Stella Nova: Unterschied zwischen den Versionen

Zeile 446: Zeile 446:
  
 
= Am Tisch der Ahnenden=
 
= Am Tisch der Ahnenden=
 +
 +
Der Tisch, der in der nebengelegenen Nische zwischen Ghaszbar und Belsazar lag, glich einem einzigen Chaos. Pergamente, Bücher und eine Menge Schutzamulette lagen darauf wild verteilt, sogar ein alter Streitkolben lag dazwischen. Meister Melchior Praiotreu, war Kriegschronist seines Zeichens und stand im Dienste des Grafen von Gratenfels. Der greise Mann hatte einen eisernen Topfhelm auf dem Kopf, trug ein rasselndes Kettenhemd und sein Gürtel zierte eine Sortiment an Dolchen. Das Gesicht wirkte verlebt, leicht eingefallen und sein weißer Bart hing fädig herab. Eine Augenklappe mit dem Wappen der Nordmarken darauf gestickt, bedeckte sein linkes Auge. Nervös schaute er in die Runde und winkte die Zuhörer verschwörerisch näher, als ob er befürchten würde, belauscht zu werden.
 +
 +
“Als junger Mann hatte ich nicht viel darauf gegeben, obwohl mir damals schon das nächtliche Flackern am Sternenhimmel aufgefallen war, vor und nach jeder Schlacht. Doch erst in den letzten Jahren ist mir ein Licht aufgegangen. Je größer die Schlacht, je schlimmer der Krieg, desto größer das Flackern oder fallen der Sterne. Rondra, oder einer der Zwölfe warnt uns immer!” Wie wild begann er in seinen Aufzeichnung auf den Tisch zu wühlen und zog vereinzelte Pergamente vor.
 +
 +
“Hier schaut, ich hab alles aufgeschrieben! Der rote Stern über der Trollpforte: Borbarad! Oder der Stern von Selem … ist zwar schon tausende Jahre her, aber ein Freund von mir hat mir verraten, das wohl die Götter hinter standen, den die Krötigen hatten wohl Krieg. Die Sphärenbeben ... Der Sternfall bei Arivor. Da hat der Haffax Perricum angegriffen! Und … und”, nun wühlte er weiter, bis er ein Büchlein fand und aufschlug.,”hier hab ich die kleinen Schlachten notiert und der Himmel hat Zeichen gegeben.” Nun griff er zu dem Streitkolben und hob ihn hoch. Sein Blick mit seinem einzigen Auge fixierte nun jeden der Zuhörer. “Das was in den Nordmarken runterkommt, ist wie Arivor. Etwas wird sich Sammeln und Angreifen! Sagt, ob ich mich irre.”
 +
 +
Nur zu gerne hätte Radulf von Lîfstein Melchior im Brustton wahrer Überzeugung gesagt, was dieser hören wollte. Dass er sich irrte. Um Melchiors, seines alten Bekannten willen, auf den er so große Stücke hielt. Um der Nordmarken und insbesondere der Landgrafschaft Gratenfels willen, denn wenn es ein Angriff von außen sein sollte, dann wohl nur von den Orks oder den ewig untreuen Alberniern, und die Wucht beider würde am ehesten seine Heimatgrafschaft treffen. Und nicht zuletzt auch um seiner selbst willen, denn die Sorge um das, was da kommen konnte, kommen würde, raubte ihm den Schlaf.
 +
 +
Wenn Sternbilder sich neu fügten und Sterne fielen, bedeutete dies nichts weniger, als dass die vom Herrn Praios wohlgefügte göttliche Ordnung in Bewegung geraten war, sich im schlimmsten Falle auflöste und etwas neuem Platz machte, das nicht zwingend besser sein musste. Was am Himmel geschah, konnte nicht ohne Auswirkungen auf dem Derenrund bleiben. Neue Ordnungen aber, das lehrte die Geschichte, formten sich immer auf den Trümmern der alten Welt, genährt von den Leibern der Erschlagenen und getränkt vom Blute vieler Unschuldiger.
 +
Das Gesicht des Magus und Junkers von Lîfstein wirkte abgehärmt und dadurch älter als die Mitte Fünfzig, die er tatsächlich war - zu oft hatte er zuletzt in den Nachthimmel geblickt und danach einsam die schwarzen Stunden durchgegrübelt. Die dunkel unterlaufenen Augen und die Runzeln auf seiner hoch gewordenen Stirn, deren Buchten inzwischen tief ins kurz gehaltene grau-dunkelbraun-melierte Haar vordrangen und sich bald mit der wachsenden Tonsur vereinigen würden, kündeten nur allzu beredt davon - anders als seine zusehends hängenden Mundwinkel, die von einem wohlgepflegten, unterhalb des Kinns spitz auslaufenden Vollbart kaschiert wurden.  Die schlicht gehaltene, graue Reiserobe, ganz dem Codex Albyricus entsprechend aus Leinen gefertigt und nur durch etwas dunkler abgesetzte Säume, in die die Symbole der Bewegung, des Ursprungs, des Wegs und des Ziels gestickt waren, sowie den auf der linken Brust schreitenden, goldenenen und rot-bewehrten Greifen von Lîfstein geschmückt, tat farblich ihr Übriges zu diesem Eindruck. Gehalten wurde sie von einem ledernen, wie auch seine leichten Stiefel schwarzen Knotengürtel, dessen vergoldeten Beschläge ebenfalls das Wappentier seines Hauses zeigten und die Verbundenheit Radulfs zum Götterfürsten betonten. Sein spitzer, konservativ mit schmaler Krempe ausgeführter Hut hatte gerade so noch auf dem ansonsten voll liegenden Tisch Platz gefunden.
 +
 +
Gestützt auf einen etwas übermannhohen, aus dem Kernholz der Steineiche gefertigten und am oberen Ende zu einer Spirale ausgeformten Zauberstab, in dessen silbernen Kopfbeschlag eine kleine Bernsteinkugel eingelassen war, hatte Radulf schweigend den Ausführungen Melchiors zugehört. Sie waren das kleinste Grüppchen - wer in erwartungsfroher Neugier von göttlichen Fingerzeigen sprach, gar naiven Heilsbotschaften nachhing (dass da die junge Tannenfels mit ihrem lauten Federvieh zu finden war, sprach wieder mal Bände - nicht einmal in Elenvina und dort in einem Hort der Gelehrsamkeit hatte man seine Ruhe vor diesen impertinenten Innerwäldlern, deren Tun ihm bereits in Ambelmund ein steter Dorn im Auge war) oder nur nach den Reichtümern, die dem fallenden Stern innewohnten, gierte, fand offensichtlich weit mehr offene Ohren als der, der die offensichtlichen Warnungen der älteren wie auch jüngeren Geschichte zu deuten wusste.
 +
 +
"Ich fürchte, Ihr irrt Euch nicht, Meister Melchior, und ich kann nur hoffen, dass Eure Worte Gehör finden in denjenigen Kreisen, die diese vernehmen sollten. Wenigstens der Graf wird ihnen zweifelsohne die Bedeutung beimessen, die diesen zukommt. Habt Ihr ihm bereits berichtet?" In Bezug auf andere wichtige Adlige war Radulf bedeutend weniger guter Dinge, nicht, wenn diese allgemeine Warnung nicht mit Hinweisen auf eine ganz konkrete Bedrohung unterfüttert werden konnte. "Habt Ihr eine Ahnung, wer es ist, mit dessen Schlag wir rechnen müssen, gegen den wir uns rasch und mit aller Kraft wappnen müssen?"
 +
***
 +
Auch die Magistra Caya von der Aue fand sich am Tisch des Kriegshistorikers. Die hochgewachsene Frau trug wie stets einen Gambeson zu ihrer schlichten, doch Standesgemäßen, weißen Robe und war mit einem einfachen, geraden Stab und einem Bannschwert bewaffnet. Alles an ihr machte einem Gegenüber klar, das sie sich ihrer Haut zu erwehren wusste - mit allen Mitteln! Nach dem Haffax-Feldzug war die Magierin aus dem Königreich Garetien in die Nordmarken gekommen, angeheuert vom Gemahl der jungen Baronin von Vairningen. Er war es auch gewesen, der ihr die Anstellung an der Akademie bezahlte und dafür Sorge getragen hatte, dass sie die mehrere Monde im Götterläuf Zeit für Forschungen hatte. Das man ihr an der Akademie anfänglich unterstellt hatte, dass ihr Posten gekauft war, war ihr dabei herzlich egal gewesen. Ihr durch und durch militärisches Auftreten und die ebenso geprägten Lehrmethoden, sowie einige Demostratios hatten schnell für Ruhe gesorgt. Doch auch wenn sie heute in den Nordmarken lebte, so fühlte sich die Kampfmagierin dennoch dem Reich verpflichtet. “Die Hinweise erscheinen mir sehr vage, gibt es eine Möglichkeit mit Hilfe der Vorzeichen Eingrenzungen vorzunehmen?” Keinem war geholfen, wenn ein Flackern am Sternenzelt einen Schlacht voraussagte, dabei aber keine Informationen lieferte wo diese ausgetragen werden würde. Der Blick ihrer hellgrünen Augen durchbohrte Melchior förmlich, wobei ihr kurz gehaltenes blondes Haar sie nur noch mehr wie eine Militärangehörige erscheinen ließ.
 +
 +
Melchior legt den Streitkolben wieder auf den Tisch. “Ich weiß, ich weiß. Das hört sich vage an. Aber ich bin ja auch kein Sternkundler. Ich kann nur von meinen Erfahrungen und Beobachtungen sprechen. Immerhin bin ich mir sicher das es in unser Herzogtum runterkommt. Und wer weiß”, nun schaut er sich kurz um und sprach dann leise weiter,” vielleicht wissen es bestimmte Leute schon und halten es vor uns geheim. Nord- gegen Südnordmarken vielleicht? Oder die Goblinbrut aus den Wäldern? Oder die Andergaster? Die Albernier trau ich auch einen Feldzug zu.” Dann wurde die Stimme des Alten noch leiser. “Hlutharswacht? Kaldenberg? Nun, ich denke der gefallene Stern deute direkt drauf oder ist das Startzeichen. Genaueres wissen wir nur wenn wir folgen …”, vorsichtig rieb er an seinem eisernen Helm.
 +
 +
Reichlich vage, aber dennoch waren die himmlischen Warnzeichen nicht von der Hand zu weisen. Und sie waren noch am Anfang ihrer Untersuchungen. "Die Andergaster halte ich für unwahrscheinlich - die sind so in die Nostrier verbissen, dass sie noch nicht einmal merken - oder merken wollen, wenn ein Orkheer mitten durch ihre Lande zieht." erinnerte sich Radulf an den letzten Einfall der Schwarzpelze, dessen Wucht den Göttern sei Dank die Nordmarken verfehlte und stattdessen die aufrührerischen Albernier traf. "Wenn die Gefahr von Norden kommt, dann direkt aus dem Orkland. Vielleicht auch über Tommel oder den großen Fluss in Gestalt der götterlosen Thorwaler. Aber nicht die Andergaster. Nord- gegen Südnordmarken glaube ich auch nicht - nicht direkt. Eher schon an einen neuerlichen Aufstand der Albernier gegen das Reich. " Der Magier senkte die Stimme. " Oder eine Revolte unzufriedener Baronien gegen den Landgrafen." Der Winter war hart, und manch einer mochte die praiosgegebene Steuer- und Treuepflicht als vermeintlich ungerecht empfinden. Als ob der Graf etwas für die Misswirtschaft in einigen der Baronien konnte. Außerdem schienen es nicht wenige der Adligen - war schon seit langem sein Gefühl - mit der Treue den Zwölfen gegenüber nicht ganz so vorbildlich zu halten, wie der in derlei Hinsicht untadelige Graf. Gerade auch in seiner Baronie hegte er größtes Misstrauen - der Baronin, aber noch mehr den Edlen im Tann gegenüber, die einen schlechten Einfluss auf die Landesherrin und die Geschicke der Baronie ausübten. Ein ungeheurer Verdacht, den er nicht laut aussprechen würde - noch nicht. "Die Goblinbrut wird sich sicher nicht als erstes erheben, dazu sind sie zu feige und hinterlistig. Wenn aber ein anderer Feind sich von innen oder außen gegen die Nordmarken wendet und die grobe Drecksarbeit für sie erledigt, wird sich dieses Pack sicher auch schadlos halten - eine Schande, wie wenig stellenweise gegen diese Bedrohung getan wird.” Radulf hielt kurz inne und sinnierte still vor sich hin. Als seine Gegenüber schon glaubten, er habe geendet, fuhr er jäh fort: “Wer weiß, vielleicht entflammt sich auch ein Streit um den Stern selbst - seine Metalle sind von hohem Wert, und nicht jeder sieht ein, wem ein solcher Schatz nach Recht und Gesetz gehören sollte. Je nachdem, wo er einschlägt, mag sich daraus schlimmstenfalls sogar ein Waffengang entwickeln. Und angesichts des ganzen toten Holzes, das in unserem Lande und dessen Nachbarschaft herumliegt” er dachte dabei an seine vorherigen Überlegungen, “kann aus einem solchen Feuer schnell ein Flächenbrand werden. Doch sagt, was hat es mit Hlûtharswacht und Kaldenberg auf sich?"
 +
 +
Die Magistra hingegen schien nicht überzeugt, in den meisten Fällen handelte es sich lediglich um Vorurteile die einige engstirnige Geister noch immer plagten. Albernia wird wieder Abtrünnig, scheinbar war der Gelehrte nicht in der Lage die aktuellen politischen Geschehen zu verfolgen. Doch der Fürst der, im freundschaftlichen Wettstreit mit dem Herzog der Nordmarken, sich als Ritter von Ehre auf dem Mendena-Feldzug schlug, wird mit einem weiteren Aufstand nicht riskieren, dass das Haus Bennain das Fürstentum verliert und das wäre die logische Konsequenz eines weiteren - zum Scheitern verurteilten - Versuches. Rotpelze? Die waren der Rede nicht wert. Gesindel das sich an den Schwachen verging, doch keinen Konflikt lostreten vermochten. Auch ein Streit zwischen Hlûthars Wacht und Kaldenberg, wäre keiner Warnung der Götter würdig. Wenn jedes mal, wenn sich zwei Baronien befehden ein Stern vom Himmel fiele, dann wäre Almada inzwischen eine Kraterlandschaft. Auch die Thorwaler hatten sich zuletzt lieber auf den Handel, als auf die dauerhaft weniger lukrativen Beutezüge besonnen. Alles in allem blieb lediglich der Ork als logische Bedrohung und dafür bedurfte es keiner erneuten Warnung. Seit dem letzten Orkensturm ist es sehr lang ruhig um die Schwarzpelze geworden. Zahlenmäßig müssten sie sich gewappnet haben, während das Reich auf dem Haffax-Feldzug viele gute Recken verloren hat und sich zudem das Herz des Reiches derweil in einer blutigen Fehde erging. Das Mittelreich war geschwächt und würde der Ork kommen, hätten sie wenig entgegenzusetzen.
 +
 +
“Gerüchte besagen, dass die beiden Häuser sich angehen wollen. Aber vielleicht schwappt auch der Zwist aus Garetien rüber. Oder,” nun hob Melchior seinen Zeigefinger,” es ist etwas ganz anderes, unerwartetes.” Wieder strich er sich wieder über den Eisenhelm. “Ich weiß ja ...vage Vermutungen, aber glaubt mir, da Bahnt sich was an.” Nun ließ der alte Mann seine Schultern senken und schaute seine Zuhörer fast schon flehend an.
 +
Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.
 +
 +
= Eine Stimme vor der Göttin=
 +
 +
Nach einer langen Zeit der Diskussion erfüllte das Heiligtum ein unerwarteter Duft: ein deftiger Geruch nach Kohl und Speck. Kaum das die ersten Nasen darauf reagierten erschallte der Klang eines Glöckchens in der Halle. “Meine lieben erhellten Geister und Denker, ich bitte euch alle nach vorne zu kommen und uns vor der weisen Göttin Hesinde zu versammeln.” Die Stimme des Tempelvorstehers Elador Thedon war laut und bestimmend. Der Hohe Lehrmeister hatte rotbraune Haare, blaue, leuchtende Augen, war glatt rasiert und mit einem feinen Wohlstandsbäuchlein ausgestattet.  Gekleidet war er in einem traditionelles Wickelgewand aus grünen und goldenen Stofflagen, einen Schlangenhalsreif und eine grüne Rohalskappe mit goldenem Reif. Mit beiden Händen in die Hüften gestützt wartete der Geweihte bis sich alle versammelt hatten. Zwei Novizen begannen damit, jedem  eine Holzschale mit einem Löffel, gefüllt mit einem dampfenden Eintopf, in die Hände zu geben.  “Nun, das Disputieren und Denken macht auch hungrig. Ich habe mir erlaubt für Versorgung zu sorgen. Vater Winrich aus dem Gänsetempel hatte heute wieder seine Küche offen. Speck in Kohlsuppe. Mit besten Wünschen.” Nun setzte Elador ein breites Lächeln auf. “Eure Stimmen vor der Göttin blieben nicht ungehört und da kam mir ein Einfall.” Nun nahm er beide Hände zusammen. “Ein jeder mag eine andere Meinung oder Idee haben, was der Sternenfall bedeuten könnte. Sicher ist jedoch, das ´ER´ kommt und das ´Wir´ ihn finden sollten. Und deshalb werde ich diese ´Mission´ unter den Segen Hesinde stellen. Gemeinsam solltet ihr aufbrechen.” Der Tempelvorsteher machte eine kurze Pause und knetet sich dann ein wenig die Hände. “Allerdings sind unsere Ressourcen … bescheiden und ich befürchte, wir müssen alle zusammenlegen.” Vorsichtig ließ er seinen Blick über die Gruppe wandern. Selbst die etwa vier Schritt große Statue der Hesinde, dargestellt als barbusige Frau mit einer Schlange in Händen, schien abwartend auf die Gruppe zu schauen. Überraschenderweise war es der Norbarde Ghazbar der als erstes seine Stimme erhob. “ Ay, eine gute Idee, euer Hochwürden. Ich stelle meine Suche gerne unter die Hände Heshinjas! Und ich glaub wir müssen uns nicht viel Sorgen machen. Die leckere Valeria hatte schon finanzielle Unterstützung aus ihrer Meschpoche, ihrer Familie, vorgeschlagen.” Dann zupfte er sich an seinem schwarzen Schnauzer und deutete auf die Geweihte der Rahja.
 +
 +
Die Ereignisse überschlugen sich und Valerias Gefühlswelt geriet beinahe aus den Fugen. Nun würden sie wirklich alle zusammen nach dem Stern suchen. Die Schatzjäger neben den Götterdienern und den Propheten. Eine große Gruppe, in der wohl ein jeder sein eigenes Ziel verfolgte. Und genau darin lag das Problem. Es war schon schwer wenige Personen zu übervorteilen - bei dieser riesigen Gruppe voll mit gebildeten Menschen war es schier unmöglich. Und dennoch musste sie am Ende der Unterhaltung lächeln. Ghazbar hatte sie unwissend in eine Position der Stärke manövriert, die sie über die anderen Suchenden hieven könnte, wenn sie die Karten richtig spielte. Allem Anschein nach fehlten den Anwesenden die nötigen finanziellen Mittel für die Suche und viel Zeit diese aufzustellen gab es nicht mehr. Ihre gut betuchte Familie betrieb ein Kontor in der Capitale und ihr Onkel Rahjaman würde seinem ´kleinen Mädchen´ bestimmt keine Bitte abschlagen können. Selbstsicher sah sie sich unter den Anwesenden um. "Das stimmt ...", bestätigte sie, begleitet von einem süßen Lächeln, "... meine Familie würde bestimmt sehr gerne in unsere ... göttergefällige ... Unternehmung investieren, doch ist mein Onkel ein Geschäftsmann. Er würde wahrscheinlich eine Beteiligung am ... Ergebnis ... unserer Suche verlangen. Wenn Ihr möchtet stelle ich sehr gerne einen Kontakt zu ihm her."
 +
 +
Ronan lächelte. “Wenn es um das schnöde Gold geht, meine werten Sternensuchenden, daran soll es nicht scheitern.” Das Lächeln wurde etwas breiter. “Gegen eine zu verhandelnde Beteiligung an den Fundstücken, versteht sich.” Ein Seitenblick, lächelnd, spielerisch, traf Valeria. “Und auch ich bin hier und jetzt vor Ort.”
 +
 +
"Umso besser …", log sie und hatte ihr Lächeln dabei nicht verloren, "... dann gäbe es ja schon zwei mögliche Geldgeber. Mein Onkel ist unweit von hier an der Herzogenpromenade, also de facto auch vor Ort."
 +
“Finden sich denn sonst noch etwaige Geldgeber? Und wir sollten uns über Quoten unterhalten. Die Plackerei werden ja schließlich wir haben - Geld hin oder her”, ging Rhodan dazwischen - hoffentlich verteilte sich der Einfluss auf möglichst viele Schultern.
 +
 +
Während er sich die Suppe einverleibte, die er sich auf seine Schale geschaufelt hatte, dachte Alrik nach. Er hatte nicht viel beizusteuern - monetär. Aber er hatte das beste Ass auf seiner Hand: Den Alten. Dessen Wissen manche unterschätzten. Und dessen unfassbare Sturheit die wenigsten kannten. Wenn der Gelehrte bockig war, war er wie eine Schatztruhe: Mit Wissen, das nur dem zugänglich war, der sein Schloss bedienen konnte: “Wäre es nicht am besten zunächst zusammenzutragen, was gebraucht wird und was wir bereits haben, ehe wir darüber sprechen, wer wieviel Geld beizusteuern bereit ist?” Merkte er darauf an. “Meister Hesindiard und ich waren kürzlich auf einer ausgedehnten Expedition im Osten. Ohne dass wir zuvor viele Dukaten eingeworben hätten.” Er schluckte den nächsten Bissen seiner Suppe hinunter: “Und wenn wir am Ende 3 Fernrohre haben, was nutzen sie uns dann mehr als eines es tut? Was nutzen uns Beobachtungen, wenn niemand da ist, der die Informationen zu verwerten weiss? Was nutzen uns zwei Dutzend Lasttiere, wenn wir nur eine handvoll brauchen?” Er zuckte mit den Achseln und widmete sich wieder gänzlich der Mahlzeit, wobei er weiterhin sehr genau zuhörte.
 +
 +
Der geschäftstüchtigen Rahjani war nicht klar was genau für ihre Unternehmung gebraucht wurde. Deshalb war der Gedankengang des Lakaien schon auch nachvollziehbar. Charmant lächelnd sah sie sich unter den anderen Teilnehmern um. Im Endeffekt war es Valeria wichtig, dass ihr Stück vom Kuchen so groß wie möglich sein würde. Dass sich das Geldsäckel ihres Onkels anbot, um sie für das Vorhaben der Gruppe unverzichtbar zu machen, war dabei ein glücklicher Zufall. Die Rahjadienerin war von einer Machtpolitikerin ausgebildet worden - sie wusste was sie wollte und wie man es bekam. Auch wenn sie bestimmt ein jeder hier unterschätzen mochte.
 +
 +
Schmunzelnd beugte Geron seinen Kopf nahe an Relindis Ohr heran. “Glaubst du, sie haben bedacht, dass der Stern, so er denn wirklich aufschlägt, in diesem Falle erst mal dem örtlichen Adligen gehört, auf dessen Lehen er zu liegen kommt?” stellte er flüsternd seine Frage. Der Gedanke mit den anderen Gruppen zusammen in seiner Heimat ‘einzufallen’ gefiel ihm nicht. Wäre es schon schwierig seinem Vater von der Notwendigkeit der Anwesenheit seiner kleinen Gruppe zu überzeugen, würde es schier unmöglich werden, wenn es um alle Gruppen ging.
 +
Doch was konnte er tun? Dann stieg ihm der Geruch des Essens in die Nase und prompt knurrte laut sein Magen.
 +
 +
Relindis musste ebenfalls ganz kurz schmunzeln, weniger wegen des Geschehens oder des Verhaltens der anderen, das sie alles andere als erheiternd empfand, als vielmehr angesichts des so rasch wieder erwachten und deutlich vernehmbaren Appetits Gerons - sie konnte aber auch schon bald wieder etwas vertragen. Sogleich aber war das Lächeln verweht und die Geweihte wurde wieder ernst. "Viele hier scheinen über alle Maßen darauf versessen darauf zu sein, den Stern selbst oder dessen Trümmer zu finden und ein Stückchen davon abzubekommen." flüsterte sie, nicht allzu leise, zurück. "Vielleicht mag er wertvoll sein, ohne Zweifel ist er das, sogar sehr...," ohne sich dessen bewusst zu sein, wurde ihre Stimme lauter und auch unter den Umstehenden zusehends deutlicher vernehmbar, "... aber sollte alle hier, von edlem Geblüt zudem, nicht viel mehr umtreiben, was uns die Götter mit diesem sagen wollen, wohin sie uns den Weg weisen? Und wie es den Menschen unmittelbar dort ergeht, wo der Stern aufschlägt?" Sie musste an die Erzählungen aus Arivor denken, die auch bis nach Gratenfels vorgedrungen waren, und fröstelte bei dem Gedanken daran, dass ähnliches auch den Leuten in der Gegend um Foldenquell herum blühen könnte. Relindis konnte nur hoffen und wollte daran glauben, dass im unmittelbaren Angesicht von Zeichen und Wundern, oder aber auch in der Konfrontation mit einer Katastrophe, so es zu einer käme, das beste im Menschen, der göttliche Funken, der in jeder Seele wohnte, obsiegen würde, und nicht niedere Antriebe wie Selbstsucht und Gier.  Und wenn diese allzu menschlichen Schwächen zunächst dabei halfen, diese Expedition auf die Beine zu stellen, mochte selbst darin noch etwas Gutes schlummern... wenn sie nur rechtzeitig überwunden wurden. Vielleicht lag darin die Aufgabe, die ihr die Göttin aufgetragen hatte… Gut, dass Geron auch dabei war.
 +
 +
Als er ihr Frösteln bemerkte, fasste er sie sanft bei den Schultern und sah ihr direkt in die Augen. Auch wenn er die Brille aufhatte, so konnte sie doch seine Augen und den Ausdruck darin erahnen. Mit ruhiger Stimme sprach er auf sie ein, versuchte sie zu beruhigen: “Die Götter werden die Leute dort behüten. Außerdem, es werden nicht nur nach Schätze suchende Id… Glücksritter dort sein, sondern auch wir. Also können wir auch versuchen die Leute in Sicherheit zu bringen. Und wir haben doch schon beschlossen Boten vorauszuschicken um die Baronin und meinen Vater zu warnen, damit diese entsprechende Maßnahmen ergreifen können.” ‘Entweder würden sie der Aufforderung seines Vaters Folge leisten oder  zumindest seiner Schwester, Khorena, deren Worte ein großes Gewicht bei den Bewohnern des Landstrichs haben. Wenn sie denn richtig lagen mit ihrer Deutung. Er hoffte immer noch auf einen Irrtum.
 +
 +
Ja, es war wirklich gut, dass Geron dabei war. Dankbar erwiderte sie seinen Blick und nickte. Die Götter und besonders auch die gütige Mutter meinten es wohl mit den Menschen, daran zweifelte sie nicht im geringsten. Dennoch geschahen Katastrophen wie jüngst die Zerstörung Arivors. Umso wichtiger war es, dass treu im Glauben stehende Menschen alles daran setzten, zu verhindern, was zu verhindern war, und zu helfen, unvermeidbares Leid zu lindern. Im Zweifel sollten sie die Werkzeuge der guten Götter sein, die mit dafür sorgten, dass der Stern, der doch eigentlich den Weg zu einem verheißenen Kindlein weisen wollte, nicht zugleich Menschen ins Verderben riss. Und, dass die Verheißung sich erfüllen konnte. Relindis nickte nochmals, dieses Mal bestimmter.
 +
Und als ob Travia sie bestätigen wollte, nahm sie in ihren zuletzt stillen Austausch mit Geron hinein Gesprächsfetzen eines neben ihnen geführten Gesprächs auf, Worte Madasils, die offenbarten, dass sie mit ihrer Haltung nicht alleine da standen.
 +
 +
“Und schon beginnt die Zwietracht”, raunte Madasil Wolfhold zu, bevor er das Wort ergriff: “Verzeiht bitte meine Unwissenheit, aber ich habe als Kind die Nordmarken verlassen und bin erst kürzlich zurückgekehrt. Welchen edlen Häusern dürfen wir”, er macht eine ausladende Geste, die alle Anwesenden mit einschloss, “denn für diese großzügige Spende danken?” Das Wort Spende hatte der Mentor bewusst gewählt, die phexischen, wenn nicht gierigen, Worte der beiden potentiellen, und womöglich weiterer, Geldgeber ignorierend.
 +
“Ich würde es eher eine Investition nennen, Euer Gnaden”, meinte Valeria, begleitet von einem Lächeln, welches das ewige Eis zu schmelzen vermochte.
 +
Ronan lächelte bei dieser Formulierung.
 +
 +
Auch Madasil lächelte: “Investition? In was? Höchstwahrscheinlich wird der Stern bewohntes Gebiet treffen. Anstatt an Profit sollten wir doch eher an die Menschen denken, die unsere Hilfe brauchen, vor und nach dem Einschlag. In Arivor lebten gut 12.000 Seelen, vermutlich waren es tausende mehr, als das Unglück geschah. Die Stadt wurde fast vollständig zerstört. Ich finde Profit ist das Letzte, woran wir gerade denken sollten. Findet Ihr nicht auch, Euer Gnaden?”
 +
 +
Ronan nickte, neigte aber den Kopf gleichzeitig hin und her. “Euer Gnaden, Diener der weisen Schlange.” Sein südländischer, offenbar tulamidischer Akzent trat hervor. “Ich war in Arivor. Nach dem Unglück, ihr Götter bewahrt. Und habe soweit es mir möglich war, den Einschlag und die Ursache der Zerstörung untersucht.” Sein Blick war ernst, er lächelte nicht. “Nicht der Einschlag eines vom Himmel gefallenen Sternes brachte die Vernichtung dieser horasischen Metropole. Sondern der ausgehöhlte und poröse Boden, auf dem sie errichtet worden war. Der Einschlag selbst löste lediglich eine Kaskade an Ereignissen aus, welche letztlich zur Zerstörung Arivors führten.”
 +
 +
“In der Tat muss es ein Zeichen der wohlmeinenden Götter sein,” mischte sich Relindis von Seite in das Gespräch ein, “dass sich hier so viele gelehrsame und gelehrte Menschen guten Herzens, besonders auch ihrer Diener” - die letzten Worte betonte die junge Geweihte besonders - “zusammengefunden haben. Was anderes sollte ihr Wille sein, als nicht nur ihr Zeichen zu deuten, sondern auch mit all den versammelten Fertigkeiten ein größeres Unglück zu verhindern und den Menschen zu helfen, falls es doch zu einem kommen sollte.”
 +
 +
“Höchstwahrscheinlich wird der Stern in bewohntes Gebiet einschlagen”, wiederholte Valeria mit einem Stirnrunzeln. “Nun, so dicht besiedelt sind die Lande des Herzogtums nun auch nicht, dass ich die Wahrscheinlichkeit als ´hoch´ beziffern würde.” Dafür reichten die Kenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung der jungen Frau noch. “Und was den Profit angeht …”, sie strich sich über ihr weinroten Kleid, “... es sollte klar sein, WEM meine Loyalität gilt. Ihr würdet mich beleidigen wenn Ihr meint, ich sähe hier zu, mich lediglich selbst zu bereichern.” Valeria schüttelte ihren Kopf. “Wenn sich jemand findet, der das Gold aus Idealismus und Frömmigkeit zur Verfügung stellt, dann lasse ich dem- oder derjenigen gerne den Vortritt. Ich meinte nur, dass meine Familie sich wohl eine Gegenleistung erwartet - so wie es dem Herrn der Nacht gefällt.”
 +
Ronans Lächeln wurde wieder breiter.
 +
 +
Madasil folgte mit den Augen der Bewegung ihrer Hände, die dabei sicherlich zufällig auch ihre weiblichen Rundungen betonten. Doch da war sie bei ihm an der falschen Adresse, denn solcherlei Gesten hatte er während seiner Ausbildung im Horasreich zu genüge gesehen und wusste, dass sie einen bestimmten Zweck hatten: “Es liegt mir fern Euch etwas zu unterstellen, meine Liebe,” sagte er lächelnd und neigte kurz das Haupt, “dennoch denke ich, dass der Dank mehrerer Götter, darunter sicherlich auch der Listenriche, Eurem Hause Lohn genug sein dürfte. Nicht zu vergessen, der Ruhm und Dank, der durch einen entsprechenden Artikel im Greifenspiegel Eurem Hause zuströmen würde. Nicht nur das einfache Volk, sondern sicherlich auch der Herzog, Graf und Baron des entsprechenden Landstrichs würden sich von Eurer großherzigen Spende beeindruckt zeigen und somit Eurem Hause neue Türen zu interessanten Geschäftspartnern öffnen. Das wäre dem göttlichen Fuchs sicherlich lieber, als schnödes Gold.”
 +
Ronans Lächeln veränderte sich auf mysteriöse Weise.
 +
 +
Valeria lachte glockenhell auf. “Das wäre dann für einmal etwas Positives, das in dieser reißerischen Postille über meine Familie zu lesen wäre”, die Geweihte schlug dabei keinen höhnischen Ton an, sondern einen ehrlich amüsierten. Wobei es eigentlich nicht stimmte, gelang es ihr am Anfang des Jahres doch einen Schreiberling des Spiegels mit einer, von ihr organisierten Feier zu verzücken und das trotz dem Gegenwind der kumulierten Verbohrtheit dieser Stadt. “Ihr könnt ja versuchen es meinem Onkel auf diese Art schmackhaft zu machen, vielleicht ließe er sich überreden.”
 +
 +
“Wenn Ihr mich ihm vorstellen wollt, werde ich gern mit ihm sprechen. Vielleicht wird ja aus ihm sogar noch ein Förderer des Immerwährenden Hortes.”
 +
Abermals zeigte sich ein entwaffnendes Lächeln auf den Lippen der Rahjani. "Sein Name ist Rahjaman vom Traurigen Stein und Ihr findet ihn entweder beim Kontor meiner Familie am Platz des Madamals am Hafen, oder im Stadthaus meines Cousins in der Herzogenpromenade 24, oder am herzoglichen Gestüt, wo seine Frau Zuchtmeisterin ist. Er ist sehr zugänglich, Ihr könnt Euer Glück jederzeit gerne versuchen. Sagt ihm Valeria schickt Euch, das dürfte seine Börse öffnen." Sie zwinkerte verschwörerisch.
 +
 +
"Nun, dann werde ich ihm einen Besuch abstatten, sobald dieses Versammlung beendet ist. Vielen Dank, euer Gnaden." Wieder verneigte er sich mit einem Lächeln.
 +
"Möge die Herrin Travia Eurem Anliegen Ohren und Herzen öffnen." wünschte Relindis dem Geweihten Glück für sein Unterfangen. Den Verstand zu überzeugen sollte Madasil ohnehin vermögen. Es war gut, dass sich jemand mit Idealen der Finanzierungsfrage annahm.
 +
 +
Er hatte dem Gespräch schweigend gefolgt und das Gesagte in sich aufgenommen. Jetzt beugte sich der Gelehrte in Grau zu seiner schönen Sitznachbarin in Weinrot. “Nun, ein jeder hier an diesem Tisch hat seine eigenen Ziele und hinter jedem nach außen getragenen Ideal versteckt sich ein eigenes Motiv.” Seine rechte Hand mit den schlanken Fingern glitt nach vorn, griff nach dem vor dem Mann stehenden Kelch. Auf der dunklen Haut leuchtete der silberne Ring deutlich auf. “Sagt, schöne Schwester in Rahja, möglicherweise braucht Ihr Hilfe bei Erreichen der Euren?”
 +
 +
Valeria blickte interessiert auf den Ring. “Ist das ein Angebot … Bruder?” Sie raunte ihm vergnügt zu. “Und gesetzt dem Fall es handelt sich um ein solches ... was würde dann mit Euren Zielen geschehen? Ließet Ihr sie für mich fallen? Oder laufen unser beider Ziele vielleicht gar auf dasselbe hinaus?” Sie zwinkerte ihm zu und nahm einen Schluck aus ihrem Kelch.
 +
 +
“Ob unsere Ziele auf dasselbe hinauslaufen, wissen allein die Götter.” Ronan grinste keck. “Oder meint Ihr, ich könnte Eure Gedanken lesen?” Er lehnte sich ein wenig zurück und schaute der Priesterin Rahjas in die Augen. “Ich schätze Menschen, die sich für Ihr Ziel einsetzen. Das Glück ist mit den Tüchtigen.” Er prostete der schönen Tochter des Hauses vom Traurigen Stein zu. “Wenn Ihr möchtet, können wir gerne unser Gespräch später vertiefen.” Er beobachtete ihre Miene. “Aber verratet mir eines: Ihr nennt Euch nicht nach Eurem Haus, sondern ‘von Belhanka’. Ihr wurdet vermutlich in Belhanka ausgebildet und geweiht.” Eine Frage oder eine Feststellung? Das Fragezeichen war wirklich kaum zu hören. Ronan lächelte und stellte den Weinkelch zurück auf den Tisch. “Ich kenne die Perle Rahjas sehr gut.”
 +
 +
Verspielt blickte sie über den Rand ihres Kelchs in die dunklen Augen des wohl tulamidisch-stämmigen Mannes. “Wisst Ihr, das dachte ich mir bereits”, Valeria löste ihren Blick von Ronan und ließ ihn in weite Ferne schweifen. “Belhanka ist nicht nur der Ort, an dem ich Ausbildung und Weihe empfangen habe. Es ist meine Heimat. Ich bin als Mündel in Rahjas Palast auf Deren aufgewachsen und habe erst vor ein paar Monden das erste Mal den Boden des Herzogtums betreten … wiewohl nordmärker Blut durch meine Adern fließt.” Der Blick der Geweihten lag nun wieder auf Ronan und die leichte Bitterkeit in ihrem Lächeln war wohl das Ehrlichste, das der Grauling heute von ihr sehen durfte. “Und Ihr? Woher kennt Ihr die Serenissima? Viele Nordmärker mag es dort ja nicht hin verschlagen.”
 +
 +
Ronan lachte. “Geschäfte natürlich, ich war oft mit meiner Nachtmond und jetzt mit der Nachtklinge in Belhanka. Ich habe dort einige Geschäftspartner und Freunde und war auch das eine oder andere Mal im Palast Rahjas auf Deren.” Er neigte sein Gesicht ein wenig zur Seite. “Serenissimia Gylvana und ich sind einander wohl bekannt.”
 +
Beim letzten Satz des Mannes zog Valeria eine Augenbraue hoch. “Ich dachte mir schon, dass ich Euch schon einmal gesehen habe.” Mehr sagte sie nicht, doch das wissende Lächeln auf ihren Lippen zeigte Ronan alles was er wissen musste. “Na, dann …”, Valeria hob ihren Kelch, “... auf eine gute Zusammenarbeit … Bruder.”
 +
Der Angesprochene hob seinen Kelch. “Doctor, Signor oder … einfach Ronan.” Er lächelte.
 +
“Ronan …”, wiederholte sie langsam, “... nur wenn Ihr mich Valeria nennt.” Sie zwinkerte ihm zu und trank dann von ihrem Wein.
 +
***
 +
Der alte Gelehrte aus den Eisensteinen hatte sich nicht zu den anderen begeben, sondern war bei seinen Pergamenten geblieben. Als Alrik ihm etwas Suppe bringen wollte, mürrte er etwas wie “Früher hätte es das nicht gegeben… Suppe im Hesindetempel…. Viel zu gefährlich...all die Bücher… und dann die ganzen ungeschickten Trampel da. Elador wird nachlässig auf seine alten Tage.” und scheuchte den jungen Mann nonchalant zurück zu den anderen, wo der sich ungerührt auch die Suppe des Alten einverleibte, während er den aufschlussreichen Gesprächen weiter folgte.
 +
 +
Lessandero bedankte sich mit einem freundlichen “Hesinde sei Dank!” bei dem Novizen, der ihm die Holzschale reichte und begann sogleich mit dem Essen. Während er genießerisch seinen Eintopf verzehrte, hörte er sich die Argumente zu der durch den Hochgeweihten vorgeschlagenen neuen Situation an.
 +
Je größer die Gruppe war, umso mehr Wissen und Talente sind vorhanden, aber auch mehr wollen auch ihre Anteile an einer möglichen Beute. Das konnte also noch eine interessante Expedition werden.
 +
***
 +
Auch Doratrava nahm ihre Schale entgegen und begann geistesabwesend zu essen. Sie beschloss, sich erst einmal zurückzuhalten, hatte sie doch mit dieser Expedition eigentlich gar nichts zu tun. Und doch konnte sie nicht umhin, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Jetzt sollten alle auf einmal losziehen? Wer bestimmte denn dann die Richtung? Sie war sich nicht sicher, ob hier jeder denselben Zielort jenes Sterns ermitteln würde. Wer würde die Gruppe führen? Und wie würde es am Einschlagsort sein, würden sich dann die Schatzjäger wie wild auf die vermeintliche Beute stürzen? Wenn so ein Stern so wertvoll war, wie man hier offenbar annahm, dann sah sie Mord und Totschlag voraus - und im Übrigen … “Ähem!” räusperte die Gauklerin sich lautstark, so schnell war ihr Entschluss, sich zurückzuhalten, auch schon wieder vergessen. Als die Augen der anderen sich auf sie richteten, sprach sie weiter, wobei sie eine gewisse Nervosität nicht verhehlen konnte: “Also … ich glaube nicht, dass wir hier in diesem Tempel die Einzigen sind, die von diesem Stern wissen. Und wenn er wirklich so bedeutend oder wertvoll oder beides ist - werden sich dann nicht noch viel mehr Leute dorthin aufmachen, wo er einschlagen soll? Vielleicht seid ihr nicht mal die ersten am Ziel? Und sicher ist da auch einiges an Gesindel dabei, oder Schlimmeres!”
 +
 +
Lustlos sah Radulf in seine Schüssel - der Eintopf war sicher nicht schlecht, aber er wälzte noch immer Gedanken, war er sich doch zunächst unschlüssig - wenn Melchior Recht hatte, dann wäre das Menetekel am nächtlichen Firmament nur ein Vorzeichen für irgendeinen Krieg. Wo und von wem dieser ausging, war daraus wohl nicht ersichtlich - was sollte dann im Hinblick auf diese Frage die Teilnahme an einer solchen Expedition bringen? Andererseits würde diese losgelöst von der Kernfrage, die ihn umtrieb und für die er auch sonst keinen besseren Ansatz wusste, sicherlich unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufschlussreich werden. Außerdem musste im Hinblick auf den 'illustren' Teilnehmerkreis, das verdeutlichten ihm auch die ersten Redebeiträge in dieser Runde, mindestens einer aufpassen, dass Recht, Gesetz und Ordnung nicht zu kurz kämen, und verhindern helfen, dass am Ende gar der Zwist um diesen Stern Ausgang für schlimmere Verwerfungen würde. Sein Junkergut lag derweil in der Obhut fähiger Hände - es gab also keine Ausrede - er hatte sich seinen geradezu göttlich auferlegten Pflichten zu stellen.
 +
 +
Während er, noch immer abwesend wirkend, seine ersten Löffel zu sich nahm, drangen die Worte diese weißhaarigen Frau mit dem völlig unangemessenen Aufzug an sein Ohr - für so eine geschmacklos auftretende Dame so jungen Alters eine überraschend klare und scharfsinnige Frage. "Recht habt ihr." pflichtete er ihr laut bei. "Wir müssen mit Gesindel oder schlimmerem rechnen - viel schlimmerem sogar! Neben dem üblichen Abschaum könnten auch Zauberwirker, die nicht auf dem Boden der Rechtschaffenheit stehen, irgendwelche Götzen- oder gar Dämonendiener und auch der Ork auf dem Plan stehen. Das hier wird keine rein wissenschaftliche Expedition und auch kein Händlergeschäft" vermerkte er, innerlich auf diese Schacherer herabblickend, "sondern ein Abenteuer, das schlimmstenfalls zu einem kleinen Kriegszug ausarten könnte.” malte er sein Schreckensszenario an die Wand. “Seid Euch dessen bewusst!"
 +
 +
Lessandero ließ seinen Löffel in die Schale sinken und meinte dann: “Bei Hesinde! Wir handeln doch nicht aus reiner Neugier, sondern haben hier eine göttliche Aufgabe zu erfüllen.
 +
Und wer uns dabei stört, der vergeht sich gegen die Zwölfe!
 +
Meint Ihr, dass das kein ausreichender Grund ist, dass wir ohne Kriegsleute diese Aufgabe erledigen können?
 +
Ich habe diesen Landstrich als durchaus den Zwölfen ergeben kennengelernt oder etwas nicht?”
 +
 +
“Das würde es in jedem Fall … teurer machen.” sagte Alrik halblaut- scheinbar mehr zu sich selbst. Im Geiste ging er die durch, die sich daran bereichern würden. Und das ganz ohne Not.
 +
Ronan hörte die Worte. Vernahm sie und verinnerlichte sie. Nickte bei dem, was der Draconiter aufwarf, einbrachte. Der Tulamide in Grau, an dessen Hand ein silberner Siegelring prangte, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Suppenschale kaum angerührt. Hungrig war er nicht - zumindest nicht auf Essen. Als Lessandero geendet hatte, ließ er dessen Worte kurz ausklingen. “Euer Gnaden, Hesindes Weisheit spricht aus Euch.” meinte er nickend und sein brauner Zopf wackelte kurz. “Aber ich stelle eine einfache Frage, die niemand beantworten muss, weil sie jeder beantworten kann? Welche Götter umfassen die Zwölfe, denen dieser Landstrich ergeben ist?” Wieder nickte er, lächelnd. “Und welcher von diesen Göttern ist der Wächter der Sterne?” Wieder nickte er. “Und gibt dieser Wächter der Sterne leichtfertig seine Gaben?” Ronan sah sich kurz um. “Wir brauchen es hier und jetzt nicht zu diskutieren - ich möchte nur, dass auch dieser Gedanke nicht vergessen wird.” Alrik lächelte verschmitzt in seine Schale als er die Worte vernahm.
 +
 +
Verwirrt schaute Doratrava in die Runde. Ihre Worte waren wohl aufgegriffen und durchaus ernst genommen worden, aber von dem, was die Leute darauf sagten, verstand sie nur einen Teil. Sie hatte den dumpfen Verdacht, dass zwischen den Zeilen mehr gesagt wurde als offensichtlich war, aber ihr fehlten die Hintergründe, um schlau daraus zu werden. Sie zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder ihrem Essen.
 +
 +
Ähnlich ging es Leonora, die nur eine kleine Portion des Eintopfs abbekommen hatte und darob nicht ganz unglücklich war. Die Möglichkeit, dass die Unternehmung gefährlich werden könnte, und dass Gesindel ihnen die Botschaft der Götter - oder was immer sie an dem Ort erwarten würde, wo der Stern niederging - streitig machen könnte, ließ sie erahnen, warum ihr Weg sie heute ausgerechnet in diesen Tempel gefunden hatte. Nun gut, wenigstens war der Kampf ein Feld, für das sie Referenzen vorweisen konnte. Unwillkürlich legte sich die Linke der streitbaren jungen Frau auf den Knauf ihres Korbschwerts.
 +
 +
"Ich sprach nicht davon, dass wir noch Kriegsleute anheuern sollten - ich sehe hier durchaus Wehrhaftigkeit nicht nur physischer, sondern auch metaphysischer Art versammelt." Dass die Begleitung eines kleinen Trüppchens Bannstrahler vielleicht gar nicht die schlechteste aller Ideen gewesen wäre, sowohl im Hinblick auf die Wehrhaftigkeit als auch, wenn er sich einige aus dem Kreis anschaute, zur inneren moralischen Festigung, sprach Radulf nicht aus. "Aber ich warne, dass es dort, wo es uns offensichtlich alle hinzieht, durchaus ruppig zugehen könnte. Und ausarten, wenn wir nicht auf der Hut sind. Das wird jedenfalls keine unbedarft-fröhliche wissenschaftliche Exkursion, und auch keine Schatzsuche!” Die letzten Worte hatte er schärfer ausgesprochen, als er beabsichtigt hatte, es durchaus aber so meinend. “Davon abgesehen gebe ich zu bedenken, dass irgendwem das Land gehört, auf dem der Stern einschlägt, es also - egal ob der Stern ein Geschenk des göttlichen Wächters der Nacht ist oder nicht - in des Herrn Praios’ erhellendem Lichte des Tages rechtmäßige Ansprüche auf einen etwaigen Fund geben wird, deren Anerkennung auch unser Streben sein muss."
 +
 +
 +
Essen, mal wieder das Übliche. Meta ließ sich etwas in den Napf kippen, wohl Kraut mit etwas Speck, und beeilte sich, einen Platz gegenüber von Doratrava zu bekommen. Die Knappin war flink und es gelang ihr. Der Pampf war ihr eh noch zu heiß, so schaute sie nach der aktuellen Augenfarbe der seltsamen Frau. „Na, Dora, kennst du mich noch? Rahjalind … Linny … Adda … und die Hochzeit ... da war viel los und ich weiß, dass ich nicht der Typ bin, den man sich merkt.“ Sie kicherte und dachte an den Fettwanst. „Und den Hof macht mir auch keiner. Aber ich wollte dich was anderes fragen. Die Reise ist ungewiss, gefährlich und seltsam. Kommst du mit und willst du, was vielleicht nicht schlecht wäre, ein paar der sagen wir mal … Bewerber und das, was auch immer da kommt … unterhalten? Den alten Zausel zum Beispiel.  Du hast genug drauf für mehrere Abende. Und es soll nicht dein Schaden sein“
 +
 +
Überrascht schaute Doratrava von der Schüssel auf. Ausgerechnet die unauffällige Meta heuerte sie an? “Äh … ja, natürlich kenne ich dich noch. Aber den Zausel unterhalten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der viel Sinn für meine Kunst mitbringt. Na ja, vielleicht muss ich Zahlen tanzen …” Die Gauklerin kicherte bei dem Gedanken. “Andererseits … ich habe gerade sonst nichts vor, wenn ich dafür bezahlt werde, warum nicht? Spannend hört sich das alles ja schon an, aber ich fresse einen Besen, wenn das ungefährlich wird und ohne Komplikationen abgeht.” Sie streckte Meta die Hand hin, verzichtete aber darauf, hineinzuspucken, wie es mancherorts Sitte war. “Und wenn dir jemand den Hof machen soll, musst du dich anders anziehen und was mit deinen Haaren machen”, fügte Doratrava völlig zusammenhanglos mit einem schelmischen Grinsen hinzu.
 +
 +
Ebenso schelmisch grinste Meta zurück. “Danke für die Hilfe, ich kenne mich einfach mit Männern nicht aus. Mit Frauen erst recht nicht. Ich bin, so glaube ich eine Person, mit der Rahja sich Zeit lässt.” Ihre Augen verengten sich etwas. “Nun, der Zausel wir schon zahlen, wenn er was sieht, das ihm gefällt. Selbst, wenn du nur große Zahlen auf Pappe rumträgst. Vielleicht wollen noch mehr auf die Strapazen der Reise verzichten? Was ist eigentlich des Zausels Interesse an der Sache hier?”
 +
 +
Etwas befremdet sah Doratrava ihr Gegenüber an. Der Zausel sollte zahlen? Aber Meta hatte doch gerade gesagt, sie würde sie anheuern? Sie beschloss, sich darüber jetzt nicht zu viele Gedanken zu machen. “Ach, Hesindiard heißt der, glaube ich, der will irgendwie den Stern beobachten und daraus dann berechnen, wo er herunterfällt, wie auch immer er das machen will. Also, wenn du mich fragst, ist sein einziges Interesse hier, zu beweisen, dass er schlauer ist als alle anderen. - Und was Rahja angeht, das musst du wohl selbst mit der Göttin ausmachen. Aber man kann Dinge beschleunigen, wenn man will. Wenn man will.”
 +
 +
“Nein, nein! Du verstehst das nicht richtig. Ich will diesen Zausel, der uns sowieso ein Klumpen am Bein sein wird, einfach nicht in der Nähe des Fundes haben.” Eine grauenvolle Vorstellung schlich sich in Metas Kopf. “Stell dir vor, wenn der nicht mehr gehen kann, weil seine Beine nicht mehr wollen, dann müssen am Ende Alrik und ich ihn schleppen.” Die Gans mochte ihnen zwar den Rang streitig machen, aber die würde nur zischen und hacken. “Andererseits wäre es nicht schlecht, ihn den Schlausten sein zu lassen, dann ist er glücklich mit seiner Gerätschaft. Dann könnte man immer noch den Fund ausheben ohne ihn einzubinden. Schau, du bist schlau Doratrava.”
 +
 +
Schlau mochte sie sein, dachte Doratrava bei sich, aber nicht schlau genug, um aus den Worten Metas wirklich schlau zu werden, offensichtlich. Sie beschloss, nur auf die Gebrechlichkeit des Alten einzugehen. “Ich frage mich sowieso, ob dieser Hesindiard eine Reise über Stock und Stein überhaupt verkraftet. Wie du schon sagtest, der wird für die Gruppe sicher ein Klotz am Bein.” Was ihr selbst herzlich egal war. Auch wenn sie alle zuerst bei der Absturzstelle sein sollten, würde sie selbst sicher nichts von irgendwelchen Reichtümern abbekommen, also warum sich deswegen grämen. “Ich glaube ja nicht, dass der Stern uns den Gefallen tut und auf der Reichsstraße einschlägt. Wir werden wohl schon irgendwann in die Wildnis müssen.”
 +
 +
Die Knappin lächelte lieb und betrachtete Doratravas Augen. “Du hast Recht und wir scheinen einer Meinung zu sein. Weisst du, dass ich in deinen Augen versinken könnte? Sie sind wie Edelsteine und es ist jedes Mal überraschend, welcher es sein mag. Komm, lass uns etwas trinken. Die Großen und Weisen werden über uns bestimmen und wir sollten uns hier nichts entgehen lassen.”
 +
 +
‘Huch, was war das denn eben?’ dachte Doratrava leicht verwundert und sah Meta unschuldig aus samtbraunen Augen an, um ausnahmsweise mehr als nur einen beiläufigen Blick auf ihr Äußeres zu werfen, das die junge Frau so geschickt durch eher unansehnliche Kleidung verbarg. Von der Statur her ähnelte sie ihr selbst ein wenig, auch Doratrava war eher sehnig und mit nur wenig Oberweite ausgestattet. Metas Gesicht war ganz hübsch, die wilden blonden Locken sprachen etwas in der Gauklerin an, aber im Großen und Ganzen war die Schildmaid nicht ihr Typ. Wie auch immer. “Ja, gehen wir etwas trinken, das ist eine gute Idee. Auch wenn ich nicht weiß, wie wir dann hier alles mitbekommen sollen”, fügte Doratrava augenzwinkerd an. “Deshalb schlage ich vor, wir warten noch, bis die hochgelehrten Herrschaften sich hier einig geworden sind, damit wir nichts Wichtiges verpassen, so langweilig das jetzt auch ist.”
 +
***
 +
Seufzend betrachtete Geron die Schüssel mit dampfenden Eintopf in seinen Händen. Es war ihm hier unmöglich seine Maske zum essen abzunehmen. Für einen Augenblick dachte er daran Relindis zu fragen ob sie nicht mit in den Park kommen mochte, doch er verwarf diesen Gedanken sogleich wieder. Es war wichtig Kontakte zu knüpfen und ihr fiel das leichter als ihm. Mit einer gemurmelten Entschuldigung verließ er den Tempel um sich eine gemütliche Stelle im Park zu suchen. So bekam er zwar nichts von den Gesprächen mit, aber wenigstens konnte er essen ohne begafft, oder Schlimmeres, zu werden.
 +
***
 +
Elador, der Hohe Lehrmeister dieser Hallen, war äußerst zufrieden. Das Stimmengewirr, die vielen Fragen und Ansichten, war der wissenden Göttin willkommen und zeugten von ihrem Wirken. Nun wedelte er mit den Händen und wartete, bis alle wieder ruhig waren. “Silentium, silentium! Nun erst einmal herzlichen Dank, jede finanzielle Spende ist natürlich willkommen. Aber ich möchte darauf hinweisen, das es hier um kein Geschäft oder Handel geht. Es ist eine Mission im Zeichen der Hesinde. Es geht darum, das Geheimnis des Sternenfalls zu lüften, zu erfahren, was es bedeutet und ob die Götter ein Zeichen senden. Wenn sich dabei herausstellen sollte, das es in die Belange der zwölfgöttlichen Gemeinde fällt, können wir immer noch darüber entscheiden, wie damit verfahren werden soll.” Er machte eine kurze Pause und sprach dann weiter. “Wenn andere den Fingerzeig Hesindes vernommen haben, sollten sie willkommen sein, sich uns anzuschließen. Aber wie es scheint, war es ihr Wille, so viele verschiedene Köpfe hier in ihre Halle zusammen zu führen.” Nun wanderte sein Blick über die ganze Gruppe der Sternensucher ab. “Unterschiedliche und Gleichgesinnte und ein jeder mit unterschiedlichsten Erfahrungen und Können. Wir sind also gut ausgestattet, die Fährnis aufzunehmen und möglichen Herausforderungen und Gefahren anzunehmen.” Dann winkte Elador die Mentorin Nirjaschka zu sich. Die untersetzte Geweihte setzte sich sogleich in Bewegung und stellte sich neben ihn. “Zur Sprecherin dieser hesindegefälligen Mission möchte ich Mentorin Nirjaschka bestimmen. Ich kenne sie als eine resolute Frau, die eine gerechte Zuhörerin ist und nicht zögert Entscheidungen zu treffen. Nun, Mentorin, was sagt ihr?” Die Röte in ihrem Gesicht offenbarte ihre Aufregen. “Wat fürne Ehre, euer Hochwürden.”, verfiel sie doch gleich wieder ins Bornländische. “ Ick nehme dat jerne an. Und ick hab och gleich eene Idee, wo wa anfangen. Es jibt ein paar Gedanken, wo dat Sternschen runterkommt. Doch wir müssen sicher jen. Ein Freund von mir, wohnt bei Twergenhausen. In seinem letzte Brief an mich, hat er erwähnt, dass er sich ein großes Telesjop bauen lassen hat. Das sollte besser sein, als dat wat wir ham. Und unsere klugen Köppe hier, könn besser berechnen.  Isch schlach vor,  wir besuchen ihn.” Strahlend schaute sie ihren Vorgesetzten an.
 +
Nun schaute der Hohe Lehrmeister nachdenklich. “Hmmm … Twergenhausen? Da fällt mir was ein. Wie ich erwähnte, unsere Mittel sind bescheiden, aber da gibt es etwas, was ich für euch tun kann, um schneller dorthin zu kommen. Ich denke ich könnte eine Flussfahrt für alle besorgen.” Nun strahlte er in die Menge. “Gibt es noch Fragen?”
 +
 +
 +
Lessandero schüttelte den Kopf, denn der Hohe Lehrmeister hatte ihm schließlich aus der Seele gesprochen. Es ist als erstes eine hesindegefällige Mission, dann wenn dieses Mission erfüllt ist, können sich die anderen Interessensparteien um eine wirtschaftliche Ausschlachtung des ganze bemühen.
 +
 +
“Ja, die gibt es …”, Valeria hob kurz ihre schlanke Hand, “... heißt das jetzt, dass wir aufbrechen ohne eine Bestandsaufnahme zu machen, ob und was wir gegebenenfalls auf unserer Mission benötigen?” Innerlich seufzte die junge Geweihte. Es wäre suboptimal, wenn sich die Gruppe nun selbst helfen könnte. Wieder musste sie umdisponieren.
 +
 +
“Da hat sie Recht. Wir haben quasi nichts dabei, außer, Ihr habt Euch um Vorräte, Wasser, Kleidung und, das sollte man nicht vergessen, Waffen gekümmert. Ich war schon mit meinem alten Dienstherren einige Zeit auf dem Fluss unterwegs. Da passiert schnell etwas, womit man nicht rechnet." Meta war sich dessen bewusst, dass sie eine der unwichtigeren Personen hier war. Gut, sah man mal von dem Burschen Alrik ab, der sich in Sachen Wichtigkeit ein Kopf-an-Kopf Rennen mit Akka der Gans lieferte. Dennoch schmunzelte sie. Thymon hatte ihr von manchen Eigenheiten der Rassen erzählt. “In Twergenhausen, da werden, widersprecht mir bitte, sollte es sich um eine Elfensiedlung handeln, Zwerge leben. Viele Zwerge. Und die lieben alles, was wertvoll ist. Ja, also dumm sind die nicht. Und wenn sie erfahren, dass ein Klumpen von großem Wert in der Nähe ihres Städtchens einschlägt, wenn er es nicht sogar direkt verwüstet, dann werden sie uns garantiert nicht mit dem Fund davon spazieren lassen und mit ihren Taschentüchern winken.” Sie musste kurz durchschnaufen und daran denken, dass sie sich nicht aufführen solle. Sowohl Linny als auch Thymon wirkten da seltsam besorgt. “Jetzt aber mal im Ernst. Die werden behaupten, das Zeug gehöre ihnen und fertig. Was wollt ihr dagegen unternehmen?” Sie vermisste die Gespräche mit dem Einzigen, der sowas wie ein Freund war.
 +
 +
Elador räusperte sich kurz. ”Wie ich schon erwähnte, die Mittel sind bescheiden und wir haben Leute unter uns, die mit wenig viel erreicht haben. Und wir haben großzügige Hilfe angeboten bekommen.” Er nickte den beiden Geweihten und dem Diener Alrik zu. “Und der ein oder andere ist gut in den rondrianischen Tugenden geschult.” Nun wanderte sein Blick auf Leonora, hinüber zu den Magiern. “Und wenn ich mich recht entsinne, kennt sich Prälat Hortulani sich gut mit den Angroschim und seinen Gepflogenheiten aus. Ich sehe also keine Bedenken. Und ich möchte nochmals erwähnen, es geht hier nicht um ein Wettbewerb um einen Schatz und Reichtum. Obwohl ich phexische Gesinnung nicht herunterspielen möchte.” Der letzte Blick ruhte auf Ronan und dem Norbarden. “Doch gibt es jemand, der die hohe Dame aufklären möchte, bezüglich des erwarteten Aufschlages? Ich glaube überhört zu haben, das Twergenhausen nicht das Ziel des Sterns ist.” Fragend schaute er in die Runde.
 +
 +
Alrik nickte der Geweihten zu und schritt wieder durch den Tempel zu seinem Herrn, ihn zu bitten vorzukommen, seine Expertise wäre verlangt.
 +
 +
Lessandero nickte bestätigend als sein Name in der Auflistung erwähnt wurde. “Es ist richtig”, meinte er kurz. “Und ich habe auch ein paar Kontakte zu den Angroschim - wie sie sich selbst nennen - ein paar einflussreiche Kontakte.” ergänzte er.
 +
Ronan lehnte sich zurück, legte das linke über das rechte Bein und nahm den vor ihm stehenden Kelch in die Hand. Sie brauchten also keinen Sternkundigen mehr, einen Geldgeber hatten sie auch, dass Sterne in den Herrschaftsbereich des Grauen fielen, war auch uninteressant. Gut, würde er einfach als stiller Beobachter fungieren.
 +
***
 +
Alrik kehrte kurz nachdem er die große Runde verlassen hatte mit Hesindiard zurück.
 +
“Um welche Fragen geht es denn genau?” wollte er von seinem Diener wissen, übellaunig wie stets, wenn man ihn von seinen Rechnungen und Zahlen fortzwang.
 +
“Ich glaube, es geht um Twergenhausen?” antwortete der Rotschopf mit fragendem Blick zum Hesindegeweihten.
 +
 +
“Was ... mit Twergenhausen? Mit Twergenhausen… Was soll das für eine Frage sein? In jedem Fall eine unpräzise. Die Qualität der Frage, lieber Junge, das habe ich dir so oft schon gesagt, die Qualität einer Frage korreliert signifikant mit der Qualität ihrer Antwort. ALso bitte, was genau willst du wissen?” entgegnete der Alte unwirsch, aber schon sichtlich offener, immerhin wurde sein Wissen erbeten. Und Menschen mit Wissensdrang waren ihm sehr willkommen.
 +
 +
“Ä. Ich weiß nicht. Ob der Einschlag dort stattfinden wird?”
 +
Hesindiard verdrehte die Augen “Bei Hesinde. Ich erklärte dir doch schon so oft, dass man es nicht so präzise sagen kann. Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Aber sie ist für andere Orte größer. Die Wahrscheinlichkeiten habe ich berechnet und auf eine Karte übertragen. Du hast sie so oft gesehen.”
 +
 +
Alrik lächelte schräg. Er wusste all das, aber er wusste auch, dass er in einer Welt lebte, in der seine Stimme keine Bedeutung hatte. “Verzeiht. Es gab wohl die Hoffnung, dass es dort in der Nähe sein würde. Wegen des neuen Teleskops.” “Welches Teleskops?” fragte der Rickenbacher nun interessiert. “Nun das in Twergenhausen. Von einem Freund der Mentorin. Der wollte sich dort eines errichten lassen.” “In Twergenhausen?” die Stimme des Alten klang irritiert, während sein Diener nickte. “Nur ein Vollidiot würde ein Teleskop in Twergenhausen errichten. Ein Vollidiot der zuviel Geld hat.”
 +
Alrik zog fragend eine Braue nach oben:
 +
“Junge, hast du denn nichts von mir gelernt?” herrschte ihn der Alte an: “Twergenhausen ist eine Siedlung. Am Fluss. Im Wald. In einer Niederung. Die vier Eigenschaften, die ein Ort nicht haben sollte, wenn man dort ein Teleskop aufbauen will.” er schüttelte sein Haupt. Die Welt würde zugrunde gehen. All dieses Unwissen. Dieser Mangel an Bildung. “Sonst noch Fragen?”
 +
 +
Rhodan räusperte sich vernehmlich. “Ja doch. Fragen. Für mich persönlich ist nicht so sehr relevant, ob in Twergenhausen Stadt ein Teleskop errichtet wird, sondern, ob es in der Nähe von Twergenhausen einen guten Beobachtungsort - beispielsweise einen Hügel oder eine Felsnadel - gibt, von dem aus wir mit Hilfe eines mobilen Teleskops oder eines Fernglases Eure Wahrscheinlichkeitskalkulation präzisieren könnten. Eure Fähigkeiten in allen Ehren”, brummte der beleibte Händler, “aber ich investiere nur ungern in wahrscheinlichen Erfolg. Jedenfalls beabsichtige ich, zuvor die Erfolgsquote zu erhöhen. Führt doch bitte aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit unter welchen Parametern Ihr einen Einschlag in der Nähe von Twergenhausen annehmen könnt.”
 +
 +
"Verzeiht", mischte sich Madasil wieder ein, " aber hier liegt ein Mißverständnis vor. Niemand hat behauptet, der Stern würde in oder bei Twergenhausen herunterkommen. Die verehrte Mentorin meinte lediglich, dass sie dort einen Freund habe, welcher sich dort ein Teleskop hat bauen lassen. Den Berechnungen von Meister Hesindiard, bitte korrigiert mich, wenn ich irre, und einer Prophezeiung zufolge, welche uns der Sternenkundler Belsazar ya Arango mitgebracht hat, wird der Stern höchstwahrscheinlich das Gratenfelser Becken treffen, die Kornkammer unseres schönen Herzogtums. Bisher deutet einiges daraufhin, dass die Baronie Schweinsfold bzw deren Grenzen betroffen sein werden. Aber vielleicht stellt euch Meister Belsazar die Prophezeiung selbst vor."
 +
 +
Geron nickte zustimmend. “Ich stimme seiner Gnaden vollkommen zu. Außerdem möchte ich die Frage in den Raum stellen ob wir wirklich alle nach Twergenhausen reisen müssen um uns um ein Teleskop zu scharren, durch dass dann doch nur eine Handvoll Personen schauen werden. Wäre es nicht sinnvoller nur eine kleine Gruppe dorthin zu entsenden und den Rest schon mal ins Gratenfelser Becken zu entsenden, von wo wir sehr viel schneller jeden Ort in den Nordmarken erreichen könnten?” Er sah die Anwesenden durchdringend an. “Wenn sich in Twergenhausen Erkenntnisse ergeben sollten, könnte man die uns schnell per Bote oder Taube überbringen und wenn der Stern wirklich droht, die Götter mögen es verhüten, auf eine Siedlung niederzugehen, so könnten wir agieren und helfen anstatt nur noch betroffen auf die Trümmer zu starren.” Herausfordernd ließ der Ritter seinen Blick über die Anwesenden wandern.
 +
 +
“Ich würde mir an eurer Stelle nicht viel von diesem Twergenhauserner Teleskop versprechen. Zuviele Faktoren sprechen dagegen, dass man dort relevante Erkenntnisse erlangen kann. Der wichtigste Faktor für eine Präzisierung der Berechnungen ist die Zeit. Viele Beobachtungen und deren Interpretation. An einem Ort, der vermutlich nicht der günstigste ist, eine einzelne Beobachtung zu machen, hilft nicht wirklich viel weiter. Besser wäre es im vermeintlichen Einschlagsgebiet täglich Beobachtungen zu machen und diese dann in die Berechnungen einzubeziehen. Dennoch muss ich euch sagen: Erwartet nicht zuviel.” Die Stimme des Alten klang enthysiastisch solange er von den Erkenntnissen des Geistes sprach: “Die Bahn eines fallenden Sterns zu berechnen ist nicht einfach. Wenn ihr also nach einer sicheren INvestition strebt, rate ich euch ab euch in diese Suche einzubringen. Was man für das Finden und Erforschen eines Sterns braucht ist das hier.” und er tippte sich gegen die Stirn. “Jaaa. Man braucht Verstand. Geld ist nicht von allzu großer Bedeutung. Mit Geld kann man die Ergebnisse des Geistes stützen, freilich, vielleicht sogar signifikant beschleunigen, oh ja. Aber niemals kann der Mangel an Wissen und Verstand durch Geld ausgeglichen werden. Vergesst das nicht in all eurer Planung.”
 +
 +
“Umso mehr stellt sich mir dann die Frage, warum wir unsere Zeit damit verschwenden sollten nach Twergenhausen zu reisen, wo wir doch direkt ins Gratenfelser Becken reiten könnten. Hochgelehrter Herr, bitte versteht mich nicht falsch. Mir geht es nicht um Geld oder den Besitz eines Fragments von dem Stern. Es ist mir gleich wer Anspruch auf den Stern erhaben wird, wenn er erst mal aufgeschlagen ist. Das klärt Ihr am Besten mit dem ansässigen Baron. Aber ich komme aus der Gegend, wo der Stein womöglich herunter kommt und mir geht es um die dort lebenden Menschen.” Er schloss die Augen. ‘Große Mutter, gib mir Kraft.’ Dann richteten sich die Augengläser wieder auf den alten Gelehrten. “Ihr habt da aber einen interessanten Vorschlag gemacht, nämlich, die Berechnungen und Beobachtungen vor Ort vorzunehmen. Ich unterstütze diese Idee.”
 +
 +
Der Gelehrte nickte mit gerunzelter Stirn. Endlich jemand mit Verstand: “Jaja. Das ist eine gute Sache. Ich weiss auch nicht, wer nach Twergenhausen wollte. Alrik, wer wollte gleich dorthin?” fragte er seinen Diener, der sogleich beflissen antwortete: “Verzeiht Herr, womöglich habe ich dies missverstanden. Es schien mir im Raum zu stehen.” Hesindiard wedelte mit der Hand: “Schon gut, schon gut. Aber nun scheint es ja klar, dass niemand nach Twergenhausen möchte und damit können wir das Thema ja beenden. Ich werde meine Unterlagen zusammen packen, damit wir alsbald aufbrechen können. Falls jemand zuvor noch einen Blick auf die Karte mit den Berechnungen werfen möchte, so tut euch keinen Zwang an. Ich erläutere sie euch gerne.” Damit wandte er sich wieder ab und trat zurück an den Tisch, wo er geschäftig begann seine Pergamente zu sortieren.
 +
 +
Bei dem ganzen Geschwafel wurde Doratrava nun ernsthaft langweilig. Und Twergenhausen war ein Thema, das unangenehme Erinnerungen in ihr weckte. Zu frisch war die Erinnerung an diese Afra Kober, die dafür gesorgt hatte, dass Kopfgeldjäger Jagd auf sie gemacht hatten. Sie wusste bis heute nicht, warum diese schmierige Person das getan hatte. Egal, vorbei und vergessen …  na ja, hoffentlich bald vergessen. Auf jeden Fall war Doratrava erleichtert, dass es nicht nach Twergenhausen ging.
