Stella Nova

was: Briefspiel

wer: Themengruppe, Forscher/Gelehrte/Interessierte

wo: Nordmarken

wann: Peraine 1043 BF

SL: DanSch

Personen:

Der Tempel der Allwissenden (12. Peraine 1043 BF)

Der Frühlingsregen ließen den Stadtpark von Elenvina grau und verwaschen erscheinen und das zarte Grün und die ersten Blüten konnten den Eindruck nicht schmälern. Die jungen Blätter der Bäume hingen schlaff herab, vom schweren Efferdstropfen geschwängert. Wie es schien, hielt der Frühling einen feuchten Einzug dieses Jahr. Allein der kleine, verspielte Tempel im Rohalschen Stil, mit seiner bunten Glaskuppel, stemmte sich gegen die Trübe dieses Tages. Wollte man meinen, dass nicht viele Besucher ihren Weg dorthin fanden dieser Tage, wäre derjenige, der die schwere Türe in den Tempel der Allwissenden öffnete, überrascht: Ein lautes Stimmengewirr von einer Gruppe von Geweihten und Besuchern erfüllte die heilige Halle.

Einige Monde ist es wohl schon her, als verborgen vor den meisten Augen, aber dennoch nicht unbemerkt, ein Himmelflackern am Sternenhimmel erschien. Taten die meisten Gelehrten es als eine Laune der Götter ab, so gab es eine Handvoll von Leuten, die dem Frieden nicht trauten. Und recht hatten sie! Aus dem Flackern, dem hellen, winzig- kleinen Lichtpunkt, wurde bald ein Stern, der täglich, oder besser gesagt nächtlich, größer wurde. Es wurde beobachtet, gegrübelt und berechnet. Und in einer Nacht, als der Stern besonders hell erleuchtete, war man sich klar: Das Ziel waren die Nordmarken! Alsbald brachen die Neugierigen, die Sternenkundler und die Gelehrte auf, in der Hoffnung, mehr Klarheit im Hesindetempel zu Elenvina zu gelangen.

Erst waren es einzelne, nun war es eine beachtliche Gruppe, die ihren Weg in den Tempel der Allwissenden fanden. Und heute, am 12 Perainemond 1043 nach Bosparans Fall, hatten sich 4 Grüppchen gebildet, die jeweils um einen Gelehrten versammelt waren. Denn unstimmig war man über die Bedeutung des Sternenfalls und so gab es verschiedene Meinungen und Ansichten. Der junge Norbarde Ghazbar Hulkonjeff kam aus dem Svelttal angereist und kannte sich mit dem Wert von Sternengold aus. Eine tiefgehende Bedeutung dessen, sah er allerdings nicht. Im Gegensatz zu der hiesigen Hesindegweihten Nirjaschka. Die Bornländerin hatte gehört, das Sternenschätze in der jetzigen Zeit als Götterzeichen galten und ist sich sicher, das es sich bei dieser ´Stella Nova´, genau um das handelte. Belsazar ay Asango, ein Horasier mit chirakanischen Wurzeln, kam wiederum mit einer alten, niedergeschriebenen Prophezeiung, die besagte, das ein Königskind unter einem Sternenregen geboren werden sollte. Der letzte im Bunde war der kriegserfahrene Chronist Melchior Praiotreu aus Gratenfels. Dieser kam mit einem dicken Folianten voller Verschwörungstheorien und Auslegungen alter Kriegsschauplätze angereist und witterte hinter dem Sternzeichen, den Beginn eines neuen Krieges. Und so wurde, jeweils in einer der 6 Nischen des Tempels an einem Tisch vorgetragen, diskutiert, zugehört, überlegt und abgeschätzt. Elador Thedon, der Hohe Lehrmeister des Hesindetempels, hatte die Hände hinter seinem Rücken verschränkt und grinste zufrieden vor sich hin. Schon lange waren seine Hallen nicht mehr mit dem Geist und den Stimmen der Gelehrsamkeit gefüllt gewesen, wie an diesem Tag. Und so schlenderte er von Nische zu Nische und hörte hier und da zu. ´Oh Hesinde, was für ein Tag! Mögest du unsere Geister mit Erkenntnis füllen!´, schickte er ein stilles Gebet an die Sternensucher.

Am Tisch der Sternenschatzsucher

Mit einem süffisanten Lächeln schaute der junge Norbarde in die Runde und ließ seinen Zuhörern einen langen Blick auf seine Schätze. Mitte Zwanzig war er, hatte leicht gebräunte Haut und trug einen prächtigen, tiefschwarzen Schnauzer. Sein Kopf war kahl geschoren, auch wenn der dunkle Schatten verriet, das es wohl einige Tage her war. Seine Augen waren von einem warmen Braunton, fast schon gülden wie bei einem reichhaltigen Honig. Gekleidet war der Sternenjäger, der sich Ghazbar nannte, in bequemer Kleidung aus braunem Wildleder, dessen Gürtel und Warms mit Borten, Federn und kleinen Bernsteinen geziert war. Direkt vor ihm hatte er ein Ledertuch ausgebreitet auf den 4 Steine unterschiedlichster Metalle und Größe lagen. Der Kenner konnte den hellsilbernen Stein als Madasilber erkennen, sowie den dunkelroten und den schwarzen als Meteoreisen und das reinweiße als Arkanium. “Dat alles sind Funde von Masseln, als Sterne, denen ich jefolgt bin. Glaubt mir, ich hab eine Menge Kaffs jesehen, da kann man echt meschugge werden. Aber es lohnt, auch wenn man malochen muss. Beschiskeln kann mich da kehner, ich hab dafür ein Riecher!” Dabei tippte er auf seine große, ausgeprägte Nase.

Eine der Anwesenden glänzte jedoch durch Begeisterungslosigkeit. Es war eine aufregende junge Frau, die sich am Tisch der Schatzsucher eingefunden hatte. Mittelgroß gewachsen, exzentrisch und mit einer rahjagefälligen, aber schlanken Figur gesegnet, fiel es Valeria Xaviera Rahjalina von Belhanka schwer den Ausführungen dieses … in ihren Augen Wilden ... zu folgen. Verächtlich rümpfte die Rahjageweihte ihr Näschen. Diese Nordmarken machten sie langsam aber sicher krank. Heimat ihrer Vorfahren, ja, doch war sie von der Göttin zu so viel Höherem berufen worden, als hier einer Gruppe nachzulaufen, die einfach gestrickt in beinahe fremden Zungen zu reden schien. Sie strich ihr festes weinrotes Kleid zurecht, das eng gehalten war und so ihre schmale Taille, das schöne runde Becken und ihre Oberweite gut zur Geltung brachte. Lange seitliche Schlitze bei den Beinen ließen ihr dabei einiges an Bewegungsfreiheit. Den ebenso roten Mantel hatte sie abgelegt. Dazu trug Valeria über-kniehohe Stiefel mit leichten Absätzen. Ihre honigblonden Locken hatte sie einfach zusammengebunden und immer wieder löste sich dabei eine widerspenstige Strähne, die ihr ins Gesicht fiel. Eben jenes kindliche Antlitz bestach durch große himmelblaue Augen und einen schmalen Mund, beides mit dezenter Schminke hervorgehoben. Alleine ihr Äußeres sollte es jedem klar erscheinen lassen, dass sie eigentlich nicht hierher gehörte.

Ihr Platz war in Rahjas Palast auf Deren, wo sie als Mündel der Rahjakirche aufgewachsen war. Sie sollte im Machtzentrum des Kultes eine Position bekleiden und nicht in diesem verbohrten Herzogtum, wo alle Einwohner auf ihren Knien in die Praios- und Traviatempel hinein rutschten, anstatt ... nun ja, es gab schließlich so viele andere Dinge, die man im knienden Zustand tun konnte - schönere Dinge ... erfüllendere Dinge. Es war auf jeden Fall ein erheblicher Rückschlag für sie und ihre persönliche Entwicklung, als Gylvana - ihre Lehrmeisterin und einflussreichste Dienerin der Schönen auf dem Kontinent - sie nach Elenvina entsandte um ihre Augen und Ohren in den Nordmarken zu sein. Eine Aufgabe, die ihre Befähigung und ihr Format meilenweit unterschreiten sollte, wie Valeria befand. Aber was nutzte es schon sich lang und breit darüber zu erregen? Wie es schien musste sie sich nun öfters mit solchen Hinterwäldlern abgeben. Der deutlichen Order, dass man dem Phänomen fallender Sterne nachzugehen hatte, konnte sie sich schließlich nicht entziehen. Die Welt war im Wandel, das war deutlich und Gylvana wollte Informationen. Vielleicht war dieser Stern ja auch ihre Eintrittskarte für die Rückkehr nach Belhanka. Ein Geschenk an die Göttin und vielleicht fiel dabei auch für sie selbst was ab, aus dem man sich schönen Schmuck schmieden lassen konnte. Bei diesem Gedanken huschte erstmal ein liebliches Lächeln über das Antlitz der jungen Frau. Ihr Blick ging für einen kurzen Moment hin zur jungen Meta, die so etwas wie ihre Begleitung war. Ein Mädchen, das nicht gerade viel aus sich zu machen schien, doch dennoch recht nett war. Als Almadanerin war sie auch nicht ganz so weit entfernt von jener Lebenseinstellung, die Valeria als normal empfand. "Kaff … Beschinskel … meschugge ... malochen … weißt du wovon der schwafelt?" Flüsterte sie ihr zu.

Meta Croÿ war eine Knappin im Alter der Rahjani und ihr gegenüber dennoch grundverschieden. Die heiligen 12 Götterläufe Ausbildungszeit hatte sie im letzten Sommer hinter sich gebracht, doch der Ritterschlag blieb ihr verwehrt. Sie war vielleicht 165 Halbfinger groß, wenig weiblich - also für den durchschnittlichen Mann, an dem sie nie vortäuschte, Interesse zu haben - und zu wenig rundlich an Brust und Becken. Sie kleidete sich in Reitgewand, trug dazu Schwert und Dolch. Ihre blonden, lockigen Haare waren ungezähmt, ihr hübsches Gesicht ungeschminkt. Mit verschränkten Armen und zurückgelehnt hörte sie zu. Die Rahjani schien eine Frage an sie zu stellen, doch ehe Meta antworten konnte, lag deren Aufmerksamkeit schon auf jemand anderen. Es schmälerte ihr Interesse an beiden Personen, war es doch gegen die Etikette und das Gespräch mit ihr war wohl zweitrangig oder unwichtig. Nichts desto trotz sprach sie halblaut zu sich selbst. „Der Kerl, woher er auch kommt, das werde ich ihn mal fragen, sollte, wäre er gut erzogen, so reden, dass man ihn versteht. Yo no hablo en mi lengua materna. Entiendes? Ich verstehe nur malochen und dafür bin ich nicht hier.“

Die junge Croÿ schaffte es damit wieder die Aufmerksamkeit der Geweihten auf sich zu ziehen. “Ten cuidado, Meta. También hablo tu lengua materna.” Sie ließ ein Augenzwinkern folgen und lächelte abschätzig. Die Almadanerin sollte nicht vergessen wer ihr gegenüber stand und nicht einmal auf die Idee kommen sie zu unterschätzen. Sie war nicht so einfach gestrickt wie ihr Onkel Thymon oder ihr Cousin Linnart. Bei beiden setzte der Verstand aus wenn sie eines wackelnden Weiberhinterns ansichtig wurden. Sie war aus einem anderen Holz geschnitzt. “Doch sag an, was bedeutet dieses … malochen? Es ist eine Unart wenn Menschen vor jenen in fremden Zungen sprechen, die dies nicht verstehen.”

Meta wandte sich artig, aber mit gewissem Stolz der hübschen Frau zu. “Die sprechen, als ob sie es...ach, ich muss auf meine Etikette achten. Aber hört Euch mal die Rustikalen aus den Bergdörfern an.” Meta wirkte jünger, als sie war. Gerade im direkten Vergleich neben der gleichaltrigen Rahjani. Der Blick des Kerls gegenüber war ihr nicht entgangen, wurde Rahja im Haus vom Traurigen Stein doch ausgiebig verehrt. Sie selbst war sicher hübscher, als man es jetzt sah. Wie ein zerrupfter, junger Schwan wirkte Meta gegenwärtig. “Malochen, das ist nichts für uns. Arbeit, meist schwere Arbeit. Wir sollten betonen, dass unsere Hände zart bleiben müssen.” Sie zwinkerte. "Nur ein kleiner Tipp." Die junge Frau wandte sich den anderen am Tisch zu. "Meta Croÿ, immer noch Knappin und gerade im Dienste von Thymon vom Traurigen Stein, sollte ich mich noch nicht vorgestellt haben.” Sie lächelte lieb, aber etwas Seltsames, Ungefährliches lag in ihrem Blick. Und das hatte nichts mit Rahja zu tun.

Valeria kicherte glockenhell auf. “Wir und hart arbeiten? Neeeein …”, sie sah sich unter den anderen am Tisch um und klimperte unschuldig mit ihren Wimpern. Innerlich fühlte sie erste Anflüge von Zorn aufsteigen. Sie fixierte Ghazbar, ihr Lächeln schwand und ihre Augen funkelten. Sah er in ihnen am Ende bloß Gehilfen zum ´malochen´? Die Geweihte wandte sich wieder Meta zu. “Was erwartet sich Thymon denn von dieser Sache hier?” Es konnte nicht allzu viel sein, sonst wäre er selbst angetanzt - so gut kannte sie ihren Onkel bereits.

Irritierend arglos sah Meta in die wundervollen Augen der anderen Frau. Wie sprach man die gleich wieder an? “Euer Ehren … ähh wie lautet Eure korrekte Anrede? Euer Gnaden? Und irgendwie seid Ihr mit Thymon verwandt, oder?” Die junge Frau schien in der Runde etwas schüchtern und schüttelte den Kopf, um ihr Haar in seine ursprüngliche Wildheit zu bekommen. Sie lächelte spitzbübisch. “Nun ja, Thymon hat mich geschickt. Eine Knappin. Vielleicht will er mich prüfen? Vielleicht im Ort damit angeben? Wer weiß das schon? Ich hätte eigene Pläne … ihr werdet es sicher alles dem Tempel spenden, wenn die Herren genug malocht haben?” Dann flüsterte sie. “Den Herren in grau, woher meint Ihr, kommt der?”

Die Geweihte musste ob Metas - vielleicht vorgespielter - Naivität grinsen. "Onkel Thymon hat dir nicht gesagt was du hier sollst? Vielleicht ist ja genau das herauszufinden auch ein Teil deiner Aufgabe …", Valeria schlug einen verspielt verschwörerischen Ton an und fuhr flüsternd fort: "... ein Tipp, er will bestimmt ein Stück vom Kuchen. Der Mann hat Gold und er war schon immer sehr findig in der Wahl seiner Mittel, um sicherzustellen, dass es sich mehr und mehr vermehrt." Die Frau wandte sich von der Knappin ab und blickte zu Ronan. Innerlich seufzte sie - Valeria bezweifelte, dass ihr Onkel mit Metas Wahl sich dieser Sache anzunehmen gut fahren würde. "Der Graue kommt mir bekannt vor. Ich meine ihn aus meiner Zeit in Belhanka zu kennen, aber sicher bin ich mir nicht." Was sie mit dem Schatz vor hatte ging das Mädchen nichts an.

“Gut, dann nenne ich Euch Valeria oder Euer Gnaden. Wir sollten uns darauf konzentrieren, das Zeug zu finden und es nicht in die falschen Hände kommen lassen. Mehr weiß ich leider nicht. Ach, der dicke Wanst da drüben, ich weiß was der will.” Sie kicherte und trank etwas.

Die Angesprochene nickte wissend. "Wir alle hier am Tisch wollen dasselbe …", sie zwinkerte und dämpfte ihre Stimme, "... sonst stünden wir bei den Frömmlern am Tisch, oder liefen einem angeblichen Königskind nach." Sie rollte mit ihren Augen. Seltsam war in diesem Zusammenhang, wie eine Priesterin der Zwölf die Gläubigen abwertend als 'Frömmler' bezeichnete. "Alle hier sind sowohl Verbündete, als auch Gegner. Sei dir dessen bewusst, Meta. Hilf mir und es wird unser beider Schaden nicht sein."

Voller Unschuld und fast kindlichem Glauben nickte Meta nach einigen Lidschlägen. “In Ordnung. Verbündete. Es soll aber nicht nur nicht zu meinem Schaden, sondern besser zu meinem Nutzen sein.” Zufrieden lächelte die Geweihte und strich sich ihre widerspenstige Locke hinters Ohr. “Natürlich, du gehörst doch zur Familie.” Sie zwinkerte verschwörerisch.

Neben der Rahjageweihten, die an diesem Tisch überaus auffällig und ein wenig deplatziert wirkte, saß ein Mann in nebulösem Grau. Das graue Leinen seiner Tunika war fein gewebt, der dunklere Überwurf mit silbernen Säumen besetzt. Lugten auf der Borte nicht Fuchssymbole hervor? Die Kapuze seiner Tunika hatte er zurückgeworfen, sodass sein dunkelbraunes, langes und zu einem einfachen Zopf gebundenes Haar zum Vorschein kam. Das Gesicht des Mannes wirkte auch etwas fremdartig in diesen nordmärkischen Landen. Die scharfen Zügen und die dunklere Hautfarbe wiesen auf eine Herkunft aus südlicheren Landen hin. Ronan Rohaldor al’Menkhauhour von Lichtenberg betrachtete nachdenklich die Funde des Norbarden und rieb sich das Kinn und strich durch den kurzen, sorgsam gepflegten und gestutzten Bart. Während er die Funde betrachtete, suchten seine Augen die Gesichter der Umsitzenden ab. Was trieb sie an? Sah er Gier oder Neugier in ihren Gesichtern? Tatsächlich aber waren ihm ein jeder Personen bereits bekannt, schaute er doch in das Gesicht des akribisch-akkurat-pedantischen Weinhändlers Rhodan Herrenfels. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb er an dessen Gesicht hängen, kaum wahrnehmbar, bevor dieser weiterzog.

Valeria kniff ihre Augen zusammen als der Blick dieses Graulings sie streifte. Sie vermeinte ihn zu kennen, doch war der Ursprung dieser eventuellen Bekanntschaft nichts, was hier auf diesem Tisch diskutiert werden sollte. Es würde auf keinen Fall schaden ihn im Auge zu behalten.

Der Ronan gegenübersitzende Rhodan strich sich mit Müh und Not sein etwas zu stramm sitzendes Wams über dem rundlichen Wohlstandsbauch zurecht. Seitdem Ronan ihn kennenlernte, hatte der achtunddreißigjährige Mann noch etwas zugelegt und wirkte noch gesetzter als zuvor. Der Kontormeister der Familie Mersingen war auf eigene Rechnung nach Elenvina gekommen. Über seine guten Kontakte in der Hauptstadt - zugleich Hauptabsatzort für seine erlesenen Waren - hatte er erfahren, dass sich eine Gruppe sternenbegeisterter Abenteurer treffen würde, um einen der fallenden Sterne zu bergen. Tatsächlich war der schon langsam ergrauende, großgewachsene Mann für seinesgleichen über die Maßen am Firmament, seinen Wegen und Veränderungen interessiert, doch musste er sich zugestehen, als er die noch blonden Locken hinter die Stirne strich, dass der materielle Wert der Metalle, die solch ein Stern angeblich transportierte, ungleich bedeutender für ihn war. So sah sich der eigentlich nicht sonderlich abenteuerlustige, seinem Bürostuhl doch sehr zugetane Rhodan in so kurzer Frist erneut genötigt, eine Reise zu tun. Aufgrund einer etwas aus dem Ruder gelaufenen Transaktion - Abenteuer brachten nur Ärger, diese Lektion scheinte der Händler jedoch noch nicht gelernt zu haben - war er auf das Geld dringend angewiesen, hatte doch der junge Mersinger Wind von seinen Schulden bekommen; dieser wiederum hatte deswegen eine Belehrung des Barons von Rabenstein über sich ergehen lassen müssen und war furchtbar ungehalten, als er in Rosenhain eingetroffen war. Naja: Ende vom Lied, er war hier und quetschte sich an den Tisch zu diesem bunt zusammengewürfelten Haufen. Die edle, samtige Kleidung, die er trug, war ihm dabei eher im Weg, doch wurde für jedermann ersichtlich, dass es der Rosenhainer darunter nicht machte. Ronan, den er bereits hinlänglich kannte, grüßte er mit einem Nicken und einem feinen Lächeln, das seine kräftigen Backen aufblähte. Sein Blick wanderte über die Gäste hinweg, bis er an Valeria von Belhanka hängen blieb. Die ersichtlich deutlich jüngere Rahjani war ganz nach seinem Frauengeschmack. Die grauen Augen des betuchten Händlers wurden groß und rund. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit ergötzte sich Rhodan an den visuellen Reizen der schönen Frau und betrachtete jede erdenkliche sichtbare, angedeutete oder nur zu erahnende Rundung.

Als die Geweihte sich der Aufmerksamkeit des unförmigen Mannes gewahr wurde, zwang sie sich zu einem wunderschönen Lächeln. Innerlich jedoch seufzte sie. Es waren Blicke, die sie kannte, aber nicht sonderlich schätzte. Valeria war keine jener Dumpfbacken, die tagtäglich Stundengläser lang vor dem Spiegel standen und die Aufmerksamkeit so vieler Männer und Frauen wie möglich brauchten. Nein, sie registrierte die Aufmerksamkeit der anderen, doch gab ihr diese nichts. Es war natürlich, dass andere Menschen sie begehrten und wollten, doch waren Männer von stetem Besitzdenken getrieben und Frauen, Amazonen, klammerten zu sehr. Darüber hinaus hatte sie ihre Aufträge, ordnete diesen alles unter und hatte demnach auch keine Zeit für Müßiggang. Valeria war keine einfache Rahjageweihte, auch wenn sie nach außen hin genau dieses Bild transportieren wollte. Schon ihre Ausbildung unterschied sich zum Teil grundlegend von der ihrer Brüder und Schwestern. Gylvana hatte sie als Kleinkind in den Tempel aufgenommen und ihr eine fordernde Ausbildung angedeihen lassen. Die junge Rahjani war demnach nicht nur schön, sondern auf ihre Art auch wehrhaft. Jede Rose, so optisch vollendet sie auch sein mochte, hatte ihre Dornen. Die ihren waren dabei besonders stark ausgeprägt. Etwas, das Männer, wie derjenige, der sie nun angaffte, ihr wohl nicht zutrauen würden. Dennoch entsprach sie nun genau jenem Bild, das man von einer Dienerin der Schönen haben mochte. Valeria lächelte und winkte verspielt. Vielleicht konnte ihr der Tropf ja noch irgendwie von Nutzen sein.

Rhodan grinste ungeniert und nickte der Rahjani zu, doch Lust auf unverbindliche Kommunikation hatte er keine. Dieses feine Sahneschnittchen würde er sich schon noch zu Gemüte führen, doch der wahre Gourmet - das wusste er ganz genau - genießt und schweigt. Nach dem anzüglichen Grinsen dieses Stelzbockes wandte sie sich wieder von ihm ab. Es war genug der Aufmerksamkeit und Valeria wollte nichts versäumen, das hier von Belang gesprochen wurde. “Und was, mein Freund, aus fernem Land…” wandte sich Ronan an den Schatzsucher aus dem Svelltland. “... treibt dich in den hiesigen Tempel mit deinen Funden?” Er deutete leicht auf einen der Klumpen, wobei ein dezenter Silberring im Licht der Kerzen aufblitzte. Er sprach mit einem leichten, wellend-singendem Akzent, der nicht von hier stammte. Almada? Die Tulamidenlande?

Alrik war mit dem alten Gelehrten in den Tempel gekommen. Jung an Jahren, mit karottenrotem Haar und Sommersprossen, die seine Wange lustig gesprenkelt scheinen ließen, war er erst vor kurzem aus dem Osten wiedergekehrt. Die Familie des Alten hatte ihn gut bezahlt, ihn wieder heil in die Nordmarken zu bringen. Und Arbeit war es tatsächlich gewesen, wenngleich Alrik viel gelernt hatte. Viel mehr als er geglaubt hatte, als Milian ihn vor über einem Götterlauf angeheuert hatte. Und nun dies hier. Sternengold in den Nordmarken und er war einer der ersten, die sich daran bereichern konnten. Still glitt sein Blick über die anderen und blieb an Ronan hängen. Lächelnd zog er einen Mundwinkel nach oben. Dieser bemerkte kurz vor die Mimik des jungen Mannes sich wieder auflöste diese Reaktion. Ebenso kurz wie das Lächeln des Mannes war zog der Grauberobte seine rechte Augenbraue nach oben und sah ihm währenddessen direkt in die Augen. Alrik schaute in das helle braun, fast bernstein- oder honigfarben, welches ihm warm entgegenblickte. Ein Zwinkern, fast unmerklich folgte. Dann wandte der andere den Blick zur Seite und sah sich interessiert im TEmpel um.

“Bina Maschores, mein Briederchen! Das gute Geschäft. Das was da vom Himmel rauscht, ist genug Almonesse für uns alle. Auch wenn ich gerne alles haben möchte, alleine wird es schwer. Wenn wir aber als Meschpoche reisen, ist es möglich den Massel zu finden. Das hat nichts mit einer Steldripa … wie sagt ihr … Weissagung zu tun. Außer das wir den Sternenschatz nur finden müssen, wenn er aufschlägt.” Abschätzig schaute Ghazbar in die Runde und sein Blick verriet, dass er alle Anwesenden genauso Schatzversessen einschätzte wie sich selbst.

'Diese Worte …', Valeria rollte kaum vernehmbar mit ihren Augen. Ihre Lippen zierte jedoch immer noch ein Lächeln. "Und wie gedenkt Ihr die anderen von diesem … Fund … fernzuhalten?" Die Geweihte wies mit einem einfachen Kopfnicken hin zu einem anderen Tisch, wo sich ein alter Krampen gerade fürchterlich echauffierte. "Ihr solltet nicht leichtfertige Versprechen artikulieren, die nicht leicht einzuhalten sein werden." Sie kicherte und schenkte dem Svelltländer ein herzliches, doch falsches, Lächeln und blickte ihn dann herausfordernd an.

Ronan lehnte sich zurück. "sahr. lm 'ar mithl hadhih almaeadin alnajmiat alnaqiat mundh eshr sanawatin." murmelte er leise. Er schaute die junge Rahjageweihte an, die den Norbarden recht scharf angegangen war. Währenddessen legte verschränkte er die Arme vor der Brust. In der Ellenbeuge zuckten seine Finger, bis sie scheinbar eine bequeme Position gefunden hatten. Hatte Rhodan ihn gesehen - oder war seine Aufmerksamkeit an der Rahjageweihten hängen geblieben?

Rhodan langweilte sich bei dem Geplänkel. Die sollten ruhig über hypothetische Vorgänge palavern - so würde das Ghazbar vermutlich ausdrücken. Ihm war klar, dass es bedeutend war, die Sternenmaterialien, sollten sie ihrer habhaft werden können, klandestin fortschaffen müssten und sie zügig weiterverkaufen sollten. Wenn es um solche Sachen ging, dann waren die Kirchen schneller vor Ort, als man PRAios sagen konnte. So ließ er seinen Blick über die anderen schweifen - wer wusste noch, worauf es ankam? Ja klar, Ronan. Rhodans linker Mundwinkel zuckte nach oben. Na, dann sollte er mal loslegen, vielleicht war der Einfall des Südaventuriers wertvoller als das Gejammer.

‘Hohe Reinheit.’ signalisierte die schnelle Abfolge der Fingerspiele. ‘Wertvoll.’ eine kurze weitere. ‘Vorsicht, Gier.’ die letzte. Rhodan blickte aus dem Augenwinkel auf den selbsterklärten Meschpochenführer. Der war auch gierig ungefährlich, dachte er sich. Rhodan antwortete knapp. ‘Konkurrenz.’ Das sah er eher als Risiko an. Der derart angesprochene nickte nur knapp und signalisierte mit einem kurzen Fingerspiel ein Lachen.

“So ein lecker Schwesterchen wie euch, lass ich natürlich den Vortritt.” Nun lachte der Norbarde herzlich. “ Ich sehe das so: fernhalten möchte ich keinen. Das was da runter kommt gehört uns allen und keinen. Meine Erfahrung sagt mir, das so ein Massel nicht einfach an einer Stelle zu finden ist, sondern der sich verteilt. Mit ordentlich viel Hani, also Glück, und Heshinjas Segen werden ein paar von uns auch fündig. Und wies ausschaut sind wir eine große Meschpoche.” Mit geschickten Griff fing er an, seine Schätze wieder in das Tuch einzuschlagen.

“Mesch … was ...”, Valeria seufzte und begann ihre Schläfen zu massieren. Langsam aber sicher bekam sie davon Kopfschmerzen. Sie ging nun dazu über diese Worte zu ignorieren - so schwer dies auch fallen würde. Dass dieser Klotz meinte, der Stern gehöre allen - oder noch besser, niemandem - würde sich noch zeigen. “Werden auch die anderen …”, die Geweihte wies mit einem Kopfnicken in Richtung eines anderen Tisches, “... mit uns ziehen, oder wir mit ihnen? Und wenn nicht, wie gedenkt Ihr dieses … Geschenk der Götter zu finden? Ihr verlasst Euch doch hoffentlich nicht nur auf Euer Glück?”

Ronan lachte und wandte sich an die Priesterin der Rahja. “Natürlich Glück, Diener der herzlichen Fröhlichkeit.” rollte er mit seinem Akzent. “Das Glück ist ein wertvolles Geschenk und schenkt uns wiederum Gelegenheiten, die wir mit schnödem Wissen übersehen hätten.” Kurz schoben sich die edel geschwungenen Augenbrauen der Geweihten zusammen, dann huschte wieder ein vollendet schönes Lächeln über ihre Lippen. Das Spiel mit ihren Gesichtszügen hatte sie inzwischen gemeistert, auch fiel es Valeria nicht schwer falsche Tatsachen vorzuspielen. “Eure Worte in den Ohren der Götter.” Sie zwinkerte dem Grauen verschwörerisch zu.

“Ihr wisst, junge Dame, das Glück ist mit den Tüchtigen”, lachte Rhodan nonchalant. “Denen hören die Götter immer zu. Doch es schadet nicht, ein wenig nachzuhelfen. Entscheidend ist, das Feld einzuengen, in dem die Sterne niedergehen könnten. Dazu müssten wir wissen, woher sie kommen. Ist jemandem der Anwesenden etwa bekannt, welcher Stern womöglich fallen wird?” Ronan schüttelte den Kopf und legte dann seinen Zopf zurück auf die Schulter, von der er gerade entkommen war. Rhodan fiel auf, dass der Grauberobte vor wenigen Wochen noch kurzes Haar getragen hatte? Sein Blick glitt gen Himmel, als könne er durch die Tempeldecke den Sternenhimmel erkennen. “Lasst uns dazu den Sternenhimmel beobachten, denn so können diese Schätze am HImmel der Nacht uns verraten, welcher Stern zu fallen gedenkt.” Er nahm den Blick wieder herunter und sah erst Rhodan an, dann Valeria in die Augen. Diese waren dezent mandelförmig, Lachfalten zeigten, dass Ronan offenbar gerne lachte. “Die Sterne können dann dem Kundigen verraten, wo sie fallen werden.” Er nahm die Arme auseinander und legte einen Arm über die Lehne seines Stuhles, den anderen in seinen Schoß, die Beine übereinander geschlagen. “Funkelndes Juwel in dieser lichtbeschienenen Stadt, hat man Euch gelehrt, den Sternenhimmel zu lesen?”

Zuckersüß lächelte die junge Rahjani. Wenn der Grauling wüsste was sie ihr alles gelehrt wurde. Die Astronomia war jedoch nicht darunter. Hier war sie auf die anderen Anwesenden angewiesen, soviel war Valeria inzwischen klar geworden. Und das machte ihr Sorgen, hasste sie es doch nicht die Kontrolle über eine Situation zu haben. “Lilasaf lā”, säuselte sie den Tulamiden in seiner Muttersprache an. “Da werde ich mein Glück gänzlich in Eure Hände legen”, das ´müssen´ sprach sie dabei nicht mehr aus.

“Na da seid Ihr in besten Händen meine Teuerste”, grinste Rhodan und rieb sich ebenjene. Tatsächlich kannte er sich mit Astronomie gut aus. Zeit unter dem Sternenzelt zu verbringen war seine zweitliebste Beschäftigung - nach dem Zählen von Geld. “Aber zuvor wäre es doch hinlänglich von Interesse zu erfahren, warum Ihr euch dieser ‘Plackerei’ hier angeschlossen habt. Ich bin mir sicher, eine solche Reise ist Eurem perfekten Teint nicht zuträglich.”

