war schon immer sehr findig in der Wahl seiner Mittel, um sicherzustellen, dass es sich mehr und mehr vermehrt." Die Frau wandte sich von der Knappin ab und blickte zu Ronan. Innerlich seufzte sie - Valeria bezweifelte, dass ihr Onkel mit Metas Wahl sich dieser Sache anzunehmen gut fahren würde. "Der Graue kommt mir bekannt vor. Ich meine ihn aus meiner Zeit in Belhanka zu kennen, aber sicher bin ich mir nicht." Was sie mit dem Schatz vor hatte ging das Mädchen nichts an.

“Gut, dann nenne ich Euch Valeria oder Euer Gnaden. Wir sollten uns darauf konzentrieren, das Zeug zu finden und es nicht in die falschen Hände kommen lassen. Mehr weiß ich leider nicht. Ach, der dicke Wanst da drüben, ich weiß was der will.” Sie kicherte und trank etwas.

Die Angesprochene nickte wissend. "Wir alle hier am Tisch wollen dasselbe …", sie zwinkerte und dämpfte ihre Stimme, "... sonst stünden wir bei den Frömmlern am Tisch, oder liefen einem angeblichen Königskind nach." Sie rollte mit ihren Augen. Seltsam war in diesem Zusammenhang, wie eine Priesterin der Zwölf die Gläubigen abwertend als 'Frömmler' bezeichnete. "Alle hier sind sowohl Verbündete, als auch Gegner. Sei dir dessen bewusst, Meta. Hilf mir und es wird unser beider Schaden nicht sein."

Voller Unschuld und fast kindlichem Glauben nickte Meta nach einigen Lidschlägen. “In Ordnung. Verbündete. Es soll aber nicht nur nicht zu meinem Schaden, sondern besser zu meinem Nutzen sein.” Zufrieden lächelte die Geweihte und strich sich ihre widerspenstige Locke hinters Ohr. “Natürlich, du gehörst doch zur Familie.” Sie zwinkerte verschwörerisch.

Neben der Rahjageweihten, die an diesem Tisch überaus auffällig und ein wenig deplatziert wirkte, saß ein Mann in nebulösem Grau. Das graue Leinen seiner Tunika war fein gewebt, der dunklere Überwurf mit silbernen Säumen besetzt. Lugten auf der Borte nicht Fuchssymbole hervor? Die Kapuze seiner Tunika hatte er zurückgeworfen, sodass sein dunkelbraunes, langes und zu einem einfachen Zopf gebundenes Haar zum Vorschein kam. Das Gesicht des Mannes wirkte auch etwas fremdartig in diesen nordmärkischen Landen. Die scharfen Zügen und die dunklere Hautfarbe wiesen auf eine Herkunft aus südlicheren Landen hin. Ronan Rohaldor al’Menkhauhour von Lichtenberg betrachtete nachdenklich die Funde des Norbarden und rieb sich das Kinn und strich durch den kurzen, sorgsam gepflegten und gestutzten Bart. Während er die Funde betrachtete, suchten seine Augen die Gesichter der Umsitzenden ab. Was trieb sie an? Sah er Gier oder Neugier in ihren Gesichtern? Tatsächlich aber waren ihm ein jeder Personen bereits bekannt, schaute er doch in das Gesicht des akribisch-akkurat-pedantischen Weinhändlers Rhodan Herrenfels. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb er an dessen Gesicht hängen, kaum wahrnehmbar, bevor dieser weiterzog.

Valeria kniff ihre Augen zusammen als der Blick dieses Graulings sie streifte. Sie vermeinte ihn zu kennen, doch war der Ursprung dieser eventuellen Bekanntschaft nichts, was hier auf diesem Tisch diskutiert werden sollte. Es würde auf keinen Fall schaden ihn im Auge zu behalten.

Der Ronan gegenübersitzende Rhodan strich sich mit Müh und Not sein etwas zu stramm sitzendes Wams über dem rundlichen Wohlstandsbauch zurecht. Seitdem Ronan ihn kennenlernte, hatte der achtunddreißigjährige Mann noch etwas zugelegt und wirkte noch gesetzter als zuvor. Der Kontormeister der Familie Mersingen war auf eigene Rechnung nach Elenvina gekommen. Über seine guten Kontakte in der Hauptstadt - zugleich Hauptabsatzort für seine erlesenen Waren - hatte er erfahren, dass sich eine Gruppe sternenbegeisterter Abenteurer treffen würde, um einen der fallenden Sterne zu bergen. Tatsächlich war der schon langsam ergrauende, großgewachsene Mann für seinesgleichen über die Maßen am Firmament, seinen Wegen und Veränderungen interessiert, doch musste er sich zugestehen, als er die noch blonden Locken hinter die Stirne strich, dass der materielle Wert der Metalle, die solch ein Stern angeblich transportierte, ungleich bedeutender für ihn war. So sah sich der eigentlich nicht sonderlich abenteuerlustige, seinem Bürostuhl doch sehr zugetane Rhodan in so kurzer Frist erneut genötigt, eine Reise zu tun. Aufgrund einer etwas aus dem Ruder gelaufenen Transaktion - Abenteuer brachten nur Ärger, diese Lektion scheinte der Händler jedoch noch nicht gelernt zu haben - war er auf das Geld dringend angewiesen, hatte doch der junge Mersinger Wind von seinen Schulden bekommen; dieser wiederum hatte deswegen eine Belehrung des Barons von Rabenstein über sich ergehen lassen müssen und war furchtbar ungehalten, als er in Rosenhain eingetroffen war. Naja: Ende vom Lied, er war hier und quetschte sich an den Tisch zu diesem bunt zusammengewürfelten Haufen. Die edle, samtige Kleidung, die er trug, war ihm dabei eher im Weg, doch wurde für jedermann ersichtlich, dass es der Rosenhainer darunter nicht machte. Ronan, den er bereits hinlänglich kannte, grüßte er mit einem Nicken und einem feinen Lächeln, das seine kräftigen Backen aufblähte. Sein Blick wanderte über die Gäste hinweg, bis er an Valeria von Belhanka hängen blieb. Die ersichtlich deutlich jüngere Rahjani war ganz nach seinem Frauengeschmack. Die grauen Augen des betuchten Händlers wurden groß und rund. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit ergötzte sich Rhodan an den visuellen Reizen der schönen Frau und betrachtete jede erdenkliche sichtbare, angedeutete oder nur zu erahnende Rundung.

Als die Geweihte sich der Aufmerksamkeit des unförmigen Mannes gewahr wurde, zwang sie sich zu einem wunderschönen Lächeln. Innerlich jedoch seufzte sie. Es waren Blicke, die sie kannte, aber nicht sonderlich schätzte. Valeria war keine jener Dumpfbacken, die tagtäglich Stundengläser lang vor dem Spiegel standen und die Aufmerksamkeit so vieler Männer und Frauen wie möglich brauchten. Nein, sie registrierte die Aufmerksamkeit der anderen, doch gab ihr diese nichts. Es war natürlich, dass andere Menschen sie begehrten und wollten, doch waren Männer von stetem Besitzdenken getrieben und Frauen, Amazonen, klammerten zu sehr. Darüber hinaus hatte sie ihre Aufträge, ordnete diesen alles unter und hatte demnach auch keine Zeit für Müßiggang. Valeria war keine einfache Rahjageweihte, auch wenn sie nach außen hin genau dieses Bild transportieren wollte. Schon ihre Ausbildung unterschied sich zum Teil grundlegend von der ihrer Brüder und Schwestern. Gylvana hatte sie als Kleinkind in den Tempel aufgenommen und ihr eine fordernde Ausbildung angedeihen lassen. Die junge Rahjani war demnach nicht nur schön, sondern auf ihre Art auch wehrhaft. Jede Rose, so optisch vollendet sie auch sein mochte, hatte ihre Dornen. Die ihren waren dabei besonders stark ausgeprägt. Etwas, das Männer, wie derjenige, der sie nun angaffte, ihr wohl nicht zutrauen würden. Dennoch entsprach sie nun genau jenem Bild, das man von einer Dienerin der Schönen haben mochte. Valeria lächelte und winkte verspielt. Vielleicht konnte ihr der Tropf ja noch irgendwie von Nutzen sein.

Rhodan grinste ungeniert und nickte der Rahjani zu, doch Lust auf unverbindliche Kommunikation hatte er keine. Dieses feine Sahneschnittchen würde er sich schon noch zu Gemüte führen, doch der wahre Gourmet - das wusste er ganz genau - genießt und schweigt. Nach dem anzüglichen Grinsen dieses Stelzbockes wandte sie sich wieder von ihm ab. Es war genug der Aufmerksamkeit und Valeria wollte nichts versäumen, das hier von Belang gesprochen wurde. “Und was, mein Freund, aus fernem Land…” wandte sich Ronan an den Schatzsucher aus dem Svelltland. “... treibt dich in den hiesigen Tempel mit deinen Funden?” Er deutete leicht auf einen der Klumpen, wobei ein dezenter Silberring im Licht der Kerzen aufblitzte. Er sprach mit einem leichten, wellend-singendem Akzent, der nicht von hier stammte. Almada? Die Tulamidenlande?