 +
 +
Aber als sie ihre Suppe aufgegessen hatte und das hochgelehrte Gebrabbel immer noch kein Ende nahm, zog sie sich in den Hintergrund des Tempels zurück und packte ihre drei alten, abgegriffenen Jonglierbälle aus. Sie konnte zwar nicht so gut jonglieren wie tanzen oder turnen, aber das Jonglieren hatte etwas Meditatives. Es fiel ihr leichter, die Zeit zu vergessen und ihre Ungeduld zu zähmen, wenn sie die drei Bälle in der Luft halten musste. Leise summend begann sie mit dem Spiel. Dass dabei die Glöckchen an ihrem Gewand eine sanfte Begleitmelodie klimperten, nahm sie gar nicht richtig zur Kenntnis.
 +
Valeria musste innerlich lachen. Wie sehr sich diese Gruppe bereits jetzt schon verselbständigte. Die Sprecherin der Gruppe ruft die Reise gen Twergenhausen aus, der Alte stellt sich dagegen und bezeichnet Dritte als ´Vollidioten´. Sie seufzte. Ach, das dürfte eine sehr unterhaltsame Unternehmung werden. Dem Gedankengang des Maskierten, irgendein Baron hätte Anrecht auf den Stern, konnte sie nicht wirklich nachvollziehen. Wenn, dann der Landesfürst, aber bestimmt nicht ein Baron, denn die Überreste eines Sternes fielen wohl nicht unter ein Regal zum Abbau von Bodenschätzen. Am Ende gibt es noch jemanden, der dem Schulzen des Dorfes, bei dem der Stern zu Boden geht, ein Anrecht zusprechen würde. Sie zuckte mit ihren Schultern. Auch die Kirchen würden den Fund beanspruchen, soviel war klar, aber das war Valeria schon von Anfang an bewusst gewesen. Kurz musste sie schmunzeln - es wäre doch ein Spaß die Praioskirche darauf anzusetzen. Sie konnte es förmlich vor ihrem inneren Auge sehen, wie eine Zehnschaft Bannstrahler den Fund ´im Namen des Herrn´ einkassierte. Niemand in den verbohrten Nordmarken würde sich der Gemeinschaft des Lichts entgegen stellen. Alles in allem war der Geweihten klar, dass es nicht leicht sein würde und sie sich etwas überlegen wird müssen, um ihr Ziel zu erreichen.
 +
 +
“Ja doch, mir wäre es eine Freude, die Kalkulationen in Augenschein nehmen und die Karte inspizieren zu können. Die Beobachtungen am Ort des - vermeintlichen - Geschehens vornehmen zu können erscheint mir auch bei Leibe valider. Doch dazu braucht man flexibles, transportables Gerät und nach meinem Dafürhalten mehrere Gruppen, die unterschiedliche Gebiete abdecken. Ihr versteht mich? Ich denke da an eine Triangulation, wie sie in der Seefahrt gängig ist. Sollten mehrere Gruppen an einigermaßen nahegelegenen Orten zu ähnlichen Beobachtungen gelangen, so mag sich der Einschlagort bestätigen.”
 +
 +
Der alte Rickenbacher deutete auf einige Stellen seiner Pergamente als Rhodan zu ihm an den Tisch getreten war.
 +
“Nun. Eine Triangulation wäre eine Option. Wenn die Betrachtung und die Berechnung der Flugbahn eines fallenden Sterns einfach wäre und man die Betrachtungen zeitgleich durchführen könnte…. Das wird aufgrund der Voraussetzung drei baugleiche Teleskope derselben Qualität und drei Beobachter dergleichen Befähigung zu haben, vermutlich scheitern. Im übrigen gibt es weitere Prämissen, die ich nicht als gegeben erachte und deren Annahme sehr hart an Blasphemie grenzen würde, die dafür nicht eingehalten werden. Ihr seht anhand dieser Berechnungen, was ich bisher an Parametern in die Terme eingepflegt habe. Über diese Bezeichnungen findet ihr die jeweiligen Ursprungsbeobachtungen und Berechnungen.” er deutete auf einige komplizierte Zeichenabfolgen, froh scheinbar jemanden gefunden zu haben, der seinen Worten zu folgen verstand.
 +
 +
Triangu-was-nochmal? Schon gehört, aber was war das nochmal genau? Relindis verfolgte den Disput der Gelehrten interessiert, jedoch ohne viel beitragen oder vollständig folgen zu können, geschweige denn alles, was gesagt wurde, tatsächlich zu verstehen.  Vor allen Dingen fielen ihr gleich mehrere Steine vom Herzen - so viel verstand sie dann schon noch - dass die Reise wohl direkt dorthin führen würde, wohin sowohl die Worte des Propheten als auch die Berechnungen wiesen und sie keine Zeit mit einem Abstecher nach Twergenhausen vergeuden würden - Zeit, die ihnen am Ende vielleicht fehlen würde, um eine Siedlung im Zielgebiet zu räumen oder nach dem verheißenen Kind suchen zu können.
 +
 +
Auch für Valeria sprach der Alte in fremden Zungen. Einzig beim Wort 'Terme' stahl sich ein feines Lächeln auf ihre Lippen. Ein Bad in einer heißen Therme wäre genau das was sie jetzt brauchte. Wehmütig dachte sie an die Bäder auf Paradisela - leider gab es hier in der Stadt nichts vergleichbares.
 +
 +
Auf seinen Magierstab gestützt blickte Radulf von Lîfstein auf die Pergamente mit Hesindiards Berechnungen und versuchte angestrengt, diese wenigstens grob nachzuvollziehen. Obgleich in der Sternkunde grundsätzlich bewandert, nötigte ihm dies einiges an Konzentration ab - anders als der alte Rickenbacher hatte er sein Leben eben nicht voll und ganz der Wissenschaft verschrieben, sondern konnte und wollte sich zu Praios Gefallen nicht den verantwortungsvollen Aufgaben, die ihm sein Haus und sein Gut auferlegt hatten, entziehen. Schließlich gab er auf, fürs erste wenigstens, und fragte, auch angesichts des Diskurses zwischen dem Urheber der Berechnungen und jenem Pfeffersack, direkt nach: "Verzeiht die Frage, wohlgelehrter Herr, geht in Eure Kalkulationen auch der mit wachsender Nähe zur dritten und damit auch zweiten Sphäre fester werdende Griff Sumus ein? Dieser dürfte doch die Extrapolation der Bahnkurve basierend auf Beobachtungen deren früher Etappen, die noch tief in der sechsten Sphäre verliefen, erheblich erschweren? Und könnt Ihr aus den vorliegenden Beobachtungen etwas über die Stabilität der Bewegung sagen? Trudelt der Stern leicht, so dass zu befürchten steht, dass er nahe der dritten Sphäre noch zerbirst, oder wirkt er fest und unbeirrt auf seinem Weg zum vorbestimmten Aufschlagsort?" Seine eigenen Beobachtungen reichten mangels eines geeigneten Teleskops leider nicht aus, dies zu beurteilen.
 +
 +
“Ein Stern ist ein Objekt. Auch wenn wir ihm Eigenschaften zuweisen können, und er mit der göttlichen Macht assoziiert werden könnte, wie andere seiner Geschwister zuvor, ist er nur ein Objekt. Er hat keinen eigenen Geist, der ihn lenkt und ihn beirren könnte.” setzte der Alte eine seiner langen Erläuterungen an: “Die Sphären selbst sind komplex, komplizierte Ebenen von Mächten, die wir nicht gänzlich verstehen, nicht gänzlich kennen. Sie entziehen sich unserem Blick. Und was wir nicht sehen, können wir schlecht bewerten. So bleibt uns nur, das Wirken der ersten und zweiten Sphäre in unserer Welt zu dokumentieren, ihre Einflüsse abzuleiten. Selbstredend gibt es sie- diese EInflüsse. Sie hängen allerdings meist von Parametern ab, die wir erst kennen, wenn der Stern heruntergefallen ist. Wäre mir die genaue Zusammensetzung des Sterns bereits vor seinem Einschlag bekannt, könnte ich dazu noch einige Faktoren einfliessen lassen. Aber die Informationsdichte ist nicht groß genug, um detailiierte Parameter in die Berechnungen einzubringen.
 +
Bei Hesinde. Wir sind noch nicht mal in der Lage den Lauf des Madamals präzise vorauszusagen. Wie sollte uns das bei einem so kleinen, vermutlich recht unbedeutenden Stern gelingen.”
 +
 +
Doratrava, die mit halbem Ohr der Diskussion lauschte, während sie Bälle in die Luft warf, verdrehte die Augen. Diese sogenannten Gelehrten waren doch alle gleich. Für sie hörte sich der ausschweifende Monolog Hesindiards wie eine sehr ausführliche Version des Standardspruchs der Magier an: “Das ist nicht mein Fachgebiet!” Den wandten sie immer an, wenn sie keine Ahnung hatten, und das war erstaunlich oft der Fall. Offenbar musste man den Satz “Das weiß ich nicht” aus seinem Wortschatz streichen, wenn man ein ordentlicher Gelehrter werden wollte.
 +
 +
Radulf runzelte die Stirn: Selbst wenn der Fall des Sterns durch Ereignisse weit höherer Tragweite ausgelöst wurde, die alleine die Götter ermessen konnten, und auch die Bahn einem göttlichen Willen folgte, wovon er im vorliegenden Fall eines solchen unheilverkündenden Menetekels überzeugt war, so musste sich, nachdem all das einmal angestoßen war, dieser primordiale Impuls in der Bahn abbilden und ergründen lassen, mit den Methoden der Empirie und Mathematik. Denn mit diesen ließen sich Gesetzmäßigkeiten erfassen und beschreiben, und was gefiel dem Herrn Praios als dem höchsten der Götter besser als präzise Ordnung und Gesetzmäßigkeit?
 +
 +
"Auch wenn wir die Bahn des Madamals offensichtlich nicht präzise berechnen können," - wie passend im Übrigen für die undurchsichtige Mada - "wissen wir doch, wo wir es des Nachts erwarten dürfen und in welchem Zustand es sich uns zeigt - und das im Übrigen nicht nur wir, sondern sogar weit primitivere Völker - selbst die Orks sollen einen gar nicht mal so ungenauen Mondkalender haben, wie mir ein Bekannter aus dem Greifenfurtschen einst erzählte. Naja, sei's drum. Jedenfalls interessiert mich, wie genau Ihr die Bahn berechnet habt - habt ihr sie geradewegs aus den bisherigen Bahnpunkten heraus verlängert, oder auch beobachtbare Veränderungen der Flugbahn in ihrem weiteren Verlauf berücksichtigt?" Vielleicht war es der letztere Umstand, der vermeintliche Unschärfe in den Abgleich von Kalkulation und Beobachtung und damit das extrapolierte Ergebnis brachte - irgendwie wollte es nicht recht in seinen Kopf, dass eine alte Prophezeiung von der Ankunft eines vermeintlichen Heilbringers eine genauere Vorstellung vom Einschlag dieses Unheilsboten liefern sollte - jedenfalls taten die Anhänger dieser Prophezeiung so, als ob sie es recht genau wüssten - als die moderne, auf der Herrin Hesinde Verstand und des Herrn Praios klarem Blick auf die Welt beruhende Wissenschaft.
 +
 +
“6710” antwortete der ALte nur: “6710, soweit können diese haarigen Raufbolde aus dem Norden zählen. Sie sind intellektuell in der Lage die Tage zwischen zwei Finsternissen des Madamals zu zählen.” Er schnaubte: “ES mag sogar sein, dass diese Viecher einen Hang zu Mada selbst haben. Im Efferd 1029 - zu Zeiten einer blutroten Finsternis des Madamals ging dort im Norden ein Sternenregen nie gekannten Ausmaßes hernieder und es gibt Gerüchte… aber ich schweife ab…. Ich spreche nicht von solchen Belanglosigkeiten. Solchen Trivialitäten.” er sah den anderen direkt in die Augen. “Und eure Fragen sind mir nicht ganz klar, denn dort stehen doch alle Berechnungen und die Parameter sind genau beschrieben.” Er deutete auf die Zahlen und Definitionen. “Ist euch etwas unklar? Oder habt ihr Einwände? Oder gar einen Vorschlag weiterer Faktoren? Einige habe ich herausgelassen, weil ihre Funktionalität und WErtigkeit noch nicht bewiesen sind, das gebe ich wohl zu. Also wenn ihr neue Erkenntnisse habt, dann heraus mit der Sprache. Und unterlasst dieses um den heissen Brei-Gerede. Ich bin ein alter Mann, und wie es alten Menschen zu eigen ist besitze ich Erfahrung und Wissen, nur leider keine Zeit.”
 +
 +
Schweigend hatte Ronan diese Diskussion verfolgt. Und tatsächlich, der Kontorist mit erstaunlich guten Kenntnissen in der Sternkunde für eine Krämerseele, hatte durchaus nicht unrecht. Und der alte Gelehrte war sehr von seiner Gelehrsamkeit überzeugt - unterschätzte jedoch das Teleskop in Twergenhausen. Als würde man ein Teleskop mitten in einer Stadt mitten im Wald errichten. Natürlich würde der Besitzer eines solchen Geräts auf dem höchsten Punkt aufbauen und nicht im Kellergeschoss eines Wohnhauses in einem Tal. Er dachte an sein eigenes Teleskop im Dachgeschoss der Burg Wolfenhang. “Nun…” setzte er an. “... erst einmal würde ich noch einmal die Gefahr thematisieren. Das Gratenfelser Becken ist ein gewaltiges Gebiet und reicht von Paggenau bis Galebquell und von Rickenhausen bis Meilingen. Eine genaue Ermittlung des möglichen Einschlagsortes ist selbst anhand astronomischer Triangulationen…” da war es wieder, dieses Fremdwort. Und… dafür fehlte der Akzent. “... unter Abgleich der bereits erwähnten Prophezeiung nur schwer möglich. Wir können lediglich das Gebiet eingrenzen. Hierfür benötigen wir jedoch, wie von Herrn Herrenfels…” Ein Blick in dessen Richtung. “... angesprochen mehrere Parameterberechnungen, um die Nord-Süd- und Ost-West-Tangenten des möglichen Einschlagsbereiches eingrenzen zu können.” Er wandte sich dann an Meister Hesindiard von Rickenbach. “Ich würde gerne Eure Notizen und Berechnungen einsehen, Meister von Rickenback, um sie mit meinen vergleichen zu können. Und möglicherweise wird mir Herr Herrenfels zur Seite stehen?”
 +
 +
“Ja doch, sicherlich. Mehr Augen sehen regelmäßig mehr Fehler. Jeder gute Kontorist hat deshalb einen Buchprüfer, nicht wahr?”, meinte der beleibte Händler mit den grauen Augen jovial.
 +
Ronan nickte ernst - doch Rhodan entging nicht das Lächeln in den Mundwinkeln.
 +
 +
Der Alte seufzte und deutete erneut entnervt auf die Zahlen und Berechnungen vor sich. “Hier…..steht….alles. Es ist sehr schön, dass ihr bereits Kenntnisse der Thematik habt, so dass ihr vielleicht aus den Aufzeichnungen lesen könnt, dass die Berechnungen präzise, exakt und nach den neuesten Erkenntnissen der Sternenkunde durchgeführt wurden. Sie beruhen wie ihr sehen könnt, wenn ihr endlich einen Blick darauf werfen würdet, anstelle euch in theoretischem Schwadronieren zu üben, auf ebensolchen Messungen, die ihr vorschlugt. Wenngleich die zugrundeliegenden Rechnungen vermutlich komplexer sind, als ihr euch vorstellen könnt. Immerhin haben wir es nicht mit einem Körper, einer Masse zu tun, die aus unserer Sphäre stammt. Das würde die notwendige Berechnung so stark versimplifizieren, dass eine einfache Triangulation vermutlich möglich wäre. Doch müsst ihr bedenken: De stella incognita ad originem! Und dazu kommt a sphaera in se stellam. Das dürfen wir bei der ganzen Betrachtung nicht vergessen. Leider erlauben uns diese Prämissen keine simple Mathematik. Ganz im Gegenteil: Nimium est absentis!! Daher müssen wir leider approximieren. Es führt kein Weg daran vorbei. Ich weiss, ich weiss, Pfeffersäcke und Leute, die sich ununterbrochen mit Geld und seinen Wegen beschäftigen, mögen solche Aussagen nicht. Die Sterne aber.” und er deutete nach oben: “Die Sterne verbergen so vieles. Sie in Zahlen fangen zu wollen wäre… eine Torheit. Man muss akzeptieren, dass wir nicht alles wissen. Und Zahlen, wenngleich sie ihre eigene Schönheit haben, niemals gänzlich die Sterne und ihre Bewegungen darstellen werden. Zahlen und die Sterne, sie werden niemals zur Gänze ihren Anmut und ihren Liebreiz vereinigen. Aber je mehr wir es versuchen, desto mehr können wir uns ihr nähern: der absoluten Schönheit.”
 +
 +
Radulf hatte sich inzwischen noch einmal den Formeln zugewandt, versuchte nachzuvollziehen, was diese aussagten. In der Tat waren die neuesten ihm bekannten Erleuchtungen der Trigonometrie eingegangen, mehr noch als das, wie er anerkennend feststellen musste, und die Bahnkurve wurde aus den vorliegenden Beobachtungspunkten scheinbar folgerichtig verlängert. Aber obwohl Hesindiard ihm mathematisch sicher haushoch überlegen war, wurde er den kritischen Eindruck nicht los, dass die Punkte nicht ideal zusammenpassten, die Approximation besser ausfiele, wenn man die ersten oder die letzte wegnahm. Wie bei einer Geschoss-Flugbahn, die auch nicht geradlinig war, sondern einen Bogen beschrieb, auch wenn der hier weit größer und vermeintlich geringer gekrümmt war. Als ob etwas an dem Stern zog, ihn von seiner Bahn abbringen wollte. Ob sich so etwas mathematisch beschreiben und berechnen ließ, in der absoluten Schönheit, von der Hesindiard faselte? Oder handelte es tatsächlich sich um ein unlösbares Problem, nicht weil die Sterne, sondern weil die Götter die Natur dieser Sache vor den Menschen verbergen wollten? "Habt Ihr Kenntnis von den analogen Aufzeichnungen vor dem Aufschlag in Arivor? Könnte man nicht eine ähnliche Entwicklung der Bahnkurve unterstellen und sich so aus den hiesigen Beobachtungen annähern?" mutmaßte der Empiriker in ihm, "wenn doch die Theorie derzeit nur von unbefriedigender Genauigkeit ist?"
 +
 +
„Natürlich habe ich Kenntnis über diese Berechnungen, und natürlich kann man keine ähnliche Bahn unterstellen.“ antwortete er Kopfschüttelnd. „jeder fallende Stern entstammt einer eigenen Sphäre. Jeder von ihnen ist ein neues Rätsel für den Verstand.“ und er tippte sich erneut gegen die Stirn.
 +
 +
Ronan unterdrückte ein Seufzen und konzentrierte sich auf das Lächeln. “Die Sterne widersetzen sich den Zahlen, da habt Ihr Recht, Gelehrter Herr von Rickenbach. Sie sind mehr als nur bloße Zahlen, sie sind selbst ein Mysterium.” Er schaute den alten Meister direkt an. “Aber Feqz, der Wächter der Sterne, hat uns den Verstand und die Werkzeugen gegeben, diesem Mysterium ein Stückchen näher zu kommen.” Er lehnte sich etwas zurück. “Meister Hesindiard, Ihr sagt, in Euren Notizen steht alles. Wollt Ihr, auch für die in der Astrologie wenig bis nicht bewanderten, aber interessierten Suchenden, erklären, was das Ergebnis Eurer Forschungen ist?”
 +
 +
Der Alte zog erneut das Pergament mit den Kreisen hervor. „Setzt euch.“ und dann begann er die Wahrscheinlichkeitsberechnungen detailliert zu erläutern.
 +
Wenn jeder Stern einer eigenen Sphäre entstammte und daher keine Ähnlichkeiten unterstellt werden durften, wie sollte man dann jemals zu einer auch nur halbwegs zuverlässigen Vorhersage gelangen? Radulf schüttelte innerlich den Kopf: die Sterne entstammten der sechsten und damit einer der inneren Sphären - einer der Sphären, in denen die göttliche Ordnung noch etwas galt, und nicht Chaos und Brodem der siebten - es musste also Gesetzmäßigkeiten geben, und aus diesen auch zwingend resultierende Ähnlichkeiten - so sehr konnten die Sphären gar nicht zerrüttet sein. Gleichwohl beschloss er, den alten Mathematikus damit nicht länger zu behelligen - er würde ohnehin nur weiter unwirsch antworten. Stattdessen hörte er sich dessen Vortrag über seine Berechnungen noch einmal geduldig an - auch wenn es genaugenommen gar nicht so unmittelbar entscheidend war, wo der Stern ganz genau aufschlug, sondern viel mehr, welche Ereigniskaskade das ganze auslöste, war diese Vorlesung doch eine wohltuende Ertüchtigung seines von den Aufgaben eines Junkers zwar allzuoft vollends eingenommenen, aber doch häufig unterforderten Intellekts.
 +
 +
Der dunkelhäutige Horasier wartete kurz ab, hielt dann sein Buch mit seinen Aufzeichnungen hoch. “Wer Interesse hat, kann ich gerne meine Aufzeichnungen zu der besagten Prophezeiung zeigen.” Damit ging Belsazar zu einem Tisch und legte Buch und Karte bereit.
 +
 +
Die Neugier übermannte sie: Leonora machte sich auf zu dem Tisch und beugte sich über die dargelegten Materialien - diesmal ohne darauf Rücksicht zu nehmen, was der Gelehrte Hesindiard von der Prophezeiung hielt.
 +
 +
Auch der tulamidischstämmige Mann in Grau hatte sich nach der Diskussion von seinem Platz am Tisch erhoben und war zu Meister Belsazar getreten. “ghalbana ma taqadam alnubu'at rasayil yumkinuna faku shafartuh (Prophezeiungen bieten oft Botschaften, die wir entschlüsseln können)…” murmelte Ronan, als er sich über das Buch beugte, neben Leonora stehend, diese aber erst einmal nicht wahrnehmend. Abgesehen von einem leichten Nicken ergänzt durch ein freundliches Lächeln. Während er die Worte las, die auf der Seite standen, sorgsam in einer feinen gestochenen Schrift, versuchte er sich nicht ablenken zu lassen. Leonora hörte, wie er leise offenbar ein Mantra murmelte: “semper memoria teneam.” Nachdem er sich den Text offenbar genau durchgelesen hatte - um ihn sich einzuprägen? - richtete er sich wieder auf, strich die graue Tunika glatt  und sah blinzelnd, als habe er in helles Licht geblickt, die junge Ritterin an. “Interessante Worte, nicht wahr?” Er runzelte die Stirn. “Aber wie es sich für eine richtige Prophezeiung gehört, recht mysteriös.” Er betrachtete die Karte. “Hm… was meint Ihr, kennt Ihr Euch in der nordmärkischen Geschichte gut genug aus, um eine Deutung vorzunehmen?”
 +
 +
“Immer das Gedächtnis… eines Holzwurms?”, überlegte Leonora, als sie das Mantra des Tulamiden aus ihrem Praiostagsschulen-Bosparano zu übersetzen versuchte. Sie erstarrte, als ihr klar wurde, dass sie unbedachter weise ihre Gedanken für ihren Ansprechpartner hörbar ausgesprochen hatte. Ihre Wangen fingen vor Verlegenheit an zu brennen. “Offen gestanden - ich kann mit den Worten nichts anfangen.”, gab sie zu. Schlimm genug, dass die Buchstaben immer zu tanzen begannen, wenn sie zu lesen versuchte, hatte sie sich in ihrer Kindheit mehr für Schwerter und Imman-Bälle begeistern können als für das Brüten über staubigen Büchern.
 +
 +
Der Tulamide in seiner grauen Tunika nickte. “Das haben Prophezeiungen so an sich, feurige Tochter des Schwertes.” Er deutete auf die Zeile mit der Feuersäule und der sich in den schwanz beißenden Schlange. “Dieser Abschnitt könnte womöglich eine Zeitangabe darstellen: ein fallender Stern zieht einen feurigen Schweif hinter sich her. Die sich in den Schwanz beißende Schlange könnte - ich betone: könnte - auf den eine astrologische Konstellation hinweisen, weshalb wir uns die Sternbilder der Schlange oder des Drachen vielleicht näher ansehen sollten.” Er runzelte die Stirn und schloss halb seine leicht schräg gestellten dunklen Augen. Einen Augenblick später öffnete er sie wieder: “Allerdings ist die Schlange derzeit nicht sichtbar.” Er schaute Leonora wieder an und deutete auf einen anderen Abschnitt. “Euch als Nordmärkerin, sagen Euch der Kamm des Berges, die Quelle des Flusses und des flüssigen Goldes sowie die Stadt der Könige etwas? Wir haben hier die Koschberge und in denen entspricht etwa die Galebra, allerdings scheint diese weniger flüssiges Gold zu führen. Und die Stadt der Könige? Und da alles ‘zwischen’ liegen soll, müssen es nahe liegende, aber doch entfernte Orte sein.”
 +
 +
Lange antwortete die junge Ritterin nichts, dann hellte sich plötzlich ihr Gesicht auf: “Honig!” Als sie einen verständnislosen Blick des Tulamiden erntete, fügte sie hinzu: “Imker nennen Honig auch ‘das flüssige Gold’. Es ist kein Fluss gemeint, sondern eine Stadt - Honingen!” Leonora sah sehr zufrieden mit sich aus.
 +
Dann legte sich wieder eine Falte über ihre Stirn. “Was die Flüsse angeht, gibt es im Norden auch die Tommel, aber wo ihre Quellen sind… keine Ahnung...” Sie spitzte nachdenklich ihre Lippen. “Und die Stadt der alten Könige - vielleicht sind keine Menschenkönige gemeint? Zwergenkönige… Xorlosch!” Die junge Ritterin strahlte über beide Wangen. Sie spürte, dass sie einen “Lauf” hatte, wie man beim Imman sagte (das sie natürlich nicht spielte).
 +
Fieberhaft überlegte die Kriegerin: “Kamm des Berges, Kamm des Berges… Gebirge gibt es hier viele… Ingrakuppen? Hatten wir schon, Xorlosch.” Sie tippte sich mit ihrem Zeigefinger auf die Lippen, während ihre Augen zur Decke gerichtet waren. “Koschgebirge, Bergkamm… Berg…. - grat? Bei einem felsigen… Gratenfels!” Leonora unterdrückte den Impuls, vor Freude auf und ab zu hüpfen. Sie räusperte sich, strich ihr Wams gerade, versuchte ihrer Stimme einen sachlichen Ton zu geben. “Drei davon waren Orte. Dann könnte ‘Quell des Flusses’ auch ein Ort sein.” Sie beugte sich über die Karte auf dem Tisch. “Galebquell?” Diesmal klang sie nicht so überzeugt.
 +
 +
Der Mann in Grau hörte der jungen Ritterin zu. Dann dachte er nach. “Hm… Xorlosch, ja, die Stadt der alten Könige.” Ronan zog aus seinem Beutel ein Diptychon und einen Griffel hervor und begann zu skizzieren. Oben waren mehrere sanft geschwungene Linien, dann einige größere Punkte und schließlich einige zackige Gebilde.
 +
 +
“Versuchen wir mal zu notieren. Hier oben…” Er fuhr die die Linie am oberen Rand entlang. “... haben wir die Nabla, den Grenzfluss der Nordmarken. Darunter ist die Ambla - beide fließen in den Großen Fluss.” Er deutete auf die dritte Linie, die etwa in der Mitte der Seite verlief. “Das hier ist die Tommel.” Er grinste und rieb sich durch den dunklen Haarschopf. “Ich bin kein guter Kartograph, aber ich versuche es irgendwie hinzubekommen.” Leonora betrachtete das halbwegs erkennbare Kunstwerk. “Die Tommel entspringt irgendwo nördlich von Gratenfels in den Bergen. Die Galebra hier…” Er fuhr die mittlere Linie, die am rechten Seitenrand des Diptychons entstand und in einem geschwungenen Bogen nach unten führte. “... entspringt bei Galebbogen im Kosch und windet sich südwärts zum Großen Fluss.” Dann deutete er auf einige Kreise und setzte dann immer einen Buchstaben hinzu. “Hier ist Gratenfels, hier irgendwo Xorlosch und hier Galebbogen und dort oben Tommelsbeuge.” Er fuhr mit der flachen Hand einen Kreis zwischen Flüssen und Städten. “Und das alles ist das Gratenfelser Becken.” Er schaute auf das Gekrakel und runzelte die Stirn. “Können wir damit etwas anfangen?” Er schaute die Ritterin lächelnd an. “Galebquell heißt übrigens die Baronie, Galebbogen der Hauptort.” “Xorlosch, die Stadt der alten Könige? Der Kosch als Bergkamm? Dann hätten wir schon eine Linie. Quelle des Flusses. Hm… Und dem flüssigen Goldes. Meint es ‘Quelle des Flusses UND des flüssigen Goldes, also eine Art Doppelquelle? Oder sind es zwei Orte? Honingen und die Quelle der Tommel?”
 +
 +
Was der Südländer nur mit den ganzen Flüssen hatte? Leonora verstand nicht, worauf er hinauswollte, doch… “Hier, auf Eurem Plan: die vier Punkte - die vier Orte - sie bilden eine Raute. Eine ziemlich genaue, sogar. Hier soll der Stern herunterfallen. Dass es in dieser Gegend, im Gratenfelser Becken abstürzen soll, das haben ja auch die Berechnungen von Meister Hesindiard ergeben.” Ihr Finger fuhr über die Zeilen der Prophezeiung, damit die Buchstaben nicht so wild hüpften. “Wir müssen warten, bis die Feuersäule erscheint - ist der Schweif eines Kometen gemeint?” Eine der Erkenntnisse, die Leonora aus den wenigen Lehrgesprächen mit dem Gelehrten gewonnen hatte, war, dass Kometen Sterne sind, die am nächtlichen Firmament verglühen. “Und die Feuersäule erscheint, wenn die Schlange sich in den Schwanz beißt. Sternbild der Schlange? Im Hesinde-Mond? Dann müssen wir ja lange warten… Kann sich die Schlange woanders in den Schwanz beißen? Oder hat der Stern schon seit dem Hesindemond angefangen abzustürzen?”
 +
 +
“Da stehen wir vor einem großen Rätsel, Meisterin der Klinge.” antwortete Ronan und betrachtete die Raute, deren verbundene Ecken auch im Gratenfelser Becken einen Ort aufzeigten. “Das Sternbild der Schlange ist derzeit unter dem Horizont, der nächste Hesinde-Mond noch weit entfernt.” Er lächelte die junge Frau an. “Astrologische Prophezeiungen sind eine Mischung aus Bauchgefühl und Berechnung, möglicherweise wird uns ein weiterer Blick in den Sternenhimmel weiterhelfen. Aber für den Moment, tapfere Schwerttänzerin in heiterer Nacht, bin ich einfach ratlos.”
 +
 +
“Schwerttän…?”, echote Leonora verwundert, nicht minder verwirrt von den Äußerungen des Tulamiden als von der Prophezeiung. “Und was ist mit den Augen - zwei Augen, und dann ein drittes… Drei Augen, niemand hat drei Augen - oder?”
 +
Ronan grübelte. “Ich hörte davon, dass der Drachenkaiser des Horasreiches ein Drittes Auge besitzt, welches große magische Macht verleiht.” Er zuckte mit den Schultern. “Aber ich habe ihn mehrfach gesehen und er hatte kein drittes Auge auf seiner Stirn. Doch trug er auch ein Diadem, möglicherweise war es darunter?” Er wiegte seinen Kopf hin und her. “Aber, es gab einst ein Volk auf den Zyklopeninseln, welches Mada verehrte. Sie besaßen Forschungsergebnissen zufolge drei Augen. Zwei wie wir und ein schwarzes, wie aus Obsidian auf der Stirn.”
 +
 +
“Drachenkaiser… Zyklopeninseln…” Leonora kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht mehr nur die blumigen Namen, mit denen der Tulamide sie bedachte. Jetzt nannte er auch so viele exotische Personen, Orte, Begebenheiten, die sogar in Verbindung mit dieser Suche stehen können. Die Ritterin war regelrecht bezaubert. “Und sind diese dritten Augen - böse?”, fragte sie, ihre Stimme vor Ehrfurcht senkend.
 +
 +
“Mächtig.” antwortete er. “So wie die Zauberkraft oder die Fähigkeit zur Zauberei.” Er lächelte verhalten. “Es kommt darauf an, was derjenige mit dieser Gabe tut. Aber nein, stählerne Schönheit, das dritte Auge scheint nach allem, was ich herausgefunden habe, nicht von sich aus böse zu sein.”
 +
Leonora zuckte mit den Schultern, beugte sich dann wieder über die Prophezeiung. “Und die Ketten? Welche Ketten bersten, und wer ist der König der Könige?”, fragte sie weiter.
 +
“Das, Wagemutig Suchende auf dem Pfad dunkler Geheimnisse…” Ronan zuckte kurz mit den Achseln. “... werden wir im Laufe unserer Queste herausfinden müssen. Prophezeiungen sind nie eindeutig, denn sie sind Hinweise der Götter - und die Götter stellen uns auf die Probe.”
 +
***
 +
 +
Nach einer Weile des Beratens, erhob der Hohe Lehrmeister wieder sein Glöckchen und rief damit zur Ruhe und Aufmerksamkeit auf. “Wie ich heraus höre sind wir uns einig, das es ins Gratenfelser Becken gehen wird. Den Vorschlag der Mentorin Nirjaschka, ein besseres und größeres Teleskop in Anspruch zu nehmen, halte ich dennoch für keine schlechte Idee. Doch vertraue ich der Mehrheit der klugen Köpfe der Versammelten. Ich bitte euch, ein jeder der für den Weg über Kyndoch - Honingen ist, erhebe die linke Hand. Und ein jeder der für den Weg über Twergenhausen ist, erhebe bitte die Rechte.” Aufmerksam wartete der Hesindegeweihte ab.
 +
 +
Doratrava hatte ihre Jonglier-Übungen eingestellt und sich wieder zu Meta gesellt. Sie raunte der Schildmaid zu: “Du hast mich angeheuert. Also musst du sagen, welchen Weg wir nehmen sollen.” Sie hoffte auf den Weg über Kyndoch, dann musste sie nicht in Twergenhausen Erinnerungen auffrischen.
 +
Meta war kurz etwas verwirrt. “Aber klar, ich hab dich angeheuert, und reichlich belohnen möge dich der alte Sack.” Sie schwieg kurz, ließ ihre blaugrauen, undefinierbaren Augen über die Beteiligten schweifen. “Wir halten uns an der aufgemotzten Rahjani. Mein Herr ist mit ihr verwandt und meine ehemalige Herrin Domna Verema nun ebenfalls. Also werden wir wohl oder übel mit dem Schiff fahren. Du hältst das aus?”
 +
 +
Soweit Doratrava überhaupt etwas mit Valeria zu tun gehabt hatte, war diese ihr für eine Rahjani ungewöhnlich schnippisch und arrogant vorgekommen, aber sie musste ja kein Tänzchen mit der Frau wagen (obwohl … das wäre sicher eine interessante Erfahrung - für beide). Also sah sie da kein Problem. “Sicher, warum nicht?” antwortete die Gauklerin. “Dann machen wir es so.” Die erste Bemerkung Metas irritierte Doratrava schon viel eher. Bei der “Anwerbung” durch Meta hatte sie gedacht, sie hätte etwas falsch verstanden, denn es war bisher immer so gewesen, dass der, der bestellte, auch bezahlte. Aber nun schien die Knappin tatsächlich der Meinung zu sein, der alte Zausel würde für ihre Begleitung und seine Unterhaltung bezahlen … das mit dem Zahlen tanzen war dann vielleicht doch nicht so abwegig … oder geometrische Muster … oder mit Tintenfässchen jonglieren … Sie musste schon wieder kichern und beschloss, die Sache auf sich zukommen zu lassen, so, wie sie es meistens tat.
 +
Als sie dann sah, dass Valeria sich allerdings für die Twergenhausen-Route entschied, trat einer säuerlicher Ausdruck auf Doratravas Gesicht. ‘Nun, Pech gehabt’, dachte sie bei sich, sagte aber nichts.
 +
 +
Meta bemerkte den ungewohnten Ausdruck auf dem Gesicht der Gauklerin. Beruhigend strich sie ihr über den Arm. Keiner sollte es sehen, sie bewahrte eine neutrale Miene und flüsterte der hübschen Frau zu: “Dora, was auch immer es ist, hab keine Angst. Ich mag unwichtig sein, man schenkt mir kaum Beachtung, oder nimmt mich als bloß gleichaltrige, stell dir das vor, Frau wie Valeria wahr. Aber ich tue was ich kann, um die, für die ich mich verantwortlich fühle, zu schützen.”
 +
 +
Doratrava nickte nur, wenn auch ihre Gedanken auf Wanderschaft gingen: ‘Huch, sie fühlt sich für mich verantwortlich. Na, das ging aber schnell …’
 +
 +
Valeria war eher nach einer Fahrt auf dem Fluss, als dem tagelangem Sitzen auf ihrem Damensattel und ihrer störrischen Stute unter dem Hintern. Darüber hinaus wollte sie dem Alten in die Suppe spucken. Sie mochte ihn nicht. Was die bessere Lösung für das Vorhaben der Gruppe war konnte und wollte sie nicht bewerten.
 +
 +
Ohne Umschweife hob Geron seine linke Hand. Er hatte die Idee annähernd anderthalb Wochen mit der Reise nach Twergenhausen zu verschwenden von Anfang an nicht gut gefunden. Je eher sie in Schweinsfold waren, desto besser würde er sich fühlen. Zudem hätten sie die Zeit um Vorbereitungen zu treffen und auch Nachforschungen zu dem Königskind anzustellen. Vielleicht konnte dabei seine Schwester helfen oder auch Mutter Elva.
 +
 +
Auch wenn sie sich nicht dazu abgesprochen hatten, stimmte Relindis aus denselben Beweggründen wie Geron für die Reise flussabwärts gen Kyndoch und von dort über Honingen gen Schweinsfold.  In ihrer Entscheidung bestärkt wurde sie durch Akka, die in diesem Moment mit einem freudigen Schnattern jäh nach links davon watschelte. Mochte es für einen unbedarften Außenstehenden nur nach einer gefräßigen Gans aussehen, die nach einigen während des vorangegangen Mahls herabgefallenen Brosamen gierte, so spürte Relindis darinnen den Willen der gütigen Mutter, so schnell und auf kurzer Strecke wie möglich zum Ort der Prophezeiung zu streben.
 +
 +
Lessandero fuhr auf der Karte die beiden Strecken nach, dann entschied er sich für Kyndoch - Honingen, denn flussabwärts ging es deutlich gemütlicher als durch die Stromschnellen und Engpässe gen Twergenhausen. Und bis nach Honingen gab es gut ausgebaute Straßen und nicht nur so alte Karrenwege.
 +
 +
Nach dem mühsamen Studium der Prophezeiung, aus der sie nicht recht schlau wurde und die sie sich obendrein auch nicht gut merken konnte, war die Zeit der Eigensinnigkeit für die junge Ritterin von Heiternacht vorbei. Sie wäre hier völlig verloren, wenn sie sich auf ihren eigenen Überlegungen verlassen müsste… Außerdem hatte sich vorgenommen, den Alten zu begleiten, weswegen sie wieder seine Nähe suchte. Als sie neben ihm stand, raunte sie ihm zu: “Für welche Strecke entscheidet Ihr Euch? Ich will Euch gerne dabei begleiten.”
 +
 +
Der Alte zuckte mit den Achseln. Ihm war es relativ egal. Beide Wege führten durch Gebiete derselben Aufschlagswahrscheinlichkeit. Und keine würde sie schneller ans Ziel bringen.
 +
Die junge Kriegerin machte ein langes Gesicht. Der betagte Gelehrte wusste doch sonst genau, was er wollte?
 +
Insgeheim, merkte sie gerade, hatte sie gehofft, dass Hesindiard sich für eine Reise über Twergenhausen entscheiden würde. Und zweifellos, musste sie sich eingestehen, war ihre Hoffnung gewesen, durch das dortige Teleskop in die Herrlichkeit des Nachthimmels zu blicken - am Liebsten unter der kundigen Führung des Alten.
 +
Vorsichtig schlug sie vor: “Dann… lasst uns doch überprüfen, ob das Twergenhausener Teleskop tatsächlich Mist ist.”
 +
 +
“Nicht das Teleskop ist Mist.” antwortete der Alte: “Nur sein Käufer. Mit ...hoher Wahrscheinlichkeit.” Er seufzte. Und dachte an den erhebenden Anblick in den Himmel aus den Goldfelsen. “Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass das Teleskop irgendwelche neuen Erkenntnisse bringt. Vermutlich wird es uns nur Zeit kosten, weil all diese geistlosen Schwätzer und Möchtegern-Gelehrten einen Blick durch ein Teleskop werfen wollen, das ein ebensolcher geistloser Schwätzer aufgestellt hat. Warum ich das denke, werde ich euch gerne auf dem Weg erläutern… Etwas anderes... habt ihr diese Prophezeiung gelesen? Was haltet ihr von ihr? Ist sie sinnig?” Er kam näher und flüsterte: “Wisst ihr, Propheten ohne die rechte Bildung vergessen mitunter die Unschärfetheorie zu betrachten, wenn sie geistlos ihre Ideen jagen.”
 +
Die Angesprochene überlegte kurz angestrengt. Dann antwortete sie: “Ich glaube, es ist eine von den Prophezeiungen, die erst hinterher stimmen.”
 +
“Dann müssen wir uns ja auch um die Unschärfetheorie keine Sorgen machen.” grinste der ALte zufrieden.
 +
Wissend - oder eher: vortäuschend, dass sie verstand, was Hesindiard sprach - nickte Leonora.
 +
 +
Als ob es in Frage stand, welcher Weg der Richtige war? In Tagen, in denen die Zeichen auf Krieg standen, würde Radulf in einer wichtigen Mission lieber einen Umweg in Kauf nehmen, als ohne allzu große Not durch fremdes Territorium zu reisen, selbst wenn dieses nur Albernia war. Es war ja schließlich nur zu gut bekannt, wie treu und verlässlich die Albernier immer waren. Die Route alleine durch die Nordmarken war die einzig sinnvolle Entscheidung für den Magus. Zumal auch ihn das so viel besprochene Twergenhausener Teleskop lockte.
 +
 +
“Weise Hesinde, es sei!” sagte Elador als er die Stimmen gezählt hatte. “Ich würde vorschlagen, das jeder den Rest des Tages dazu nutzt, sich auf diese Mission vorzubereiten. Ich bitte dann alle, morgen sich  zur ersten Rahjastunde am Hafen einzufinden. Und nun entschuldigt mich, ich habe etwas zu ´organisieren.” Der Hohe Lehrmeister verneigte sich kurz und verließ dann die heilige Halle.
 +
 +
= Misstrauen=
 +
 +
Wütend und frustriert stand Geron da, die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ein leises drohendes Knurren drang aus seiner Kehle und er stapfte aus dem Tempel. Draußen schlug er den Weg in Richtung der Magierakademie ein, da ihn dieser tiefer in den Park bringen würde. An einer Eiche blieb Geron stehen und rammte seine Faust mit aller Macht gegen den Stamm des Baumes. ‘Wie konnte man nur so blind gegenüber der Gefahr für die Bewohner des Landstrichs sein?’ Wieder krachte seine Faust gegen den Baum.
 +
 +
“Aber … aber, junger Mann …”, hinter Geron erklang die liebliche Stimme einer jungen Frau, “... darf ich erfahren was Euch so sehr in Rage bringt?” Die Geweihte Valeria hatte einen Kelch in der Hand und aus ihren Augen blitzte dem Ritter eine Mischung aus Neugier und Spott entgegen. “Ist es vielleicht gar dieses ermüdende Beisammenstehen zwischen all den Büchern und Schriften?” Sie simulierte ein Gähnen.
 +
 +
Mit noch immer zu Fäusten geballten Händen drehte sich der Ritter langsam zu ihr um. “Ihr.” knurrte er. “Ihr gehört doch zu den denen, die lieber zwei Wochen damit verschwenden wollen um ein, nur eventuell, genaueres Teleskop zu begaffen, anstatt direkt ins Becken zu reisen.” Sie konnte sehen, dass er vor unterdrücktem Zorn zitterte und nur noch ein kleiner Funke fehlte um diesen zu entladen.
 +
 +
Auch Relindis war Geron hinterher geeilt - hoffentlich holte sie ihn rasch ein. Da vorne war er ja… und die Rahjageweihte auch, die offenbar schneller als sie gewesen war. Die junge Geweihte wog schnell ab, ob sie sofort zu den beiden stoßen sollte, doch sagte ihre Intuition ihr, zuerst  Akka abzufangen, die ihr gerade vor Empörung ob ihres unvermittelten Aufbruchs laut schnatternd auf den Fersen war.
 +
 +
Da hörte Geron das zunehmend lauter werdende Geschnatter einer Gans und als er einen Blick über Valerias Schulter hinweg warf, konnte er auch das kurze Aufblitzen von orangefarbenen Stoff erkennen. Der leichte Wind trug ihm zudem den vertrauten Duft von Relindis zu, so dass er genau wusste, wer da hinten war. Seinen Blick wieder der Rahjani zugewandt, versuchte er sich zu beruhigen und zwang seine Fäuste sich zu öffnen. “Ihr wollt wissen, was mich so in Rage bringt? Ihr und Euresgleichen, die nur an den Profit denken oder glauben, dies sei nur ein netter Zeitvertreib.”
 +
 +
“Ah …”, entfleuchte es der Kehle Valerias, ohne dass das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand, “... Ihr scheint mich ja sehr gut zu kennen. Oder sind es bloß Vorurteile, die aus Euch sprechen? Eine einfache Rahjani … was wird die denn hier schon wollen, außer sich selbst zu bereichern.” Sie schüttelte sanft ihren Kopf. “Ihr kennt meine Triebfeder nicht und würdet es auch nicht verstehen, aber das soll hier und jetzt ja nicht das Thema sein. Ja, es interessiert mich was Euch so in Rage zu bringen vermag. Ist es die Reise nach Twergenhausen? Was wäre denn die Alternative? Auf gut Glück ins Gratenfelser Becken zu reisen? Von wievielen Rechtmeilen sprechen wir denn dabei? Sind es 1.500? Oder 2.000?” Valeria nahm einen Schluck vom Wein, der erstaunlich gut mundete. “Ich denke wir sollten uns schon so sicher wie möglich sein wo wir genau hinmüssen. Meint Ihr nicht?”
 +
 +
“Dann studiert die Prophezeiungen etwas genauer und vielleicht wird sich euch ein kleineres Gebiet erschließen, welches zu erkunden gilt. Das sind dann eher 150 bis 200 Rechtmeilen, von denen ich spreche. Außerdem könnten wir, wenn wir direkt in die Mitte des Beckens reisen, dort bessere Messungen vornehmen und auch schnell reagieren. Zudem können wir von dort sehr schnell jeden Ort im Becken erreichen. Und wenn der Stern dort wirklich aufschlägt, werden Menschen sterben. Versteht Ihr was das bedeutet? Ach, und ich habe Eure Reden im Tempel gehört. Und selbst wenn ich das nicht hätte, so wüsste ich es aus Eurer Wahl der Gruppe zu schließen, weshalb Ihr hier seid.” Er schnaubte abfällig. “Also, verplempert ruhig Zeit und fahrt nach Twergenhausen.” Einen kurzen Moment musterte er die vor ihm stehende Frau von Kopf bis Fuß. “Euer Gnaden.” Dann machte er Anstalten sie einfach stehen zu lassen.
 +
 +
Die Naivität des Ritters hatte eine belustigende Wirkung auf Valeria, dennoch ließ sie sich äußerlich vorerst nichts anmerken. “Und wenn die Prophezeiung irrt?” Die Geweihte ließ ihm keine Zeit für eine Antwort. “Meinen Namen trage ich im Übrigen nicht nur aus Stilgründen. Ich bin Horasierin und seit Arivor wissen wir wie gefährlich ein fallender Stern sein kann. Auch wenn wenn man die Bevölkerungsdichte des Gratenfelser Beckens nicht mit jener der Gerondata vergleichen kann und die Wahrscheinlichkeit für Fatalitäten um ein vielfaches geringer ist. Wenn Ihr den Menschen wirklich helfen wollt, dann setzt alles daran jene zu warnen, die es betreffen wird und genau das könnt Ihr nur wenn wir wissen wo genau es passieren wird. Wenn sich unsere Erkenntnisse am Teleskop mit der Prophezeiung decken, dann wäre das umso besser.”
 +
 +
“Und wie wollt Ihr die Leute rechtzeitig warnen, wenn Ihr zu spät kommt? Hm?” Er deutete in die grobe Richtung in der Twergenhausen lag. “Ihr braucht mit dem Schiff geschlagene anderthalb bis zwei Wochen, nur um die Stadt zu erreichen und anschließend braucht ihr nochmal vier, fünf Tage bis ihr im Becken seid. Laut einem der Gelehrten da drin wird der Stern innerhalb der nächsten zwei Wochen aufschlagen. Dagegen würde die Reise ins Gratenfelser Becken nur sieben oder acht Tage dauern. Und wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es doch ein Teleskop in einer der Gruppen. Warum also nicht dieses mitnehmen und vor Ort im Becken den Stern beobachten?” Er sog tief Luft ein und starrte dann durch seine dunklen Brillengläser Valeria an. “Vergesst es einfach. Gehabt Euch wohl.” Damit ging er nun wirklich an ihr vorbei, tiefer in den Park.
 +
 +
Die Geweihte ließ sich jedoch nicht abschütteln. “Und wen genau wollt Ihr warnen? Und wo sollen die Menschen hin? Es ist doch bisher nicht einmal klar wie groß und gefährlich dieser Stern ist. Auch der Stern nahe Arivor hat die Stadt nicht durch die Macht seines Einschlages direkt vernichtet. Er hat eine Kettenreaktion ausgelöst, die zur Zerstörung der Stadt führte, da der Boden in der Gerondata unterhöhlt war. Solcherlei Gegebenheiten sind mir im Gratenfelser Becken nicht bekannt, doch vielleicht wissen die Gelehrten hier mehr dazu. Was ist Euer Plan? Die Menschen mehrerer Baronien willkürlich zu evakuieren … und das aufgrund einer Prophezeiung?” Valeria schüttelte ihren Kopf. “Nein, wir werden uns den Stern durch das Teleskop ansehen - bevor es in den Krieg geht, sollte man sich immer vergewissern wer der Feind ist, den man zu bekämpfen trachtet. Dann können wir die Menschen mithilfe der Kirchen warnen. Ich selbst habe die Fähigkeit mit Belhanka zu kommunizieren … jederzeit. Andere Brüder und Schwestern in Twergenhausen werden dies wohl auch können. So verbreitet sich das Wort viel schneller als wenn Ihr mühsam beginnt Adelshöfe abzuklappern.”
 +
 +
Geron blieb abrupt stehen und baute sich vor Valeria auf. Seine Maske war nur einen Halbfinger von ihrem Gesicht entfernt. Roter Glanz erhellte die Brillengläser von innen heraus. “Ihr solltet jetzt gehen, bevor ich mich vollends vergesse.” grollte er bedrohlich. Er musste weg von diesem Weib, bevor er vollends die Beherrschung verlor und das Tier übernehmen würde. Er konnte spüren wie es sich beinahe vollends von seinen Ketten befreit hatte und nach dem Blut der Frau lechzte.
 +
 +
Der Blick der jungen Frau war unbewegt und ohne Furcht. Als der Ritter ihr bedrohlich nahe kam, wich sie nicht zurück. Stattdessen schob sie, in einer kaum wahrnehmbaren Bewegung, ihre freie Rechte in den seitlichen Schlitz ihres Kleides und holte etwas daraus hervor. Hinter Valeria erkannte Relindis den schlanken Dolch, den die Geweihte nun hinter ihrem Rücken hielt. “Ihr droht einer schutzlosen Geweihten der Rahja?”, kam es beinahe schon herausfordernd.
 +
 +
Was wurde hier gespielt? Relindis Atem stockte für einen kurzen Moment, als sie der hinter dem Rücken gezückten Waffe gewahr wurde. War es Furcht oder Hinterlist, die die Rahjani trieb? - Nein an Arglist konnte und wollte sie nicht glauben - auch wenn Valeria vorhin noch so gierig wirkte, war sie immer noch eine Dienerin einer friedliebenden Göttin,  so wild deren Kult auch bisweilen daherkam.
 +
 +
Geron war ein so lieber Mensch, aber nach dem Gebaren und den Äußerungen Valerias im Tempel konnte sich Relindis gut vorstellen, dass er in seiner gegenwärtigen Aufgewühltheit mit der Rahja-Geweihten aneinandergeraten war... und wenn man ihn nicht besser kannte,  konnte er schon furchteinflößend sein, selbst mit Maske...
 +
Sie musste den Streit schnell schlichten und die beiden auseinanderbringen, ehe hier noch ein Unglück geschah. Sie gab Akka einen Schubser in Gerons und Valerias Richtung. "Schnell, meine gute Freundin. Schnell."
 +
 +
Schnatternd setzte sich die Gans in Bewegung und watschelte eilig auf die beiden zu, dicht gefolgt von Relindis, deren Laufschritt Akka schließlich sogar zu einem flügelschlagenden Sprint veranlasste. Wohin trieb ihre menschliche Gefährtin sie nur? Akka nahm mit jedem Schritt deutlicher die Aura des aufgebrachten Raubtieres vor ihr wahr, die von dem vorhin noch so freundlichen Mann ausging. Kurz bevor sie angelangte wich sie daher ängstlich zur Seite aus und erhob sich sogar in die Lüfte, um der Gefahr zu entrinnen.
 +
 +
"Schnell, haltet sie auf, ehe sie entwischt!" rief Relindis laut, als sie sich sicher war, dass genau dafür keine Chance mehr bestand. "Zu spät!" kam sie, etwas übertrieben keuchend, bei den beiden an.  "Manchmal macht mich das eigensinnige Vieh verrückt!" Das stimmte sogar, jetzt aber gerade gar nicht - was sie aber auch nicht behauptet hatte, wie sie zur Beruhigung ihres Gewissens für sich konstatierte.
 +
"Aber gut, dass ich Dich sehe, Geron. Ich muss unbedingt mit Dir reden!" sprach sie zuerst Geron an, ehe sie ihren Blick Valeria zuwandte. "Ich hoffe, ich störe Euch nicht bei einer wichtigen Unterredung." Ihre etwas zu hohe Tonlage und die hektisch vorgetragenen Worte verrieten ihre Aufregung und ihr Unbehagen angesichts der kleinen Scharade. Rasch aber fasste sie sich. Mit ruhigerer, ja sanfter Stimme, fragte sie, von einem zur anderen blickend, nach: "Alles in Ordnung bei Euch? Kann ich Euch beiden helfen?" Hoffentlich ließ sich aus der Welt schaffen, was geschehen war.
 +
 +
Valeria warf ihre Stirn in Falten und ließ ihren Dolch unauffällig dort verschwinden, wo sie ihn zuvor hergenommen hatte. Ein Mann, der so bereitwillig eine Dienerin der Zwölf bedroht hatte etwas zu verbergen. War er ein Dämonenknecht, oder diente er dem Dreizehnten? Sie würde ihn im Auge behalten. Relindis hingegen schenkte sie ein freundliches Lächeln. "Alles in Ordnung, Schwester …", säuselte sie, "... der hohe Herr und ich hatten uns ein wenig die Beine vertreten und den Tag Revue passieren lassen."
 +
 +
Sollte sie Valeria und Geron mit einem derartigen ungelösten Konflikt auseinander gehen lassen? Was würde dies bedeuten, wenn sie wieder aufeinandertrafen? Durfte sie die Rahjani mit dieser offensichtlichen Notlüge ziehen lassen? Relindis’ erster Impuls war, Valeria aufzuhalten und zur Aussprache zu bitten. Immer deutlicher aber spürte sie die starke Anspannung Gerons - die nicht einfach nur wie eine Regung gewöhnlicher, im Zaum gehaltener Reizung oder gar Zorns, sondern wie die eines Raubtieres wirkte, bereit zum Sprung auf seine Beute. Welche Worte waren nur in den wenigen Augenblicken gefallen? Es war besser, Valeria ziehen zu lassen, rasch, sonst konnte hier immer noch etwas geschehen. "Dann bin ich erleichtert." gab sie hastig zurück, das Lächeln kurz erwidernd. Ihre kraus gezogene Stirn und ihre Augen verrieten jedoch ihre Sorge. Sie wandte sich Geron zu und sah diesen beschwörend an.
 +
 +
Geron brauchte eine ganz Zeit um sich wieder zu fangen. In dem Moment da die letzte Kette gefallen und sich die Bestie befreit hatte, war Relindis erschienen und das Tier, welches gerade noch triumphierend die Führung ergreifen und die Frau vor ihm töten wollte, hatte sich vor Enttäuschung aufbrüllend zurückgezogen. Er blinzelte mehrmals und die Frauen konnten sehen wie das rote Glühen erst nachließ und dann gänzlich verschwand. Immer noch von unter den Nachwirkungen seines Beinahe-Kontrollverlustes leidend, schüttele Geron mehrmals den Kopf. Er wirkte nun deutlich gefasster und die pure Aggression, welche er gerade noch ausgestrahlt hatte, hatte einer deutlich gefassten Haltung Platz gemacht.  Er bedachte die Rahjani mit einem langen, nachdenklichen Blick, bevor er sich zur Gänze Relindis zuwandte. Er bot ihr seinen Arm. “Du wolltest mich sprechen? Lass uns ein Stück gehen.” meinte er mit rauer Stimme.
 +
 +
Valeria ließ ihren Blick für einen Moment zwischen den beiden anderen hin und her schweifen. Immer noch wirkte sie äußerlich unbeeindruckt. Innerlich schwor sie sich jedoch, dass sie diesen Mann im Auge behalten würde. Es war klar, dass auch die Feinde der Zwölfgötter ihre begierigen Finger nach dem Stern ausstrecken. Dass sie dies nun damit rechtzufertigen versuchten, die Menschen vor der Gefahr herabfallender Sterne zu schützen, empfand die Rahjani als besonders perfide. Niemand hier, das schwor sie sich, würde Schaden durch diese verkommene Seele erleiden müssen. So verabschiedete die Geweihte sich wortlos und ging in Richtung des Tempels zurück, nur um aus dem Sichtfeld der beiden anderen umzukehren und ihnen unauffällig zu folgen.
 +
 +
Ängstlich beäugte Akka, wie ihre Gefährtin tatsächlich den Arm des Mannes ergriff, der auf einmal aber auch gar nicht mehr so gefährlich wirkte. Sie beschloss, in sicherem Abstand hinterherzuwatscheln und dabei gut auf ihre flügellose Freundin aufzupassen.
 +
“Geht es wieder bei Dir, Geron?” fing Relindis mit sanfter Stimme an. “Du schienst ganz außer Dir. Waren es die Wahl der Reiseroute und die falsch gewichteten Prämissen, unter denen diese erfolgte und die auch mir nicht gefielen, oder ist noch etwas zwischen Dir und Ihrer Gnaden vorgefallen?” fragte sie offen heraus. Lediglich die gezückte Klinge sprach sie zunächst nicht an.
 +
 +
Der Ritter antwortete nicht sofort auf die Fragen, sondern führte Relindis auf eine kleine, abgelegene Lichtung inmitten des Parks. Langsam nahm er Maske und Brille ab und lehnte sich dann schwer gegen einen Baum. Unter der Maske und der Brille war ein markantes, von einem sauber gestutztem Vollbart geziertes und durchaus nett anzusehendes Gesicht zum Vorschein gekommen. “Die Entscheidung nach Twergenhausen zu reisen und ein paar der Dinge die drinnen gesagt wurden haben mich hinausgetrieben und als ich dabei war, meine innere Ruhe wiederzufinden, da kam die Geweihte und hat mich mit ihrer Art immer weiter gereizt.” Er setzte an noch mehr zu sagen, doch…
 +
 +
Die junge Geweihte schlich sich im Schutz der Bäume an die Lichtung an. Immer gegen den Wind, so wie sie es gelernt hatte. Als der Ritter seine Maske abnahm, zog sie ihre Augenbrauen zusammen. ´Rahja hilf´, dachte sie bei sich, blieb jedoch ruhig.
 +
 +
Auf die Distanz konnte Valeria nichts Ungewöhnliches feststellen. Doch noch bevor er die Maske ganz abgelegt hatte, ruckte Gerons Kopf hoch und eiligst zog der Ritter wieder die Brille auf, bevor er einen suchenden Blick auf den Bereich richtete wo sich Valeria versteckte. Mit einer geübten Handbewegung zog er die Riemen der Maske wieder straff, während er ein paar vorsichtige Schritte in die Richtung tat,  aus der er das Geräusch gehört hatte.
 +
 +
Die junge Frau rollte mit ihren Augen, als der Ritter sich in ihre Richtung aufmachte. Wieder zog sie den, mit äußerst potenten Boronstropfen präparierten Dolch aus seiner versteckten Scheide an ihrem Oberschenkel. ´Verfluchter Dämonenbuhle´, knurrte sie innerlich und machte sich bereit ihm notfalls in den Rücken fallen zu können.
 +
Unvermittelt blieb Geron stehen und drehte sich zu Relindis um. “Hier können wir nicht offen reden. Lass uns woanders hingehen.”
 +
 +
Das war ihr Stichwort. Hier gab es wohl nichts mehr zu erfahren. Die offene Konfrontation würde sie nicht suchen, auch die Rolle des Aggressors war nicht die ihre. Aber sie würde sich und die anderen verteidigen. Mit einem Gedanken an die Traviageweihte, die sie nun alleine zurückließ, wandte sie sich um und ging zurück in Richtung des Tempels.
 +
 +
Beunruhigt sah sich Relindis um - konnte jedoch nichts Verdächtiges ausmachen. Doch wusste sie darum, dass Geron, ebenso wie seine Schwester Khorena, weit schärfere Sinne als die allermeisten anderen, sie eingeschlossen, hatte, und vertraute daher seinen Instinkten. Noch immer war sie mit einem nicht nur leichten Schaudern des Dolches in Valerias Hand, in der Hand einer Götterdienerin!, aber auch Gerons Rage eingedenk. Es galt, einen weiteren Zusammenstoß zwischen den beiden wenigstens in der jetzigen Gemütslage zu vermeiden. Sie nickte daher: "Du hast Recht, wo sollen wir hingehen? Sollen... ich meine... dürfen wir Onkel Hesindian besuchen?" Dort wären sie unter Vertrauten, und sie könnte auch noch, trotz der Kürze ihres Aufenthalts, Leuenhard und Eberwin in Augenschein nehmen und Travias Segen wünschen.
 +
 +
Geron dachte darüber nach, schüttelte aber dann den Kopf. “Ich möchte sie nicht in Gefahr bringen, indem ich einen Verfolger zu ihrem Haus führe.” Der Wind trug einen Geruch zu ihm, den er mit der Rahjani verband. Nun wusste er, wer sie beschattet hatte. Er konnte fühlen wie etwas in seinem Inneren an den Ketten zog, aber nur halbherzig. Um sicherzugehen zog er seine Waffe und ging nochmal auf das Gebüsch zu, wo er ein Geräusch gehört hatte. Wie erwartet, war hier niemand mehr, aber der Geruch war noch nicht ganz entschwunden. Sie war also wirklich weg, das war gut. Geron steckte die Waffe wieder weg und ging zu Relindis zurück. “Es war die Rahjani, die uns belauscht hat und sie ist scheinbar weg. Jedenfalls glaube ich, dass sie gerade firunwärts läuft.” Für einen kurzen Moment blieb er stehen und dachte nach. “Ich glaube, wir können es doch wagen zu mein..., ich meine, unseren Onkel zu gehen. Sie werden sich freuen dich zu sehen.” 
 +
 +
"Und ich freue mich auf sie! Ich bin sehr gespannt auf unsere beiden kleinen Vetter!" gab Relindis lächelnd zurück. Noch immer hatte sich Gerons Anspannung nicht gänzlich gelöst, das konnte sie deutlich spüren. Sie beschloss, dieser zunächst keine neue Nahrung zu geben und alle Fragen zu den Geschehnissen gerade eben zurückzustellen, bis sie in der Sicherheit der Heimstatt Hesindians wären. Wo Travias Schutz und Liebe walten, da kann sich Zorn und Angst nicht halten.
 +
Kurz sah sie sich um, und vergewisserte sich, dass Akka auch wirklich nachkam - natürlich tat sie das, aber ihr Blick sprach Bände über die Skepsis des Tiers, was Relindis' Umgang betraf.
 +
 +
Geron hatte ihr abermals seinen Arm geboten, bevor er sie durch den Park und das Stadttor, durch ein Gewirr von Gassen führte, wobei er stets auf Verfolger achtete. Währenddessen konnte sie spüren wie ein Teil seiner Anspannung von ihm abfiel. Schließlich hielt er vor einem schmucken Haus, das sich nicht von den anderen Häusern, links und rechts, unterschied. Kurz lauschte er, dann klopfte er sachte an den Fensterrahmen links von ihnen. Für einen Moment erschien ein Kopf, dann verschwand er wieder. Sekunden später öffnete ihnen Onkel Hesindian die Tür. Freudestrahlend bedeutete er ihnen einzutreten und dabei leise zu sein. “Im Moment schlafen alle beide.” flüsterte er. Dunkle Ringe lagen um seine Augen und auch Tante Alruna, die ebenfalls im Gang stand, sah übernächtigt aus. Trotzdem trübte das keineswegs die Freude über die Anwesenheit ihrer Gäste und sowohl Relindis als auch Geron wurden von beiden herzlich umarmt.
 +
 +
Relindis freute sich sehr, dass es ihr nun doch vergönnt war, Onkel Hesindian und Tante Alruna zu besuchen. Zu ihrem Bedauern hatte sie ihr Geschenk für die beiden neuen Derenbewohner, ein Mobile aus grünen Glasplättchen, das im Tages-, aber auch im Kerzenlicht schöne Reflexe warf, in ihrem Reisegepäck und damit im Traviatempel zurückgelassen.
 +
Ein wenig konnten sie einen schon dauern, so abgekämpft und müde die beiden frischgebackenen Eltern aussahen - aber das schien ihr Glück nicht zu trüben - und hieß es nicht, dass nichts Eltern und Kinder stärker zusammenschweißte als gemeinsam durchwachte Nächte?
 +
Relindis ließ es sich nicht nehmen, gleich einen sehr eingehenden Blick auf Leuenhard und Eberwin zu werfen und den Segen der gütigen Mutter über sie zu sprechen. Sie schmolz nur so dahin, den beiden ganz still und heimlich beim Schlafen zuzusehen, wie sie nebeneinander lagen, so klein und unschuldig, so süß und liebreizend. "Wenn sie wach sind, muss ich sie unbedingt im Arm halten!" bemerkte sie mit einem ganz verliebten Seufzen, nachdem sie sich schließlich doch von den beiden gelöst hatte.
 +
"Wie gerne würde ich euch vier länger sehen", entschuldigte sie sich, als sie sich mit Geron zu Hesindian und Alruna gesetzt hatte. "Aber der Stern, der mich hierherlockte, führt uns auch gleich wieder weg. Und nicht nur uns." Sie sah dabei Geron an, darauf hoffend, dass er nun offenbaren würde, was im Park genau geschehen war und was in Geron vorging.
 +
 +
“Relindis, du bist uns immer herzlich willkommen.” meinte Hesindian. Ja, Gerüchte über einen fallenden Stern hatte er in letzter Zeit öfter gehört, doch hatte er genug mit seiner Familie und der Auswertung seiner letzten Exkursion zu tun, als dass er sich noch etwas aufbürden würde, was nicht sein Spezialgebiet war. Sein Blick wanderte zwischen Relindis und Geron hin und her. Es freute ihn ungemein, dass sich Khorena und Geron so gut mit den Kindern seiner Schwester verstanden. “Mir scheint, ihr beide habt etwas zu bereden.” meinte er mit einem gütigen Lächeln und gähnte herzhaft. “Wenn es euch nichts ausmacht, nutzen wir die Ruhe und sammeln unsere Kräfte.” Geron nickte ihnen dankbar zu. Brille und Maske lagen vor ihm auf dem Tisch der guten Stube. “Habt dank. Versucht ein wenig zu schlafen.”
 +
 +
Als Alruna und Hesindian gegangen war, begann Geron zu sprechen. Er sah Relindis nicht direkt an, sondern starrte auf seine Hände. Ein Zittern erfasste ihn. “Bei den Zwölfen, Relindis. Was habe ich da vorhin beinahe getan? Wenn du nicht gewesen wärst..” er schluckte schwer. “Noch nie habe ich derart die Beherrschung über mich selbst verloren.” Entsetzen blitze in seinen Augen auf, als er doch einen scheuen Blick in Richtung Relindis warf. “Ich bin direkt nach der Abstimmung hinaus gestürmt um meinen Unmut Luft zu machen. Das hat auch ganz gut funktioniert, aber dann erschien diese Rahjani und versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln. Irgendetwas an ihr hat mich gestört und mit jedem Wort aus ihrem Mund wurde ich nur noch wütender auf sie. Ich versuchte zu gehen, versuchte sie zu warnen, während das wilde Tier in meiner Brust sich von seinen Ketten befreite. Sie wollte nicht hören.” Geron unterbrach sich und atmete tief durch. “Der gütigen Mutter sei Dank, bist du dann erschienen und hast uns beide gerettet.” Wieder sah er auf seine Hände.
 +
 +
"Mach Dir keine Vorwürfe." versuchte Relindis Geron zu trösten. "Du bist in Sorge um Deine Familie und die Menschen in Foldenau, für die Dein Herz schlägt. Es sind vielleicht große Fährnisse, die auf sie alle und uns zukommen. Ich kann nur zu gut verstehen, dass es Dich wütend macht, wenn andere die Sache", sie sprach von der Sache, meinte damit aber beides, den Stern und den Fluch, der auf Gerons Geschlecht lastete, "so viel leichter nehmen, wie ein Spiel gar. Oder wenn sie vielleicht nur ihren Profit sehen oder die wissenschaftliche Erkenntnis, die aus dem Stern zu ziehen ist, nicht aber die Gefahren und die tiefere Botschaft des Geschehens." Die junge Geweihte nahm beide Hände Gerons sanft in die ihren und sah ihm tief in die Augen, auch um ihm zu zeigen, dass sie nach wie vor keine Angst vor ihm hatte. "Geron, Du bist ein guter Mensch! Es waren Liebe und Fürsorge, die Dich haben unkontrolliert überschäumen lassen, nicht einfach nur animalische Triebe oder gar stumpfer Hass. Zermarter Dich nicht! Lass uns lieber überlegen, wie wir so schnell wie möglich die Kunde von alldem nach Schweinsfold bringen können." Im Zweifel würde sie mit darauf aufpassen, dass so etwas nicht wieder geschehen möge.
 +
 +
Furcht stand in seinen Augen, als er den Blick seiner Base erwiderte. “Ich habe Angst davor, was beim nächsten Mal passieren wird und du nicht in der Nähe bist. Ich war drauf und dran die Kontrolle zu verlieren und dann wäre ein Unglück geschehen.” flüsterte. “Vielleicht sollte ich auf Gut Foldenau bleiben, damit ich niemanden gefährden kann, bis ich mich besser unter Kontrolle habe.”
 +
 +
"Und wie willst Du lernen, Dich besser zu kontrollieren, wenn Du Dich vor der Welt und damit auch den von dieser in Dir ausgelösten starken Gefühlen versteckst?" fragte Relindis leise. "Ich glaube, Du musst Dich diesen stellen - wie Du es in der Vergangenheit ja auch getan hast. Außerdem bin ich mir sicher, dass uns die guten Götter aus gutem Grund auf die Spur dieses Sterns geschickt haben. Lass uns diesen zusammen rausfinden - Du passt dabei auf mich auf und ich auf Dich!"
 +
 +
Die Worte und ruhige Art von Relindis schafften es die Beklemmung, welche Geron befallen hatte, zu lösen. Ihre Worte ergaben Sinn, die Gefahr des fallenden Sterns war nicht gebannt und dann war da auch noch das vermeintliche Königskind. Relindis konnte die Veränderung in seinen Augen deutlich erkennen. Die Angst wich neuem Tatendrang und frisch erwachter Hoffnung. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und brachte seine Zähne zur Geltung. “So sei es, wir passen aufeinander auf, während wir gleichzeitig nach dem Kind suchen und die Leute vor dem Stern warnen.”
  