Abermals lächelte die Lehrerin der Leidenschaft strahlend. “Haben wir nicht alle unsere Geheimnisse, mein Herr?” Sie blickte kurz hinüber zu Ronan und leckte sich über die Lippen: “Dann wäre es doch nur gut und richtig einer Dame die ihren zu lassen, meint Ihr nicht?”

Rhodan zog die Augenbrauen hoch und strahlte über beide Ohren wie ein Honigkuchenpferd. Dann lachte er aus vollem Tone seines doch voluminösen Bauchs. “Hört, hört!”, sagte er noch immer halb lachend. “Ich weiß: ein Geheimnis macht eine Frau zu einer Dame sagt man.” Der Händler nickte wissend. “Aber Geheimnisse sind doch deswegen so interessant, weil man sie lüften möchte, oder nicht? Jetzt lasst uns doch nicht so zappeln.”

“Tststs …”, die junge Rahjani begann kokett mit ihrer widerspenstigen Haarlocke zu spielen, “... aber mein Herr … wo bliebe denn die Herausforderung, wenn ich Euch hier auf Nachfrage meine Geheimnisse offenbaren würde? Sind wir nicht genau deshalb hier?” Ihr Blick machte eine Runde über die Anwesenden. “Der Herausforderung wegen?”

Ronan grinste, ob dieses Wortwechsels. Dann lächelte er Valeria zu. “Natürlich, die Herausforderung. Das ist das spannende am Spiel, am Lüften von Geheimnissen und an den ganzen Wagnissen.” Er sah zu Rhodan, dem Weinhändler. “Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt.” Hatte er gerade mit dem Valeria abgewandten Auge gezwinkert? Er wandte sich wieder an die Rahjageweihte. “Aber ohne einen Sternenkundler wird auch unser norbardischer … Freund … hier den zu erwartenden Sternenfall ermitteln können. Ein Doctor der Astrologie wäre wirklich wahres Gold wert, meint Ihr nicht auch, holde Schönheit eines Rosenstrauches?”

“Oh mein Freund, das klingt aber nach einer Großinvestition! Habt Ihr so viel Wagniskapital übrig, dass Ihr Euer Geld in einen Astrologen investieren wollt? 4 aus 5 davon sind doch Scharlatane und beim Fünften weiß man auch nicht so genau. Ach ja: Mit fremdem Geld spekuliert man nicht”, brummte Rhodan scherzhaft, wobei er in Gedanken ergänzte außer man habe es vorher expropriiert. “Ich denke, man könnte ja mal am heutigen Abend einen Blick in die Sterne wagen. Vielleicht funkeln sie heute noch schöner als sonst.”

Zwischen den kirschroten Lippen der jungen Geweihten erschien eine Reihe perlweißer Zähne. “Sprecht Ihr von Euch?”, meinte sie an Ronan gewandt. “Aber wie mir scheint haben beide Herren eine Ahnung von den Sternen. Wir alle können uns also glücklich schätzen.” Sie zwinkerte verspielt.

“Das Glück, Dienerin der Schönen Göttin…” sprach Ronan ruhig. “... ist, wie der werte Herr Herrenfels schon so richtig anmerkte, mit den Tüchtigen. Und ja, die Herzog-Eolan-Universität hat mir den Titel eines Doctors der Astrologie, also der Sternenkunde, verliehen.” Die braunen Augen des offenbar tulamidisch-stämmigen Herrn funkelten, sein Blick glitt kurz zu Rhodan, der mit der schönen Rahjageweihten ebenfalls in diesem intensiven Gespräch stand. “Die Kenntnisse zur Berechnung der entsprechenden Konstellationen kann ich somit dieser Unternehmung unter Umständen zur Verfügung stellen.” “Die da wären?”, fragte Valeria interessiert zurück.

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. “Nun, da wären die Berechnung der astrologischen Konstellationen anhand der Ephemeridentafeln. Weiterhin die Deklinations-Achsen-Berechnung und die Elongations-Abweichungen der Wandelsterne zu Berechnung vergangener oder zukünftiger Bahnen.” Er lächelte. “Insbesondere die Kombination der Deklinationsbetrachtung mit der modernen Längenberechnung mittels eines Astrolabiums könnte uns Hinweise auf den Aufprallort liefern.” Ronan lächelte die Rahjageweihte herzlich an. Er musste es zugeben, wenn auch nur sich und dem Grauen, er genoss das spielerische Parlieren mit ihr. Für einen Herzschlag lang schien sich Unsicherheit auf ihrem Antlitz bemerkbar zu machen, doch verschwand dieser Ausdruck so schnell wie er gekommen war. “Ich sehe schon …”, Valeria berührte verspielt den Oberarm des Graulings, “... ich … äh … wir sind bei Euch in den besten Händen.”

Meta schwieg. Interessant, was für Gestalten und Sprachen, beziehungsweise Dialekte sich hier zusammenfanden. Deutlich südlicher als Almada. Sie würde sich an die Meschpoke halten und erst einmal abwarten, bis man vor Ort war. Sie war nur Knappin und hatte zu schweigen. Eine Frage lohnte sich aber und war ungefährlich. “Mit Verlaub, hohe Damen und Herren. Wann werden wir reisen, wie, mit wem und wer wird für die Unkosten, die bei Übernachtungen anfallen werden, aufkommen? Wie lange werden wir unterwegs sein?” Typisch, es war dann doch mehr als eine Frage. Sie stellte sich darauf ein, bei den Pferden im Stall zu schlafen, das war am günstigsten und das Schnauben wirkte so schön beruhigend. Einer ihrer Mundwinkel zuckte amüsiert. Natürlich würde kein Mann sie mit zu sich nehmen, wenn sie wieder auf dem Gut war, sollte sie die längst fällige Besprechung mit einem gewissen Herren, ihr einziger Freund, der einzige, dem sie wirklich traute, in Angriff nehmen.

Belustigt schaute Ghazbar in die Runde. “Ich hab gehofft hier motivierte Leute zu finden. Versprechen kann ich nichts, allerdings bis jetzt hab ich immer was gefunden. Und wie es schaut, haben wir auch Leute hier, die die Gegend kennen und für einen Schatz auch malochen würden.” Der Norbarde zwinkerte Valeria zu. “Nun jeder ist willkommen sich anzuschließen. Am Ende werden nur die Glücklichen fündig. Und”, jetzt zog er ein Fernrohr hervor,” Wir müssen den Himmel im Auge haben. Nur so wissen wir, wo er runterkommt.” Dann steckte er das Rohr wieder weg. “Es ist ja kein Auftrag, also macht das wohl jeder aus eigener Tasche. Es sei die Galaschen, die Priester, unterstützen uns.” Sein Blick wanderte kurz zum Tisch der Mentorin Nirjaschka. “Was sagt ihr?” “Ich sage, es lohnt sich, auf eigene Rechnung zu arbeiten, dann gibt es auch niemanden, der im Nachhinein Ansprüche anmelden kann”, bekräftigte Rhodan. Bei sich ergänzte er, dass dann auch jeder nach seiner Facon nächtigen könnte. Er würde Zeit unten den immerfort funkelnden Sternen verbringen. Auch wenn er das Reisen und die Beschwerlichkeiten hasste, die Sterne zogen ihn magisch an. “Ich hoffe, die Herrschaften sind adäquat ausgerüstet und vorbereitet?” “Wir sind in Elenvina.” War die mystisch knappe Antwort des Grauberobten.

Die Rahjageweihte hob abwehrend ihre Hand. “Die Priester? Götter, nein! Ihr wisst so gut wie ich, dass die den Stern nicht mehr loslassen werden, wenn wir ihnen helfen diesen zu finden. Wir sollten uns ausrüsten und wenn es sein muss heuern wir ein paar Arbeiter zum … malochen … an. Das Gold dafür wird meine Familie vorab auslegen … lasst das meine Sorge sein.” Alrik lächelte still. Was so ein Stern wohl wert wäre? Käme vermutlich auf das Material an. Und ob man es offen oder versteckt verkaufen müsste. In jedem Fall hätte es großes Potential- eine große Möglichkeit zu werden.

Unauffällig und nur mit einem kaum hörbaren Klingeln trat die weißhaarige Gauklerin an den Tisch des Norbarden. Sie hatte nur den letzten Satz des Mannes gehört und nahm das als Anlass, in die Runde zu winken - was nun doch wieder ein lauteres Klimpern erzeugte. “Hallo zusammen, ich bin Doratrava, aber die meisten hier kennen mich ja schon. Ich dachte, ich begrüße euch mal und schaue, was an diesem Tisch so gesprochen wird.” Sie grinste und gab sich den Anschein der unbefangenen Neugierde, was ihr nicht schwer fiel, da das einer ihrer natürlichen Wesenszüge war.

Rhodan wurde aus dem Gespräch gerissen, wandte sich kurz der irritierend schlanken, weißhaarigen Frau zu, die für seinen (ausgeprägten) Frauengeschmack deutlich zu afeminin war und rümpfte die Nase. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Was machte denn bitteschön fahrendes Volk hier? Sollte das eine Tschokolatl-Fahrt werden, so, wie sie das neuerdings im Horasreich für begüterte ältere Damen anboten? Doratrava grinste den Händler übertrieben freundlich an, obwohl der sie ansah, als hätte sie mehr als sechs Beine und sei gerade unter einem Stein hervorgekrabbelt. Offenbar erinnerte sich der feine Herr nicht mehr an die Episode in Herzogenfurt, als eine Explosion im dortigen Hotel sie zu unfreiwilligen Leidensgenossen gemacht hatte, wenn auch nur für ein paar Stunden.

“Doratrava!” Das R rollte genüsslich im Mund des Grauberobten. Er lächelte breit. “Welch Freude, dich hier zu sehen. Aber irgendwie verwundert es mich nicht, dass die Götter dich auf diesen Pfad führten.” Noch mehr Konkurrenz? Oder eher Aufmunterung und Unterhaltung? Wer außer den Alveranischen mochte dies wissen? “Die Götter, ja. Oder ihre Diener. Eigentlich wollte die Geweihte da drüben”, Doratrava machte eine klimpernde Geste Richtung Nirjaschka, “nur mit mir sprechen. Von so einem Auflauf hatte sie nichts erwähnt. Und dass ich hier so viele bekannte Gesichter vorfinden würde, auch nicht.” Wieder grinste die Gauklerin übermütig.

Der junge Rothaarige sah die Weißhäutige interessiert an. Interessant. “Der Alte hat euch vom anderen Tisch vertrieben?” fragte er grinsend. Valeria musste an sich halten um ihre Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen. Sie kannte die Gauklerin, die bei der Hochzeit ihres Cousins im Schlepptau der Feenküsschen erschien. Eine talentierte Künstlerin, soviel war klar, doch schwierig handzuhaben. Wohl eine Amazone, so wie sie damals ihre Cousine Rahjalind angesehen hatte, also würde sich auch Valeria vor ihr in Acht nehmen müssen. Die Ankunft Doratravas würdigte sie lediglich mit einem kurzen gelangweilten Blick in ihre Richtung. “Kennst du den?” wandte Doratrava sich dem jungen Mann zu. “Redet der immer so hochgestochen daher, als müsse man vor ihm auf die Knie fallen und ihm für die Gnade danken, einem die Weisheit der Welt zuteil werden zu lassen?” Der junge Mann nickte.

Die Rahjani streifte die Gauklerin dagegen nur mit einem Blick. Sie hatte die schöne Frau erst vor ein paar Tagen zuletzt (und zuerst) gesehen, aber sie wurde nicht recht schlau aus ihr. Für eine Dienerin der Schönen Göttin kam sie recht reserviert daher, zumindest ihr gegenüber. Dabei sollten Musik und Tanz fast schon ein natürliches Band knüpfen zwischen einer Geweihten der Rahja und einer Gauklerin. Aber sie würde sich sicher nicht aufdrängen. Meta nickte Doratrava dagegen nochmals knapp zu, aber auch hier galt dasselbe: sie würde sich nicht aufdrängen. Sie wollte ja eigentlich nur kurz Hallo sagen … aber so etwas mochte nicht zum ersten Mal unerwartete Auswirkungen haben … “Er ist mein Herr. Und ja er redet mit den meisten so. Außer … nun ja, mit einigen redet er … nun ja anders…. Dann allerdings mit Worten, die ich nicht kenne und nicht verstehe.” Er grinste Doratrava an, während er den Kopf dabei leicht schräg legte. “Dein Herr?” Doratrava zeigte sich deutlich überrascht. “Ähm … und warum bist du dann nicht bei ihm?”

“Er kommt schon allein zurecht, solange er nicht laufen, nichts tragen oder sich an profane Dinge wie Essen oder korrektes Ankleiden erinnern muss.” lachte der junge Mann. “Er ist zufrieden, solange Menschen da sind, die er mit seinem Wissen beglücken darf.” “Na dann muss man sich ja keine Sorgen um ihn machen”, grinste Doratrava zurück. Eine Reise mit dem Zausel würde aber sicher schwierig werden. Kein sehr erhebender Gedanke. Aber andererseits war sie ja nicht hier, um irgendeine Reise anzutreten. Dennoch fragte sie neugierig: “Und, habt ihr hier schon einen Schlachtplan?”

Es war der Norbarde der Doratravas Frage aufgriff. “ Das lecker Mädel ist also interessiert. Na, als Meschpoche, also als Gruppe, könnten wir dem Stern nachjagen. Wer wäre dabei?” Die junge Geweihte räusperte sich. “Nachjagen …”, wiederholte sie und tippte sich dabei theatralische auf ihr Kinn, “... wie habt Ihr die Schätze denn sonst immer ausgehoben?” Insgeheim fürchtete sie, dass sie der Gruppe der Priester an Professionalität unterlegen waren. Diejenigen, die das Kind oder den Krieg suchen, empfand die Rahjani nicht unbedingt als Konkurrenz, doch die Gelehrten mit dem alten Zausel waren es auf alle Fälle. “Am Gold für Ausrüstung soll es dabei nicht scheitern, das leiere ich notfalls meinem Onkel aus der Tasche.” Valeria setzte ein kindlich unschuldiges Lächeln auf als sie ihren Blick über die Gesichter der anderen schweifen ließ. “Und in welche Richtung soll es denn gehen?” fragte Doratrava weiter. “Die da drüben”, sie deutete auf Nirjaschkas Tisch, “wissen auch noch nicht, wohin sie müssen, die wollen erst noch beobachten und irgendetwas berechnen.” “Ich hab gehofft, das es hier jemanden gibt, der sich besser mit den Sternen auskennt. Ich bin zwar sehr geübt, aber noch ist der Stern zu weit entfernt. Zumindest hat es mich in die Nordmarken geführt. Ein Teleskop wäre hilfreich.” Fragend schaute er in die Runde. “Ein Teleskop ist eine kostenintensive Anschaffung, aber die könnte sich lohnen. Mit dem nötigen Geld hätte ich die Kontakte, um so etwas zu beschaffen, keine Frage.” Valeria klatschte in ihre Hände. “Das ist großartig. Dann haben wir ja eine Bezugsquelle und jemanden, der den Spaß bezahlt.” “Ihr also, meine Teuerste?”

Ronan lächelte Rhodan und Valeria zu. “Wunderbar! Dann haben wir jemanden, der das kostbare Teleskop für eine profunde Sternenschau finanziert. Wir danken Euch sehr, Schönheit der Rosenknospe.” “Meine Familie …”, meinte die Geweihte keineswegs kleinlaut, sondern sehr selbstsicher, “... sofern Bedarf besteht und vorausgesetzt das eingesetzte Kapital wird bei der Aufteilungsquote ausreichend berücksichtigt.” Noch bevor jemand antworten konnte, lag die Aufmerksamkeit der Geweihten auf ihrer Begleiterin.

Meta war von Natur aus unauffällig und gab sich auch so. Kein Wunder, dass die Gauklerin, die sie schon mindestens dreimal getroffen hatte, sie überging. Wobei das eine Mal recht emotional gewesen war. Damals hatte Dora ihre verheulten Augen auch auf andere Personen gerichtet. Typischerweise pflegten die Herrschaften, sich in Szene zu setzen, obwohl es noch keinen Grund dafür gab. Sie fasilierten und palaverten. “Hohe Damen, Hohe Herren, werden die anderen Gruppen mit uns reisen? Und wann gedenkt Ihr, aufzubrechen? Wir sollten eine malochende Meschpoke beauftragen, geeigneten Proviant und Reiseutensilien zu besorgen. Eine gewisse Ahnung, wo das, nachdem wir suchen auf Dere landen wird, werdet Ihr doch sicher haben.” Sie stützte sich nun mit beiden Ellbogen auf dem Tisch ab. “Einig, dass wir es wollen, sind wir uns doch. Wichtig wäre ein Vorsprung. Oder habe ich etwas Wichtiges verpasst? Wenn der Zausel nicht gehen will, soll er eben hier bleiben.” Sie zuckte mit den Schultern. Was an den anderen Tischen vorgefallen war, hatte sie nicht mitbekommen. Doratravas Auftreten wunderte sie nicht. Die Frau war flatterhaft.

Flüsternd wandte sich Valeria an die Knappin. “Wir wissen nicht wohin, das ist das Problem. Und ich befürchte, dass die anderen weiter sind als wir. Könntest du dich auf den anderen Tischen umhören ob jemand eine Idee hätte?” Sie hob ihre Augenbrauen. “Unauffällig, wohlgemerkt. Vielleicht tut der Lakai des Alten es dir am Tisch der Götterdiener ja gleich.” Mit einem Lächeln versuchte sie Meta für ihren Plan zu gewinnen. Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.

Am Tisch der Götterboten

“Soweit ick jehört hab, sin de Sternchen runterjefallen und können den Jöttern zugeteilt werden. Dat Sternchen von Havena, ein großer Gwen-Petryl … eindeutig Efferd. Und Jerüchte sajen, das der letzte bei Omlad wat boronjefälliges is.” Nirjaschkas Gesicht glühte regelrecht vor Aufregung. Die Mittvierzigerin trug ihr kastanienbraunes Haar unter einem grünen Kopftuch und der leicht untersetzte Körper war in dem üblichen grünen Wickelgewand der Hesinde gekleidet. Das Schlangenhalsband aus grünem Zinn wies sie als Mentorin aus. Und immer wenn sie von Begeisterung erfasst wurde, verfiel sie schnell in ihren bornländischen Dialekt zurück. “Und dat is nur von denen wir jehört ham. Ich frach mich bis heute, wat die beim Sternchen in Arivor jefunden haben.” Erwartungsvoll schaute sie in die Runde. Ein weiterer Geweihter der Allweisen hörte ihr gespannt zu. Der hochgewachsene Mittzwanziger trug ebenfalls das typische Wickelgewand, doch anstatt des Kopftuches trug er eine grün-goldene Rohalskappe. Seine Statur ließ darauf schließen, dass er nicht nur die Schreibstube kannte. Auch seine Hände zeugten von Tatkraft und wiesen nicht nur Tintenflecke auf. Madasil, ebenfalls Mentor, räusperte sich: “Angeblich, so besagt ein Gerücht, hätte es sich dabei um den Sarstern gehandelt. Allerdings konnte ich diese These nicht prüfen, da ich mit anderen Aufgaben betraut war. Zudem ist die Sternkunde nicht mein Fachgebiet. Desweiteren habe ich von Meteoreisen gehört, dass dort gefunden wurde. Aber vielleicht weiß der Orden ja mehr?” Mit freundlichem Blick schaute er den Draconiter an.

Lessandero zuckte nur kurz mit den Schultern. “Es mag sein, das im Oktagon dazu neueres Wissen vorliegt. Leider haben mich meine Forschungen in den letzten Monaten von dort ferngehalten.” Der Draconiter war ähnlich wie die beiden am Tisch stehenden Mentoren der Hesindekirche gekleidet. Er trug die grüne Robe der Hesindegeweihtenschaft ebenso wie das zinnerne Schlangenhalsband. Nur durch das Wappen mit der sich um zwei Pergamentrollen windenden Schlange war er als karmales Mitglied des Sacer Ordo Draconis zu erkennen. Der großgewachsene Draconiter - ihm fehlten nur knapp fünf Finger an zwei Schritt - war schon in der zweiten Lebenshälfte, was sich bei ihm neben dem unter der Robe erkennbaren Bäuchlein auch auf dem Kopf in dem mageren Haarkranz zeigte. ‘Das Haar musste weichen als Hesinde mir die Weisheit gab’, pflegte er selbst diese Frisur zu beschreiben. An seinem breiten Gürtel war links die reich verzierte Tasche mit seinem Buch der Schlange und an der rechten Seite die Basiliskenzunge befestigt. Neugierig hatte er bislang Soror Nirjaschkas Vortrag zum Sternenfall gelauscht.

Doratrava kam direkt von einer Straßenvorführung und trug deshalb ein bunt-kariertes Hemd, an dem allerlei kleine Glöckchen befestigt waren, so dass sie bei jeder Bewegung leise klimperte. Das war jetzt ein wenig unvorteilhaft, aber ließ sich nicht ändern, die sehr schlanke, extrem hellhäutige Gauklerin hatte dem strengen Blick der Geweihten lediglich ein entschuldigendes Heben der Schultern entgegenzusetzen. Gegen den Regen trug sie einen Kapuzenumhang, dessen Kapuze allerdings zurückgeschlagen war, so dass ihre langen weißen Haare und die leicht spitzen Ohren für jedermann offensichtlich waren.

Dabei kam sie in der Tat auf Einladung jener Geweihten, hatte diese sie doch in einer Pause ihrer Vorführung angesprochen und sich an einem Gespräch mit ihr interessiert gezeigt. “Madas Gaben” galt ihr Interesse, hm … Doratrava war noch nicht sicher, ob sie darüber überhaupt sprechen wollte. Aber irgendwie hatte diese Nirjaschka sie neugierig gemacht, und nun war sie hier, im Tempel der Hesinde - und bass erstaunt, diesen Menschenauflauf hier vorzufinden. Die Geweihte bemerkte sie auch sofort und winkte sie an einen der vier Tische, ohne allerdings nun direkt das Wort an sie zu richten, stattdessen hielt sie einen Vortrag, von dem die Gauklerin höchstens die Hälfte verstand. Um fallende Sterne ging es, davon hatte sie aber keine Ahnung, außer man zählte diverse Gerüchte, die seit Jahren dazu die Runde machten, als gesicherte Informationen, insofern sah sie sich auch nicht in der Lage, der Aufforderung, die aus dem Blick der Geweihten sprach, Folge zu leisten, aber das hörte sich auf jeden Fall nach einer spannenden Geschichte an - ob spannend für sie selbst, würde sich zeigen. Wie gesagt, sie war ja eigentlich aus einem ganz anderen Grund hier.

Doratrava fiel auch der Draconiter in der Runde auf. War das nicht dieser Lessandero Dingsbums, mit dem sie vor mittlerweile fast eineinhalb Jahren ein etwas bizarres Abenteuer in den Bergen südlich von Khunchom erlebt hatte? Vorsichtig winkte sie ihm zu, um die missbilligende Aufmerksamkeit der Geweihten nicht noch mehr auf sich zu ziehen. Wenn auch allein das Winken schon wieder ihre Glöckchen sanft klingeln ließ.

Als Lessandero sah wie ihm die junge Frau zuwinkte, kam ihm seine Exkursion nach Khunchom wieder in den Sinn. Auf dem Heimweg hatte er die junge Gauklerin und ihren Begleiter getroffen und sie hatten gemeinsam ein paar aufregende Tage erlebt. Fröhlich lächelnd winkte er zurück und meinte dann leise zu Madasil: “Verzeiht, das ich unser kurzes Gespräch abbreche, aber ich habe dort eine Bekannte gesehen, die ich begrüßen möchte.” Er machte ein paar Schritte um den Tisch herum an Doratravas Seite. “Ich freue mich Euch hier zu sehen”, raunte er der Gauklerin zu. “Mit Euch hätte ich hier wirklich nicht gerechnet.” Doratrava lächelte den Draconiter schelmisch an und zwinkerte. “Ich auch nicht” erwiderte sie leichthin. “Und ich mit … Euch … übrigens auch nicht.” Lessandero bemerkte das leichte Zögern bei der Anrede, ebenso den fragenden Blick der Gauklerin, die aber gleich weitersprach: “Also, ich meine, nicht wegen der Sternenfall-Sache, die Euch sicher brennend interessiert, sondern einfach des unwahrscheinlichen Zufalls wegen. Oder hat Hesinde dazu eine erhellende Theorie?” Beim letzten Satz nahm Doratravas Tonfall eine leicht neckende Note an.

“Ob es Hesinde ist, die uns hierher geführt hat?” überlegte der Geweihte. “Ich befürchte nicht. Es scheint mir doch eher der Zufall zu sein. Und das wäre dann wohl eher Herr Phex.” fügte er schmunzelnd hinzu. “Vielleicht können wir uns ja nach dem Vortrag noch ein wenig austauschen.” “Ist ja auch egal, das Ergebnis zählt.” Doratrava zwinkerte erneut. “Ja, klar. Bin mal gespannt, was das hier alles gibt.” Sie setzte zu einer weitschweifenden Armbewegung durch die Tempelhalle an, führte diese jedoch nicht zu Ende, als das erneut ihre Glöckchen an deren Daseinsberechtigung erinnerte. Die anderen Gruppen hatten durchaus ebenfalls ihr Interesse erweckt, zumal sie in der Gruppe dieses Norbarden gleich drei, nein, sogar vier weitere bekannte Gesichter erspäht hatte. “Ich freue mich darauf”, antwortete der Draconiter und begann sich wieder der Vortragenden zuzuwenden.

Hesindiard von Rickenbach war alt. Leicht gebeugt und auf einen hölzernen Stab gestützt, hatte er den Tempel betreten und sich an den Tisch zu den Hesindegeweihten begeben. Doch sein Entsetzen über die Unbildung selbst unter diesen, war langsam immer deutlicher über seine Züge geglitten. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen und der dunkle, lockige Haarkranz, der ihm von seiner einst so dichten Haarpracht geblieben war, wippte auf und ab bei jedem Kopfschütteln, das er dem Unwissen hier entgegensetzte.

“Halbwissen.” sagte er irgendwann laut. Und seine Stimme war tief und von überraschender Klarheit. “Ist noch schlimmer als Unwissen. Letzteres kann man beheben. Doch an ersterem hängen die Menschen oftmals mehr als an guten Freunden.” spuckte er irgendwann laut in die Runde, Leonora zugewandt. “Rijsha war es- die Feder des Raben- die dort in Omlad niederging. Und ob es dem Gott des Todes freut, wenn die Sterne aus seinem Sternbild fallen- nun, die einen meinen so, die anderen so.” fuhr er unbeirrt fort, und sein Tonfall machte deutlich, was er von welcher Meinung hielt: “Und niemand, der sich mit den Sternen auskennt, sagt, dass es der Sarstern war, der Arivor zerstört hat. Denn die Spitze des Schwerts fiel bereits einen Mond VOR der Zerstörung dieser wunderschönen, heiligen Stadt.” grummelte er: “darüber hinaus gab es keinen Stern, der IN Arivor einschlug! NEIN! NEIN! NEIN!” wie oft er das hatte sagen müssen in den letzten Jahren, langsam hatte er begonnen es hinzunehmen. Aber hier? In einem Tempel der Herrin Hesinde. Er schüttelte den Kopf. Madasil wandte sich dem Sternenkundler zu: “Ich danke Euch, für die Richtigstellung. Wie ich bereits erwähnte, war es ein Gerücht, dass ich aufschnappte und nicht prüfen konnte. Nun jedoch habe ich Klarheit. Mögt Ihr uns mitteilen, was Ihr über dieses Phänomen wisst?”

“Über welches Phänomen? Über Arivor? Oder über den Sternfall im Allgemeinen? Den gehäuften Sternfall seit 1039 im Besonderen?” Der Alte klang immernoch wirsch, aber wirkte schon etwas versöhnlicher. Menschen, die ihr Wissen erweitern wollten, war er zugetan. Er lächelte Leonora an, die mit ihm und Alrik zum Tempel gekommen war. Wissen führte einen auch immer näher an sich selbst heran. Ein Grund, weshalb es so viele Menschen scheuten.

“Wenn es die Zeit erlaubt über alles natürlich, aber jetzt, im Augenblick wäre eine kurze Übersicht hilfreich. Vielleicht gibt es ja einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen herab gestürzten Sternen. Ich muss leider zugeben, dass ich nur über Grundkenntnisse der Sternenkunde verfüge.” “Nun das ist mir aufgefallen.” antwortete der Alte: “Aber wie ich sehe, seid ihr interessiert dies zu ändern. Das ist löblich. Und ihr seid am richtigen Ort. Im Tempel des Wissens.””Und Ihr scheint mir der rechte Lehrmeister zu sein.” “Nun, ja, man kann sagen, dass diese Runde Glück hat, dass ich anwesend bin.” Er seufzte. Suchte nach dem besten Anfang. “Wie steht es mit eurem Wissen um die Sphären? Die Sphairologia ist kein einfaches Fach, aber um alles zu begreifen, sollte man die Grundzüge kennen. Stellt euch die Welt wie eine Zwiebel vor. Bestehend aus einem Kern, umlagert von verschiedenen Schichten.

Im Inneren haben wir die erste Sphäre- also den Zwiebelkern- über den wir wenig wissen. Sie ist sozusagen der Urgrund des Weltengesetz. Sie trennt Sein von Nicht-Sein, ist die Manifestation der Materie. Der Existenz. Diesen Zwiebelkern umgibt nun eine erste Schicht. Eine zweite Sphäre. Auch über sie wissen wir wenig, nur, dass sich die Materie dort zu ordnen beginnt, ist bekannt. Sumus Macht beginnt dort. In der zweiten Sphäre.

Dann folgt eine zweite Schicht um unseren Zwiebelkern. Die dritte Sphäre. Sie ist unsere Welt. Hier hat die Materie sich bestimmten Regeln unterworfen. Und so ist Leben möglich. Es folgt eine weitere Schicht: die vierte Sphäre. Wenn ihr einst auf Golgaris Rücken über das Nirgendmeer fliegt, werdet ihr sie betreten, denn der Tod ist nichts als eine Sphärenreise von der dritten in die vierte Sphäre- ins Totenreich.

Die nächste Schicht, die fünfte Sphäre dann, ist die Welt der Götter. Die Welt Alverans. Die wir nicht betreten dürfen und über die wir daher nur spekulieren können. Und dann.” seine Stimme nimmt einen triumphierenden Klang ein: “die sechste Sphäre. Die Sphäre der Sterne. Die Sphäre der Macht. Hier nähren sich Götter und Dämonen. Die sechste Sphäre trennt die fünfte -also die Welt der Götter- von der siebten-” er machte eine Pause und sah Madasil an: “das Chaos herrscht dort. Eine Sphäre ohne Zeit und ohne Raum, Heimstatt der Dämonen.” er klatschte in die Hände: “Und das ist es, was ihr begreifen müsst, um die Sterne zu verstehen: Der Himmel, den ihr kennt: Er ist die Trennung zwischen der Welt der Götter und der Dämonen. Und alles was dort passiert, passiert weil sich dort Dinge ereignen. Die wir nur erahnen können. Wenn wir aufmerksam die Sterne lesen.” Grundsätzlich zufrieden mit seinem Vortrag, sah er Madasil an. “Konntet ihr mir bisher folgen?”

”Gewiss. Ich hätte sogar eine These, die ich Euch offerieren möchte. Wenn also, die sechste Sphäre die Sterne enthält und zugleich Alveran vom Chaos trennt, können wir dann annehmen, dass der Verlust von Sternen diese Sphäre dünner werden lässt? Folglich die Trennung an Stärke verliert?” “Nein, nein.” Der Alte schüttelte den Kopf, “Die Trennung ist nur dort nicht stark, wo es Rupturen gibt. Die größte ist die große Bresche, in die die Götter den Namenlosen schmiedeten. Aber die Anzahl der Sterne ist dafür nicht bedeutend. Zumal ihr vergesst: Es vergehen nicht nur Sterne, es werden auch welche geboren. Daher ist es wichtig die Sterne zu lesen! Denn auch die Geburt neuer Sterne weist uns Wissen zu, Wissen, was dort oben in den Sphären der Götter und Dämonen so passiert.”

Da offensichtlich der alte Gelehrte die Aufmerksamkeit auf sich gerichtete hatte, hielt Nirjaschka inne und hörte zu. “Jenau, aufmerksam lesen. Deshalb is it wischtig zu wissen, wo dat Sternschen runterkommt, damit wa die Botschaft aus Alveran finden und lesen können.”, legte die Geweihte ihr Kommentar dazu.