Alrik war mit dem alten Gelehrten in den Tempel gekommen. Jung an Jahren, mit karottenrotem Haar und Sommersprossen, die seine Wange lustig gesprenkelt scheinen ließen, war er erst vor kurzem aus dem Osten wiedergekehrt. Die Familie des Alten hatte ihn gut bezahlt, ihn wieder heil in die Nordmarken zu bringen. Und Arbeit war es tatsächlich gewesen, wenngleich Alrik viel gelernt hatte. Viel mehr als er geglaubt hatte, als Milian ihn vor über einem Götterlauf angeheuert hatte. Und nun dies hier. Sternengold in den Nordmarken und er war einer der ersten, die sich daran bereichern konnten. Still glitt sein Blick über die anderen und blieb an Ronan hängen. Lächelnd zog er einen Mundwinkel nach oben. Dieser bemerkte kurz vor die Mimik des jungen Mannes sich wieder auflöste diese Reaktion. Ebenso kurz wie das Lächeln des Mannes war zog der Grauberobte seine rechte Augenbraue nach oben und sah ihm währenddessen direkt in die Augen. Alrik schaute in das helle braun, fast bernstein- oder honigfarben, welches ihm warm entgegenblickte. Ein Zwinkern, fast unmerklich folgte. Dann wandte der andere den Blick zur Seite und sah sich interessiert im TEmpel um.

“Bina Maschores, mein Briederchen! Das gute Geschäft. Das was da vom Himmel rauscht, ist genug Almonesse für uns alle. Auch wenn ich gerne alles haben möchte, alleine wird es schwer. Wenn wir aber als Meschpoche reisen, ist es möglich den Massel zu finden. Das hat nichts mit einer Steldripa … wie sagt ihr … Weissagung zu tun. Außer das wir den Sternenschatz nur finden müssen, wenn er aufschlägt.” Abschätzig schaute Ghazbar in die Runde und sein Blick verriet, dass er alle Anwesenden genauso Schatzversessen einschätzte wie sich selbst.

'Diese Worte …', Valeria rollte kaum vernehmbar mit ihren Augen. Ihre Lippen zierte jedoch immer noch ein Lächeln. "Und wie gedenkt Ihr die anderen von diesem … Fund … fernzuhalten?" Die Geweihte wies mit einem einfachen Kopfnicken hin zu einem anderen Tisch, wo sich ein alter Krampen gerade fürchterlich echauffierte. "Ihr solltet nicht leichtfertige Versprechen artikulieren, die nicht leicht einzuhalten sein werden." Sie kicherte und schenkte dem Svelltländer ein herzliches, doch falsches, Lächeln und blickte ihn dann herausfordernd an.

Ronan lehnte sich zurück. "sahr. lm 'ar mithl hadhih almaeadin alnajmiat alnaqiat mundh eshr sanawatin." murmelte er leise. Er schaute die junge Rahjageweihte an, die den Norbarden recht scharf angegangen war. Währenddessen legte verschränkte er die Arme vor der Brust. In der Ellenbeuge zuckten seine Finger, bis sie scheinbar eine bequeme Position gefunden hatten. Hatte Rhodan ihn gesehen - oder war seine Aufmerksamkeit an der Rahjageweihten hängen geblieben?

Rhodan langweilte sich bei dem Geplänkel. Die sollten ruhig über hypothetische Vorgänge palavern - so würde das Ghazbar vermutlich ausdrücken. Ihm war klar, dass es bedeutend war, die Sternenmaterialien, sollten sie ihrer habhaft werden können, klandestin fortschaffen müssten und sie zügig weiterverkaufen sollten. Wenn es um solche Sachen ging, dann waren die Kirchen schneller vor Ort, als man PRAios sagen konnte. So ließ er seinen Blick über die anderen schweifen - wer wusste noch, worauf es ankam? Ja klar, Ronan. Rhodans linker Mundwinkel zuckte nach oben. Na, dann sollte er mal loslegen, vielleicht war der Einfall des Südaventuriers wertvoller als das Gejammer.

‘Hohe Reinheit.’ signalisierte die schnelle Abfolge der Fingerspiele. ‘Wertvoll.’ eine kurze weitere. ‘Vorsicht, Gier.’ die letzte. Rhodan blickte aus dem Augenwinkel auf den selbsterklärten Meschpochenführer. Der war auch gierig ungefährlich, dachte er sich. Rhodan antwortete knapp. ‘Konkurrenz.’ Das sah er eher als Risiko an. Der derart angesprochene nickte nur knapp und signalisierte mit einem kurzen Fingerspiel ein Lachen.

“So ein lecker Schwesterchen wie euch, lass ich natürlich den Vortritt.” Nun lachte der Norbarde herzlich. “ Ich sehe das so: fernhalten möchte ich keinen. Das was da runter kommt gehört uns allen und keinen. Meine Erfahrung sagt mir, das so ein Massel nicht einfach an einer Stelle zu finden ist, sondern der sich verteilt. Mit ordentlich viel Hani, also Glück, und Heshinjas Segen werden ein paar von uns auch fündig. Und wies ausschaut sind wir eine große Meschpoche.” Mit geschickten Griff fing er an, seine Schätze wieder in das Tuch einzuschlagen.

“Mesch … was ...”, Valeria seufzte und begann ihre Schläfen zu massieren. Langsam aber sicher bekam sie davon Kopfschmerzen. Sie ging nun dazu über diese Worte zu ignorieren - so schwer dies auch fallen würde. Dass dieser Klotz meinte, der Stern gehöre allen - oder noch besser, niemandem - würde sich noch zeigen. “Werden auch die anderen …”, die Geweihte wies mit einem Kopfnicken in Richtung eines anderen Tisches, “... mit uns ziehen, oder wir mit ihnen? Und wenn nicht, wie gedenkt Ihr dieses … Geschenk der Götter zu finden? Ihr verlasst Euch doch hoffentlich nicht nur auf Euer Glück?”

Ronan lachte und wandte sich an die Priesterin der Rahja. “Natürlich Glück, Diener der herzlichen Fröhlichkeit.” rollte er mit seinem Akzent. “Das Glück ist ein wertvolles Geschenk und schenkt uns wiederum Gelegenheiten, die wir mit schnödem Wissen übersehen hätten.” Kurz schoben sich die edel geschwungenen Augenbrauen der Geweihten zusammen, dann huschte wieder ein vollendet schönes Lächeln über ihre Lippen. Das Spiel mit ihren Gesichtszügen hatte sie inzwischen gemeistert, auch fiel es Valeria nicht schwer falsche Tatsachen vorzuspielen. “Eure Worte in den Ohren der Götter.” Sie zwinkerte dem Grauen verschwörerisch zu.

“Ihr wisst, junge Dame, das Glück ist mit den Tüchtigen”, lachte Rhodan nonchalant. “Denen hören die Götter immer zu. Doch es schadet nicht, ein wenig nachzuhelfen. Entscheidend ist, das Feld einzuengen, in dem die Sterne niedergehen könnten. Dazu müssten wir wissen, woher sie kommen. Ist jemandem der Anwesenden etwa bekannt, welcher Stern womöglich fallen wird?” Ronan schüttelte den Kopf und legte dann seinen Zopf zurück auf die Schulter, von der er gerade entkommen war. Rhodan fiel auf, dass der Grauberobte vor wenigen Wochen noch kurzes Haar getragen hatte? Sein Blick glitt gen Himmel, als könne er durch die Tempeldecke den Sternenhimmel erkennen. “Lasst uns dazu den Sternenhimmel beobachten, denn so können diese Schätze am HImmel der Nacht uns verraten, welcher Stern zu fallen gedenkt.” Er nahm den Blick wieder herunter und sah erst Rhodan an, dann Valeria in die Augen. Diese waren dezent mandelförmig, Lachfalten zeigten, dass Ronan offenbar gerne lachte. “Die Sterne können dann dem Kundigen verraten, wo sie fallen werden.” Er nahm die Arme auseinander und legte einen Arm über die Lehne seines Stuhles, den anderen in seinen Schoß, die Beine übereinander geschlagen. “Funkelndes Juwel in dieser lichtbeschienenen Stadt, hat man Euch gelehrt, den Sternenhimmel zu lesen?”

Zuckersüß lächelte die junge Rahjani. Wenn der Grauling wüsste was sie ihr alles gelehrt wurde. Die Astronomia war jedoch nicht darunter. Hier war sie auf die anderen Anwesenden angewiesen, soviel war Valeria inzwischen klar geworden. Und das machte ihr Sorgen, hasste sie es doch nicht die Kontrolle über eine Situation zu haben. “Lilasaf lā”, säuselte sie den Tulamiden in seiner Muttersprache an. “Da werde ich mein Glück gänzlich in Eure Hände legen”, das ´müssen´ sprach sie dabei nicht mehr aus.