 
[[Kategorie:Geschichten]]
 
[[Kategorie:Geschichten]]

Version vom 31. Oktober 2022, 18:28 Uhr

was: Briefspiel

wer: Themengruppe, Forscher/Gelehrte/Interessierte

wo: Nordmarken

wann: Peraine 1043 BF

SL: DanSch

Personen:

Der Tempel der Allwissenden (12. Peraine 1043 BF)

Der Frühlingsregen ließen den Stadtpark von Elenvina grau und verwaschen erscheinen und das zarte Grün und die ersten Blüten konnten den Eindruck nicht schmälern. Die jungen Blätter der Bäume hingen schlaff herab, vom schweren Efferdstropfen geschwängert. Wie es schien, hielt der Frühling einen feuchten Einzug dieses Jahr. Allein der kleine, verspielte Tempel im Rohalschen Stil, mit seiner bunten Glaskuppel, stemmte sich gegen die Trübe dieses Tages. Wollte man meinen, dass nicht viele Besucher ihren Weg dorthin fanden dieser Tage, wäre derjenige, der die schwere Türe in den Tempel der Allwissenden öffnete, überrascht: Ein lautes Stimmengewirr von einer Gruppe von Geweihten und Besuchern erfüllte die heilige Halle.

Einige Monde ist es wohl schon her, als verborgen vor den meisten Augen, aber dennoch nicht unbemerkt, ein Himmelflackern am Sternenhimmel erschien. Taten die meisten Gelehrten es als eine Laune der Götter ab, so gab es eine Handvoll von Leuten, die dem Frieden nicht trauten. Und recht hatten sie! Aus dem Flackern, dem hellen, winzig- kleinen Lichtpunkt, wurde bald ein Stern, der täglich, oder besser gesagt nächtlich, größer wurde. Es wurde beobachtet, gegrübelt und berechnet. Und in einer Nacht, als der Stern besonders hell erleuchtete, war man sich klar: Das Ziel waren die Nordmarken! Alsbald brachen die Neugierigen, die Sternenkundler und die Gelehrte auf, in der Hoffnung, mehr Klarheit im Hesindetempel zu Elenvina zu gelangen.

Erst waren es einzelne, nun war es eine beachtliche Gruppe, die ihren Weg in den Tempel der Allwissenden fanden. Und heute, am 12 Perainemond 1043 nach Bosparans Fall, hatten sich 4 Grüppchen gebildet, die jeweils um einen Gelehrten versammelt waren. Denn unstimmig war man über die Bedeutung des Sternenfalls und so gab es verschiedene Meinungen und Ansichten. Der junge Norbarde Ghazbar Hulkonjeff kam aus dem Svelttal angereist und kannte sich mit dem Wert von Sternengold aus. Eine tiefgehende Bedeutung dessen, sah er allerdings nicht. Im Gegensatz zu der hiesigen Hesindegweihten Nirjaschka. Die Bornländerin hatte gehört, das Sternenschätze in der jetzigen Zeit als Götterzeichen galten und ist sich sicher, das es sich bei dieser ´Stella Nova´, genau um das handelte. Belsazar ay Asango, ein Horasier mit chirakanischen Wurzeln, kam wiederum mit einer alten, niedergeschriebenen Prophezeiung, die besagte, das ein Königskind unter einem Sternenregen geboren werden sollte. Der letzte im Bunde war der kriegserfahrene Chronist Melchior Praiotreu aus Gratenfels. Dieser kam mit einem dicken Folianten voller Verschwörungstheorien und Auslegungen alter Kriegsschauplätze angereist und witterte hinter dem Sternzeichen, den Beginn eines neuen Krieges. Und so wurde, jeweils in einer der 6 Nischen des Tempels an einem Tisch vorgetragen, diskutiert, zugehört, überlegt und abgeschätzt. Elador Thedon, der Hohe Lehrmeister des Hesindetempels, hatte die Hände hinter seinem Rücken verschränkt und grinste zufrieden vor sich hin. Schon lange waren seine Hallen nicht mehr mit dem Geist und den Stimmen der Gelehrsamkeit gefüllt gewesen, wie an diesem Tag. Und so schlenderte er von Nische zu Nische und hörte hier und da zu. ´Oh Hesinde, was für ein Tag! Mögest du unsere Geister mit Erkenntnis füllen!´, schickte er ein stilles Gebet an die Sternensucher.

Am Tisch der Sternenschatzsucher

Mit einem süffisanten Lächeln schaute der junge Norbarde in die Runde und ließ seinen Zuhörern einen langen Blick auf seine Schätze. Mitte Zwanzig war er, hatte leicht gebräunte Haut und trug einen prächtigen, tiefschwarzen Schnauzer. Sein Kopf war kahl geschoren, auch wenn der dunkle Schatten verriet, das es wohl einige Tage her war. Seine Augen waren von einem warmen Braunton, fast schon gülden wie bei einem reichhaltigen Honig. Gekleidet war der Sternenjäger, der sich Ghazbar nannte, in bequemer Kleidung aus braunem Wildleder, dessen Gürtel und Warms mit Borten, Federn und kleinen Bernsteinen geziert war. Direkt vor ihm hatte er ein Ledertuch ausgebreitet auf den 4 Steine unterschiedlichster Metalle und Größe lagen. Der Kenner konnte den hellsilbernen Stein als Madasilber erkennen, sowie den dunkelroten und den schwarzen als Meteoreisen und das reinweiße als Arkanium. “Dat alles sind Funde von Masseln, als Sterne, denen ich jefolgt bin. Glaubt mir, ich hab eine Menge Kaffs jesehen, da kann man echt meschugge werden. Aber es lohnt, auch wenn man malochen muss. Beschiskeln kann mich da kehner, ich hab dafür ein Riecher!” Dabei tippte er auf seine große, ausgeprägte Nase.

Eine der Anwesenden glänzte jedoch durch Begeisterungslosigkeit. Es war eine aufregende junge Frau, die sich am Tisch der Schatzsucher eingefunden hatte. Mittelgroß gewachsen, exzentrisch und mit einer rahjagefälligen, aber schlanken Figur gesegnet, fiel es Valeria Xaviera Rahjalina von Belhanka schwer den Ausführungen dieses … in ihren Augen Wilden ... zu folgen. Verächtlich rümpfte die Rahjageweihte ihr Näschen. Diese Nordmarken machten sie langsam aber sicher krank. Heimat ihrer Vorfahren, ja, doch war sie von der Göttin zu so viel Höherem berufen worden, als hier einer Gruppe nachzulaufen, die einfach gestrickt in beinahe fremden Zungen zu reden schien. Sie strich ihr festes weinrotes Kleid zurecht, das eng gehalten war und so ihre schmale Taille, das schöne runde Becken und ihre Oberweite gut zur Geltung brachte. Lange seitliche Schlitze bei den Beinen ließen ihr dabei einiges an Bewegungsfreiheit. Den ebenso roten Mantel hatte sie abgelegt. Dazu trug Valeria über-kniehohe Stiefel mit leichten Absätzen. Ihre honigblonden Locken hatte sie einfach zusammengebunden und immer wieder löste sich dabei eine widerspenstige Strähne, die ihr ins Gesicht fiel. Eben jenes kindliche Antlitz bestach durch große himmelblaue Augen und einen schmalen Mund, beides mit dezenter Schminke hervorgehoben. Alleine ihr Äußeres sollte es jedem klar erscheinen lassen, dass sie eigentlich nicht hierher gehörte.

Ihr Platz war in Rahjas Palast auf Deren, wo sie als Mündel der Rahjakirche aufgewachsen war. Sie sollte im Machtzentrum des Kultes eine Position bekleiden und nicht in diesem verbohrten Herzogtum, wo alle Einwohner auf ihren Knien in die Praios- und Traviatempel hinein rutschten, anstatt ... nun ja, es gab schließlich so viele andere Dinge, die man im knienden Zustand tun konnte - schönere Dinge ... erfüllendere Dinge. Es war auf jeden Fall ein erheblicher Rückschlag für sie und ihre persönliche Entwicklung, als Gylvana - ihre Lehrmeisterin und einflussreichste Dienerin der Schönen auf dem Kontinent - sie nach Elenvina entsandte um ihre Augen und Ohren in den Nordmarken zu sein. Eine Aufgabe, die ihre Befähigung und ihr Format meilenweit unterschreiten sollte, wie Valeria befand. Aber was nutzte es schon sich lang und breit darüber zu erregen? Wie es schien musste sie sich nun öfters mit solchen Hinterwäldlern abgeben. Der deutlichen Order, dass man dem Phänomen fallender Sterne nachzugehen hatte, konnte sie sich schließlich nicht entziehen. Die Welt war im Wandel, das war deutlich und Gylvana wollte Informationen. Vielleicht war dieser Stern ja auch ihre Eintrittskarte für die Rückkehr nach Belhanka. Ein Geschenk an die Göttin und vielleicht fiel dabei auch für sie selbst was ab, aus dem man sich schönen Schmuck schmieden lassen konnte. Bei diesem Gedanken huschte erstmal ein liebliches Lächeln über das Antlitz der jungen Frau. Ihr Blick ging für einen kurzen Moment hin zur jungen Meta, die so etwas wie ihre Begleitung war. Ein Mädchen, das nicht gerade viel aus sich zu machen schien, doch dennoch recht nett war. Als Almadanerin war sie auch nicht ganz so weit entfernt von jener Lebenseinstellung, die Valeria als normal empfand. "Kaff … Beschinskel … meschugge ... malochen … weißt du wovon der schwafelt?" Flüsterte sie ihr zu.

Meta Croÿ war eine Knappin im Alter der Rahjani und ihr gegenüber dennoch grundverschieden. Die heiligen 12 Götterläufe Ausbildungszeit hatte sie im letzten Sommer hinter sich gebracht, doch der Ritterschlag blieb ihr verwehrt. Sie war vielleicht 165 Halbfinger groß, wenig weiblich - also für den durchschnittlichen Mann, an dem sie nie vortäuschte, Interesse zu haben - und zu wenig rundlich an Brust und Becken. Sie kleidete sich in Reitgewand, trug dazu Schwert und Dolch. Ihre blonden, lockigen Haare waren ungezähmt, ihr hübsches Gesicht ungeschminkt. Mit verschränkten Armen und zurückgelehnt hörte sie zu. Die Rahjani schien eine Frage an sie zu stellen, doch ehe Meta antworten konnte, lag deren Aufmerksamkeit schon auf jemand anderen. Es schmälerte ihr Interesse an beiden Personen, war es doch gegen die Etikette und das Gespräch mit ihr war wohl zweitrangig oder unwichtig. Nichts desto trotz sprach sie halblaut zu sich selbst. „Der Kerl, woher er auch kommt, das werde ich ihn mal fragen, sollte, wäre er gut erzogen, so reden, dass man ihn versteht. Yo no hablo en mi lengua materna. Entiendes? Ich verstehe nur malochen und dafür bin ich nicht hier.“

Die junge Croÿ schaffte es damit wieder die Aufmerksamkeit der Geweihten auf sich zu ziehen. “Ten cuidado, Meta. También hablo tu lengua materna.” Sie ließ ein Augenzwinkern folgen und lächelte abschätzig. Die Almadanerin sollte nicht vergessen wer ihr gegenüber stand und nicht einmal auf die Idee kommen sie zu unterschätzen. Sie war nicht so einfach gestrickt wie ihr Onkel Thymon oder ihr Cousin Linnart. Bei beiden setzte der Verstand aus wenn sie eines wackelnden Weiberhinterns ansichtig wurden. Sie war aus einem anderen Holz geschnitzt. “Doch sag an, was bedeutet dieses … malochen? Es ist eine Unart wenn Menschen vor jenen in fremden Zungen sprechen, die dies nicht verstehen.”

Meta wandte sich artig, aber mit gewissem Stolz der hübschen Frau zu. “Die sprechen, als ob sie es...ach, ich muss auf meine Etikette achten. Aber hört Euch mal die Rustikalen aus den Bergdörfern an.” Meta wirkte jünger, als sie war. Gerade im direkten Vergleich neben der gleichaltrigen Rahjani. Der Blick des Kerls gegenüber war ihr nicht entgangen, wurde Rahja im Haus vom Traurigen Stein doch ausgiebig verehrt. Sie selbst war sicher hübscher, als man es jetzt sah. Wie ein zerrupfter, junger Schwan wirkte Meta gegenwärtig. “Malochen, das ist nichts für uns. Arbeit, meist schwere Arbeit. Wir sollten betonen, dass unsere Hände zart bleiben müssen.” Sie zwinkerte. "Nur ein kleiner Tipp." Die junge Frau wandte sich den anderen am Tisch zu. "Meta Croÿ, immer noch Knappin und gerade im Dienste von Thymon vom Traurigen Stein, sollte ich mich noch nicht vorgestellt haben.” Sie lächelte lieb, aber etwas Seltsames, Ungefährliches lag in ihrem Blick. Und das hatte nichts mit Rahja zu tun.