Lessandero nickte zu der Schlussfolgerung der Geweihten. Das war auch aus seiner Sicht die logische Konsequenz. Der ausführlichen Lehrstunde des Alten war er nur mit halben Ohr und Auge gefolgt, denn sie enthielt nur die bekannte Sphärenlehre, die er schon vor vielen Jahren während seiner Ausbildung vernommen hatte, stattdessen beobachtete er die anderen Tische und die dort anwesenden Personen.

In Begleitung des alten Mannes war eine weitere Gestalt an den Tisch getreten, die das komplette Gegenteil des alten Gelehrten zu sein schien: eine sehr junge Frau von vitalem Auftreten und schlanker Gestalt. Ihr Gesicht brauchte in Sachen Ebenmäßigkeit den Vergleich mit der Rahjageweihten am Nachbartisch nicht zu scheuen, auch wenn die junge Frau auf Schminke und Zierrat verzichtet hatte und insgesamt rondrianischer wirkte. Die gefällige Gewandung im Methumiser Stutzerstil und das Korbschwert an ihrer Seite unterstrichen letzteren Eindruck.

Das Verhalten der jungen Kriegerin zeigte weitere Unterschiede zu ihrem Begleiter auf: so schien diese von einer gewissen Befangenheit ergriffen, seitdem sie den Tempel betreten hatte, und auch der polternde Ausbruch des Alten schien ihr peinlich zu sein. Zusätzlich zeigte die Verwirrung in ihrem Gesicht, dass sie wohl nicht die regelmäßige Gesprächspartnerin des Gelehrten war, wenn es um Sternenkunde ging.

In der Tat fühlte sich Leonora von Heiternacht, eine Ritterin aus der Baronie Kaldenberg, fehl am Platz und außerdem überfordert. Ein glücklicher Zufall - oder, wie sie glaubte, das Schicksal - hatte dazu geführt, dass sie in eigener Angelegenheit in Elenvina weilte, als sie Hesindiard in der Stadt begegnet war. Sie hatte ihre Bekanntschaft auf eine Lektion angesprochen, die er ihr einst in der Kunst der Sterndeutung erteilt hatte. Prompt hatte der Alte sie aufgefordert, ihn sogleich zu begleiten - dort, wo er gerade hingehe, könne sie viel über die Sterne lernen. Das Wiedersehen hatte erst vor wenigen Augenblicken stattgefunden - und so war sie unverhofft in diese Runde geraten.

Verlegen blickte sie sich um, einen Blick auf die anderen Personen werfend, die sich hier im Tempel versammelt hatten. Schließlich konnte sie ihre Neugier nicht länger zurückhalten: “Verzeiht, gelehrte Damen und Herren, ich verstehe nicht - wir suchen einen Stern, der in den Nordmarken herabfallen wird? Weiß man schon, wo das sein wird?”

Nun legten sich alle Augen auf die junge Kaldenbergerin. “Jute Frage. Jenau kann ich nix sagen, nur das es scheint, dass das Sternschen in die Nordmarken runterkommt. Der Fingerzeig Alverans is ja immer nur in der Nacht zu sehen und dann och nur für ein paar Wasserläufe. Aber ick kann von Glück sagen, das Hesinde uns erfahrene Sternkundler jeschickt hat und wir ham och een jutes Fernrohr. Um die Frage zu beantworten: wir müssen kieken.” Bestimmend schaute Nirjaschka in die Runde.

Hesindiard hielt die Luft an: Fernrohr? Oh, unter welche Dilettanten war er nur geraten? Dieses Jungvolk, das noch nie die Unbillen der Welt erleben musste und dessen Gemüt nicht an den Qualen und Schrecknissen wachsen konnte. Den Jungen war viel erspart geblieben, aber auch das Wachsen des Geistes und der Wissenschaft, das mit solchem einherging, war an ihnen vorüber gegangen. “Berechnungen.” sagte er schlicht in Leonoras Richtung. “Fernrohre sind nicht sonderlich gut geeignet, besser sind Teleskope. Je besser sie sind, desto präziser sind unsere Berechnungen. Aber dennoch sind sie fehlerbehaftet. Denn die Sterne und die sechste Sphäre sind nicht so weit erforscht, wie wir es uns wünschen würden. Womöglich ist das auch gar nicht möglich.”

“Aber - es müsste doch mit der Zeit immer einfacher werden, den Ort zu finden? Wie… wie bei einem Abschlag beim Imman: je näher der Ball kommt, umso besser weiß ich, wo er landet?” Leonora hatte frei von der Leber weg gesprochen und spürte nun, wie ihr Hitze ins Gesicht stieg. Vor all diesen gebildeten Herrschaften von diesem Spiel der einfachen Leute zu sprechen, was war ihr da nur in den Sinn gekommen! Sie schämte sich und mied den Blickkontakt mit Hesindiard.

‘Naja, so groß sind die Nordmarken ja auch nicht und überall frei zugänglich’ lachte Lessandero in sich hinein als er die Erklärung der geweihten Schwester vernommen hatte. Für die Berechnungen Hesindiards schien ihm die verbleibende Zeit bis zum Aufschlag auch nicht mehr auszureichen, denn um da eine gewisse Genauigkeit zu berechnen musste man viel und lange beobachten. Daher erschien ihm der Vorschlag der jungen Ritterin als der pragmatischste. Einfach wird es auch nicht werden, zumal es ‘Mitbewerber’ gab, die durchaus andere Interessen als die hier am Tisch versammelten vertraten.

“Jaja.” lachte der Alte Leonora an; “Genau richtig. Es ist interessant eurem Geist zu folgen. So ungebildet zwar, aber mit so viel Potential. Eine Verschwendung euch ins Ritterhandwerk gegeben zu haben. Ihr habt es genau richtig erkannt. Es ist wie beim Imman: Je länger man Zeit hat, eine Bahn zu beobachten, desto genauer kann man sagen, wo sie endet. Und wie beim Imman ist es wichtig den richtigen Moment abzupassen, weder zu früh noch zu spät darf man handeln. Ein guter Immanspieler ist ein guter intuitiver Mathematikus, ohne dass er es weiß. Spielt ihr selbst Imman, meine Liebe?”

Vor Leonoras geistigem Auge erschienen die Kinder Kaldenbergs, die sich in den Sommermonaten allabendlich auf dem Feld des Alrikbauer vor der Stadt trafen, und mit den selbstgeschnitzten Schlägern auf den Korkball - nicht selten auch aufeinander - eindroschen. Leonora stets mittendrin, sehr zum Verdruss des Barons, dem sie damals als Pagin diente. Sie dachte an den legendären Sieg der Albenhuser Alben gegen die Elenviner Hengste, dem sie als jubelnde Zwölfjährige beigewohnt hatte. An den Schläger aus echtem Eschenholz, den sie von ihrem Bruder geschenkt bekommen hatte. “Nein.”, log sie, kaum überzeugend. “Das geziemt sich für Leute von Stand nicht.”, schob sie die Phrase nach, die sie sich nur zu oft selbst hatte anhören müssen. Ob des Bedauerns, das sie dabei empfand, vergaß sie ganz das Lob des Alten.

„Ha“ sagte der Alte, „ihr seid alt genug zu wissen, dass das noch niemals Menschen abgehalten hat. Selbst ich habe Imman gespielt als ich ein Kind war. Wie meine Tochter und die Kinder meines Bruders. Und deren Kinder. Und deren Kinder tun es vermutlich auch mal. Es stärkt Körper, Geist und das Gefühl zusammen zu gehören. Schert euch nicht um das Geschwätz der Welt. Ich stelle euch einmal meinen Grossneffen vor, er lebt hier in der Stadt, spielt Imman und führt eine Taverne, sehr zum Ärger meines Neffen. Er schert sich nicht darum, was die Welt über ihn sagt. Und es bekommt ihm gut. Tempora Mutantur, et Nos mutamur in illis. Die Welt wandelt sich, was sich gestern nicht ziemt, kann morgen eine Welt bewahren.“

Bedeutungsschwer nickte Leonora, obwohl Hesindiards Appell sie verwirrte. Im Grunde hatte sie nur verstanden, dass der Gelehrte wohl eine große und immanbegeisterte Familie hatte. Um von sich selbst abzulenken, fragte die junge Kriegerin: “Weiß man denn schon, WANN der Stern herabfallen wird?” Auf die Frage hin, begann der alte Gelehrte in seinem Gepäck zu kramen. Es dauerte eine Weile bis er einen langen, ledernen Zylinder auf seinen Schoß zog.

Doratrava wunderte sich über diese junge Kriegerin in Begleitung des besserwisserischen Alten, die angeblich nie Imman gespielt hatte und so gar nicht in den Kreis dieser gelehrten Gesellschaft passte - ganz wie sie selbst, und das machte sie interessant. Allerdings hatte sie selbst zwar schon das ein oder andere Immanspiel gesehen, aber den Flug des Korkballes mit einem aus dem Himmel herunterstürzenden Steinbrocken zu vergleichen, erschien ihr doch gewagt. Dennoch drängten sich ihr ein paar Gedanken in den Kopf, und bevor sie ihr Mundwerk im Zaum halten konnte, plapperte sie auch schon los: “Also Sternschnuppen habe ich manchmal schon gesehen. Aber das sind doch nur weiße Striche vor schwarzen Hintergrund. Wie kann man denn da erkennen, wo so etwas herunterkommt, wenn es denn überhaupt herunterkommt? Und was ist, wenn es tagsüber passiert?” Unwillkürlich zuckte ihr Blick zu dem Alten hinüber, der sicher gleich wieder eine beißende Bemerkung von sich geben würde. Warum hatte sie auch den Mund aufgemacht? Eigentlich hatte sie doch nun hinübergehen wollen zu dem Tisch mit dem Norbarden, um mal zu hören, was dort so gesprochen wurde und um Rhodan und vor allem Ronan zu begrüßen. Das dritte bekannte Gesicht kannte sie nur flüchtig aus Linnartstein, zuerst von einer eher unerquicklichen Begebenheit, dann von der eben stattgefundenen Hochzeit dort, so dass sich ihr Bedürfnis, mit jener jungen Frau zu sprechen, in Grenzen hielt. Und auch die Rahjani kannte sie seit kurzem, von eben jener Hochzeit. Konnten es der Zufälle noch mehr werden?

Die Mentorin Nirjaschka nickte verständnissvoll. “Jenau wees ick dat nich. Wie schon Meester Rickenback sachte, mit einem Telesjoop könn wa dat besser bestimmen. Sicher is dat es bald is.” Dann hob sie ihren Zeigefinger und schaute zur Gauklerin. “Jute Frage, Doratrava. Nur Nachts könn wa dat Sternschen sehen. Auch dieser hat nen Strich am schwatten Himmel, aber viel größer. Den von dem wir sprechen, sieht man allerdings nur zwischen der ersten Praiosstunde und der ersten Traviastunde. Und ick bin och keine rischtje Sternkundlerin. Und da bin ick froh das ihr da seid!” Mit einem breiten Grinsen schaute sie wieder in die Runde. Überrascht, keinen Spott zu hören bekommen zu haben, schaute Doratrava Nirjaschka mit großen Augen an. Aber nur kurz. Viel über die Sache zu wissen schien die Geweihte ja nicht, aber das war nicht ihr Problem. Da sie auch keine Sternkundlerin war, murmelte sie etwas von “Bekannte begrüßen” und schlich sich möglichst unauffällig und ohne Glöckchengeklimper zum ersten Tisch.

Leonora hatte bei der Frage der merkwürdigen Gauklerin die Augenbrauen verwundert zusammengezogen. ‘Wie sollte man Sterne tagsüber sehen können?! Sterne gibt es doch nur nachts!’, wunderte sie sich, jedoch nur in Gedanken. Mit einem leichten Hüsteln vorweg stellte der Draconiter eine Frage: “Schwester Nirjaschka, wie bald meint Ihr denn, ist ‘bald’? Haben wir den noch genügend Zeit für die aufwändigen Berechnungen, die der gelehrte Herr als notwendig vorschlägt?” Hesindiard hatte mittlerweile einige Schlaufen von dem ledernen Deckel des länglichen Zylinders gelöst. Im Moment zog er einige Pergamente daraus hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete und dort mit kleinen, Metallstückchen, die er zuvor aus einem Beutelchen an seinem Gürtel genommen hatte, vor dem Zusammenrollen bewahrte. Er tippte auf das obere Pergament. “Ihr missversteht. Es gibt nie einen Abschluss der Berechnungen. Man muss sie ständig fortführen. Bis zum Fall des Sterns. Nur…. werden sie im Laufe dieses Prozesses immer genauer. Ob sie genau genug sind, wissen wir erst, wenn wir den Stern gefunden haben, oder eben nicht. Was ein Glück, dass ich schon einige Berechnungen vorgenommen habe.” er deutete verzückt auf eine komplizierte, lange Reihe von Zahlen und Zeichen. “Und somit schon eine ungefähre Vorstellung. Wie ihr seht.”

Lessandero beugte sich über die Aufzeichnungen des Gelehrten. Mit Zahlen umzugehen hatte er bei seinen Beschäftigungen mit der Mystik der Angroschim mehr als genug gelernt, aber diese wirren Kolonnen sagten ihm dann doch nicht allzuviel. Hätte er doch damals in Kuslik auch ein paar Bücher zu Sternenkunde gelesen. Andererseits warum sollte er jede Berechnung des Alten nachvollziehen wollen. Hesindiard war doch ausreichend überzeugt von sich und seiner Kunst. Mit einem “Aha! Sehr interessant!” richtete er sich von den Pergamenten auf und fragte den Gelehrten direkt: “Nun, da nicht jeder die Kunst der Astronomia beherrscht, bitte erklärt uns doch, was Ihr mir ‘ungefähre Vorstellung’ meint.”

“Das seht ihr doch.” Und der Alte drückte seinen mit Altersflecken übersäten Zeigefinger auf einige Zahlen am Ende der Zahlenreihen, die wohl Koordinaten angaben. Und einen Fehlerindex. “Ja, sicher”, log Lessandero. “Aber für die Allgemeinheit, zeigt doch bitte den berechneten Zielpunkt und die möglichen Abweichungen auf einer Karte ein.”

“Bei Hesinde.” fluchte der Alte und kramte erneut in seinen Pergamenten. Zog nach kurzem Suchen ein anderes Pergament nach oben, befestigte es und deutete auf eine Stelle. Auf diesem Papier war grob eine Karte der Nordmarken mit den wichtigsten Gewässern, Gebirgen und Städten verzeichnet- Und einige Kreise mit verschiedener Strichdicke, entlang ihrer Linien standen Zahlen. “Das ist eine Karte der Nordmarken.” sagte er, als sei das nicht jedem halbwegs gebildeten Menschen klar, und tippte mit seinem Zeigefinger auf das Pergament. “Hier. irgendwo” und er fuhr die Kreise nach. “Wird der Stern einschlagen. Die höchste Wahrscheinlichkeit dafür besteht nach meinen aktuellen Berechnungen dabei hier.” Und sein Finger fuhr die dickste Kreislinie entlang. “Im Gratenfelser Becken. Vermutlich in 15-20 Tagen. Das ist momentan die exakteste Berechnung, die ich erstellen konnte. Mein Teleskop und meine Fähigkeiten sind gut, aber ich bin nicht Arba von Silas und mein Teleskop weit entfernt von dem Potential eines Observatoriums in den Goldfelsen.”

Lessandero nickte. “Das bedeutet, dass wir, wenn wir den Einschlag genauer beobachten wollen, irgendwo dorthin müssen, oder? Und zwar in den nächsten 15-20 Tagen. Eher wohl in weniger als 15 Tagen, denn wir wollen ja vor ihm da sein.” Dann blickte er zu Nirjaschka: “Und Schwester, wie sieht Euer Plan aus? Habt Ihr bereits die notwendigen Utensilien für eine solche Expedition zusammen? Tiere, Ausrüstung, …?”

Ein erheiterndes Lachen entwich der Geweihten. “Leider sind wir hier nicht in Kuslik oder Gareth. Unsere Mittel hier sind sehr … bescheiden.” Nun hatte sie ihren bornländischen Dialekt abgelegt. “Aber, wenn wir uns zusammen tun, bin ich sicher, dass wir etwas auf die Beine stellen könnten.” Erwartungsvoll schaute sie in die Runde.

Zumindest bei Leonora wurde die Hesindepriesterin enttäuscht, denn die junge Kriegerin machte ein langes Gesicht. ‘Die Kirchen wollen immer nur das Eine: Geld!’, dachte sie sich, an ihre Geldkatze denkend, die noch schlanker war als sie selbst. Dann durchfuhr sie ein anderer Gedanke. Verschwörerisch beugte sie sich nach vorne und fragte halblaut: “Was ist mit den anderen… den anderen Tischen? Ist das ein Wettlauf? Müssen wir uns vor ihnen… in Acht nehmen?” Sie sprach ihre Worte wohlüberlegt aus, während sie misstrauisch zu den Gruppen rechts und links von ihnen schaute.

“Der Kontakt zu meiner Familie ist, sagen wir mal, spärlich, aber vielleicht kann ich ja meine Cousine fragen. Sie hat ein Edlengut in Schweinsfold. Aber ob sie innerhalb von zwei Wochen Geld schicken kann? Vermutlich nicht.” Der Mentor wollte gerade fortfahren, als der Magier vom anderen Tisch näher trat: “Verzeiht bitte, ich müsste kurz mal Mentor Madasil entführen, wir brauchen seine Hilfe.” Der Geweihte zog fragend eine Augenbraue hoch: “Die Damen und Herren, entschuldigt mich bitte einen Augenblick.” Streng sah er den Magier an und die am Tisch zurück gelassenen konnten noch ein leises: “Was ist denn so wichtig, Wolfhold?” hören, als die beiden sich entfernten und kurz danach einen der hiesigen Geweihten aufsuchten, um sich eine Pergamentrolle geben zu lassen.

“Höchstens ein Wettlauf mit der Zeit.”, griff Nirjaschka Leonoras Faden wieder auf. “Ich hoffe doch stark, das die anderen erkennen, wie wichtig Unsere Suche ist und uns dabei unterstützen.” Die junge Kriegerin entgegnete nichts, doch ihr Gesicht, das alles andere als ein Buch mit sieben Siegeln war, sprach Bände über die Zweifel, die sie ob der Worte der Hesindepriesterin empfand.

Der alte Rickenbacher verfolgte die Unterredung zunehmend irritiert. “Ach, papperlappapp.” stöhnte er irgendwann auf. “So viel Geld kostet das alles auch nicht. Essen müsste jeder von uns ohnehin. Und übernachten können wir in Zelten, das kostet auch nichts. Zur Not könnten sogar die zu Fuß gehen, die kein Reittier haben, und wir wären trotzdem noch rechtzeitig dort.” Er schüttelte den Kopf. Die Jugend machte sich Probleme, wo keine waren. Kein Wunder, hatten die meisten hier die harten Zeiten früher nicht miterlebt.

Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.

Am Tisch der Propheten

Mit konzentriertem Blick beobachtete der horasische Gelehrte Belsazar, wie das entzündete Räucherwerk seine ersten Rauchwölkchen schlugen. Der Mann war von unbestimmbaren Alter und trug ein feines Gelehrtengewand in gold-grüner Färbung. Seine Haut war von dunkler Schattierung mit hohen Wangenknochen und fein geschwungen Lippen. Seine Nase hatte einen leichten und edlen Bogen und seine Augen waren von dunklen, langen Wimpern umrahmt. Sein schwarzes Haar besaß einen bläulichen Schimmer, der sich ebenfalls in seinem gepflegten Bart wiederfand. Belsazar ay Asango stammte aus Drol im Horasreich, doch seine Eltern stammten aus dem Waldmenschenstamm der Chirakah. Der Geruch der Myrrhe breitet sich schnell aus und erreichte jeder der Nasen, die bei ihm an dem Tisch standen. Eine Pergamentrolle war ausgebreitet, wie auch ein Buch mit vielen Notizen. Eine Sternenkarte, wie auch ein Fernrohr lagen auf dem Tisch. “Eigentlich hatte ich mich gänzlich der Astrologie verschrieben … bis ich auf dieses Pergament und die Sternkarte gestoßen bin. Das war letztes Jahr im Hesindetempel zu Neetha.”, führte der Sternenkundler seinen Vortrag fort.

“Wie man sehen kann ist es in Bosparano geschrieben und einige Jahrhunderte alt. Und es hat auch eine Weile gedauert, bis ich sie übersetzt hatte. Doch,” nun hob er seinen Zeigefinger,” waren es zwei Dinge, die mich an der Echtheit dieser Prophezeiung glauben ließen.” Nun zog er die Sternenkarte in die Mitte. Auch diese war alt und in einem schlechten Zustand. Viele der Aufzeichnung waren verblichen, doch einige Stellen waren immer noch deutlich zu erkennen. Belsazar deutet auf das Sternbild der Schlange, die hier schon als Kreis angeordnet war. “Erstens: die Sternanordnung auf dieser Karte entspricht zum größten Teil des heutigen. Und Zweitens: Die Sternbewegung am Himmel, die mich nun in die Nordmarken geführt hat.” Dann drehte er sein Buch aufgeschlagen zu den Zuhörern, so dass alle darin lesen konnten. Ohne darauf zu blicken sprach er weiter:” Ich rezitiere nun meine Übersetzung:

´Der Tag wird kommen,

Die Ketten zerreißen.

Die Not ist Groß, Der König der Könige greift zur Tat.

Zwischen der Stadt der alten Könige, Dem Kamm des Berges, Der Quelle des Flußes, Und dem flüssigen Goldes. Öffnen sich die zwei Augen des Unergründlichen.

Folge dem Flug der Feuersäule, Wenn die Schlange sich in den Schwanz beißt.

Erst dann wird es Hoffnung geben, Und ein Königskind wird unter einem Sternenregen geboren.

Doch sei gewarnt, Ein drittes Auge wird sich öffnen, Um Zwietracht und faule Saat zu sähen.´”

Erwartungsvoll schaute er in die Runde.

Geron hatte die letzten Tage im Haus seines Onkels und seiner Tante verbracht. Onkel Hesindian hatte aber kaum Zeit gehabt. Zum einen waren da die Zwillinge, zum anderen die Erkenntnisse der Exkursion in den Tann. Deswegen hatte er mehr Zeit mit seiner Tante und den jüngsten Mitgliedern der Familie verbracht. Doch dann war sein Onkel an ihn herangetreten und hatte ihn gebeten in den Tempel zu gehen und sich etwas über einen Sternenfall anzuhören. Also war Geron dem Wunsch nachgekommen, nur um festzustellen, dass es gleich mehrere Ansichten gab, welche Bedeutung dahinter stand und was mit dem Stern geschehen sollte. Gerade die Prophezeiung mit der Geburt des Königskindes interessierte Geron besonders, roch sie doch ein wenig nach der Art Prophezeiung, die seine Familie gezeichnet hatte.

Und so stand er nun hier im Tempel und hörte dem Geweihten zu. Dabei stellte er fest, dass auch Relindis zugegen war. Ein breites Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus, welches man unter seiner Maske freilich nicht erkennen konnte.

An sich bot der hochgewachsene, um die 185 Halbfinger messende Mittzwanziger einen interessanten Anblick. Seine dunkelblonden Haare bildeten eine widerborstige Mähne, die bis zu den Schultern ging. Seine Augen waren hinter einer Brille mit bernsteinfarbenen Gläsern verborgen und der Rest des Gesichts, von der Nase bis unter das Kinn war hinter einer Maske verborgen. Die Maske selbst bestand aus dunkelbraunem Leder welches von bronzenen Einlegearbeiten durchbrochen wurde. Die bronzenen Luftschlitze verhinderten, dass Geron erstickte und zeitgleich wurde seine Stimme weitaus weniger gedämpft und er war klar verständlich, ohne laut werden zu müssen. Er trug ein bequem wirkendes weißes Hemd, darüber einen kurzen Wappenrock aus dunklem Wildleder mit einem schwarzen steigenden Schafbock auf Gold über der Brust. Dazu trug er eine ebenfalls dunkelbraune Reithose aus Wildleder und passende Reitstiefel mit Sporen. Um seine Hüften hatte er einen breiten Schwertgurt geschwungen an dem eine schmale Klinge mit Korbgriff und eine Linkhand hingen. Die Arme vor der Brust verschränkt und den rechten Fuß, wie auch den Rücken gegen eine Wand gelehnt, lauschte er seinen Mitstreitern und versuchte auch gleichzeitig einen Blick auf die Gruppen an den anderen Tischen zu erhaschen. War das da drüben eine Rahjageweihte? Und die Gestalt daneben, war das eine Frau oder ein Mann, er konnte es nicht genau erkennen. Tief sog er die Luft ein und konzentrierte sich. Es war eine Herausforderung, denn zum einen erschwerte die Maske, zum anderen die vielen anderen ablenkenden Gerüche sein Vorhaben. Doch durch all diese Hindernisse hindurch konnte er ihre ureigene Fährte wahrnehmen. Tatsächlich, eine Frau. Ein wölfisches, wenn auch unter der Maske verborgenes, Grinsen umspielte seine Züge. Doch dann galt seine volle Aufmerksamkeit dem Geweihten, der gerade anhob die Prophezeiung vorzulesen.

Als Belsazar geendet hatte, seufzte Geron. War es allen Propheten gemein, dass sie ihre Worte in Rätseln niederlegen mussten? Warum konnte nicht ein einziges mal jemand sowas niederschreiben wie, ‘Und am 15. Rahja sollt ihr in Angbar sein. Denn dann wird der Schutzheilige des Bieres selbst herabsteigen um die Krüge aller mit köstlichen Gerstensaft zu füllen.’ Dann seufzte er erneut und begann zu überlegen, was die Wort bedeuten könnten.

Heute erst in Elenvina angekommen hätte Schwester Relindis von Tannenfels sogar tatsächlich darauf gehofft, zunächst in Ruhe im Tempel der gütigen Mutter Aufnahme zu finden und Stärkung in Andacht und gemeinsamem Mahl zu finden. Doch Travia hatte wie zuletzt so oft anderes mit ihr vor. Kaum, dass sie dort den Zweck ihrer Reise verkündet hatte, war sie nämlich umgehend von Vater Winrich - zwar mit herzlich bekundetem Bedauern für all die Hetze - hierher geschickt worden.

Relindis wollte sich nicht beklagen - so sehr sie sich von Kleinauf zu Travia hingezogen fühlte, so wichtig ihr Gemeinschaft, Treue und die Geborgenheit der Familie, aber auch ihrer Kirche waren, so lockte sie ebenso der Ruf der Fremde, weckte der Flug der Wildgänse die Sehnsucht danach, die Liebe der gütigen Mutter in die Welt zu tragen und auch in der Fremde zu Hause zu schenken und Heimat zu finden. Und Erkenntnis.

Bereits im letzten Herbst, kurz nach ihrer Weihe, waren die Flugmuster der heiligen Tiere ihrer Göttin, denen sonst eine solche Schönheit und Klarheit innewohnten, zusehends verwirrend geworden, hatten unerklärliche Ahnungen in ihr hervorgerufen. Dann das Auftauchen des Sterns. Und zuletzt der Zug der Gänse von der Westflanke des Koschs gen Südwesten, mitten im Frühling! - es war klar, dass sie all diesen Zeichen nachzugehen hatte, zuerst ihr, und schließlich sogar seufzend ihrem Tempelvorsteher. 'Ich kann Dich ja doch nicht halten, Schwester. Drum geh mit Travia, finde und bringe Erleuchtung und Frieden mit Dir zurück.'

Jedenfalls war der sofortige Wiederaufbruch zum Tempel der Allweisen der Grund, warum Relindis noch ihr 'Reiseornat' trug: über einer einfachen, am Gesäß verstärkten und recht eng an ihren schmalen Beinen anliegenden braunen Wildlederhose, die in dunkelbraunen Reiterstiefeln steckte, bestand dies vor allem aus einem nahezu knöchellangen orangefarbenen Gewand, das mit seinen Schlitzen vorne und hinten sowie seiner - überdies noch zur Befestigung eines Langdolches genutzten - Gürtung eher an einen langärmligen und kapuzenbewehrten Wappenrock erinnerte als an eine klassisch geschnittene Schwesternrobe, dafür aber für die Reise zu Pferd höchst kommod war. Unter dem Kragen lugten der Rand einer weißen Untertunika und eine einfache Kette mit einem silbernen Gänseanhänger hervor. Die ebenso praktische wie züchtige Gewandung konnte (und wollte) nicht die für Relindis' Familie typische hagere Statur und das beinahe gänzliche Fehlen weiblicher Rundungen an dem etwas mehr als 170 Halbfinger hohen Leib verbergen. Das lange, dunkelblonde Haar der Tannenfelserin war hinten zu einem einzigen, festen Zopf vereint, in den orangene Bänder eingeflochten waren. Mit das auffälligste an ihrem Eintreffen im Tempel der Hesinde, das auch heute wieder viele Blicke auf sie gezogen hatte, war aber ihre treue Begleiterin, die Wildgans Akka, die schon seit einigen Jahren auf Schritt und Tritt hinter ihr her watschelte und ihr eine mehr als liebgewonnene Gefährtin geworden war.

Sanftheit schwang - wie fast immer - in Relindis fein geschnittenen Zügen und in ihren warmen graubraunen Augen, als sie reihum in die Runde ihrer Mitdiskutanten blickte - Belsazar, in dessen Worten soviel Überzeugung klang, was seine Übersetzung und die große Verheißung, die in dieser lag und nur noch gedeutet werden musste, anging - der ihr noch unbekannte Magus, der den Ausführungen mit so klugem Blick folgte - und Geron, der sein Antlitz und seine Augen hier leider verbergen musste - diesem schenkte sie dafür ein besonders herzliches Lächeln. Was für eine schöne Überraschung, ihren Halbcousin hier wiederzusehen!

Geron löste sich von der Wand und ging auf Relindis zu. Er ergriff ihre Hände und musterte sie und ihr Ornat. Das letzte mal als sie sich gesehen hatten, war sie noch Novizin gewesen. “Meinen Glückwunsch zu deiner Weihe, … Euer Gnaden.” meinte der Geron gutgelaunt.

"Habt Dank, hoher Herr!" entgegnete Relindis mit einem Lächeln. "Ja, im vergangenen Travia war es endlich soweit, dass mir die gütige Mutter die Gnade ihrer Weihe schenkte." Das verklärte Leuchten in ihren Augen sprach Bände darüber, wie dankbar und glücklich sie darüber war. "Aber offensichtlich hat die liebende Herrin noch immer anderes mit mir vor, als mich in einem ihrer Häuser oder wieder in meiner Heimat sesshaft werden zu lassen - zumal diese inzwischen ja in guten Händen ist..." fügte sie im Gedanken an die im vergangenen Travia frisch angetraute Gemahlin ihres Bruders, Elvrun, die ihrerseits Travia-Geweihte, aber dennoch anderer Natur wie sie war, hinzu. Auf jeden Fall schien die junge Geweihte alles andere als traurig über ihre Situation. Genauso wie über ihre Wiederbegegnung: “Travias Wille scheint es zum Beispiel zu sein, diese alte Prophezeiung zu enträtseln - und sie meint es offensichtlich besonders gut mit mir, dass ich dabei Dich an meiner Seite wissen darf.”

Relindis konnte förmlich sehen wie Geron hinter seiner Maske ihr Lächeln erwiderte. “Die Wege der G... Gütigen Mutter sind unergründlich.” sagte er gut gelaunt, froh, noch rechtzeitig die Kurve bekommen hatte. Er mochte Relindis sehr gerne. Bei ihr musste er sich nicht verstellen oder eine Maske tragen, sondern konnte er selbst sein. “Wobei, da fällt mir ein, habe ich dich nicht schon bei der Hochzeit der Baronin zu deiner Weihe beglückwünscht?” Es folgte ein kurzes verlegenes kratzen am Hinterkopf. “Sag nichts.”

Relindis sagte nichts und nickte stattdessen nur sachte. Ihr mildes Lächeln verriet Geron jedoch, dass sie ihm die Vergesslichkeit keineswegs krumm nahm, vielmehr erheiterte sie diese sogar. Und konnte man für den unermesslichen Segen der Weihe der gütigen Mutter überhaupt zu oft beglückwünscht werden (nicht dass sie selbst nach Glückwünschen geheischt hätte - nichts lag ihr ferner)? Nach einem weiteren kurzen Moment stiller Wiedersehensfreude deutete Relindis mit ihren Augen in Richtung der beiden anderen Anwesenden - sie waren ja alle aus gewichtigen Gründen hier.