“Na da seid Ihr in besten Händen meine Teuerste”, grinste Rhodan und rieb sich ebenjene. Tatsächlich kannte er sich mit Astronomie gut aus. Zeit unter dem Sternenzelt zu verbringen war seine zweitliebste Beschäftigung - nach dem Zählen von Geld. “Aber zuvor wäre es doch hinlänglich von Interesse zu erfahren, warum Ihr euch dieser ‘Plackerei’ hier angeschlossen habt. Ich bin mir sicher, eine solche Reise ist Eurem perfekten Teint nicht zuträglich.”

Abermals lächelte die Lehrerin der Leidenschaft strahlend. “Haben wir nicht alle unsere Geheimnisse, mein Herr?” Sie blickte kurz hinüber zu Ronan und leckte sich über die Lippen: “Dann wäre es doch nur gut und richtig einer Dame die ihren zu lassen, meint Ihr nicht?”

Rhodan zog die Augenbrauen hoch und strahlte über beide Ohren wie ein Honigkuchenpferd. Dann lachte er aus vollem Tone seines doch voluminösen Bauchs. “Hört, hört!”, sagte er noch immer halb lachend. “Ich weiß: ein Geheimnis macht eine Frau zu einer Dame sagt man.” Der Händler nickte wissend. “Aber Geheimnisse sind doch deswegen so interessant, weil man sie lüften möchte, oder nicht? Jetzt lasst uns doch nicht so zappeln.”

“Tststs …”, die junge Rahjani begann kokett mit ihrer widerspenstigen Haarlocke zu spielen, “... aber mein Herr … wo bliebe denn die Herausforderung, wenn ich Euch hier auf Nachfrage meine Geheimnisse offenbaren würde? Sind wir nicht genau deshalb hier?” Ihr Blick machte eine Runde über die Anwesenden. “Der Herausforderung wegen?”

Ronan grinste, ob dieses Wortwechsels. Dann lächelte er Valeria zu. “Natürlich, die Herausforderung. Das ist das spannende am Spiel, am Lüften von Geheimnissen und an den ganzen Wagnissen.” Er sah zu Rhodan, dem Weinhändler. “Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt.” Hatte er gerade mit dem Valeria abgewandten Auge gezwinkert? Er wandte sich wieder an die Rahjageweihte. “Aber ohne einen Sternenkundler wird auch unser norbardischer … Freund … hier den zu erwartenden Sternenfall ermitteln können. Ein Doctor der Astrologie wäre wirklich wahres Gold wert, meint Ihr nicht auch, holde Schönheit eines Rosenstrauches?”

“Oh mein Freund, das klingt aber nach einer Großinvestition! Habt Ihr so viel Wagniskapital übrig, dass Ihr Euer Geld in einen Astrologen investieren wollt? 4 aus 5 davon sind doch Scharlatane und beim Fünften weiß man auch nicht so genau. Ach ja: Mit fremdem Geld spekuliert man nicht”, brummte Rhodan scherzhaft, wobei er in Gedanken ergänzte außer man habe es vorher expropriiert. “Ich denke, man könnte ja mal am heutigen Abend einen Blick in die Sterne wagen. Vielleicht funkeln sie heute noch schöner als sonst.”

Zwischen den kirschroten Lippen der jungen Geweihten erschien eine Reihe perlweißer Zähne. “Sprecht Ihr von Euch?”, meinte sie an Ronan gewandt. “Aber wie mir scheint haben beide Herren eine Ahnung von den Sternen. Wir alle können uns also glücklich schätzen.” Sie zwinkerte verspielt.

“Das Glück, Dienerin der Schönen Göttin…” sprach Ronan ruhig. “... ist, wie der werte Herr Herrenfels schon so richtig anmerkte, mit den Tüchtigen. Und ja, die Herzog-Eolan-Universität hat mir den Titel eines Doctors der Astrologie, also der Sternenkunde, verliehen.” Die braunen Augen des offenbar tulamidisch-stämmigen Herrn funkelten, sein Blick glitt kurz zu Rhodan, der mit der schönen Rahjageweihten ebenfalls in diesem intensiven Gespräch stand. “Die Kenntnisse zur Berechnung der entsprechenden Konstellationen kann ich somit dieser Unternehmung unter Umständen zur Verfügung stellen.” “Die da wären?”, fragte Valeria interessiert zurück.

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. “Nun, da wären die Berechnung der astrologischen Konstellationen anhand der Ephemeridentafeln. Weiterhin die Deklinations-Achsen-Berechnung und die Elongations-Abweichungen der Wandelsterne zu Berechnung vergangener oder zukünftiger Bahnen.” Er lächelte. “Insbesondere die Kombination der Deklinationsbetrachtung mit der modernen Längenberechnung mittels eines Astrolabiums könnte uns Hinweise auf den Aufprallort liefern.” Ronan lächelte die Rahjageweihte herzlich an. Er musste es zugeben, wenn auch nur sich und dem Grauen, er genoss das spielerische Parlieren mit ihr. Für einen Herzschlag lang schien sich Unsicherheit auf ihrem Antlitz bemerkbar zu machen, doch verschwand dieser Ausdruck so schnell wie er gekommen war. “Ich sehe schon …”, Valeria berührte verspielt den Oberarm des Graulings, “... ich … äh … wir sind bei Euch in den besten Händen.”

Meta schwieg. Interessant, was für Gestalten und Sprachen, beziehungsweise Dialekte sich hier zusammenfanden. Deutlich südlicher als Almada. Sie würde sich an die Meschpoke halten und erst einmal abwarten, bis man vor Ort war. Sie war nur Knappin und hatte zu schweigen. Eine Frage lohnte sich aber und war ungefährlich. “Mit Verlaub, hohe Damen und Herren. Wann werden wir reisen, wie, mit wem und wer wird für die Unkosten, die bei Übernachtungen anfallen werden, aufkommen? Wie lange werden wir unterwegs sein?” Typisch, es war dann doch mehr als eine Frage. Sie stellte sich darauf ein, bei den Pferden im Stall zu schlafen, das war am günstigsten und das Schnauben wirkte so schön beruhigend. Einer ihrer Mundwinkel zuckte amüsiert. Natürlich würde kein Mann sie mit zu sich nehmen, wenn sie wieder auf dem Gut war, sollte sie die längst fällige Besprechung mit einem gewissen Herren, ihr einziger Freund, der einzige, dem sie wirklich traute, in Angriff nehmen.

Belustigt schaute Ghazbar in die Runde. “Ich hab gehofft hier motivierte Leute zu finden. Versprechen kann ich nichts, allerdings bis jetzt hab ich immer was gefunden. Und wie es schaut, haben wir auch Leute hier, die die Gegend kennen und für einen Schatz auch malochen würden.” Der Norbarde zwinkerte Valeria zu. “Nun jeder ist willkommen sich anzuschließen. Am Ende werden nur die Glücklichen fündig. Und”, jetzt zog er ein Fernrohr hervor,” Wir müssen den Himmel im Auge haben. Nur so wissen wir, wo er runterkommt.” Dann steckte er das Rohr wieder weg. “Es ist ja kein Auftrag, also macht das wohl jeder aus eigener Tasche. Es sei die Galaschen, die Priester, unterstützen uns.” Sein Blick wanderte kurz zum Tisch der Mentorin Nirjaschka. “Was sagt ihr?” “Ich sage, es lohnt sich, auf eigene Rechnung zu arbeiten, dann gibt es auch niemanden, der im Nachhinein Ansprüche anmelden kann”, bekräftigte Rhodan. Bei sich ergänzte er, dass dann auch jeder nach seiner Facon nächtigen könnte. Er würde Zeit unten den immerfort funkelnden Sternen verbringen. Auch wenn er das Reisen und die Beschwerlichkeiten hasste, die Sterne zogen ihn magisch an. “Ich hoffe, die Herrschaften sind adäquat ausgerüstet und vorbereitet?” “Wir sind in Elenvina.” War die mystisch knappe Antwort des Grauberobten.

Die Rahjageweihte hob abwehrend ihre Hand. “Die Priester? Götter, nein! Ihr wisst so gut wie ich, dass die den Stern nicht mehr loslassen werden, wenn wir ihnen helfen diesen zu finden. Wir sollten uns ausrüsten und wenn es sein muss heuern wir ein paar Arbeiter zum … malochen … an. Das Gold dafür wird meine Familie vorab auslegen … lasst das meine Sorge sein.” Alrik lächelte still. Was so ein Stern wohl wert wäre? Käme vermutlich auf das Material an. Und ob man es offen oder versteckt verkaufen müsste. In jedem Fall hätte es großes Potential- eine große Möglichkeit zu werden.