Valeria kicherte glockenhell auf. “Wir und hart arbeiten? Neeeein …”, sie sah sich unter den anderen am Tisch um und klimperte unschuldig mit ihren Wimpern. Innerlich fühlte sie erste Anflüge von Zorn aufsteigen. Sie fixierte Ghazbar, ihr Lächeln schwand und ihre Augen funkelten. Sah er in ihnen am Ende bloß Gehilfen zum ´malochen´? Die Geweihte wandte sich wieder Meta zu. “Was erwartet sich Thymon denn von dieser Sache hier?” Es konnte nicht allzu viel sein, sonst wäre er selbst angetanzt - so gut kannte sie ihren Onkel bereits.

Irritierend arglos sah Meta in die wundervollen Augen der anderen Frau. Wie sprach man die gleich wieder an? “Euer Ehren … ähh wie lautet Eure korrekte Anrede? Euer Gnaden? Und irgendwie seid Ihr mit Thymon verwandt, oder?” Die junge Frau schien in der Runde etwas schüchtern und schüttelte den Kopf, um ihr Haar in seine ursprüngliche Wildheit zu bekommen. Sie lächelte spitzbübisch. “Nun ja, Thymon hat mich geschickt. Eine Knappin. Vielleicht will er mich prüfen? Vielleicht im Ort damit angeben? Wer weiß das schon? Ich hätte eigene Pläne … ihr werdet es sicher alles dem Tempel spenden, wenn die Herren genug malocht haben?” Dann flüsterte sie. “Den Herren in grau, woher meint Ihr, kommt der?”

Die Geweihte musste ob Metas - vielleicht vorgespielter - Naivität grinsen. "Onkel Thymon hat dir nicht gesagt was du hier sollst? Vielleicht ist ja genau das herauszufinden auch ein Teil deiner Aufgabe …", Valeria schlug einen verspielt verschwörerischen Ton an und fuhr flüsternd fort: "... ein Tipp, er will bestimmt ein Stück vom Kuchen. Der Mann hat Gold und er war schon immer sehr findig in der Wahl seiner Mittel, um sicherzustellen, dass es sich mehr und mehr vermehrt." Die Frau wandte sich von der Knappin ab und blickte zu Ronan. Innerlich seufzte sie - Valeria bezweifelte, dass ihr Onkel mit Metas Wahl sich dieser Sache anzunehmen gut fahren würde. "Der Graue kommt mir bekannt vor. Ich meine ihn aus meiner Zeit in Belhanka zu kennen, aber sicher bin ich mir nicht." Was sie mit dem Schatz vor hatte ging das Mädchen nichts an.

“Gut, dann nenne ich Euch Valeria oder Euer Gnaden. Wir sollten uns darauf konzentrieren, das Zeug zu finden und es nicht in die falschen Hände kommen lassen. Mehr weiß ich leider nicht. Ach, der dicke Wanst da drüben, ich weiß was der will.” Sie kicherte und trank etwas.

Die Angesprochene nickte wissend. "Wir alle hier am Tisch wollen dasselbe …", sie zwinkerte und dämpfte ihre Stimme, "... sonst stünden wir bei den Frömmlern am Tisch, oder liefen einem angeblichen Königskind nach." Sie rollte mit ihren Augen. Seltsam war in diesem Zusammenhang, wie eine Priesterin der Zwölf die Gläubigen abwertend als 'Frömmler' bezeichnete. "Alle hier sind sowohl Verbündete, als auch Gegner. Sei dir dessen bewusst, Meta. Hilf mir und es wird unser beider Schaden nicht sein."

Voller Unschuld und fast kindlichem Glauben nickte Meta nach einigen Lidschlägen. “In Ordnung. Verbündete. Es soll aber nicht nur nicht zu meinem Schaden, sondern besser zu meinem Nutzen sein.” Zufrieden lächelte die Geweihte und strich sich ihre widerspenstige Locke hinters Ohr. “Natürlich, du gehörst doch zur Familie.” Sie zwinkerte verschwörerisch.

Neben der Rahjageweihten, die an diesem Tisch überaus auffällig und ein wenig deplatziert wirkte, saß ein Mann in nebulösem Grau. Das graue Leinen seiner Tunika war fein gewebt, der dunklere Überwurf mit silbernen Säumen besetzt. Lugten auf der Borte nicht Fuchssymbole hervor? Die Kapuze seiner Tunika hatte er zurückgeworfen, sodass sein dunkelbraunes, langes und zu einem einfachen Zopf gebundenes Haar zum Vorschein kam. Das Gesicht des Mannes wirkte auch etwas fremdartig in diesen nordmärkischen Landen. Die scharfen Zügen und die dunklere Hautfarbe wiesen auf eine Herkunft aus südlicheren Landen hin. Ronan Rohaldor al’Menkhauhour von Lichtenberg betrachtete nachdenklich die Funde des Norbarden und rieb sich das Kinn und strich durch den kurzen, sorgsam gepflegten und gestutzten Bart. Während er die Funde betrachtete, suchten seine Augen die Gesichter der Umsitzenden ab. Was trieb sie an? Sah er Gier oder Neugier in ihren Gesichtern? Tatsächlich aber waren ihm ein jeder Personen bereits bekannt, schaute er doch in das Gesicht des akribisch-akkurat-pedantischen Weinhändlers Rhodan Herrenfels. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb er an dessen Gesicht hängen, kaum wahrnehmbar, bevor dieser weiterzog.

Valeria kniff ihre Augen zusammen als der Blick dieses Graulings sie streifte. Sie vermeinte ihn zu kennen, doch war der Ursprung dieser eventuellen Bekanntschaft nichts, was hier auf diesem Tisch diskutiert werden sollte. Es würde auf keinen Fall schaden ihn im Auge zu behalten.

Der Ronan gegenübersitzende Rhodan strich sich mit Müh und Not sein etwas zu stramm sitzendes Wams über dem rundlichen Wohlstandsbauch zurecht. Seitdem Ronan ihn kennenlernte, hatte der achtunddreißigjährige Mann noch etwas zugelegt und wirkte noch gesetzter als zuvor. Der Kontormeister der Familie Mersingen war auf eigene Rechnung nach Elenvina gekommen. Über seine guten Kontakte in der Hauptstadt - zugleich Hauptabsatzort für seine erlesenen Waren - hatte er erfahren, dass sich eine Gruppe sternenbegeisterter Abenteurer treffen würde, um einen der fallenden Sterne zu bergen. Tatsächlich war der schon langsam ergrauende, großgewachsene Mann für seinesgleichen über die Maßen am Firmament, seinen Wegen und Veränderungen interessiert, doch musste er sich zugestehen, als er die noch blonden Locken hinter die Stirne strich, dass der materielle Wert der Metalle, die solch ein Stern angeblich transportierte, ungleich bedeutender für ihn war. So sah sich der eigentlich nicht sonderlich abenteuerlustige, seinem Bürostuhl doch sehr zugetane Rhodan in so kurzer Frist erneut genötigt, eine Reise zu tun. Aufgrund einer etwas aus dem Ruder gelaufenen Transaktion - Abenteuer brachten nur Ärger, diese Lektion scheinte der Händler jedoch noch nicht gelernt zu haben - war er auf das Geld dringend angewiesen, hatte doch der junge Mersinger Wind von seinen Schulden bekommen; dieser wiederum hatte deswegen eine Belehrung des Barons von Rabenstein über sich ergehen lassen müssen und war furchtbar ungehalten, als er in Rosenhain eingetroffen war. Naja: Ende vom Lied, er war hier und quetschte sich an den Tisch zu diesem bunt zusammengewürfelten Haufen. Die edle, samtige Kleidung, die er trug, war ihm dabei eher im Weg, doch wurde für jedermann ersichtlich, dass es der Rosenhainer darunter nicht machte. Ronan, den er bereits hinlänglich kannte, grüßte er mit einem Nicken und einem feinen Lächeln, das seine kräftigen Backen aufblähte. Sein Blick wanderte über die Gäste hinweg, bis er an Valeria von Belhanka hängen blieb. Die ersichtlich deutlich jüngere Rahjani war ganz nach seinem Frauengeschmack. Die grauen Augen des betuchten Händlers wurden groß und rund. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit ergötzte sich Rhodan an den visuellen Reizen der schönen Frau und betrachtete jede erdenkliche sichtbare, angedeutete oder nur zu erahnende Rundung.

Als die Geweihte sich der Aufmerksamkeit des unförmigen Mannes gewahr wurde, zwang sie sich zu einem wunderschönen Lächeln. Innerlich jedoch seufzte sie. Es waren Blicke, die sie kannte, aber nicht sonderlich schätzte. Valeria war keine jener Dumpfbacken, die tagtäglich Stundengläser lang vor dem Spiegel standen und die Aufmerksamkeit so vieler Männer und Frauen wie möglich brauchten. Nein, sie registrierte die Aufmerksamkeit der anderen, doch gab ihr diese nichts. Es war natürlich, dass andere Menschen sie begehrten und wollten, doch waren Männer von stetem Besitzdenken getrieben und Frauen, Amazonen, klammerten zu sehr. Darüber hinaus hatte sie ihre Aufträge, ordnete diesen alles unter und hatte demnach auch keine Zeit für Müßiggang. Valeria war keine einfache Rahjageweihte, auch wenn sie nach außen hin genau dieses Bild transportieren wollte. Schon ihre Ausbildung unterschied sich zum Teil grundlegend von der ihrer Brüder und Schwestern. Gylvana hatte sie als Kleinkind in den Tempel aufgenommen und ihr eine fordernde Ausbildung angedeihen lassen. Die junge Rahjani war demnach nicht nur schön, sondern auf ihre Art auch wehrhaft. Jede Rose, so optisch vollendet sie auch sein mochte, hatte ihre Dornen. Die ihren waren dabei besonders stark ausgeprägt. Etwas, das Männer, wie derjenige, der sie nun angaffte, ihr wohl nicht zutrauen würden. Dennoch entsprach sie nun genau jenem Bild, das man von einer Dienerin der Schönen haben mochte. Valeria lächelte und winkte verspielt. Vielleicht konnte ihr der Tropf ja noch irgendwie von Nutzen sein.

Rhodan grinste ungeniert und nickte der Rahjani zu, doch Lust auf unverbindliche Kommunikation hatte er keine. Dieses feine Sahneschnittchen würde er sich schon noch zu Gemüte führen, doch der wahre Gourmet - das wusste er ganz genau - genießt und schweigt. Nach dem anzüglichen Grinsen dieses Stelzbockes wandte sie sich wieder von ihm ab. Es war genug der Aufmerksamkeit und Valeria wollte nichts versäumen, das hier von Belang gesprochen wurde. “Und was, mein Freund, aus fernem Land…” wandte sich Ronan an den Schatzsucher aus dem Svelltland. “... treibt dich in den hiesigen Tempel mit deinen Funden?” Er deutete leicht auf einen der Klumpen, wobei ein dezenter Silberring im Licht der Kerzen aufblitzte. Er sprach mit einem leichten, wellend-singendem Akzent, der nicht von hier stammte. Almada? Die Tulamidenlande?

Alrik war mit dem alten Gelehrten in den Tempel gekommen. Jung an Jahren, mit karottenrotem Haar und Sommersprossen, die seine Wange lustig gesprenkelt scheinen ließen, war er erst vor kurzem aus dem Osten wiedergekehrt. Die Familie des Alten hatte ihn gut bezahlt, ihn wieder heil in die Nordmarken zu bringen. Und Arbeit war es tatsächlich gewesen, wenngleich Alrik viel gelernt hatte. Viel mehr als er geglaubt hatte, als Milian ihn vor über einem Götterlauf angeheuert hatte. Und nun dies hier. Sternengold in den Nordmarken und er war einer der ersten, die sich daran bereichern konnten. Still glitt sein Blick über die anderen und blieb an Ronan hängen. Lächelnd zog er einen Mundwinkel nach oben. Dieser bemerkte kurz vor die Mimik des jungen Mannes sich wieder auflöste diese Reaktion. Ebenso kurz wie das Lächeln des Mannes war zog der Grauberobte seine rechte Augenbraue nach oben und sah ihm währenddessen direkt in die Augen. Alrik schaute in das helle braun, fast bernstein- oder honigfarben, welches ihm warm entgegenblickte. Ein Zwinkern, fast unmerklich folgte. Dann wandte der andere den Blick zur Seite und sah sich interessiert im TEmpel um.

“Bina Maschores, mein Briederchen! Das gute Geschäft. Das was da vom Himmel rauscht, ist genug Almonesse für uns alle. Auch wenn ich gerne alles haben möchte, alleine wird es schwer. Wenn wir aber als Meschpoche reisen, ist es möglich den Massel zu finden. Das hat nichts mit einer Steldripa … wie sagt ihr … Weissagung zu tun. Außer das wir den Sternenschatz nur finden müssen, wenn er aufschlägt.” Abschätzig schaute Ghazbar in die Runde und sein Blick verriet, dass er alle Anwesenden genauso Schatzversessen einschätzte wie sich selbst.

'Diese Worte …', Valeria rollte kaum vernehmbar mit ihren Augen. Ihre Lippen zierte jedoch immer noch ein Lächeln. "Und wie gedenkt Ihr die anderen von diesem … Fund … fernzuhalten?" Die Geweihte wies mit einem einfachen Kopfnicken hin zu einem anderen Tisch, wo sich ein alter Krampen gerade fürchterlich echauffierte. "Ihr solltet nicht leichtfertige Versprechen artikulieren, die nicht leicht einzuhalten sein werden." Sie kicherte und schenkte dem Svelltländer ein herzliches, doch falsches, Lächeln und blickte ihn dann herausfordernd an.

Ronan lehnte sich zurück. "sahr. lm 'ar mithl hadhih almaeadin alnajmiat alnaqiat mundh eshr sanawatin." murmelte er leise. Er schaute die junge Rahjageweihte an, die den Norbarden recht scharf angegangen war. Währenddessen legte verschränkte er die Arme vor der Brust. In der Ellenbeuge zuckten seine Finger, bis sie scheinbar eine bequeme Position gefunden hatten. Hatte Rhodan ihn gesehen - oder war seine Aufmerksamkeit an der Rahjageweihten hängen geblieben?

Rhodan langweilte sich bei dem Geplänkel. Die sollten ruhig über hypothetische Vorgänge palavern - so würde das Ghazbar vermutlich ausdrücken. Ihm war klar, dass es bedeutend war, die Sternenmaterialien, sollten sie ihrer habhaft werden können, klandestin fortschaffen müssten und sie zügig weiterverkaufen sollten. Wenn es um solche Sachen ging, dann waren die Kirchen schneller vor Ort, als man PRAios sagen konnte. So ließ er seinen Blick über die anderen schweifen - wer wusste noch, worauf es ankam? Ja klar, Ronan. Rhodans linker Mundwinkel zuckte nach oben. Na, dann sollte er mal loslegen, vielleicht war der Einfall des Südaventuriers wertvoller als das Gejammer.

‘Hohe Reinheit.’ signalisierte die schnelle Abfolge der Fingerspiele. ‘Wertvoll.’ eine kurze weitere. ‘Vorsicht, Gier.’ die letzte. Rhodan blickte aus dem Augenwinkel auf den selbsterklärten Meschpochenführer. Der war auch gierig ungefährlich, dachte er sich. Rhodan antwortete knapp. ‘Konkurrenz.’ Das sah er eher als Risiko an. Der derart angesprochene nickte nur knapp und signalisierte mit einem kurzen Fingerspiel ein Lachen.

“So ein lecker Schwesterchen wie euch, lass ich natürlich den Vortritt.” Nun lachte der Norbarde herzlich. “ Ich sehe das so: fernhalten möchte ich keinen. Das was da runter kommt gehört uns allen und keinen. Meine Erfahrung sagt mir, das so ein Massel nicht einfach an einer Stelle zu finden ist, sondern der sich verteilt. Mit ordentlich viel Hani, also Glück, und Heshinjas Segen werden ein paar von uns auch fündig. Und wies ausschaut sind wir eine große Meschpoche.” Mit geschickten Griff fing er an, seine Schätze wieder in das Tuch einzuschlagen.

“Mesch … was ...”, Valeria seufzte und begann ihre Schläfen zu massieren. Langsam aber sicher bekam sie davon Kopfschmerzen. Sie ging nun dazu über diese Worte zu ignorieren - so schwer dies auch fallen würde. Dass dieser Klotz meinte, der Stern gehöre allen - oder noch besser, niemandem - würde sich noch zeigen. “Werden auch die anderen …”, die Geweihte wies mit einem Kopfnicken in Richtung eines anderen Tisches, “... mit uns ziehen, oder wir mit ihnen? Und wenn nicht, wie gedenkt Ihr dieses … Geschenk der Götter zu finden? Ihr verlasst Euch doch hoffentlich nicht nur auf Euer Glück?”

Ronan lachte und wandte sich an die Priesterin der Rahja. “Natürlich Glück, Diener der herzlichen Fröhlichkeit.” rollte er mit seinem Akzent. “Das Glück ist ein wertvolles Geschenk und schenkt uns wiederum Gelegenheiten, die wir mit schnödem Wissen übersehen hätten.” Kurz schoben sich die edel geschwungenen Augenbrauen der Geweihten zusammen, dann huschte wieder ein vollendet schönes Lächeln über ihre Lippen. Das Spiel mit ihren Gesichtszügen hatte sie inzwischen gemeistert, auch fiel es Valeria nicht schwer falsche Tatsachen vorzuspielen. “Eure Worte in den Ohren der Götter.” Sie zwinkerte dem Grauen verschwörerisch zu.

“Ihr wisst, junge Dame, das Glück ist mit den Tüchtigen”, lachte Rhodan nonchalant. “Denen hören die Götter immer zu. Doch es schadet nicht, ein wenig nachzuhelfen. Entscheidend ist, das Feld einzuengen, in dem die Sterne niedergehen könnten. Dazu müssten wir wissen, woher sie kommen. Ist jemandem der Anwesenden etwa bekannt, welcher Stern womöglich fallen wird?” Ronan schüttelte den Kopf und legte dann seinen Zopf zurück auf die Schulter, von der er gerade entkommen war. Rhodan fiel auf, dass der Grauberobte vor wenigen Wochen noch kurzes Haar getragen hatte? Sein Blick glitt gen Himmel, als könne er durch die Tempeldecke den Sternenhimmel erkennen. “Lasst uns dazu den Sternenhimmel beobachten, denn so können diese Schätze am HImmel der Nacht uns verraten, welcher Stern zu fallen gedenkt.” Er nahm den Blick wieder herunter und sah erst Rhodan an, dann Valeria in die Augen. Diese waren dezent mandelförmig, Lachfalten zeigten, dass Ronan offenbar gerne lachte. “Die Sterne können dann dem Kundigen verraten, wo sie fallen werden.” Er nahm die Arme auseinander und legte einen Arm über die Lehne seines Stuhles, den anderen in seinen Schoß, die Beine übereinander geschlagen. “Funkelndes Juwel in dieser lichtbeschienenen Stadt, hat man Euch gelehrt, den Sternenhimmel zu lesen?”

Zuckersüß lächelte die junge Rahjani. Wenn der Grauling wüsste was sie ihr alles gelehrt wurde. Die Astronomia war jedoch nicht darunter. Hier war sie auf die anderen Anwesenden angewiesen, soviel war Valeria inzwischen klar geworden. Und das machte ihr Sorgen, hasste sie es doch nicht die Kontrolle über eine Situation zu haben. “Lilasaf lā”, säuselte sie den Tulamiden in seiner Muttersprache an. “Da werde ich mein Glück gänzlich in Eure Hände legen”, das ´müssen´ sprach sie dabei nicht mehr aus.

“Na da seid Ihr in besten Händen meine Teuerste”, grinste Rhodan und rieb sich ebenjene. Tatsächlich kannte er sich mit Astronomie gut aus. Zeit unter dem Sternenzelt zu verbringen war seine zweitliebste Beschäftigung - nach dem Zählen von Geld. “Aber zuvor wäre es doch hinlänglich von Interesse zu erfahren, warum Ihr euch dieser ‘Plackerei’ hier angeschlossen habt. Ich bin mir sicher, eine solche Reise ist Eurem perfekten Teint nicht zuträglich.”

Abermals lächelte die Lehrerin der Leidenschaft strahlend. “Haben wir nicht alle unsere Geheimnisse, mein Herr?” Sie blickte kurz hinüber zu Ronan und leckte sich über die Lippen: “Dann wäre es doch nur gut und richtig einer Dame die ihren zu lassen, meint Ihr nicht?”

Rhodan zog die Augenbrauen hoch und strahlte über beide Ohren wie ein Honigkuchenpferd. Dann lachte er aus vollem Tone seines doch voluminösen Bauchs. “Hört, hört!”, sagte er noch immer halb lachend. “Ich weiß: ein Geheimnis macht eine Frau zu einer Dame sagt man.” Der Händler nickte wissend. “Aber Geheimnisse sind doch deswegen so interessant, weil man sie lüften möchte, oder nicht? Jetzt lasst uns doch nicht so zappeln.”

“Tststs …”, die junge Rahjani begann kokett mit ihrer widerspenstigen Haarlocke zu spielen, “... aber mein Herr … wo bliebe denn die Herausforderung, wenn ich Euch hier auf Nachfrage meine Geheimnisse offenbaren würde? Sind wir nicht genau deshalb hier?” Ihr Blick machte eine Runde über die Anwesenden. “Der Herausforderung wegen?”

Ronan grinste, ob dieses Wortwechsels. Dann lächelte er Valeria zu. “Natürlich, die Herausforderung. Das ist das spannende am Spiel, am Lüften von Geheimnissen und an den ganzen Wagnissen.” Er sah zu Rhodan, dem Weinhändler. “Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt.” Hatte er gerade mit dem Valeria abgewandten Auge gezwinkert? Er wandte sich wieder an die Rahjageweihte. “Aber ohne einen Sternenkundler wird auch unser norbardischer … Freund … hier den zu erwartenden Sternenfall ermitteln können. Ein Doctor der Astrologie wäre wirklich wahres Gold wert, meint Ihr nicht auch, holde Schönheit eines Rosenstrauches?”

“Oh mein Freund, das klingt aber nach einer Großinvestition! Habt Ihr so viel Wagniskapital übrig, dass Ihr Euer Geld in einen Astrologen investieren wollt? 4 aus 5 davon sind doch Scharlatane und beim Fünften weiß man auch nicht so genau. Ach ja: Mit fremdem Geld spekuliert man nicht”, brummte Rhodan scherzhaft, wobei er in Gedanken ergänzte außer man habe es vorher expropriiert. “Ich denke, man könnte ja mal am heutigen Abend einen Blick in die Sterne wagen. Vielleicht funkeln sie heute noch schöner als sonst.”

Zwischen den kirschroten Lippen der jungen Geweihten erschien eine Reihe perlweißer Zähne. “Sprecht Ihr von Euch?”, meinte sie an Ronan gewandt. “Aber wie mir scheint haben beide Herren eine Ahnung von den Sternen. Wir alle können uns also glücklich schätzen.” Sie zwinkerte verspielt.

“Das Glück, Dienerin der Schönen Göttin…” sprach Ronan ruhig. “... ist, wie der werte Herr Herrenfels schon so richtig anmerkte, mit den Tüchtigen. Und ja, die Herzog-Eolan-Universität hat mir den Titel eines Doctors der Astrologie, also der Sternenkunde, verliehen.” Die braunen Augen des offenbar tulamidisch-stämmigen Herrn funkelten, sein Blick glitt kurz zu Rhodan, der mit der schönen Rahjageweihten ebenfalls in diesem intensiven Gespräch stand. “Die Kenntnisse zur Berechnung der entsprechenden Konstellationen kann ich somit dieser Unternehmung unter Umständen zur Verfügung stellen.” “Die da wären?”, fragte Valeria interessiert zurück.

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. “Nun, da wären die Berechnung der astrologischen Konstellationen anhand der Ephemeridentafeln. Weiterhin die Deklinations-Achsen-Berechnung und die Elongations-Abweichungen der Wandelsterne zu Berechnung vergangener oder zukünftiger Bahnen.” Er lächelte. “Insbesondere die Kombination der Deklinationsbetrachtung mit der modernen Längenberechnung mittels eines Astrolabiums könnte uns Hinweise auf den Aufprallort liefern.” Ronan lächelte die Rahjageweihte herzlich an. Er musste es zugeben, wenn auch nur sich und dem Grauen, er genoss das spielerische Parlieren mit ihr. Für einen Herzschlag lang schien sich Unsicherheit auf ihrem Antlitz bemerkbar zu machen, doch verschwand dieser Ausdruck so schnell wie er gekommen war. “Ich sehe schon …”, Valeria berührte verspielt den Oberarm des Graulings, “... ich … äh … wir sind bei Euch in den besten Händen.”

Meta schwieg. Interessant, was für Gestalten und Sprachen, beziehungsweise Dialekte sich hier zusammenfanden. Deutlich südlicher als Almada. Sie würde sich an die Meschpoke halten und erst einmal abwarten, bis man vor Ort war. Sie war nur Knappin und hatte zu schweigen. Eine Frage lohnte sich aber und war ungefährlich. “Mit Verlaub, hohe Damen und Herren. Wann werden wir reisen, wie, mit wem und wer wird für die Unkosten, die bei Übernachtungen anfallen werden, aufkommen? Wie lange werden wir unterwegs sein?” Typisch, es war dann doch mehr als eine Frage. Sie stellte sich darauf ein, bei den Pferden im Stall zu schlafen, das war am günstigsten und das Schnauben wirkte so schön beruhigend. Einer ihrer Mundwinkel zuckte amüsiert. Natürlich würde kein Mann sie mit zu sich nehmen, wenn sie wieder auf dem Gut war, sollte sie die längst fällige Besprechung mit einem gewissen Herren, ihr einziger Freund, der einzige, dem sie wirklich traute, in Angriff nehmen.

Belustigt schaute Ghazbar in die Runde. “Ich hab gehofft hier motivierte Leute zu finden. Versprechen kann ich nichts, allerdings bis jetzt hab ich immer was gefunden. Und wie es schaut, haben wir auch Leute hier, die die Gegend kennen und für einen Schatz auch malochen würden.” Der Norbarde zwinkerte Valeria zu. “Nun jeder ist willkommen sich anzuschließen. Am Ende werden nur die Glücklichen fündig. Und”, jetzt zog er ein Fernrohr hervor,” Wir müssen den Himmel im Auge haben. Nur so wissen wir, wo er runterkommt.” Dann steckte er das Rohr wieder weg. “Es ist ja kein Auftrag, also macht das wohl jeder aus eigener Tasche. Es sei die Galaschen, die Priester, unterstützen uns.” Sein Blick wanderte kurz zum Tisch der Mentorin Nirjaschka. “Was sagt ihr?” “Ich sage, es lohnt sich, auf eigene Rechnung zu arbeiten, dann gibt es auch niemanden, der im Nachhinein Ansprüche anmelden kann”, bekräftigte Rhodan. Bei sich ergänzte er, dass dann auch jeder nach seiner Facon nächtigen könnte. Er würde Zeit unten den immerfort funkelnden Sternen verbringen. Auch wenn er das Reisen und die Beschwerlichkeiten hasste, die Sterne zogen ihn magisch an. “Ich hoffe, die Herrschaften sind adäquat ausgerüstet und vorbereitet?” “Wir sind in Elenvina.” War die mystisch knappe Antwort des Grauberobten.

Die Rahjageweihte hob abwehrend ihre Hand. “Die Priester? Götter, nein! Ihr wisst so gut wie ich, dass die den Stern nicht mehr loslassen werden, wenn wir ihnen helfen diesen zu finden. Wir sollten uns ausrüsten und wenn es sein muss heuern wir ein paar Arbeiter zum … malochen … an. Das Gold dafür wird meine Familie vorab auslegen … lasst das meine Sorge sein.” Alrik lächelte still. Was so ein Stern wohl wert wäre? Käme vermutlich auf das Material an. Und ob man es offen oder versteckt verkaufen müsste. In jedem Fall hätte es großes Potential- eine große Möglichkeit zu werden.

Unauffällig und nur mit einem kaum hörbaren Klingeln trat die weißhaarige Gauklerin an den Tisch des Norbarden. Sie hatte nur den letzten Satz des Mannes gehört und nahm das als Anlass, in die Runde zu winken - was nun doch wieder ein lauteres Klimpern erzeugte. “Hallo zusammen, ich bin Doratrava, aber die meisten hier kennen mich ja schon. Ich dachte, ich begrüße euch mal und schaue, was an diesem Tisch so gesprochen wird.” Sie grinste und gab sich den Anschein der unbefangenen Neugierde, was ihr nicht schwer fiel, da das einer ihrer natürlichen Wesenszüge war.

Rhodan wurde aus dem Gespräch gerissen, wandte sich kurz der irritierend schlanken, weißhaarigen Frau zu, die für seinen (ausgeprägten) Frauengeschmack deutlich zu afeminin war und rümpfte die Nase. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Was machte denn bitteschön fahrendes Volk hier? Sollte das eine Tschokolatl-Fahrt werden, so, wie sie das neuerdings im Horasreich für begüterte ältere Damen anboten? Doratrava grinste den Händler übertrieben freundlich an, obwohl der sie ansah, als hätte sie mehr als sechs Beine und sei gerade unter einem Stein hervorgekrabbelt. Offenbar erinnerte sich der feine Herr nicht mehr an die Episode in Herzogenfurt, als eine Explosion im dortigen Hotel sie zu unfreiwilligen Leidensgenossen gemacht hatte, wenn auch nur für ein paar Stunden.

“Doratrava!” Das R rollte genüsslich im Mund des Grauberobten. Er lächelte breit. “Welch Freude, dich hier zu sehen. Aber irgendwie verwundert es mich nicht, dass die Götter dich auf diesen Pfad führten.” Noch mehr Konkurrenz? Oder eher Aufmunterung und Unterhaltung? Wer außer den Alveranischen mochte dies wissen? “Die Götter, ja. Oder ihre Diener. Eigentlich wollte die Geweihte da drüben”, Doratrava machte eine klimpernde Geste Richtung Nirjaschka, “nur mit mir sprechen. Von so einem Auflauf hatte sie nichts erwähnt. Und dass ich hier so viele bekannte Gesichter vorfinden würde, auch nicht.” Wieder grinste die Gauklerin übermütig.

Der junge Rothaarige sah die Weißhäutige interessiert an. Interessant. “Der Alte hat euch vom anderen Tisch vertrieben?” fragte er grinsend. Valeria musste an sich halten um ihre Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen. Sie kannte die Gauklerin, die bei der Hochzeit ihres Cousins im Schlepptau der Feenküsschen erschien. Eine talentierte Künstlerin, soviel war klar, doch schwierig handzuhaben. Wohl eine Amazone, so wie sie damals ihre Cousine Rahjalind angesehen hatte, also würde sich auch Valeria vor ihr in Acht nehmen müssen. Die Ankunft Doratravas würdigte sie lediglich mit einem kurzen gelangweilten Blick in ihre Richtung. “Kennst du den?” wandte Doratrava sich dem jungen Mann zu. “Redet der immer so hochgestochen daher, als müsse man vor ihm auf die Knie fallen und ihm für die Gnade danken, einem die Weisheit der Welt zuteil werden zu lassen?” Der junge Mann nickte.

Die Rahjani streifte die Gauklerin dagegen nur mit einem Blick. Sie hatte die schöne Frau erst vor ein paar Tagen zuletzt (und zuerst) gesehen, aber sie wurde nicht recht schlau aus ihr. Für eine Dienerin der Schönen Göttin kam sie recht reserviert daher, zumindest ihr gegenüber. Dabei sollten Musik und Tanz fast schon ein natürliches Band knüpfen zwischen einer Geweihten der Rahja und einer Gauklerin. Aber sie würde sich sicher nicht aufdrängen. Meta nickte Doratrava dagegen nochmals knapp zu, aber auch hier galt dasselbe: sie würde sich nicht aufdrängen. Sie wollte ja eigentlich nur kurz Hallo sagen … aber so etwas mochte nicht zum ersten Mal unerwartete Auswirkungen haben … “Er ist mein Herr. Und ja er redet mit den meisten so. Außer … nun ja, mit einigen redet er … nun ja anders…. Dann allerdings mit Worten, die ich nicht kenne und nicht verstehe.” Er grinste Doratrava an, während er den Kopf dabei leicht schräg legte. “Dein Herr?” Doratrava zeigte sich deutlich überrascht. “Ähm … und warum bist du dann nicht bei ihm?”

“Er kommt schon allein zurecht, solange er nicht laufen, nichts tragen oder sich an profane Dinge wie Essen oder korrektes Ankleiden erinnern muss.” lachte der junge Mann. “Er ist zufrieden, solange Menschen da sind, die er mit seinem Wissen beglücken darf.” “Na dann muss man sich ja keine Sorgen um ihn machen”, grinste Doratrava zurück. Eine Reise mit dem Zausel würde aber sicher schwierig werden. Kein sehr erhebender Gedanke. Aber andererseits war sie ja nicht hier, um irgendeine Reise anzutreten. Dennoch fragte sie neugierig: “Und, habt ihr hier schon einen Schlachtplan?”

Es war der Norbarde der Doratravas Frage aufgriff. “ Das lecker Mädel ist also interessiert. Na, als Meschpoche, also als Gruppe, könnten wir dem Stern nachjagen. Wer wäre dabei?” Die junge Geweihte räusperte sich. “Nachjagen …”, wiederholte sie und tippte sich dabei theatralische auf ihr Kinn, “... wie habt Ihr die Schätze denn sonst immer ausgehoben?” Insgeheim fürchtete sie, dass sie der Gruppe der Priester an Professionalität unterlegen waren. Diejenigen, die das Kind oder den Krieg suchen, empfand die Rahjani nicht unbedingt als Konkurrenz, doch die Gelehrten mit dem alten Zausel waren es auf alle Fälle. “Am Gold für Ausrüstung soll es dabei nicht scheitern, das leiere ich notfalls meinem Onkel aus der Tasche.” Valeria setzte ein kindlich unschuldiges Lächeln auf als sie ihren Blick über die Gesichter der anderen schweifen ließ. “Und in welche Richtung soll es denn gehen?” fragte Doratrava weiter. “Die da drüben”, sie deutete auf Nirjaschkas Tisch, “wissen auch noch nicht, wohin sie müssen, die wollen erst noch beobachten und irgendetwas berechnen.” “Ich hab gehofft, das es hier jemanden gibt, der sich besser mit den Sternen auskennt. Ich bin zwar sehr geübt, aber noch ist der Stern zu weit entfernt. Zumindest hat es mich in die Nordmarken geführt. Ein Teleskop wäre hilfreich.” Fragend schaute er in die Runde. “Ein Teleskop ist eine kostenintensive Anschaffung, aber die könnte sich lohnen. Mit dem nötigen Geld hätte ich die Kontakte, um so etwas zu beschaffen, keine Frage.” Valeria klatschte in ihre Hände. “Das ist großartig. Dann haben wir ja eine Bezugsquelle und jemanden, der den Spaß bezahlt.” “Ihr also, meine Teuerste?”

Ronan lächelte Rhodan und Valeria zu. “Wunderbar! Dann haben wir jemanden, der das kostbare Teleskop für eine profunde Sternenschau finanziert. Wir danken Euch sehr, Schönheit der Rosenknospe.” “Meine Familie …”, meinte die Geweihte keineswegs kleinlaut, sondern sehr selbstsicher, “... sofern Bedarf besteht und vorausgesetzt das eingesetzte Kapital wird bei der Aufteilungsquote ausreichend berücksichtigt.” Noch bevor jemand antworten konnte, lag die Aufmerksamkeit der Geweihten auf ihrer Begleiterin.

Meta war von Natur aus unauffällig und gab sich auch so. Kein Wunder, dass die Gauklerin, die sie schon mindestens dreimal getroffen hatte, sie überging. Wobei das eine Mal recht emotional gewesen war. Damals hatte Dora ihre verheulten Augen auch auf andere Personen gerichtet. Typischerweise pflegten die Herrschaften, sich in Szene zu setzen, obwohl es noch keinen Grund dafür gab. Sie fasilierten und palaverten. “Hohe Damen, Hohe Herren, werden die anderen Gruppen mit uns reisen? Und wann gedenkt Ihr, aufzubrechen? Wir sollten eine malochende Meschpoke beauftragen, geeigneten Proviant und Reiseutensilien zu besorgen. Eine gewisse Ahnung, wo das, nachdem wir suchen auf Dere landen wird, werdet Ihr doch sicher haben.” Sie stützte sich nun mit beiden Ellbogen auf dem Tisch ab. “Einig, dass wir es wollen, sind wir uns doch. Wichtig wäre ein Vorsprung. Oder habe ich etwas Wichtiges verpasst? Wenn der Zausel nicht gehen will, soll er eben hier bleiben.” Sie zuckte mit den Schultern. Was an den anderen Tischen vorgefallen war, hatte sie nicht mitbekommen. Doratravas Auftreten wunderte sie nicht. Die Frau war flatterhaft.

Flüsternd wandte sich Valeria an die Knappin. “Wir wissen nicht wohin, das ist das Problem. Und ich befürchte, dass die anderen weiter sind als wir. Könntest du dich auf den anderen Tischen umhören ob jemand eine Idee hätte?” Sie hob ihre Augenbrauen. “Unauffällig, wohlgemerkt. Vielleicht tut der Lakai des Alten es dir am Tisch der Götterdiener ja gleich.” Mit einem Lächeln versuchte sie Meta für ihren Plan zu gewinnen. Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.

Am Tisch der Götterboten

“Soweit ick jehört hab, sin de Sternchen runterjefallen und können den Jöttern zugeteilt werden. Dat Sternchen von Havena, ein großer Gwen-Petryl … eindeutig Efferd. Und Jerüchte sajen, das der letzte bei Omlad wat boronjefälliges is.” Nirjaschkas Gesicht glühte regelrecht vor Aufregung. Die Mittvierzigerin trug ihr kastanienbraunes Haar unter einem grünen Kopftuch und der leicht untersetzte Körper war in dem üblichen grünen Wickelgewand der Hesinde gekleidet. Das Schlangenhalsband aus grünem Zinn wies sie als Mentorin aus. Und immer wenn sie von Begeisterung erfasst wurde, verfiel sie schnell in ihren bornländischen Dialekt zurück. “Und dat is nur von denen wir jehört ham. Ich frach mich bis heute, wat die beim Sternchen in Arivor jefunden haben.” Erwartungsvoll schaute sie in die Runde. Ein weiterer Geweihter der Allweisen hörte ihr gespannt zu. Der hochgewachsene Mittzwanziger trug ebenfalls das typische Wickelgewand, doch anstatt des Kopftuches trug er eine grün-goldene Rohalskappe. Seine Statur ließ darauf schließen, dass er nicht nur die Schreibstube kannte. Auch seine Hände zeugten von Tatkraft und wiesen nicht nur Tintenflecke auf. Madasil, ebenfalls Mentor, räusperte sich: “Angeblich, so besagt ein Gerücht, hätte es sich dabei um den Sarstern gehandelt. Allerdings konnte ich diese These nicht prüfen, da ich mit anderen Aufgaben betraut war. Zudem ist die Sternkunde nicht mein Fachgebiet. Desweiteren habe ich von Meteoreisen gehört, dass dort gefunden wurde. Aber vielleicht weiß der Orden ja mehr?” Mit freundlichem Blick schaute er den Draconiter an.

Lessandero zuckte nur kurz mit den Schultern. “Es mag sein, das im Oktagon dazu neueres Wissen vorliegt. Leider haben mich meine Forschungen in den letzten Monaten von dort ferngehalten.” Der Draconiter war ähnlich wie die beiden am Tisch stehenden Mentoren der Hesindekirche gekleidet. Er trug die grüne Robe der Hesindegeweihtenschaft ebenso wie das zinnerne Schlangenhalsband. Nur durch das Wappen mit der sich um zwei Pergamentrollen windenden Schlange war er als karmales Mitglied des Sacer Ordo Draconis zu erkennen. Der großgewachsene Draconiter - ihm fehlten nur knapp fünf Finger an zwei Schritt - war schon in der zweiten Lebenshälfte, was sich bei ihm neben dem unter der Robe erkennbaren Bäuchlein auch auf dem Kopf in dem mageren Haarkranz zeigte. ‘Das Haar musste weichen als Hesinde mir die Weisheit gab’, pflegte er selbst diese Frisur zu beschreiben. An seinem breiten Gürtel war links die reich verzierte Tasche mit seinem Buch der Schlange und an der rechten Seite die Basiliskenzunge befestigt. Neugierig hatte er bislang Soror Nirjaschkas Vortrag zum Sternenfall gelauscht.

Doratrava kam direkt von einer Straßenvorführung und trug deshalb ein bunt-kariertes Hemd, an dem allerlei kleine Glöckchen befestigt waren, so dass sie bei jeder Bewegung leise klimperte. Das war jetzt ein wenig unvorteilhaft, aber ließ sich nicht ändern, die sehr schlanke, extrem hellhäutige Gauklerin hatte dem strengen Blick der Geweihten lediglich ein entschuldigendes Heben der Schultern entgegenzusetzen. Gegen den Regen trug sie einen Kapuzenumhang, dessen Kapuze allerdings zurückgeschlagen war, so dass ihre langen weißen Haare und die leicht spitzen Ohren für jedermann offensichtlich waren.

Dabei kam sie in der Tat auf Einladung jener Geweihten, hatte diese sie doch in einer Pause ihrer Vorführung angesprochen und sich an einem Gespräch mit ihr interessiert gezeigt. “Madas Gaben” galt ihr Interesse, hm … Doratrava war noch nicht sicher, ob sie darüber überhaupt sprechen wollte. Aber irgendwie hatte diese Nirjaschka sie neugierig gemacht, und nun war sie hier, im Tempel der Hesinde - und bass erstaunt, diesen Menschenauflauf hier vorzufinden. Die Geweihte bemerkte sie auch sofort und winkte sie an einen der vier Tische, ohne allerdings nun direkt das Wort an sie zu richten, stattdessen hielt sie einen Vortrag, von dem die Gauklerin höchstens die Hälfte verstand. Um fallende Sterne ging es, davon hatte sie aber keine Ahnung, außer man zählte diverse Gerüchte, die seit Jahren dazu die Runde machten, als gesicherte Informationen, insofern sah sie sich auch nicht in der Lage, der Aufforderung, die aus dem Blick der Geweihten sprach, Folge zu leisten, aber das hörte sich auf jeden Fall nach einer spannenden Geschichte an - ob spannend für sie selbst, würde sich zeigen. Wie gesagt, sie war ja eigentlich aus einem ganz anderen Grund hier.

Doratrava fiel auch der Draconiter in der Runde auf. War das nicht dieser Lessandero Dingsbums, mit dem sie vor mittlerweile fast eineinhalb Jahren ein etwas bizarres Abenteuer in den Bergen südlich von Khunchom erlebt hatte? Vorsichtig winkte sie ihm zu, um die missbilligende Aufmerksamkeit der Geweihten nicht noch mehr auf sich zu ziehen. Wenn auch allein das Winken schon wieder ihre Glöckchen sanft klingeln ließ.

Als Lessandero sah wie ihm die junge Frau zuwinkte, kam ihm seine Exkursion nach Khunchom wieder in den Sinn. Auf dem Heimweg hatte er die junge Gauklerin und ihren Begleiter getroffen und sie hatten gemeinsam ein paar aufregende Tage erlebt. Fröhlich lächelnd winkte er zurück und meinte dann leise zu Madasil: “Verzeiht, das ich unser kurzes Gespräch abbreche, aber ich habe dort eine Bekannte gesehen, die ich begrüßen möchte.” Er machte ein paar Schritte um den Tisch herum an Doratravas Seite. “Ich freue mich Euch hier zu sehen”, raunte er der Gauklerin zu. “Mit Euch hätte ich hier wirklich nicht gerechnet.” Doratrava lächelte den Draconiter schelmisch an und zwinkerte. “Ich auch nicht” erwiderte sie leichthin. “Und ich mit … Euch … übrigens auch nicht.” Lessandero bemerkte das leichte Zögern bei der Anrede, ebenso den fragenden Blick der Gauklerin, die aber gleich weitersprach: “Also, ich meine, nicht wegen der Sternenfall-Sache, die Euch sicher brennend interessiert, sondern einfach des unwahrscheinlichen Zufalls wegen. Oder hat Hesinde dazu eine erhellende Theorie?” Beim letzten Satz nahm Doratravas Tonfall eine leicht neckende Note an.

“Ob es Hesinde ist, die uns hierher geführt hat?” überlegte der Geweihte. “Ich befürchte nicht. Es scheint mir doch eher der Zufall zu sein. Und das wäre dann wohl eher Herr Phex.” fügte er schmunzelnd hinzu. “Vielleicht können wir uns ja nach dem Vortrag noch ein wenig austauschen.” “Ist ja auch egal, das Ergebnis zählt.” Doratrava zwinkerte erneut. “Ja, klar. Bin mal gespannt, was das hier alles gibt.” Sie setzte zu einer weitschweifenden Armbewegung durch die Tempelhalle an, führte diese jedoch nicht zu Ende, als das erneut ihre Glöckchen an deren Daseinsberechtigung erinnerte. Die anderen Gruppen hatten durchaus ebenfalls ihr Interesse erweckt, zumal sie in der Gruppe dieses Norbarden gleich drei, nein, sogar vier weitere bekannte Gesichter erspäht hatte. “Ich freue mich darauf”, antwortete der Draconiter und begann sich wieder der Vortragenden zuzuwenden.

Hesindiard von Rickenbach war alt. Leicht gebeugt und auf einen hölzernen Stab gestützt, hatte er den Tempel betreten und sich an den Tisch zu den Hesindegeweihten begeben. Doch sein Entsetzen über die Unbildung selbst unter diesen, war langsam immer deutlicher über seine Züge geglitten. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen und der dunkle, lockige Haarkranz, der ihm von seiner einst so dichten Haarpracht geblieben war, wippte auf und ab bei jedem Kopfschütteln, das er dem Unwissen hier entgegensetzte.

“Halbwissen.” sagte er irgendwann laut. Und seine Stimme war tief und von überraschender Klarheit. “Ist noch schlimmer als Unwissen. Letzteres kann man beheben. Doch an ersterem hängen die Menschen oftmals mehr als an guten Freunden.” spuckte er irgendwann laut in die Runde, Leonora zugewandt. “Rijsha war es- die Feder des Raben- die dort in Omlad niederging. Und ob es dem Gott des Todes freut, wenn die Sterne aus seinem Sternbild fallen- nun, die einen meinen so, die anderen so.” fuhr er unbeirrt fort, und sein Tonfall machte deutlich, was er von welcher Meinung hielt: “Und niemand, der sich mit den Sternen auskennt, sagt, dass es der Sarstern war, der Arivor zerstört hat. Denn die Spitze des Schwerts fiel bereits einen Mond VOR der Zerstörung dieser wunderschönen, heiligen Stadt.” grummelte er: “darüber hinaus gab es keinen Stern, der IN Arivor einschlug! NEIN! NEIN! NEIN!” wie oft er das hatte sagen müssen in den letzten Jahren, langsam hatte er begonnen es hinzunehmen. Aber hier? In einem Tempel der Herrin Hesinde. Er schüttelte den Kopf. Madasil wandte sich dem Sternenkundler zu: “Ich danke Euch, für die Richtigstellung. Wie ich bereits erwähnte, war es ein Gerücht, dass ich aufschnappte und nicht prüfen konnte. Nun jedoch habe ich Klarheit. Mögt Ihr uns mitteilen, was Ihr über dieses Phänomen wisst?”

“Über welches Phänomen? Über Arivor? Oder über den Sternfall im Allgemeinen? Den gehäuften Sternfall seit 1039 im Besonderen?” Der Alte klang immernoch wirsch, aber wirkte schon etwas versöhnlicher. Menschen, die ihr Wissen erweitern wollten, war er zugetan. Er lächelte Leonora an, die mit ihm und Alrik zum Tempel gekommen war. Wissen führte einen auch immer näher an sich selbst heran. Ein Grund, weshalb es so viele Menschen scheuten.

“Wenn es die Zeit erlaubt über alles natürlich, aber jetzt, im Augenblick wäre eine kurze Übersicht hilfreich. Vielleicht gibt es ja einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen herab gestürzten Sternen. Ich muss leider zugeben, dass ich nur über Grundkenntnisse der Sternenkunde verfüge.” “Nun das ist mir aufgefallen.” antwortete der Alte: “Aber wie ich sehe, seid ihr interessiert dies zu ändern. Das ist löblich. Und ihr seid am richtigen Ort. Im Tempel des Wissens.””Und Ihr scheint mir der rechte Lehrmeister zu sein.” “Nun, ja, man kann sagen, dass diese Runde Glück hat, dass ich anwesend bin.” Er seufzte. Suchte nach dem besten Anfang. “Wie steht es mit eurem Wissen um die Sphären? Die Sphairologia ist kein einfaches Fach, aber um alles zu begreifen, sollte man die Grundzüge kennen. Stellt euch die Welt wie eine Zwiebel vor. Bestehend aus einem Kern, umlagert von verschiedenen Schichten.

Im Inneren haben wir die erste Sphäre- also den Zwiebelkern- über den wir wenig wissen. Sie ist sozusagen der Urgrund des Weltengesetz. Sie trennt Sein von Nicht-Sein, ist die Manifestation der Materie. Der Existenz. Diesen Zwiebelkern umgibt nun eine erste Schicht. Eine zweite Sphäre. Auch über sie wissen wir wenig, nur, dass sich die Materie dort zu ordnen beginnt, ist bekannt. Sumus Macht beginnt dort. In der zweiten Sphäre.

Dann folgt eine zweite Schicht um unseren Zwiebelkern. Die dritte Sphäre. Sie ist unsere Welt. Hier hat die Materie sich bestimmten Regeln unterworfen. Und so ist Leben möglich. Es folgt eine weitere Schicht: die vierte Sphäre. Wenn ihr einst auf Golgaris Rücken über das Nirgendmeer fliegt, werdet ihr sie betreten, denn der Tod ist nichts als eine Sphärenreise von der dritten in die vierte Sphäre- ins Totenreich.

Die nächste Schicht, die fünfte Sphäre dann, ist die Welt der Götter. Die Welt Alverans. Die wir nicht betreten dürfen und über die wir daher nur spekulieren können. Und dann.” seine Stimme nimmt einen triumphierenden Klang ein: “die sechste Sphäre. Die Sphäre der Sterne. Die Sphäre der Macht. Hier nähren sich Götter und Dämonen. Die sechste Sphäre trennt die fünfte -also die Welt der Götter- von der siebten-” er machte eine Pause und sah Madasil an: “das Chaos herrscht dort. Eine Sphäre ohne Zeit und ohne Raum, Heimstatt der Dämonen.” er klatschte in die Hände: “Und das ist es, was ihr begreifen müsst, um die Sterne zu verstehen: Der Himmel, den ihr kennt: Er ist die Trennung zwischen der Welt der Götter und der Dämonen. Und alles was dort passiert, passiert weil sich dort Dinge ereignen. Die wir nur erahnen können. Wenn wir aufmerksam die Sterne lesen.” Grundsätzlich zufrieden mit seinem Vortrag, sah er Madasil an. “Konntet ihr mir bisher folgen?”

”Gewiss. Ich hätte sogar eine These, die ich Euch offerieren möchte. Wenn also, die sechste Sphäre die Sterne enthält und zugleich Alveran vom Chaos trennt, können wir dann annehmen, dass der Verlust von Sternen diese Sphäre dünner werden lässt? Folglich die Trennung an Stärke verliert?” “Nein, nein.” Der Alte schüttelte den Kopf, “Die Trennung ist nur dort nicht stark, wo es Rupturen gibt. Die größte ist die große Bresche, in die die Götter den Namenlosen schmiedeten. Aber die Anzahl der Sterne ist dafür nicht bedeutend. Zumal ihr vergesst: Es vergehen nicht nur Sterne, es werden auch welche geboren. Daher ist es wichtig die Sterne zu lesen! Denn auch die Geburt neuer Sterne weist uns Wissen zu, Wissen, was dort oben in den Sphären der Götter und Dämonen so passiert.”