Geron nickte und wandte sich dann an alle, die sich um den Tisch versammelt hatten. Dabei griff er einen Gedanken auf. “Welcher Fluss könnte gemeint sein? Mir fallen drei Gewässer ein, die in den Nordmarken entspringen. Da wäre die Galebra, der Rodasch und die Tommel. Alle drei entspringen in oder an einem Gebirge. Die Stadt der alten Könige könnte Elenvina sein oder vielleicht auch Xorlosch.” Er sah in die Runde. “Da fällt mir auf, Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Geron von Foldenau, Ritter in Diensten der Baronin von Schweinsfold.”

“Du hast mindestens noch die Ambla vergessen, Geron.” ergänze Relindis mit sanfter Stimme. Theatralisch griff sich Geron ans Herz. “Wie konnte ich diesen berühmten Strom nur vergessen.” Er lachte. “Aber du hast natürlich recht, dann sollte ich wohl auch noch die Nabla nennen.” “Doch will auch ich mich noch kurz vorstellen, bevor wir gemeinsam weiter versuchen, die Prophezeiung zu deuten: Ich bin Schwester Relindis, Relindis von Tannenfels, und hier im Dienste der gütigen Mutter.” Ihren eigentlichen Erstnamen, Libgard, nannte sie schon lange nicht mehr, entsprach doch Relindis ihrem Empfinden nach viel mehr ihrer Natur und auch dem, was Travia mit ihr im Sinne hatte. Ihren Worten folgte ein jähes, lautes Geschnatter von unten. “Und dieses vorlaute Tier ist Akka.” musste die junge Geweihte lachen, um dann jedoch auf den Inhalt des Pergaments zurückzukommen. “Was ich aber eigentlich noch anmerken wollte: Mit flüssigem Gold können doch fast nur das in diesen Landen gebraute gute Bier oder der kostbare Honig gemeint sein, oder was meint Ihr?”

Der Mittdreissiger mit den blonden Haaren, einem kurzen aber wohlgepflegten Bart, und den grünen Augen, hatte sich unterdessen feine Handschuhe aus Leder von der wilden Ziege angezogen, die sich, da ungefärbt, von seiner weißen Reiserobe absetzten. Den mannshohen Magierstab aus kunstvoll geschnitztem Bosparanienholz und einer drei Finger durchmessenden grünen Malachitkugel an der Spitze hatte er geschickt gegen den Tisch gelehnt. Behutsam hatte er sich das Buch gegriffen, um es unter die Lupe zu nehmen. Einen Finger legte er dabei auf die aufgeschlagene Seite und klappte das kostbare Stück vorsichtig zu, um die ersten Seiten zu inspizieren. Er wollte wissen, ob sich der Autor dort verewigt hatte, denn, wenn das Buch wirklich älter war, so würde dessen Einband weder Titel noch Signatur tragen oder aber der Einband selbst war jüngeren Datums und enthielt einen falschen Namen, um das Werk kostbarer und interessanter scheinen zu lassen. Er würde sich nicht wundern, falls dort behauptet würde Niobara selbst hätte es geschrieben. Auch schaute er nach, ob das Buch ordentlich gebunden und von Hand geschrieben war, oder auf neumodische liebfeldische Art gedruckt und geklebt. Zudem schaute er nach Kommentaren am Rand und ob sich etwaige Vorbesitzer mit einem exlibris eingetragen hatten.

Obwohl er abwesend schien, folgte er doch den Worten der Anwesenden genau. "Wenn Eure Bierthese zutrifft, dann könnte damit nahezu jede Zwergenbinge gemeint sein, enthalten sie doch allesamt Bier im Überfluss und oftmals auch einen König. Zudem sind fast alle älter, als unsere Ankunft hier." Er legte mit einem kurzen Nicken das Buch zurück und richtete sich auf. "Dies könnte dann auch bedeuten, dass der Stern nicht hier, sondern im Kosch herunterfiele, in Angbar beispielsweise. Nein. Wie sicherlich allen Anwesenden bekannt ist, gilt unser allen hochheiliger Hlûthar als erster König der Nordmarken, auch wenn es den Titel seinerzeit nicht gab. Seine Heimat war Gratia Lapis, das heutige Gratenfels. Somit ließe der Hinweis 'flüssiges Gold' eher auf die Schwefelquellen schließen. Nicht auszudenken, wenn dort ein Stern, womöglich noch brennend, hinunterfiele. Aber es ist ja nur ein Eckpunkt der beschriebenen Karte, nicht wahr, Euer", er blickte auf die silberne Gans,"Gnaden." Dann schaute er in die Runde. "Mein Name ist übrigens Wolfhold Leuenhard von Punin. Ich bin freier Magus. Das heißt zur Zeit ohne Anstellung oder Lehrstuhl, denn ich bin in meine alte Heimat zurückgekehrt, um die Geheimnisse der Vergangenheit zu erforschen und nicht, um Dinge zu lehren, die schon lange bekannt sind. "

Der junge Ritter nickte dem älteren Magier zu. “Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen. Seid Ihr Euch sicher mit Gratenfels? Denn die Prophezeiung spricht von ‘der Stadt der alten Könige’ und nicht ‘des alten Königs’. Auch wenn die Stadt natürlich ziemlich gut passen würde. Zusammen mit den Schwefelquellen und der Quelle der Tommel hätten wir drei gute Punkte um ein Suchgebiet abzustecken. Der Kamm des Berges wird dann wohl eine Erhebung im Kosch meinen. Relindis, deine Idee mit dem Bier oder dem Honig ist auch nicht schlecht, aber man kann es so schwer eingrenzen. Es gibt einfach zu viele Brauereien und Imker in der Region.” Seine Stimme hatte einen nachdenklichen Tonfall und seine Hand lag an der Stelle der Maske, wo man sein Kinn vermuten konnte. “Aber könnt ihr euch einen Reim auf die anderen Dinge machen, die in der Prophezeiung genannt werden. Wir haben doch keinen König der Könige, sondern eine Kaiserin und wer ist mit ‘dem Unergründlichen’ gemeint und was hat das mit den Augen auf sich? Vor allem die Zeile mit dem dritten Auge macht mich ein wenig stutzig. Sind damit vielleicht sogar Personen gemeint?” Geron sah in die Runde und hob entschuldigend die Schultern. “Leider kann ich nur mit Fragen dienen.”

“Nein, sicher bin ich mir nicht. Das ist das Problem mit Prophezeiungen. Sie sind immer vage und mehrdeutig. Allerdings hatte Hlûthar Nachfolger, die teilweise ebenfalls in Gratenfels residierten. Wir sollten alle Ideen in die Runde werfen und eine nach der anderen ausschließen, um der Wahrheit näher zu kommen. Der Einfall des Einen, mag den Anderen vielleicht auf die rechte Spur bringen. Unsere verehrte Rohaja ist aber seit der unseligen Hela-Horas die erste Kaiserin, wenn man von der Abspaltung des Horasreiches absieht. Der Unergründliche könnte sowohl auf Efferd, als auch Boron hindeuten, wobei Efferd auch eine Himmelsrichtung ist. Als ich vom flüssigen Gold las, kam mir ein Gedanke und Eure Frage jagte mir gerade einen Schrecken ein.” Seine Stimme wurde leiser. “Angeblich gibt es Menschen, die dem Widersacher dienen und als `Augen des Namenlosen` bezeichnet werden.” Schnell schlug er ein Abwehrzeichen mit der Hand. Dann sprach er wieder in normaler Lautstärke: “Doch gibt es auch Geschichten von besonderen Personen, die ein drittes Auge auf der Stirn tragen. Wir müssen unsere Ideen sammeln und dann abwägen, welche die richtigen sind.” Er wandte sich an Belsazar: “Gibt es noch weitere Hinweise? Wisst Ihr, wie alt genau die Prophezeiung ist?” Dann durchzuckte ihn ein Geistesblitz: “Foldenau habt Ihr gesagt? Der Mentor dort”, er zeigte auf den Geweihten mit der Rohalskappe am anderen Tisch, “ist Madasil Rondragoras von Dachswies. Ich glaube er erwähnte mal einen Ort namens Foldenquell. Ist das die Quelle eines Flusses in Schweinsfold?”

Interessiert schaute Geron hinüber zu dem Geweihten. “Tatsächlich? Dann sollte ich nachher mit ihm sprechen.” Die dunklen Brillengläser blickten wieder in Richtung Wolfholds und Geron lachte laut auf. “Da zähle ich fleissig Gewässer in den gesamten Nordmarken auf und den Folden lasse ich aus.” Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. “Ja, Foldenquell liegt noch in Schweinsfold, ganz in der Nähe zur Baronie Berg und dort entspringt auch der Folden.” Dann wurde er wieder ernst. “Was die Augen angeht. Die Beschreibung des dritten Auges lässt mich weniger an einen Diener des Dreizehnten denken, vielmehr an einen Anhänger des Widersachers unserer gütigen Herrin Travia. Was meinst du Relindis?”

Der dunkelhäutige Gelehrte nickte zufrieden. “Hesinde sei dank das ich im Tempel der Allwissenden gelandet bin. Ich hatte gehofft auf Leute zu treffen, die sich in den Nordmarken bestens auskennen. Leider hat es mich vorher noch nie hier her verschlagen. Nun Signora und Signores, ihr habt interessante Vorschläge und ich glaube auch, das die Begriffe so etwas wie Landmarken sind.” dann schaute er mit seinen sanften Augen zur Traviageweihten. “Beim flüssigen Gold musste ich auch an Honig denken und dabei viel mir ein Name auf … Honingen. Aber ich bin mir unsicher. Könnte es so einfach sein? Was meint ihr?” Die Frage war dann wieder an alle gestellt.

“Interessanter Ansatz. Soweit ich weiß steht dort der Heilige Tiegel. Sozusagen ein ewiger Quell von Honig. Dürfte ich vorschlagen Mentor Madasil hinzuzuziehen? Er kann Karten lesen und es wird sich hier sicherlich eine halbwegs aktuelle Karte der Nordmarken finden lassen.” "Eine Karte und einen in der Derographie Kundigen heranzuziehen erscheint mir in der Tat vielversprechend.” pflichtete Relindis bei. “Da der Vers von den beiden Augen des Unergründlichen die Strophe mit den anderen Landmarken vollendet, könnte ich mir vorstellen, dass mit dem Unergründlichen tatsächlich Efferd und mit seinen beiden Augen zwei größere Seen gemeint sein könnten.” Die junge Geweihte dachte laut weiter nach: “Liegen in den Nordmarken, eingerahmt von Honingen, Gratenfels, einer Flussquelle und einem Gebirgskamm vielleicht zwei, sogar mehr oder weniger kreisrunde Seen?” Ihr Blick ging zu Geron, der sich im Gratenfelser Becken ganz gut auskennen sollte, jedenfalls weit besser als sie. “Ob der fallende Stern dort irgendwo einschlagen wird?”

“Auf was mit dem dritten Auge gewiesen sein könnte, scheint mir dagegen viel schwerer konkret zu deuten. Sowohl Euer Gedanke zu den Dienern des Dreizehnten, hochgelehrter Herr, als auch Deiner Geron, dass ein Anhänger des Sähers der Zwietracht sein Unwesen treiben könnte, erscheinen durchaus schlüssig.” Relindis grübelte weiter.

“Jedenfalls fordert uns die Prophezeiung auf, dem fallenden Stern in diesen Tagen, in denen sich die Schlange in den Schwanz beißt, zu folgen.” setzte sie ihre lauten Gedanken zunächst in langsam gesprochenen Worten fort, um jäh, schwer Luft holend, zu stocken und dann weit hektischer und in höherer Tonlage fortzufahren: “Je länger ich darüber nachdenke, fürchte ich mehr und mehr, dass wir das nicht nur tun sollen, um das angekündigte Königskind zu finden - sondern dass dies eine Aufforderung ist, weil es erst und nur durch unser Tun überhaupt Hoffnung geben kann. Vielleicht müssen wir verhindern, dass dieses dritte Auge jenes Kind der Hoffnung tötet?”

Nacheinander sah sie Belsaszar, Wolfhold und Geron in die Augen, und alle konnten deutlich spüren, wie aufgewühlt Relindis war. Gütige Herrin Travia, welche Aufgabe hast Du uns nur auferlegt? Wolfhold räusperte sich: “Hoher Herr Foldenau, Ihr scheint mit Ihrer Gnaden vertraut zu sein, vielleicht...ähm...könntet Ihr sie kurz an die frische Luft führen, wir könnten wohl eine kleine Pause gebrauchen. Ich werde inzwischen den Mentor holen.” Die Augenbrauen des Angesprochenen schnellten nach oben und Geron wandte sich Relindis zu. In seinen Augen wirkte sie nicht so, als ob sie frische Luft bräuchte. Doch in solchen Sachen war er auch nicht unbedingt sehr bewandert. Etwas besorgt musterte er seine Base. “Wollen wir kurz frische Luft schnappen und uns die Beine im Park vertreten, bevor wir hier weitermachen?” Die Brillengläser fixierten die beiden Gelehrten am Tisch. “Vielleicht wäre das auch ein guter Moment um uns gleich mit dem passenden Kartenmaterial zu versorgen. Es würde unsere Überlegungen doch sehr erleichtern.” Insgeheim musste sich Geron eingestehen, dass ihn die Überlegungen, die gerade Relindis angestellt hatte, zutiefst beunruhigten.

"Macht Euch um mich keine Sorgen.” ließ Relindis verlauten. “Mir geht es soweit gut. Unsere Sorge sollte alleine unserer Aufgabe gelten…” In diesem Moment schlug Akka laut schnatternd mit den Flügeln und watschelte in Richtung Ausgang davon. Na gut… “Aber etwas frische Luft und einige Schritte, bis Ihr den Mentor und eine Karte herbeigeholt habt, hochgelehrter Herr, werden unseren Gedanken sicher nicht schaden. Ich komme gerne auf eine Runde mit Dir mit, Geron.”

Lächelnd bot Geron Relindis seinen Arm. Gemeinsam gingen sie der schnatternden Gans hinterher. “Deine Begleiterin kann ganz schön herrisch sein.” schmunzelte der Ritter, während sie hinaus in das helle Tageslicht traten. Geron blieb kurz stehen und genoss die wärmenden Strahlen der Praiosscheibe auf dem Gesicht. “Was für ein herrlicher Tag, findest du nicht?”

Gerne hakte sich Relindis bei Geron unter. "Akka weiß nur, sich bemerkbar zu machen. Und manchmal weist mir die Göttin über sie den Weg." Milde lächelnd sah sie ihrer Gänsefreundin hinterher, dann lachte sie. "Häufiger treibt sie aber auch nur ihr Hunger nach Gräsern oder Körnern - wobei selbst in diesem zuweilen Weisheit und Travias Fürsorge versteckt liegen mögen - so langsam könnte ich nämlich auch eine Kleinigkeit vertragen." Jetzt da sie es ausgesprochen hatte, pflichtete ihr Magen ihr knurrend bei, die letzte Mahlzeit lag länger zurück, als es einem klaren Denken zuträglich war.

Es war in der Tat ein schöner Tag - die Frühlingssonne gewann mehr und mehr an Kraft - hier in Elenvina schien der Götterfürst ohnehin immerzu höher zu stehen, mehr an Macht zu besitzen als im nördlichen Gratenfels. Nachdem sie ein Stückchen gegangen waren und sich sicher sein konnten, unter sich zu sein, sprach Relindis ihre Frage aus, die sie umtrieb, seit sie die Prophezeiung aus dem Munde Belsazars vernommen hatte: "Sag mal, weißt Du von einer Hochadligen oder einer anderen Frau, die als Königin bezeichnet werden könnte, und deren Niederkunft in Bälde bevorsteht?"

Geron schwieg geraume Zeit, tief in Gedanken versunken, doch dann schüttelte er langsam den Kopf. “Nein, leider nicht. Mir ist niemand von Stand bekannt, der in der näheren Zukunft ein Kind erwartet. Jedenfalls kann ich dir sagen, dass es nicht die Baronin von Schweinsfold ist.” Da sie alleine waren, nutzte er die Gunst der Stunde und nahm sowohl Brille als auch Maske ab. “Ah, das ist besser. Wenn die Leute nur nicht so abergläubisch wären, dann könnte ich mir das hier sparen.” seufzte Geron, doch trotzdem schenkte er Relindis ein breites Lächeln, bei dem auch kurz die Zähne aufblitzten. Da drang ihm ein Geruch in die Nase, der auch seinen eigenen Magen knurren ließ. “Hm, riechst du das? Frisches Backwerk. Es scheint, als hätte da jemand einen Stand aufgeschlagen.”

"Hmm." ließ Relindis Gerons Worte kurz sacken. "Wenn niemand von Stand ein Kind erwartet, werden wir wohl dem Stern folgen müssen, um zu erfahren, welches Neugeborene das uns verheißene ist." Endlich nahm Geron seine Maske ab. Natürlich war der Anblick erst einmal verstörend, vor allem, wenn man ihren Stiefvetter nicht kannte. Wer aber wusste, welch Mensch sich hinter dem verfluchten Antlitz verbarg, der vermochte nichts furchterregenderes darin zu entdecken wie in den häufig bluterunterlaufenen Augen und den Hauern der Goblins... gut, vor denen hatten auch viele Angst…

"Schön, Dir endlich direkt in die Augen sehen zu können. - Ja, die Leute wissen halt leider nicht, dass Sie sich vor Dir nicht zu ängstigen haben. Und auch wenn unsere Vorfahren dereinst aus dem Güldenland gekommen sind, von dem man sich erzählt, dass dort sogar aufrecht gehende, sprechende Raubkatzen durch die Straßen der Städte streifen, ist bei uns keiner den Anblick von etwas anderem als Mensch oder Zwerg gewohnt. Dabei ist doch das einzige furchterregende an Dir Dein beängstigend guter Geruchssinn. Aber jetzt, da Du es sagst, riech ich es auch. Komm, lass uns rasch etwas holen." Die Berichte von Katzenmenschen hatte Relindis vor einigen Jahren von ihrem entfernten Verwandten Vitrard bei einem seiner alljährlichen Besuche der Glashütte in Tannenfels erzählt bekommen. Er wiederum hatte diese wohl aus erster Hand von einem Güldenland-Rückkehrer vernommen.

“Wirklich? Aufrecht gehende Raubkatzen?” überrascht und beeindruckt von Relindis guten Kenntnissen der Frühgeschichte, sah Geron seine Halbbase an. “Vielleicht wäre es in jener Zeit einfacher für mich gewesen.” Mit routinierten Griffen befestigte er wieder die Maske und setzte die Brille auf. “Wir müssen über die kleine Brücke hinter dem Tempel und auf die Straße zum Stadttor.” erklärte er und bot Relindis wieder seinen Arm. Gemeinsam flanierten sie, begleitet von Akka über den Weg, dem stärker werdenden Geruch nach Backwerk entgegen. Kurz darauf standen sie auch schon vor einem kleinen Stand eines örtlichen Bäckers, der den auf Einlass am Tor wartenden etwas zum Essen anbot. Alles sah lecker und frisch aus und es roch verführerisch. “Was möchtest du haben? Ich lade dich ein.”

"Da sage ich nicht nein, vielen Dank! Ein Stückchen von diesem wunderschönen Kuchen da könnte mir sehr munden." Der noch dampfende, nach Honig duftende Blechkuchen lachte Relindis einfach unwiderstehlich an. Sie dankte Travia für diese köstliche Gabe und den schönen Moment mit Geron inmitten all der schicksalhaften Vorzeichen, die an den Nachthimmel geschrieben standen. Auch Akka schien sehr zufrieden, fand sie offenbar zwischen einzelnen saftigen Kräutern auch einige Brosamen, die der Wind oder weniger geschickte Esser dort abgeladen hatten.

“Wie wünschte ich, dieser Augenblick könnte noch ein wenig länger währen. Aber wir müssen eigentlich schon wieder zurück, fürchte ich.” stellte Relindis bedauernd fest. “Auf dem Rückweg musst Du mir aber unbedingt erzählen, wie es Onkel Hesindian, Alruna und den Zwillingen geht. Wie heißen die beiden denn eigentlich?” Geron hatte sich für eine Bretzel entschieden und bezahlte alles bei der Magd. Er wartete aber noch mit dem Verzehr bis sie sich weit genug von der Straße und den vielen Leuten entfernt hatten. Sobald sie wieder unter sich waren, löste er die Maske und biss herzhaft in das noch warme Laugengebäck. Ein zufriedener Ausdruck legte sich auf sein Gesicht, während er kaute. “Ja, das wäre schön, wenn wir noch etwas mehr Zeit hätten. Aber wir müssen herausfinden, wo das verdammte Ding runterkommen wird. Tante Alruna hat sich von Leuenhards und Eberwins Geburt gut erholt. Onkel Hesindian ist nun viel daheim um Tante Alruna zu helfen. Was auch notwendig ist, da sich meine Vettern dazu entschlossen haben ihren Eltern keinen Schlaf zu gönnen.” Er grinste. “Beide haben einen unterschiedlichen Schlafrhythmus.” Der Ritter aß das letzte Stück seiner Breze und machte sich daran, die Maske wieder festzuschnallen. “Aber, der gütigen Mutter sei Dank, trägt keiner der beiden Anzeichen für den Fluch.”

Nickend und in stillen, an Travia gerichteten Worten stimmte Relindis in Gerons Dank ein. "Gemeinsam durchwachte Nächte verbinden." gab sie danach grinsend zurück. "Ach, wie gerne ich die beiden gleich noch kennenlernen würde - Leuenhard und Eberwin." Sie ließ die Namen einen Moment nachklingen. Relindis liebte kleine Kinder ohnehin, und sie wollte unbedingt Onkel Hesindian und Tante Alruna zu ihren beiden Nachzüglern beglückwünschen. "Aber Du hast Recht." kehrte sie sogleich seufzend zum Anlass ihrer Begegnung zurück, "wir haben uns um einen fallenden Stern zu kümmern - auf dass die Verheißung in ihm wahr und dieser nicht zum Fluch werden möge."

Nach ungefähr einem Viertel Stundenglas standen die vier wieder um den Tisch. Bei ihnen war nun Mentor Madasil, der sich von einem der hiesigen Geweihten eine Karte hatte geben lassen, die er nun auf dem Tisch ausbreitete und an den Ecken beschwerte. Dann erklärte er der Gruppe, was auf der Karte zu sehen war, so dass sie sich die Nordmarken in klein gut vorstellen konnten. “Wenn ihr mit euren Theorien recht habt, dass es sich bei den genannten Begriffen um Ortsmarken handelt, dann haben wir hier Gratenfels, Xorlosch, Honingen und das Koschgebirge. Diese Linie stellt den Tommel dar. Wie ihr sehen könnt, gibt es zwei größere Seen, der eine in der Baronie Orgils Heim, der andere in Schweinsfold. Um weitere Seen auszumachen, bräuchten wir genauere Karten. Ihr habt von einem dritten Auge gesprochen, dass sich noch öffnen wird um Zwietracht zu sehen. Ich habe während meiner Ausbildung auch ein paar Schriften von Gesteinskundlern gelesen. Einige glauben, dass solche runden Seen, die wir auch als Augen deuten können, durch den Einschlag von Sternen auf Dere entstanden sein können. Wenn das wahr ist, dann wäre möglicherweise der Krater unseres Sterns dieses dritte Auge. Die Zwietracht käme dann ganz von allein, wenn alle versuchen sich ein Stück vom Stern zu sichern.” Der Geweihte schaute ernst in die Gesichter der Anwesenden. “Es muss also nicht zwangsläufig der Dreizehnte oder ein Erzdämon sein. Die reine menschliche Gier, wäre unser Feind. Und den kann man, wenn man will und mit Hilfe des wahren Glaubens, auch besiegen.”

Relindis wollte gerne daran glauben, dass die Warnung sich lediglich auf derart weltliche Folgen des Sternenniedergangs bezögen - die ersten Verse der Prophezeiung, in denen von zerreißenden Ketten die Rede war, ließen sie aber daran zweifeln. Doch wollte sie vorerst keine weiteren Schrecken an die Wand malen, sondern sich lieber gemeinsam mit den anderen dem viel konkreteren Enträtseln der Landmarken widmen.

“Mögen die Götter geben, dass es wirklich nur die Gier nach Reichtümern ist, die damit gemeint wurde.” meinte Geron leise. Eine Auseinandersetzung mit Buhlen des Dreizehnten oder der Gegenspieler der Götter war das Letzte was er suchte. Um den Gedanken zu verscheuchen beugte er sich über die Karte. Seine Augen huschten von Ortsmarke zu Ortsmarke. “Wenn die Ortsmarken das Suchgebiet eingrenzen sollten, dann ist es, Elenvina oder Xorlosch vorausgesetzt, riesig und umfasst das gesamte Gratenfelser Becken.” Hinter seiner Maske grinsend nahm er mehrere kleinere Alltagsgegenstände aus seinen Gürteltaschen und schnitt von einer Rolle Schnur zwei Stücke ab. Das eine Ende legte er, beschwert mit einem Feuerstein auf der einen und einen kleinen Schleifstein auf der anderen, so auf die Karte, das die Schnur gestrafft über Elenvina und der Tommelquelle lag. Die andere Schnur führte er von Honingen aus über die beiden Seen hinweg in den Kosch und zog auch diese straff. “Was haltet ihr davon?” Damit zeigte er auf den Kreuzungspunkt der beiden Schnüre, eine Hügelkette direkt an der Grenze zwischen den beiden Baronien Berg und Orgils Heim im Norden schloss sich auch noch Schweinsfold an, auch wenn es noch einige Meilen - zumindest auf der Karte - entfernt lag.

Aufmerksam hatte Relindis die aus ihrer Sicht sehr einleuchtenden Ausführungen Madasils und Gerons verfolgt und sich dabei langsam auch in die Karte eingesehen. Ihre darüber angestrengt zusammengepressten Lippen verrieten, dass sie in dieser Form der Darstellung nicht ganz so bewandert war wie Geron und die gelehrten Herren um sie herum. Beipflichtend nickte sie: "Du könntest recht haben Geron. Und selbst wenn man Gratenfels anstelle von Elenvina als die Stadt der alten Könige glaubt, mit dem Fluss statt der Tommel die Galebra gemeint ist, und auf der Karte die Inga-Kuppen viel eher an ‘den Berg’ erinnern als die Kette des Koschs, liegt die Kreuzung... darf ich kurz?" die junge Geweihte sah Geron fragend an. Als von diesem kein Widerspruch kam, arrangierte sie die Gegenstände auf der Karte rasch um, in dem sie jetzt Honingen mit der Quelle der Galebra verband und Gratenfels mit Xorlosch, von dem sie wusste, dass es unter dem höchsten Berg der Ingra-Kuppen verborgen liegen sollte, "genau... dann liegt die Kreuzung immer noch in der von Dir genannten Gegend, ziemlich exakt an der... das müsste doch die Foldenquelle sein, oder?"

Er trat näher an Relindis heran um besser sehen zu können. “Du hast recht, etwa dort befindet sich Foldenquell.” Wenn der Stern dort heruntergehen würde, wären die Bewohner des Orts in Gefahr und wenn er nur ein wenig abweichen und weiterfliegen würde, so könnte er in Foldenau aufschlagen. Sein Vater würde begeistert sein, vor allem von den Schatzjägern, die dann das Lehen unsicher machen würden. Der alte Herr von Foldenau liebte die Abgeschiedenheit und mit der wäre es dann vorbei. Sein Blick ging zu den anderen drei Männern am Tisch: “Was meint ihr dazu?”

“Interessant, Interessant, Signor.”, sagte Belsazar und schaute weiter grübelnd über die Karten. “Mir kam der Gedanke, wenn Honingen ein Wortspiel ist, sollte man nicht ´Dem Kamm des Berges´ genauer betrachten? Klar der Kosch hat wohl viele Kämme. Aber an welchen sollte angesetzt werden?” Nun zupfte er sich an seinem Kinnbart. “Aber recht habt ihr, es deutet alles auf diese Region hin …” sprach der Horasier mehr zu sich selbst.

“Vielleicht habt Ihr recht. Was, wenn damit nicht der Gebirgskamm gemeint ist, sondern,” Madasil deutete auf eine weitere Linie auf der Karte, “die Verbindung der beiden höchsten, also firunwärts gelegenen, Punkte der Baronie Berg, also diese Grenze hier? Und an dieser Ecke scheint auch der Folden zu entspringen. Gibt es in Schweinsfold ein Königsgeschlecht? Denn Elenvina, Xorlosch und Gratenfels fallen dann wohl wieder raus. Ebenso der See in Orgilsheim. Oder es ist eine Kombination, die auf das Gebiet innerhalb der Schnüre, die zuerst gelegt wurden, und oberhalb der Grenze Schweinsfold - Berg liegt.”

“Ein Königsgeschlecht gibt es meines Wissens nach nicht in Schweinsfold, noch eine hochgeborene Dame, die in Bälde ein Kind zur Welt bringen würde.” Ein plötzlicher Gedanke schoss ihm durch den Kopf. “Oder würdet Ihr die Lilienprinzessin aus der Sage dazu zählen? Nein, das ist lächerlich.” Amüsiert schüttelte der Foldenauer den Kopf. “Doch seid ihr gar nicht auf den Vorschlag ihrer Gnaden eingegangen, dass die höchste Stelle des Isenhag gemeint sein könnte. Doch auch auf diese Weise kämen wir wieder bei der gleichen Gegend heraus.” er deutete auf den Bereich um Foldenquell herum.

“Ihr habt recht”, er wandte sich Relindis zu, “ verzeiht mir Euer Gnaden, aber manchmal überschlagen sich meine Gedanken. Ihr habt uns einen interessanten neuen Blickwinkel offenbart. Beide Auslegungen verweisen auf das Gratenfelser Becken und scheint sich in Richtung Schweinsfold, Foldenquell zu konzentrieren. Gibt es etwas in der Prophezeiung, dass uns Gewissheit geben kann? Was wir eindeutig identifizieren können? Am anderen Tisch sprach ich mit Meister Hesindiard von Rickenbach. Seine Berechnungen deuten ebenfalls auf das Gratenfelser Becken und er sagte auch, dass es womöglich nur noch zwanzig Tage bis zum Einschlag sind, vielleicht auch nur zwei Wochen. Bis nach Herzogenfurt sind wir circa neun Tage unterwegs, wenn wir den Fluß nehmen und alle ein Pferd haben. Wir müssen uns wirklich sicher sein, insbesondere, wenn wir vorher noch evakuieren wollen bzw. müssen. Ich habe einen Cousin am Baronshof zu Herzogenfurt, wenn ich ihm eine Taube schicke, könnte er vielleicht mit der Baronin sprechen und Vorbereitungen treffen, aber dafür brauchen wir Gewissheit. Vielleicht sollten wir uns mit dem anderen Tisch zusammen beraten?”

“Es würden wohl eher 12 Tage sein, wenn wir den Fluss und dann den Halwartstieg nehmen würden. Schneller geht es wenn wir die Reichsstraße Richtung Honingen nehmen. Das kostet uns 8 Tage, wenn wir uns am Ende etwas sputen, 7 wenn wir die Tiere und uns nicht schonen.” Er deutete auf eine Linie, welche die Reichsstraße darstellte.

Könnte ´Grat´ und ´Fels´ für ´Kamm´ und ´Berg´ stehen? Dann könnte es Gratenfels bedeuten und dann wäre unsere vorherige Deutung gar nicht so falsch. Und die Seen wären auch wieder drin, gehen wir von einer ungefähren Mitte aus …” Vorsichtig lief der Horasier seinen Zeigefinger über die Karte gleiten.

“Findet Ihr das nicht ein wenig zu sehr an den Haaren herbeigezogen?” brummte Geron, der es nicht mochte, wenn man ihn unterbrach. Eigentlich hatte er noch etwas sagen wollen, doch was es auch immer gewesen war, der Gedanke war fort.

Bosparano war noch nie Relindis' Leib- und Magendisziplin gewesen, aber sie hatte ihre Lektionen hinreichend gut verinnerlicht, um die Deutung von Gratenfels als 'Kamm des Berges' wie Geron auch für sehr... herbeigewünscht... zu halten - als Verballhornung von Gratia Lapis, der 'Anmut aus Stein' hatte der Name Gratenfels inhaltlich eigentlich wenig mit einem Grat oder Kamm gemein. Aber vielleicht hatte der Verfasser den Garethischen Namen vor Augen, oder gar nur eine Weissagung aus dem Munde eines weniger gelehrten, aber von den Göttern beseelten Propheten verschriftlicht. Sie beschloss, Belsazars Deutung erst einmal so stehen zu lassen. "Wenn wir Gratenfels als 'Kamm des Berges' deuten wollen, so ist umgekehrt die Stadt der alten Könige wohl Xorlosch, denn welche Könige sind schon älter an Jahren als die der Angroschim? Wie man es dreht und wendet, scheint es immerzu auf die Gegend um Foldenquell hinauszulaufen… Ihr habt Recht - wir müssen umgehend die Baronin von Schweinsfold warnen - und Deinen Vater, Geron!" Die Sorge stand der jungen Geweihten deutlich ins Gesicht geschrieben. "Und wir müssen in der Tat hin, so schnell wie möglich, um den Menschen dort helfen zu können. Und das angekündigte Königskind zu finden und zu schützen."