Unauffällig und nur mit einem kaum hörbaren Klingeln trat die weißhaarige Gauklerin an den Tisch des Norbarden. Sie hatte nur den letzten Satz des Mannes gehört und nahm das als Anlass, in die Runde zu winken - was nun doch wieder ein lauteres Klimpern erzeugte. “Hallo zusammen, ich bin Doratrava, aber die meisten hier kennen mich ja schon. Ich dachte, ich begrüße euch mal und schaue, was an diesem Tisch so gesprochen wird.” Sie grinste und gab sich den Anschein der unbefangenen Neugierde, was ihr nicht schwer fiel, da das einer ihrer natürlichen Wesenszüge war.

Rhodan wurde aus dem Gespräch gerissen, wandte sich kurz der irritierend schlanken, weißhaarigen Frau zu, die für seinen (ausgeprägten) Frauengeschmack deutlich zu afeminin war und rümpfte die Nase. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Was machte denn bitteschön fahrendes Volk hier? Sollte das eine Tschokolatl-Fahrt werden, so, wie sie das neuerdings im Horasreich für begüterte ältere Damen anboten? Doratrava grinste den Händler übertrieben freundlich an, obwohl der sie ansah, als hätte sie mehr als sechs Beine und sei gerade unter einem Stein hervorgekrabbelt. Offenbar erinnerte sich der feine Herr nicht mehr an die Episode in Herzogenfurt, als eine Explosion im dortigen Hotel sie zu unfreiwilligen Leidensgenossen gemacht hatte, wenn auch nur für ein paar Stunden.

“Doratrava!” Das R rollte genüsslich im Mund des Grauberobten. Er lächelte breit. “Welch Freude, dich hier zu sehen. Aber irgendwie verwundert es mich nicht, dass die Götter dich auf diesen Pfad führten.” Noch mehr Konkurrenz? Oder eher Aufmunterung und Unterhaltung? Wer außer den Alveranischen mochte dies wissen? “Die Götter, ja. Oder ihre Diener. Eigentlich wollte die Geweihte da drüben”, Doratrava machte eine klimpernde Geste Richtung Nirjaschka, “nur mit mir sprechen. Von so einem Auflauf hatte sie nichts erwähnt. Und dass ich hier so viele bekannte Gesichter vorfinden würde, auch nicht.” Wieder grinste die Gauklerin übermütig.

Der junge Rothaarige sah die Weißhäutige interessiert an. Interessant. “Der Alte hat euch vom anderen Tisch vertrieben?” fragte er grinsend. Valeria musste an sich halten um ihre Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen. Sie kannte die Gauklerin, die bei der Hochzeit ihres Cousins im Schlepptau der Feenküsschen erschien. Eine talentierte Künstlerin, soviel war klar, doch schwierig handzuhaben. Wohl eine Amazone, so wie sie damals ihre Cousine Rahjalind angesehen hatte, also würde sich auch Valeria vor ihr in Acht nehmen müssen. Die Ankunft Doratravas würdigte sie lediglich mit einem kurzen gelangweilten Blick in ihre Richtung. “Kennst du den?” wandte Doratrava sich dem jungen Mann zu. “Redet der immer so hochgestochen daher, als müsse man vor ihm auf die Knie fallen und ihm für die Gnade danken, einem die Weisheit der Welt zuteil werden zu lassen?” Der junge Mann nickte.

Die Rahjani streifte die Gauklerin dagegen nur mit einem Blick. Sie hatte die schöne Frau erst vor ein paar Tagen zuletzt (und zuerst) gesehen, aber sie wurde nicht recht schlau aus ihr. Für eine Dienerin der Schönen Göttin kam sie recht reserviert daher, zumindest ihr gegenüber. Dabei sollten Musik und Tanz fast schon ein natürliches Band knüpfen zwischen einer Geweihten der Rahja und einer Gauklerin. Aber sie würde sich sicher nicht aufdrängen. Meta nickte Doratrava dagegen nochmals knapp zu, aber auch hier galt dasselbe: sie würde sich nicht aufdrängen. Sie wollte ja eigentlich nur kurz Hallo sagen … aber so etwas mochte nicht zum ersten Mal unerwartete Auswirkungen haben … “Er ist mein Herr. Und ja er redet mit den meisten so. Außer … nun ja, mit einigen redet er … nun ja anders…. Dann allerdings mit Worten, die ich nicht kenne und nicht verstehe.” Er grinste Doratrava an, während er den Kopf dabei leicht schräg legte. “Dein Herr?” Doratrava zeigte sich deutlich überrascht. “Ähm … und warum bist du dann nicht bei ihm?”

“Er kommt schon allein zurecht, solange er nicht laufen, nichts tragen oder sich an profane Dinge wie Essen oder korrektes Ankleiden erinnern muss.” lachte der junge Mann. “Er ist zufrieden, solange Menschen da sind, die er mit seinem Wissen beglücken darf.” “Na dann muss man sich ja keine Sorgen um ihn machen”, grinste Doratrava zurück. Eine Reise mit dem Zausel würde aber sicher schwierig werden. Kein sehr erhebender Gedanke. Aber andererseits war sie ja nicht hier, um irgendeine Reise anzutreten. Dennoch fragte sie neugierig: “Und, habt ihr hier schon einen Schlachtplan?”

Es war der Norbarde der Doratravas Frage aufgriff. “ Das lecker Mädel ist also interessiert. Na, als Meschpoche, also als Gruppe, könnten wir dem Stern nachjagen. Wer wäre dabei?” Die junge Geweihte räusperte sich. “Nachjagen …”, wiederholte sie und tippte sich dabei theatralische auf ihr Kinn, “... wie habt Ihr die Schätze denn sonst immer ausgehoben?” Insgeheim fürchtete sie, dass sie der Gruppe der Priester an Professionalität unterlegen waren. Diejenigen, die das Kind oder den Krieg suchen, empfand die Rahjani nicht unbedingt als Konkurrenz, doch die Gelehrten mit dem alten Zausel waren es auf alle Fälle. “Am Gold für Ausrüstung soll es dabei nicht scheitern, das leiere ich notfalls meinem Onkel aus der Tasche.” Valeria setzte ein kindlich unschuldiges Lächeln auf als sie ihren Blick über die Gesichter der anderen schweifen ließ. “Und in welche Richtung soll es denn gehen?” fragte Doratrava weiter. “Die da drüben”, sie deutete auf Nirjaschkas Tisch, “wissen auch noch nicht, wohin sie müssen, die wollen erst noch beobachten und irgendetwas berechnen.” “Ich hab gehofft, das es hier jemanden gibt, der sich besser mit den Sternen auskennt. Ich bin zwar sehr geübt, aber noch ist der Stern zu weit entfernt. Zumindest hat es mich in die Nordmarken geführt. Ein Teleskop wäre hilfreich.” Fragend schaute er in die Runde. “Ein Teleskop ist eine kostenintensive Anschaffung, aber die könnte sich lohnen. Mit dem nötigen Geld hätte ich die Kontakte, um so etwas zu beschaffen, keine Frage.” Valeria klatschte in ihre Hände. “Das ist großartig. Dann haben wir ja eine Bezugsquelle und jemanden, der den Spaß bezahlt.” “Ihr also, meine Teuerste?”

Ronan lächelte Rhodan und Valeria zu. “Wunderbar! Dann haben wir jemanden, der das kostbare Teleskop für eine profunde Sternenschau finanziert. Wir danken Euch sehr, Schönheit der Rosenknospe.” “Meine Familie …”, meinte die Geweihte keineswegs kleinlaut, sondern sehr selbstsicher, “... sofern Bedarf besteht und vorausgesetzt das eingesetzte Kapital wird bei der Aufteilungsquote ausreichend berücksichtigt.” Noch bevor jemand antworten konnte, lag die Aufmerksamkeit der Geweihten auf ihrer Begleiterin.

Meta war von Natur aus unauffällig und gab sich auch so. Kein Wunder, dass die Gauklerin, die sie schon mindestens dreimal getroffen hatte, sie überging. Wobei das eine Mal recht emotional gewesen war. Damals hatte Dora ihre verheulten Augen auch auf andere Personen gerichtet. Typischerweise pflegten die Herrschaften, sich in Szene zu setzen, obwohl es noch keinen Grund dafür gab. Sie fasilierten und palaverten. “Hohe Damen, Hohe Herren, werden die anderen Gruppen mit uns reisen? Und wann gedenkt Ihr, aufzubrechen? Wir sollten eine malochende Meschpoke beauftragen, geeigneten Proviant und Reiseutensilien zu besorgen. Eine gewisse Ahnung, wo das, nachdem wir suchen auf Dere landen wird, werdet Ihr doch sicher haben.” Sie stützte sich nun mit beiden Ellbogen auf dem Tisch ab. “Einig, dass wir es wollen, sind wir uns doch. Wichtig wäre ein Vorsprung. Oder habe ich etwas Wichtiges verpasst? Wenn der Zausel nicht gehen will, soll er eben hier bleiben.” Sie zuckte mit den Schultern. Was an den anderen Tischen vorgefallen war, hatte sie nicht mitbekommen. Doratravas Auftreten wunderte sie nicht. Die Frau war flatterhaft.