Da offensichtlich der alte Gelehrte die Aufmerksamkeit auf sich gerichtete hatte, hielt Nirjaschka inne und hörte zu. “Jenau, aufmerksam lesen. Deshalb is it wischtig zu wissen, wo dat Sternschen runterkommt, damit wa die Botschaft aus Alveran finden und lesen können.”, legte die Geweihte ihr Kommentar dazu.

Lessandero nickte zu der Schlussfolgerung der Geweihten. Das war auch aus seiner Sicht die logische Konsequenz. Der ausführlichen Lehrstunde des Alten war er nur mit halben Ohr und Auge gefolgt, denn sie enthielt nur die bekannte Sphärenlehre, die er schon vor vielen Jahren während seiner Ausbildung vernommen hatte, stattdessen beobachtete er die anderen Tische und die dort anwesenden Personen.

In Begleitung des alten Mannes war eine weitere Gestalt an den Tisch getreten, die das komplette Gegenteil des alten Gelehrten zu sein schien: eine sehr junge Frau von vitalem Auftreten und schlanker Gestalt. Ihr Gesicht brauchte in Sachen Ebenmäßigkeit den Vergleich mit der Rahjageweihten am Nachbartisch nicht zu scheuen, auch wenn die junge Frau auf Schminke und Zierrat verzichtet hatte und insgesamt rondrianischer wirkte. Die gefällige Gewandung im Methumiser Stutzerstil und das Korbschwert an ihrer Seite unterstrichen letzteren Eindruck.

Das Verhalten der jungen Kriegerin zeigte weitere Unterschiede zu ihrem Begleiter auf: so schien diese von einer gewissen Befangenheit ergriffen, seitdem sie den Tempel betreten hatte, und auch der polternde Ausbruch des Alten schien ihr peinlich zu sein. Zusätzlich zeigte die Verwirrung in ihrem Gesicht, dass sie wohl nicht die regelmäßige Gesprächspartnerin des Gelehrten war, wenn es um Sternenkunde ging.

In der Tat fühlte sich Leonora von Heiternacht, eine Ritterin aus der Baronie Kaldenberg, fehl am Platz und außerdem überfordert. Ein glücklicher Zufall - oder, wie sie glaubte, das Schicksal - hatte dazu geführt, dass sie in eigener Angelegenheit in Elenvina weilte, als sie Hesindiard in der Stadt begegnet war. Sie hatte ihre Bekanntschaft auf eine Lektion angesprochen, die er ihr einst in der Kunst der Sterndeutung erteilt hatte. Prompt hatte der Alte sie aufgefordert, ihn sogleich zu begleiten - dort, wo er gerade hingehe, könne sie viel über die Sterne lernen. Das Wiedersehen hatte erst vor wenigen Augenblicken stattgefunden - und so war sie unverhofft in diese Runde geraten.

Verlegen blickte sie sich um, einen Blick auf die anderen Personen werfend, die sich hier im Tempel versammelt hatten. Schließlich konnte sie ihre Neugier nicht länger zurückhalten: “Verzeiht, gelehrte Damen und Herren, ich verstehe nicht - wir suchen einen Stern, der in den Nordmarken herabfallen wird? Weiß man schon, wo das sein wird?”

Nun legten sich alle Augen auf die junge Kaldenbergerin. “Jute Frage. Jenau kann ich nix sagen, nur das es scheint, dass das Sternschen in die Nordmarken runterkommt. Der Fingerzeig Alverans is ja immer nur in der Nacht zu sehen und dann och nur für ein paar Wasserläufe. Aber ick kann von Glück sagen, das Hesinde uns erfahrene Sternkundler jeschickt hat und wir ham och een jutes Fernrohr. Um die Frage zu beantworten: wir müssen kieken.” Bestimmend schaute Nirjaschka in die Runde.

Hesindiard hielt die Luft an: Fernrohr? Oh, unter welche Dilettanten war er nur geraten? Dieses Jungvolk, das noch nie die Unbillen der Welt erleben musste und dessen Gemüt nicht an den Qualen und Schrecknissen wachsen konnte. Den Jungen war viel erspart geblieben, aber auch das Wachsen des Geistes und der Wissenschaft, das mit solchem einherging, war an ihnen vorüber gegangen. “Berechnungen.” sagte er schlicht in Leonoras Richtung. “Fernrohre sind nicht sonderlich gut geeignet, besser sind Teleskope. Je besser sie sind, desto präziser sind unsere Berechnungen. Aber dennoch sind sie fehlerbehaftet. Denn die Sterne und die sechste Sphäre sind nicht so weit erforscht, wie wir es uns wünschen würden. Womöglich ist das auch gar nicht möglich.”

“Aber - es müsste doch mit der Zeit immer einfacher werden, den Ort zu finden? Wie… wie bei einem Abschlag beim Imman: je näher der Ball kommt, umso besser weiß ich, wo er landet?” Leonora hatte frei von der Leber weg gesprochen und spürte nun, wie ihr Hitze ins Gesicht stieg. Vor all diesen gebildeten Herrschaften von diesem Spiel der einfachen Leute zu sprechen, was war ihr da nur in den Sinn gekommen! Sie schämte sich und mied den Blickkontakt mit Hesindiard.

‘Naja, so groß sind die Nordmarken ja auch nicht und überall frei zugänglich’ lachte Lessandero in sich hinein als er die Erklärung der geweihten Schwester vernommen hatte. Für die Berechnungen Hesindiards schien ihm die verbleibende Zeit bis zum Aufschlag auch nicht mehr auszureichen, denn um da eine gewisse Genauigkeit zu berechnen musste man viel und lange beobachten. Daher erschien ihm der Vorschlag der jungen Ritterin als der pragmatischste. Einfach wird es auch nicht werden, zumal es ‘Mitbewerber’ gab, die durchaus andere Interessen als die hier am Tisch versammelten vertraten.

“Jaja.” lachte der Alte Leonora an; “Genau richtig. Es ist interessant eurem Geist zu folgen. So ungebildet zwar, aber mit so viel Potential. Eine Verschwendung euch ins Ritterhandwerk gegeben zu haben. Ihr habt es genau richtig erkannt. Es ist wie beim Imman: Je länger man Zeit hat, eine Bahn zu beobachten, desto genauer kann man sagen, wo sie endet. Und wie beim Imman ist es wichtig den richtigen Moment abzupassen, weder zu früh noch zu spät darf man handeln. Ein guter Immanspieler ist ein guter intuitiver Mathematikus, ohne dass er es weiß. Spielt ihr selbst Imman, meine Liebe?”

Vor Leonoras geistigem Auge erschienen die Kinder Kaldenbergs, die sich in den Sommermonaten allabendlich auf dem Feld des Alrikbauer vor der Stadt trafen, und mit den selbstgeschnitzten Schlägern auf den Korkball - nicht selten auch aufeinander - eindroschen. Leonora stets mittendrin, sehr zum Verdruss des Barons, dem sie damals als Pagin diente. Sie dachte an den legendären Sieg der Albenhuser Alben gegen die Elenviner Hengste, dem sie als jubelnde Zwölfjährige beigewohnt hatte. An den Schläger aus echtem Eschenholz, den sie von ihrem Bruder geschenkt bekommen hatte. “Nein.”, log sie, kaum überzeugend. “Das geziemt sich für Leute von Stand nicht.”, schob sie die Phrase nach, die sie sich nur zu oft selbst hatte anhören müssen. Ob des Bedauerns, das sie dabei empfand, vergaß sie ganz das Lob des Alten.

„Ha“ sagte der Alte, „ihr seid alt genug zu wissen, dass das noch niemals Menschen abgehalten hat. Selbst ich habe Imman gespielt als ich ein Kind war. Wie meine Tochter und die Kinder meines Bruders. Und deren Kinder. Und deren Kinder tun es vermutlich auch mal. Es stärkt Körper, Geist und das Gefühl zusammen zu gehören. Schert euch nicht um das Geschwätz der Welt. Ich stelle euch einmal meinen Grossneffen vor, er lebt hier in der Stadt, spielt Imman und führt eine Taverne, sehr zum Ärger meines Neffen. Er schert sich nicht darum, was die Welt über ihn sagt. Und es bekommt ihm gut. Tempora Mutantur, et Nos mutamur in illis. Die Welt wandelt sich, was sich gestern nicht ziemt, kann morgen eine Welt bewahren.“

Bedeutungsschwer nickte Leonora, obwohl Hesindiards Appell sie verwirrte. Im Grunde hatte sie nur verstanden, dass der Gelehrte wohl eine große und immanbegeisterte Familie hatte. Um von sich selbst abzulenken, fragte die junge Kriegerin: “Weiß man denn schon, WANN der Stern herabfallen wird?” Auf die Frage hin, begann der alte Gelehrte in seinem Gepäck zu kramen. Es dauerte eine Weile bis er einen langen, ledernen Zylinder auf seinen Schoß zog.

Doratrava wunderte sich über diese junge Kriegerin in Begleitung des besserwisserischen Alten, die angeblich nie Imman gespielt hatte und so gar nicht in den Kreis dieser gelehrten Gesellschaft passte - ganz wie sie selbst, und das machte sie interessant. Allerdings hatte sie selbst zwar schon das ein oder andere Immanspiel gesehen, aber den Flug des Korkballes mit einem aus dem Himmel herunterstürzenden Steinbrocken zu vergleichen, erschien ihr doch gewagt. Dennoch drängten sich ihr ein paar Gedanken in den Kopf, und bevor sie ihr Mundwerk im Zaum halten konnte, plapperte sie auch schon los: “Also Sternschnuppen habe ich manchmal schon gesehen. Aber das sind doch nur weiße Striche vor schwarzen Hintergrund. Wie kann man denn da erkennen, wo so etwas herunterkommt, wenn es denn überhaupt herunterkommt? Und was ist, wenn es tagsüber passiert?” Unwillkürlich zuckte ihr Blick zu dem Alten hinüber, der sicher gleich wieder eine beißende Bemerkung von sich geben würde. Warum hatte sie auch den Mund aufgemacht? Eigentlich hatte sie doch nun hinübergehen wollen zu dem Tisch mit dem Norbarden, um mal zu hören, was dort so gesprochen wurde und um Rhodan und vor allem Ronan zu begrüßen. Das dritte bekannte Gesicht kannte sie nur flüchtig aus Linnartstein, zuerst von einer eher unerquicklichen Begebenheit, dann von der eben stattgefundenen Hochzeit dort, so dass sich ihr Bedürfnis, mit jener jungen Frau zu sprechen, in Grenzen hielt. Und auch die Rahjani kannte sie seit kurzem, von eben jener Hochzeit. Konnten es der Zufälle noch mehr werden?

Die Mentorin Nirjaschka nickte verständnissvoll. “Jenau wees ick dat nich. Wie schon Meester Rickenback sachte, mit einem Telesjoop könn wa dat besser bestimmen. Sicher is dat es bald is.” Dann hob sie ihren Zeigefinger und schaute zur Gauklerin. “Jute Frage, Doratrava. Nur Nachts könn wa dat Sternschen sehen. Auch dieser hat nen Strich am schwatten Himmel, aber viel größer. Den von dem wir sprechen, sieht man allerdings nur zwischen der ersten Praiosstunde und der ersten Traviastunde. Und ick bin och keine rischtje Sternkundlerin. Und da bin ick froh das ihr da seid!” Mit einem breiten Grinsen schaute sie wieder in die Runde. Überrascht, keinen Spott zu hören bekommen zu haben, schaute Doratrava Nirjaschka mit großen Augen an. Aber nur kurz. Viel über die Sache zu wissen schien die Geweihte ja nicht, aber das war nicht ihr Problem. Da sie auch keine Sternkundlerin war, murmelte sie etwas von “Bekannte begrüßen” und schlich sich möglichst unauffällig und ohne Glöckchengeklimper zum ersten Tisch.

Leonora hatte bei der Frage der merkwürdigen Gauklerin die Augenbrauen verwundert zusammengezogen. ‘Wie sollte man Sterne tagsüber sehen können?! Sterne gibt es doch nur nachts!’, wunderte sie sich, jedoch nur in Gedanken. Mit einem leichten Hüsteln vorweg stellte der Draconiter eine Frage: “Schwester Nirjaschka, wie bald meint Ihr denn, ist ‘bald’? Haben wir den noch genügend Zeit für die aufwändigen Berechnungen, die der gelehrte Herr als notwendig vorschlägt?” Hesindiard hatte mittlerweile einige Schlaufen von dem ledernen Deckel des länglichen Zylinders gelöst. Im Moment zog er einige Pergamente daraus hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete und dort mit kleinen, Metallstückchen, die er zuvor aus einem Beutelchen an seinem Gürtel genommen hatte, vor dem Zusammenrollen bewahrte. Er tippte auf das obere Pergament. “Ihr missversteht. Es gibt nie einen Abschluss der Berechnungen. Man muss sie ständig fortführen. Bis zum Fall des Sterns. Nur…. werden sie im Laufe dieses Prozesses immer genauer. Ob sie genau genug sind, wissen wir erst, wenn wir den Stern gefunden haben, oder eben nicht. Was ein Glück, dass ich schon einige Berechnungen vorgenommen habe.” er deutete verzückt auf eine komplizierte, lange Reihe von Zahlen und Zeichen. “Und somit schon eine ungefähre Vorstellung. Wie ihr seht.”

Lessandero beugte sich über die Aufzeichnungen des Gelehrten. Mit Zahlen umzugehen hatte er bei seinen Beschäftigungen mit der Mystik der Angroschim mehr als genug gelernt, aber diese wirren Kolonnen sagten ihm dann doch nicht allzuviel. Hätte er doch damals in Kuslik auch ein paar Bücher zu Sternenkunde gelesen. Andererseits warum sollte er jede Berechnung des Alten nachvollziehen wollen. Hesindiard war doch ausreichend überzeugt von sich und seiner Kunst. Mit einem “Aha! Sehr interessant!” richtete er sich von den Pergamenten auf und fragte den Gelehrten direkt: “Nun, da nicht jeder die Kunst der Astronomia beherrscht, bitte erklärt uns doch, was Ihr mir ‘ungefähre Vorstellung’ meint.”

“Das seht ihr doch.” Und der Alte drückte seinen mit Altersflecken übersäten Zeigefinger auf einige Zahlen am Ende der Zahlenreihen, die wohl Koordinaten angaben. Und einen Fehlerindex. “Ja, sicher”, log Lessandero. “Aber für die Allgemeinheit, zeigt doch bitte den berechneten Zielpunkt und die möglichen Abweichungen auf einer Karte ein.”

“Bei Hesinde.” fluchte der Alte und kramte erneut in seinen Pergamenten. Zog nach kurzem Suchen ein anderes Pergament nach oben, befestigte es und deutete auf eine Stelle. Auf diesem Papier war grob eine Karte der Nordmarken mit den wichtigsten Gewässern, Gebirgen und Städten verzeichnet- Und einige Kreise mit verschiedener Strichdicke, entlang ihrer Linien standen Zahlen. “Das ist eine Karte der Nordmarken.” sagte er, als sei das nicht jedem halbwegs gebildeten Menschen klar, und tippte mit seinem Zeigefinger auf das Pergament. “Hier. irgendwo” und er fuhr die Kreise nach. “Wird der Stern einschlagen. Die höchste Wahrscheinlichkeit dafür besteht nach meinen aktuellen Berechnungen dabei hier.” Und sein Finger fuhr die dickste Kreislinie entlang. “Im Gratenfelser Becken. Vermutlich in 15-20 Tagen. Das ist momentan die exakteste Berechnung, die ich erstellen konnte. Mein Teleskop und meine Fähigkeiten sind gut, aber ich bin nicht Arba von Silas und mein Teleskop weit entfernt von dem Potential eines Observatoriums in den Goldfelsen.”

Lessandero nickte. “Das bedeutet, dass wir, wenn wir den Einschlag genauer beobachten wollen, irgendwo dorthin müssen, oder? Und zwar in den nächsten 15-20 Tagen. Eher wohl in weniger als 15 Tagen, denn wir wollen ja vor ihm da sein.” Dann blickte er zu Nirjaschka: “Und Schwester, wie sieht Euer Plan aus? Habt Ihr bereits die notwendigen Utensilien für eine solche Expedition zusammen? Tiere, Ausrüstung, …?”

Ein erheiterndes Lachen entwich der Geweihten. “Leider sind wir hier nicht in Kuslik oder Gareth. Unsere Mittel hier sind sehr … bescheiden.” Nun hatte sie ihren bornländischen Dialekt abgelegt. “Aber, wenn wir uns zusammen tun, bin ich sicher, dass wir etwas auf die Beine stellen könnten.” Erwartungsvoll schaute sie in die Runde.

Zumindest bei Leonora wurde die Hesindepriesterin enttäuscht, denn die junge Kriegerin machte ein langes Gesicht. ‘Die Kirchen wollen immer nur das Eine: Geld!’, dachte sie sich, an ihre Geldkatze denkend, die noch schlanker war als sie selbst. Dann durchfuhr sie ein anderer Gedanke. Verschwörerisch beugte sie sich nach vorne und fragte halblaut: “Was ist mit den anderen… den anderen Tischen? Ist das ein Wettlauf? Müssen wir uns vor ihnen… in Acht nehmen?” Sie sprach ihre Worte wohlüberlegt aus, während sie misstrauisch zu den Gruppen rechts und links von ihnen schaute.

“Der Kontakt zu meiner Familie ist, sagen wir mal, spärlich, aber vielleicht kann ich ja meine Cousine fragen. Sie hat ein Edlengut in Schweinsfold. Aber ob sie innerhalb von zwei Wochen Geld schicken kann? Vermutlich nicht.” Der Mentor wollte gerade fortfahren, als der Magier vom anderen Tisch näher trat: “Verzeiht bitte, ich müsste kurz mal Mentor Madasil entführen, wir brauchen seine Hilfe.” Der Geweihte zog fragend eine Augenbraue hoch: “Die Damen und Herren, entschuldigt mich bitte einen Augenblick.” Streng sah er den Magier an und die am Tisch zurück gelassenen konnten noch ein leises: “Was ist denn so wichtig, Wolfhold?” hören, als die beiden sich entfernten und kurz danach einen der hiesigen Geweihten aufsuchten, um sich eine Pergamentrolle geben zu lassen.

“Höchstens ein Wettlauf mit der Zeit.”, griff Nirjaschka Leonoras Faden wieder auf. “Ich hoffe doch stark, das die anderen erkennen, wie wichtig Unsere Suche ist und uns dabei unterstützen.” Die junge Kriegerin entgegnete nichts, doch ihr Gesicht, das alles andere als ein Buch mit sieben Siegeln war, sprach Bände über die Zweifel, die sie ob der Worte der Hesindepriesterin empfand.

Der alte Rickenbacher verfolgte die Unterredung zunehmend irritiert. “Ach, papperlappapp.” stöhnte er irgendwann auf. “So viel Geld kostet das alles auch nicht. Essen müsste jeder von uns ohnehin. Und übernachten können wir in Zelten, das kostet auch nichts. Zur Not könnten sogar die zu Fuß gehen, die kein Reittier haben, und wir wären trotzdem noch rechtzeitig dort.” Er schüttelte den Kopf. Die Jugend machte sich Probleme, wo keine waren. Kein Wunder, hatten die meisten hier die harten Zeiten früher nicht miterlebt.

Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.

Am Tisch der Propheten

Mit konzentriertem Blick beobachtete der horasische Gelehrte Belsazar, wie das entzündete Räucherwerk seine ersten Rauchwölkchen schlugen. Der Mann war von unbestimmbaren Alter und trug ein feines Gelehrtengewand in gold-grüner Färbung. Seine Haut war von dunkler Schattierung mit hohen Wangenknochen und fein geschwungen Lippen. Seine Nase hatte einen leichten und edlen Bogen und seine Augen waren von dunklen, langen Wimpern umrahmt. Sein schwarzes Haar besaß einen bläulichen Schimmer, der sich ebenfalls in seinem gepflegten Bart wiederfand. Belsazar ay Asango stammte aus Drol im Horasreich, doch seine Eltern stammten aus dem Waldmenschenstamm der Chirakah. Der Geruch der Myrrhe breitet sich schnell aus und erreichte jeder der Nasen, die bei ihm an dem Tisch standen. Eine Pergamentrolle war ausgebreitet, wie auch ein Buch mit vielen Notizen. Eine Sternenkarte, wie auch ein Fernrohr lagen auf dem Tisch. “Eigentlich hatte ich mich gänzlich der Astrologie verschrieben … bis ich auf dieses Pergament und die Sternkarte gestoßen bin. Das war letztes Jahr im Hesindetempel zu Neetha.”, führte der Sternenkundler seinen Vortrag fort.

“Wie man sehen kann ist es in Bosparano geschrieben und einige Jahrhunderte alt. Und es hat auch eine Weile gedauert, bis ich sie übersetzt hatte. Doch,” nun hob er seinen Zeigefinger,” waren es zwei Dinge, die mich an der Echtheit dieser Prophezeiung glauben ließen.” Nun zog er die Sternenkarte in die Mitte. Auch diese war alt und in einem schlechten Zustand. Viele der Aufzeichnung waren verblichen, doch einige Stellen waren immer noch deutlich zu erkennen. Belsazar deutet auf das Sternbild der Schlange, die hier schon als Kreis angeordnet war. “Erstens: die Sternanordnung auf dieser Karte entspricht zum größten Teil des heutigen. Und Zweitens: Die Sternbewegung am Himmel, die mich nun in die Nordmarken geführt hat.” Dann drehte er sein Buch aufgeschlagen zu den Zuhörern, so dass alle darin lesen konnten. Ohne darauf zu blicken sprach er weiter:” Ich rezitiere nun meine Übersetzung:

´Der Tag wird kommen,

Die Ketten zerreißen.

Die Not ist Groß, Der König der Könige greift zur Tat.

Zwischen der Stadt der alten Könige, Dem Kamm des Berges, Der Quelle des Flußes, Und dem flüssigen Goldes. Öffnen sich die zwei Augen des Unergründlichen.

Folge dem Flug der Feuersäule, Wenn die Schlange sich in den Schwanz beißt.

Erst dann wird es Hoffnung geben, Und ein Königskind wird unter einem Sternenregen geboren.

Doch sei gewarnt, Ein drittes Auge wird sich öffnen, Um Zwietracht und faule Saat zu sähen.´”

Erwartungsvoll schaute er in die Runde.

Geron hatte die letzten Tage im Haus seines Onkels und seiner Tante verbracht. Onkel Hesindian hatte aber kaum Zeit gehabt. Zum einen waren da die Zwillinge, zum anderen die Erkenntnisse der Exkursion in den Tann. Deswegen hatte er mehr Zeit mit seiner Tante und den jüngsten Mitgliedern der Familie verbracht. Doch dann war sein Onkel an ihn herangetreten und hatte ihn gebeten in den Tempel zu gehen und sich etwas über einen Sternenfall anzuhören. Also war Geron dem Wunsch nachgekommen, nur um festzustellen, dass es gleich mehrere Ansichten gab, welche Bedeutung dahinter stand und was mit dem Stern geschehen sollte. Gerade die Prophezeiung mit der Geburt des Königskindes interessierte Geron besonders, roch sie doch ein wenig nach der Art Prophezeiung, die seine Familie gezeichnet hatte.

Und so stand er nun hier im Tempel und hörte dem Geweihten zu. Dabei stellte er fest, dass auch Relindis zugegen war. Ein breites Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus, welches man unter seiner Maske freilich nicht erkennen konnte.

An sich bot der hochgewachsene, um die 185 Halbfinger messende Mittzwanziger einen interessanten Anblick. Seine dunkelblonden Haare bildeten eine widerborstige Mähne, die bis zu den Schultern ging. Seine Augen waren hinter einer Brille mit bernsteinfarbenen Gläsern verborgen und der Rest des Gesichts, von der Nase bis unter das Kinn war hinter einer Maske verborgen. Die Maske selbst bestand aus dunkelbraunem Leder welches von bronzenen Einlegearbeiten durchbrochen wurde. Die bronzenen Luftschlitze verhinderten, dass Geron erstickte und zeitgleich wurde seine Stimme weitaus weniger gedämpft und er war klar verständlich, ohne laut werden zu müssen. Er trug ein bequem wirkendes weißes Hemd, darüber einen kurzen Wappenrock aus dunklem Wildleder mit einem schwarzen steigenden Schafbock auf Gold über der Brust. Dazu trug er eine ebenfalls dunkelbraune Reithose aus Wildleder und passende Reitstiefel mit Sporen. Um seine Hüften hatte er einen breiten Schwertgurt geschwungen an dem eine schmale Klinge mit Korbgriff und eine Linkhand hingen. Die Arme vor der Brust verschränkt und den rechten Fuß, wie auch den Rücken gegen eine Wand gelehnt, lauschte er seinen Mitstreitern und versuchte auch gleichzeitig einen Blick auf die Gruppen an den anderen Tischen zu erhaschen. War das da drüben eine Rahjageweihte? Und die Gestalt daneben, war das eine Frau oder ein Mann, er konnte es nicht genau erkennen. Tief sog er die Luft ein und konzentrierte sich. Es war eine Herausforderung, denn zum einen erschwerte die Maske, zum anderen die vielen anderen ablenkenden Gerüche sein Vorhaben. Doch durch all diese Hindernisse hindurch konnte er ihre ureigene Fährte wahrnehmen. Tatsächlich, eine Frau. Ein wölfisches, wenn auch unter der Maske verborgenes, Grinsen umspielte seine Züge. Doch dann galt seine volle Aufmerksamkeit dem Geweihten, der gerade anhob die Prophezeiung vorzulesen.

Als Belsazar geendet hatte, seufzte Geron. War es allen Propheten gemein, dass sie ihre Worte in Rätseln niederlegen mussten? Warum konnte nicht ein einziges mal jemand sowas niederschreiben wie, ‘Und am 15. Rahja sollt ihr in Angbar sein. Denn dann wird der Schutzheilige des Bieres selbst herabsteigen um die Krüge aller mit köstlichen Gerstensaft zu füllen.’ Dann seufzte er erneut und begann zu überlegen, was die Wort bedeuten könnten.

Heute erst in Elenvina angekommen hätte Schwester Relindis von Tannenfels sogar tatsächlich darauf gehofft, zunächst in Ruhe im Tempel der gütigen Mutter Aufnahme zu finden und Stärkung in Andacht und gemeinsamem Mahl zu finden. Doch Travia hatte wie zuletzt so oft anderes mit ihr vor. Kaum, dass sie dort den Zweck ihrer Reise verkündet hatte, war sie nämlich umgehend von Vater Winrich - zwar mit herzlich bekundetem Bedauern für all die Hetze - hierher geschickt worden.

Relindis wollte sich nicht beklagen - so sehr sie sich von Kleinauf zu Travia hingezogen fühlte, so wichtig ihr Gemeinschaft, Treue und die Geborgenheit der Familie, aber auch ihrer Kirche waren, so lockte sie ebenso der Ruf der Fremde, weckte der Flug der Wildgänse die Sehnsucht danach, die Liebe der gütigen Mutter in die Welt zu tragen und auch in der Fremde zu Hause zu schenken und Heimat zu finden. Und Erkenntnis.

Bereits im letzten Herbst, kurz nach ihrer Weihe, waren die Flugmuster der heiligen Tiere ihrer Göttin, denen sonst eine solche Schönheit und Klarheit innewohnten, zusehends verwirrend geworden, hatten unerklärliche Ahnungen in ihr hervorgerufen. Dann das Auftauchen des Sterns. Und zuletzt der Zug der Gänse von der Westflanke des Koschs gen Südwesten, mitten im Frühling! - es war klar, dass sie all diesen Zeichen nachzugehen hatte, zuerst ihr, und schließlich sogar seufzend ihrem Tempelvorsteher. 'Ich kann Dich ja doch nicht halten, Schwester. Drum geh mit Travia, finde und bringe Erleuchtung und Frieden mit Dir zurück.'

Jedenfalls war der sofortige Wiederaufbruch zum Tempel der Allweisen der Grund, warum Relindis noch ihr 'Reiseornat' trug: über einer einfachen, am Gesäß verstärkten und recht eng an ihren schmalen Beinen anliegenden braunen Wildlederhose, die in dunkelbraunen Reiterstiefeln steckte, bestand dies vor allem aus einem nahezu knöchellangen orangefarbenen Gewand, das mit seinen Schlitzen vorne und hinten sowie seiner - überdies noch zur Befestigung eines Langdolches genutzten - Gürtung eher an einen langärmligen und kapuzenbewehrten Wappenrock erinnerte als an eine klassisch geschnittene Schwesternrobe, dafür aber für die Reise zu Pferd höchst kommod war. Unter dem Kragen lugten der Rand einer weißen Untertunika und eine einfache Kette mit einem silbernen Gänseanhänger hervor. Die ebenso praktische wie züchtige Gewandung konnte (und wollte) nicht die für Relindis' Familie typische hagere Statur und das beinahe gänzliche Fehlen weiblicher Rundungen an dem etwas mehr als 170 Halbfinger hohen Leib verbergen. Das lange, dunkelblonde Haar der Tannenfelserin war hinten zu einem einzigen, festen Zopf vereint, in den orangene Bänder eingeflochten waren. Mit das auffälligste an ihrem Eintreffen im Tempel der Hesinde, das auch heute wieder viele Blicke auf sie gezogen hatte, war aber ihre treue Begleiterin, die Wildgans Akka, die schon seit einigen Jahren auf Schritt und Tritt hinter ihr her watschelte und ihr eine mehr als liebgewonnene Gefährtin geworden war.

Sanftheit schwang - wie fast immer - in Relindis fein geschnittenen Zügen und in ihren warmen graubraunen Augen, als sie reihum in die Runde ihrer Mitdiskutanten blickte - Belsazar, in dessen Worten soviel Überzeugung klang, was seine Übersetzung und die große Verheißung, die in dieser lag und nur noch gedeutet werden musste, anging - der ihr noch unbekannte Magus, der den Ausführungen mit so klugem Blick folgte - und Geron, der sein Antlitz und seine Augen hier leider verbergen musste - diesem schenkte sie dafür ein besonders herzliches Lächeln. Was für eine schöne Überraschung, ihren Halbcousin hier wiederzusehen!

Geron löste sich von der Wand und ging auf Relindis zu. Er ergriff ihre Hände und musterte sie und ihr Ornat. Das letzte mal als sie sich gesehen hatten, war sie noch Novizin gewesen. “Meinen Glückwunsch zu deiner Weihe, … Euer Gnaden.” meinte der Geron gutgelaunt.

"Habt Dank, hoher Herr!" entgegnete Relindis mit einem Lächeln. "Ja, im vergangenen Travia war es endlich soweit, dass mir die gütige Mutter die Gnade ihrer Weihe schenkte." Das verklärte Leuchten in ihren Augen sprach Bände darüber, wie dankbar und glücklich sie darüber war. "Aber offensichtlich hat die liebende Herrin noch immer anderes mit mir vor, als mich in einem ihrer Häuser oder wieder in meiner Heimat sesshaft werden zu lassen - zumal diese inzwischen ja in guten Händen ist..." fügte sie im Gedanken an die im vergangenen Travia frisch angetraute Gemahlin ihres Bruders, Elvrun, die ihrerseits Travia-Geweihte, aber dennoch anderer Natur wie sie war, hinzu. Auf jeden Fall schien die junge Geweihte alles andere als traurig über ihre Situation. Genauso wie über ihre Wiederbegegnung: “Travias Wille scheint es zum Beispiel zu sein, diese alte Prophezeiung zu enträtseln - und sie meint es offensichtlich besonders gut mit mir, dass ich dabei Dich an meiner Seite wissen darf.”

Relindis konnte förmlich sehen wie Geron hinter seiner Maske ihr Lächeln erwiderte. “Die Wege der G... Gütigen Mutter sind unergründlich.” sagte er gut gelaunt, froh, noch rechtzeitig die Kurve bekommen hatte. Er mochte Relindis sehr gerne. Bei ihr musste er sich nicht verstellen oder eine Maske tragen, sondern konnte er selbst sein. “Wobei, da fällt mir ein, habe ich dich nicht schon bei der Hochzeit der Baronin zu deiner Weihe beglückwünscht?” Es folgte ein kurzes verlegenes kratzen am Hinterkopf. “Sag nichts.”

Relindis sagte nichts und nickte stattdessen nur sachte. Ihr mildes Lächeln verriet Geron jedoch, dass sie ihm die Vergesslichkeit keineswegs krumm nahm, vielmehr erheiterte sie diese sogar. Und konnte man für den unermesslichen Segen der Weihe der gütigen Mutter überhaupt zu oft beglückwünscht werden (nicht dass sie selbst nach Glückwünschen geheischt hätte - nichts lag ihr ferner)? Nach einem weiteren kurzen Moment stiller Wiedersehensfreude deutete Relindis mit ihren Augen in Richtung der beiden anderen Anwesenden - sie waren ja alle aus gewichtigen Gründen hier.

Geron nickte und wandte sich dann an alle, die sich um den Tisch versammelt hatten. Dabei griff er einen Gedanken auf. “Welcher Fluss könnte gemeint sein? Mir fallen drei Gewässer ein, die in den Nordmarken entspringen. Da wäre die Galebra, der Rodasch und die Tommel. Alle drei entspringen in oder an einem Gebirge. Die Stadt der alten Könige könnte Elenvina sein oder vielleicht auch Xorlosch.” Er sah in die Runde. “Da fällt mir auf, Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Geron von Foldenau, Ritter in Diensten der Baronin von Schweinsfold.”

“Du hast mindestens noch die Ambla vergessen, Geron.” ergänze Relindis mit sanfter Stimme. Theatralisch griff sich Geron ans Herz. “Wie konnte ich diesen berühmten Strom nur vergessen.” Er lachte. “Aber du hast natürlich recht, dann sollte ich wohl auch noch die Nabla nennen.” “Doch will auch ich mich noch kurz vorstellen, bevor wir gemeinsam weiter versuchen, die Prophezeiung zu deuten: Ich bin Schwester Relindis, Relindis von Tannenfels, und hier im Dienste der gütigen Mutter.” Ihren eigentlichen Erstnamen, Libgard, nannte sie schon lange nicht mehr, entsprach doch Relindis ihrem Empfinden nach viel mehr ihrer Natur und auch dem, was Travia mit ihr im Sinne hatte. Ihren Worten folgte ein jähes, lautes Geschnatter von unten. “Und dieses vorlaute Tier ist Akka.” musste die junge Geweihte lachen, um dann jedoch auf den Inhalt des Pergaments zurückzukommen. “Was ich aber eigentlich noch anmerken wollte: Mit flüssigem Gold können doch fast nur das in diesen Landen gebraute gute Bier oder der kostbare Honig gemeint sein, oder was meint Ihr?”

Der Mittdreissiger mit den blonden Haaren, einem kurzen aber wohlgepflegten Bart, und den grünen Augen, hatte sich unterdessen feine Handschuhe aus Leder von der wilden Ziege angezogen, die sich, da ungefärbt, von seiner weißen Reiserobe absetzten. Den mannshohen Magierstab aus kunstvoll geschnitztem Bosparanienholz und einer drei Finger durchmessenden grünen Malachitkugel an der Spitze hatte er geschickt gegen den Tisch gelehnt. Behutsam hatte er sich das Buch gegriffen, um es unter die Lupe zu nehmen. Einen Finger legte er dabei auf die aufgeschlagene Seite und klappte das kostbare Stück vorsichtig zu, um die ersten Seiten zu inspizieren. Er wollte wissen, ob sich der Autor dort verewigt hatte, denn, wenn das Buch wirklich älter war, so würde dessen Einband weder Titel noch Signatur tragen oder aber der Einband selbst war jüngeren Datums und enthielt einen falschen Namen, um das Werk kostbarer und interessanter scheinen zu lassen. Er würde sich nicht wundern, falls dort behauptet würde Niobara selbst hätte es geschrieben. Auch schaute er nach, ob das Buch ordentlich gebunden und von Hand geschrieben war, oder auf neumodische liebfeldische Art gedruckt und geklebt. Zudem schaute er nach Kommentaren am Rand und ob sich etwaige Vorbesitzer mit einem exlibris eingetragen hatten.

Obwohl er abwesend schien, folgte er doch den Worten der Anwesenden genau. "Wenn Eure Bierthese zutrifft, dann könnte damit nahezu jede Zwergenbinge gemeint sein, enthalten sie doch allesamt Bier im Überfluss und oftmals auch einen König. Zudem sind fast alle älter, als unsere Ankunft hier." Er legte mit einem kurzen Nicken das Buch zurück und richtete sich auf. "Dies könnte dann auch bedeuten, dass der Stern nicht hier, sondern im Kosch herunterfiele, in Angbar beispielsweise. Nein. Wie sicherlich allen Anwesenden bekannt ist, gilt unser allen hochheiliger Hlûthar als erster König der Nordmarken, auch wenn es den Titel seinerzeit nicht gab. Seine Heimat war Gratia Lapis, das heutige Gratenfels. Somit ließe der Hinweis 'flüssiges Gold' eher auf die Schwefelquellen schließen. Nicht auszudenken, wenn dort ein Stern, womöglich noch brennend, hinunterfiele. Aber es ist ja nur ein Eckpunkt der beschriebenen Karte, nicht wahr, Euer", er blickte auf die silberne Gans,"Gnaden." Dann schaute er in die Runde. "Mein Name ist übrigens Wolfhold Leuenhard von Punin. Ich bin freier Magus. Das heißt zur Zeit ohne Anstellung oder Lehrstuhl, denn ich bin in meine alte Heimat zurückgekehrt, um die Geheimnisse der Vergangenheit zu erforschen und nicht, um Dinge zu lehren, die schon lange bekannt sind. "

Der junge Ritter nickte dem älteren Magier zu. “Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen. Seid Ihr Euch sicher mit Gratenfels? Denn die Prophezeiung spricht von ‘der Stadt der alten Könige’ und nicht ‘des alten Königs’. Auch wenn die Stadt natürlich ziemlich gut passen würde. Zusammen mit den Schwefelquellen und der Quelle der Tommel hätten wir drei gute Punkte um ein Suchgebiet abzustecken. Der Kamm des Berges wird dann wohl eine Erhebung im Kosch meinen. Relindis, deine Idee mit dem Bier oder dem Honig ist auch nicht schlecht, aber man kann es so schwer eingrenzen. Es gibt einfach zu viele Brauereien und Imker in der Region.” Seine Stimme hatte einen nachdenklichen Tonfall und seine Hand lag an der Stelle der Maske, wo man sein Kinn vermuten konnte. “Aber könnt ihr euch einen Reim auf die anderen Dinge machen, die in der Prophezeiung genannt werden. Wir haben doch keinen König der Könige, sondern eine Kaiserin und wer ist mit ‘dem Unergründlichen’ gemeint und was hat das mit den Augen auf sich? Vor allem die Zeile mit dem dritten Auge macht mich ein wenig stutzig. Sind damit vielleicht sogar Personen gemeint?” Geron sah in die Runde und hob entschuldigend die Schultern. “Leider kann ich nur mit Fragen dienen.”

“Nein, sicher bin ich mir nicht. Das ist das Problem mit Prophezeiungen. Sie sind immer vage und mehrdeutig. Allerdings hatte Hlûthar Nachfolger, die teilweise ebenfalls in Gratenfels residierten. Wir sollten alle Ideen in die Runde werfen und eine nach der anderen ausschließen, um der Wahrheit näher zu kommen. Der Einfall des Einen, mag den Anderen vielleicht auf die rechte Spur bringen. Unsere verehrte Rohaja ist aber seit der unseligen Hela-Horas die erste Kaiserin, wenn man von der Abspaltung des Horasreiches absieht. Der Unergründliche könnte sowohl auf Efferd, als auch Boron hindeuten, wobei Efferd auch eine Himmelsrichtung ist. Als ich vom flüssigen Gold las, kam mir ein Gedanke und Eure Frage jagte mir gerade einen Schrecken ein.” Seine Stimme wurde leiser. “Angeblich gibt es Menschen, die dem Widersacher dienen und als `Augen des Namenlosen` bezeichnet werden.” Schnell schlug er ein Abwehrzeichen mit der Hand. Dann sprach er wieder in normaler Lautstärke: “Doch gibt es auch Geschichten von besonderen Personen, die ein drittes Auge auf der Stirn tragen. Wir müssen unsere Ideen sammeln und dann abwägen, welche die richtigen sind.” Er wandte sich an Belsazar: “Gibt es noch weitere Hinweise? Wisst Ihr, wie alt genau die Prophezeiung ist?” Dann durchzuckte ihn ein Geistesblitz: “Foldenau habt Ihr gesagt? Der Mentor dort”, er zeigte auf den Geweihten mit der Rohalskappe am anderen Tisch, “ist Madasil Rondragoras von Dachswies. Ich glaube er erwähnte mal einen Ort namens Foldenquell. Ist das die Quelle eines Flusses in Schweinsfold?”

Interessiert schaute Geron hinüber zu dem Geweihten. “Tatsächlich? Dann sollte ich nachher mit ihm sprechen.” Die dunklen Brillengläser blickten wieder in Richtung Wolfholds und Geron lachte laut auf. “Da zähle ich fleissig Gewässer in den gesamten Nordmarken auf und den Folden lasse ich aus.” Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. “Ja, Foldenquell liegt noch in Schweinsfold, ganz in der Nähe zur Baronie Berg und dort entspringt auch der Folden.” Dann wurde er wieder ernst. “Was die Augen angeht. Die Beschreibung des dritten Auges lässt mich weniger an einen Diener des Dreizehnten denken, vielmehr an einen Anhänger des Widersachers unserer gütigen Herrin Travia. Was meinst du Relindis?”

Der dunkelhäutige Gelehrte nickte zufrieden. “Hesinde sei dank das ich im Tempel der Allwissenden gelandet bin. Ich hatte gehofft auf Leute zu treffen, die sich in den Nordmarken bestens auskennen. Leider hat es mich vorher noch nie hier her verschlagen. Nun Signora und Signores, ihr habt interessante Vorschläge und ich glaube auch, das die Begriffe so etwas wie Landmarken sind.” dann schaute er mit seinen sanften Augen zur Traviageweihten. “Beim flüssigen Gold musste ich auch an Honig denken und dabei viel mir ein Name auf … Honingen. Aber ich bin mir unsicher. Könnte es so einfach sein? Was meint ihr?” Die Frage war dann wieder an alle gestellt.

“Interessanter Ansatz. Soweit ich weiß steht dort der Heilige Tiegel. Sozusagen ein ewiger Quell von Honig. Dürfte ich vorschlagen Mentor Madasil hinzuzuziehen? Er kann Karten lesen und es wird sich hier sicherlich eine halbwegs aktuelle Karte der Nordmarken finden lassen.” "Eine Karte und einen in der Derographie Kundigen heranzuziehen erscheint mir in der Tat vielversprechend.” pflichtete Relindis bei. “Da der Vers von den beiden Augen des Unergründlichen die Strophe mit den anderen Landmarken vollendet, könnte ich mir vorstellen, dass mit dem Unergründlichen tatsächlich Efferd und mit seinen beiden Augen zwei größere Seen gemeint sein könnten.” Die junge Geweihte dachte laut weiter nach: “Liegen in den Nordmarken, eingerahmt von Honingen, Gratenfels, einer Flussquelle und einem Gebirgskamm vielleicht zwei, sogar mehr oder weniger kreisrunde Seen?” Ihr Blick ging zu Geron, der sich im Gratenfelser Becken ganz gut auskennen sollte, jedenfalls weit besser als sie. “Ob der fallende Stern dort irgendwo einschlagen wird?”

“Auf was mit dem dritten Auge gewiesen sein könnte, scheint mir dagegen viel schwerer konkret zu deuten. Sowohl Euer Gedanke zu den Dienern des Dreizehnten, hochgelehrter Herr, als auch Deiner Geron, dass ein Anhänger des Sähers der Zwietracht sein Unwesen treiben könnte, erscheinen durchaus schlüssig.” Relindis grübelte weiter.

“Jedenfalls fordert uns die Prophezeiung auf, dem fallenden Stern in diesen Tagen, in denen sich die Schlange in den Schwanz beißt, zu folgen.” setzte sie ihre lauten Gedanken zunächst in langsam gesprochenen Worten fort, um jäh, schwer Luft holend, zu stocken und dann weit hektischer und in höherer Tonlage fortzufahren: “Je länger ich darüber nachdenke, fürchte ich mehr und mehr, dass wir das nicht nur tun sollen, um das angekündigte Königskind zu finden - sondern dass dies eine Aufforderung ist, weil es erst und nur durch unser Tun überhaupt Hoffnung geben kann. Vielleicht müssen wir verhindern, dass dieses dritte Auge jenes Kind der Hoffnung tötet?”

Nacheinander sah sie Belsaszar, Wolfhold und Geron in die Augen, und alle konnten deutlich spüren, wie aufgewühlt Relindis war. Gütige Herrin Travia, welche Aufgabe hast Du uns nur auferlegt? Wolfhold räusperte sich: “Hoher Herr Foldenau, Ihr scheint mit Ihrer Gnaden vertraut zu sein, vielleicht...ähm...könntet Ihr sie kurz an die frische Luft führen, wir könnten wohl eine kleine Pause gebrauchen. Ich werde inzwischen den Mentor holen.” Die Augenbrauen des Angesprochenen schnellten nach oben und Geron wandte sich Relindis zu. In seinen Augen wirkte sie nicht so, als ob sie frische Luft bräuchte. Doch in solchen Sachen war er auch nicht unbedingt sehr bewandert. Etwas besorgt musterte er seine Base. “Wollen wir kurz frische Luft schnappen und uns die Beine im Park vertreten, bevor wir hier weitermachen?” Die Brillengläser fixierten die beiden Gelehrten am Tisch. “Vielleicht wäre das auch ein guter Moment um uns gleich mit dem passenden Kartenmaterial zu versorgen. Es würde unsere Überlegungen doch sehr erleichtern.” Insgeheim musste sich Geron eingestehen, dass ihn die Überlegungen, die gerade Relindis angestellt hatte, zutiefst beunruhigten.

"Macht Euch um mich keine Sorgen.” ließ Relindis verlauten. “Mir geht es soweit gut. Unsere Sorge sollte alleine unserer Aufgabe gelten…” In diesem Moment schlug Akka laut schnatternd mit den Flügeln und watschelte in Richtung Ausgang davon. Na gut… “Aber etwas frische Luft und einige Schritte, bis Ihr den Mentor und eine Karte herbeigeholt habt, hochgelehrter Herr, werden unseren Gedanken sicher nicht schaden. Ich komme gerne auf eine Runde mit Dir mit, Geron.”

Lächelnd bot Geron Relindis seinen Arm. Gemeinsam gingen sie der schnatternden Gans hinterher. “Deine Begleiterin kann ganz schön herrisch sein.” schmunzelte der Ritter, während sie hinaus in das helle Tageslicht traten. Geron blieb kurz stehen und genoss die wärmenden Strahlen der Praiosscheibe auf dem Gesicht. “Was für ein herrlicher Tag, findest du nicht?”

Gerne hakte sich Relindis bei Geron unter. "Akka weiß nur, sich bemerkbar zu machen. Und manchmal weist mir die Göttin über sie den Weg." Milde lächelnd sah sie ihrer Gänsefreundin hinterher, dann lachte sie. "Häufiger treibt sie aber auch nur ihr Hunger nach Gräsern oder Körnern - wobei selbst in diesem zuweilen Weisheit und Travias Fürsorge versteckt liegen mögen - so langsam könnte ich nämlich auch eine Kleinigkeit vertragen." Jetzt da sie es ausgesprochen hatte, pflichtete ihr Magen ihr knurrend bei, die letzte Mahlzeit lag länger zurück, als es einem klaren Denken zuträglich war.

Es war in der Tat ein schöner Tag - die Frühlingssonne gewann mehr und mehr an Kraft - hier in Elenvina schien der Götterfürst ohnehin immerzu höher zu stehen, mehr an Macht zu besitzen als im nördlichen Gratenfels. Nachdem sie ein Stückchen gegangen waren und sich sicher sein konnten, unter sich zu sein, sprach Relindis ihre Frage aus, die sie umtrieb, seit sie die Prophezeiung aus dem Munde Belsazars vernommen hatte: "Sag mal, weißt Du von einer Hochadligen oder einer anderen Frau, die als Königin bezeichnet werden könnte, und deren Niederkunft in Bälde bevorsteht?"

Geron schwieg geraume Zeit, tief in Gedanken versunken, doch dann schüttelte er langsam den Kopf. “Nein, leider nicht. Mir ist niemand von Stand bekannt, der in der näheren Zukunft ein Kind erwartet. Jedenfalls kann ich dir sagen, dass es nicht die Baronin von Schweinsfold ist.” Da sie alleine waren, nutzte er die Gunst der Stunde und nahm sowohl Brille als auch Maske ab. “Ah, das ist besser. Wenn die Leute nur nicht so abergläubisch wären, dann könnte ich mir das hier sparen.” seufzte Geron, doch trotzdem schenkte er Relindis ein breites Lächeln, bei dem auch kurz die Zähne aufblitzten. Da drang ihm ein Geruch in die Nase, der auch seinen eigenen Magen knurren ließ. “Hm, riechst du das? Frisches Backwerk. Es scheint, als hätte da jemand einen Stand aufgeschlagen.”

"Hmm." ließ Relindis Gerons Worte kurz sacken. "Wenn niemand von Stand ein Kind erwartet, werden wir wohl dem Stern folgen müssen, um zu erfahren, welches Neugeborene das uns verheißene ist." Endlich nahm Geron seine Maske ab. Natürlich war der Anblick erst einmal verstörend, vor allem, wenn man ihren Stiefvetter nicht kannte. Wer aber wusste, welch Mensch sich hinter dem verfluchten Antlitz verbarg, der vermochte nichts furchterregenderes darin zu entdecken wie in den häufig bluterunterlaufenen Augen und den Hauern der Goblins... gut, vor denen hatten auch viele Angst…

"Schön, Dir endlich direkt in die Augen sehen zu können. - Ja, die Leute wissen halt leider nicht, dass Sie sich vor Dir nicht zu ängstigen haben. Und auch wenn unsere Vorfahren dereinst aus dem Güldenland gekommen sind, von dem man sich erzählt, dass dort sogar aufrecht gehende, sprechende Raubkatzen durch die Straßen der Städte streifen, ist bei uns keiner den Anblick von etwas anderem als Mensch oder Zwerg gewohnt. Dabei ist doch das einzige furchterregende an Dir Dein beängstigend guter Geruchssinn. Aber jetzt, da Du es sagst, riech ich es auch. Komm, lass uns rasch etwas holen." Die Berichte von Katzenmenschen hatte Relindis vor einigen Jahren von ihrem entfernten Verwandten Vitrard bei einem seiner alljährlichen Besuche der Glashütte in Tannenfels erzählt bekommen. Er wiederum hatte diese wohl aus erster Hand von einem Güldenland-Rückkehrer vernommen.

“Wirklich? Aufrecht gehende Raubkatzen?” überrascht und beeindruckt von Relindis guten Kenntnissen der Frühgeschichte, sah Geron seine Halbbase an. “Vielleicht wäre es in jener Zeit einfacher für mich gewesen.” Mit routinierten Griffen befestigte er wieder die Maske und setzte die Brille auf. “Wir müssen über die kleine Brücke hinter dem Tempel und auf die Straße zum Stadttor.” erklärte er und bot Relindis wieder seinen Arm. Gemeinsam flanierten sie, begleitet von Akka über den Weg, dem stärker werdenden Geruch nach Backwerk entgegen. Kurz darauf standen sie auch schon vor einem kleinen Stand eines örtlichen Bäckers, der den auf Einlass am Tor wartenden etwas zum Essen anbot. Alles sah lecker und frisch aus und es roch verführerisch. “Was möchtest du haben? Ich lade dich ein.”

"Da sage ich nicht nein, vielen Dank! Ein Stückchen von diesem wunderschönen Kuchen da könnte mir sehr munden." Der noch dampfende, nach Honig duftende Blechkuchen lachte Relindis einfach unwiderstehlich an. Sie dankte Travia für diese köstliche Gabe und den schönen Moment mit Geron inmitten all der schicksalhaften Vorzeichen, die an den Nachthimmel geschrieben standen. Auch Akka schien sehr zufrieden, fand sie offenbar zwischen einzelnen saftigen Kräutern auch einige Brosamen, die der Wind oder weniger geschickte Esser dort abgeladen hatten.