Lang würde ihr Aufenthalt im hiesigen Travia-Tempel also nicht werden - wenn es überhaupt einen geben würde, der über ein Gebet und ein rasches Mahl mit Vater Winrich und ihren Mitschwestern und -brüdern, bei dem sie wohl viel zu erklären hatte, hinausging. Oh gütige Mutter, was hast Du nur mit Deiner Dienerin, mit uns allen vor?

Nun meldete sich der Magier wieder zu Wort, der eine Weile interessiert zugehört hatte: “Was ist denn das eigentlich für eine Lilienprinzessin?” Auch Belsazar ließ den Finger von der Karte und erhob nun auch neugierig den Kopf und schaute Richtung Geron. “Lilienprinzessin?” murmelte er vor sich hin.

Bei der Erwähnung seines Vaters zuckte der Ritter kurz zusammen, doch schob er das drohende Gespräch mit diesem erst mal beiseite. “Du hast recht, Relindis.” Dann sah er zu Madasil. “Ich würde vorschlagen, wir kontaktieren Euren Vetter per Taube, wie Ihr vorgeschlagen habt. Zusätzlich schicken wir einen Botenreiter mit entsprechenden Nachrichten zur Baronin und zu meinem Vater. Das Lehen meiner Familie liegt nämlich im Zielgebiet.“ Fragend sah er sich in der Runde um, dann fuhr er fort. “Bei der Lilienprinzessin handelt sich um eine beliebte Sage, die aus Herzogenfurt stammt. Die Lilienprinzessin war eine Fee, die sich in einen Mensch verliebte und ihre Unsterblichkeit aufgab um mit ihm gemeinsam zu leben. Angeblich haben sie sich an dem kleinen See im Lilienpark, das ist der Stadtpark von Herzogenfurt, kennen und lieben gelernt. Wenn wir in Herzogenfurt sind, kann ich ihn euch zeigen.” Langsam spürte er ein nur allzu vertraute Ziehen und begann unruhig den Tisch zu umkreisen.

“Eine Fee. Interessant. Nun eine Botentaube sollte nicht das schlechteste sein, Signor. Ich hoffe nur, das ihr recht habt … aber es scheint alles darauf zu deuten. Nun wir haben nur ein Versuch.” Der dunkle Gelehrte schien bestätigt, aber noch nicht ganz überzeugt. Madasil wollte gerade antworten, als das Erklingen eines Glöckchen alle aufhorchen ließ.

Am Tisch der Ahnenden

Der Tisch, der in der nebengelegenen Nische zwischen Ghaszbar und Belsazar lag, glich einem einzigen Chaos. Pergamente, Bücher und eine Menge Schutzamulette lagen darauf wild verteilt, sogar ein alter Streitkolben lag dazwischen. Meister Melchior Praiotreu, war Kriegschronist seines Zeichens und stand im Dienste des Grafen von Gratenfels. Der greise Mann hatte einen eisernen Topfhelm auf dem Kopf, trug ein rasselndes Kettenhemd und sein Gürtel zierte eine Sortiment an Dolchen. Das Gesicht wirkte verlebt, leicht eingefallen und sein weißer Bart hing fädig herab. Eine Augenklappe mit dem Wappen der Nordmarken darauf gestickt, bedeckte sein linkes Auge. Nervös schaute er in die Runde und winkte die Zuhörer verschwörerisch näher, als ob er befürchten würde, belauscht zu werden.

“Als junger Mann hatte ich nicht viel darauf gegeben, obwohl mir damals schon das nächtliche Flackern am Sternenhimmel aufgefallen war, vor und nach jeder Schlacht. Doch erst in den letzten Jahren ist mir ein Licht aufgegangen. Je größer die Schlacht, je schlimmer der Krieg, desto größer das Flackern oder fallen der Sterne. Rondra, oder einer der Zwölfe warnt uns immer!” Wie wild begann er in seinen Aufzeichnung auf den Tisch zu wühlen und zog vereinzelte Pergamente vor.

“Hier schaut, ich hab alles aufgeschrieben! Der rote Stern über der Trollpforte: Borbarad! Oder der Stern von Selem … ist zwar schon tausende Jahre her, aber ein Freund von mir hat mir verraten, das wohl die Götter hinter standen, den die Krötigen hatten wohl Krieg. Die Sphärenbeben ... Der Sternfall bei Arivor. Da hat der Haffax Perricum angegriffen! Und … und”, nun wühlte er weiter, bis er ein Büchlein fand und aufschlug.,”hier hab ich die kleinen Schlachten notiert und der Himmel hat Zeichen gegeben.” Nun griff er zu dem Streitkolben und hob ihn hoch. Sein Blick mit seinem einzigen Auge fixierte nun jeden der Zuhörer. “Das was in den Nordmarken runterkommt, ist wie Arivor. Etwas wird sich Sammeln und Angreifen! Sagt, ob ich mich irre.”

Nur zu gerne hätte Radulf von Lîfstein Melchior im Brustton wahrer Überzeugung gesagt, was dieser hören wollte. Dass er sich irrte. Um Melchiors, seines alten Bekannten willen, auf den er so große Stücke hielt. Um der Nordmarken und insbesondere der Landgrafschaft Gratenfels willen, denn wenn es ein Angriff von außen sein sollte, dann wohl nur von den Orks oder den ewig untreuen Alberniern, und die Wucht beider würde am ehesten seine Heimatgrafschaft treffen. Und nicht zuletzt auch um seiner selbst willen, denn die Sorge um das, was da kommen konnte, kommen würde, raubte ihm den Schlaf.

Wenn Sternbilder sich neu fügten und Sterne fielen, bedeutete dies nichts weniger, als dass die vom Herrn Praios wohlgefügte göttliche Ordnung in Bewegung geraten war, sich im schlimmsten Falle auflöste und etwas neuem Platz machte, das nicht zwingend besser sein musste. Was am Himmel geschah, konnte nicht ohne Auswirkungen auf dem Derenrund bleiben. Neue Ordnungen aber, das lehrte die Geschichte, formten sich immer auf den Trümmern der alten Welt, genährt von den Leibern der Erschlagenen und getränkt vom Blute vieler Unschuldiger. Das Gesicht des Magus und Junkers von Lîfstein wirkte abgehärmt und dadurch älter als die Mitte Fünfzig, die er tatsächlich war - zu oft hatte er zuletzt in den Nachthimmel geblickt und danach einsam die schwarzen Stunden durchgegrübelt. Die dunkel unterlaufenen Augen und die Runzeln auf seiner hoch gewordenen Stirn, deren Buchten inzwischen tief ins kurz gehaltene grau-dunkelbraun-melierte Haar vordrangen und sich bald mit der wachsenden Tonsur vereinigen würden, kündeten nur allzu beredt davon - anders als seine zusehends hängenden Mundwinkel, die von einem wohlgepflegten, unterhalb des Kinns spitz auslaufenden Vollbart kaschiert wurden. Die schlicht gehaltene, graue Reiserobe, ganz dem Codex Albyricus entsprechend aus Leinen gefertigt und nur durch etwas dunkler abgesetzte Säume, in die die Symbole der Bewegung, des Ursprungs, des Wegs und des Ziels gestickt waren, sowie den auf der linken Brust schreitenden, goldenenen und rot-bewehrten Greifen von Lîfstein geschmückt, tat farblich ihr Übriges zu diesem Eindruck. Gehalten wurde sie von einem ledernen, wie auch seine leichten Stiefel schwarzen Knotengürtel, dessen vergoldeten Beschläge ebenfalls das Wappentier seines Hauses zeigten und die Verbundenheit Radulfs zum Götterfürsten betonten. Sein spitzer, konservativ mit schmaler Krempe ausgeführter Hut hatte gerade so noch auf dem ansonsten voll liegenden Tisch Platz gefunden.

Gestützt auf einen etwas übermannhohen, aus dem Kernholz der Steineiche gefertigten und am oberen Ende zu einer Spirale ausgeformten Zauberstab, in dessen silbernen Kopfbeschlag eine kleine Bernsteinkugel eingelassen war, hatte Radulf schweigend den Ausführungen Melchiors zugehört. Sie waren das kleinste Grüppchen - wer in erwartungsfroher Neugier von göttlichen Fingerzeigen sprach, gar naiven Heilsbotschaften nachhing (dass da die junge Tannenfels mit ihrem lauten Federvieh zu finden war, sprach wieder mal Bände - nicht einmal in Elenvina und dort in einem Hort der Gelehrsamkeit hatte man seine Ruhe vor diesen impertinenten Innerwäldlern, deren Tun ihm bereits in Ambelmund ein steter Dorn im Auge war) oder nur nach den Reichtümern, die dem fallenden Stern innewohnten, gierte, fand offensichtlich weit mehr offene Ohren als der, der die offensichtlichen Warnungen der älteren wie auch jüngeren Geschichte zu deuten wusste.

"Ich fürchte, Ihr irrt Euch nicht, Meister Melchior, und ich kann nur hoffen, dass Eure Worte Gehör finden in denjenigen Kreisen, die diese vernehmen sollten. Wenigstens der Graf wird ihnen zweifelsohne die Bedeutung beimessen, die diesen zukommt. Habt Ihr ihm bereits berichtet?" In Bezug auf andere wichtige Adlige war Radulf bedeutend weniger guter Dinge, nicht, wenn diese allgemeine Warnung nicht mit Hinweisen auf eine ganz konkrete Bedrohung unterfüttert werden konnte. "Habt Ihr eine Ahnung, wer es ist, mit dessen Schlag wir rechnen müssen, gegen den wir uns rasch und mit aller Kraft wappnen müssen?"

Auch die Magistra Caya von der Aue fand sich am Tisch des Kriegshistorikers. Die hochgewachsene Frau trug wie stets einen Gambeson zu ihrer schlichten, doch Standesgemäßen, weißen Robe und war mit einem einfachen, geraden Stab und einem Bannschwert bewaffnet. Alles an ihr machte einem Gegenüber klar, das sie sich ihrer Haut zu erwehren wusste - mit allen Mitteln! Nach dem Haffax-Feldzug war die Magierin aus dem Königreich Garetien in die Nordmarken gekommen, angeheuert vom Gemahl der jungen Baronin von Vairningen. Er war es auch gewesen, der ihr die Anstellung an der Akademie bezahlte und dafür Sorge getragen hatte, dass sie die mehrere Monde im Götterläuf Zeit für Forschungen hatte. Das man ihr an der Akademie anfänglich unterstellt hatte, dass ihr Posten gekauft war, war ihr dabei herzlich egal gewesen. Ihr durch und durch militärisches Auftreten und die ebenso geprägten Lehrmethoden, sowie einige Demostratios hatten schnell für Ruhe gesorgt. Doch auch wenn sie heute in den Nordmarken lebte, so fühlte sich die Kampfmagierin dennoch dem Reich verpflichtet. “Die Hinweise erscheinen mir sehr vage, gibt es eine Möglichkeit mit Hilfe der Vorzeichen Eingrenzungen vorzunehmen?” Keinem war geholfen, wenn ein Flackern am Sternenzelt einen Schlacht voraussagte, dabei aber keine Informationen lieferte wo diese ausgetragen werden würde. Der Blick ihrer hellgrünen Augen durchbohrte Melchior förmlich, wobei ihr kurz gehaltenes blondes Haar sie nur noch mehr wie eine Militärangehörige erscheinen ließ.

Melchior legt den Streitkolben wieder auf den Tisch. “Ich weiß, ich weiß. Das hört sich vage an. Aber ich bin ja auch kein Sternkundler. Ich kann nur von meinen Erfahrungen und Beobachtungen sprechen. Immerhin bin ich mir sicher das es in unser Herzogtum runterkommt. Und wer weiß”, nun schaut er sich kurz um und sprach dann leise weiter,” vielleicht wissen es bestimmte Leute schon und halten es vor uns geheim. Nord- gegen Südnordmarken vielleicht? Oder die Goblinbrut aus den Wäldern? Oder die Andergaster? Die Albernier trau ich auch einen Feldzug zu.” Dann wurde die Stimme des Alten noch leiser. “Hlutharswacht? Kaldenberg? Nun, ich denke der gefallene Stern deute direkt drauf oder ist das Startzeichen. Genaueres wissen wir nur wenn wir folgen …”, vorsichtig rieb er an seinem eisernen Helm.

Reichlich vage, aber dennoch waren die himmlischen Warnzeichen nicht von der Hand zu weisen. Und sie waren noch am Anfang ihrer Untersuchungen. "Die Andergaster halte ich für unwahrscheinlich - die sind so in die Nostrier verbissen, dass sie noch nicht einmal merken - oder merken wollen, wenn ein Orkheer mitten durch ihre Lande zieht." erinnerte sich Radulf an den letzten Einfall der Schwarzpelze, dessen Wucht den Göttern sei Dank die Nordmarken verfehlte und stattdessen die aufrührerischen Albernier traf. "Wenn die Gefahr von Norden kommt, dann direkt aus dem Orkland. Vielleicht auch über Tommel oder den großen Fluss in Gestalt der götterlosen Thorwaler. Aber nicht die Andergaster. Nord- gegen Südnordmarken glaube ich auch nicht - nicht direkt. Eher schon an einen neuerlichen Aufstand der Albernier gegen das Reich. " Der Magier senkte die Stimme. " Oder eine Revolte unzufriedener Baronien gegen den Landgrafen." Der Winter war hart, und manch einer mochte die praiosgegebene Steuer- und Treuepflicht als vermeintlich ungerecht empfinden. Als ob der Graf etwas für die Misswirtschaft in einigen der Baronien konnte. Außerdem schienen es nicht wenige der Adligen - war schon seit langem sein Gefühl - mit der Treue den Zwölfen gegenüber nicht ganz so vorbildlich zu halten, wie der in derlei Hinsicht untadelige Graf. Gerade auch in seiner Baronie hegte er größtes Misstrauen - der Baronin, aber noch mehr den Edlen im Tann gegenüber, die einen schlechten Einfluss auf die Landesherrin und die Geschicke der Baronie ausübten. Ein ungeheurer Verdacht, den er nicht laut aussprechen würde - noch nicht. "Die Goblinbrut wird sich sicher nicht als erstes erheben, dazu sind sie zu feige und hinterlistig. Wenn aber ein anderer Feind sich von innen oder außen gegen die Nordmarken wendet und die grobe Drecksarbeit für sie erledigt, wird sich dieses Pack sicher auch schadlos halten - eine Schande, wie wenig stellenweise gegen diese Bedrohung getan wird.” Radulf hielt kurz inne und sinnierte still vor sich hin. Als seine Gegenüber schon glaubten, er habe geendet, fuhr er jäh fort: “Wer weiß, vielleicht entflammt sich auch ein Streit um den Stern selbst - seine Metalle sind von hohem Wert, und nicht jeder sieht ein, wem ein solcher Schatz nach Recht und Gesetz gehören sollte. Je nachdem, wo er einschlägt, mag sich daraus schlimmstenfalls sogar ein Waffengang entwickeln. Und angesichts des ganzen toten Holzes, das in unserem Lande und dessen Nachbarschaft herumliegt” er dachte dabei an seine vorherigen Überlegungen, “kann aus einem solchen Feuer schnell ein Flächenbrand werden. Doch sagt, was hat es mit Hlûtharswacht und Kaldenberg auf sich?"

Die Magistra hingegen schien nicht überzeugt, in den meisten Fällen handelte es sich lediglich um Vorurteile die einige engstirnige Geister noch immer plagten. Albernia wird wieder Abtrünnig, scheinbar war der Gelehrte nicht in der Lage die aktuellen politischen Geschehen zu verfolgen. Doch der Fürst der, im freundschaftlichen Wettstreit mit dem Herzog der Nordmarken, sich als Ritter von Ehre auf dem Mendena-Feldzug schlug, wird mit einem weiteren Aufstand nicht riskieren, dass das Haus Bennain das Fürstentum verliert und das wäre die logische Konsequenz eines weiteren - zum Scheitern verurteilten - Versuches. Rotpelze? Die waren der Rede nicht wert. Gesindel das sich an den Schwachen verging, doch keinen Konflikt lostreten vermochten. Auch ein Streit zwischen Hlûthars Wacht und Kaldenberg, wäre keiner Warnung der Götter würdig. Wenn jedes mal, wenn sich zwei Baronien befehden ein Stern vom Himmel fiele, dann wäre Almada inzwischen eine Kraterlandschaft. Auch die Thorwaler hatten sich zuletzt lieber auf den Handel, als auf die dauerhaft weniger lukrativen Beutezüge besonnen. Alles in allem blieb lediglich der Ork als logische Bedrohung und dafür bedurfte es keiner erneuten Warnung. Seit dem letzten Orkensturm ist es sehr lang ruhig um die Schwarzpelze geworden. Zahlenmäßig müssten sie sich gewappnet haben, während das Reich auf dem Haffax-Feldzug viele gute Recken verloren hat und sich zudem das Herz des Reiches derweil in einer blutigen Fehde erging. Das Mittelreich war geschwächt und würde der Ork kommen, hätten sie wenig entgegenzusetzen.

“Gerüchte besagen, dass die beiden Häuser sich angehen wollen. Aber vielleicht schwappt auch der Zwist aus Garetien rüber. Oder,” nun hob Melchior seinen Zeigefinger,” es ist etwas ganz anderes, unerwartetes.” Wieder strich er sich wieder über den Eisenhelm. “Ich weiß ja ...vage Vermutungen, aber glaubt mir, da Bahnt sich was an.” Nun ließ der alte Mann seine Schultern senken und schaute seine Zuhörer fast schon flehend an. Das Erklingen eines Glöckchen ließ alle aufhorchen.

Eine Stimme vor der Göttin

Nach einer langen Zeit der Diskussion erfüllte das Heiligtum ein unerwarteter Duft: ein deftiger Geruch nach Kohl und Speck. Kaum das die ersten Nasen darauf reagierten erschallte der Klang eines Glöckchens in der Halle. “Meine lieben erhellten Geister und Denker, ich bitte euch alle nach vorne zu kommen und uns vor der weisen Göttin Hesinde zu versammeln.” Die Stimme des Tempelvorstehers Elador Thedon war laut und bestimmend. Der Hohe Lehrmeister hatte rotbraune Haare, blaue, leuchtende Augen, war glatt rasiert und mit einem feinen Wohlstandsbäuchlein ausgestattet. Gekleidet war er in einem traditionelles Wickelgewand aus grünen und goldenen Stofflagen, einen Schlangenhalsreif und eine grüne Rohalskappe mit goldenem Reif. Mit beiden Händen in die Hüften gestützt wartete der Geweihte bis sich alle versammelt hatten. Zwei Novizen begannen damit, jedem eine Holzschale mit einem Löffel, gefüllt mit einem dampfenden Eintopf, in die Hände zu geben. “Nun, das Disputieren und Denken macht auch hungrig. Ich habe mir erlaubt für Versorgung zu sorgen. Vater Winrich aus dem Gänsetempel hatte heute wieder seine Küche offen. Speck in Kohlsuppe. Mit besten Wünschen.” Nun setzte Elador ein breites Lächeln auf. “Eure Stimmen vor der Göttin blieben nicht ungehört und da kam mir ein Einfall.” Nun nahm er beide Hände zusammen. “Ein jeder mag eine andere Meinung oder Idee haben, was der Sternenfall bedeuten könnte. Sicher ist jedoch, das ´ER´ kommt und das ´Wir´ ihn finden sollten. Und deshalb werde ich diese ´Mission´ unter den Segen Hesinde stellen. Gemeinsam solltet ihr aufbrechen.” Der Tempelvorsteher machte eine kurze Pause und knetet sich dann ein wenig die Hände. “Allerdings sind unsere Ressourcen … bescheiden und ich befürchte, wir müssen alle zusammenlegen.” Vorsichtig ließ er seinen Blick über die Gruppe wandern. Selbst die etwa vier Schritt große Statue der Hesinde, dargestellt als barbusige Frau mit einer Schlange in Händen, schien abwartend auf die Gruppe zu schauen. Überraschenderweise war es der Norbarde Ghazbar der als erstes seine Stimme erhob. “ Ay, eine gute Idee, euer Hochwürden. Ich stelle meine Suche gerne unter die Hände Heshinjas! Und ich glaub wir müssen uns nicht viel Sorgen machen. Die leckere Valeria hatte schon finanzielle Unterstützung aus ihrer Meschpoche, ihrer Familie, vorgeschlagen.” Dann zupfte er sich an seinem schwarzen Schnauzer und deutete auf die Geweihte der Rahja.

Die Ereignisse überschlugen sich und Valerias Gefühlswelt geriet beinahe aus den Fugen. Nun würden sie wirklich alle zusammen nach dem Stern suchen. Die Schatzjäger neben den Götterdienern und den Propheten. Eine große Gruppe, in der wohl ein jeder sein eigenes Ziel verfolgte. Und genau darin lag das Problem. Es war schon schwer wenige Personen zu übervorteilen - bei dieser riesigen Gruppe voll mit gebildeten Menschen war es schier unmöglich. Und dennoch musste sie am Ende der Unterhaltung lächeln. Ghazbar hatte sie unwissend in eine Position der Stärke manövriert, die sie über die anderen Suchenden hieven könnte, wenn sie die Karten richtig spielte. Allem Anschein nach fehlten den Anwesenden die nötigen finanziellen Mittel für die Suche und viel Zeit diese aufzustellen gab es nicht mehr. Ihre gut betuchte Familie betrieb ein Kontor in der Capitale und ihr Onkel Rahjaman würde seinem ´kleinen Mädchen´ bestimmt keine Bitte abschlagen können. Selbstsicher sah sie sich unter den Anwesenden um. "Das stimmt ...", bestätigte sie, begleitet von einem süßen Lächeln, "... meine Familie würde bestimmt sehr gerne in unsere ... göttergefällige ... Unternehmung investieren, doch ist mein Onkel ein Geschäftsmann. Er würde wahrscheinlich eine Beteiligung am ... Ergebnis ... unserer Suche verlangen. Wenn Ihr möchtet stelle ich sehr gerne einen Kontakt zu ihm her."

Ronan lächelte. “Wenn es um das schnöde Gold geht, meine werten Sternensuchenden, daran soll es nicht scheitern.” Das Lächeln wurde etwas breiter. “Gegen eine zu verhandelnde Beteiligung an den Fundstücken, versteht sich.” Ein Seitenblick, lächelnd, spielerisch, traf Valeria. “Und auch ich bin hier und jetzt vor Ort.”

"Umso besser …", log sie und hatte ihr Lächeln dabei nicht verloren, "... dann gäbe es ja schon zwei mögliche Geldgeber. Mein Onkel ist unweit von hier an der Herzogenpromenade, also de facto auch vor Ort." “Finden sich denn sonst noch etwaige Geldgeber? Und wir sollten uns über Quoten unterhalten. Die Plackerei werden ja schließlich wir haben - Geld hin oder her”, ging Rhodan dazwischen - hoffentlich verteilte sich der Einfluss auf möglichst viele Schultern.

Während er sich die Suppe einverleibte, die er sich auf seine Schale geschaufelt hatte, dachte Alrik nach. Er hatte nicht viel beizusteuern - monetär. Aber er hatte das beste Ass auf seiner Hand: Den Alten. Dessen Wissen manche unterschätzten. Und dessen unfassbare Sturheit die wenigsten kannten. Wenn der Gelehrte bockig war, war er wie eine Schatztruhe: Mit Wissen, das nur dem zugänglich war, der sein Schloss bedienen konnte: “Wäre es nicht am besten zunächst zusammenzutragen, was gebraucht wird und was wir bereits haben, ehe wir darüber sprechen, wer wieviel Geld beizusteuern bereit ist?” Merkte er darauf an. “Meister Hesindiard und ich waren kürzlich auf einer ausgedehnten Expedition im Osten. Ohne dass wir zuvor viele Dukaten eingeworben hätten.” Er schluckte den nächsten Bissen seiner Suppe hinunter: “Und wenn wir am Ende 3 Fernrohre haben, was nutzen sie uns dann mehr als eines es tut? Was nutzen uns Beobachtungen, wenn niemand da ist, der die Informationen zu verwerten weiss? Was nutzen uns zwei Dutzend Lasttiere, wenn wir nur eine handvoll brauchen?” Er zuckte mit den Achseln und widmete sich wieder gänzlich der Mahlzeit, wobei er weiterhin sehr genau zuhörte.

Der geschäftstüchtigen Rahjani war nicht klar was genau für ihre Unternehmung gebraucht wurde. Deshalb war der Gedankengang des Lakaien schon auch nachvollziehbar. Charmant lächelnd sah sie sich unter den anderen Teilnehmern um. Im Endeffekt war es Valeria wichtig, dass ihr Stück vom Kuchen so groß wie möglich sein würde. Dass sich das Geldsäckel ihres Onkels anbot, um sie für das Vorhaben der Gruppe unverzichtbar zu machen, war dabei ein glücklicher Zufall. Die Rahjadienerin war von einer Machtpolitikerin ausgebildet worden - sie wusste was sie wollte und wie man es bekam. Auch wenn sie bestimmt ein jeder hier unterschätzen mochte.

Schmunzelnd beugte Geron seinen Kopf nahe an Relindis Ohr heran. “Glaubst du, sie haben bedacht, dass der Stern, so er denn wirklich aufschlägt, in diesem Falle erst mal dem örtlichen Adligen gehört, auf dessen Lehen er zu liegen kommt?” stellte er flüsternd seine Frage. Der Gedanke mit den anderen Gruppen zusammen in seiner Heimat ‘einzufallen’ gefiel ihm nicht. Wäre es schon schwierig seinem Vater von der Notwendigkeit der Anwesenheit seiner kleinen Gruppe zu überzeugen, würde es schier unmöglich werden, wenn es um alle Gruppen ging. Doch was konnte er tun? Dann stieg ihm der Geruch des Essens in die Nase und prompt knurrte laut sein Magen.

Relindis musste ebenfalls ganz kurz schmunzeln, weniger wegen des Geschehens oder des Verhaltens der anderen, das sie alles andere als erheiternd empfand, als vielmehr angesichts des so rasch wieder erwachten und deutlich vernehmbaren Appetits Gerons - sie konnte aber auch schon bald wieder etwas vertragen. Sogleich aber war das Lächeln verweht und die Geweihte wurde wieder ernst. "Viele hier scheinen über alle Maßen darauf versessen darauf zu sein, den Stern selbst oder dessen Trümmer zu finden und ein Stückchen davon abzubekommen." flüsterte sie, nicht allzu leise, zurück. "Vielleicht mag er wertvoll sein, ohne Zweifel ist er das, sogar sehr...," ohne sich dessen bewusst zu sein, wurde ihre Stimme lauter und auch unter den Umstehenden zusehends deutlicher vernehmbar, "... aber sollte alle hier, von edlem Geblüt zudem, nicht viel mehr umtreiben, was uns die Götter mit diesem sagen wollen, wohin sie uns den Weg weisen? Und wie es den Menschen unmittelbar dort ergeht, wo der Stern aufschlägt?" Sie musste an die Erzählungen aus Arivor denken, die auch bis nach Gratenfels vorgedrungen waren, und fröstelte bei dem Gedanken daran, dass ähnliches auch den Leuten in der Gegend um Foldenquell herum blühen könnte. Relindis konnte nur hoffen und wollte daran glauben, dass im unmittelbaren Angesicht von Zeichen und Wundern, oder aber auch in der Konfrontation mit einer Katastrophe, so es zu einer käme, das beste im Menschen, der göttliche Funken, der in jeder Seele wohnte, obsiegen würde, und nicht niedere Antriebe wie Selbstsucht und Gier. Und wenn diese allzu menschlichen Schwächen zunächst dabei halfen, diese Expedition auf die Beine zu stellen, mochte selbst darin noch etwas Gutes schlummern... wenn sie nur rechtzeitig überwunden wurden. Vielleicht lag darin die Aufgabe, die ihr die Göttin aufgetragen hatte… Gut, dass Geron auch dabei war.

Als er ihr Frösteln bemerkte, fasste er sie sanft bei den Schultern und sah ihr direkt in die Augen. Auch wenn er die Brille aufhatte, so konnte sie doch seine Augen und den Ausdruck darin erahnen. Mit ruhiger Stimme sprach er auf sie ein, versuchte sie zu beruhigen: “Die Götter werden die Leute dort behüten. Außerdem, es werden nicht nur nach Schätze suchende Id… Glücksritter dort sein, sondern auch wir. Also können wir auch versuchen die Leute in Sicherheit zu bringen. Und wir haben doch schon beschlossen Boten vorauszuschicken um die Baronin und meinen Vater zu warnen, damit diese entsprechende Maßnahmen ergreifen können.” ‘Entweder würden sie der Aufforderung seines Vaters Folge leisten oder zumindest seiner Schwester, Khorena, deren Worte ein großes Gewicht bei den Bewohnern des Landstrichs haben. Wenn sie denn richtig lagen mit ihrer Deutung. Er hoffte immer noch auf einen Irrtum.

Ja, es war wirklich gut, dass Geron dabei war. Dankbar erwiderte sie seinen Blick und nickte. Die Götter und besonders auch die gütige Mutter meinten es wohl mit den Menschen, daran zweifelte sie nicht im geringsten. Dennoch geschahen Katastrophen wie jüngst die Zerstörung Arivors. Umso wichtiger war es, dass treu im Glauben stehende Menschen alles daran setzten, zu verhindern, was zu verhindern war, und zu helfen, unvermeidbares Leid zu lindern. Im Zweifel sollten sie die Werkzeuge der guten Götter sein, die mit dafür sorgten, dass der Stern, der doch eigentlich den Weg zu einem verheißenen Kindlein weisen wollte, nicht zugleich Menschen ins Verderben riss. Und, dass die Verheißung sich erfüllen konnte. Relindis nickte nochmals, dieses Mal bestimmter. Und als ob Travia sie bestätigen wollte, nahm sie in ihren zuletzt stillen Austausch mit Geron hinein Gesprächsfetzen eines neben ihnen geführten Gesprächs auf, Worte Madasils, die offenbarten, dass sie mit ihrer Haltung nicht alleine da standen.

“Und schon beginnt die Zwietracht”, raunte Madasil Wolfhold zu, bevor er das Wort ergriff: “Verzeiht bitte meine Unwissenheit, aber ich habe als Kind die Nordmarken verlassen und bin erst kürzlich zurückgekehrt. Welchen edlen Häusern dürfen wir”, er macht eine ausladende Geste, die alle Anwesenden mit einschloss, “denn für diese großzügige Spende danken?” Das Wort Spende hatte der Mentor bewusst gewählt, die phexischen, wenn nicht gierigen, Worte der beiden potentiellen, und womöglich weiterer, Geldgeber ignorierend. “Ich würde es eher eine Investition nennen, Euer Gnaden”, meinte Valeria, begleitet von einem Lächeln, welches das ewige Eis zu schmelzen vermochte. Ronan lächelte bei dieser Formulierung.

Auch Madasil lächelte: “Investition? In was? Höchstwahrscheinlich wird der Stern bewohntes Gebiet treffen. Anstatt an Profit sollten wir doch eher an die Menschen denken, die unsere Hilfe brauchen, vor und nach dem Einschlag. In Arivor lebten gut 12.000 Seelen, vermutlich waren es tausende mehr, als das Unglück geschah. Die Stadt wurde fast vollständig zerstört. Ich finde Profit ist das Letzte, woran wir gerade denken sollten. Findet Ihr nicht auch, Euer Gnaden?”

Ronan nickte, neigte aber den Kopf gleichzeitig hin und her. “Euer Gnaden, Diener der weisen Schlange.” Sein südländischer, offenbar tulamidischer Akzent trat hervor. “Ich war in Arivor. Nach dem Unglück, ihr Götter bewahrt. Und habe soweit es mir möglich war, den Einschlag und die Ursache der Zerstörung untersucht.” Sein Blick war ernst, er lächelte nicht. “Nicht der Einschlag eines vom Himmel gefallenen Sternes brachte die Vernichtung dieser horasischen Metropole. Sondern der ausgehöhlte und poröse Boden, auf dem sie errichtet worden war. Der Einschlag selbst löste lediglich eine Kaskade an Ereignissen aus, welche letztlich zur Zerstörung Arivors führten.”