Flüsternd wandte sich Valeria an die Knappin. “Wir wissen nicht wohin, das ist das Problem. Und ich befürchte, dass die anderen weiter sind als wir. Könntest du dich auf den anderen Tischen umhören ob jemand eine Idee hätte?” Sie hob ihre Augenbrauen. “Unauffällig, wohlgemerkt. Vielleicht tut der Lakai des Alten es dir am Tisch der Götterdiener ja gleich.” Mit einem Lächeln versuchte sie Meta für ihren Plan zu gewinnen. Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.

Am Tisch der Götterboten

“Soweit ick jehört hab, sin de Sternchen runterjefallen und können den Jöttern zugeteilt werden. Dat Sternchen von Havena, ein großer Gwen-Petryl … eindeutig Efferd. Und Jerüchte sajen, das der letzte bei Omlad wat boronjefälliges is.” Nirjaschkas Gesicht glühte regelrecht vor Aufregung. Die Mittvierzigerin trug ihr kastanienbraunes Haar unter einem grünen Kopftuch und der leicht untersetzte Körper war in dem üblichen grünen Wickelgewand der Hesinde gekleidet. Das Schlangenhalsband aus grünem Zinn wies sie als Mentorin aus. Und immer wenn sie von Begeisterung erfasst wurde, verfiel sie schnell in ihren bornländischen Dialekt zurück. “Und dat is nur von denen wir jehört ham. Ich frach mich bis heute, wat die beim Sternchen in Arivor jefunden haben.” Erwartungsvoll schaute sie in die Runde. Ein weiterer Geweihter der Allweisen hörte ihr gespannt zu. Der hochgewachsene Mittzwanziger trug ebenfalls das typische Wickelgewand, doch anstatt des Kopftuches trug er eine grün-goldene Rohalskappe. Seine Statur ließ darauf schließen, dass er nicht nur die Schreibstube kannte. Auch seine Hände zeugten von Tatkraft und wiesen nicht nur Tintenflecke auf. Madasil, ebenfalls Mentor, räusperte sich: “Angeblich, so besagt ein Gerücht, hätte es sich dabei um den Sarstern gehandelt. Allerdings konnte ich diese These nicht prüfen, da ich mit anderen Aufgaben betraut war. Zudem ist die Sternkunde nicht mein Fachgebiet. Desweiteren habe ich von Meteoreisen gehört, dass dort gefunden wurde. Aber vielleicht weiß der Orden ja mehr?” Mit freundlichem Blick schaute er den Draconiter an.

Lessandero zuckte nur kurz mit den Schultern. “Es mag sein, das im Oktagon dazu neueres Wissen vorliegt. Leider haben mich meine Forschungen in den letzten Monaten von dort ferngehalten.” Der Draconiter war ähnlich wie die beiden am Tisch stehenden Mentoren der Hesindekirche gekleidet. Er trug die grüne Robe der Hesindegeweihtenschaft ebenso wie das zinnerne Schlangenhalsband. Nur durch das Wappen mit der sich um zwei Pergamentrollen windenden Schlange war er als karmales Mitglied des Sacer Ordo Draconis zu erkennen. Der großgewachsene Draconiter - ihm fehlten nur knapp fünf Finger an zwei Schritt - war schon in der zweiten Lebenshälfte, was sich bei ihm neben dem unter der Robe erkennbaren Bäuchlein auch auf dem Kopf in dem mageren Haarkranz zeigte. ‘Das Haar musste weichen als Hesinde mir die Weisheit gab’, pflegte er selbst diese Frisur zu beschreiben. An seinem breiten Gürtel war links die reich verzierte Tasche mit seinem Buch der Schlange und an der rechten Seite die Basiliskenzunge befestigt. Neugierig hatte er bislang Soror Nirjaschkas Vortrag zum Sternenfall gelauscht.

Doratrava kam direkt von einer Straßenvorführung und trug deshalb ein bunt-kariertes Hemd, an dem allerlei kleine Glöckchen befestigt waren, so dass sie bei jeder Bewegung leise klimperte. Das war jetzt ein wenig unvorteilhaft, aber ließ sich nicht ändern, die sehr schlanke, extrem hellhäutige Gauklerin hatte dem strengen Blick der Geweihten lediglich ein entschuldigendes Heben der Schultern entgegenzusetzen. Gegen den Regen trug sie einen Kapuzenumhang, dessen Kapuze allerdings zurückgeschlagen war, so dass ihre langen weißen Haare und die leicht spitzen Ohren für jedermann offensichtlich waren.

Dabei kam sie in der Tat auf Einladung jener Geweihten, hatte diese sie doch in einer Pause ihrer Vorführung angesprochen und sich an einem Gespräch mit ihr interessiert gezeigt. “Madas Gaben” galt ihr Interesse, hm … Doratrava war noch nicht sicher, ob sie darüber überhaupt sprechen wollte. Aber irgendwie hatte diese Nirjaschka sie neugierig gemacht, und nun war sie hier, im Tempel der Hesinde - und bass erstaunt, diesen Menschenauflauf hier vorzufinden. Die Geweihte bemerkte sie auch sofort und winkte sie an einen der vier Tische, ohne allerdings nun direkt das Wort an sie zu richten, stattdessen hielt sie einen Vortrag, von dem die Gauklerin höchstens die Hälfte verstand. Um fallende Sterne ging es, davon hatte sie aber keine Ahnung, außer man zählte diverse Gerüchte, die seit Jahren dazu die Runde machten, als gesicherte Informationen, insofern sah sie sich auch nicht in der Lage, der Aufforderung, die aus dem Blick der Geweihten sprach, Folge zu leisten, aber das hörte sich auf jeden Fall nach einer spannenden Geschichte an - ob spannend für sie selbst, würde sich zeigen. Wie gesagt, sie war ja eigentlich aus einem ganz anderen Grund hier.

Doratrava fiel auch der Draconiter in der Runde auf. War das nicht dieser Lessandero Dingsbums, mit dem sie vor mittlerweile fast eineinhalb Jahren ein etwas bizarres Abenteuer in den Bergen südlich von Khunchom erlebt hatte? Vorsichtig winkte sie ihm zu, um die missbilligende Aufmerksamkeit der Geweihten nicht noch mehr auf sich zu ziehen. Wenn auch allein das Winken schon wieder ihre Glöckchen sanft klingeln ließ.

Als Lessandero sah wie ihm die junge Frau zuwinkte, kam ihm seine Exkursion nach Khunchom wieder in den Sinn. Auf dem Heimweg hatte er die junge Gauklerin und ihren Begleiter getroffen und sie hatten gemeinsam ein paar aufregende Tage erlebt. Fröhlich lächelnd winkte er zurück und meinte dann leise zu Madasil: “Verzeiht, das ich unser kurzes Gespräch abbreche, aber ich habe dort eine Bekannte gesehen, die ich begrüßen möchte.” Er machte ein paar Schritte um den Tisch herum an Doratravas Seite. “Ich freue mich Euch hier zu sehen”, raunte er der Gauklerin zu. “Mit Euch hätte ich hier wirklich nicht gerechnet.” Doratrava lächelte den Draconiter schelmisch an und zwinkerte. “Ich auch nicht” erwiderte sie leichthin. “Und ich mit … Euch … übrigens auch nicht.” Lessandero bemerkte das leichte Zögern bei der Anrede, ebenso den fragenden Blick der Gauklerin, die aber gleich weitersprach: “Also, ich meine, nicht wegen der Sternenfall-Sache, die Euch sicher brennend interessiert, sondern einfach des unwahrscheinlichen Zufalls wegen. Oder hat Hesinde dazu eine erhellende Theorie?” Beim letzten Satz nahm Doratravas Tonfall eine leicht neckende Note an.

“Ob es Hesinde ist, die uns hierher geführt hat?” überlegte der Geweihte. “Ich befürchte nicht. Es scheint mir doch eher der Zufall zu sein. Und das wäre dann wohl eher Herr Phex.” fügte er schmunzelnd hinzu. “Vielleicht können wir uns ja nach dem Vortrag noch ein wenig austauschen.” “Ist ja auch egal, das Ergebnis zählt.” Doratrava zwinkerte erneut. “Ja, klar. Bin mal gespannt, was das hier alles gibt.” Sie setzte zu einer weitschweifenden Armbewegung durch die Tempelhalle an, führte diese jedoch nicht zu Ende, als das erneut ihre Glöckchen an deren Daseinsberechtigung erinnerte. Die anderen Gruppen hatten durchaus ebenfalls ihr Interesse erweckt, zumal sie in der Gruppe dieses Norbarden gleich drei, nein, sogar vier weitere bekannte Gesichter erspäht hatte. “Ich freue mich darauf”, antwortete der Draconiter und begann sich wieder der Vortragenden zuzuwenden.