“Wie wünschte ich, dieser Augenblick könnte noch ein wenig länger währen. Aber wir müssen eigentlich schon wieder zurück, fürchte ich.” stellte Relindis bedauernd fest. “Auf dem Rückweg musst Du mir aber unbedingt erzählen, wie es Onkel Hesindian, Alruna und den Zwillingen geht. Wie heißen die beiden denn eigentlich?” Geron hatte sich für eine Bretzel entschieden und bezahlte alles bei der Magd. Er wartete aber noch mit dem Verzehr bis sie sich weit genug von der Straße und den vielen Leuten entfernt hatten. Sobald sie wieder unter sich waren, löste er die Maske und biss herzhaft in das noch warme Laugengebäck. Ein zufriedener Ausdruck legte sich auf sein Gesicht, während er kaute. “Ja, das wäre schön, wenn wir noch etwas mehr Zeit hätten. Aber wir müssen herausfinden, wo das verdammte Ding runterkommen wird. Tante Alruna hat sich von Leuenhards und Eberwins Geburt gut erholt. Onkel Hesindian ist nun viel daheim um Tante Alruna zu helfen. Was auch notwendig ist, da sich meine Vettern dazu entschlossen haben ihren Eltern keinen Schlaf zu gönnen.” Er grinste. “Beide haben einen unterschiedlichen Schlafrhythmus.” Der Ritter aß das letzte Stück seiner Breze und machte sich daran, die Maske wieder festzuschnallen. “Aber, der gütigen Mutter sei Dank, trägt keiner der beiden Anzeichen für den Fluch.”

Nickend und in stillen, an Travia gerichteten Worten stimmte Relindis in Gerons Dank ein. "Gemeinsam durchwachte Nächte verbinden." gab sie danach grinsend zurück. "Ach, wie gerne ich die beiden gleich noch kennenlernen würde - Leuenhard und Eberwin." Sie ließ die Namen einen Moment nachklingen. Relindis liebte kleine Kinder ohnehin, und sie wollte unbedingt Onkel Hesindian und Tante Alruna zu ihren beiden Nachzüglern beglückwünschen. "Aber Du hast Recht." kehrte sie sogleich seufzend zum Anlass ihrer Begegnung zurück, "wir haben uns um einen fallenden Stern zu kümmern - auf dass die Verheißung in ihm wahr und dieser nicht zum Fluch werden möge."

Nach ungefähr einem Viertel Stundenglas standen die vier wieder um den Tisch. Bei ihnen war nun Mentor Madasil, der sich von einem der hiesigen Geweihten eine Karte hatte geben lassen, die er nun auf dem Tisch ausbreitete und an den Ecken beschwerte. Dann erklärte er der Gruppe, was auf der Karte zu sehen war, so dass sie sich die Nordmarken in klein gut vorstellen konnten. “Wenn ihr mit euren Theorien recht habt, dass es sich bei den genannten Begriffen um Ortsmarken handelt, dann haben wir hier Gratenfels, Xorlosch, Honingen und das Koschgebirge. Diese Linie stellt den Tommel dar. Wie ihr sehen könnt, gibt es zwei größere Seen, der eine in der Baronie Orgils Heim, der andere in Schweinsfold. Um weitere Seen auszumachen, bräuchten wir genauere Karten. Ihr habt von einem dritten Auge gesprochen, dass sich noch öffnen wird um Zwietracht zu sehen. Ich habe während meiner Ausbildung auch ein paar Schriften von Gesteinskundlern gelesen. Einige glauben, dass solche runden Seen, die wir auch als Augen deuten können, durch den Einschlag von Sternen auf Dere entstanden sein können. Wenn das wahr ist, dann wäre möglicherweise der Krater unseres Sterns dieses dritte Auge. Die Zwietracht käme dann ganz von allein, wenn alle versuchen sich ein Stück vom Stern zu sichern.” Der Geweihte schaute ernst in die Gesichter der Anwesenden. “Es muss also nicht zwangsläufig der Dreizehnte oder ein Erzdämon sein. Die reine menschliche Gier, wäre unser Feind. Und den kann man, wenn man will und mit Hilfe des wahren Glaubens, auch besiegen.”

Relindis wollte gerne daran glauben, dass die Warnung sich lediglich auf derart weltliche Folgen des Sternenniedergangs bezögen - die ersten Verse der Prophezeiung, in denen von zerreißenden Ketten die Rede war, ließen sie aber daran zweifeln. Doch wollte sie vorerst keine weiteren Schrecken an die Wand malen, sondern sich lieber gemeinsam mit den anderen dem viel konkreteren Enträtseln der Landmarken widmen.

“Mögen die Götter geben, dass es wirklich nur die Gier nach Reichtümern ist, die damit gemeint wurde.” meinte Geron leise. Eine Auseinandersetzung mit Buhlen des Dreizehnten oder der Gegenspieler der Götter war das Letzte was er suchte. Um den Gedanken zu verscheuchen beugte er sich über die Karte. Seine Augen huschten von Ortsmarke zu Ortsmarke. “Wenn die Ortsmarken das Suchgebiet eingrenzen sollten, dann ist es, Elenvina oder Xorlosch vorausgesetzt, riesig und umfasst das gesamte Gratenfelser Becken.” Hinter seiner Maske grinsend nahm er mehrere kleinere Alltagsgegenstände aus seinen Gürteltaschen und schnitt von einer Rolle Schnur zwei Stücke ab. Das eine Ende legte er, beschwert mit einem Feuerstein auf der einen und einen kleinen Schleifstein auf der anderen, so auf die Karte, das die Schnur gestrafft über Elenvina und der Tommelquelle lag. Die andere Schnur führte er von Honingen aus über die beiden Seen hinweg in den Kosch und zog auch diese straff. “Was haltet ihr davon?” Damit zeigte er auf den Kreuzungspunkt der beiden Schnüre, eine Hügelkette direkt an der Grenze zwischen den beiden Baronien Berg und Orgils Heim im Norden schloss sich auch noch Schweinsfold an, auch wenn es noch einige Meilen - zumindest auf der Karte - entfernt lag.

Aufmerksam hatte Relindis die aus ihrer Sicht sehr einleuchtenden Ausführungen Madasils und Gerons verfolgt und sich dabei langsam auch in die Karte eingesehen. Ihre darüber angestrengt zusammengepressten Lippen verrieten, dass sie in dieser Form der Darstellung nicht ganz so bewandert war wie Geron und die gelehrten Herren um sie herum. Beipflichtend nickte sie: "Du könntest recht haben Geron. Und selbst wenn man Gratenfels anstelle von Elenvina als die Stadt der alten Könige glaubt, mit dem Fluss statt der Tommel die Galebra gemeint ist, und auf der Karte die Inga-Kuppen viel eher an ‘den Berg’ erinnern als die Kette des Koschs, liegt die Kreuzung... darf ich kurz?" die junge Geweihte sah Geron fragend an. Als von diesem kein Widerspruch kam, arrangierte sie die Gegenstände auf der Karte rasch um, in dem sie jetzt Honingen mit der Quelle der Galebra verband und Gratenfels mit Xorlosch, von dem sie wusste, dass es unter dem höchsten Berg der Ingra-Kuppen verborgen liegen sollte, "genau... dann liegt die Kreuzung immer noch in der von Dir genannten Gegend, ziemlich exakt an der... das müsste doch die Foldenquelle sein, oder?"

Er trat näher an Relindis heran um besser sehen zu können. “Du hast recht, etwa dort befindet sich Foldenquell.” Wenn der Stern dort heruntergehen würde, wären die Bewohner des Orts in Gefahr und wenn er nur ein wenig abweichen und weiterfliegen würde, so könnte er in Foldenau aufschlagen. Sein Vater würde begeistert sein, vor allem von den Schatzjägern, die dann das Lehen unsicher machen würden. Der alte Herr von Foldenau liebte die Abgeschiedenheit und mit der wäre es dann vorbei. Sein Blick ging zu den anderen drei Männern am Tisch: “Was meint ihr dazu?”

“Interessant, Interessant, Signor.”, sagte Belsazar und schaute weiter grübelnd über die Karten. “Mir kam der Gedanke, wenn Honingen ein Wortspiel ist, sollte man nicht ´Dem Kamm des Berges´ genauer betrachten? Klar der Kosch hat wohl viele Kämme. Aber an welchen sollte angesetzt werden?” Nun zupfte er sich an seinem Kinnbart. “Aber recht habt ihr, es deutet alles auf diese Region hin …” sprach der Horasier mehr zu sich selbst.

“Vielleicht habt Ihr recht. Was, wenn damit nicht der Gebirgskamm gemeint ist, sondern,” Madasil deutete auf eine weitere Linie auf der Karte, “die Verbindung der beiden höchsten, also firunwärts gelegenen, Punkte der Baronie Berg, also diese Grenze hier? Und an dieser Ecke scheint auch der Folden zu entspringen. Gibt es in Schweinsfold ein Königsgeschlecht? Denn Elenvina, Xorlosch und Gratenfels fallen dann wohl wieder raus. Ebenso der See in Orgilsheim. Oder es ist eine Kombination, die auf das Gebiet innerhalb der Schnüre, die zuerst gelegt wurden, und oberhalb der Grenze Schweinsfold - Berg liegt.”

“Ein Königsgeschlecht gibt es meines Wissens nach nicht in Schweinsfold, noch eine hochgeborene Dame, die in Bälde ein Kind zur Welt bringen würde.” Ein plötzlicher Gedanke schoss ihm durch den Kopf. “Oder würdet Ihr die Lilienprinzessin aus der Sage dazu zählen? Nein, das ist lächerlich.” Amüsiert schüttelte der Foldenauer den Kopf. “Doch seid ihr gar nicht auf den Vorschlag ihrer Gnaden eingegangen, dass die höchste Stelle des Isenhag gemeint sein könnte. Doch auch auf diese Weise kämen wir wieder bei der gleichen Gegend heraus.” er deutete auf den Bereich um Foldenquell herum.

“Ihr habt recht”, er wandte sich Relindis zu, “ verzeiht mir Euer Gnaden, aber manchmal überschlagen sich meine Gedanken. Ihr habt uns einen interessanten neuen Blickwinkel offenbart. Beide Auslegungen verweisen auf das Gratenfelser Becken und scheint sich in Richtung Schweinsfold, Foldenquell zu konzentrieren. Gibt es etwas in der Prophezeiung, dass uns Gewissheit geben kann? Was wir eindeutig identifizieren können? Am anderen Tisch sprach ich mit Meister Hesindiard von Rickenbach. Seine Berechnungen deuten ebenfalls auf das Gratenfelser Becken und er sagte auch, dass es womöglich nur noch zwanzig Tage bis zum Einschlag sind, vielleicht auch nur zwei Wochen. Bis nach Herzogenfurt sind wir circa neun Tage unterwegs, wenn wir den Fluß nehmen und alle ein Pferd haben. Wir müssen uns wirklich sicher sein, insbesondere, wenn wir vorher noch evakuieren wollen bzw. müssen. Ich habe einen Cousin am Baronshof zu Herzogenfurt, wenn ich ihm eine Taube schicke, könnte er vielleicht mit der Baronin sprechen und Vorbereitungen treffen, aber dafür brauchen wir Gewissheit. Vielleicht sollten wir uns mit dem anderen Tisch zusammen beraten?”

“Es würden wohl eher 12 Tage sein, wenn wir den Fluss und dann den Halwartstieg nehmen würden. Schneller geht es wenn wir die Reichsstraße Richtung Honingen nehmen. Das kostet uns 8 Tage, wenn wir uns am Ende etwas sputen, 7 wenn wir die Tiere und uns nicht schonen.” Er deutete auf eine Linie, welche die Reichsstraße darstellte.

Könnte ´Grat´ und ´Fels´ für ´Kamm´ und ´Berg´ stehen? Dann könnte es Gratenfels bedeuten und dann wäre unsere vorherige Deutung gar nicht so falsch. Und die Seen wären auch wieder drin, gehen wir von einer ungefähren Mitte aus …” Vorsichtig lief der Horasier seinen Zeigefinger über die Karte gleiten.

“Findet Ihr das nicht ein wenig zu sehr an den Haaren herbeigezogen?” brummte Geron, der es nicht mochte, wenn man ihn unterbrach. Eigentlich hatte er noch etwas sagen wollen, doch was es auch immer gewesen war, der Gedanke war fort.

Bosparano war noch nie Relindis' Leib- und Magendisziplin gewesen, aber sie hatte ihre Lektionen hinreichend gut verinnerlicht, um die Deutung von Gratenfels als 'Kamm des Berges' wie Geron auch für sehr... herbeigewünscht... zu halten - als Verballhornung von Gratia Lapis, der 'Anmut aus Stein' hatte der Name Gratenfels inhaltlich eigentlich wenig mit einem Grat oder Kamm gemein. Aber vielleicht hatte der Verfasser den Garethischen Namen vor Augen, oder gar nur eine Weissagung aus dem Munde eines weniger gelehrten, aber von den Göttern beseelten Propheten verschriftlicht. Sie beschloss, Belsazars Deutung erst einmal so stehen zu lassen. "Wenn wir Gratenfels als 'Kamm des Berges' deuten wollen, so ist umgekehrt die Stadt der alten Könige wohl Xorlosch, denn welche Könige sind schon älter an Jahren als die der Angroschim? Wie man es dreht und wendet, scheint es immerzu auf die Gegend um Foldenquell hinauszulaufen… Ihr habt Recht - wir müssen umgehend die Baronin von Schweinsfold warnen - und Deinen Vater, Geron!" Die Sorge stand der jungen Geweihten deutlich ins Gesicht geschrieben. "Und wir müssen in der Tat hin, so schnell wie möglich, um den Menschen dort helfen zu können. Und das angekündigte Königskind zu finden und zu schützen."

Lang würde ihr Aufenthalt im hiesigen Travia-Tempel also nicht werden - wenn es überhaupt einen geben würde, der über ein Gebet und ein rasches Mahl mit Vater Winrich und ihren Mitschwestern und -brüdern, bei dem sie wohl viel zu erklären hatte, hinausging. Oh gütige Mutter, was hast Du nur mit Deiner Dienerin, mit uns allen vor?

Nun meldete sich der Magier wieder zu Wort, der eine Weile interessiert zugehört hatte: “Was ist denn das eigentlich für eine Lilienprinzessin?” Auch Belsazar ließ den Finger von der Karte und erhob nun auch neugierig den Kopf und schaute Richtung Geron. “Lilienprinzessin?” murmelte er vor sich hin.

Bei der Erwähnung seines Vaters zuckte der Ritter kurz zusammen, doch schob er das drohende Gespräch mit diesem erst mal beiseite. “Du hast recht, Relindis.” Dann sah er zu Madasil. “Ich würde vorschlagen, wir kontaktieren Euren Vetter per Taube, wie Ihr vorgeschlagen habt. Zusätzlich schicken wir einen Botenreiter mit entsprechenden Nachrichten zur Baronin und zu meinem Vater. Das Lehen meiner Familie liegt nämlich im Zielgebiet.“ Fragend sah er sich in der Runde um, dann fuhr er fort. “Bei der Lilienprinzessin handelt sich um eine beliebte Sage, die aus Herzogenfurt stammt. Die Lilienprinzessin war eine Fee, die sich in einen Mensch verliebte und ihre Unsterblichkeit aufgab um mit ihm gemeinsam zu leben. Angeblich haben sie sich an dem kleinen See im Lilienpark, das ist der Stadtpark von Herzogenfurt, kennen und lieben gelernt. Wenn wir in Herzogenfurt sind, kann ich ihn euch zeigen.” Langsam spürte er ein nur allzu vertraute Ziehen und begann unruhig den Tisch zu umkreisen.

“Eine Fee. Interessant. Nun eine Botentaube sollte nicht das schlechteste sein, Signor. Ich hoffe nur, das ihr recht habt … aber es scheint alles darauf zu deuten. Nun wir haben nur ein Versuch.” Der dunkle Gelehrte schien bestätigt, aber noch nicht ganz überzeugt. Madasil wollte gerade antworten, als das Erklingen eines Glöckchen alle aufhorchen ließ.

Am Tisch der Ahnenden

Der Tisch, der in der nebengelegenen Nische zwischen Ghaszbar und Belsazar lag, glich einem einzigen Chaos. Pergamente, Bücher und eine Menge Schutzamulette lagen darauf wild verteilt, sogar ein alter Streitkolben lag dazwischen. Meister Melchior Praiotreu, war Kriegschronist seines Zeichens und stand im Dienste des Grafen von Gratenfels. Der greise Mann hatte einen eisernen Topfhelm auf dem Kopf, trug ein rasselndes Kettenhemd und sein Gürtel zierte eine Sortiment an Dolchen. Das Gesicht wirkte verlebt, leicht eingefallen und sein weißer Bart hing fädig herab. Eine Augenklappe mit dem Wappen der Nordmarken darauf gestickt, bedeckte sein linkes Auge. Nervös schaute er in die Runde und winkte die Zuhörer verschwörerisch näher, als ob er befürchten würde, belauscht zu werden.

“Als junger Mann hatte ich nicht viel darauf gegeben, obwohl mir damals schon das nächtliche Flackern am Sternenhimmel aufgefallen war, vor und nach jeder Schlacht. Doch erst in den letzten Jahren ist mir ein Licht aufgegangen. Je größer die Schlacht, je schlimmer der Krieg, desto größer das Flackern oder fallen der Sterne. Rondra, oder einer der Zwölfe warnt uns immer!” Wie wild begann er in seinen Aufzeichnung auf den Tisch zu wühlen und zog vereinzelte Pergamente vor.

“Hier schaut, ich hab alles aufgeschrieben! Der rote Stern über der Trollpforte: Borbarad! Oder der Stern von Selem … ist zwar schon tausende Jahre her, aber ein Freund von mir hat mir verraten, das wohl die Götter hinter standen, den die Krötigen hatten wohl Krieg. Die Sphärenbeben ... Der Sternfall bei Arivor. Da hat der Haffax Perricum angegriffen! Und … und”, nun wühlte er weiter, bis er ein Büchlein fand und aufschlug.,”hier hab ich die kleinen Schlachten notiert und der Himmel hat Zeichen gegeben.” Nun griff er zu dem Streitkolben und hob ihn hoch. Sein Blick mit seinem einzigen Auge fixierte nun jeden der Zuhörer. “Das was in den Nordmarken runterkommt, ist wie Arivor. Etwas wird sich Sammeln und Angreifen! Sagt, ob ich mich irre.”

Nur zu gerne hätte Radulf von Lîfstein Melchior im Brustton wahrer Überzeugung gesagt, was dieser hören wollte. Dass er sich irrte. Um Melchiors, seines alten Bekannten willen, auf den er so große Stücke hielt. Um der Nordmarken und insbesondere der Landgrafschaft Gratenfels willen, denn wenn es ein Angriff von außen sein sollte, dann wohl nur von den Orks oder den ewig untreuen Alberniern, und die Wucht beider würde am ehesten seine Heimatgrafschaft treffen. Und nicht zuletzt auch um seiner selbst willen, denn die Sorge um das, was da kommen konnte, kommen würde, raubte ihm den Schlaf.

Wenn Sternbilder sich neu fügten und Sterne fielen, bedeutete dies nichts weniger, als dass die vom Herrn Praios wohlgefügte göttliche Ordnung in Bewegung geraten war, sich im schlimmsten Falle auflöste und etwas neuem Platz machte, das nicht zwingend besser sein musste. Was am Himmel geschah, konnte nicht ohne Auswirkungen auf dem Derenrund bleiben. Neue Ordnungen aber, das lehrte die Geschichte, formten sich immer auf den Trümmern der alten Welt, genährt von den Leibern der Erschlagenen und getränkt vom Blute vieler Unschuldiger. Das Gesicht des Magus und Junkers von Lîfstein wirkte abgehärmt und dadurch älter als die Mitte Fünfzig, die er tatsächlich war - zu oft hatte er zuletzt in den Nachthimmel geblickt und danach einsam die schwarzen Stunden durchgegrübelt. Die dunkel unterlaufenen Augen und die Runzeln auf seiner hoch gewordenen Stirn, deren Buchten inzwischen tief ins kurz gehaltene grau-dunkelbraun-melierte Haar vordrangen und sich bald mit der wachsenden Tonsur vereinigen würden, kündeten nur allzu beredt davon - anders als seine zusehends hängenden Mundwinkel, die von einem wohlgepflegten, unterhalb des Kinns spitz auslaufenden Vollbart kaschiert wurden. Die schlicht gehaltene, graue Reiserobe, ganz dem Codex Albyricus entsprechend aus Leinen gefertigt und nur durch etwas dunkler abgesetzte Säume, in die die Symbole der Bewegung, des Ursprungs, des Wegs und des Ziels gestickt waren, sowie den auf der linken Brust schreitenden, goldenenen und rot-bewehrten Greifen von Lîfstein geschmückt, tat farblich ihr Übriges zu diesem Eindruck. Gehalten wurde sie von einem ledernen, wie auch seine leichten Stiefel schwarzen Knotengürtel, dessen vergoldeten Beschläge ebenfalls das Wappentier seines Hauses zeigten und die Verbundenheit Radulfs zum Götterfürsten betonten. Sein spitzer, konservativ mit schmaler Krempe ausgeführter Hut hatte gerade so noch auf dem ansonsten voll liegenden Tisch Platz gefunden.

Gestützt auf einen etwas übermannhohen, aus dem Kernholz der Steineiche gefertigten und am oberen Ende zu einer Spirale ausgeformten Zauberstab, in dessen silbernen Kopfbeschlag eine kleine Bernsteinkugel eingelassen war, hatte Radulf schweigend den Ausführungen Melchiors zugehört. Sie waren das kleinste Grüppchen - wer in erwartungsfroher Neugier von göttlichen Fingerzeigen sprach, gar naiven Heilsbotschaften nachhing (dass da die junge Tannenfels mit ihrem lauten Federvieh zu finden war, sprach wieder mal Bände - nicht einmal in Elenvina und dort in einem Hort der Gelehrsamkeit hatte man seine Ruhe vor diesen impertinenten Innerwäldlern, deren Tun ihm bereits in Ambelmund ein steter Dorn im Auge war) oder nur nach den Reichtümern, die dem fallenden Stern innewohnten, gierte, fand offensichtlich weit mehr offene Ohren als der, der die offensichtlichen Warnungen der älteren wie auch jüngeren Geschichte zu deuten wusste.

"Ich fürchte, Ihr irrt Euch nicht, Meister Melchior, und ich kann nur hoffen, dass Eure Worte Gehör finden in denjenigen Kreisen, die diese vernehmen sollten. Wenigstens der Graf wird ihnen zweifelsohne die Bedeutung beimessen, die diesen zukommt. Habt Ihr ihm bereits berichtet?" In Bezug auf andere wichtige Adlige war Radulf bedeutend weniger guter Dinge, nicht, wenn diese allgemeine Warnung nicht mit Hinweisen auf eine ganz konkrete Bedrohung unterfüttert werden konnte. "Habt Ihr eine Ahnung, wer es ist, mit dessen Schlag wir rechnen müssen, gegen den wir uns rasch und mit aller Kraft wappnen müssen?"

Auch die Magistra Caya von der Aue fand sich am Tisch des Kriegshistorikers. Die hochgewachsene Frau trug wie stets einen Gambeson zu ihrer schlichten, doch Standesgemäßen, weißen Robe und war mit einem einfachen, geraden Stab und einem Bannschwert bewaffnet. Alles an ihr machte einem Gegenüber klar, das sie sich ihrer Haut zu erwehren wusste - mit allen Mitteln! Nach dem Haffax-Feldzug war die Magierin aus dem Königreich Garetien in die Nordmarken gekommen, angeheuert vom Gemahl der jungen Baronin von Vairningen. Er war es auch gewesen, der ihr die Anstellung an der Akademie bezahlte und dafür Sorge getragen hatte, dass sie die mehrere Monde im Götterläuf Zeit für Forschungen hatte. Das man ihr an der Akademie anfänglich unterstellt hatte, dass ihr Posten gekauft war, war ihr dabei herzlich egal gewesen. Ihr durch und durch militärisches Auftreten und die ebenso geprägten Lehrmethoden, sowie einige Demostratios hatten schnell für Ruhe gesorgt. Doch auch wenn sie heute in den Nordmarken lebte, so fühlte sich die Kampfmagierin dennoch dem Reich verpflichtet. “Die Hinweise erscheinen mir sehr vage, gibt es eine Möglichkeit mit Hilfe der Vorzeichen Eingrenzungen vorzunehmen?” Keinem war geholfen, wenn ein Flackern am Sternenzelt einen Schlacht voraussagte, dabei aber keine Informationen lieferte wo diese ausgetragen werden würde. Der Blick ihrer hellgrünen Augen durchbohrte Melchior förmlich, wobei ihr kurz gehaltenes blondes Haar sie nur noch mehr wie eine Militärangehörige erscheinen ließ.

Melchior legt den Streitkolben wieder auf den Tisch. “Ich weiß, ich weiß. Das hört sich vage an. Aber ich bin ja auch kein Sternkundler. Ich kann nur von meinen Erfahrungen und Beobachtungen sprechen. Immerhin bin ich mir sicher das es in unser Herzogtum runterkommt. Und wer weiß”, nun schaut er sich kurz um und sprach dann leise weiter,” vielleicht wissen es bestimmte Leute schon und halten es vor uns geheim. Nord- gegen Südnordmarken vielleicht? Oder die Goblinbrut aus den Wäldern? Oder die Andergaster? Die Albernier trau ich auch einen Feldzug zu.” Dann wurde die Stimme des Alten noch leiser. “Hlutharswacht? Kaldenberg? Nun, ich denke der gefallene Stern deute direkt drauf oder ist das Startzeichen. Genaueres wissen wir nur wenn wir folgen …”, vorsichtig rieb er an seinem eisernen Helm.

Reichlich vage, aber dennoch waren die himmlischen Warnzeichen nicht von der Hand zu weisen. Und sie waren noch am Anfang ihrer Untersuchungen. "Die Andergaster halte ich für unwahrscheinlich - die sind so in die Nostrier verbissen, dass sie noch nicht einmal merken - oder merken wollen, wenn ein Orkheer mitten durch ihre Lande zieht." erinnerte sich Radulf an den letzten Einfall der Schwarzpelze, dessen Wucht den Göttern sei Dank die Nordmarken verfehlte und stattdessen die aufrührerischen Albernier traf. "Wenn die Gefahr von Norden kommt, dann direkt aus dem Orkland. Vielleicht auch über Tommel oder den großen Fluss in Gestalt der götterlosen Thorwaler. Aber nicht die Andergaster. Nord- gegen Südnordmarken glaube ich auch nicht - nicht direkt. Eher schon an einen neuerlichen Aufstand der Albernier gegen das Reich. " Der Magier senkte die Stimme. " Oder eine Revolte unzufriedener Baronien gegen den Landgrafen." Der Winter war hart, und manch einer mochte die praiosgegebene Steuer- und Treuepflicht als vermeintlich ungerecht empfinden. Als ob der Graf etwas für die Misswirtschaft in einigen der Baronien konnte. Außerdem schienen es nicht wenige der Adligen - war schon seit langem sein Gefühl - mit der Treue den Zwölfen gegenüber nicht ganz so vorbildlich zu halten, wie der in derlei Hinsicht untadelige Graf. Gerade auch in seiner Baronie hegte er größtes Misstrauen - der Baronin, aber noch mehr den Edlen im Tann gegenüber, die einen schlechten Einfluss auf die Landesherrin und die Geschicke der Baronie ausübten. Ein ungeheurer Verdacht, den er nicht laut aussprechen würde - noch nicht. "Die Goblinbrut wird sich sicher nicht als erstes erheben, dazu sind sie zu feige und hinterlistig. Wenn aber ein anderer Feind sich von innen oder außen gegen die Nordmarken wendet und die grobe Drecksarbeit für sie erledigt, wird sich dieses Pack sicher auch schadlos halten - eine Schande, wie wenig stellenweise gegen diese Bedrohung getan wird.” Radulf hielt kurz inne und sinnierte still vor sich hin. Als seine Gegenüber schon glaubten, er habe geendet, fuhr er jäh fort: “Wer weiß, vielleicht entflammt sich auch ein Streit um den Stern selbst - seine Metalle sind von hohem Wert, und nicht jeder sieht ein, wem ein solcher Schatz nach Recht und Gesetz gehören sollte. Je nachdem, wo er einschlägt, mag sich daraus schlimmstenfalls sogar ein Waffengang entwickeln. Und angesichts des ganzen toten Holzes, das in unserem Lande und dessen Nachbarschaft herumliegt” er dachte dabei an seine vorherigen Überlegungen, “kann aus einem solchen Feuer schnell ein Flächenbrand werden. Doch sagt, was hat es mit Hlûtharswacht und Kaldenberg auf sich?"

Die Magistra hingegen schien nicht überzeugt, in den meisten Fällen handelte es sich lediglich um Vorurteile die einige engstirnige Geister noch immer plagten. Albernia wird wieder Abtrünnig, scheinbar war der Gelehrte nicht in der Lage die aktuellen politischen Geschehen zu verfolgen. Doch der Fürst der, im freundschaftlichen Wettstreit mit dem Herzog der Nordmarken, sich als Ritter von Ehre auf dem Mendena-Feldzug schlug, wird mit einem weiteren Aufstand nicht riskieren, dass das Haus Bennain das Fürstentum verliert und das wäre die logische Konsequenz eines weiteren - zum Scheitern verurteilten - Versuches. Rotpelze? Die waren der Rede nicht wert. Gesindel das sich an den Schwachen verging, doch keinen Konflikt lostreten vermochten. Auch ein Streit zwischen Hlûthars Wacht und Kaldenberg, wäre keiner Warnung der Götter würdig. Wenn jedes mal, wenn sich zwei Baronien befehden ein Stern vom Himmel fiele, dann wäre Almada inzwischen eine Kraterlandschaft. Auch die Thorwaler hatten sich zuletzt lieber auf den Handel, als auf die dauerhaft weniger lukrativen Beutezüge besonnen. Alles in allem blieb lediglich der Ork als logische Bedrohung und dafür bedurfte es keiner erneuten Warnung. Seit dem letzten Orkensturm ist es sehr lang ruhig um die Schwarzpelze geworden. Zahlenmäßig müssten sie sich gewappnet haben, während das Reich auf dem Haffax-Feldzug viele gute Recken verloren hat und sich zudem das Herz des Reiches derweil in einer blutigen Fehde erging. Das Mittelreich war geschwächt und würde der Ork kommen, hätten sie wenig entgegenzusetzen.

“Gerüchte besagen, dass die beiden Häuser sich angehen wollen. Aber vielleicht schwappt auch der Zwist aus Garetien rüber. Oder,” nun hob Melchior seinen Zeigefinger,” es ist etwas ganz anderes, unerwartetes.” Wieder strich er sich wieder über den Eisenhelm. “Ich weiß ja ...vage Vermutungen, aber glaubt mir, da Bahnt sich was an.” Nun ließ der alte Mann seine Schultern senken und schaute seine Zuhörer fast schon flehend an. Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.

Eine Stimme vor der Göttin

Nach einer langen Zeit der Diskussion erfüllte das Heiligtum ein unerwarteter Duft: ein deftiger Geruch nach Kohl und Speck. Kaum das die ersten Nasen darauf reagierten erschallte der Klang eines Glöckchens in der Halle. “Meine lieben erhellten Geister und Denker, ich bitte euch alle nach vorne zu kommen und uns vor der weisen Göttin Hesinde zu versammeln.” Die Stimme des Tempelvorstehers Elador Thedon war laut und bestimmend. Der Hohe Lehrmeister hatte rotbraune Haare, blaue, leuchtende Augen, war glatt rasiert und mit einem feinen Wohlstandsbäuchlein ausgestattet. Gekleidet war er in einem traditionelles Wickelgewand aus grünen und goldenen Stofflagen, einen Schlangenhalsreif und eine grüne Rohalskappe mit goldenem Reif. Mit beiden Händen in die Hüften gestützt wartete der Geweihte bis sich alle versammelt hatten. Zwei Novizen begannen damit, jedem eine Holzschale mit einem Löffel, gefüllt mit einem dampfenden Eintopf, in die Hände zu geben. “Nun, das Disputieren und Denken macht auch hungrig. Ich habe mir erlaubt für Versorgung zu sorgen. Vater Winrich aus dem Gänsetempel hatte heute wieder seine Küche offen. Speck in Kohlsuppe. Mit besten Wünschen.” Nun setzte Elador ein breites Lächeln auf. “Eure Stimmen vor der Göttin blieben nicht ungehört und da kam mir ein Einfall.” Nun nahm er beide Hände zusammen. “Ein jeder mag eine andere Meinung oder Idee haben, was der Sternenfall bedeuten könnte. Sicher ist jedoch, das ´ER´ kommt und das ´Wir´ ihn finden sollten. Und deshalb werde ich diese ´Mission´ unter den Segen Hesinde stellen. Gemeinsam solltet ihr aufbrechen.” Der Tempelvorsteher machte eine kurze Pause und knetet sich dann ein wenig die Hände. “Allerdings sind unsere Ressourcen … bescheiden und ich befürchte, wir müssen alle zusammenlegen.” Vorsichtig ließ er seinen Blick über die Gruppe wandern. Selbst die etwa vier Schritt große Statue der Hesinde, dargestellt als barbusige Frau mit einer Schlange in Händen, schien abwartend auf die Gruppe zu schauen. Überraschenderweise war es der Norbarde Ghazbar der als erstes seine Stimme erhob. “ Ay, eine gute Idee, euer Hochwürden. Ich stelle meine Suche gerne unter die Hände Heshinjas! Und ich glaub wir müssen uns nicht viel Sorgen machen. Die leckere Valeria hatte schon finanzielle Unterstützung aus ihrer Meschpoche, ihrer Familie, vorgeschlagen.” Dann zupfte er sich an seinem schwarzen Schnauzer und deutete auf die Geweihte der Rahja.

Die Ereignisse überschlugen sich und Valerias Gefühlswelt geriet beinahe aus den Fugen. Nun würden sie wirklich alle zusammen nach dem Stern suchen. Die Schatzjäger neben den Götterdienern und den Propheten. Eine große Gruppe, in der wohl ein jeder sein eigenes Ziel verfolgte. Und genau darin lag das Problem. Es war schon schwer wenige Personen zu übervorteilen - bei dieser riesigen Gruppe voll mit gebildeten Menschen war es schier unmöglich. Und dennoch musste sie am Ende der Unterhaltung lächeln. Ghazbar hatte sie unwissend in eine Position der Stärke manövriert, die sie über die anderen Suchenden hieven könnte, wenn sie die Karten richtig spielte. Allem Anschein nach fehlten den Anwesenden die nötigen finanziellen Mittel für die Suche und viel Zeit diese aufzustellen gab es nicht mehr. Ihre gut betuchte Familie betrieb ein Kontor in der Capitale und ihr Onkel Rahjaman würde seinem ´kleinen Mädchen´ bestimmt keine Bitte abschlagen können. Selbstsicher sah sie sich unter den Anwesenden um. "Das stimmt ...", bestätigte sie, begleitet von einem süßen Lächeln, "... meine Familie würde bestimmt sehr gerne in unsere ... göttergefällige ... Unternehmung investieren, doch ist mein Onkel ein Geschäftsmann. Er würde wahrscheinlich eine Beteiligung am ... Ergebnis ... unserer Suche verlangen. Wenn Ihr möchtet stelle ich sehr gerne einen Kontakt zu ihm her."

Ronan lächelte. “Wenn es um das schnöde Gold geht, meine werten Sternensuchenden, daran soll es nicht scheitern.” Das Lächeln wurde etwas breiter. “Gegen eine zu verhandelnde Beteiligung an den Fundstücken, versteht sich.” Ein Seitenblick, lächelnd, spielerisch, traf Valeria. “Und auch ich bin hier und jetzt vor Ort.”

"Umso besser …", log sie und hatte ihr Lächeln dabei nicht verloren, "... dann gäbe es ja schon zwei mögliche Geldgeber. Mein Onkel ist unweit von hier an der Herzogenpromenade, also de facto auch vor Ort." “Finden sich denn sonst noch etwaige Geldgeber? Und wir sollten uns über Quoten unterhalten. Die Plackerei werden ja schließlich wir haben - Geld hin oder her”, ging Rhodan dazwischen - hoffentlich verteilte sich der Einfluss auf möglichst viele Schultern.

Während er sich die Suppe einverleibte, die er sich auf seine Schale geschaufelt hatte, dachte Alrik nach. Er hatte nicht viel beizusteuern - monetär. Aber er hatte das beste Ass auf seiner Hand: Den Alten. Dessen Wissen manche unterschätzten. Und dessen unfassbare Sturheit die wenigsten kannten. Wenn der Gelehrte bockig war, war er wie eine Schatztruhe: Mit Wissen, das nur dem zugänglich war, der sein Schloss bedienen konnte: “Wäre es nicht am besten zunächst zusammenzutragen, was gebraucht wird und was wir bereits haben, ehe wir darüber sprechen, wer wieviel Geld beizusteuern bereit ist?” Merkte er darauf an. “Meister Hesindiard und ich waren kürzlich auf einer ausgedehnten Expedition im Osten. Ohne dass wir zuvor viele Dukaten eingeworben hätten.” Er schluckte den nächsten Bissen seiner Suppe hinunter: “Und wenn wir am Ende 3 Fernrohre haben, was nutzen sie uns dann mehr als eines es tut? Was nutzen uns Beobachtungen, wenn niemand da ist, der die Informationen zu verwerten weiss? Was nutzen uns zwei Dutzend Lasttiere, wenn wir nur eine handvoll brauchen?” Er zuckte mit den Achseln und widmete sich wieder gänzlich der Mahlzeit, wobei er weiterhin sehr genau zuhörte.

Der geschäftstüchtigen Rahjani war nicht klar was genau für ihre Unternehmung gebraucht wurde. Deshalb war der Gedankengang des Lakaien schon auch nachvollziehbar. Charmant lächelnd sah sie sich unter den anderen Teilnehmern um. Im Endeffekt war es Valeria wichtig, dass ihr Stück vom Kuchen so groß wie möglich sein würde. Dass sich das Geldsäckel ihres Onkels anbot, um sie für das Vorhaben der Gruppe unverzichtbar zu machen, war dabei ein glücklicher Zufall. Die Rahjadienerin war von einer Machtpolitikerin ausgebildet worden - sie wusste was sie wollte und wie man es bekam. Auch wenn sie bestimmt ein jeder hier unterschätzen mochte.

Schmunzelnd beugte Geron seinen Kopf nahe an Relindis Ohr heran. “Glaubst du, sie haben bedacht, dass der Stern, so er denn wirklich aufschlägt, in diesem Falle erst mal dem örtlichen Adligen gehört, auf dessen Lehen er zu liegen kommt?” stellte er flüsternd seine Frage. Der Gedanke mit den anderen Gruppen zusammen in seiner Heimat ‘einzufallen’ gefiel ihm nicht. Wäre es schon schwierig seinem Vater von der Notwendigkeit der Anwesenheit seiner kleinen Gruppe zu überzeugen, würde es schier unmöglich werden, wenn es um alle Gruppen ging. Doch was konnte er tun? Dann stieg ihm der Geruch des Essens in die Nase und prompt knurrte laut sein Magen.

Relindis musste ebenfalls ganz kurz schmunzeln, weniger wegen des Geschehens oder des Verhaltens der anderen, das sie alles andere als erheiternd empfand, als vielmehr angesichts des so rasch wieder erwachten und deutlich vernehmbaren Appetits Gerons - sie konnte aber auch schon bald wieder etwas vertragen. Sogleich aber war das Lächeln verweht und die Geweihte wurde wieder ernst. "Viele hier scheinen über alle Maßen darauf versessen darauf zu sein, den Stern selbst oder dessen Trümmer zu finden und ein Stückchen davon abzubekommen." flüsterte sie, nicht allzu leise, zurück. "Vielleicht mag er wertvoll sein, ohne Zweifel ist er das, sogar sehr...," ohne sich dessen bewusst zu sein, wurde ihre Stimme lauter und auch unter den Umstehenden zusehends deutlicher vernehmbar, "... aber sollte alle hier, von edlem Geblüt zudem, nicht viel mehr umtreiben, was uns die Götter mit diesem sagen wollen, wohin sie uns den Weg weisen? Und wie es den Menschen unmittelbar dort ergeht, wo der Stern aufschlägt?" Sie musste an die Erzählungen aus Arivor denken, die auch bis nach Gratenfels vorgedrungen waren, und fröstelte bei dem Gedanken daran, dass ähnliches auch den Leuten in der Gegend um Foldenquell herum blühen könnte. Relindis konnte nur hoffen und wollte daran glauben, dass im unmittelbaren Angesicht von Zeichen und Wundern, oder aber auch in der Konfrontation mit einer Katastrophe, so es zu einer käme, das beste im Menschen, der göttliche Funken, der in jeder Seele wohnte, obsiegen würde, und nicht niedere Antriebe wie Selbstsucht und Gier. Und wenn diese allzu menschlichen Schwächen zunächst dabei halfen, diese Expedition auf die Beine zu stellen, mochte selbst darin noch etwas Gutes schlummern... wenn sie nur rechtzeitig überwunden wurden. Vielleicht lag darin die Aufgabe, die ihr die Göttin aufgetragen hatte… Gut, dass Geron auch dabei war.

Als er ihr Frösteln bemerkte, fasste er sie sanft bei den Schultern und sah ihr direkt in die Augen. Auch wenn er die Brille aufhatte, so konnte sie doch seine Augen und den Ausdruck darin erahnen. Mit ruhiger Stimme sprach er auf sie ein, versuchte sie zu beruhigen: “Die Götter werden die Leute dort behüten. Außerdem, es werden nicht nur nach Schätze suchende Id… Glücksritter dort sein, sondern auch wir. Also können wir auch versuchen die Leute in Sicherheit zu bringen. Und wir haben doch schon beschlossen Boten vorauszuschicken um die Baronin und meinen Vater zu warnen, damit diese entsprechende Maßnahmen ergreifen können.” ‘Entweder würden sie der Aufforderung seines Vaters Folge leisten oder zumindest seiner Schwester, Khorena, deren Worte ein großes Gewicht bei den Bewohnern des Landstrichs haben. Wenn sie denn richtig lagen mit ihrer Deutung. Er hoffte immer noch auf einen Irrtum.

Ja, es war wirklich gut, dass Geron dabei war. Dankbar erwiderte sie seinen Blick und nickte. Die Götter und besonders auch die gütige Mutter meinten es wohl mit den Menschen, daran zweifelte sie nicht im geringsten. Dennoch geschahen Katastrophen wie jüngst die Zerstörung Arivors. Umso wichtiger war es, dass treu im Glauben stehende Menschen alles daran setzten, zu verhindern, was zu verhindern war, und zu helfen, unvermeidbares Leid zu lindern. Im Zweifel sollten sie die Werkzeuge der guten Götter sein, die mit dafür sorgten, dass der Stern, der doch eigentlich den Weg zu einem verheißenen Kindlein weisen wollte, nicht zugleich Menschen ins Verderben riss. Und, dass die Verheißung sich erfüllen konnte. Relindis nickte nochmals, dieses Mal bestimmter. Und als ob Travia sie bestätigen wollte, nahm sie in ihren zuletzt stillen Austausch mit Geron hinein Gesprächsfetzen eines neben ihnen geführten Gesprächs auf, Worte Madasils, die offenbarten, dass sie mit ihrer Haltung nicht alleine da standen.

“Und schon beginnt die Zwietracht”, raunte Madasil Wolfhold zu, bevor er das Wort ergriff: “Verzeiht bitte meine Unwissenheit, aber ich habe als Kind die Nordmarken verlassen und bin erst kürzlich zurückgekehrt. Welchen edlen Häusern dürfen wir”, er macht eine ausladende Geste, die alle Anwesenden mit einschloss, “denn für diese großzügige Spende danken?” Das Wort Spende hatte der Mentor bewusst gewählt, die phexischen, wenn nicht gierigen, Worte der beiden potentiellen, und womöglich weiterer, Geldgeber ignorierend. “Ich würde es eher eine Investition nennen, Euer Gnaden”, meinte Valeria, begleitet von einem Lächeln, welches das ewige Eis zu schmelzen vermochte. Ronan lächelte bei dieser Formulierung.

Auch Madasil lächelte: “Investition? In was? Höchstwahrscheinlich wird der Stern bewohntes Gebiet treffen. Anstatt an Profit sollten wir doch eher an die Menschen denken, die unsere Hilfe brauchen, vor und nach dem Einschlag. In Arivor lebten gut 12.000 Seelen, vermutlich waren es tausende mehr, als das Unglück geschah. Die Stadt wurde fast vollständig zerstört. Ich finde Profit ist das Letzte, woran wir gerade denken sollten. Findet Ihr nicht auch, Euer Gnaden?”

Ronan nickte, neigte aber den Kopf gleichzeitig hin und her. “Euer Gnaden, Diener der weisen Schlange.” Sein südländischer, offenbar tulamidischer Akzent trat hervor. “Ich war in Arivor. Nach dem Unglück, ihr Götter bewahrt. Und habe soweit es mir möglich war, den Einschlag und die Ursache der Zerstörung untersucht.” Sein Blick war ernst, er lächelte nicht. “Nicht der Einschlag eines vom Himmel gefallenen Sternes brachte die Vernichtung dieser horasischen Metropole. Sondern der ausgehöhlte und poröse Boden, auf dem sie errichtet worden war. Der Einschlag selbst löste lediglich eine Kaskade an Ereignissen aus, welche letztlich zur Zerstörung Arivors führten.”

“In der Tat muss es ein Zeichen der wohlmeinenden Götter sein,” mischte sich Relindis von Seite in das Gespräch ein, “dass sich hier so viele gelehrsame und gelehrte Menschen guten Herzens, besonders auch ihrer Diener” - die letzten Worte betonte die junge Geweihte besonders - “zusammengefunden haben. Was anderes sollte ihr Wille sein, als nicht nur ihr Zeichen zu deuten, sondern auch mit all den versammelten Fertigkeiten ein größeres Unglück zu verhindern und den Menschen zu helfen, falls es doch zu einem kommen sollte.”

“Höchstwahrscheinlich wird der Stern in bewohntes Gebiet einschlagen”, wiederholte Valeria mit einem Stirnrunzeln. “Nun, so dicht besiedelt sind die Lande des Herzogtums nun auch nicht, dass ich die Wahrscheinlichkeit als ´hoch´ beziffern würde.” Dafür reichten die Kenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung der jungen Frau noch. “Und was den Profit angeht …”, sie strich sich über ihr weinroten Kleid, “... es sollte klar sein, WEM meine Loyalität gilt. Ihr würdet mich beleidigen wenn Ihr meint, ich sähe hier zu, mich lediglich selbst zu bereichern.” Valeria schüttelte ihren Kopf. “Wenn sich jemand findet, der das Gold aus Idealismus und Frömmigkeit zur Verfügung stellt, dann lasse ich dem- oder derjenigen gerne den Vortritt. Ich meinte nur, dass meine Familie sich wohl eine Gegenleistung erwartet - so wie es dem Herrn der Nacht gefällt.” Ronans Lächeln wurde wieder breiter.

Madasil folgte mit den Augen der Bewegung ihrer Hände, die dabei sicherlich zufällig auch ihre weiblichen Rundungen betonten. Doch da war sie bei ihm an der falschen Adresse, denn solcherlei Gesten hatte er während seiner Ausbildung im Horasreich zu genüge gesehen und wusste, dass sie einen bestimmten Zweck hatten: “Es liegt mir fern Euch etwas zu unterstellen, meine Liebe,” sagte er lächelnd und neigte kurz das Haupt, “dennoch denke ich, dass der Dank mehrerer Götter, darunter sicherlich auch der Listenriche, Eurem Hause Lohn genug sein dürfte. Nicht zu vergessen, der Ruhm und Dank, der durch einen entsprechenden Artikel im Greifenspiegel Eurem Hause zuströmen würde. Nicht nur das einfache Volk, sondern sicherlich auch der Herzog, Graf und Baron des entsprechenden Landstrichs würden sich von Eurer großherzigen Spende beeindruckt zeigen und somit Eurem Hause neue Türen zu interessanten Geschäftspartnern öffnen. Das wäre dem göttlichen Fuchs sicherlich lieber, als schnödes Gold.” Ronans Lächeln veränderte sich auf mysteriöse Weise.

Valeria lachte glockenhell auf. “Das wäre dann für einmal etwas Positives, das in dieser reißerischen Postille über meine Familie zu lesen wäre”, die Geweihte schlug dabei keinen höhnischen Ton an, sondern einen ehrlich amüsierten. Wobei es eigentlich nicht stimmte, gelang es ihr am Anfang des Jahres doch einen Schreiberling des Spiegels mit einer, von ihr organisierten Feier zu verzücken und das trotz dem Gegenwind der kumulierten Verbohrtheit dieser Stadt. “Ihr könnt ja versuchen es meinem Onkel auf diese Art schmackhaft zu machen, vielleicht ließe er sich überreden.”

“Wenn Ihr mich ihm vorstellen wollt, werde ich gern mit ihm sprechen. Vielleicht wird ja aus ihm sogar noch ein Förderer des Immerwährenden Hortes.” Abermals zeigte sich ein entwaffnendes Lächeln auf den Lippen der Rahjani. "Sein Name ist Rahjaman vom Traurigen Stein und Ihr findet ihn entweder beim Kontor meiner Familie am Platz des Madamals am Hafen, oder im Stadthaus meines Cousins in der Herzogenpromenade 24, oder am herzoglichen Gestüt, wo seine Frau Zuchtmeisterin ist. Er ist sehr zugänglich, Ihr könnt Euer Glück jederzeit gerne versuchen. Sagt ihm Valeria schickt Euch, das dürfte seine Börse öffnen." Sie zwinkerte verschwörerisch.

"Nun, dann werde ich ihm einen Besuch abstatten, sobald dieses Versammlung beendet ist. Vielen Dank, euer Gnaden." Wieder verneigte er sich mit einem Lächeln. "Möge die Herrin Travia Eurem Anliegen Ohren und Herzen öffnen." wünschte Relindis dem Geweihten Glück für sein Unterfangen. Den Verstand zu überzeugen sollte Madasil ohnehin vermögen. Es war gut, dass sich jemand mit Idealen der Finanzierungsfrage annahm.

Er hatte dem Gespräch schweigend gefolgt und das Gesagte in sich aufgenommen. Jetzt beugte sich der Gelehrte in Grau zu seiner schönen Sitznachbarin in Weinrot. “Nun, ein jeder hier an diesem Tisch hat seine eigenen Ziele und hinter jedem nach außen getragenen Ideal versteckt sich ein eigenes Motiv.” Seine rechte Hand mit den schlanken Fingern glitt nach vorn, griff nach dem vor dem Mann stehenden Kelch. Auf der dunklen Haut leuchtete der silberne Ring deutlich auf. “Sagt, schöne Schwester in Rahja, möglicherweise braucht Ihr Hilfe bei Erreichen der Euren?”

Valeria blickte interessiert auf den Ring. “Ist das ein Angebot … Bruder?” Sie raunte ihm vergnügt zu. “Und gesetzt dem Fall es handelt sich um ein solches ... was würde dann mit Euren Zielen geschehen? Ließet Ihr sie für mich fallen? Oder laufen unser beider Ziele vielleicht gar auf dasselbe hinaus?” Sie zwinkerte ihm zu und nahm einen Schluck aus ihrem Kelch.

“Ob unsere Ziele auf dasselbe hinauslaufen, wissen allein die Götter.” Ronan grinste keck. “Oder meint Ihr, ich könnte Eure Gedanken lesen?” Er lehnte sich ein wenig zurück und schaute der Priesterin Rahjas in die Augen. “Ich schätze Menschen, die sich für Ihr Ziel einsetzen. Das Glück ist mit den Tüchtigen.” Er prostete der schönen Tochter des Hauses vom Traurigen Stein zu. “Wenn Ihr möchtet, können wir gerne unser Gespräch später vertiefen.” Er beobachtete ihre Miene. “Aber verratet mir eines: Ihr nennt Euch nicht nach Eurem Haus, sondern ‘von Belhanka’. Ihr wurdet vermutlich in Belhanka ausgebildet und geweiht.” Eine Frage oder eine Feststellung? Das Fragezeichen war wirklich kaum zu hören. Ronan lächelte und stellte den Weinkelch zurück auf den Tisch. “Ich kenne die Perle Rahjas sehr gut.”

Verspielt blickte sie über den Rand ihres Kelchs in die dunklen Augen des wohl tulamidisch-stämmigen Mannes. “Wisst Ihr, das dachte ich mir bereits”, Valeria löste ihren Blick von Ronan und ließ ihn in weite Ferne schweifen. “Belhanka ist nicht nur der Ort, an dem ich Ausbildung und Weihe empfangen habe. Es ist meine Heimat. Ich bin als Mündel in Rahjas Palast auf Deren aufgewachsen und habe erst vor ein paar Monden das erste Mal den Boden des Herzogtums betreten … wiewohl nordmärker Blut durch meine Adern fließt.” Der Blick der Geweihten lag nun wieder auf Ronan und die leichte Bitterkeit in ihrem Lächeln war wohl das Ehrlichste, das der Grauling heute von ihr sehen durfte. “Und Ihr? Woher kennt Ihr die Serenissima? Viele Nordmärker mag es dort ja nicht hin verschlagen.”