“In der Tat muss es ein Zeichen der wohlmeinenden Götter sein,” mischte sich Relindis von Seite in das Gespräch ein, “dass sich hier so viele gelehrsame und gelehrte Menschen guten Herzens, besonders auch ihrer Diener” - die letzten Worte betonte die junge Geweihte besonders - “zusammengefunden haben. Was anderes sollte ihr Wille sein, als nicht nur ihr Zeichen zu deuten, sondern auch mit all den versammelten Fertigkeiten ein größeres Unglück zu verhindern und den Menschen zu helfen, falls es doch zu einem kommen sollte.”

“Höchstwahrscheinlich wird der Stern in bewohntes Gebiet einschlagen”, wiederholte Valeria mit einem Stirnrunzeln. “Nun, so dicht besiedelt sind die Lande des Herzogtums nun auch nicht, dass ich die Wahrscheinlichkeit als ´hoch´ beziffern würde.” Dafür reichten die Kenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung der jungen Frau noch. “Und was den Profit angeht …”, sie strich sich über ihr weinroten Kleid, “... es sollte klar sein, WEM meine Loyalität gilt. Ihr würdet mich beleidigen wenn Ihr meint, ich sähe hier zu, mich lediglich selbst zu bereichern.” Valeria schüttelte ihren Kopf. “Wenn sich jemand findet, der das Gold aus Idealismus und Frömmigkeit zur Verfügung stellt, dann lasse ich dem- oder derjenigen gerne den Vortritt. Ich meinte nur, dass meine Familie sich wohl eine Gegenleistung erwartet - so wie es dem Herrn der Nacht gefällt.” Ronans Lächeln wurde wieder breiter.

Madasil folgte mit den Augen der Bewegung ihrer Hände, die dabei sicherlich zufällig auch ihre weiblichen Rundungen betonten. Doch da war sie bei ihm an der falschen Adresse, denn solcherlei Gesten hatte er während seiner Ausbildung im Horasreich zu genüge gesehen und wusste, dass sie einen bestimmten Zweck hatten: “Es liegt mir fern Euch etwas zu unterstellen, meine Liebe,” sagte er lächelnd und neigte kurz das Haupt, “dennoch denke ich, dass der Dank mehrerer Götter, darunter sicherlich auch der Listenriche, Eurem Hause Lohn genug sein dürfte. Nicht zu vergessen, der Ruhm und Dank, der durch einen entsprechenden Artikel im Greifenspiegel Eurem Hause zuströmen würde. Nicht nur das einfache Volk, sondern sicherlich auch der Herzog, Graf und Baron des entsprechenden Landstrichs würden sich von Eurer großherzigen Spende beeindruckt zeigen und somit Eurem Hause neue Türen zu interessanten Geschäftspartnern öffnen. Das wäre dem göttlichen Fuchs sicherlich lieber, als schnödes Gold.” Ronans Lächeln veränderte sich auf mysteriöse Weise.

Valeria lachte glockenhell auf. “Das wäre dann für einmal etwas Positives, das in dieser reißerischen Postille über meine Familie zu lesen wäre”, die Geweihte schlug dabei keinen höhnischen Ton an, sondern einen ehrlich amüsierten. Wobei es eigentlich nicht stimmte, gelang es ihr am Anfang des Jahres doch einen Schreiberling des Spiegels mit einer, von ihr organisierten Feier zu verzücken und das trotz dem Gegenwind der kumulierten Verbohrtheit dieser Stadt. “Ihr könnt ja versuchen es meinem Onkel auf diese Art schmackhaft zu machen, vielleicht ließe er sich überreden.”

“Wenn Ihr mich ihm vorstellen wollt, werde ich gern mit ihm sprechen. Vielleicht wird ja aus ihm sogar noch ein Förderer des Immerwährenden Hortes.” Abermals zeigte sich ein entwaffnendes Lächeln auf den Lippen der Rahjani. "Sein Name ist Rahjaman vom Traurigen Stein und Ihr findet ihn entweder beim Kontor meiner Familie am Platz des Madamals am Hafen, oder im Stadthaus meines Cousins in der Herzogenpromenade 24, oder am herzoglichen Gestüt, wo seine Frau Zuchtmeisterin ist. Er ist sehr zugänglich, Ihr könnt Euer Glück jederzeit gerne versuchen. Sagt ihm Valeria schickt Euch, das dürfte seine Börse öffnen." Sie zwinkerte verschwörerisch.

"Nun, dann werde ich ihm einen Besuch abstatten, sobald dieses Versammlung beendet ist. Vielen Dank, euer Gnaden." Wieder verneigte er sich mit einem Lächeln. "Möge die Herrin Travia Eurem Anliegen Ohren und Herzen öffnen." wünschte Relindis dem Geweihten Glück für sein Unterfangen. Den Verstand zu überzeugen sollte Madasil ohnehin vermögen. Es war gut, dass sich jemand mit Idealen der Finanzierungsfrage annahm.

Er hatte dem Gespräch schweigend gefolgt und das Gesagte in sich aufgenommen. Jetzt beugte sich der Gelehrte in Grau zu seiner schönen Sitznachbarin in Weinrot. “Nun, ein jeder hier an diesem Tisch hat seine eigenen Ziele und hinter jedem nach außen getragenen Ideal versteckt sich ein eigenes Motiv.” Seine rechte Hand mit den schlanken Fingern glitt nach vorn, griff nach dem vor dem Mann stehenden Kelch. Auf der dunklen Haut leuchtete der silberne Ring deutlich auf. “Sagt, schöne Schwester in Rahja, möglicherweise braucht Ihr Hilfe bei Erreichen der Euren?”

Valeria blickte interessiert auf den Ring. “Ist das ein Angebot … Bruder?” Sie raunte ihm vergnügt zu. “Und gesetzt dem Fall es handelt sich um ein solches ... was würde dann mit Euren Zielen geschehen? Ließet Ihr sie für mich fallen? Oder laufen unser beider Ziele vielleicht gar auf dasselbe hinaus?” Sie zwinkerte ihm zu und nahm einen Schluck aus ihrem Kelch.

“Ob unsere Ziele auf dasselbe hinauslaufen, wissen allein die Götter.” Ronan grinste keck. “Oder meint Ihr, ich könnte Eure Gedanken lesen?” Er lehnte sich ein wenig zurück und schaute der Priesterin Rahjas in die Augen. “Ich schätze Menschen, die sich für Ihr Ziel einsetzen. Das Glück ist mit den Tüchtigen.” Er prostete der schönen Tochter des Hauses vom Traurigen Stein zu. “Wenn Ihr möchtet, können wir gerne unser Gespräch später vertiefen.” Er beobachtete ihre Miene. “Aber verratet mir eines: Ihr nennt Euch nicht nach Eurem Haus, sondern ‘von Belhanka’. Ihr wurdet vermutlich in Belhanka ausgebildet und geweiht.” Eine Frage oder eine Feststellung? Das Fragezeichen war wirklich kaum zu hören. Ronan lächelte und stellte den Weinkelch zurück auf den Tisch. “Ich kenne die Perle Rahjas sehr gut.”

Verspielt blickte sie über den Rand ihres Kelchs in die dunklen Augen des wohl tulamidisch-stämmigen Mannes. “Wisst Ihr, das dachte ich mir bereits”, Valeria löste ihren Blick von Ronan und ließ ihn in weite Ferne schweifen. “Belhanka ist nicht nur der Ort, an dem ich Ausbildung und Weihe empfangen habe. Es ist meine Heimat. Ich bin als Mündel in Rahjas Palast auf Deren aufgewachsen und habe erst vor ein paar Monden das erste Mal den Boden des Herzogtums betreten … wiewohl nordmärker Blut durch meine Adern fließt.” Der Blick der Geweihten lag nun wieder auf Ronan und die leichte Bitterkeit in ihrem Lächeln war wohl das Ehrlichste, das der Grauling heute von ihr sehen durfte. “Und Ihr? Woher kennt Ihr die Serenissima? Viele Nordmärker mag es dort ja nicht hin verschlagen.”

Ronan lachte. “Geschäfte natürlich, ich war oft mit meiner Nachtmond und jetzt mit der Nachtklinge in Belhanka. Ich habe dort einige Geschäftspartner und Freunde und war auch das eine oder andere Mal im Palast Rahjas auf Deren.” Er neigte sein Gesicht ein wenig zur Seite. “Serenissimia Gylvana und ich sind einander wohl bekannt.” Beim letzten Satz des Mannes zog Valeria eine Augenbraue hoch. “Ich dachte mir schon, dass ich Euch schon einmal gesehen habe.” Mehr sagte sie nicht, doch das wissende Lächeln auf ihren Lippen zeigte Ronan alles was er wissen musste. “Na, dann …”, Valeria hob ihren Kelch, “... auf eine gute Zusammenarbeit … Bruder.” Der Angesprochene hob seinen Kelch. “Doctor, Signor oder … einfach Ronan.” Er lächelte. “Ronan …”, wiederholte sie langsam, “... nur wenn Ihr mich Valeria nennt.” Sie zwinkerte ihm zu und trank dann von ihrem Wein.

Der alte Gelehrte aus den Eisensteinen hatte sich nicht zu den anderen begeben, sondern war bei seinen Pergamenten geblieben. Als Alrik ihm etwas Suppe bringen wollte, mürrte er etwas wie “Früher hätte es das nicht gegeben… Suppe im Hesindetempel…. Viel zu gefährlich...all die Bücher… und dann die ganzen ungeschickten Trampel da. Elador wird nachlässig auf seine alten Tage.” und scheuchte den jungen Mann nonchalant zurück zu den anderen, wo der sich ungerührt auch die Suppe des Alten einverleibte, während er den aufschlussreichen Gesprächen weiter folgte.

Lessandero bedankte sich mit einem freundlichen “Hesinde sei Dank!” bei dem Novizen, der ihm die Holzschale reichte und begann sogleich mit dem Essen. Während er genießerisch seinen Eintopf verzehrte, hörte er sich die Argumente zu der durch den Hochgeweihten vorgeschlagenen neuen Situation an. Je größer die Gruppe war, umso mehr Wissen und Talente sind vorhanden, aber auch mehr wollen auch ihre Anteile an einer möglichen Beute. Das konnte also noch eine interessante Expedition werden.

Auch Doratrava nahm ihre Schale entgegen und begann geistesabwesend zu essen. Sie beschloss, sich erst einmal zurückzuhalten, hatte sie doch mit dieser Expedition eigentlich gar nichts zu tun. Und doch konnte sie nicht umhin, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Jetzt sollten alle auf einmal losziehen? Wer bestimmte denn dann die Richtung? Sie war sich nicht sicher, ob hier jeder denselben Zielort jenes Sterns ermitteln würde. Wer würde die Gruppe führen? Und wie würde es am Einschlagsort sein, würden sich dann die Schatzjäger wie wild auf die vermeintliche Beute stürzen? Wenn so ein Stern so wertvoll war, wie man hier offenbar annahm, dann sah sie Mord und Totschlag voraus - und im Übrigen … “Ähem!” räusperte die Gauklerin sich lautstark, so schnell war ihr Entschluss, sich zurückzuhalten, auch schon wieder vergessen. Als die Augen der anderen sich auf sie richteten, sprach sie weiter, wobei sie eine gewisse Nervosität nicht verhehlen konnte: “Also … ich glaube nicht, dass wir hier in diesem Tempel die Einzigen sind, die von diesem Stern wissen. Und wenn er wirklich so bedeutend oder wertvoll oder beides ist - werden sich dann nicht noch viel mehr Leute dorthin aufmachen, wo er einschlagen soll? Vielleicht seid ihr nicht mal die ersten am Ziel? Und sicher ist da auch einiges an Gesindel dabei, oder Schlimmeres!”

Lustlos sah Radulf in seine Schüssel - der Eintopf war sicher nicht schlecht, aber er wälzte noch immer Gedanken, war er sich doch zunächst unschlüssig - wenn Melchior Recht hatte, dann wäre das Menetekel am nächtlichen Firmament nur ein Vorzeichen für irgendeinen Krieg. Wo und von wem dieser ausging, war daraus wohl nicht ersichtlich - was sollte dann im Hinblick auf diese Frage die Teilnahme an einer solchen Expedition bringen? Andererseits würde diese losgelöst von der Kernfrage, die ihn umtrieb und für die er auch sonst keinen besseren Ansatz wusste, sicherlich unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufschlussreich werden. Außerdem musste im Hinblick auf den 'illustren' Teilnehmerkreis, das verdeutlichten ihm auch die ersten Redebeiträge in dieser Runde, mindestens einer aufpassen, dass Recht, Gesetz und Ordnung nicht zu kurz kämen, und verhindern helfen, dass am Ende gar der Zwist um diesen Stern Ausgang für schlimmere Verwerfungen würde. Sein Junkergut lag derweil in der Obhut fähiger Hände - es gab also keine Ausrede - er hatte sich seinen geradezu göttlich auferlegten Pflichten zu stellen.

Während er, noch immer abwesend wirkend, seine ersten Löffel zu sich nahm, drangen die Worte diese weißhaarigen Frau mit dem völlig unangemessenen Aufzug an sein Ohr - für so eine geschmacklos auftretende Dame so jungen Alters eine überraschend klare und scharfsinnige Frage. "Recht habt ihr." pflichtete er ihr laut bei. "Wir müssen mit Gesindel oder schlimmerem rechnen - viel schlimmerem sogar! Neben dem üblichen Abschaum könnten auch Zauberwirker, die nicht auf dem Boden der Rechtschaffenheit stehen, irgendwelche Götzen- oder gar Dämonendiener und auch der Ork auf dem Plan stehen. Das hier wird keine rein wissenschaftliche Expedition und auch kein Händlergeschäft" vermerkte er, innerlich auf diese Schacherer herabblickend, "sondern ein Abenteuer, das schlimmstenfalls zu einem kleinen Kriegszug ausarten könnte.” malte er sein Schreckensszenario an die Wand. “Seid Euch dessen bewusst!"

Lessandero ließ seinen Löffel in die Schale sinken und meinte dann: “Bei Hesinde! Wir handeln doch nicht aus reiner Neugier, sondern haben hier eine göttliche Aufgabe zu erfüllen. Und wer uns dabei stört, der vergeht sich gegen die Zwölfe! Meint Ihr, dass das kein ausreichender Grund ist, dass wir ohne Kriegsleute diese Aufgabe erledigen können? Ich habe diesen Landstrich als durchaus den Zwölfen ergeben kennengelernt oder etwas nicht?”

“Das würde es in jedem Fall … teurer machen.” sagte Alrik halblaut- scheinbar mehr zu sich selbst. Im Geiste ging er die durch, die sich daran bereichern würden. Und das ganz ohne Not. Ronan hörte die Worte. Vernahm sie und verinnerlichte sie. Nickte bei dem, was der Draconiter aufwarf, einbrachte. Der Tulamide in Grau, an dessen Hand ein silberner Siegelring prangte, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Suppenschale kaum angerührt. Hungrig war er nicht - zumindest nicht auf Essen. Als Lessandero geendet hatte, ließ er dessen Worte kurz ausklingen. “Euer Gnaden, Hesindes Weisheit spricht aus Euch.” meinte er nickend und sein brauner Zopf wackelte kurz. “Aber ich stelle eine einfache Frage, die niemand beantworten muss, weil sie jeder beantworten kann? Welche Götter umfassen die Zwölfe, denen dieser Landstrich ergeben ist?” Wieder nickte er, lächelnd. “Und welcher von diesen Göttern ist der Wächter der Sterne?” Wieder nickte er. “Und gibt dieser Wächter der Sterne leichtfertig seine Gaben?” Ronan sah sich kurz um. “Wir brauchen es hier und jetzt nicht zu diskutieren - ich möchte nur, dass auch dieser Gedanke nicht vergessen wird.” Alrik lächelte verschmitzt in seine Schale als er die Worte vernahm.

Verwirrt schaute Doratrava in die Runde. Ihre Worte waren wohl aufgegriffen und durchaus ernst genommen worden, aber von dem, was die Leute darauf sagten, verstand sie nur einen Teil. Sie hatte den dumpfen Verdacht, dass zwischen den Zeilen mehr gesagt wurde als offensichtlich war, aber ihr fehlten die Hintergründe, um schlau daraus zu werden. Sie zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder ihrem Essen.

Ähnlich ging es Leonora, die nur eine kleine Portion des Eintopfs abbekommen hatte und darob nicht ganz unglücklich war. Die Möglichkeit, dass die Unternehmung gefährlich werden könnte, und dass Gesindel ihnen die Botschaft der Götter - oder was immer sie an dem Ort erwarten würde, wo der Stern niederging - streitig machen könnte, ließ sie erahnen, warum ihr Weg sie heute ausgerechnet in diesen Tempel gefunden hatte. Nun gut, wenigstens war der Kampf ein Feld, für das sie Referenzen vorweisen konnte. Unwillkürlich legte sich die Linke der streitbaren jungen Frau auf den Knauf ihres Korbschwerts.

"Ich sprach nicht davon, dass wir noch Kriegsleute anheuern sollten - ich sehe hier durchaus Wehrhaftigkeit nicht nur physischer, sondern auch metaphysischer Art versammelt." Dass die Begleitung eines kleinen Trüppchens Bannstrahler vielleicht gar nicht die schlechteste aller Ideen gewesen wäre, sowohl im Hinblick auf die Wehrhaftigkeit als auch, wenn er sich einige aus dem Kreis anschaute, zur inneren moralischen Festigung, sprach Radulf nicht aus. "Aber ich warne, dass es dort, wo es uns offensichtlich alle hinzieht, durchaus ruppig zugehen könnte. Und ausarten, wenn wir nicht auf der Hut sind. Das wird jedenfalls keine unbedarft-fröhliche wissenschaftliche Exkursion, und auch keine Schatzsuche!” Die letzten Worte hatte er schärfer ausgesprochen, als er beabsichtigt hatte, es durchaus aber so meinend. “Davon abgesehen gebe ich zu bedenken, dass irgendwem das Land gehört, auf dem der Stern einschlägt, es also - egal ob der Stern ein Geschenk des göttlichen Wächters der Nacht ist oder nicht - in des Herrn Praios’ erhellendem Lichte des Tages rechtmäßige Ansprüche auf einen etwaigen Fund geben wird, deren Anerkennung auch unser Streben sein muss."


Essen, mal wieder das Übliche. Meta ließ sich etwas in den Napf kippen, wohl Kraut mit etwas Speck, und beeilte sich, einen Platz gegenüber von Doratrava zu bekommen. Die Knappin war flink und es gelang ihr. Der Pampf war ihr eh noch zu heiß, so schaute sie nach der aktuellen Augenfarbe der seltsamen Frau. „Na, Dora, kennst du mich noch? Rahjalind … Linny … Adda … und die Hochzeit ... da war viel los und ich weiß, dass ich nicht der Typ bin, den man sich merkt.“ Sie kicherte und dachte an den Fettwanst. „Und den Hof macht mir auch keiner. Aber ich wollte dich was anderes fragen. Die Reise ist ungewiss, gefährlich und seltsam. Kommst du mit und willst du, was vielleicht nicht schlecht wäre, ein paar der sagen wir mal … Bewerber und das, was auch immer da kommt … unterhalten? Den alten Zausel zum Beispiel. Du hast genug drauf für mehrere Abende. Und es soll nicht dein Schaden sein“

Überrascht schaute Doratrava von der Schüssel auf. Ausgerechnet die unauffällige Meta heuerte sie an? “Äh … ja, natürlich kenne ich dich noch. Aber den Zausel unterhalten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der viel Sinn für meine Kunst mitbringt. Na ja, vielleicht muss ich Zahlen tanzen …” Die Gauklerin kicherte bei dem Gedanken. “Andererseits … ich habe gerade sonst nichts vor, wenn ich dafür bezahlt werde, warum nicht? Spannend hört sich das alles ja schon an, aber ich fresse einen Besen, wenn das ungefährlich wird und ohne Komplikationen abgeht.” Sie streckte Meta die Hand hin, verzichtete aber darauf, hineinzuspucken, wie es mancherorts Sitte war. “Und wenn dir jemand den Hof machen soll, musst du dich anders anziehen und was mit deinen Haaren machen”, fügte Doratrava völlig zusammenhanglos mit einem schelmischen Grinsen hinzu.

Ebenso schelmisch grinste Meta zurück. “Danke für die Hilfe, ich kenne mich einfach mit Männern nicht aus. Mit Frauen erst recht nicht. Ich bin, so glaube ich eine Person, mit der Rahja sich Zeit lässt.” Ihre Augen verengten sich etwas. “Nun, der Zausel wir schon zahlen, wenn er was sieht, das ihm gefällt. Selbst, wenn du nur große Zahlen auf Pappe rumträgst. Vielleicht wollen noch mehr auf die Strapazen der Reise verzichten? Was ist eigentlich des Zausels Interesse an der Sache hier?”

Etwas befremdet sah Doratrava ihr Gegenüber an. Der Zausel sollte zahlen? Aber Meta hatte doch gerade gesagt, sie würde sie anheuern? Sie beschloss, sich darüber jetzt nicht zu viele Gedanken zu machen. “Ach, Hesindiard heißt der, glaube ich, der will irgendwie den Stern beobachten und daraus dann berechnen, wo er herunterfällt, wie auch immer er das machen will. Also, wenn du mich fragst, ist sein einziges Interesse hier, zu beweisen, dass er schlauer ist als alle anderen. - Und was Rahja angeht, das musst du wohl selbst mit der Göttin ausmachen. Aber man kann Dinge beschleunigen, wenn man will. Wenn man will.”

“Nein, nein! Du verstehst das nicht richtig. Ich will diesen Zausel, der uns sowieso ein Klumpen am Bein sein wird, einfach nicht in der Nähe des Fundes haben.” Eine grauenvolle Vorstellung schlich sich in Metas Kopf. “Stell dir vor, wenn der nicht mehr gehen kann, weil seine Beine nicht mehr wollen, dann müssen am Ende Alrik und ich ihn schleppen.” Die Gans mochte ihnen zwar den Rang streitig machen, aber die würde nur zischen und hacken. “Andererseits wäre es nicht schlecht, ihn den Schlausten sein zu lassen, dann ist er glücklich mit seiner Gerätschaft. Dann könnte man immer noch den Fund ausheben ohne ihn einzubinden. Schau, du bist schlau Doratrava.”

Schlau mochte sie sein, dachte Doratrava bei sich, aber nicht schlau genug, um aus den Worten Metas wirklich schlau zu werden, offensichtlich. Sie beschloss, nur auf die Gebrechlichkeit des Alten einzugehen. “Ich frage mich sowieso, ob dieser Hesindiard eine Reise über Stock und Stein überhaupt verkraftet. Wie du schon sagtest, der wird für die Gruppe sicher ein Klotz am Bein.” Was ihr selbst herzlich egal war. Auch wenn sie alle zuerst bei der Absturzstelle sein sollten, würde sie selbst sicher nichts von irgendwelchen Reichtümern abbekommen, also warum sich deswegen grämen. “Ich glaube ja nicht, dass der Stern uns den Gefallen tut und auf der Reichsstraße einschlägt. Wir werden wohl schon irgendwann in die Wildnis müssen.”

Die Knappin lächelte lieb und betrachtete Doratravas Augen. “Du hast Recht und wir scheinen einer Meinung zu sein. Weisst du, dass ich in deinen Augen versinken könnte? Sie sind wie Edelsteine und es ist jedes Mal überraschend, welcher es sein mag. Komm, lass uns etwas trinken. Die Großen und Weisen werden über uns bestimmen und wir sollten uns hier nichts entgehen lassen.”

‘Huch, was war das denn eben?’ dachte Doratrava leicht verwundert und sah Meta unschuldig aus samtbraunen Augen an, um ausnahmsweise mehr als nur einen beiläufigen Blick auf ihr Äußeres zu werfen, das die junge Frau so geschickt durch eher unansehnliche Kleidung verbarg. Von der Statur her ähnelte sie ihr selbst ein wenig, auch Doratrava war eher sehnig und mit nur wenig Oberweite ausgestattet. Metas Gesicht war ganz hübsch, die wilden blonden Locken sprachen etwas in der Gauklerin an, aber im Großen und Ganzen war die Schildmaid nicht ihr Typ. Wie auch immer. “Ja, gehen wir etwas trinken, das ist eine gute Idee. Auch wenn ich nicht weiß, wie wir dann hier alles mitbekommen sollen”, fügte Doratrava augenzwinkerd an. “Deshalb schlage ich vor, wir warten noch, bis die hochgelehrten Herrschaften sich hier einig geworden sind, damit wir nichts Wichtiges verpassen, so langweilig das jetzt auch ist.”

Seufzend betrachtete Geron die Schüssel mit dampfenden Eintopf in seinen Händen. Es war ihm hier unmöglich seine Maske zum essen abzunehmen. Für einen Augenblick dachte er daran Relindis zu fragen ob sie nicht mit in den Park kommen mochte, doch er verwarf diesen Gedanken sogleich wieder. Es war wichtig Kontakte zu knüpfen und ihr fiel das leichter als ihm. Mit einer gemurmelten Entschuldigung verließ er den Tempel um sich eine gemütliche Stelle im Park zu suchen. So bekam er zwar nichts von den Gesprächen mit, aber wenigstens konnte er essen ohne begafft, oder Schlimmeres, zu werden.

Elador, der Hohe Lehrmeister dieser Hallen, war äußerst zufrieden. Das Stimmengewirr, die vielen Fragen und Ansichten, war der wissenden Göttin willkommen und zeugten von ihrem Wirken. Nun wedelte er mit den Händen und wartete, bis alle wieder ruhig waren. “Silentium, silentium! Nun erst einmal herzlichen Dank, jede finanzielle Spende ist natürlich willkommen. Aber ich möchte darauf hinweisen, das es hier um kein Geschäft oder Handel geht. Es ist eine Mission im Zeichen der Hesinde. Es geht darum, das Geheimnis des Sternenfalls zu lüften, zu erfahren, was es bedeutet und ob die Götter ein Zeichen senden. Wenn sich dabei herausstellen sollte, das es in die Belange der zwölfgöttlichen Gemeinde fällt, können wir immer noch darüber entscheiden, wie damit verfahren werden soll.” Er machte eine kurze Pause und sprach dann weiter. “Wenn andere den Fingerzeig Hesindes vernommen haben, sollten sie willkommen sein, sich uns anzuschließen. Aber wie es scheint, war es ihr Wille, so viele verschiedene Köpfe hier in ihre Halle zusammen zu führen.” Nun wanderte sein Blick über die ganze Gruppe der Sternensucher ab. “Unterschiedliche und Gleichgesinnte und ein jeder mit unterschiedlichsten Erfahrungen und Können. Wir sind also gut ausgestattet, die Fährnis aufzunehmen und möglichen Herausforderungen und Gefahren anzunehmen.” Dann winkte Elador die Mentorin Nirjaschka zu sich. Die untersetzte Geweihte setzte sich sogleich in Bewegung und stellte sich neben ihn. “Zur Sprecherin dieser hesindegefälligen Mission möchte ich Mentorin Nirjaschka bestimmen. Ich kenne sie als eine resolute Frau, die eine gerechte Zuhörerin ist und nicht zögert Entscheidungen zu treffen. Nun, Mentorin, was sagt ihr?” Die Röte in ihrem Gesicht offenbarte ihre Aufregen. “Wat fürne Ehre, euer Hochwürden.”, verfiel sie doch gleich wieder ins Bornländische. “ Ick nehme dat jerne an. Und ick hab och gleich eene Idee, wo wa anfangen. Es jibt ein paar Gedanken, wo dat Sternschen runterkommt. Doch wir müssen sicher jen. Ein Freund von mir, wohnt bei Twergenhausen. In seinem letzte Brief an mich, hat er erwähnt, dass er sich ein großes Telesjop bauen lassen hat. Das sollte besser sein, als dat wat wir ham. Und unsere klugen Köppe hier, könn besser berechnen. Isch schlach vor, wir besuchen ihn.” Strahlend schaute sie ihren Vorgesetzten an. Nun schaute der Hohe Lehrmeister nachdenklich. “Hmmm … Twergenhausen? Da fällt mir was ein. Wie ich erwähnte, unsere Mittel sind bescheiden, aber da gibt es etwas, was ich für euch tun kann, um schneller dorthin zu kommen. Ich denke ich könnte eine Flussfahrt für alle besorgen.” Nun strahlte er in die Menge. “Gibt es noch Fragen?”


Lessandero schüttelte den Kopf, denn der Hohe Lehrmeister hatte ihm schließlich aus der Seele gesprochen. Es ist als erstes eine hesindegefällige Mission, dann wenn dieses Mission erfüllt ist, können sich die anderen Interessensparteien um eine wirtschaftliche Ausschlachtung des ganze bemühen.

“Ja, die gibt es …”, Valeria hob kurz ihre schlanke Hand, “... heißt das jetzt, dass wir aufbrechen ohne eine Bestandsaufnahme zu machen, ob und was wir gegebenenfalls auf unserer Mission benötigen?” Innerlich seufzte die junge Geweihte. Es wäre suboptimal, wenn sich die Gruppe nun selbst helfen könnte. Wieder musste sie umdisponieren.

“Da hat sie Recht. Wir haben quasi nichts dabei, außer, Ihr habt Euch um Vorräte, Wasser, Kleidung und, das sollte man nicht vergessen, Waffen gekümmert. Ich war schon mit meinem alten Dienstherren einige Zeit auf dem Fluss unterwegs. Da passiert schnell etwas, womit man nicht rechnet." Meta war sich dessen bewusst, dass sie eine der unwichtigeren Personen hier war. Gut, sah man mal von dem Burschen Alrik ab, der sich in Sachen Wichtigkeit ein Kopf-an-Kopf Rennen mit Akka der Gans lieferte. Dennoch schmunzelte sie. Thymon hatte ihr von manchen Eigenheiten der Rassen erzählt. “In Twergenhausen, da werden, widersprecht mir bitte, sollte es sich um eine Elfensiedlung handeln, Zwerge leben. Viele Zwerge. Und die lieben alles, was wertvoll ist. Ja, also dumm sind die nicht. Und wenn sie erfahren, dass ein Klumpen von großem Wert in der Nähe ihres Städtchens einschlägt, wenn er es nicht sogar direkt verwüstet, dann werden sie uns garantiert nicht mit dem Fund davon spazieren lassen und mit ihren Taschentüchern winken.” Sie musste kurz durchschnaufen und daran denken, dass sie sich nicht aufführen solle. Sowohl Linny als auch Thymon wirkten da seltsam besorgt. “Jetzt aber mal im Ernst. Die werden behaupten, das Zeug gehöre ihnen und fertig. Was wollt ihr dagegen unternehmen?” Sie vermisste die Gespräche mit dem Einzigen, der sowas wie ein Freund war.

Elador räusperte sich kurz. ”Wie ich schon erwähnte, die Mittel sind bescheiden und wir haben Leute unter uns, die mit wenig viel erreicht haben. Und wir haben großzügige Hilfe angeboten bekommen.” Er nickte den beiden Geweihten und dem Diener Alrik zu. “Und der ein oder andere ist gut in den rondrianischen Tugenden geschult.” Nun wanderte sein Blick auf Leonora, hinüber zu den Magiern. “Und wenn ich mich recht entsinne, kennt sich Prälat Hortulani sich gut mit den Angroschim und seinen Gepflogenheiten aus. Ich sehe also keine Bedenken. Und ich möchte nochmals erwähnen, es geht hier nicht um ein Wettbewerb um einen Schatz und Reichtum. Obwohl ich phexische Gesinnung nicht herunterspielen möchte.” Der letzte Blick ruhte auf Ronan und dem Norbarden. “Doch gibt es jemand, der die hohe Dame aufklären möchte, bezüglich des erwarteten Aufschlages? Ich glaube überhört zu haben, das Twergenhausen nicht das Ziel des Sterns ist.” Fragend schaute er in die Runde.

Alrik nickte der Geweihten zu und schritt wieder durch den Tempel zu seinem Herrn, ihn zu bitten vorzukommen, seine Expertise wäre verlangt.

Lessandero nickte bestätigend als sein Name in der Auflistung erwähnt wurde. “Es ist richtig”, meinte er kurz. “Und ich habe auch ein paar Kontakte zu den Angroschim - wie sie sich selbst nennen - ein paar einflussreiche Kontakte.” ergänzte er. Ronan lehnte sich zurück, legte das linke über das rechte Bein und nahm den vor ihm stehenden Kelch in die Hand. Sie brauchten also keinen Sternkundigen mehr, einen Geldgeber hatten sie auch, dass Sterne in den Herrschaftsbereich des Grauen fielen, war auch uninteressant. Gut, würde er einfach als stiller Beobachter fungieren.

Alrik kehrte kurz nachdem er die große Runde verlassen hatte mit Hesindiard zurück. “Um welche Fragen geht es denn genau?” wollte er von seinem Diener wissen, übellaunig wie stets, wenn man ihn von seinen Rechnungen und Zahlen fortzwang. “Ich glaube, es geht um Twergenhausen?” antwortete der Rotschopf mit fragendem Blick zum Hesindegeweihten.