Hesindiard von Rickenbach war alt. Leicht gebeugt und auf einen hölzernen Stab gestützt, hatte er den Tempel betreten und sich an den Tisch zu den Hesindegeweihten begeben. Doch sein Entsetzen über die Unbildung selbst unter diesen, war langsam immer deutlicher über seine Züge geglitten. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen und der dunkle, lockige Haarkranz, der ihm von seiner einst so dichten Haarpracht geblieben war, wippte auf und ab bei jedem Kopfschütteln, das er dem Unwissen hier entgegensetzte.

“Halbwissen.” sagte er irgendwann laut. Und seine Stimme war tief und von überraschender Klarheit. “Ist noch schlimmer als Unwissen. Letzteres kann man beheben. Doch an ersterem hängen die Menschen oftmals mehr als an guten Freunden.” spuckte er irgendwann laut in die Runde, Leonora zugewandt. “Rijsha war es- die Feder des Raben- die dort in Omlad niederging. Und ob es dem Gott des Todes freut, wenn die Sterne aus seinem Sternbild fallen- nun, die einen meinen so, die anderen so.” fuhr er unbeirrt fort, und sein Tonfall machte deutlich, was er von welcher Meinung hielt: “Und niemand, der sich mit den Sternen auskennt, sagt, dass es der Sarstern war, der Arivor zerstört hat. Denn die Spitze des Schwerts fiel bereits einen Mond VOR der Zerstörung dieser wunderschönen, heiligen Stadt.” grummelte er: “darüber hinaus gab es keinen Stern, der IN Arivor einschlug! NEIN! NEIN! NEIN!” wie oft er das hatte sagen müssen in den letzten Jahren, langsam hatte er begonnen es hinzunehmen. Aber hier? In einem Tempel der Herrin Hesinde. Er schüttelte den Kopf. Madasil wandte sich dem Sternenkundler zu: “Ich danke Euch, für die Richtigstellung. Wie ich bereits erwähnte, war es ein Gerücht, dass ich aufschnappte und nicht prüfen konnte. Nun jedoch habe ich Klarheit. Mögt Ihr uns mitteilen, was Ihr über dieses Phänomen wisst?”

“Über welches Phänomen? Über Arivor? Oder über den Sternfall im Allgemeinen? Den gehäuften Sternfall seit 1039 im Besonderen?” Der Alte klang immernoch wirsch, aber wirkte schon etwas versöhnlicher. Menschen, die ihr Wissen erweitern wollten, war er zugetan. Er lächelte Leonora an, die mit ihm und Alrik zum Tempel gekommen war. Wissen führte einen auch immer näher an sich selbst heran. Ein Grund, weshalb es so viele Menschen scheuten.

“Wenn es die Zeit erlaubt über alles natürlich, aber jetzt, im Augenblick wäre eine kurze Übersicht hilfreich. Vielleicht gibt es ja einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen herab gestürzten Sternen. Ich muss leider zugeben, dass ich nur über Grundkenntnisse der Sternenkunde verfüge.” “Nun das ist mir aufgefallen.” antwortete der Alte: “Aber wie ich sehe, seid ihr interessiert dies zu ändern. Das ist löblich. Und ihr seid am richtigen Ort. Im Tempel des Wissens.””Und Ihr scheint mir der rechte Lehrmeister zu sein.” “Nun, ja, man kann sagen, dass diese Runde Glück hat, dass ich anwesend bin.” Er seufzte. Suchte nach dem besten Anfang. “Wie steht es mit eurem Wissen um die Sphären? Die Sphairologia ist kein einfaches Fach, aber um alles zu begreifen, sollte man die Grundzüge kennen. Stellt euch die Welt wie eine Zwiebel vor. Bestehend aus einem Kern, umlagert von verschiedenen Schichten.

Im Inneren haben wir die erste Sphäre- also den Zwiebelkern- über den wir wenig wissen. Sie ist sozusagen der Urgrund des Weltengesetz. Sie trennt Sein von Nicht-Sein, ist die Manifestation der Materie. Der Existenz. Diesen Zwiebelkern umgibt nun eine erste Schicht. Eine zweite Sphäre. Auch über sie wissen wir wenig, nur, dass sich die Materie dort zu ordnen beginnt, ist bekannt. Sumus Macht beginnt dort. In der zweiten Sphäre.

Dann folgt eine zweite Schicht um unseren Zwiebelkern. Die dritte Sphäre. Sie ist unsere Welt. Hier hat die Materie sich bestimmten Regeln unterworfen. Und so ist Leben möglich. Es folgt eine weitere Schicht: die vierte Sphäre. Wenn ihr einst auf Golgaris Rücken über das Nirgendmeer fliegt, werdet ihr sie betreten, denn der Tod ist nichts als eine Sphärenreise von der dritten in die vierte Sphäre- ins Totenreich.

Die nächste Schicht, die fünfte Sphäre dann, ist die Welt der Götter. Die Welt Alverans. Die wir nicht betreten dürfen und über die wir daher nur spekulieren können. Und dann.” seine Stimme nimmt einen triumphierenden Klang ein: “die sechste Sphäre. Die Sphäre der Sterne. Die Sphäre der Macht. Hier nähren sich Götter und Dämonen. Die sechste Sphäre trennt die fünfte -also die Welt der Götter- von der siebten-” er machte eine Pause und sah Madasil an: “das Chaos herrscht dort. Eine Sphäre ohne Zeit und ohne Raum, Heimstatt der Dämonen.” er klatschte in die Hände: “Und das ist es, was ihr begreifen müsst, um die Sterne zu verstehen: Der Himmel, den ihr kennt: Er ist die Trennung zwischen der Welt der Götter und der Dämonen. Und alles was dort passiert, passiert weil sich dort Dinge ereignen. Die wir nur erahnen können. Wenn wir aufmerksam die Sterne lesen.” Grundsätzlich zufrieden mit seinem Vortrag, sah er Madasil an. “Konntet ihr mir bisher folgen?”

”Gewiss. Ich hätte sogar eine These, die ich Euch offerieren möchte. Wenn also, die sechste Sphäre die Sterne enthält und zugleich Alveran vom Chaos trennt, können wir dann annehmen, dass der Verlust von Sternen diese Sphäre dünner werden lässt? Folglich die Trennung an Stärke verliert?” “Nein, nein.” Der Alte schüttelte den Kopf, “Die Trennung ist nur dort nicht stark, wo es Rupturen gibt. Die größte ist die große Bresche, in die die Götter den Namenlosen schmiedeten. Aber die Anzahl der Sterne ist dafür nicht bedeutend. Zumal ihr vergesst: Es vergehen nicht nur Sterne, es werden auch welche geboren. Daher ist es wichtig die Sterne zu lesen! Denn auch die Geburt neuer Sterne weist uns Wissen zu, Wissen, was dort oben in den Sphären der Götter und Dämonen so passiert.”

Da offensichtlich der alte Gelehrte die Aufmerksamkeit auf sich gerichtete hatte, hielt Nirjaschka inne und hörte zu. “Jenau, aufmerksam lesen. Deshalb is it wischtig zu wissen, wo dat Sternschen runterkommt, damit wa die Botschaft aus Alveran finden und lesen können.”, legte die Geweihte ihr Kommentar dazu.

Lessandero nickte zu der Schlussfolgerung der Geweihten. Das war auch aus seiner Sicht die logische Konsequenz. Der ausführlichen Lehrstunde des Alten war er nur mit halben Ohr und Auge gefolgt, denn sie enthielt nur die bekannte Sphärenlehre, die er schon vor vielen Jahren während seiner Ausbildung vernommen hatte, stattdessen beobachtete er die anderen Tische und die dort anwesenden Personen.

In Begleitung des alten Mannes war eine weitere Gestalt an den Tisch getreten, die das komplette Gegenteil des alten Gelehrten zu sein schien: eine sehr junge Frau von vitalem Auftreten und schlanker Gestalt. Ihr Gesicht brauchte in Sachen Ebenmäßigkeit den Vergleich mit der Rahjageweihten am Nachbartisch nicht zu scheuen, auch wenn die junge Frau auf Schminke und Zierrat verzichtet hatte und insgesamt rondrianischer wirkte. Die gefällige Gewandung im Methumiser Stutzerstil und das Korbschwert an ihrer Seite unterstrichen letzteren Eindruck.

Das Verhalten der jungen Kriegerin zeigte weitere Unterschiede zu ihrem Begleiter auf: so schien diese von einer gewissen Befangenheit ergriffen, seitdem sie den Tempel betreten hatte, und auch der polternde Ausbruch des Alten schien ihr peinlich zu sein. Zusätzlich zeigte die Verwirrung in ihrem Gesicht, dass sie wohl nicht die regelmäßige Gesprächspartnerin des Gelehrten war, wenn es um Sternenkunde ging.