Ronan lachte. “Geschäfte natürlich, ich war oft mit meiner Nachtmond und jetzt mit der Nachtklinge in Belhanka. Ich habe dort einige Geschäftspartner und Freunde und war auch das eine oder andere Mal im Palast Rahjas auf Deren.” Er neigte sein Gesicht ein wenig zur Seite. “Serenissimia Gylvana und ich sind einander wohl bekannt.” Beim letzten Satz des Mannes zog Valeria eine Augenbraue hoch. “Ich dachte mir schon, dass ich Euch schon einmal gesehen habe.” Mehr sagte sie nicht, doch das wissende Lächeln auf ihren Lippen zeigte Ronan alles was er wissen musste. “Na, dann …”, Valeria hob ihren Kelch, “... auf eine gute Zusammenarbeit … Bruder.” Der Angesprochene hob seinen Kelch. “Doctor, Signor oder … einfach Ronan.” Er lächelte. “Ronan …”, wiederholte sie langsam, “... nur wenn Ihr mich Valeria nennt.” Sie zwinkerte ihm zu und trank dann von ihrem Wein.

Der alte Gelehrte aus den Eisensteinen hatte sich nicht zu den anderen begeben, sondern war bei seinen Pergamenten geblieben. Als Alrik ihm etwas Suppe bringen wollte, mürrte er etwas wie “Früher hätte es das nicht gegeben… Suppe im Hesindetempel…. Viel zu gefährlich...all die Bücher… und dann die ganzen ungeschickten Trampel da. Elador wird nachlässig auf seine alten Tage.” und scheuchte den jungen Mann nonchalant zurück zu den anderen, wo der sich ungerührt auch die Suppe des Alten einverleibte, während er den aufschlussreichen Gesprächen weiter folgte.

Lessandero bedankte sich mit einem freundlichen “Hesinde sei Dank!” bei dem Novizen, der ihm die Holzschale reichte und begann sogleich mit dem Essen. Während er genießerisch seinen Eintopf verzehrte, hörte er sich die Argumente zu der durch den Hochgeweihten vorgeschlagenen neuen Situation an. Je größer die Gruppe war, umso mehr Wissen und Talente sind vorhanden, aber auch mehr wollen auch ihre Anteile an einer möglichen Beute. Das konnte also noch eine interessante Expedition werden.

Auch Doratrava nahm ihre Schale entgegen und begann geistesabwesend zu essen. Sie beschloss, sich erst einmal zurückzuhalten, hatte sie doch mit dieser Expedition eigentlich gar nichts zu tun. Und doch konnte sie nicht umhin, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Jetzt sollten alle auf einmal losziehen? Wer bestimmte denn dann die Richtung? Sie war sich nicht sicher, ob hier jeder denselben Zielort jenes Sterns ermitteln würde. Wer würde die Gruppe führen? Und wie würde es am Einschlagsort sein, würden sich dann die Schatzjäger wie wild auf die vermeintliche Beute stürzen? Wenn so ein Stern so wertvoll war, wie man hier offenbar annahm, dann sah sie Mord und Totschlag voraus - und im Übrigen … “Ähem!” räusperte die Gauklerin sich lautstark, so schnell war ihr Entschluss, sich zurückzuhalten, auch schon wieder vergessen. Als die Augen der anderen sich auf sie richteten, sprach sie weiter, wobei sie eine gewisse Nervosität nicht verhehlen konnte: “Also … ich glaube nicht, dass wir hier in diesem Tempel die Einzigen sind, die von diesem Stern wissen. Und wenn er wirklich so bedeutend oder wertvoll oder beides ist - werden sich dann nicht noch viel mehr Leute dorthin aufmachen, wo er einschlagen soll? Vielleicht seid ihr nicht mal die ersten am Ziel? Und sicher ist da auch einiges an Gesindel dabei, oder Schlimmeres!”

Lustlos sah Radulf in seine Schüssel - der Eintopf war sicher nicht schlecht, aber er wälzte noch immer Gedanken, war er sich doch zunächst unschlüssig - wenn Melchior Recht hatte, dann wäre das Menetekel am nächtlichen Firmament nur ein Vorzeichen für irgendeinen Krieg. Wo und von wem dieser ausging, war daraus wohl nicht ersichtlich - was sollte dann im Hinblick auf diese Frage die Teilnahme an einer solchen Expedition bringen? Andererseits würde diese losgelöst von der Kernfrage, die ihn umtrieb und für die er auch sonst keinen besseren Ansatz wusste, sicherlich unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufschlussreich werden. Außerdem musste im Hinblick auf den 'illustren' Teilnehmerkreis, das verdeutlichten ihm auch die ersten Redebeiträge in dieser Runde, mindestens einer aufpassen, dass Recht, Gesetz und Ordnung nicht zu kurz kämen, und verhindern helfen, dass am Ende gar der Zwist um diesen Stern Ausgang für schlimmere Verwerfungen würde. Sein Junkergut lag derweil in der Obhut fähiger Hände - es gab also keine Ausrede - er hatte sich seinen geradezu göttlich auferlegten Pflichten zu stellen.

Während er, noch immer abwesend wirkend, seine ersten Löffel zu sich nahm, drangen die Worte diese weißhaarigen Frau mit dem völlig unangemessenen Aufzug an sein Ohr - für so eine geschmacklos auftretende Dame so jungen Alters eine überraschend klare und scharfsinnige Frage. "Recht habt ihr." pflichtete er ihr laut bei. "Wir müssen mit Gesindel oder schlimmerem rechnen - viel schlimmerem sogar! Neben dem üblichen Abschaum könnten auch Zauberwirker, die nicht auf dem Boden der Rechtschaffenheit stehen, irgendwelche Götzen- oder gar Dämonendiener und auch der Ork auf dem Plan stehen. Das hier wird keine rein wissenschaftliche Expedition und auch kein Händlergeschäft" vermerkte er, innerlich auf diese Schacherer herabblickend, "sondern ein Abenteuer, das schlimmstenfalls zu einem kleinen Kriegszug ausarten könnte.” malte er sein Schreckensszenario an die Wand. “Seid Euch dessen bewusst!"

Lessandero ließ seinen Löffel in die Schale sinken und meinte dann: “Bei Hesinde! Wir handeln doch nicht aus reiner Neugier, sondern haben hier eine göttliche Aufgabe zu erfüllen. Und wer uns dabei stört, der vergeht sich gegen die Zwölfe! Meint Ihr, dass das kein ausreichender Grund ist, dass wir ohne Kriegsleute diese Aufgabe erledigen können? Ich habe diesen Landstrich als durchaus den Zwölfen ergeben kennengelernt oder etwas nicht?”

“Das würde es in jedem Fall … teurer machen.” sagte Alrik halblaut- scheinbar mehr zu sich selbst. Im Geiste ging er die durch, die sich daran bereichern würden. Und das ganz ohne Not. Ronan hörte die Worte. Vernahm sie und verinnerlichte sie. Nickte bei dem, was der Draconiter aufwarf, einbrachte. Der Tulamide in Grau, an dessen Hand ein silberner Siegelring prangte, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Suppenschale kaum angerührt. Hungrig war er nicht - zumindest nicht auf Essen. Als Lessandero geendet hatte, ließ er dessen Worte kurz ausklingen. “Euer Gnaden, Hesindes Weisheit spricht aus Euch.” meinte er nickend und sein brauner Zopf wackelte kurz. “Aber ich stelle eine einfache Frage, die niemand beantworten muss, weil sie jeder beantworten kann? Welche Götter umfassen die Zwölfe, denen dieser Landstrich ergeben ist?” Wieder nickte er, lächelnd. “Und welcher von diesen Göttern ist der Wächter der Sterne?” Wieder nickte er. “Und gibt dieser Wächter der Sterne leichtfertig seine Gaben?” Ronan sah sich kurz um. “Wir brauchen es hier und jetzt nicht zu diskutieren - ich möchte nur, dass auch dieser Gedanke nicht vergessen wird.” Alrik lächelte verschmitzt in seine Schale als er die Worte vernahm.

Verwirrt schaute Doratrava in die Runde. Ihre Worte waren wohl aufgegriffen und durchaus ernst genommen worden, aber von dem, was die Leute darauf sagten, verstand sie nur einen Teil. Sie hatte den dumpfen Verdacht, dass zwischen den Zeilen mehr gesagt wurde als offensichtlich war, aber ihr fehlten die Hintergründe, um schlau daraus zu werden. Sie zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder ihrem Essen.

Ähnlich ging es Leonora, die nur eine kleine Portion des Eintopfs abbekommen hatte und darob nicht ganz unglücklich war. Die Möglichkeit, dass die Unternehmung gefährlich werden könnte, und dass Gesindel ihnen die Botschaft der Götter - oder was immer sie an dem Ort erwarten würde, wo der Stern niederging - streitig machen könnte, ließ sie erahnen, warum ihr Weg sie heute ausgerechnet in diesen Tempel gefunden hatte. Nun gut, wenigstens war der Kampf ein Feld, für das sie Referenzen vorweisen konnte. Unwillkürlich legte sich die Linke der streitbaren jungen Frau auf den Knauf ihres Korbschwerts.

"Ich sprach nicht davon, dass wir noch Kriegsleute anheuern sollten - ich sehe hier durchaus Wehrhaftigkeit nicht nur physischer, sondern auch metaphysischer Art versammelt." Dass die Begleitung eines kleinen Trüppchens Bannstrahler vielleicht gar nicht die schlechteste aller Ideen gewesen wäre, sowohl im Hinblick auf die Wehrhaftigkeit als auch, wenn er sich einige aus dem Kreis anschaute, zur inneren moralischen Festigung, sprach Radulf nicht aus. "Aber ich warne, dass es dort, wo es uns offensichtlich alle hinzieht, durchaus ruppig zugehen könnte. Und ausarten, wenn wir nicht auf der Hut sind. Das wird jedenfalls keine unbedarft-fröhliche wissenschaftliche Exkursion, und auch keine Schatzsuche!” Die letzten Worte hatte er schärfer ausgesprochen, als er beabsichtigt hatte, es durchaus aber so meinend. “Davon abgesehen gebe ich zu bedenken, dass irgendwem das Land gehört, auf dem der Stern einschlägt, es also - egal ob der Stern ein Geschenk des göttlichen Wächters der Nacht ist oder nicht - in des Herrn Praios’ erhellendem Lichte des Tages rechtmäßige Ansprüche auf einen etwaigen Fund geben wird, deren Anerkennung auch unser Streben sein muss."


Essen, mal wieder das Übliche. Meta ließ sich etwas in den Napf kippen, wohl Kraut mit etwas Speck, und beeilte sich, einen Platz gegenüber von Doratrava zu bekommen. Die Knappin war flink und es gelang ihr. Der Pampf war ihr eh noch zu heiß, so schaute sie nach der aktuellen Augenfarbe der seltsamen Frau. „Na, Dora, kennst du mich noch? Rahjalind … Linny … Adda … und die Hochzeit ... da war viel los und ich weiß, dass ich nicht der Typ bin, den man sich merkt.“ Sie kicherte und dachte an den Fettwanst. „Und den Hof macht mir auch keiner. Aber ich wollte dich was anderes fragen. Die Reise ist ungewiss, gefährlich und seltsam. Kommst du mit und willst du, was vielleicht nicht schlecht wäre, ein paar der sagen wir mal … Bewerber und das, was auch immer da kommt … unterhalten? Den alten Zausel zum Beispiel. Du hast genug drauf für mehrere Abende. Und es soll nicht dein Schaden sein“

Überrascht schaute Doratrava von der Schüssel auf. Ausgerechnet die unauffällige Meta heuerte sie an? “Äh … ja, natürlich kenne ich dich noch. Aber den Zausel unterhalten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der viel Sinn für meine Kunst mitbringt. Na ja, vielleicht muss ich Zahlen tanzen …” Die Gauklerin kicherte bei dem Gedanken. “Andererseits … ich habe gerade sonst nichts vor, wenn ich dafür bezahlt werde, warum nicht? Spannend hört sich das alles ja schon an, aber ich fresse einen Besen, wenn das ungefährlich wird und ohne Komplikationen abgeht.” Sie streckte Meta die Hand hin, verzichtete aber darauf, hineinzuspucken, wie es mancherorts Sitte war. “Und wenn dir jemand den Hof machen soll, musst du dich anders anziehen und was mit deinen Haaren machen”, fügte Doratrava völlig zusammenhanglos mit einem schelmischen Grinsen hinzu.

Ebenso schelmisch grinste Meta zurück. “Danke für die Hilfe, ich kenne mich einfach mit Männern nicht aus. Mit Frauen erst recht nicht. Ich bin, so glaube ich eine Person, mit der Rahja sich Zeit lässt.” Ihre Augen verengten sich etwas. “Nun, der Zausel wir schon zahlen, wenn er was sieht, das ihm gefällt. Selbst, wenn du nur große Zahlen auf Pappe rumträgst. Vielleicht wollen noch mehr auf die Strapazen der Reise verzichten? Was ist eigentlich des Zausels Interesse an der Sache hier?”

Etwas befremdet sah Doratrava ihr Gegenüber an. Der Zausel sollte zahlen? Aber Meta hatte doch gerade gesagt, sie würde sie anheuern? Sie beschloss, sich darüber jetzt nicht zu viele Gedanken zu machen. “Ach, Hesindiard heißt der, glaube ich, der will irgendwie den Stern beobachten und daraus dann berechnen, wo er herunterfällt, wie auch immer er das machen will. Also, wenn du mich fragst, ist sein einziges Interesse hier, zu beweisen, dass er schlauer ist als alle anderen. - Und was Rahja angeht, das musst du wohl selbst mit der Göttin ausmachen. Aber man kann Dinge beschleunigen, wenn man will. Wenn man will.”

“Nein, nein! Du verstehst das nicht richtig. Ich will diesen Zausel, der uns sowieso ein Klumpen am Bein sein wird, einfach nicht in der Nähe des Fundes haben.” Eine grauenvolle Vorstellung schlich sich in Metas Kopf. “Stell dir vor, wenn der nicht mehr gehen kann, weil seine Beine nicht mehr wollen, dann müssen am Ende Alrik und ich ihn schleppen.” Die Gans mochte ihnen zwar den Rang streitig machen, aber die würde nur zischen und hacken. “Andererseits wäre es nicht schlecht, ihn den Schlausten sein zu lassen, dann ist er glücklich mit seiner Gerätschaft. Dann könnte man immer noch den Fund ausheben ohne ihn einzubinden. Schau, du bist schlau Doratrava.”

Schlau mochte sie sein, dachte Doratrava bei sich, aber nicht schlau genug, um aus den Worten Metas wirklich schlau zu werden, offensichtlich. Sie beschloss, nur auf die Gebrechlichkeit des Alten einzugehen. “Ich frage mich sowieso, ob dieser Hesindiard eine Reise über Stock und Stein überhaupt verkraftet. Wie du schon sagtest, der wird für die Gruppe sicher ein Klotz am Bein.” Was ihr selbst herzlich egal war. Auch wenn sie alle zuerst bei der Absturzstelle sein sollten, würde sie selbst sicher nichts von irgendwelchen Reichtümern abbekommen, also warum sich deswegen grämen. “Ich glaube ja nicht, dass der Stern uns den Gefallen tut und auf der Reichsstraße einschlägt. Wir werden wohl schon irgendwann in die Wildnis müssen.”

Die Knappin lächelte lieb und betrachtete Doratravas Augen. “Du hast Recht und wir scheinen einer Meinung zu sein. Weisst du, dass ich in deinen Augen versinken könnte? Sie sind wie Edelsteine und es ist jedes Mal überraschend, welcher es sein mag. Komm, lass uns etwas trinken. Die Großen und Weisen werden über uns bestimmen und wir sollten uns hier nichts entgehen lassen.”

‘Huch, was war das denn eben?’ dachte Doratrava leicht verwundert und sah Meta unschuldig aus samtbraunen Augen an, um ausnahmsweise mehr als nur einen beiläufigen Blick auf ihr Äußeres zu werfen, das die junge Frau so geschickt durch eher unansehnliche Kleidung verbarg. Von der Statur her ähnelte sie ihr selbst ein wenig, auch Doratrava war eher sehnig und mit nur wenig Oberweite ausgestattet. Metas Gesicht war ganz hübsch, die wilden blonden Locken sprachen etwas in der Gauklerin an, aber im Großen und Ganzen war die Schildmaid nicht ihr Typ. Wie auch immer. “Ja, gehen wir etwas trinken, das ist eine gute Idee. Auch wenn ich nicht weiß, wie wir dann hier alles mitbekommen sollen”, fügte Doratrava augenzwinkerd an. “Deshalb schlage ich vor, wir warten noch, bis die hochgelehrten Herrschaften sich hier einig geworden sind, damit wir nichts Wichtiges verpassen, so langweilig das jetzt auch ist.”

Seufzend betrachtete Geron die Schüssel mit dampfenden Eintopf in seinen Händen. Es war ihm hier unmöglich seine Maske zum essen abzunehmen. Für einen Augenblick dachte er daran Relindis zu fragen ob sie nicht mit in den Park kommen mochte, doch er verwarf diesen Gedanken sogleich wieder. Es war wichtig Kontakte zu knüpfen und ihr fiel das leichter als ihm. Mit einer gemurmelten Entschuldigung verließ er den Tempel um sich eine gemütliche Stelle im Park zu suchen. So bekam er zwar nichts von den Gesprächen mit, aber wenigstens konnte er essen ohne begafft, oder Schlimmeres, zu werden.

Elador, der Hohe Lehrmeister dieser Hallen, war äußerst zufrieden. Das Stimmengewirr, die vielen Fragen und Ansichten, war der wissenden Göttin willkommen und zeugten von ihrem Wirken. Nun wedelte er mit den Händen und wartete, bis alle wieder ruhig waren. “Silentium, silentium! Nun erst einmal herzlichen Dank, jede finanzielle Spende ist natürlich willkommen. Aber ich möchte darauf hinweisen, das es hier um kein Geschäft oder Handel geht. Es ist eine Mission im Zeichen der Hesinde. Es geht darum, das Geheimnis des Sternenfalls zu lüften, zu erfahren, was es bedeutet und ob die Götter ein Zeichen senden. Wenn sich dabei herausstellen sollte, das es in die Belange der zwölfgöttlichen Gemeinde fällt, können wir immer noch darüber entscheiden, wie damit verfahren werden soll.” Er machte eine kurze Pause und sprach dann weiter. “Wenn andere den Fingerzeig Hesindes vernommen haben, sollten sie willkommen sein, sich uns anzuschließen. Aber wie es scheint, war es ihr Wille, so viele verschiedene Köpfe hier in ihre Halle zusammen zu führen.” Nun wanderte sein Blick über die ganze Gruppe der Sternensucher ab. “Unterschiedliche und Gleichgesinnte und ein jeder mit unterschiedlichsten Erfahrungen und Können. Wir sind also gut ausgestattet, die Fährnis aufzunehmen und möglichen Herausforderungen und Gefahren anzunehmen.” Dann winkte Elador die Mentorin Nirjaschka zu sich. Die untersetzte Geweihte setzte sich sogleich in Bewegung und stellte sich neben ihn. “Zur Sprecherin dieser hesindegefälligen Mission möchte ich Mentorin Nirjaschka bestimmen. Ich kenne sie als eine resolute Frau, die eine gerechte Zuhörerin ist und nicht zögert Entscheidungen zu treffen. Nun, Mentorin, was sagt ihr?” Die Röte in ihrem Gesicht offenbarte ihre Aufregen. “Wat fürne Ehre, euer Hochwürden.”, verfiel sie doch gleich wieder ins Bornländische. “ Ick nehme dat jerne an. Und ick hab och gleich eene Idee, wo wa anfangen. Es jibt ein paar Gedanken, wo dat Sternschen runterkommt. Doch wir müssen sicher jen. Ein Freund von mir, wohnt bei Twergenhausen. In seinem letzte Brief an mich, hat er erwähnt, dass er sich ein großes Telesjop bauen lassen hat. Das sollte besser sein, als dat wat wir ham. Und unsere klugen Köppe hier, könn besser berechnen. Isch schlach vor, wir besuchen ihn.” Strahlend schaute sie ihren Vorgesetzten an. Nun schaute der Hohe Lehrmeister nachdenklich. “Hmmm … Twergenhausen? Da fällt mir was ein. Wie ich erwähnte, unsere Mittel sind bescheiden, aber da gibt es etwas, was ich für euch tun kann, um schneller dorthin zu kommen. Ich denke ich könnte eine Flussfahrt für alle besorgen.” Nun strahlte er in die Menge. “Gibt es noch Fragen?”


Lessandero schüttelte den Kopf, denn der Hohe Lehrmeister hatte ihm schließlich aus der Seele gesprochen. Es ist als erstes eine hesindegefällige Mission, dann wenn dieses Mission erfüllt ist, können sich die anderen Interessensparteien um eine wirtschaftliche Ausschlachtung des ganze bemühen.

“Ja, die gibt es …”, Valeria hob kurz ihre schlanke Hand, “... heißt das jetzt, dass wir aufbrechen ohne eine Bestandsaufnahme zu machen, ob und was wir gegebenenfalls auf unserer Mission benötigen?” Innerlich seufzte die junge Geweihte. Es wäre suboptimal, wenn sich die Gruppe nun selbst helfen könnte. Wieder musste sie umdisponieren.

“Da hat sie Recht. Wir haben quasi nichts dabei, außer, Ihr habt Euch um Vorräte, Wasser, Kleidung und, das sollte man nicht vergessen, Waffen gekümmert. Ich war schon mit meinem alten Dienstherren einige Zeit auf dem Fluss unterwegs. Da passiert schnell etwas, womit man nicht rechnet." Meta war sich dessen bewusst, dass sie eine der unwichtigeren Personen hier war. Gut, sah man mal von dem Burschen Alrik ab, der sich in Sachen Wichtigkeit ein Kopf-an-Kopf Rennen mit Akka der Gans lieferte. Dennoch schmunzelte sie. Thymon hatte ihr von manchen Eigenheiten der Rassen erzählt. “In Twergenhausen, da werden, widersprecht mir bitte, sollte es sich um eine Elfensiedlung handeln, Zwerge leben. Viele Zwerge. Und die lieben alles, was wertvoll ist. Ja, also dumm sind die nicht. Und wenn sie erfahren, dass ein Klumpen von großem Wert in der Nähe ihres Städtchens einschlägt, wenn er es nicht sogar direkt verwüstet, dann werden sie uns garantiert nicht mit dem Fund davon spazieren lassen und mit ihren Taschentüchern winken.” Sie musste kurz durchschnaufen und daran denken, dass sie sich nicht aufführen solle. Sowohl Linny als auch Thymon wirkten da seltsam besorgt. “Jetzt aber mal im Ernst. Die werden behaupten, das Zeug gehöre ihnen und fertig. Was wollt ihr dagegen unternehmen?” Sie vermisste die Gespräche mit dem Einzigen, der sowas wie ein Freund war.

Elador räusperte sich kurz. ”Wie ich schon erwähnte, die Mittel sind bescheiden und wir haben Leute unter uns, die mit wenig viel erreicht haben. Und wir haben großzügige Hilfe angeboten bekommen.” Er nickte den beiden Geweihten und dem Diener Alrik zu. “Und der ein oder andere ist gut in den rondrianischen Tugenden geschult.” Nun wanderte sein Blick auf Leonora, hinüber zu den Magiern. “Und wenn ich mich recht entsinne, kennt sich Prälat Hortulani sich gut mit den Angroschim und seinen Gepflogenheiten aus. Ich sehe also keine Bedenken. Und ich möchte nochmals erwähnen, es geht hier nicht um ein Wettbewerb um einen Schatz und Reichtum. Obwohl ich phexische Gesinnung nicht herunterspielen möchte.” Der letzte Blick ruhte auf Ronan und dem Norbarden. “Doch gibt es jemand, der die hohe Dame aufklären möchte, bezüglich des erwarteten Aufschlages? Ich glaube überhört zu haben, das Twergenhausen nicht das Ziel des Sterns ist.” Fragend schaute er in die Runde.

Alrik nickte der Geweihten zu und schritt wieder durch den Tempel zu seinem Herrn, ihn zu bitten vorzukommen, seine Expertise wäre verlangt.

Lessandero nickte bestätigend als sein Name in der Auflistung erwähnt wurde. “Es ist richtig”, meinte er kurz. “Und ich habe auch ein paar Kontakte zu den Angroschim - wie sie sich selbst nennen - ein paar einflussreiche Kontakte.” ergänzte er. Ronan lehnte sich zurück, legte das linke über das rechte Bein und nahm den vor ihm stehenden Kelch in die Hand. Sie brauchten also keinen Sternkundigen mehr, einen Geldgeber hatten sie auch, dass Sterne in den Herrschaftsbereich des Grauen fielen, war auch uninteressant. Gut, würde er einfach als stiller Beobachter fungieren.

Alrik kehrte kurz nachdem er die große Runde verlassen hatte mit Hesindiard zurück. “Um welche Fragen geht es denn genau?” wollte er von seinem Diener wissen, übellaunig wie stets, wenn man ihn von seinen Rechnungen und Zahlen fortzwang. “Ich glaube, es geht um Twergenhausen?” antwortete der Rotschopf mit fragendem Blick zum Hesindegeweihten.

“Was ... mit Twergenhausen? Mit Twergenhausen… Was soll das für eine Frage sein? In jedem Fall eine unpräzise. Die Qualität der Frage, lieber Junge, das habe ich dir so oft schon gesagt, die Qualität einer Frage korreliert signifikant mit der Qualität ihrer Antwort. ALso bitte, was genau willst du wissen?” entgegnete der Alte unwirsch, aber schon sichtlich offener, immerhin wurde sein Wissen erbeten. Und Menschen mit Wissensdrang waren ihm sehr willkommen.

“Ä. Ich weiß nicht. Ob der Einschlag dort stattfinden wird?” Hesindiard verdrehte die Augen “Bei Hesinde. Ich erklärte dir doch schon so oft, dass man es nicht so präzise sagen kann. Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Aber sie ist für andere Orte größer. Die Wahrscheinlichkeiten habe ich berechnet und auf eine Karte übertragen. Du hast sie so oft gesehen.”

Alrik lächelte schräg. Er wusste all das, aber er wusste auch, dass er in einer Welt lebte, in der seine Stimme keine Bedeutung hatte. “Verzeiht. Es gab wohl die Hoffnung, dass es dort in der Nähe sein würde. Wegen des neuen Teleskops.” “Welches Teleskops?” fragte der Rickenbacher nun interessiert. “Nun das in Twergenhausen. Von einem Freund der Mentorin. Der wollte sich dort eines errichten lassen.” “In Twergenhausen?” die Stimme des Alten klang irritiert, während sein Diener nickte. “Nur ein Vollidiot würde ein Teleskop in Twergenhausen errichten. Ein Vollidiot der zuviel Geld hat.” Alrik zog fragend eine Braue nach oben: “Junge, hast du denn nichts von mir gelernt?” herrschte ihn der Alte an: “Twergenhausen ist eine Siedlung. Am Fluss. Im Wald. In einer Niederung. Die vier Eigenschaften, die ein Ort nicht haben sollte, wenn man dort ein Teleskop aufbauen will.” er schüttelte sein Haupt. Die Welt würde zugrunde gehen. All dieses Unwissen. Dieser Mangel an Bildung. “Sonst noch Fragen?”

Rhodan räusperte sich vernehmlich. “Ja doch. Fragen. Für mich persönlich ist nicht so sehr relevant, ob in Twergenhausen Stadt ein Teleskop errichtet wird, sondern, ob es in der Nähe von Twergenhausen einen guten Beobachtungsort - beispielsweise einen Hügel oder eine Felsnadel - gibt, von dem aus wir mit Hilfe eines mobilen Teleskops oder eines Fernglases Eure Wahrscheinlichkeitskalkulation präzisieren könnten. Eure Fähigkeiten in allen Ehren”, brummte der beleibte Händler, “aber ich investiere nur ungern in wahrscheinlichen Erfolg. Jedenfalls beabsichtige ich, zuvor die Erfolgsquote zu erhöhen. Führt doch bitte aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit unter welchen Parametern Ihr einen Einschlag in der Nähe von Twergenhausen annehmen könnt.”

"Verzeiht", mischte sich Madasil wieder ein, " aber hier liegt ein Mißverständnis vor. Niemand hat behauptet, der Stern würde in oder bei Twergenhausen herunterkommen. Die verehrte Mentorin meinte lediglich, dass sie dort einen Freund habe, welcher sich dort ein Teleskop hat bauen lassen. Den Berechnungen von Meister Hesindiard, bitte korrigiert mich, wenn ich irre, und einer Prophezeiung zufolge, welche uns der Sternenkundler Belsazar ya Arango mitgebracht hat, wird der Stern höchstwahrscheinlich das Gratenfelser Becken treffen, die Kornkammer unseres schönen Herzogtums. Bisher deutet einiges daraufhin, dass die Baronie Schweinsfold bzw deren Grenzen betroffen sein werden. Aber vielleicht stellt euch Meister Belsazar die Prophezeiung selbst vor."

Geron nickte zustimmend. “Ich stimme seiner Gnaden vollkommen zu. Außerdem möchte ich die Frage in den Raum stellen ob wir wirklich alle nach Twergenhausen reisen müssen um uns um ein Teleskop zu scharren, durch dass dann doch nur eine Handvoll Personen schauen werden. Wäre es nicht sinnvoller nur eine kleine Gruppe dorthin zu entsenden und den Rest schon mal ins Gratenfelser Becken zu entsenden, von wo wir sehr viel schneller jeden Ort in den Nordmarken erreichen könnten?” Er sah die Anwesenden durchdringend an. “Wenn sich in Twergenhausen Erkenntnisse ergeben sollten, könnte man die uns schnell per Bote oder Taube überbringen und wenn der Stern wirklich droht, die Götter mögen es verhüten, auf eine Siedlung niederzugehen, so könnten wir agieren und helfen anstatt nur noch betroffen auf die Trümmer zu starren.” Herausfordernd ließ der Ritter seinen Blick über die Anwesenden wandern.

“Ich würde mir an eurer Stelle nicht viel von diesem Twergenhauserner Teleskop versprechen. Zuviele Faktoren sprechen dagegen, dass man dort relevante Erkenntnisse erlangen kann. Der wichtigste Faktor für eine Präzisierung der Berechnungen ist die Zeit. Viele Beobachtungen und deren Interpretation. An einem Ort, der vermutlich nicht der günstigste ist, eine einzelne Beobachtung zu machen, hilft nicht wirklich viel weiter. Besser wäre es im vermeintlichen Einschlagsgebiet täglich Beobachtungen zu machen und diese dann in die Berechnungen einzubeziehen. Dennoch muss ich euch sagen: Erwartet nicht zuviel.” Die Stimme des Alten klang enthysiastisch solange er von den Erkenntnissen des Geistes sprach: “Die Bahn eines fallenden Sterns zu berechnen ist nicht einfach. Wenn ihr also nach einer sicheren INvestition strebt, rate ich euch ab euch in diese Suche einzubringen. Was man für das Finden und Erforschen eines Sterns braucht ist das hier.” und er tippte sich gegen die Stirn. “Jaaa. Man braucht Verstand. Geld ist nicht von allzu großer Bedeutung. Mit Geld kann man die Ergebnisse des Geistes stützen, freilich, vielleicht sogar signifikant beschleunigen, oh ja. Aber niemals kann der Mangel an Wissen und Verstand durch Geld ausgeglichen werden. Vergesst das nicht in all eurer Planung.”

“Umso mehr stellt sich mir dann die Frage, warum wir unsere Zeit damit verschwenden sollten nach Twergenhausen zu reisen, wo wir doch direkt ins Gratenfelser Becken reiten könnten. Hochgelehrter Herr, bitte versteht mich nicht falsch. Mir geht es nicht um Geld oder den Besitz eines Fragments von dem Stern. Es ist mir gleich wer Anspruch auf den Stern erhaben wird, wenn er erst mal aufgeschlagen ist. Das klärt Ihr am Besten mit dem ansässigen Baron. Aber ich komme aus der Gegend, wo der Stein womöglich herunter kommt und mir geht es um die dort lebenden Menschen.” Er schloss die Augen. ‘Große Mutter, gib mir Kraft.’ Dann richteten sich die Augengläser wieder auf den alten Gelehrten. “Ihr habt da aber einen interessanten Vorschlag gemacht, nämlich, die Berechnungen und Beobachtungen vor Ort vorzunehmen. Ich unterstütze diese Idee.”

Der Gelehrte nickte mit gerunzelter Stirn. Endlich jemand mit Verstand: “Jaja. Das ist eine gute Sache. Ich weiss auch nicht, wer nach Twergenhausen wollte. Alrik, wer wollte gleich dorthin?” fragte er seinen Diener, der sogleich beflissen antwortete: “Verzeiht Herr, womöglich habe ich dies missverstanden. Es schien mir im Raum zu stehen.” Hesindiard wedelte mit der Hand: “Schon gut, schon gut. Aber nun scheint es ja klar, dass niemand nach Twergenhausen möchte und damit können wir das Thema ja beenden. Ich werde meine Unterlagen zusammen packen, damit wir alsbald aufbrechen können. Falls jemand zuvor noch einen Blick auf die Karte mit den Berechnungen werfen möchte, so tut euch keinen Zwang an. Ich erläutere sie euch gerne.” Damit wandte er sich wieder ab und trat zurück an den Tisch, wo er geschäftig begann seine Pergamente zu sortieren.

Bei dem ganzen Geschwafel wurde Doratrava nun ernsthaft langweilig. Und Twergenhausen war ein Thema, das unangenehme Erinnerungen in ihr weckte. Zu frisch war die Erinnerung an diese Afra Kober, die dafür gesorgt hatte, dass Kopfgeldjäger Jagd auf sie gemacht hatten. Sie wusste bis heute nicht, warum diese schmierige Person das getan hatte. Egal, vorbei und vergessen … na ja, hoffentlich bald vergessen. Auf jeden Fall war Doratrava erleichtert, dass es nicht nach Twergenhausen ging.

Aber als sie ihre Suppe aufgegessen hatte und das hochgelehrte Gebrabbel immer noch kein Ende nahm, zog sie sich in den Hintergrund des Tempels zurück und packte ihre drei alten, abgegriffenen Jonglierbälle aus. Sie konnte zwar nicht so gut jonglieren wie tanzen oder turnen, aber das Jonglieren hatte etwas Meditatives. Es fiel ihr leichter, die Zeit zu vergessen und ihre Ungeduld zu zähmen, wenn sie die drei Bälle in der Luft halten musste. Leise summend begann sie mit dem Spiel. Dass dabei die Glöckchen an ihrem Gewand eine sanfte Begleitmelodie klimperten, nahm sie gar nicht richtig zur Kenntnis. Valeria musste innerlich lachen. Wie sehr sich diese Gruppe bereits jetzt schon verselbständigte. Die Sprecherin der Gruppe ruft die Reise gen Twergenhausen aus, der Alte stellt sich dagegen und bezeichnet Dritte als ´Vollidioten´. Sie seufzte. Ach, das dürfte eine sehr unterhaltsame Unternehmung werden. Dem Gedankengang des Maskierten, irgendein Baron hätte Anrecht auf den Stern, konnte sie nicht wirklich nachvollziehen. Wenn, dann der Landesfürst, aber bestimmt nicht ein Baron, denn die Überreste eines Sternes fielen wohl nicht unter ein Regal zum Abbau von Bodenschätzen. Am Ende gibt es noch jemanden, der dem Schulzen des Dorfes, bei dem der Stern zu Boden geht, ein Anrecht zusprechen würde. Sie zuckte mit ihren Schultern. Auch die Kirchen würden den Fund beanspruchen, soviel war klar, aber das war Valeria schon von Anfang an bewusst gewesen. Kurz musste sie schmunzeln - es wäre doch ein Spaß die Praioskirche darauf anzusetzen. Sie konnte es förmlich vor ihrem inneren Auge sehen, wie eine Zehnschaft Bannstrahler den Fund ´im Namen des Herrn´ einkassierte. Niemand in den verbohrten Nordmarken würde sich der Gemeinschaft des Lichts entgegen stellen. Alles in allem war der Geweihten klar, dass es nicht leicht sein würde und sie sich etwas überlegen wird müssen, um ihr Ziel zu erreichen.

“Ja doch, mir wäre es eine Freude, die Kalkulationen in Augenschein nehmen und die Karte inspizieren zu können. Die Beobachtungen am Ort des - vermeintlichen - Geschehens vornehmen zu können erscheint mir auch bei Leibe valider. Doch dazu braucht man flexibles, transportables Gerät und nach meinem Dafürhalten mehrere Gruppen, die unterschiedliche Gebiete abdecken. Ihr versteht mich? Ich denke da an eine Triangulation, wie sie in der Seefahrt gängig ist. Sollten mehrere Gruppen an einigermaßen nahegelegenen Orten zu ähnlichen Beobachtungen gelangen, so mag sich der Einschlagort bestätigen.”

Der alte Rickenbacher deutete auf einige Stellen seiner Pergamente als Rhodan zu ihm an den Tisch getreten war. “Nun. Eine Triangulation wäre eine Option. Wenn die Betrachtung und die Berechnung der Flugbahn eines fallenden Sterns einfach wäre und man die Betrachtungen zeitgleich durchführen könnte…. Das wird aufgrund der Voraussetzung drei baugleiche Teleskope derselben Qualität und drei Beobachter dergleichen Befähigung zu haben, vermutlich scheitern. Im übrigen gibt es weitere Prämissen, die ich nicht als gegeben erachte und deren Annahme sehr hart an Blasphemie grenzen würde, die dafür nicht eingehalten werden. Ihr seht anhand dieser Berechnungen, was ich bisher an Parametern in die Terme eingepflegt habe. Über diese Bezeichnungen findet ihr die jeweiligen Ursprungsbeobachtungen und Berechnungen.” er deutete auf einige komplizierte Zeichenabfolgen, froh scheinbar jemanden gefunden zu haben, der seinen Worten zu folgen verstand.

Triangu-was-nochmal? Schon gehört, aber was war das nochmal genau? Relindis verfolgte den Disput der Gelehrten interessiert, jedoch ohne viel beitragen oder vollständig folgen zu können, geschweige denn alles, was gesagt wurde, tatsächlich zu verstehen. Vor allen Dingen fielen ihr gleich mehrere Steine vom Herzen - so viel verstand sie dann schon noch - dass die Reise wohl direkt dorthin führen würde, wohin sowohl die Worte des Propheten als auch die Berechnungen wiesen und sie keine Zeit mit einem Abstecher nach Twergenhausen vergeuden würden - Zeit, die ihnen am Ende vielleicht fehlen würde, um eine Siedlung im Zielgebiet zu räumen oder nach dem verheißenen Kind suchen zu können.

Auch für Valeria sprach der Alte in fremden Zungen. Einzig beim Wort 'Terme' stahl sich ein feines Lächeln auf ihre Lippen. Ein Bad in einer heißen Therme wäre genau das was sie jetzt brauchte. Wehmütig dachte sie an die Bäder auf Paradisela - leider gab es hier in der Stadt nichts vergleichbares.

Auf seinen Magierstab gestützt blickte Radulf von Lîfstein auf die Pergamente mit Hesindiards Berechnungen und versuchte angestrengt, diese wenigstens grob nachzuvollziehen. Obgleich in der Sternkunde grundsätzlich bewandert, nötigte ihm dies einiges an Konzentration ab - anders als der alte Rickenbacher hatte er sein Leben eben nicht voll und ganz der Wissenschaft verschrieben, sondern konnte und wollte sich zu Praios Gefallen nicht den verantwortungsvollen Aufgaben, die ihm sein Haus und sein Gut auferlegt hatten, entziehen. Schließlich gab er auf, fürs erste wenigstens, und fragte, auch angesichts des Diskurses zwischen dem Urheber der Berechnungen und jenem Pfeffersack, direkt nach: "Verzeiht die Frage, wohlgelehrter Herr, geht in Eure Kalkulationen auch der mit wachsender Nähe zur dritten und damit auch zweiten Sphäre fester werdende Griff Sumus ein? Dieser dürfte doch die Extrapolation der Bahnkurve basierend auf Beobachtungen deren früher Etappen, die noch tief in der sechsten Sphäre verliefen, erheblich erschweren? Und könnt Ihr aus den vorliegenden Beobachtungen etwas über die Stabilität der Bewegung sagen? Trudelt der Stern leicht, so dass zu befürchten steht, dass er nahe der dritten Sphäre noch zerbirst, oder wirkt er fest und unbeirrt auf seinem Weg zum vorbestimmten Aufschlagsort?" Seine eigenen Beobachtungen reichten mangels eines geeigneten Teleskops leider nicht aus, dies zu beurteilen.

“Ein Stern ist ein Objekt. Auch wenn wir ihm Eigenschaften zuweisen können, und er mit der göttlichen Macht assoziiert werden könnte, wie andere seiner Geschwister zuvor, ist er nur ein Objekt. Er hat keinen eigenen Geist, der ihn lenkt und ihn beirren könnte.” setzte der Alte eine seiner langen Erläuterungen an: “Die Sphären selbst sind komplex, komplizierte Ebenen von Mächten, die wir nicht gänzlich verstehen, nicht gänzlich kennen. Sie entziehen sich unserem Blick. Und was wir nicht sehen, können wir schlecht bewerten. So bleibt uns nur, das Wirken der ersten und zweiten Sphäre in unserer Welt zu dokumentieren, ihre Einflüsse abzuleiten. Selbstredend gibt es sie- diese EInflüsse. Sie hängen allerdings meist von Parametern ab, die wir erst kennen, wenn der Stern heruntergefallen ist. Wäre mir die genaue Zusammensetzung des Sterns bereits vor seinem Einschlag bekannt, könnte ich dazu noch einige Faktoren einfliessen lassen. Aber die Informationsdichte ist nicht groß genug, um detailiierte Parameter in die Berechnungen einzubringen. Bei Hesinde. Wir sind noch nicht mal in der Lage den Lauf des Madamals präzise vorauszusagen. Wie sollte uns das bei einem so kleinen, vermutlich recht unbedeutenden Stern gelingen.”

Doratrava, die mit halbem Ohr der Diskussion lauschte, während sie Bälle in die Luft warf, verdrehte die Augen. Diese sogenannten Gelehrten waren doch alle gleich. Für sie hörte sich der ausschweifende Monolog Hesindiards wie eine sehr ausführliche Version des Standardspruchs der Magier an: “Das ist nicht mein Fachgebiet!” Den wandten sie immer an, wenn sie keine Ahnung hatten, und das war erstaunlich oft der Fall. Offenbar musste man den Satz “Das weiß ich nicht” aus seinem Wortschatz streichen, wenn man ein ordentlicher Gelehrter werden wollte.

Radulf runzelte die Stirn: Selbst wenn der Fall des Sterns durch Ereignisse weit höherer Tragweite ausgelöst wurde, die alleine die Götter ermessen konnten, und auch die Bahn einem göttlichen Willen folgte, wovon er im vorliegenden Fall eines solchen unheilverkündenden Menetekels überzeugt war, so musste sich, nachdem all das einmal angestoßen war, dieser primordiale Impuls in der Bahn abbilden und ergründen lassen, mit den Methoden der Empirie und Mathematik. Denn mit diesen ließen sich Gesetzmäßigkeiten erfassen und beschreiben, und was gefiel dem Herrn Praios als dem höchsten der Götter besser als präzise Ordnung und Gesetzmäßigkeit?

"Auch wenn wir die Bahn des Madamals offensichtlich nicht präzise berechnen können," - wie passend im Übrigen für die undurchsichtige Mada - "wissen wir doch, wo wir es des Nachts erwarten dürfen und in welchem Zustand es sich uns zeigt - und das im Übrigen nicht nur wir, sondern sogar weit primitivere Völker - selbst die Orks sollen einen gar nicht mal so ungenauen Mondkalender haben, wie mir ein Bekannter aus dem Greifenfurtschen einst erzählte. Naja, sei's drum. Jedenfalls interessiert mich, wie genau Ihr die Bahn berechnet habt - habt ihr sie geradewegs aus den bisherigen Bahnpunkten heraus verlängert, oder auch beobachtbare Veränderungen der Flugbahn in ihrem weiteren Verlauf berücksichtigt?" Vielleicht war es der letztere Umstand, der vermeintliche Unschärfe in den Abgleich von Kalkulation und Beobachtung und damit das extrapolierte Ergebnis brachte - irgendwie wollte es nicht recht in seinen Kopf, dass eine alte Prophezeiung von der Ankunft eines vermeintlichen Heilbringers eine genauere Vorstellung vom Einschlag dieses Unheilsboten liefern sollte - jedenfalls taten die Anhänger dieser Prophezeiung so, als ob sie es recht genau wüssten - als die moderne, auf der Herrin Hesinde Verstand und des Herrn Praios klarem Blick auf die Welt beruhende Wissenschaft.

“6710” antwortete der ALte nur: “6710, soweit können diese haarigen Raufbolde aus dem Norden zählen. Sie sind intellektuell in der Lage die Tage zwischen zwei Finsternissen des Madamals zu zählen.” Er schnaubte: “ES mag sogar sein, dass diese Viecher einen Hang zu Mada selbst haben. Im Efferd 1029 - zu Zeiten einer blutroten Finsternis des Madamals ging dort im Norden ein Sternenregen nie gekannten Ausmaßes hernieder und es gibt Gerüchte… aber ich schweife ab…. Ich spreche nicht von solchen Belanglosigkeiten. Solchen Trivialitäten.” er sah den anderen direkt in die Augen. “Und eure Fragen sind mir nicht ganz klar, denn dort stehen doch alle Berechnungen und die Parameter sind genau beschrieben.” Er deutete auf die Zahlen und Definitionen. “Ist euch etwas unklar? Oder habt ihr Einwände? Oder gar einen Vorschlag weiterer Faktoren? Einige habe ich herausgelassen, weil ihre Funktionalität und WErtigkeit noch nicht bewiesen sind, das gebe ich wohl zu. Also wenn ihr neue Erkenntnisse habt, dann heraus mit der Sprache. Und unterlasst dieses um den heissen Brei-Gerede. Ich bin ein alter Mann, und wie es alten Menschen zu eigen ist besitze ich Erfahrung und Wissen, nur leider keine Zeit.”

Schweigend hatte Ronan diese Diskussion verfolgt. Und tatsächlich, der Kontorist mit erstaunlich guten Kenntnissen in der Sternkunde für eine Krämerseele, hatte durchaus nicht unrecht. Und der alte Gelehrte war sehr von seiner Gelehrsamkeit überzeugt - unterschätzte jedoch das Teleskop in Twergenhausen. Als würde man ein Teleskop mitten in einer Stadt mitten im Wald errichten. Natürlich würde der Besitzer eines solchen Geräts auf dem höchsten Punkt aufbauen und nicht im Kellergeschoss eines Wohnhauses in einem Tal. Er dachte an sein eigenes Teleskop im Dachgeschoss der Burg Wolfenhang. “Nun…” setzte er an. “... erst einmal würde ich noch einmal die Gefahr thematisieren. Das Gratenfelser Becken ist ein gewaltiges Gebiet und reicht von Paggenau bis Galebquell und von Rickenhausen bis Meilingen. Eine genaue Ermittlung des möglichen Einschlagsortes ist selbst anhand astronomischer Triangulationen…” da war es wieder, dieses Fremdwort. Und… dafür fehlte der Akzent. “... unter Abgleich der bereits erwähnten Prophezeiung nur schwer möglich. Wir können lediglich das Gebiet eingrenzen. Hierfür benötigen wir jedoch, wie von Herrn Herrenfels…” Ein Blick in dessen Richtung. “... angesprochen mehrere Parameterberechnungen, um die Nord-Süd- und Ost-West-Tangenten des möglichen Einschlagsbereiches eingrenzen zu können.” Er wandte sich dann an Meister Hesindiard von Rickenbach. “Ich würde gerne Eure Notizen und Berechnungen einsehen, Meister von Rickenback, um sie mit meinen vergleichen zu können. Und möglicherweise wird mir Herr Herrenfels zur Seite stehen?”

“Ja doch, sicherlich. Mehr Augen sehen regelmäßig mehr Fehler. Jeder gute Kontorist hat deshalb einen Buchprüfer, nicht wahr?”, meinte der beleibte Händler mit den grauen Augen jovial. Ronan nickte ernst - doch Rhodan entging nicht das Lächeln in den Mundwinkeln.

Der Alte seufzte und deutete erneut entnervt auf die Zahlen und Berechnungen vor sich. “Hier…..steht….alles. Es ist sehr schön, dass ihr bereits Kenntnisse der Thematik habt, so dass ihr vielleicht aus den Aufzeichnungen lesen könnt, dass die Berechnungen präzise, exakt und nach den neuesten Erkenntnissen der Sternenkunde durchgeführt wurden. Sie beruhen wie ihr sehen könnt, wenn ihr endlich einen Blick darauf werfen würdet, anstelle euch in theoretischem Schwadronieren zu üben, auf ebensolchen Messungen, die ihr vorschlugt. Wenngleich die zugrundeliegenden Rechnungen vermutlich komplexer sind, als ihr euch vorstellen könnt. Immerhin haben wir es nicht mit einem Körper, einer Masse zu tun, die aus unserer Sphäre stammt. Das würde die notwendige Berechnung so stark versimplifizieren, dass eine einfache Triangulation vermutlich möglich wäre. Doch müsst ihr bedenken: De stella incognita ad originem! Und dazu kommt a sphaera in se stellam. Das dürfen wir bei der ganzen Betrachtung nicht vergessen. Leider erlauben uns diese Prämissen keine simple Mathematik. Ganz im Gegenteil: Nimium est absentis!! Daher müssen wir leider approximieren. Es führt kein Weg daran vorbei. Ich weiss, ich weiss, Pfeffersäcke und Leute, die sich ununterbrochen mit Geld und seinen Wegen beschäftigen, mögen solche Aussagen nicht. Die Sterne aber.” und er deutete nach oben: “Die Sterne verbergen so vieles. Sie in Zahlen fangen zu wollen wäre… eine Torheit. Man muss akzeptieren, dass wir nicht alles wissen. Und Zahlen, wenngleich sie ihre eigene Schönheit haben, niemals gänzlich die Sterne und ihre Bewegungen darstellen werden. Zahlen und die Sterne, sie werden niemals zur Gänze ihren Anmut und ihren Liebreiz vereinigen. Aber je mehr wir es versuchen, desto mehr können wir uns ihr nähern: der absoluten Schönheit.”

Radulf hatte sich inzwischen noch einmal den Formeln zugewandt, versuchte nachzuvollziehen, was diese aussagten. In der Tat waren die neuesten ihm bekannten Erleuchtungen der Trigonometrie eingegangen, mehr noch als das, wie er anerkennend feststellen musste, und die Bahnkurve wurde aus den vorliegenden Beobachtungspunkten scheinbar folgerichtig verlängert. Aber obwohl Hesindiard ihm mathematisch sicher haushoch überlegen war, wurde er den kritischen Eindruck nicht los, dass die Punkte nicht ideal zusammenpassten, die Approximation besser ausfiele, wenn man die ersten oder die letzte wegnahm. Wie bei einer Geschoss-Flugbahn, die auch nicht geradlinig war, sondern einen Bogen beschrieb, auch wenn der hier weit größer und vermeintlich geringer gekrümmt war. Als ob etwas an dem Stern zog, ihn von seiner Bahn abbringen wollte. Ob sich so etwas mathematisch beschreiben und berechnen ließ, in der absoluten Schönheit, von der Hesindiard faselte? Oder handelte es tatsächlich sich um ein unlösbares Problem, nicht weil die Sterne, sondern weil die Götter die Natur dieser Sache vor den Menschen verbergen wollten? "Habt Ihr Kenntnis von den analogen Aufzeichnungen vor dem Aufschlag in Arivor? Könnte man nicht eine ähnliche Entwicklung der Bahnkurve unterstellen und sich so aus den hiesigen Beobachtungen annähern?" mutmaßte der Empiriker in ihm, "wenn doch die Theorie derzeit nur von unbefriedigender Genauigkeit ist?"

„Natürlich habe ich Kenntnis über diese Berechnungen, und natürlich kann man keine ähnliche Bahn unterstellen.“ antwortete er Kopfschüttelnd. „jeder fallende Stern entstammt einer eigenen Sphäre. Jeder von ihnen ist ein neues Rätsel für den Verstand.“ und er tippte sich erneut gegen die Stirn.