“Was ... mit Twergenhausen? Mit Twergenhausen… Was soll das für eine Frage sein? In jedem Fall eine unpräzise. Die Qualität der Frage, lieber Junge, das habe ich dir so oft schon gesagt, die Qualität einer Frage korreliert signifikant mit der Qualität ihrer Antwort. ALso bitte, was genau willst du wissen?” entgegnete der Alte unwirsch, aber schon sichtlich offener, immerhin wurde sein Wissen erbeten. Und Menschen mit Wissensdrang waren ihm sehr willkommen.

“Ä. Ich weiß nicht. Ob der Einschlag dort stattfinden wird?” Hesindiard verdrehte die Augen “Bei Hesinde. Ich erklärte dir doch schon so oft, dass man es nicht so präzise sagen kann. Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Aber sie ist für andere Orte größer. Die Wahrscheinlichkeiten habe ich berechnet und auf eine Karte übertragen. Du hast sie so oft gesehen.”

Alrik lächelte schräg. Er wusste all das, aber er wusste auch, dass er in einer Welt lebte, in der seine Stimme keine Bedeutung hatte. “Verzeiht. Es gab wohl die Hoffnung, dass es dort in der Nähe sein würde. Wegen des neuen Teleskops.” “Welches Teleskops?” fragte der Rickenbacher nun interessiert. “Nun das in Twergenhausen. Von einem Freund der Mentorin. Der wollte sich dort eines errichten lassen.” “In Twergenhausen?” die Stimme des Alten klang irritiert, während sein Diener nickte. “Nur ein Vollidiot würde ein Teleskop in Twergenhausen errichten. Ein Vollidiot der zuviel Geld hat.” Alrik zog fragend eine Braue nach oben: “Junge, hast du denn nichts von mir gelernt?” herrschte ihn der Alte an: “Twergenhausen ist eine Siedlung. Am Fluss. Im Wald. In einer Niederung. Die vier Eigenschaften, die ein Ort nicht haben sollte, wenn man dort ein Teleskop aufbauen will.” er schüttelte sein Haupt. Die Welt würde zugrunde gehen. All dieses Unwissen. Dieser Mangel an Bildung. “Sonst noch Fragen?”

Rhodan räusperte sich vernehmlich. “Ja doch. Fragen. Für mich persönlich ist nicht so sehr relevant, ob in Twergenhausen Stadt ein Teleskop errichtet wird, sondern, ob es in der Nähe von Twergenhausen einen guten Beobachtungsort - beispielsweise einen Hügel oder eine Felsnadel - gibt, von dem aus wir mit Hilfe eines mobilen Teleskops oder eines Fernglases Eure Wahrscheinlichkeitskalkulation präzisieren könnten. Eure Fähigkeiten in allen Ehren”, brummte der beleibte Händler, “aber ich investiere nur ungern in wahrscheinlichen Erfolg. Jedenfalls beabsichtige ich, zuvor die Erfolgsquote zu erhöhen. Führt doch bitte aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit unter welchen Parametern Ihr einen Einschlag in der Nähe von Twergenhausen annehmen könnt.”

"Verzeiht", mischte sich Madasil wieder ein, " aber hier liegt ein Mißverständnis vor. Niemand hat behauptet, der Stern würde in oder bei Twergenhausen herunterkommen. Die verehrte Mentorin meinte lediglich, dass sie dort einen Freund habe, welcher sich dort ein Teleskop hat bauen lassen. Den Berechnungen von Meister Hesindiard, bitte korrigiert mich, wenn ich irre, und einer Prophezeiung zufolge, welche uns der Sternenkundler Belsazar ya Arango mitgebracht hat, wird der Stern höchstwahrscheinlich das Gratenfelser Becken treffen, die Kornkammer unseres schönen Herzogtums. Bisher deutet einiges daraufhin, dass die Baronie Schweinsfold bzw deren Grenzen betroffen sein werden. Aber vielleicht stellt euch Meister Belsazar die Prophezeiung selbst vor."

Geron nickte zustimmend. “Ich stimme seiner Gnaden vollkommen zu. Außerdem möchte ich die Frage in den Raum stellen ob wir wirklich alle nach Twergenhausen reisen müssen um uns um ein Teleskop zu scharren, durch dass dann doch nur eine Handvoll Personen schauen werden. Wäre es nicht sinnvoller nur eine kleine Gruppe dorthin zu entsenden und den Rest schon mal ins Gratenfelser Becken zu entsenden, von wo wir sehr viel schneller jeden Ort in den Nordmarken erreichen könnten?” Er sah die Anwesenden durchdringend an. “Wenn sich in Twergenhausen Erkenntnisse ergeben sollten, könnte man die uns schnell per Bote oder Taube überbringen und wenn der Stern wirklich droht, die Götter mögen es verhüten, auf eine Siedlung niederzugehen, so könnten wir agieren und helfen anstatt nur noch betroffen auf die Trümmer zu starren.” Herausfordernd ließ der Ritter seinen Blick über die Anwesenden wandern.

“Ich würde mir an eurer Stelle nicht viel von diesem Twergenhauserner Teleskop versprechen. Zuviele Faktoren sprechen dagegen, dass man dort relevante Erkenntnisse erlangen kann. Der wichtigste Faktor für eine Präzisierung der Berechnungen ist die Zeit. Viele Beobachtungen und deren Interpretation. An einem Ort, der vermutlich nicht der günstigste ist, eine einzelne Beobachtung zu machen, hilft nicht wirklich viel weiter. Besser wäre es im vermeintlichen Einschlagsgebiet täglich Beobachtungen zu machen und diese dann in die Berechnungen einzubeziehen. Dennoch muss ich euch sagen: Erwartet nicht zuviel.” Die Stimme des Alten klang enthysiastisch solange er von den Erkenntnissen des Geistes sprach: “Die Bahn eines fallenden Sterns zu berechnen ist nicht einfach. Wenn ihr also nach einer sicheren INvestition strebt, rate ich euch ab euch in diese Suche einzubringen. Was man für das Finden und Erforschen eines Sterns braucht ist das hier.” und er tippte sich gegen die Stirn. “Jaaa. Man braucht Verstand. Geld ist nicht von allzu großer Bedeutung. Mit Geld kann man die Ergebnisse des Geistes stützen, freilich, vielleicht sogar signifikant beschleunigen, oh ja. Aber niemals kann der Mangel an Wissen und Verstand durch Geld ausgeglichen werden. Vergesst das nicht in all eurer Planung.”

“Umso mehr stellt sich mir dann die Frage, warum wir unsere Zeit damit verschwenden sollten nach Twergenhausen zu reisen, wo wir doch direkt ins Gratenfelser Becken reiten könnten. Hochgelehrter Herr, bitte versteht mich nicht falsch. Mir geht es nicht um Geld oder den Besitz eines Fragments von dem Stern. Es ist mir gleich wer Anspruch auf den Stern erhaben wird, wenn er erst mal aufgeschlagen ist. Das klärt Ihr am Besten mit dem ansässigen Baron. Aber ich komme aus der Gegend, wo der Stein womöglich herunter kommt und mir geht es um die dort lebenden Menschen.” Er schloss die Augen. ‘Große Mutter, gib mir Kraft.’ Dann richteten sich die Augengläser wieder auf den alten Gelehrten. “Ihr habt da aber einen interessanten Vorschlag gemacht, nämlich, die Berechnungen und Beobachtungen vor Ort vorzunehmen. Ich unterstütze diese Idee.”

Der Gelehrte nickte mit gerunzelter Stirn. Endlich jemand mit Verstand: “Jaja. Das ist eine gute Sache. Ich weiss auch nicht, wer nach Twergenhausen wollte. Alrik, wer wollte gleich dorthin?” fragte er seinen Diener, der sogleich beflissen antwortete: “Verzeiht Herr, womöglich habe ich dies missverstanden. Es schien mir im Raum zu stehen.” Hesindiard wedelte mit der Hand: “Schon gut, schon gut. Aber nun scheint es ja klar, dass niemand nach Twergenhausen möchte und damit können wir das Thema ja beenden. Ich werde meine Unterlagen zusammen packen, damit wir alsbald aufbrechen können. Falls jemand zuvor noch einen Blick auf die Karte mit den Berechnungen werfen möchte, so tut euch keinen Zwang an. Ich erläutere sie euch gerne.” Damit wandte er sich wieder ab und trat zurück an den Tisch, wo er geschäftig begann seine Pergamente zu sortieren.

Bei dem ganzen Geschwafel wurde Doratrava nun ernsthaft langweilig. Und Twergenhausen war ein Thema, das unangenehme Erinnerungen in ihr weckte. Zu frisch war die Erinnerung an diese Afra Kober, die dafür gesorgt hatte, dass Kopfgeldjäger Jagd auf sie gemacht hatten. Sie wusste bis heute nicht, warum diese schmierige Person das getan hatte. Egal, vorbei und vergessen … na ja, hoffentlich bald vergessen. Auf jeden Fall war Doratrava erleichtert, dass es nicht nach Twergenhausen ging.

Aber als sie ihre Suppe aufgegessen hatte und das hochgelehrte Gebrabbel immer noch kein Ende nahm, zog sie sich in den Hintergrund des Tempels zurück und packte ihre drei alten, abgegriffenen Jonglierbälle aus. Sie konnte zwar nicht so gut jonglieren wie tanzen oder turnen, aber das Jonglieren hatte etwas Meditatives. Es fiel ihr leichter, die Zeit zu vergessen und ihre Ungeduld zu zähmen, wenn sie die drei Bälle in der Luft halten musste. Leise summend begann sie mit dem Spiel. Dass dabei die Glöckchen an ihrem Gewand eine sanfte Begleitmelodie klimperten, nahm sie gar nicht richtig zur Kenntnis. Valeria musste innerlich lachen. Wie sehr sich diese Gruppe bereits jetzt schon verselbständigte. Die Sprecherin der Gruppe ruft die Reise gen Twergenhausen aus, der Alte stellt sich dagegen und bezeichnet Dritte als ´Vollidioten´. Sie seufzte. Ach, das dürfte eine sehr unterhaltsame Unternehmung werden. Dem Gedankengang des Maskierten, irgendein Baron hätte Anrecht auf den Stern, konnte sie nicht wirklich nachvollziehen. Wenn, dann der Landesfürst, aber bestimmt nicht ein Baron, denn die Überreste eines Sternes fielen wohl nicht unter ein Regal zum Abbau von Bodenschätzen. Am Ende gibt es noch jemanden, der dem Schulzen des Dorfes, bei dem der Stern zu Boden geht, ein Anrecht zusprechen würde. Sie zuckte mit ihren Schultern. Auch die Kirchen würden den Fund beanspruchen, soviel war klar, aber das war Valeria schon von Anfang an bewusst gewesen. Kurz musste sie schmunzeln - es wäre doch ein Spaß die Praioskirche darauf anzusetzen. Sie konnte es förmlich vor ihrem inneren Auge sehen, wie eine Zehnschaft Bannstrahler den Fund ´im Namen des Herrn´ einkassierte. Niemand in den verbohrten Nordmarken würde sich der Gemeinschaft des Lichts entgegen stellen. Alles in allem war der Geweihten klar, dass es nicht leicht sein würde und sie sich etwas überlegen wird müssen, um ihr Ziel zu erreichen.

“Ja doch, mir wäre es eine Freude, die Kalkulationen in Augenschein nehmen und die Karte inspizieren zu können. Die Beobachtungen am Ort des - vermeintlichen - Geschehens vornehmen zu können erscheint mir auch bei Leibe valider. Doch dazu braucht man flexibles, transportables Gerät und nach meinem Dafürhalten mehrere Gruppen, die unterschiedliche Gebiete abdecken. Ihr versteht mich? Ich denke da an eine Triangulation, wie sie in der Seefahrt gängig ist. Sollten mehrere Gruppen an einigermaßen nahegelegenen Orten zu ähnlichen Beobachtungen gelangen, so mag sich der Einschlagort bestätigen.”

Der alte Rickenbacher deutete auf einige Stellen seiner Pergamente als Rhodan zu ihm an den Tisch getreten war. “Nun. Eine Triangulation wäre eine Option. Wenn die Betrachtung und die Berechnung der Flugbahn eines fallenden Sterns einfach wäre und man die Betrachtungen zeitgleich durchführen könnte…. Das wird aufgrund der Voraussetzung drei baugleiche Teleskope derselben Qualität und drei Beobachter dergleichen Befähigung zu haben, vermutlich scheitern. Im übrigen gibt es weitere Prämissen, die ich nicht als gegeben erachte und deren Annahme sehr hart an Blasphemie grenzen würde, die dafür nicht eingehalten werden. Ihr seht anhand dieser Berechnungen, was ich bisher an Parametern in die Terme eingepflegt habe. Über diese Bezeichnungen findet ihr die jeweiligen Ursprungsbeobachtungen und Berechnungen.” er deutete auf einige komplizierte Zeichenabfolgen, froh scheinbar jemanden gefunden zu haben, der seinen Worten zu folgen verstand.

Triangu-was-nochmal? Schon gehört, aber was war das nochmal genau? Relindis verfolgte den Disput der Gelehrten interessiert, jedoch ohne viel beitragen oder vollständig folgen zu können, geschweige denn alles, was gesagt wurde, tatsächlich zu verstehen. Vor allen Dingen fielen ihr gleich mehrere Steine vom Herzen - so viel verstand sie dann schon noch - dass die Reise wohl direkt dorthin führen würde, wohin sowohl die Worte des Propheten als auch die Berechnungen wiesen und sie keine Zeit mit einem Abstecher nach Twergenhausen vergeuden würden - Zeit, die ihnen am Ende vielleicht fehlen würde, um eine Siedlung im Zielgebiet zu räumen oder nach dem verheißenen Kind suchen zu können.

Auch für Valeria sprach der Alte in fremden Zungen. Einzig beim Wort 'Terme' stahl sich ein feines Lächeln auf ihre Lippen. Ein Bad in einer heißen Therme wäre genau das was sie jetzt brauchte. Wehmütig dachte sie an die Bäder auf Paradisela - leider gab es hier in der Stadt nichts vergleichbares.

Auf seinen Magierstab gestützt blickte Radulf von Lîfstein auf die Pergamente mit Hesindiards Berechnungen und versuchte angestrengt, diese wenigstens grob nachzuvollziehen. Obgleich in der Sternkunde grundsätzlich bewandert, nötigte ihm dies einiges an Konzentration ab - anders als der alte Rickenbacher hatte er sein Leben eben nicht voll und ganz der Wissenschaft verschrieben, sondern konnte und wollte sich zu Praios Gefallen nicht den verantwortungsvollen Aufgaben, die ihm sein Haus und sein Gut auferlegt hatten, entziehen. Schließlich gab er auf, fürs erste wenigstens, und fragte, auch angesichts des Diskurses zwischen dem Urheber der Berechnungen und jenem Pfeffersack, direkt nach: "Verzeiht die Frage, wohlgelehrter Herr, geht in Eure Kalkulationen auch der mit wachsender Nähe zur dritten und damit auch zweiten Sphäre fester werdende Griff Sumus ein? Dieser dürfte doch die Extrapolation der Bahnkurve basierend auf Beobachtungen deren früher Etappen, die noch tief in der sechsten Sphäre verliefen, erheblich erschweren? Und könnt Ihr aus den vorliegenden Beobachtungen etwas über die Stabilität der Bewegung sagen? Trudelt der Stern leicht, so dass zu befürchten steht, dass er nahe der dritten Sphäre noch zerbirst, oder wirkt er fest und unbeirrt auf seinem Weg zum vorbestimmten Aufschlagsort?" Seine eigenen Beobachtungen reichten mangels eines geeigneten Teleskops leider nicht aus, dies zu beurteilen.

“Ein Stern ist ein Objekt. Auch wenn wir ihm Eigenschaften zuweisen können, und er mit der göttlichen Macht assoziiert werden könnte, wie andere seiner Geschwister zuvor, ist er nur ein Objekt. Er hat keinen eigenen Geist, der ihn lenkt und ihn beirren könnte.” setzte der Alte eine seiner langen Erläuterungen an: “Die Sphären selbst sind komplex, komplizierte Ebenen von Mächten, die wir nicht gänzlich verstehen, nicht gänzlich kennen. Sie entziehen sich unserem Blick. Und was wir nicht sehen, können wir schlecht bewerten. So bleibt uns nur, das Wirken der ersten und zweiten Sphäre in unserer Welt zu dokumentieren, ihre Einflüsse abzuleiten. Selbstredend gibt es sie- diese EInflüsse. Sie hängen allerdings meist von Parametern ab, die wir erst kennen, wenn der Stern heruntergefallen ist. Wäre mir die genaue Zusammensetzung des Sterns bereits vor seinem Einschlag bekannt, könnte ich dazu noch einige Faktoren einfliessen lassen. Aber die Informationsdichte ist nicht groß genug, um detailiierte Parameter in die Berechnungen einzubringen. Bei Hesinde. Wir sind noch nicht mal in der Lage den Lauf des Madamals präzise vorauszusagen. Wie sollte uns das bei einem so kleinen, vermutlich recht unbedeutenden Stern gelingen.”

Doratrava, die mit halbem Ohr der Diskussion lauschte, während sie Bälle in die Luft warf, verdrehte die Augen. Diese sogenannten Gelehrten waren doch alle gleich. Für sie hörte sich der ausschweifende Monolog Hesindiards wie eine sehr ausführliche Version des Standardspruchs der Magier an: “Das ist nicht mein Fachgebiet!” Den wandten sie immer an, wenn sie keine Ahnung hatten, und das war erstaunlich oft der Fall. Offenbar musste man den Satz “Das weiß ich nicht” aus seinem Wortschatz streichen, wenn man ein ordentlicher Gelehrter werden wollte.

Radulf runzelte die Stirn: Selbst wenn der Fall des Sterns durch Ereignisse weit höherer Tragweite ausgelöst wurde, die alleine die Götter ermessen konnten, und auch die Bahn einem göttlichen Willen folgte, wovon er im vorliegenden Fall eines solchen unheilverkündenden Menetekels überzeugt war, so musste sich, nachdem all das einmal angestoßen war, dieser primordiale Impuls in der Bahn abbilden und ergründen lassen, mit den Methoden der Empirie und Mathematik. Denn mit diesen ließen sich Gesetzmäßigkeiten erfassen und beschreiben, und was gefiel dem Herrn Praios als dem höchsten der Götter besser als präzise Ordnung und Gesetzmäßigkeit?

"Auch wenn wir die Bahn des Madamals offensichtlich nicht präzise berechnen können," - wie passend im Übrigen für die undurchsichtige Mada - "wissen wir doch, wo wir es des Nachts erwarten dürfen und in welchem Zustand es sich uns zeigt - und das im Übrigen nicht nur wir, sondern sogar weit primitivere Völker - selbst die Orks sollen einen gar nicht mal so ungenauen Mondkalender haben, wie mir ein Bekannter aus dem Greifenfurtschen einst erzählte. Naja, sei's drum. Jedenfalls interessiert mich, wie genau Ihr die Bahn berechnet habt - habt ihr sie geradewegs aus den bisherigen Bahnpunkten heraus verlängert, oder auch beobachtbare Veränderungen der Flugbahn in ihrem weiteren Verlauf berücksichtigt?" Vielleicht war es der letztere Umstand, der vermeintliche Unschärfe in den Abgleich von Kalkulation und Beobachtung und damit das extrapolierte Ergebnis brachte - irgendwie wollte es nicht recht in seinen Kopf, dass eine alte Prophezeiung von der Ankunft eines vermeintlichen Heilbringers eine genauere Vorstellung vom Einschlag dieses Unheilsboten liefern sollte - jedenfalls taten die Anhänger dieser Prophezeiung so, als ob sie es recht genau wüssten - als die moderne, auf der Herrin Hesinde Verstand und des Herrn Praios klarem Blick auf die Welt beruhende Wissenschaft.

“6710” antwortete der ALte nur: “6710, soweit können diese haarigen Raufbolde aus dem Norden zählen. Sie sind intellektuell in der Lage die Tage zwischen zwei Finsternissen des Madamals zu zählen.” Er schnaubte: “ES mag sogar sein, dass diese Viecher einen Hang zu Mada selbst haben. Im Efferd 1029 - zu Zeiten einer blutroten Finsternis des Madamals ging dort im Norden ein Sternenregen nie gekannten Ausmaßes hernieder und es gibt Gerüchte… aber ich schweife ab…. Ich spreche nicht von solchen Belanglosigkeiten. Solchen Trivialitäten.” er sah den anderen direkt in die Augen. “Und eure Fragen sind mir nicht ganz klar, denn dort stehen doch alle Berechnungen und die Parameter sind genau beschrieben.” Er deutete auf die Zahlen und Definitionen. “Ist euch etwas unklar? Oder habt ihr Einwände? Oder gar einen Vorschlag weiterer Faktoren? Einige habe ich herausgelassen, weil ihre Funktionalität und WErtigkeit noch nicht bewiesen sind, das gebe ich wohl zu. Also wenn ihr neue Erkenntnisse habt, dann heraus mit der Sprache. Und unterlasst dieses um den heissen Brei-Gerede. Ich bin ein alter Mann, und wie es alten Menschen zu eigen ist besitze ich Erfahrung und Wissen, nur leider keine Zeit.”

Schweigend hatte Ronan diese Diskussion verfolgt. Und tatsächlich, der Kontorist mit erstaunlich guten Kenntnissen in der Sternkunde für eine Krämerseele, hatte durchaus nicht unrecht. Und der alte Gelehrte war sehr von seiner Gelehrsamkeit überzeugt - unterschätzte jedoch das Teleskop in Twergenhausen. Als würde man ein Teleskop mitten in einer Stadt mitten im Wald errichten. Natürlich würde der Besitzer eines solchen Geräts auf dem höchsten Punkt aufbauen und nicht im Kellergeschoss eines Wohnhauses in einem Tal. Er dachte an sein eigenes Teleskop im Dachgeschoss der Burg Wolfenhang. “Nun…” setzte er an. “... erst einmal würde ich noch einmal die Gefahr thematisieren. Das Gratenfelser Becken ist ein gewaltiges Gebiet und reicht von Paggenau bis Galebquell und von Rickenhausen bis Meilingen. Eine genaue Ermittlung des möglichen Einschlagsortes ist selbst anhand astronomischer Triangulationen…” da war es wieder, dieses Fremdwort. Und… dafür fehlte der Akzent. “... unter Abgleich der bereits erwähnten Prophezeiung nur schwer möglich. Wir können lediglich das Gebiet eingrenzen. Hierfür benötigen wir jedoch, wie von Herrn Herrenfels…” Ein Blick in dessen Richtung. “... angesprochen mehrere Parameterberechnungen, um die Nord-Süd- und Ost-West-Tangenten des möglichen Einschlagsbereiches eingrenzen zu können.” Er wandte sich dann an Meister Hesindiard von Rickenbach. “Ich würde gerne Eure Notizen und Berechnungen einsehen, Meister von Rickenback, um sie mit meinen vergleichen zu können. Und möglicherweise wird mir Herr Herrenfels zur Seite stehen?”

“Ja doch, sicherlich. Mehr Augen sehen regelmäßig mehr Fehler. Jeder gute Kontorist hat deshalb einen Buchprüfer, nicht wahr?”, meinte der beleibte Händler mit den grauen Augen jovial. Ronan nickte ernst - doch Rhodan entging nicht das Lächeln in den Mundwinkeln.

Der Alte seufzte und deutete erneut entnervt auf die Zahlen und Berechnungen vor sich. “Hier…..steht….alles. Es ist sehr schön, dass ihr bereits Kenntnisse der Thematik habt, so dass ihr vielleicht aus den Aufzeichnungen lesen könnt, dass die Berechnungen präzise, exakt und nach den neuesten Erkenntnissen der Sternenkunde durchgeführt wurden. Sie beruhen wie ihr sehen könnt, wenn ihr endlich einen Blick darauf werfen würdet, anstelle euch in theoretischem Schwadronieren zu üben, auf ebensolchen Messungen, die ihr vorschlugt. Wenngleich die zugrundeliegenden Rechnungen vermutlich komplexer sind, als ihr euch vorstellen könnt. Immerhin haben wir es nicht mit einem Körper, einer Masse zu tun, die aus unserer Sphäre stammt. Das würde die notwendige Berechnung so stark versimplifizieren, dass eine einfache Triangulation vermutlich möglich wäre. Doch müsst ihr bedenken: De stella incognita ad originem! Und dazu kommt a sphaera in se stellam. Das dürfen wir bei der ganzen Betrachtung nicht vergessen. Leider erlauben uns diese Prämissen keine simple Mathematik. Ganz im Gegenteil: Nimium est absentis!! Daher müssen wir leider approximieren. Es führt kein Weg daran vorbei. Ich weiss, ich weiss, Pfeffersäcke und Leute, die sich ununterbrochen mit Geld und seinen Wegen beschäftigen, mögen solche Aussagen nicht. Die Sterne aber.” und er deutete nach oben: “Die Sterne verbergen so vieles. Sie in Zahlen fangen zu wollen wäre… eine Torheit. Man muss akzeptieren, dass wir nicht alles wissen. Und Zahlen, wenngleich sie ihre eigene Schönheit haben, niemals gänzlich die Sterne und ihre Bewegungen darstellen werden. Zahlen und die Sterne, sie werden niemals zur Gänze ihren Anmut und ihren Liebreiz vereinigen. Aber je mehr wir es versuchen, desto mehr können wir uns ihr nähern: der absoluten Schönheit.”

Radulf hatte sich inzwischen noch einmal den Formeln zugewandt, versuchte nachzuvollziehen, was diese aussagten. In der Tat waren die neuesten ihm bekannten Erleuchtungen der Trigonometrie eingegangen, mehr noch als das, wie er anerkennend feststellen musste, und die Bahnkurve wurde aus den vorliegenden Beobachtungspunkten scheinbar folgerichtig verlängert. Aber obwohl Hesindiard ihm mathematisch sicher haushoch überlegen war, wurde er den kritischen Eindruck nicht los, dass die Punkte nicht ideal zusammenpassten, die Approximation besser ausfiele, wenn man die ersten oder die letzte wegnahm. Wie bei einer Geschoss-Flugbahn, die auch nicht geradlinig war, sondern einen Bogen beschrieb, auch wenn der hier weit größer und vermeintlich geringer gekrümmt war. Als ob etwas an dem Stern zog, ihn von seiner Bahn abbringen wollte. Ob sich so etwas mathematisch beschreiben und berechnen ließ, in der absoluten Schönheit, von der Hesindiard faselte? Oder handelte es tatsächlich sich um ein unlösbares Problem, nicht weil die Sterne, sondern weil die Götter die Natur dieser Sache vor den Menschen verbergen wollten? "Habt Ihr Kenntnis von den analogen Aufzeichnungen vor dem Aufschlag in Arivor? Könnte man nicht eine ähnliche Entwicklung der Bahnkurve unterstellen und sich so aus den hiesigen Beobachtungen annähern?" mutmaßte der Empiriker in ihm, "wenn doch die Theorie derzeit nur von unbefriedigender Genauigkeit ist?"

„Natürlich habe ich Kenntnis über diese Berechnungen, und natürlich kann man keine ähnliche Bahn unterstellen.“ antwortete er Kopfschüttelnd. „jeder fallende Stern entstammt einer eigenen Sphäre. Jeder von ihnen ist ein neues Rätsel für den Verstand.“ und er tippte sich erneut gegen die Stirn.

Ronan unterdrückte ein Seufzen und konzentrierte sich auf das Lächeln. “Die Sterne widersetzen sich den Zahlen, da habt Ihr Recht, Gelehrter Herr von Rickenbach. Sie sind mehr als nur bloße Zahlen, sie sind selbst ein Mysterium.” Er schaute den alten Meister direkt an. “Aber Feqz, der Wächter der Sterne, hat uns den Verstand und die Werkzeugen gegeben, diesem Mysterium ein Stückchen näher zu kommen.” Er lehnte sich etwas zurück. “Meister Hesindiard, Ihr sagt, in Euren Notizen steht alles. Wollt Ihr, auch für die in der Astrologie wenig bis nicht bewanderten, aber interessierten Suchenden, erklären, was das Ergebnis Eurer Forschungen ist?”

Der Alte zog erneut das Pergament mit den Kreisen hervor. „Setzt euch.“ und dann begann er die Wahrscheinlichkeitsberechnungen detailliert zu erläutern. Wenn jeder Stern einer eigenen Sphäre entstammte und daher keine Ähnlichkeiten unterstellt werden durften, wie sollte man dann jemals zu einer auch nur halbwegs zuverlässigen Vorhersage gelangen? Radulf schüttelte innerlich den Kopf: die Sterne entstammten der sechsten und damit einer der inneren Sphären - einer der Sphären, in denen die göttliche Ordnung noch etwas galt, und nicht Chaos und Brodem der siebten - es musste also Gesetzmäßigkeiten geben, und aus diesen auch zwingend resultierende Ähnlichkeiten - so sehr konnten die Sphären gar nicht zerrüttet sein. Gleichwohl beschloss er, den alten Mathematikus damit nicht länger zu behelligen - er würde ohnehin nur weiter unwirsch antworten. Stattdessen hörte er sich dessen Vortrag über seine Berechnungen noch einmal geduldig an - auch wenn es genaugenommen gar nicht so unmittelbar entscheidend war, wo der Stern ganz genau aufschlug, sondern viel mehr, welche Ereigniskaskade das ganze auslöste, war diese Vorlesung doch eine wohltuende Ertüchtigung seines von den Aufgaben eines Junkers zwar allzuoft vollends eingenommenen, aber doch häufig unterforderten Intellekts.

Der dunkelhäutige Horasier wartete kurz ab, hielt dann sein Buch mit seinen Aufzeichnungen hoch. “Wer Interesse hat, kann ich gerne meine Aufzeichnungen zu der besagten Prophezeiung zeigen.” Damit ging Belsazar zu einem Tisch und legte Buch und Karte bereit.

Die Neugier übermannte sie: Leonora machte sich auf zu dem Tisch und beugte sich über die dargelegten Materialien - diesmal ohne darauf Rücksicht zu nehmen, was der Gelehrte Hesindiard von der Prophezeiung hielt.

Auch der tulamidischstämmige Mann in Grau hatte sich nach der Diskussion von seinem Platz am Tisch erhoben und war zu Meister Belsazar getreten. “ghalbana ma taqadam alnubu'at rasayil yumkinuna faku shafartuh (Prophezeiungen bieten oft Botschaften, die wir entschlüsseln können)…” murmelte Ronan, als er sich über das Buch beugte, neben Leonora stehend, diese aber erst einmal nicht wahrnehmend. Abgesehen von einem leichten Nicken ergänzt durch ein freundliches Lächeln. Während er die Worte las, die auf der Seite standen, sorgsam in einer feinen gestochenen Schrift, versuchte er sich nicht ablenken zu lassen. Leonora hörte, wie er leise offenbar ein Mantra murmelte: “semper memoria teneam.” Nachdem er sich den Text offenbar genau durchgelesen hatte - um ihn sich einzuprägen? - richtete er sich wieder auf, strich die graue Tunika glatt und sah blinzelnd, als habe er in helles Licht geblickt, die junge Ritterin an. “Interessante Worte, nicht wahr?” Er runzelte die Stirn. “Aber wie es sich für eine richtige Prophezeiung gehört, recht mysteriös.” Er betrachtete die Karte. “Hm… was meint Ihr, kennt Ihr Euch in der nordmärkischen Geschichte gut genug aus, um eine Deutung vorzunehmen?”

“Immer das Gedächtnis… eines Holzwurms?”, überlegte Leonora, als sie das Mantra des Tulamiden aus ihrem Praiostagsschulen-Bosparano zu übersetzen versuchte. Sie erstarrte, als ihr klar wurde, dass sie unbedachter weise ihre Gedanken für ihren Ansprechpartner hörbar ausgesprochen hatte. Ihre Wangen fingen vor Verlegenheit an zu brennen. “Offen gestanden - ich kann mit den Worten nichts anfangen.”, gab sie zu. Schlimm genug, dass die Buchstaben immer zu tanzen begannen, wenn sie zu lesen versuchte, hatte sie sich in ihrer Kindheit mehr für Schwerter und Imman-Bälle begeistern können als für das Brüten über staubigen Büchern.