In der Tat fühlte sich Leonora von Heiternacht, eine Ritterin aus der Baronie Kaldenberg, fehl am Platz und außerdem überfordert. Ein glücklicher Zufall - oder, wie sie glaubte, das Schicksal - hatte dazu geführt, dass sie in eigener Angelegenheit in Elenvina weilte, als sie Hesindiard in der Stadt begegnet war. Sie hatte ihre Bekanntschaft auf eine Lektion angesprochen, die er ihr einst in der Kunst der Sterndeutung erteilt hatte. Prompt hatte der Alte sie aufgefordert, ihn sogleich zu begleiten - dort, wo er gerade hingehe, könne sie viel über die Sterne lernen. Das Wiedersehen hatte erst vor wenigen Augenblicken stattgefunden - und so war sie unverhofft in diese Runde geraten.

Verlegen blickte sie sich um, einen Blick auf die anderen Personen werfend, die sich hier im Tempel versammelt hatten. Schließlich konnte sie ihre Neugier nicht länger zurückhalten: “Verzeiht, gelehrte Damen und Herren, ich verstehe nicht - wir suchen einen Stern, der in den Nordmarken herabfallen wird? Weiß man schon, wo das sein wird?”

Nun legten sich alle Augen auf die junge Kaldenbergerin. “Jute Frage. Jenau kann ich nix sagen, nur das es scheint, dass das Sternschen in die Nordmarken runterkommt. Der Fingerzeig Alverans is ja immer nur in der Nacht zu sehen und dann och nur für ein paar Wasserläufe. Aber ick kann von Glück sagen, das Hesinde uns erfahrene Sternkundler jeschickt hat und wir ham och een jutes Fernrohr. Um die Frage zu beantworten: wir müssen kieken.” Bestimmend schaute Nirjaschka in die Runde.

Hesindiard hielt die Luft an: Fernrohr? Oh, unter welche Dilettanten war er nur geraten? Dieses Jungvolk, das noch nie die Unbillen der Welt erleben musste und dessen Gemüt nicht an den Qualen und Schrecknissen wachsen konnte. Den Jungen war viel erspart geblieben, aber auch das Wachsen des Geistes und der Wissenschaft, das mit solchem einherging, war an ihnen vorüber gegangen. “Berechnungen.” sagte er schlicht in Leonoras Richtung. “Fernrohre sind nicht sonderlich gut geeignet, besser sind Teleskope. Je besser sie sind, desto präziser sind unsere Berechnungen. Aber dennoch sind sie fehlerbehaftet. Denn die Sterne und die sechste Sphäre sind nicht so weit erforscht, wie wir es uns wünschen würden. Womöglich ist das auch gar nicht möglich.”

“Aber - es müsste doch mit der Zeit immer einfacher werden, den Ort zu finden? Wie… wie bei einem Abschlag beim Imman: je näher der Ball kommt, umso besser weiß ich, wo er landet?” Leonora hatte frei von der Leber weg gesprochen und spürte nun, wie ihr Hitze ins Gesicht stieg. Vor all diesen gebildeten Herrschaften von diesem Spiel der einfachen Leute zu sprechen, was war ihr da nur in den Sinn gekommen! Sie schämte sich und mied den Blickkontakt mit Hesindiard.

‘Naja, so groß sind die Nordmarken ja auch nicht und überall frei zugänglich’ lachte Lessandero in sich hinein als er die Erklärung der geweihten Schwester vernommen hatte. Für die Berechnungen Hesindiards schien ihm die verbleibende Zeit bis zum Aufschlag auch nicht mehr auszureichen, denn um da eine gewisse Genauigkeit zu berechnen musste man viel und lange beobachten. Daher erschien ihm der Vorschlag der jungen Ritterin als der pragmatischste. Einfach wird es auch nicht werden, zumal es ‘Mitbewerber’ gab, die durchaus andere Interessen als die hier am Tisch versammelten vertraten.

“Jaja.” lachte der Alte Leonora an; “Genau richtig. Es ist interessant eurem Geist zu folgen. So ungebildet zwar, aber mit so viel Potential. Eine Verschwendung euch ins Ritterhandwerk gegeben zu haben. Ihr habt es genau richtig erkannt. Es ist wie beim Imman: Je länger man Zeit hat, eine Bahn zu beobachten, desto genauer kann man sagen, wo sie endet. Und wie beim Imman ist es wichtig den richtigen Moment abzupassen, weder zu früh noch zu spät darf man handeln. Ein guter Immanspieler ist ein guter intuitiver Mathematikus, ohne dass er es weiß. Spielt ihr selbst Imman, meine Liebe?”

Vor Leonoras geistigem Auge erschienen die Kinder Kaldenbergs, die sich in den Sommermonaten allabendlich auf dem Feld des Alrikbauer vor der Stadt trafen, und mit den selbstgeschnitzten Schlägern auf den Korkball - nicht selten auch aufeinander - eindroschen. Leonora stets mittendrin, sehr zum Verdruss des Barons, dem sie damals als Pagin diente. Sie dachte an den legendären Sieg der Albenhuser Alben gegen die Elenviner Hengste, dem sie als jubelnde Zwölfjährige beigewohnt hatte. An den Schläger aus echtem Eschenholz, den sie von ihrem Bruder geschenkt bekommen hatte. “Nein.”, log sie, kaum überzeugend. “Das geziemt sich für Leute von Stand nicht.”, schob sie die Phrase nach, die sie sich nur zu oft selbst hatte anhören müssen. Ob des Bedauerns, das sie dabei empfand, vergaß sie ganz das Lob des Alten.

„Ha“ sagte der Alte, „ihr seid alt genug zu wissen, dass das noch niemals Menschen abgehalten hat. Selbst ich habe Imman gespielt als ich ein Kind war. Wie meine Tochter und die Kinder meines Bruders. Und deren Kinder. Und deren Kinder tun es vermutlich auch mal. Es stärkt Körper, Geist und das Gefühl zusammen zu gehören. Schert euch nicht um das Geschwätz der Welt. Ich stelle euch einmal meinen Grossneffen vor, er lebt hier in der Stadt, spielt Imman und führt eine Taverne, sehr zum Ärger meines Neffen. Er schert sich nicht darum, was die Welt über ihn sagt. Und es bekommt ihm gut. Tempora Mutantur, et Nos mutamur in illis. Die Welt wandelt sich, was sich gestern nicht ziemt, kann morgen eine Welt bewahren.“

Bedeutungsschwer nickte Leonora, obwohl Hesindiards Appell sie verwirrte. Im Grunde hatte sie nur verstanden, dass der Gelehrte wohl eine große und immanbegeisterte Familie hatte. Um von sich selbst abzulenken, fragte die junge Kriegerin: “Weiß man denn schon, WANN der Stern herabfallen wird?” Auf die Frage hin, begann der alte Gelehrte in seinem Gepäck zu kramen. Es dauerte eine Weile bis er einen langen, ledernen Zylinder auf seinen Schoß zog.

Doratrava wunderte sich über diese junge Kriegerin in Begleitung des besserwisserischen Alten, die angeblich nie Imman gespielt hatte und so gar nicht in den Kreis dieser gelehrten Gesellschaft passte - ganz wie sie selbst, und das machte sie interessant. Allerdings hatte sie selbst zwar schon das ein oder andere Immanspiel gesehen, aber den Flug des Korkballes mit einem aus dem Himmel herunterstürzenden Steinbrocken zu vergleichen, erschien ihr doch gewagt. Dennoch drängten sich ihr ein paar Gedanken in den Kopf, und bevor sie ihr Mundwerk im Zaum halten konnte, plapperte sie auch schon los: “Also Sternschnuppen habe ich manchmal schon gesehen. Aber das sind doch nur weiße Striche vor schwarzen Hintergrund. Wie kann man denn da erkennen, wo so etwas herunterkommt, wenn es denn überhaupt herunterkommt? Und was ist, wenn es tagsüber passiert?” Unwillkürlich zuckte ihr Blick zu dem Alten hinüber, der sicher gleich wieder eine beißende Bemerkung von sich geben würde. Warum hatte sie auch den Mund aufgemacht? Eigentlich hatte sie doch nun hinübergehen wollen zu dem Tisch mit dem Norbarden, um mal zu hören, was dort so gesprochen wurde und um Rhodan und vor allem Ronan zu begrüßen. Das dritte bekannte Gesicht kannte sie nur flüchtig aus Linnartstein, zuerst von einer eher unerquicklichen Begebenheit, dann von der eben stattgefundenen Hochzeit dort, so dass sich ihr Bedürfnis, mit jener jungen Frau zu sprechen, in Grenzen hielt. Und auch die Rahjani kannte sie seit kurzem, von eben jener Hochzeit. Konnten es der Zufälle noch mehr werden?