Ronan unterdrückte ein Seufzen und konzentrierte sich auf das Lächeln. “Die Sterne widersetzen sich den Zahlen, da habt Ihr Recht, Gelehrter Herr von Rickenbach. Sie sind mehr als nur bloße Zahlen, sie sind selbst ein Mysterium.” Er schaute den alten Meister direkt an. “Aber Feqz, der Wächter der Sterne, hat uns den Verstand und die Werkzeugen gegeben, diesem Mysterium ein Stückchen näher zu kommen.” Er lehnte sich etwas zurück. “Meister Hesindiard, Ihr sagt, in Euren Notizen steht alles. Wollt Ihr, auch für die in der Astrologie wenig bis nicht bewanderten, aber interessierten Suchenden, erklären, was das Ergebnis Eurer Forschungen ist?”

Der Alte zog erneut das Pergament mit den Kreisen hervor. „Setzt euch.“ und dann begann er die Wahrscheinlichkeitsberechnungen detailliert zu erläutern. Wenn jeder Stern einer eigenen Sphäre entstammte und daher keine Ähnlichkeiten unterstellt werden durften, wie sollte man dann jemals zu einer auch nur halbwegs zuverlässigen Vorhersage gelangen? Radulf schüttelte innerlich den Kopf: die Sterne entstammten der sechsten und damit einer der inneren Sphären - einer der Sphären, in denen die göttliche Ordnung noch etwas galt, und nicht Chaos und Brodem der siebten - es musste also Gesetzmäßigkeiten geben, und aus diesen auch zwingend resultierende Ähnlichkeiten - so sehr konnten die Sphären gar nicht zerrüttet sein. Gleichwohl beschloss er, den alten Mathematikus damit nicht länger zu behelligen - er würde ohnehin nur weiter unwirsch antworten. Stattdessen hörte er sich dessen Vortrag über seine Berechnungen noch einmal geduldig an - auch wenn es genaugenommen gar nicht so unmittelbar entscheidend war, wo der Stern ganz genau aufschlug, sondern viel mehr, welche Ereigniskaskade das ganze auslöste, war diese Vorlesung doch eine wohltuende Ertüchtigung seines von den Aufgaben eines Junkers zwar allzuoft vollends eingenommenen, aber doch häufig unterforderten Intellekts.

Der dunkelhäutige Horasier wartete kurz ab, hielt dann sein Buch mit seinen Aufzeichnungen hoch. “Wer Interesse hat, kann ich gerne meine Aufzeichnungen zu der besagten Prophezeiung zeigen.” Damit ging Belsazar zu einem Tisch und legte Buch und Karte bereit.

Die Neugier übermannte sie: Leonora machte sich auf zu dem Tisch und beugte sich über die dargelegten Materialien - diesmal ohne darauf Rücksicht zu nehmen, was der Gelehrte Hesindiard von der Prophezeiung hielt.

Auch der tulamidischstämmige Mann in Grau hatte sich nach der Diskussion von seinem Platz am Tisch erhoben und war zu Meister Belsazar getreten. “ghalbana ma taqadam alnubu'at rasayil yumkinuna faku shafartuh (Prophezeiungen bieten oft Botschaften, die wir entschlüsseln können)…” murmelte Ronan, als er sich über das Buch beugte, neben Leonora stehend, diese aber erst einmal nicht wahrnehmend. Abgesehen von einem leichten Nicken ergänzt durch ein freundliches Lächeln. Während er die Worte las, die auf der Seite standen, sorgsam in einer feinen gestochenen Schrift, versuchte er sich nicht ablenken zu lassen. Leonora hörte, wie er leise offenbar ein Mantra murmelte: “semper memoria teneam.” Nachdem er sich den Text offenbar genau durchgelesen hatte - um ihn sich einzuprägen? - richtete er sich wieder auf, strich die graue Tunika glatt und sah blinzelnd, als habe er in helles Licht geblickt, die junge Ritterin an. “Interessante Worte, nicht wahr?” Er runzelte die Stirn. “Aber wie es sich für eine richtige Prophezeiung gehört, recht mysteriös.” Er betrachtete die Karte. “Hm… was meint Ihr, kennt Ihr Euch in der nordmärkischen Geschichte gut genug aus, um eine Deutung vorzunehmen?”

“Immer das Gedächtnis… eines Holzwurms?”, überlegte Leonora, als sie das Mantra des Tulamiden aus ihrem Praiostagsschulen-Bosparano zu übersetzen versuchte. Sie erstarrte, als ihr klar wurde, dass sie unbedachter weise ihre Gedanken für ihren Ansprechpartner hörbar ausgesprochen hatte. Ihre Wangen fingen vor Verlegenheit an zu brennen. “Offen gestanden - ich kann mit den Worten nichts anfangen.”, gab sie zu. Schlimm genug, dass die Buchstaben immer zu tanzen begannen, wenn sie zu lesen versuchte, hatte sie sich in ihrer Kindheit mehr für Schwerter und Imman-Bälle begeistern können als für das Brüten über staubigen Büchern.

Der Tulamide in seiner grauen Tunika nickte. “Das haben Prophezeiungen so an sich, feurige Tochter des Schwertes.” Er deutete auf die Zeile mit der Feuersäule und der sich in den schwanz beißenden Schlange. “Dieser Abschnitt könnte womöglich eine Zeitangabe darstellen: ein fallender Stern zieht einen feurigen Schweif hinter sich her. Die sich in den Schwanz beißende Schlange könnte - ich betone: könnte - auf den eine astrologische Konstellation hinweisen, weshalb wir uns die Sternbilder der Schlange oder des Drachen vielleicht näher ansehen sollten.” Er runzelte die Stirn und schloss halb seine leicht schräg gestellten dunklen Augen. Einen Augenblick später öffnete er sie wieder: “Allerdings ist die Schlange derzeit nicht sichtbar.” Er schaute Leonora wieder an und deutete auf einen anderen Abschnitt. “Euch als Nordmärkerin, sagen Euch der Kamm des Berges, die Quelle des Flusses und des flüssigen Goldes sowie die Stadt der Könige etwas? Wir haben hier die Koschberge und in denen entspricht etwa die Galebra, allerdings scheint diese weniger flüssiges Gold zu führen. Und die Stadt der Könige? Und da alles ‘zwischen’ liegen soll, müssen es nahe liegende, aber doch entfernte Orte sein.”

Lange antwortete die junge Ritterin nichts, dann hellte sich plötzlich ihr Gesicht auf: “Honig!” Als sie einen verständnislosen Blick des Tulamiden erntete, fügte sie hinzu: “Imker nennen Honig auch ‘das flüssige Gold’. Es ist kein Fluss gemeint, sondern eine Stadt - Honingen!” Leonora sah sehr zufrieden mit sich aus. Dann legte sich wieder eine Falte über ihre Stirn. “Was die Flüsse angeht, gibt es im Norden auch die Tommel, aber wo ihre Quellen sind… keine Ahnung...” Sie spitzte nachdenklich ihre Lippen. “Und die Stadt der alten Könige - vielleicht sind keine Menschenkönige gemeint? Zwergenkönige… Xorlosch!” Die junge Ritterin strahlte über beide Wangen. Sie spürte, dass sie einen “Lauf” hatte, wie man beim Imman sagte (das sie natürlich nicht spielte). Fieberhaft überlegte die Kriegerin: “Kamm des Berges, Kamm des Berges… Gebirge gibt es hier viele… Ingrakuppen? Hatten wir schon, Xorlosch.” Sie tippte sich mit ihrem Zeigefinger auf die Lippen, während ihre Augen zur Decke gerichtet waren. “Koschgebirge, Bergkamm… Berg…. - grat? Bei einem felsigen… Gratenfels!” Leonora unterdrückte den Impuls, vor Freude auf und ab zu hüpfen. Sie räusperte sich, strich ihr Wams gerade, versuchte ihrer Stimme einen sachlichen Ton zu geben. “Drei davon waren Orte. Dann könnte ‘Quell des Flusses’ auch ein Ort sein.” Sie beugte sich über die Karte auf dem Tisch. “Galebquell?” Diesmal klang sie nicht so überzeugt.

Der Mann in Grau hörte der jungen Ritterin zu. Dann dachte er nach. “Hm… Xorlosch, ja, die Stadt der alten Könige.” Ronan zog aus seinem Beutel ein Diptychon und einen Griffel hervor und begann zu skizzieren. Oben waren mehrere sanft geschwungene Linien, dann einige größere Punkte und schließlich einige zackige Gebilde.

“Versuchen wir mal zu notieren. Hier oben…” Er fuhr die die Linie am oberen Rand entlang. “... haben wir die Nabla, den Grenzfluss der Nordmarken. Darunter ist die Ambla - beide fließen in den Großen Fluss.” Er deutete auf die dritte Linie, die etwa in der Mitte der Seite verlief. “Das hier ist die Tommel.” Er grinste und rieb sich durch den dunklen Haarschopf. “Ich bin kein guter Kartograph, aber ich versuche es irgendwie hinzubekommen.” Leonora betrachtete das halbwegs erkennbare Kunstwerk. “Die Tommel entspringt irgendwo nördlich von Gratenfels in den Bergen. Die Galebra hier…” Er fuhr die mittlere Linie, die am rechten Seitenrand des Diptychons entstand und in einem geschwungenen Bogen nach unten führte. “... entspringt bei Galebbogen im Kosch und windet sich südwärts zum Großen Fluss.” Dann deutete er auf einige Kreise und setzte dann immer einen Buchstaben hinzu. “Hier ist Gratenfels, hier irgendwo Xorlosch und hier Galebbogen und dort oben Tommelsbeuge.” Er fuhr mit der flachen Hand einen Kreis zwischen Flüssen und Städten. “Und das alles ist das Gratenfelser Becken.” Er schaute auf das Gekrakel und runzelte die Stirn. “Können wir damit etwas anfangen?” Er schaute die Ritterin lächelnd an. “Galebquell heißt übrigens die Baronie, Galebbogen der Hauptort.” “Xorlosch, die Stadt der alten Könige? Der Kosch als Bergkamm? Dann hätten wir schon eine Linie. Quelle des Flusses. Hm… Und dem flüssigen Goldes. Meint es ‘Quelle des Flusses UND des flüssigen Goldes, also eine Art Doppelquelle? Oder sind es zwei Orte? Honingen und die Quelle der Tommel?”

Was der Südländer nur mit den ganzen Flüssen hatte? Leonora verstand nicht, worauf er hinauswollte, doch… “Hier, auf Eurem Plan: die vier Punkte - die vier Orte - sie bilden eine Raute. Eine ziemlich genaue, sogar. Hier soll der Stern herunterfallen. Dass es in dieser Gegend, im Gratenfelser Becken abstürzen soll, das haben ja auch die Berechnungen von Meister Hesindiard ergeben.” Ihr Finger fuhr über die Zeilen der Prophezeiung, damit die Buchstaben nicht so wild hüpften. “Wir müssen warten, bis die Feuersäule erscheint - ist der Schweif eines Kometen gemeint?” Eine der Erkenntnisse, die Leonora aus den wenigen Lehrgesprächen mit dem Gelehrten gewonnen hatte, war, dass Kometen Sterne sind, die am nächtlichen Firmament verglühen. “Und die Feuersäule erscheint, wenn die Schlange sich in den Schwanz beißt. Sternbild der Schlange? Im Hesinde-Mond? Dann müssen wir ja lange warten… Kann sich die Schlange woanders in den Schwanz beißen? Oder hat der Stern schon seit dem Hesindemond angefangen abzustürzen?”

“Da stehen wir vor einem großen Rätsel, Meisterin der Klinge.” antwortete Ronan und betrachtete die Raute, deren verbundene Ecken auch im Gratenfelser Becken einen Ort aufzeigten. “Das Sternbild der Schlange ist derzeit unter dem Horizont, der nächste Hesinde-Mond noch weit entfernt.” Er lächelte die junge Frau an. “Astrologische Prophezeiungen sind eine Mischung aus Bauchgefühl und Berechnung, möglicherweise wird uns ein weiterer Blick in den Sternenhimmel weiterhelfen. Aber für den Moment, tapfere Schwerttänzerin in heiterer Nacht, bin ich einfach ratlos.”

“Schwerttän…?”, echote Leonora verwundert, nicht minder verwirrt von den Äußerungen des Tulamiden als von der Prophezeiung. “Und was ist mit den Augen - zwei Augen, und dann ein drittes… Drei Augen, niemand hat drei Augen - oder?” Ronan grübelte. “Ich hörte davon, dass der Drachenkaiser des Horasreiches ein Drittes Auge besitzt, welches große magische Macht verleiht.” Er zuckte mit den Schultern. “Aber ich habe ihn mehrfach gesehen und er hatte kein drittes Auge auf seiner Stirn. Doch trug er auch ein Diadem, möglicherweise war es darunter?” Er wiegte seinen Kopf hin und her. “Aber, es gab einst ein Volk auf den Zyklopeninseln, welches Mada verehrte. Sie besaßen Forschungsergebnissen zufolge drei Augen. Zwei wie wir und ein schwarzes, wie aus Obsidian auf der Stirn.”

“Drachenkaiser… Zyklopeninseln…” Leonora kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht mehr nur die blumigen Namen, mit denen der Tulamide sie bedachte. Jetzt nannte er auch so viele exotische Personen, Orte, Begebenheiten, die sogar in Verbindung mit dieser Suche stehen können. Die Ritterin war regelrecht bezaubert. “Und sind diese dritten Augen - böse?”, fragte sie, ihre Stimme vor Ehrfurcht senkend.

“Mächtig.” antwortete er. “So wie die Zauberkraft oder die Fähigkeit zur Zauberei.” Er lächelte verhalten. “Es kommt darauf an, was derjenige mit dieser Gabe tut. Aber nein, stählerne Schönheit, das dritte Auge scheint nach allem, was ich herausgefunden habe, nicht von sich aus böse zu sein.” Leonora zuckte mit den Schultern, beugte sich dann wieder über die Prophezeiung. “Und die Ketten? Welche Ketten bersten, und wer ist der König der Könige?”, fragte sie weiter. “Das, Wagemutig Suchende auf dem Pfad dunkler Geheimnisse…” Ronan zuckte kurz mit den Achseln. “... werden wir im Laufe unserer Queste herausfinden müssen. Prophezeiungen sind nie eindeutig, denn sie sind Hinweise der Götter - und die Götter stellen uns auf die Probe.”

Nach einer Weile des Beratens, erhob der Hohe Lehrmeister wieder sein Glöckchen und rief damit zur Ruhe und Aufmerksamkeit auf. “Wie ich heraus höre sind wir uns einig, das es ins Gratenfelser Becken gehen wird. Den Vorschlag der Mentorin Nirjaschka, ein besseres und größeres Teleskop in Anspruch zu nehmen, halte ich dennoch für keine schlechte Idee. Doch vertraue ich der Mehrheit der klugen Köpfe der Versammelten. Ich bitte euch, ein jeder der für den Weg über Kyndoch - Honingen ist, erhebe die linke Hand. Und ein jeder der für den Weg über Twergenhausen ist, erhebe bitte die Rechte.” Aufmerksam wartete der Hesindegeweihte ab.

Doratrava hatte ihre Jonglier-Übungen eingestellt und sich wieder zu Meta gesellt. Sie raunte der Schildmaid zu: “Du hast mich angeheuert. Also musst du sagen, welchen Weg wir nehmen sollen.” Sie hoffte auf den Weg über Kyndoch, dann musste sie nicht in Twergenhausen Erinnerungen auffrischen. Meta war kurz etwas verwirrt. “Aber klar, ich hab dich angeheuert, und reichlich belohnen möge dich der alte Sack.” Sie schwieg kurz, ließ ihre blaugrauen, undefinierbaren Augen über die Beteiligten schweifen. “Wir halten uns an der aufgemotzten Rahjani. Mein Herr ist mit ihr verwandt und meine ehemalige Herrin Domna Verema nun ebenfalls. Also werden wir wohl oder übel mit dem Schiff fahren. Du hältst das aus?”

Soweit Doratrava überhaupt etwas mit Valeria zu tun gehabt hatte, war diese ihr für eine Rahjani ungewöhnlich schnippisch und arrogant vorgekommen, aber sie musste ja kein Tänzchen mit der Frau wagen (obwohl … das wäre sicher eine interessante Erfahrung - für beide). Also sah sie da kein Problem. “Sicher, warum nicht?” antwortete die Gauklerin. “Dann machen wir es so.” Die erste Bemerkung Metas irritierte Doratrava schon viel eher. Bei der “Anwerbung” durch Meta hatte sie gedacht, sie hätte etwas falsch verstanden, denn es war bisher immer so gewesen, dass der, der bestellte, auch bezahlte. Aber nun schien die Knappin tatsächlich der Meinung zu sein, der alte Zausel würde für ihre Begleitung und seine Unterhaltung bezahlen … das mit dem Zahlen tanzen war dann vielleicht doch nicht so abwegig … oder geometrische Muster … oder mit Tintenfässchen jonglieren … Sie musste schon wieder kichern und beschloss, die Sache auf sich zukommen zu lassen, so, wie sie es meistens tat. Als sie dann sah, dass Valeria sich allerdings für die Twergenhausen-Route entschied, trat einer säuerlicher Ausdruck auf Doratravas Gesicht. ‘Nun, Pech gehabt’, dachte sie bei sich, sagte aber nichts.

Meta bemerkte den ungewohnten Ausdruck auf dem Gesicht der Gauklerin. Beruhigend strich sie ihr über den Arm. Keiner sollte es sehen, sie bewahrte eine neutrale Miene und flüsterte der hübschen Frau zu: “Dora, was auch immer es ist, hab keine Angst. Ich mag unwichtig sein, man schenkt mir kaum Beachtung, oder nimmt mich als bloß gleichaltrige, stell dir das vor, Frau wie Valeria wahr. Aber ich tue was ich kann, um die, für die ich mich verantwortlich fühle, zu schützen.”

Doratrava nickte nur, wenn auch ihre Gedanken auf Wanderschaft gingen: ‘Huch, sie fühlt sich für mich verantwortlich. Na, das ging aber schnell …’

Valeria war eher nach einer Fahrt auf dem Fluss, als dem tagelangem Sitzen auf ihrem Damensattel und ihrer störrischen Stute unter dem Hintern. Darüber hinaus wollte sie dem Alten in die Suppe spucken. Sie mochte ihn nicht. Was die bessere Lösung für das Vorhaben der Gruppe war konnte und wollte sie nicht bewerten.

Ohne Umschweife hob Geron seine linke Hand. Er hatte die Idee annähernd anderthalb Wochen mit der Reise nach Twergenhausen zu verschwenden von Anfang an nicht gut gefunden. Je eher sie in Schweinsfold waren, desto besser würde er sich fühlen. Zudem hätten sie die Zeit um Vorbereitungen zu treffen und auch Nachforschungen zu dem Königskind anzustellen. Vielleicht konnte dabei seine Schwester helfen oder auch Mutter Elva.

Auch wenn sie sich nicht dazu abgesprochen hatten, stimmte Relindis aus denselben Beweggründen wie Geron für die Reise flussabwärts gen Kyndoch und von dort über Honingen gen Schweinsfold. In ihrer Entscheidung bestärkt wurde sie durch Akka, die in diesem Moment mit einem freudigen Schnattern jäh nach links davon watschelte. Mochte es für einen unbedarften Außenstehenden nur nach einer gefräßigen Gans aussehen, die nach einigen während des vorangegangen Mahls herabgefallenen Brosamen gierte, so spürte Relindis darinnen den Willen der gütigen Mutter, so schnell und auf kurzer Strecke wie möglich zum Ort der Prophezeiung zu streben.

Lessandero fuhr auf der Karte die beiden Strecken nach, dann entschied er sich für Kyndoch - Honingen, denn flussabwärts ging es deutlich gemütlicher als durch die Stromschnellen und Engpässe gen Twergenhausen. Und bis nach Honingen gab es gut ausgebaute Straßen und nicht nur so alte Karrenwege.

Nach dem mühsamen Studium der Prophezeiung, aus der sie nicht recht schlau wurde und die sie sich obendrein auch nicht gut merken konnte, war die Zeit der Eigensinnigkeit für die junge Ritterin von Heiternacht vorbei. Sie wäre hier völlig verloren, wenn sie sich auf ihren eigenen Überlegungen verlassen müsste… Außerdem hatte sich vorgenommen, den Alten zu begleiten, weswegen sie wieder seine Nähe suchte. Als sie neben ihm stand, raunte sie ihm zu: “Für welche Strecke entscheidet Ihr Euch? Ich will Euch gerne dabei begleiten.”

Der Alte zuckte mit den Achseln. Ihm war es relativ egal. Beide Wege führten durch Gebiete derselben Aufschlagswahrscheinlichkeit. Und keine würde sie schneller ans Ziel bringen. Die junge Kriegerin machte ein langes Gesicht. Der betagte Gelehrte wusste doch sonst genau, was er wollte? Insgeheim, merkte sie gerade, hatte sie gehofft, dass Hesindiard sich für eine Reise über Twergenhausen entscheiden würde. Und zweifellos, musste sie sich eingestehen, war ihre Hoffnung gewesen, durch das dortige Teleskop in die Herrlichkeit des Nachthimmels zu blicken - am Liebsten unter der kundigen Führung des Alten. Vorsichtig schlug sie vor: “Dann… lasst uns doch überprüfen, ob das Twergenhausener Teleskop tatsächlich Mist ist.”

“Nicht das Teleskop ist Mist.” antwortete der Alte: “Nur sein Käufer. Mit ...hoher Wahrscheinlichkeit.” Er seufzte. Und dachte an den erhebenden Anblick in den Himmel aus den Goldfelsen. “Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass das Teleskop irgendwelche neuen Erkenntnisse bringt. Vermutlich wird es uns nur Zeit kosten, weil all diese geistlosen Schwätzer und Möchtegern-Gelehrten einen Blick durch ein Teleskop werfen wollen, das ein ebensolcher geistloser Schwätzer aufgestellt hat. Warum ich das denke, werde ich euch gerne auf dem Weg erläutern… Etwas anderes... habt ihr diese Prophezeiung gelesen? Was haltet ihr von ihr? Ist sie sinnig?” Er kam näher und flüsterte: “Wisst ihr, Propheten ohne die rechte Bildung vergessen mitunter die Unschärfetheorie zu betrachten, wenn sie geistlos ihre Ideen jagen.” Die Angesprochene überlegte kurz angestrengt. Dann antwortete sie: “Ich glaube, es ist eine von den Prophezeiungen, die erst hinterher stimmen.” “Dann müssen wir uns ja auch um die Unschärfetheorie keine Sorgen machen.” grinste der ALte zufrieden. Wissend - oder eher: vortäuschend, dass sie verstand, was Hesindiard sprach - nickte Leonora.

Als ob es in Frage stand, welcher Weg der Richtige war? In Tagen, in denen die Zeichen auf Krieg standen, würde Radulf in einer wichtigen Mission lieber einen Umweg in Kauf nehmen, als ohne allzu große Not durch fremdes Territorium zu reisen, selbst wenn dieses nur Albernia war. Es war ja schließlich nur zu gut bekannt, wie treu und verlässlich die Albernier immer waren. Die Route alleine durch die Nordmarken war die einzig sinnvolle Entscheidung für den Magus. Zumal auch ihn das so viel besprochene Twergenhausener Teleskop lockte.

“Weise Hesinde, es sei!” sagte Elador als er die Stimmen gezählt hatte. “Ich würde vorschlagen, das jeder den Rest des Tages dazu nutzt, sich auf diese Mission vorzubereiten. Ich bitte dann alle, morgen sich zur ersten Rahjastunde am Hafen einzufinden. Und nun entschuldigt mich, ich habe etwas zu ´organisieren.” Der Hohe Lehrmeister verneigte sich kurz und verließ dann die heilige Halle.

Misstrauen

Wütend und frustriert stand Geron da, die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ein leises drohendes Knurren drang aus seiner Kehle und er stapfte aus dem Tempel. Draußen schlug er den Weg in Richtung der Magierakademie ein, da ihn dieser tiefer in den Park bringen würde. An einer Eiche blieb Geron stehen und rammte seine Faust mit aller Macht gegen den Stamm des Baumes. ‘Wie konnte man nur so blind gegenüber der Gefahr für die Bewohner des Landstrichs sein?’ Wieder krachte seine Faust gegen den Baum.

“Aber … aber, junger Mann …”, hinter Geron erklang die liebliche Stimme einer jungen Frau, “... darf ich erfahren was Euch so sehr in Rage bringt?” Die Geweihte Valeria hatte einen Kelch in der Hand und aus ihren Augen blitzte dem Ritter eine Mischung aus Neugier und Spott entgegen. “Ist es vielleicht gar dieses ermüdende Beisammenstehen zwischen all den Büchern und Schriften?” Sie simulierte ein Gähnen.

Mit noch immer zu Fäusten geballten Händen drehte sich der Ritter langsam zu ihr um. “Ihr.” knurrte er. “Ihr gehört doch zu den denen, die lieber zwei Wochen damit verschwenden wollen um ein, nur eventuell, genaueres Teleskop zu begaffen, anstatt direkt ins Becken zu reisen.” Sie konnte sehen, dass er vor unterdrücktem Zorn zitterte und nur noch ein kleiner Funke fehlte um diesen zu entladen.

Auch Relindis war Geron hinterher geeilt - hoffentlich holte sie ihn rasch ein. Da vorne war er ja… und die Rahjageweihte auch, die offenbar schneller als sie gewesen war. Die junge Geweihte wog schnell ab, ob sie sofort zu den beiden stoßen sollte, doch sagte ihre Intuition ihr, zuerst Akka abzufangen, die ihr gerade vor Empörung ob ihres unvermittelten Aufbruchs laut schnatternd auf den Fersen war.

Da hörte Geron das zunehmend lauter werdende Geschnatter einer Gans und als er einen Blick über Valerias Schulter hinweg warf, konnte er auch das kurze Aufblitzen von orangefarbenen Stoff erkennen. Der leichte Wind trug ihm zudem den vertrauten Duft von Relindis zu, so dass er genau wusste, wer da hinten war. Seinen Blick wieder der Rahjani zugewandt, versuchte er sich zu beruhigen und zwang seine Fäuste sich zu öffnen. “Ihr wollt wissen, was mich so in Rage bringt? Ihr und Euresgleichen, die nur an den Profit denken oder glauben, dies sei nur ein netter Zeitvertreib.”

“Ah …”, entfleuchte es der Kehle Valerias, ohne dass das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand, “... Ihr scheint mich ja sehr gut zu kennen. Oder sind es bloß Vorurteile, die aus Euch sprechen? Eine einfache Rahjani … was wird die denn hier schon wollen, außer sich selbst zu bereichern.” Sie schüttelte sanft ihren Kopf. “Ihr kennt meine Triebfeder nicht und würdet es auch nicht verstehen, aber das soll hier und jetzt ja nicht das Thema sein. Ja, es interessiert mich was Euch so in Rage zu bringen vermag. Ist es die Reise nach Twergenhausen? Was wäre denn die Alternative? Auf gut Glück ins Gratenfelser Becken zu reisen? Von wievielen Rechtmeilen sprechen wir denn dabei? Sind es 1.500? Oder 2.000?” Valeria nahm einen Schluck vom Wein, der erstaunlich gut mundete. “Ich denke wir sollten uns schon so sicher wie möglich sein wo wir genau hinmüssen. Meint Ihr nicht?”

“Dann studiert die Prophezeiungen etwas genauer und vielleicht wird sich euch ein kleineres Gebiet erschließen, welches zu erkunden gilt. Das sind dann eher 150 bis 200 Rechtmeilen, von denen ich spreche. Außerdem könnten wir, wenn wir direkt in die Mitte des Beckens reisen, dort bessere Messungen vornehmen und auch schnell reagieren. Zudem können wir von dort sehr schnell jeden Ort im Becken erreichen. Und wenn der Stern dort wirklich aufschlägt, werden Menschen sterben. Versteht Ihr was das bedeutet? Ach, und ich habe Eure Reden im Tempel gehört. Und selbst wenn ich das nicht hätte, so wüsste ich es aus Eurer Wahl der Gruppe zu schließen, weshalb Ihr hier seid.” Er schnaubte abfällig. “Also, verplempert ruhig Zeit und fahrt nach Twergenhausen.” Einen kurzen Moment musterte er die vor ihm stehende Frau von Kopf bis Fuß. “Euer Gnaden.” Dann machte er Anstalten sie einfach stehen zu lassen.

Die Naivität des Ritters hatte eine belustigende Wirkung auf Valeria, dennoch ließ sie sich äußerlich vorerst nichts anmerken. “Und wenn die Prophezeiung irrt?” Die Geweihte ließ ihm keine Zeit für eine Antwort. “Meinen Namen trage ich im Übrigen nicht nur aus Stilgründen. Ich bin Horasierin und seit Arivor wissen wir wie gefährlich ein fallender Stern sein kann. Auch wenn wenn man die Bevölkerungsdichte des Gratenfelser Beckens nicht mit jener der Gerondata vergleichen kann und die Wahrscheinlichkeit für Fatalitäten um ein vielfaches geringer ist. Wenn Ihr den Menschen wirklich helfen wollt, dann setzt alles daran jene zu warnen, die es betreffen wird und genau das könnt Ihr nur wenn wir wissen wo genau es passieren wird. Wenn sich unsere Erkenntnisse am Teleskop mit der Prophezeiung decken, dann wäre das umso besser.”

“Und wie wollt Ihr die Leute rechtzeitig warnen, wenn Ihr zu spät kommt? Hm?” Er deutete in die grobe Richtung in der Twergenhausen lag. “Ihr braucht mit dem Schiff geschlagene anderthalb bis zwei Wochen, nur um die Stadt zu erreichen und anschließend braucht ihr nochmal vier, fünf Tage bis ihr im Becken seid. Laut einem der Gelehrten da drin wird der Stern innerhalb der nächsten zwei Wochen aufschlagen. Dagegen würde die Reise ins Gratenfelser Becken nur sieben oder acht Tage dauern. Und wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es doch ein Teleskop in einer der Gruppen. Warum also nicht dieses mitnehmen und vor Ort im Becken den Stern beobachten?” Er sog tief Luft ein und starrte dann durch seine dunklen Brillengläser Valeria an. “Vergesst es einfach. Gehabt Euch wohl.” Damit ging er nun wirklich an ihr vorbei, tiefer in den Park.

Die Geweihte ließ sich jedoch nicht abschütteln. “Und wen genau wollt Ihr warnen? Und wo sollen die Menschen hin? Es ist doch bisher nicht einmal klar wie groß und gefährlich dieser Stern ist. Auch der Stern nahe Arivor hat die Stadt nicht durch die Macht seines Einschlages direkt vernichtet. Er hat eine Kettenreaktion ausgelöst, die zur Zerstörung der Stadt führte, da der Boden in der Gerondata unterhöhlt war. Solcherlei Gegebenheiten sind mir im Gratenfelser Becken nicht bekannt, doch vielleicht wissen die Gelehrten hier mehr dazu. Was ist Euer Plan? Die Menschen mehrerer Baronien willkürlich zu evakuieren … und das aufgrund einer Prophezeiung?” Valeria schüttelte ihren Kopf. “Nein, wir werden uns den Stern durch das Teleskop ansehen - bevor es in den Krieg geht, sollte man sich immer vergewissern wer der Feind ist, den man zu bekämpfen trachtet. Dann können wir die Menschen mithilfe der Kirchen warnen. Ich selbst habe die Fähigkeit mit Belhanka zu kommunizieren … jederzeit. Andere Brüder und Schwestern in Twergenhausen werden dies wohl auch können. So verbreitet sich das Wort viel schneller als wenn Ihr mühsam beginnt Adelshöfe abzuklappern.”

Geron blieb abrupt stehen und baute sich vor Valeria auf. Seine Maske war nur einen Halbfinger von ihrem Gesicht entfernt. Roter Glanz erhellte die Brillengläser von innen heraus. “Ihr solltet jetzt gehen, bevor ich mich vollends vergesse.” grollte er bedrohlich. Er musste weg von diesem Weib, bevor er vollends die Beherrschung verlor und das Tier übernehmen würde. Er konnte spüren wie es sich beinahe vollends von seinen Ketten befreit hatte und nach dem Blut der Frau lechzte.

Der Blick der jungen Frau war unbewegt und ohne Furcht. Als der Ritter ihr bedrohlich nahe kam, wich sie nicht zurück. Stattdessen schob sie, in einer kaum wahrnehmbaren Bewegung, ihre freie Rechte in den seitlichen Schlitz ihres Kleides und holte etwas daraus hervor. Hinter Valeria erkannte Relindis den schlanken Dolch, den die Geweihte nun hinter ihrem Rücken hielt. “Ihr droht einer schutzlosen Geweihten der Rahja?”, kam es beinahe schon herausfordernd.

Was wurde hier gespielt? Relindis Atem stockte für einen kurzen Moment, als sie der hinter dem Rücken gezückten Waffe gewahr wurde. War es Furcht oder Hinterlist, die die Rahjani trieb? - Nein an Arglist konnte und wollte sie nicht glauben - auch wenn Valeria vorhin noch so gierig wirkte, war sie immer noch eine Dienerin einer friedliebenden Göttin, so wild deren Kult auch bisweilen daherkam.

Geron war ein so lieber Mensch, aber nach dem Gebaren und den Äußerungen Valerias im Tempel konnte sich Relindis gut vorstellen, dass er in seiner gegenwärtigen Aufgewühltheit mit der Rahja-Geweihten aneinandergeraten war... und wenn man ihn nicht besser kannte, konnte er schon furchteinflößend sein, selbst mit Maske... Sie musste den Streit schnell schlichten und die beiden auseinanderbringen, ehe hier noch ein Unglück geschah. Sie gab Akka einen Schubser in Gerons und Valerias Richtung. "Schnell, meine gute Freundin. Schnell."

Schnatternd setzte sich die Gans in Bewegung und watschelte eilig auf die beiden zu, dicht gefolgt von Relindis, deren Laufschritt Akka schließlich sogar zu einem flügelschlagenden Sprint veranlasste. Wohin trieb ihre menschliche Gefährtin sie nur? Akka nahm mit jedem Schritt deutlicher die Aura des aufgebrachten Raubtieres vor ihr wahr, die von dem vorhin noch so freundlichen Mann ausging. Kurz bevor sie angelangte wich sie daher ängstlich zur Seite aus und erhob sich sogar in die Lüfte, um der Gefahr zu entrinnen.

"Schnell, haltet sie auf, ehe sie entwischt!" rief Relindis laut, als sie sich sicher war, dass genau dafür keine Chance mehr bestand. "Zu spät!" kam sie, etwas übertrieben keuchend, bei den beiden an. "Manchmal macht mich das eigensinnige Vieh verrückt!" Das stimmte sogar, jetzt aber gerade gar nicht - was sie aber auch nicht behauptet hatte, wie sie zur Beruhigung ihres Gewissens für sich konstatierte. "Aber gut, dass ich Dich sehe, Geron. Ich muss unbedingt mit Dir reden!" sprach sie zuerst Geron an, ehe sie ihren Blick Valeria zuwandte. "Ich hoffe, ich störe Euch nicht bei einer wichtigen Unterredung." Ihre etwas zu hohe Tonlage und die hektisch vorgetragenen Worte verrieten ihre Aufregung und ihr Unbehagen angesichts der kleinen Scharade. Rasch aber fasste sie sich. Mit ruhigerer, ja sanfter Stimme, fragte sie, von einem zur anderen blickend, nach: "Alles in Ordnung bei Euch? Kann ich Euch beiden helfen?" Hoffentlich ließ sich aus der Welt schaffen, was geschehen war.

Valeria warf ihre Stirn in Falten und ließ ihren Dolch unauffällig dort verschwinden, wo sie ihn zuvor hergenommen hatte. Ein Mann, der so bereitwillig eine Dienerin der Zwölf bedroht hatte etwas zu verbergen. War er ein Dämonenknecht, oder diente er dem Dreizehnten? Sie würde ihn im Auge behalten. Relindis hingegen schenkte sie ein freundliches Lächeln. "Alles in Ordnung, Schwester …", säuselte sie, "... der hohe Herr und ich hatten uns ein wenig die Beine vertreten und den Tag Revue passieren lassen."

Sollte sie Valeria und Geron mit einem derartigen ungelösten Konflikt auseinander gehen lassen? Was würde dies bedeuten, wenn sie wieder aufeinandertrafen? Durfte sie die Rahjani mit dieser offensichtlichen Notlüge ziehen lassen? Relindis’ erster Impuls war, Valeria aufzuhalten und zur Aussprache zu bitten. Immer deutlicher aber spürte sie die starke Anspannung Gerons - die nicht einfach nur wie eine Regung gewöhnlicher, im Zaum gehaltener Reizung oder gar Zorns, sondern wie die eines Raubtieres wirkte, bereit zum Sprung auf seine Beute. Welche Worte waren nur in den wenigen Augenblicken gefallen? Es war besser, Valeria ziehen zu lassen, rasch, sonst konnte hier immer noch etwas geschehen. "Dann bin ich erleichtert." gab sie hastig zurück, das Lächeln kurz erwidernd. Ihre kraus gezogene Stirn und ihre Augen verrieten jedoch ihre Sorge. Sie wandte sich Geron zu und sah diesen beschwörend an.

Geron brauchte eine ganz Zeit um sich wieder zu fangen. In dem Moment da die letzte Kette gefallen und sich die Bestie befreit hatte, war Relindis erschienen und das Tier, welches gerade noch triumphierend die Führung ergreifen und die Frau vor ihm töten wollte, hatte sich vor Enttäuschung aufbrüllend zurückgezogen. Er blinzelte mehrmals und die Frauen konnten sehen wie das rote Glühen erst nachließ und dann gänzlich verschwand. Immer noch von unter den Nachwirkungen seines Beinahe-Kontrollverlustes leidend, schüttele Geron mehrmals den Kopf. Er wirkte nun deutlich gefasster und die pure Aggression, welche er gerade noch ausgestrahlt hatte, hatte einer deutlich gefassten Haltung Platz gemacht. Er bedachte die Rahjani mit einem langen, nachdenklichen Blick, bevor er sich zur Gänze Relindis zuwandte. Er bot ihr seinen Arm. “Du wolltest mich sprechen? Lass uns ein Stück gehen.” meinte er mit rauer Stimme.

Valeria ließ ihren Blick für einen Moment zwischen den beiden anderen hin und her schweifen. Immer noch wirkte sie äußerlich unbeeindruckt. Innerlich schwor sie sich jedoch, dass sie diesen Mann im Auge behalten würde. Es war klar, dass auch die Feinde der Zwölfgötter ihre begierigen Finger nach dem Stern ausstrecken. Dass sie dies nun damit rechtzufertigen versuchten, die Menschen vor der Gefahr herabfallender Sterne zu schützen, empfand die Rahjani als besonders perfide. Niemand hier, das schwor sie sich, würde Schaden durch diese verkommene Seele erleiden müssen. So verabschiedete die Geweihte sich wortlos und ging in Richtung des Tempels zurück, nur um aus dem Sichtfeld der beiden anderen umzukehren und ihnen unauffällig zu folgen.

Ängstlich beäugte Akka, wie ihre Gefährtin tatsächlich den Arm des Mannes ergriff, der auf einmal aber auch gar nicht mehr so gefährlich wirkte. Sie beschloss, in sicherem Abstand hinterherzuwatscheln und dabei gut auf ihre flügellose Freundin aufzupassen. “Geht es wieder bei Dir, Geron?” fing Relindis mit sanfter Stimme an. “Du schienst ganz außer Dir. Waren es die Wahl der Reiseroute und die falsch gewichteten Prämissen, unter denen diese erfolgte und die auch mir nicht gefielen, oder ist noch etwas zwischen Dir und Ihrer Gnaden vorgefallen?” fragte sie offen heraus. Lediglich die gezückte Klinge sprach sie zunächst nicht an.

Der Ritter antwortete nicht sofort auf die Fragen, sondern führte Relindis auf eine kleine, abgelegene Lichtung inmitten des Parks. Langsam nahm er Maske und Brille ab und lehnte sich dann schwer gegen einen Baum. Unter der Maske und der Brille war ein markantes, von einem sauber gestutztem Vollbart geziertes und durchaus nett anzusehendes Gesicht zum Vorschein gekommen. “Die Entscheidung nach Twergenhausen zu reisen und ein paar der Dinge die drinnen gesagt wurden haben mich hinausgetrieben und als ich dabei war, meine innere Ruhe wiederzufinden, da kam die Geweihte und hat mich mit ihrer Art immer weiter gereizt.” Er setzte an noch mehr zu sagen, doch…

Die junge Geweihte schlich sich im Schutz der Bäume an die Lichtung an. Immer gegen den Wind, so wie sie es gelernt hatte. Als der Ritter seine Maske abnahm, zog sie ihre Augenbrauen zusammen. ´Rahja hilf´, dachte sie bei sich, blieb jedoch ruhig.

Auf die Distanz konnte Valeria nichts Ungewöhnliches feststellen. Doch noch bevor er die Maske ganz abgelegt hatte, ruckte Gerons Kopf hoch und eiligst zog der Ritter wieder die Brille auf, bevor er einen suchenden Blick auf den Bereich richtete wo sich Valeria versteckte. Mit einer geübten Handbewegung zog er die Riemen der Maske wieder straff, während er ein paar vorsichtige Schritte in die Richtung tat, aus der er das Geräusch gehört hatte.

Die junge Frau rollte mit ihren Augen, als der Ritter sich in ihre Richtung aufmachte. Wieder zog sie den, mit äußerst potenten Boronstropfen präparierten Dolch aus seiner versteckten Scheide an ihrem Oberschenkel. ´Verfluchter Dämonenbuhle´, knurrte sie innerlich und machte sich bereit ihm notfalls in den Rücken fallen zu können. Unvermittelt blieb Geron stehen und drehte sich zu Relindis um. “Hier können wir nicht offen reden. Lass uns woanders hingehen.”

Das war ihr Stichwort. Hier gab es wohl nichts mehr zu erfahren. Die offene Konfrontation würde sie nicht suchen, auch die Rolle des Aggressors war nicht die ihre. Aber sie würde sich und die anderen verteidigen. Mit einem Gedanken an die Traviageweihte, die sie nun alleine zurückließ, wandte sie sich um und ging zurück in Richtung des Tempels.

Beunruhigt sah sich Relindis um - konnte jedoch nichts Verdächtiges ausmachen. Doch wusste sie darum, dass Geron, ebenso wie seine Schwester Khorena, weit schärfere Sinne als die allermeisten anderen, sie eingeschlossen, hatte, und vertraute daher seinen Instinkten. Noch immer war sie mit einem nicht nur leichten Schaudern des Dolches in Valerias Hand, in der Hand einer Götterdienerin!, aber auch Gerons Rage eingedenk. Es galt, einen weiteren Zusammenstoß zwischen den beiden wenigstens in der jetzigen Gemütslage zu vermeiden. Sie nickte daher: "Du hast Recht, wo sollen wir hingehen? Sollen... ich meine... dürfen wir Onkel Hesindian besuchen?" Dort wären sie unter Vertrauten, und sie könnte auch noch, trotz der Kürze ihres Aufenthalts, Leuenhard und Eberwin in Augenschein nehmen und Travias Segen wünschen.

Geron dachte darüber nach, schüttelte aber dann den Kopf. “Ich möchte sie nicht in Gefahr bringen, indem ich einen Verfolger zu ihrem Haus führe.” Der Wind trug einen Geruch zu ihm, den er mit der Rahjani verband. Nun wusste er, wer sie beschattet hatte. Er konnte fühlen wie etwas in seinem Inneren an den Ketten zog, aber nur halbherzig. Um sicherzugehen zog er seine Waffe und ging nochmal auf das Gebüsch zu, wo er ein Geräusch gehört hatte. Wie erwartet, war hier niemand mehr, aber der Geruch war noch nicht ganz entschwunden. Sie war also wirklich weg, das war gut. Geron steckte die Waffe wieder weg und ging zu Relindis zurück. “Es war die Rahjani, die uns belauscht hat und sie ist scheinbar weg. Jedenfalls glaube ich, dass sie gerade firunwärts läuft.” Für einen kurzen Moment blieb er stehen und dachte nach. “Ich glaube, wir können es doch wagen zu mein..., ich meine, unseren Onkel zu gehen. Sie werden sich freuen dich zu sehen.”

"Und ich freue mich auf sie! Ich bin sehr gespannt auf unsere beiden kleinen Vetter!" gab Relindis lächelnd zurück. Noch immer hatte sich Gerons Anspannung nicht gänzlich gelöst, das konnte sie deutlich spüren. Sie beschloss, dieser zunächst keine neue Nahrung zu geben und alle Fragen zu den Geschehnissen gerade eben zurückzustellen, bis sie in der Sicherheit der Heimstatt Hesindians wären. Wo Travias Schutz und Liebe walten, da kann sich Zorn und Angst nicht halten. Kurz sah sie sich um, und vergewisserte sich, dass Akka auch wirklich nachkam - natürlich tat sie das, aber ihr Blick sprach Bände über die Skepsis des Tiers, was Relindis' Umgang betraf.

Geron hatte ihr abermals seinen Arm geboten, bevor er sie durch den Park und das Stadttor, durch ein Gewirr von Gassen führte, wobei er stets auf Verfolger achtete. Währenddessen konnte sie spüren wie ein Teil seiner Anspannung von ihm abfiel. Schließlich hielt er vor einem schmucken Haus, das sich nicht von den anderen Häusern, links und rechts, unterschied. Kurz lauschte er, dann klopfte er sachte an den Fensterrahmen links von ihnen. Für einen Moment erschien ein Kopf, dann verschwand er wieder. Sekunden später öffnete ihnen Onkel Hesindian die Tür. Freudestrahlend bedeutete er ihnen einzutreten und dabei leise zu sein. “Im Moment schlafen alle beide.” flüsterte er. Dunkle Ringe lagen um seine Augen und auch Tante Alruna, die ebenfalls im Gang stand, sah übernächtigt aus. Trotzdem trübte das keineswegs die Freude über die Anwesenheit ihrer Gäste und sowohl Relindis als auch Geron wurden von beiden herzlich umarmt.

Relindis freute sich sehr, dass es ihr nun doch vergönnt war, Onkel Hesindian und Tante Alruna zu besuchen. Zu ihrem Bedauern hatte sie ihr Geschenk für die beiden neuen Derenbewohner, ein Mobile aus grünen Glasplättchen, das im Tages-, aber auch im Kerzenlicht schöne Reflexe warf, in ihrem Reisegepäck und damit im Traviatempel zurückgelassen. Ein wenig konnten sie einen schon dauern, so abgekämpft und müde die beiden frischgebackenen Eltern aussahen - aber das schien ihr Glück nicht zu trüben - und hieß es nicht, dass nichts Eltern und Kinder stärker zusammenschweißte als gemeinsam durchwachte Nächte? Relindis ließ es sich nicht nehmen, gleich einen sehr eingehenden Blick auf Leuenhard und Eberwin zu werfen und den Segen der gütigen Mutter über sie zu sprechen. Sie schmolz nur so dahin, den beiden ganz still und heimlich beim Schlafen zuzusehen, wie sie nebeneinander lagen, so klein und unschuldig, so süß und liebreizend. "Wenn sie wach sind, muss ich sie unbedingt im Arm halten!" bemerkte sie mit einem ganz verliebten Seufzen, nachdem sie sich schließlich doch von den beiden gelöst hatte. "Wie gerne würde ich euch vier länger sehen", entschuldigte sie sich, als sie sich mit Geron zu Hesindian und Alruna gesetzt hatte. "Aber der Stern, der mich hierherlockte, führt uns auch gleich wieder weg. Und nicht nur uns." Sie sah dabei Geron an, darauf hoffend, dass er nun offenbaren würde, was im Park genau geschehen war und was in Geron vorging.

“Relindis, du bist uns immer herzlich willkommen.” meinte Hesindian. Ja, Gerüchte über einen fallenden Stern hatte er in letzter Zeit öfter gehört, doch hatte er genug mit seiner Familie und der Auswertung seiner letzten Exkursion zu tun, als dass er sich noch etwas aufbürden würde, was nicht sein Spezialgebiet war. Sein Blick wanderte zwischen Relindis und Geron hin und her. Es freute ihn ungemein, dass sich Khorena und Geron so gut mit den Kindern seiner Schwester verstanden. “Mir scheint, ihr beide habt etwas zu bereden.” meinte er mit einem gütigen Lächeln und gähnte herzhaft. “Wenn es euch nichts ausmacht, nutzen wir die Ruhe und sammeln unsere Kräfte.” Geron nickte ihnen dankbar zu. Brille und Maske lagen vor ihm auf dem Tisch der guten Stube. “Habt dank. Versucht ein wenig zu schlafen.”

Als Alruna und Hesindian gegangen war, begann Geron zu sprechen. Er sah Relindis nicht direkt an, sondern starrte auf seine Hände. Ein Zittern erfasste ihn. “Bei den Zwölfen, Relindis. Was habe ich da vorhin beinahe getan? Wenn du nicht gewesen wärst..” er schluckte schwer. “Noch nie habe ich derart die Beherrschung über mich selbst verloren.” Entsetzen blitze in seinen Augen auf, als er doch einen scheuen Blick in Richtung Relindis warf. “Ich bin direkt nach der Abstimmung hinaus gestürmt um meinen Unmut Luft zu machen. Das hat auch ganz gut funktioniert, aber dann erschien diese Rahjani und versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln. Irgendetwas an ihr hat mich gestört und mit jedem Wort aus ihrem Mund wurde ich nur noch wütender auf sie. Ich versuchte zu gehen, versuchte sie zu warnen, während das wilde Tier in meiner Brust sich von seinen Ketten befreite. Sie wollte nicht hören.” Geron unterbrach sich und atmete tief durch. “Der gütigen Mutter sei Dank, bist du dann erschienen und hast uns beide gerettet.” Wieder sah er auf seine Hände.

"Mach Dir keine Vorwürfe." versuchte Relindis Geron zu trösten. "Du bist in Sorge um Deine Familie und die Menschen in Foldenau, für die Dein Herz schlägt. Es sind vielleicht große Fährnisse, die auf sie alle und uns zukommen. Ich kann nur zu gut verstehen, dass es Dich wütend macht, wenn andere die Sache", sie sprach von der Sache, meinte damit aber beides, den Stern und den Fluch, der auf Gerons Geschlecht lastete, "so viel leichter nehmen, wie ein Spiel gar. Oder wenn sie vielleicht nur ihren Profit sehen oder die wissenschaftliche Erkenntnis, die aus dem Stern zu ziehen ist, nicht aber die Gefahren und die tiefere Botschaft des Geschehens." Die junge Geweihte nahm beide Hände Gerons sanft in die ihren und sah ihm tief in die Augen, auch um ihm zu zeigen, dass sie nach wie vor keine Angst vor ihm hatte. "Geron, Du bist ein guter Mensch! Es waren Liebe und Fürsorge, die Dich haben unkontrolliert überschäumen lassen, nicht einfach nur animalische Triebe oder gar stumpfer Hass. Zermarter Dich nicht! Lass uns lieber überlegen, wie wir so schnell wie möglich die Kunde von alldem nach Schweinsfold bringen können." Im Zweifel würde sie mit darauf aufpassen, dass so etwas nicht wieder geschehen möge.

Furcht stand in seinen Augen, als er den Blick seiner Base erwiderte. “Ich habe Angst davor, was beim nächsten Mal passieren wird und du nicht in der Nähe bist. Ich war drauf und dran die Kontrolle zu verlieren und dann wäre ein Unglück geschehen.” flüsterte. “Vielleicht sollte ich auf Gut Foldenau bleiben, damit ich niemanden gefährden kann, bis ich mich besser unter Kontrolle habe.”

"Und wie willst Du lernen, Dich besser zu kontrollieren, wenn Du Dich vor der Welt und damit auch den von dieser in Dir ausgelösten starken Gefühlen versteckst?" fragte Relindis leise. "Ich glaube, Du musst Dich diesen stellen - wie Du es in der Vergangenheit ja auch getan hast. Außerdem bin ich mir sicher, dass uns die guten Götter aus gutem Grund auf die Spur dieses Sterns geschickt haben. Lass uns diesen zusammen rausfinden - Du passt dabei auf mich auf und ich auf Dich!"

Die Worte und ruhige Art von Relindis schafften es die Beklemmung, welche Geron befallen hatte, zu lösen. Ihre Worte ergaben Sinn, die Gefahr des fallenden Sterns war nicht gebannt und dann war da auch noch das vermeintliche Königskind. Relindis konnte die Veränderung in seinen Augen deutlich erkennen. Die Angst wich neuem Tatendrang und frisch erwachter Hoffnung. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und brachte seine Zähne zur Geltung. “So sei es, wir passen aufeinander auf, während wir gleichzeitig nach dem Kind suchen und die Leute vor dem Stern warnen.”