Die Mentorin Nirjaschka nickte verständnissvoll. “Jenau wees ick dat nich. Wie schon Meester Rickenback sachte, mit einem Telesjoop könn wa dat besser bestimmen. Sicher is dat es bald is.” Dann hob sie ihren Zeigefinger und schaute zur Gauklerin. “Jute Frage, Doratrava. Nur Nachts könn wa dat Sternschen sehen. Auch dieser hat nen Strich am schwatten Himmel, aber viel größer. Den von dem wir sprechen, sieht man allerdings nur zwischen der ersten Praiosstunde und der ersten Traviastunde. Und ick bin och keine rischtje Sternkundlerin. Und da bin ick froh das ihr da seid!” Mit einem breiten Grinsen schaute sie wieder in die Runde. Überrascht, keinen Spott zu hören bekommen zu haben, schaute Doratrava Nirjaschka mit großen Augen an. Aber nur kurz. Viel über die Sache zu wissen schien die Geweihte ja nicht, aber das war nicht ihr Problem. Da sie auch keine Sternkundlerin war, murmelte sie etwas von “Bekannte begrüßen” und schlich sich möglichst unauffällig und ohne Glöckchengeklimper zum ersten Tisch.

Leonora hatte bei der Frage der merkwürdigen Gauklerin die Augenbrauen verwundert zusammengezogen. ‘Wie sollte man Sterne tagsüber sehen können?! Sterne gibt es doch nur nachts!’, wunderte sie sich, jedoch nur in Gedanken. Mit einem leichten Hüsteln vorweg stellte der Draconiter eine Frage: “Schwester Nirjaschka, wie bald meint Ihr denn, ist ‘bald’? Haben wir den noch genügend Zeit für die aufwändigen Berechnungen, die der gelehrte Herr als notwendig vorschlägt?” Hesindiard hatte mittlerweile einige Schlaufen von dem ledernen Deckel des länglichen Zylinders gelöst. Im Moment zog er einige Pergamente daraus hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete und dort mit kleinen, Metallstückchen, die er zuvor aus einem Beutelchen an seinem Gürtel genommen hatte, vor dem Zusammenrollen bewahrte. Er tippte auf das obere Pergament. “Ihr missversteht. Es gibt nie einen Abschluss der Berechnungen. Man muss sie ständig fortführen. Bis zum Fall des Sterns. Nur…. werden sie im Laufe dieses Prozesses immer genauer. Ob sie genau genug sind, wissen wir erst, wenn wir den Stern gefunden haben, oder eben nicht. Was ein Glück, dass ich schon einige Berechnungen vorgenommen habe.” er deutete verzückt auf eine komplizierte, lange Reihe von Zahlen und Zeichen. “Und somit schon eine ungefähre Vorstellung. Wie ihr seht.”

Lessandero beugte sich über die Aufzeichnungen des Gelehrten. Mit Zahlen umzugehen hatte er bei seinen Beschäftigungen mit der Mystik der Angroschim mehr als genug gelernt, aber diese wirren Kolonnen sagten ihm dann doch nicht allzuviel. Hätte er doch damals in Kuslik auch ein paar Bücher zu Sternenkunde gelesen. Andererseits warum sollte er jede Berechnung des Alten nachvollziehen wollen. Hesindiard war doch ausreichend überzeugt von sich und seiner Kunst. Mit einem “Aha! Sehr interessant!” richtete er sich von den Pergamenten auf und fragte den Gelehrten direkt: “Nun, da nicht jeder die Kunst der Astronomia beherrscht, bitte erklärt uns doch, was Ihr mir ‘ungefähre Vorstellung’ meint.”

“Das seht ihr doch.” Und der Alte drückte seinen mit Altersflecken übersäten Zeigefinger auf einige Zahlen am Ende der Zahlenreihen, die wohl Koordinaten angaben. Und einen Fehlerindex. “Ja, sicher”, log Lessandero. “Aber für die Allgemeinheit, zeigt doch bitte den berechneten Zielpunkt und die möglichen Abweichungen auf einer Karte ein.”

“Bei Hesinde.” fluchte der Alte und kramte erneut in seinen Pergamenten. Zog nach kurzem Suchen ein anderes Pergament nach oben, befestigte es und deutete auf eine Stelle. Auf diesem Papier war grob eine Karte der Nordmarken mit den wichtigsten Gewässern, Gebirgen und Städten verzeichnet- Und einige Kreise mit verschiedener Strichdicke, entlang ihrer Linien standen Zahlen. “Das ist eine Karte der Nordmarken.” sagte er, als sei das nicht jedem halbwegs gebildeten Menschen klar, und tippte mit seinem Zeigefinger auf das Pergament. “Hier. irgendwo” und er fuhr die Kreise nach. “Wird der Stern einschlagen. Die höchste Wahrscheinlichkeit dafür besteht nach meinen aktuellen Berechnungen dabei hier.” Und sein Finger fuhr die dickste Kreislinie entlang. “Im Gratenfelser Becken. Vermutlich in 15-20 Tagen. Das ist momentan die exakteste Berechnung, die ich erstellen konnte. Mein Teleskop und meine Fähigkeiten sind gut, aber ich bin nicht Arba von Silas und mein Teleskop weit entfernt von dem Potential eines Observatoriums in den Goldfelsen.”

Lessandero nickte. “Das bedeutet, dass wir, wenn wir den Einschlag genauer beobachten wollen, irgendwo dorthin müssen, oder? Und zwar in den nächsten 15-20 Tagen. Eher wohl in weniger als 15 Tagen, denn wir wollen ja vor ihm da sein.” Dann blickte er zu Nirjaschka: “Und Schwester, wie sieht Euer Plan aus? Habt Ihr bereits die notwendigen Utensilien für eine solche Expedition zusammen? Tiere, Ausrüstung, …?”

Ein erheiterndes Lachen entwich der Geweihten. “Leider sind wir hier nicht in Kuslik oder Gareth. Unsere Mittel hier sind sehr … bescheiden.” Nun hatte sie ihren bornländischen Dialekt abgelegt. “Aber, wenn wir uns zusammen tun, bin ich sicher, dass wir etwas auf die Beine stellen könnten.” Erwartungsvoll schaute sie in die Runde.

Zumindest bei Leonora wurde die Hesindepriesterin enttäuscht, denn die junge Kriegerin machte ein langes Gesicht. ‘Die Kirchen wollen immer nur das Eine: Geld!’, dachte sie sich, an ihre Geldkatze denkend, die noch schlanker war als sie selbst. Dann durchfuhr sie ein anderer Gedanke. Verschwörerisch beugte sie sich nach vorne und fragte halblaut: “Was ist mit den anderen… den anderen Tischen? Ist das ein Wettlauf? Müssen wir uns vor ihnen… in Acht nehmen?” Sie sprach ihre Worte wohlüberlegt aus, während sie misstrauisch zu den Gruppen rechts und links von ihnen schaute.

“Der Kontakt zu meiner Familie ist, sagen wir mal, spärlich, aber vielleicht kann ich ja meine Cousine fragen. Sie hat ein Edlengut in Schweinsfold. Aber ob sie innerhalb von zwei Wochen Geld schicken kann? Vermutlich nicht.” Der Mentor wollte gerade fortfahren, als der Magier vom anderen Tisch näher trat: “Verzeiht bitte, ich müsste kurz mal Mentor Madasil entführen, wir brauchen seine Hilfe.” Der Geweihte zog fragend eine Augenbraue hoch: “Die Damen und Herren, entschuldigt mich bitte einen Augenblick.” Streng sah er den Magier an und die am Tisch zurück gelassenen konnten noch ein leises: “Was ist denn so wichtig, Wolfhold?” hören, als die beiden sich entfernten und kurz danach einen der hiesigen Geweihten aufsuchten, um sich eine Pergamentrolle geben zu lassen.

“Höchstens ein Wettlauf mit der Zeit.”, griff Nirjaschka Leonoras Faden wieder auf. “Ich hoffe doch stark, das die anderen erkennen, wie wichtig Unsere Suche ist und uns dabei unterstützen.” Die junge Kriegerin entgegnete nichts, doch ihr Gesicht, das alles andere als ein Buch mit sieben Siegeln war, sprach Bände über die Zweifel, die sie ob der Worte der Hesindepriesterin empfand.

Der alte Rickenbacher verfolgte die Unterredung zunehmend irritiert. “Ach, papperlappapp.” stöhnte er irgendwann auf. “So viel Geld kostet das alles auch nicht. Essen müsste jeder von uns ohnehin. Und übernachten können wir in Zelten, das kostet auch nichts. Zur Not könnten sogar die zu Fuß gehen, die kein Reittier haben, und wir wären trotzdem noch rechtzeitig dort.” Er schüttelte den Kopf. Die Jugend machte sich Probleme, wo keine waren. Kein Wunder, hatten die meisten hier die harten Zeiten früher nicht miterlebt.

Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.

Am Tisch der Propheten