Der Tulamide in seiner grauen Tunika nickte. “Das haben Prophezeiungen so an sich, feurige Tochter des Schwertes.” Er deutete auf die Zeile mit der Feuersäule und der sich in den schwanz beißenden Schlange. “Dieser Abschnitt könnte womöglich eine Zeitangabe darstellen: ein fallender Stern zieht einen feurigen Schweif hinter sich her. Die sich in den Schwanz beißende Schlange könnte - ich betone: könnte - auf den eine astrologische Konstellation hinweisen, weshalb wir uns die Sternbilder der Schlange oder des Drachen vielleicht näher ansehen sollten.” Er runzelte die Stirn und schloss halb seine leicht schräg gestellten dunklen Augen. Einen Augenblick später öffnete er sie wieder: “Allerdings ist die Schlange derzeit nicht sichtbar.” Er schaute Leonora wieder an und deutete auf einen anderen Abschnitt. “Euch als Nordmärkerin, sagen Euch der Kamm des Berges, die Quelle des Flusses und des flüssigen Goldes sowie die Stadt der Könige etwas? Wir haben hier die Koschberge und in denen entspricht etwa die Galebra, allerdings scheint diese weniger flüssiges Gold zu führen. Und die Stadt der Könige? Und da alles ‘zwischen’ liegen soll, müssen es nahe liegende, aber doch entfernte Orte sein.”

Lange antwortete die junge Ritterin nichts, dann hellte sich plötzlich ihr Gesicht auf: “Honig!” Als sie einen verständnislosen Blick des Tulamiden erntete, fügte sie hinzu: “Imker nennen Honig auch ‘das flüssige Gold’. Es ist kein Fluss gemeint, sondern eine Stadt - Honingen!” Leonora sah sehr zufrieden mit sich aus. Dann legte sich wieder eine Falte über ihre Stirn. “Was die Flüsse angeht, gibt es im Norden auch die Tommel, aber wo ihre Quellen sind… keine Ahnung...” Sie spitzte nachdenklich ihre Lippen. “Und die Stadt der alten Könige - vielleicht sind keine Menschenkönige gemeint? Zwergenkönige… Xorlosch!” Die junge Ritterin strahlte über beide Wangen. Sie spürte, dass sie einen “Lauf” hatte, wie man beim Imman sagte (das sie natürlich nicht spielte). Fieberhaft überlegte die Kriegerin: “Kamm des Berges, Kamm des Berges… Gebirge gibt es hier viele… Ingrakuppen? Hatten wir schon, Xorlosch.” Sie tippte sich mit ihrem Zeigefinger auf die Lippen, während ihre Augen zur Decke gerichtet waren. “Koschgebirge, Bergkamm… Berg…. - grat? Bei einem felsigen… Gratenfels!” Leonora unterdrückte den Impuls, vor Freude auf und ab zu hüpfen. Sie räusperte sich, strich ihr Wams gerade, versuchte ihrer Stimme einen sachlichen Ton zu geben. “Drei davon waren Orte. Dann könnte ‘Quell des Flusses’ auch ein Ort sein.” Sie beugte sich über die Karte auf dem Tisch. “Galebquell?” Diesmal klang sie nicht so überzeugt.

Der Mann in Grau hörte der jungen Ritterin zu. Dann dachte er nach. “Hm… Xorlosch, ja, die Stadt der alten Könige.” Ronan zog aus seinem Beutel ein Diptychon und einen Griffel hervor und begann zu skizzieren. Oben waren mehrere sanft geschwungene Linien, dann einige größere Punkte und schließlich einige zackige Gebilde.

“Versuchen wir mal zu notieren. Hier oben…” Er fuhr die die Linie am oberen Rand entlang. “... haben wir die Nabla, den Grenzfluss der Nordmarken. Darunter ist die Ambla - beide fließen in den Großen Fluss.” Er deutete auf die dritte Linie, die etwa in der Mitte der Seite verlief. “Das hier ist die Tommel.” Er grinste und rieb sich durch den dunklen Haarschopf. “Ich bin kein guter Kartograph, aber ich versuche es irgendwie hinzubekommen.” Leonora betrachtete das halbwegs erkennbare Kunstwerk. “Die Tommel entspringt irgendwo nördlich von Gratenfels in den Bergen. Die Galebra hier…” Er fuhr die mittlere Linie, die am rechten Seitenrand des Diptychons entstand und in einem geschwungenen Bogen nach unten führte. “... entspringt bei Galebbogen im Kosch und windet sich südwärts zum Großen Fluss.” Dann deutete er auf einige Kreise und setzte dann immer einen Buchstaben hinzu. “Hier ist Gratenfels, hier irgendwo Xorlosch und hier Galebbogen und dort oben Tommelsbeuge.” Er fuhr mit der flachen Hand einen Kreis zwischen Flüssen und Städten. “Und das alles ist das Gratenfelser Becken.” Er schaute auf das Gekrakel und runzelte die Stirn. “Können wir damit etwas anfangen?” Er schaute die Ritterin lächelnd an. “Galebquell heißt übrigens die Baronie, Galebbogen der Hauptort.” “Xorlosch, die Stadt der alten Könige? Der Kosch als Bergkamm? Dann hätten wir schon eine Linie. Quelle des Flusses. Hm… Und dem flüssigen Goldes. Meint es ‘Quelle des Flusses UND des flüssigen Goldes, also eine Art Doppelquelle? Oder sind es zwei Orte? Honingen und die Quelle der Tommel?”

Was der Südländer nur mit den ganzen Flüssen hatte? Leonora verstand nicht, worauf er hinauswollte, doch… “Hier, auf Eurem Plan: die vier Punkte - die vier Orte - sie bilden eine Raute. Eine ziemlich genaue, sogar. Hier soll der Stern herunterfallen. Dass es in dieser Gegend, im Gratenfelser Becken abstürzen soll, das haben ja auch die Berechnungen von Meister Hesindiard ergeben.” Ihr Finger fuhr über die Zeilen der Prophezeiung, damit die Buchstaben nicht so wild hüpften. “Wir müssen warten, bis die Feuersäule erscheint - ist der Schweif eines Kometen gemeint?” Eine der Erkenntnisse, die Leonora aus den wenigen Lehrgesprächen mit dem Gelehrten gewonnen hatte, war, dass Kometen Sterne sind, die am nächtlichen Firmament verglühen. “Und die Feuersäule erscheint, wenn die Schlange sich in den Schwanz beißt. Sternbild der Schlange? Im Hesinde-Mond? Dann müssen wir ja lange warten… Kann sich die Schlange woanders in den Schwanz beißen? Oder hat der Stern schon seit dem Hesindemond angefangen abzustürzen?”

“Da stehen wir vor einem großen Rätsel, Meisterin der Klinge.” antwortete Ronan und betrachtete die Raute, deren verbundene Ecken auch im Gratenfelser Becken einen Ort aufzeigten. “Das Sternbild der Schlange ist derzeit unter dem Horizont, der nächste Hesinde-Mond noch weit entfernt.” Er lächelte die junge Frau an. “Astrologische Prophezeiungen sind eine Mischung aus Bauchgefühl und Berechnung, möglicherweise wird uns ein weiterer Blick in den Sternenhimmel weiterhelfen. Aber für den Moment, tapfere Schwerttänzerin in heiterer Nacht, bin ich einfach ratlos.”

“Schwerttän…?”, echote Leonora verwundert, nicht minder verwirrt von den Äußerungen des Tulamiden als von der Prophezeiung. “Und was ist mit den Augen - zwei Augen, und dann ein drittes… Drei Augen, niemand hat drei Augen - oder?” Ronan grübelte. “Ich hörte davon, dass der Drachenkaiser des Horasreiches ein Drittes Auge besitzt, welches große magische Macht verleiht.” Er zuckte mit den Schultern. “Aber ich habe ihn mehrfach gesehen und er hatte kein drittes Auge auf seiner Stirn. Doch trug er auch ein Diadem, möglicherweise war es darunter?” Er wiegte seinen Kopf hin und her. “Aber, es gab einst ein Volk auf den Zyklopeninseln, welches Mada verehrte. Sie besaßen Forschungsergebnissen zufolge drei Augen. Zwei wie wir und ein schwarzes, wie aus Obsidian auf der Stirn.”

“Drachenkaiser… Zyklopeninseln…” Leonora kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht mehr nur die blumigen Namen, mit denen der Tulamide sie bedachte. Jetzt nannte er auch so viele exotische Personen, Orte, Begebenheiten, die sogar in Verbindung mit dieser Suche stehen können. Die Ritterin war regelrecht bezaubert. “Und sind diese dritten Augen - böse?”, fragte sie, ihre Stimme vor Ehrfurcht senkend.

“Mächtig.” antwortete er. “So wie die Zauberkraft oder die Fähigkeit zur Zauberei.” Er lächelte verhalten. “Es kommt darauf an, was derjenige mit dieser Gabe tut. Aber nein, stählerne Schönheit, das dritte Auge scheint nach allem, was ich herausgefunden habe, nicht von sich aus böse zu sein.” Leonora zuckte mit den Schultern, beugte sich dann wieder über die Prophezeiung. “Und die Ketten? Welche Ketten bersten, und wer ist der König der Könige?”, fragte sie weiter. “Das, Wagemutig Suchende auf dem Pfad dunkler Geheimnisse…” Ronan zuckte kurz mit den Achseln. “... werden wir im Laufe unserer Queste herausfinden müssen. Prophezeiungen sind nie eindeutig, denn sie sind Hinweise der Götter - und die Götter stellen uns auf die Probe.”

Nach einer Weile des Beratens, erhob der Hohe Lehrmeister wieder sein Glöckchen und rief damit zur Ruhe und Aufmerksamkeit auf. “Wie ich heraus höre sind wir uns einig, das es ins Gratenfelser Becken gehen wird. Den Vorschlag der Mentorin Nirjaschka, ein besseres und größeres Teleskop in Anspruch zu nehmen, halte ich dennoch für keine schlechte Idee. Doch vertraue ich der Mehrheit der klugen Köpfe der Versammelten. Ich bitte euch, ein jeder der für den Weg über Kyndoch - Honingen ist, erhebe die linke Hand. Und ein jeder der für den Weg über Twergenhausen ist, erhebe bitte die Rechte.” Aufmerksam wartete der Hesindegeweihte ab.

Doratrava hatte ihre Jonglier-Übungen eingestellt und sich wieder zu Meta gesellt. Sie raunte der Schildmaid zu: “Du hast mich angeheuert. Also musst du sagen, welchen Weg wir nehmen sollen.” Sie hoffte auf den Weg über Kyndoch, dann musste sie nicht in Twergenhausen Erinnerungen auffrischen. Meta war kurz etwas verwirrt. “Aber klar, ich hab dich angeheuert, und reichlich belohnen möge dich der alte Sack.” Sie schwieg kurz, ließ ihre blaugrauen, undefinierbaren Augen über die Beteiligten schweifen. “Wir halten uns an der aufgemotzten Rahjani. Mein Herr ist mit ihr verwandt und meine ehemalige Herrin Domna Verema nun ebenfalls. Also werden wir wohl oder übel mit dem Schiff fahren. Du hältst das aus?”

Soweit Doratrava überhaupt etwas mit Valeria zu tun gehabt hatte, war diese ihr für eine Rahjani ungewöhnlich schnippisch und arrogant vorgekommen, aber sie musste ja kein Tänzchen mit der Frau wagen (obwohl … das wäre sicher eine interessante Erfahrung - für beide). Also sah sie da kein Problem. “Sicher, warum nicht?” antwortete die Gauklerin. “Dann machen wir es so.” Die erste Bemerkung Metas irritierte Doratrava schon viel eher. Bei der “Anwerbung” durch Meta hatte sie gedacht, sie hätte etwas falsch verstanden, denn es war bisher immer so gewesen, dass der, der bestellte, auch bezahlte. Aber nun schien die Knappin tatsächlich der Meinung zu sein, der alte Zausel würde für ihre Begleitung und seine Unterhaltung bezahlen … das mit dem Zahlen tanzen war dann vielleicht doch nicht so abwegig … oder geometrische Muster … oder mit Tintenfässchen jonglieren … Sie musste schon wieder kichern und beschloss, die Sache auf sich zukommen zu lassen, so, wie sie es meistens tat. Als sie dann sah, dass Valeria sich allerdings für die Twergenhausen-Route entschied, trat einer säuerlicher Ausdruck auf Doratravas Gesicht. ‘Nun, Pech gehabt’, dachte sie bei sich, sagte aber nichts.

Meta bemerkte den ungewohnten Ausdruck auf dem Gesicht der Gauklerin. Beruhigend strich sie ihr über den Arm. Keiner sollte es sehen, sie bewahrte eine neutrale Miene und flüsterte der hübschen Frau zu: “Dora, was auch immer es ist, hab keine Angst. Ich mag unwichtig sein, man schenkt mir kaum Beachtung, oder nimmt mich als bloß gleichaltrige, stell dir das vor, Frau wie Valeria wahr. Aber ich tue was ich kann, um die, für die ich mich verantwortlich fühle, zu schützen.”

Doratrava nickte nur, wenn auch ihre Gedanken auf Wanderschaft gingen: ‘Huch, sie fühlt sich für mich verantwortlich. Na, das ging aber schnell …’

Valeria war eher nach einer Fahrt auf dem Fluss, als dem tagelangem Sitzen auf ihrem Damensattel und ihrer störrischen Stute unter dem Hintern. Darüber hinaus wollte sie dem Alten in die Suppe spucken. Sie mochte ihn nicht. Was die bessere Lösung für das Vorhaben der Gruppe war konnte und wollte sie nicht bewerten.

Ohne Umschweife hob Geron seine linke Hand. Er hatte die Idee annähernd anderthalb Wochen mit der Reise nach Twergenhausen zu verschwenden von Anfang an nicht gut gefunden. Je eher sie in Schweinsfold waren, desto besser würde er sich fühlen. Zudem hätten sie die Zeit um Vorbereitungen zu treffen und auch Nachforschungen zu dem Königskind anzustellen. Vielleicht konnte dabei seine Schwester helfen oder auch Mutter Elva.

Auch wenn sie sich nicht dazu abgesprochen hatten, stimmte Relindis aus denselben Beweggründen wie Geron für die Reise flussabwärts gen Kyndoch und von dort über Honingen gen Schweinsfold. In ihrer Entscheidung bestärkt wurde sie durch Akka, die in diesem Moment mit einem freudigen Schnattern jäh nach links davon watschelte. Mochte es für einen unbedarften Außenstehenden nur nach einer gefräßigen Gans aussehen, die nach einigen während des vorangegangen Mahls herabgefallenen Brosamen gierte, so spürte Relindis darinnen den Willen der gütigen Mutter, so schnell und auf kurzer Strecke wie möglich zum Ort der Prophezeiung zu streben.

Lessandero fuhr auf der Karte die beiden Strecken nach, dann entschied er sich für Kyndoch - Honingen, denn flussabwärts ging es deutlich gemütlicher als durch die Stromschnellen und Engpässe gen Twergenhausen. Und bis nach Honingen gab es gut ausgebaute Straßen und nicht nur so alte Karrenwege.

Nach dem mühsamen Studium der Prophezeiung, aus der sie nicht recht schlau wurde und die sie sich obendrein auch nicht gut merken konnte, war die Zeit der Eigensinnigkeit für die junge Ritterin von Heiternacht vorbei. Sie wäre hier völlig verloren, wenn sie sich auf ihren eigenen Überlegungen verlassen müsste… Außerdem hatte sich vorgenommen, den Alten zu begleiten, weswegen sie wieder seine Nähe suchte. Als sie neben ihm stand, raunte sie ihm zu: “Für welche Strecke entscheidet Ihr Euch? Ich will Euch gerne dabei begleiten.”

Der Alte zuckte mit den Achseln. Ihm war es relativ egal. Beide Wege führten durch Gebiete derselben Aufschlagswahrscheinlichkeit. Und keine würde sie schneller ans Ziel bringen. Die junge Kriegerin machte ein langes Gesicht. Der betagte Gelehrte wusste doch sonst genau, was er wollte? Insgeheim, merkte sie gerade, hatte sie gehofft, dass Hesindiard sich für eine Reise über Twergenhausen entscheiden würde. Und zweifellos, musste sie sich eingestehen, war ihre Hoffnung gewesen, durch das dortige Teleskop in die Herrlichkeit des Nachthimmels zu blicken - am Liebsten unter der kundigen Führung des Alten. Vorsichtig schlug sie vor: “Dann… lasst uns doch überprüfen, ob das Twergenhausener Teleskop tatsächlich Mist ist.”

“Nicht das Teleskop ist Mist.” antwortete der Alte: “Nur sein Käufer. Mit ...hoher Wahrscheinlichkeit.” Er seufzte. Und dachte an den erhebenden Anblick in den Himmel aus den Goldfelsen. “Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass das Teleskop irgendwelche neuen Erkenntnisse bringt. Vermutlich wird es uns nur Zeit kosten, weil all diese geistlosen Schwätzer und Möchtegern-Gelehrten einen Blick durch ein Teleskop werfen wollen, das ein ebensolcher geistloser Schwätzer aufgestellt hat. Warum ich das denke, werde ich euch gerne auf dem Weg erläutern… Etwas anderes... habt ihr diese Prophezeiung gelesen? Was haltet ihr von ihr? Ist sie sinnig?” Er kam näher und flüsterte: “Wisst ihr, Propheten ohne die rechte Bildung vergessen mitunter die Unschärfetheorie zu betrachten, wenn sie geistlos ihre Ideen jagen.” Die Angesprochene überlegte kurz angestrengt. Dann antwortete sie: “Ich glaube, es ist eine von den Prophezeiungen, die erst hinterher stimmen.” “Dann müssen wir uns ja auch um die Unschärfetheorie keine Sorgen machen.” grinste der ALte zufrieden. Wissend - oder eher: vortäuschend, dass sie verstand, was Hesindiard sprach - nickte Leonora.

Als ob es in Frage stand, welcher Weg der Richtige war? In Tagen, in denen die Zeichen auf Krieg standen, würde Radulf in einer wichtigen Mission lieber einen Umweg in Kauf nehmen, als ohne allzu große Not durch fremdes Territorium zu reisen, selbst wenn dieses nur Albernia war. Es war ja schließlich nur zu gut bekannt, wie treu und verlässlich die Albernier immer waren. Die Route alleine durch die Nordmarken war die einzig sinnvolle Entscheidung für den Magus. Zumal auch ihn das so viel besprochene Twergenhausener Teleskop lockte.

“Weise Hesinde, es sei!” sagte Elador als er die Stimmen gezählt hatte. “Ich würde vorschlagen, das jeder den Rest des Tages dazu nutzt, sich auf diese Mission vorzubereiten. Ich bitte dann alle, morgen sich zur ersten Rahjastunde am Hafen einzufinden. Und nun entschuldigt mich, ich habe etwas zu ´organisieren.” Der Hohe Lehrmeister verneigte sich kurz und verließ dann die heilige Halle.

Misstrauen

Wütend und frustriert stand Geron da, die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ein leises drohendes Knurren drang aus seiner Kehle und er stapfte aus dem Tempel. Draußen schlug er den Weg in Richtung der Magierakademie ein, da ihn dieser tiefer in den Park bringen würde. An einer Eiche blieb Geron stehen und rammte seine Faust mit aller Macht gegen den Stamm des Baumes. ‘Wie konnte man nur so blind gegenüber der Gefahr für die Bewohner des Landstrichs sein?’ Wieder krachte seine Faust gegen den Baum.

“Aber … aber, junger Mann …”, hinter Geron erklang die liebliche Stimme einer jungen Frau, “... darf ich erfahren was Euch so sehr in Rage bringt?” Die Geweihte Valeria hatte einen Kelch in der Hand und aus ihren Augen blitzte dem Ritter eine Mischung aus Neugier und Spott entgegen. “Ist es vielleicht gar dieses ermüdende Beisammenstehen zwischen all den Büchern und Schriften?” Sie simulierte ein Gähnen.

Mit noch immer zu Fäusten geballten Händen drehte sich der Ritter langsam zu ihr um. “Ihr.” knurrte er. “Ihr gehört doch zu den denen, die lieber zwei Wochen damit verschwenden wollen um ein, nur eventuell, genaueres Teleskop zu begaffen, anstatt direkt ins Becken zu reisen.” Sie konnte sehen, dass er vor unterdrücktem Zorn zitterte und nur noch ein kleiner Funke fehlte um diesen zu entladen.

Auch Relindis war Geron hinterher geeilt - hoffentlich holte sie ihn rasch ein. Da vorne war er ja… und die Rahjageweihte auch, die offenbar schneller als sie gewesen war. Die junge Geweihte wog schnell ab, ob sie sofort zu den beiden stoßen sollte, doch sagte ihre Intuition ihr, zuerst Akka abzufangen, die ihr gerade vor Empörung ob ihres unvermittelten Aufbruchs laut schnatternd auf den Fersen war.

Da hörte Geron das zunehmend lauter werdende Geschnatter einer Gans und als er einen Blick über Valerias Schulter hinweg warf, konnte er auch das kurze Aufblitzen von orangefarbenen Stoff erkennen. Der leichte Wind trug ihm zudem den vertrauten Duft von Relindis zu, so dass er genau wusste, wer da hinten war. Seinen Blick wieder der Rahjani zugewandt, versuchte er sich zu beruhigen und zwang seine Fäuste sich zu öffnen. “Ihr wollt wissen, was mich so in Rage bringt? Ihr und Euresgleichen, die nur an den Profit denken oder glauben, dies sei nur ein netter Zeitvertreib.”

“Ah …”, entfleuchte es der Kehle Valerias, ohne dass das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand, “... Ihr scheint mich ja sehr gut zu kennen. Oder sind es bloß Vorurteile, die aus Euch sprechen? Eine einfache Rahjani … was wird die denn hier schon wollen, außer sich selbst zu bereichern.” Sie schüttelte sanft ihren Kopf. “Ihr kennt meine Triebfeder nicht und würdet es auch nicht verstehen, aber das soll hier und jetzt ja nicht das Thema sein. Ja, es interessiert mich was Euch so in Rage zu bringen vermag. Ist es die Reise nach Twergenhausen? Was wäre denn die Alternative? Auf gut Glück ins Gratenfelser Becken zu reisen? Von wievielen Rechtmeilen sprechen wir denn dabei? Sind es 1.500? Oder 2.000?” Valeria nahm einen Schluck vom Wein, der erstaunlich gut mundete. “Ich denke wir sollten uns schon so sicher wie möglich sein wo wir genau hinmüssen. Meint Ihr nicht?”

“Dann studiert die Prophezeiungen etwas genauer und vielleicht wird sich euch ein kleineres Gebiet erschließen, welches zu erkunden gilt. Das sind dann eher 150 bis 200 Rechtmeilen, von denen ich spreche. Außerdem könnten wir, wenn wir direkt in die Mitte des Beckens reisen, dort bessere Messungen vornehmen und auch schnell reagieren. Zudem können wir von dort sehr schnell jeden Ort im Becken erreichen. Und wenn der Stern dort wirklich aufschlägt, werden Menschen sterben. Versteht Ihr was das bedeutet? Ach, und ich habe Eure Reden im Tempel gehört. Und selbst wenn ich das nicht hätte, so wüsste ich es aus Eurer Wahl der Gruppe zu schließen, weshalb Ihr hier seid.” Er schnaubte abfällig. “Also, verplempert ruhig Zeit und fahrt nach Twergenhausen.” Einen kurzen Moment musterte er die vor ihm stehende Frau von Kopf bis Fuß. “Euer Gnaden.” Dann machte er Anstalten sie einfach stehen zu lassen.

Die Naivität des Ritters hatte eine belustigende Wirkung auf Valeria, dennoch ließ sie sich äußerlich vorerst nichts anmerken. “Und wenn die Prophezeiung irrt?” Die Geweihte ließ ihm keine Zeit für eine Antwort. “Meinen Namen trage ich im Übrigen nicht nur aus Stilgründen. Ich bin Horasierin und seit Arivor wissen wir wie gefährlich ein fallender Stern sein kann. Auch wenn wenn man die Bevölkerungsdichte des Gratenfelser Beckens nicht mit jener der Gerondata vergleichen kann und die Wahrscheinlichkeit für Fatalitäten um ein vielfaches geringer ist. Wenn Ihr den Menschen wirklich helfen wollt, dann setzt alles daran jene zu warnen, die es betreffen wird und genau das könnt Ihr nur wenn wir wissen wo genau es passieren wird. Wenn sich unsere Erkenntnisse am Teleskop mit der Prophezeiung decken, dann wäre das umso besser.”

“Und wie wollt Ihr die Leute rechtzeitig warnen, wenn Ihr zu spät kommt? Hm?” Er deutete in die grobe Richtung in der Twergenhausen lag. “Ihr braucht mit dem Schiff geschlagene anderthalb bis zwei Wochen, nur um die Stadt zu erreichen und anschließend braucht ihr nochmal vier, fünf Tage bis ihr im Becken seid. Laut einem der Gelehrten da drin wird der Stern innerhalb der nächsten zwei Wochen aufschlagen. Dagegen würde die Reise ins Gratenfelser Becken nur sieben oder acht Tage dauern. Und wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es doch ein Teleskop in einer der Gruppen. Warum also nicht dieses mitnehmen und vor Ort im Becken den Stern beobachten?” Er sog tief Luft ein und starrte dann durch seine dunklen Brillengläser Valeria an. “Vergesst es einfach. Gehabt Euch wohl.” Damit ging er nun wirklich an ihr vorbei, tiefer in den Park.

Die Geweihte ließ sich jedoch nicht abschütteln. “Und wen genau wollt Ihr warnen? Und wo sollen die Menschen hin? Es ist doch bisher nicht einmal klar wie groß und gefährlich dieser Stern ist. Auch der Stern nahe Arivor hat die Stadt nicht durch die Macht seines Einschlages direkt vernichtet. Er hat eine Kettenreaktion ausgelöst, die zur Zerstörung der Stadt führte, da der Boden in der Gerondata unterhöhlt war. Solcherlei Gegebenheiten sind mir im Gratenfelser Becken nicht bekannt, doch vielleicht wissen die Gelehrten hier mehr dazu. Was ist Euer Plan? Die Menschen mehrerer Baronien willkürlich zu evakuieren … und das aufgrund einer Prophezeiung?” Valeria schüttelte ihren Kopf. “Nein, wir werden uns den Stern durch das Teleskop ansehen - bevor es in den Krieg geht, sollte man sich immer vergewissern wer der Feind ist, den man zu bekämpfen trachtet. Dann können wir die Menschen mithilfe der Kirchen warnen. Ich selbst habe die Fähigkeit mit Belhanka zu kommunizieren … jederzeit. Andere Brüder und Schwestern in Twergenhausen werden dies wohl auch können. So verbreitet sich das Wort viel schneller als wenn Ihr mühsam beginnt Adelshöfe abzuklappern.”

Geron blieb abrupt stehen und baute sich vor Valeria auf. Seine Maske war nur einen Halbfinger von ihrem Gesicht entfernt. Roter Glanz erhellte die Brillengläser von innen heraus. “Ihr solltet jetzt gehen, bevor ich mich vollends vergesse.” grollte er bedrohlich. Er musste weg von diesem Weib, bevor er vollends die Beherrschung verlor und das Tier übernehmen würde. Er konnte spüren wie es sich beinahe vollends von seinen Ketten befreit hatte und nach dem Blut der Frau lechzte.

Der Blick der jungen Frau war unbewegt und ohne Furcht. Als der Ritter ihr bedrohlich nahe kam, wich sie nicht zurück. Stattdessen schob sie, in einer kaum wahrnehmbaren Bewegung, ihre freie Rechte in den seitlichen Schlitz ihres Kleides und holte etwas daraus hervor. Hinter Valeria erkannte Relindis den schlanken Dolch, den die Geweihte nun hinter ihrem Rücken hielt. “Ihr droht einer schutzlosen Geweihten der Rahja?”, kam es beinahe schon herausfordernd.

Was wurde hier gespielt? Relindis Atem stockte für einen kurzen Moment, als sie der hinter dem Rücken gezückten Waffe gewahr wurde. War es Furcht oder Hinterlist, die die Rahjani trieb? - Nein an Arglist konnte und wollte sie nicht glauben - auch wenn Valeria vorhin noch so gierig wirkte, war sie immer noch eine Dienerin einer friedliebenden Göttin, so wild deren Kult auch bisweilen daherkam.

Geron war ein so lieber Mensch, aber nach dem Gebaren und den Äußerungen Valerias im Tempel konnte sich Relindis gut vorstellen, dass er in seiner gegenwärtigen Aufgewühltheit mit der Rahja-Geweihten aneinandergeraten war... und wenn man ihn nicht besser kannte, konnte er schon furchteinflößend sein, selbst mit Maske... Sie musste den Streit schnell schlichten und die beiden auseinanderbringen, ehe hier noch ein Unglück geschah. Sie gab Akka einen Schubser in Gerons und Valerias Richtung. "Schnell, meine gute Freundin. Schnell."

Schnatternd setzte sich die Gans in Bewegung und watschelte eilig auf die beiden zu, dicht gefolgt von Relindis, deren Laufschritt Akka schließlich sogar zu einem flügelschlagenden Sprint veranlasste. Wohin trieb ihre menschliche Gefährtin sie nur? Akka nahm mit jedem Schritt deutlicher die Aura des aufgebrachten Raubtieres vor ihr wahr, die von dem vorhin noch so freundlichen Mann ausging. Kurz bevor sie angelangte wich sie daher ängstlich zur Seite aus und erhob sich sogar in die Lüfte, um der Gefahr zu entrinnen.

"Schnell, haltet sie auf, ehe sie entwischt!" rief Relindis laut, als sie sich sicher war, dass genau dafür keine Chance mehr bestand. "Zu spät!" kam sie, etwas übertrieben keuchend, bei den beiden an. "Manchmal macht mich das eigensinnige Vieh verrückt!" Das stimmte sogar, jetzt aber gerade gar nicht - was sie aber auch nicht behauptet hatte, wie sie zur Beruhigung ihres Gewissens für sich konstatierte. "Aber gut, dass ich Dich sehe, Geron. Ich muss unbedingt mit Dir reden!" sprach sie zuerst Geron an, ehe sie ihren Blick Valeria zuwandte. "Ich hoffe, ich störe Euch nicht bei einer wichtigen Unterredung." Ihre etwas zu hohe Tonlage und die hektisch vorgetragenen Worte verrieten ihre Aufregung und ihr Unbehagen angesichts der kleinen Scharade. Rasch aber fasste sie sich. Mit ruhigerer, ja sanfter Stimme, fragte sie, von einem zur anderen blickend, nach: "Alles in Ordnung bei Euch? Kann ich Euch beiden helfen?" Hoffentlich ließ sich aus der Welt schaffen, was geschehen war.

Valeria warf ihre Stirn in Falten und ließ ihren Dolch unauffällig dort verschwinden, wo sie ihn zuvor hergenommen hatte. Ein Mann, der so bereitwillig eine Dienerin der Zwölf bedroht hatte etwas zu verbergen. War er ein Dämonenknecht, oder diente er dem Dreizehnten? Sie würde ihn im Auge behalten. Relindis hingegen schenkte sie ein freundliches Lächeln. "Alles in Ordnung, Schwester …", säuselte sie, "... der hohe Herr und ich hatten uns ein wenig die Beine vertreten und den Tag Revue passieren lassen."

Sollte sie Valeria und Geron mit einem derartigen ungelösten Konflikt auseinander gehen lassen? Was würde dies bedeuten, wenn sie wieder aufeinandertrafen? Durfte sie die Rahjani mit dieser offensichtlichen Notlüge ziehen lassen? Relindis’ erster Impuls war, Valeria aufzuhalten und zur Aussprache zu bitten. Immer deutlicher aber spürte sie die starke Anspannung Gerons - die nicht einfach nur wie eine Regung gewöhnlicher, im Zaum gehaltener Reizung oder gar Zorns, sondern wie die eines Raubtieres wirkte, bereit zum Sprung auf seine Beute. Welche Worte waren nur in den wenigen Augenblicken gefallen? Es war besser, Valeria ziehen zu lassen, rasch, sonst konnte hier immer noch etwas geschehen. "Dann bin ich erleichtert." gab sie hastig zurück, das Lächeln kurz erwidernd. Ihre kraus gezogene Stirn und ihre Augen verrieten jedoch ihre Sorge. Sie wandte sich Geron zu und sah diesen beschwörend an.

Geron brauchte eine ganz Zeit um sich wieder zu fangen. In dem Moment da die letzte Kette gefallen und sich die Bestie befreit hatte, war Relindis erschienen und das Tier, welches gerade noch triumphierend die Führung ergreifen und die Frau vor ihm töten wollte, hatte sich vor Enttäuschung aufbrüllend zurückgezogen. Er blinzelte mehrmals und die Frauen konnten sehen wie das rote Glühen erst nachließ und dann gänzlich verschwand. Immer noch von unter den Nachwirkungen seines Beinahe-Kontrollverlustes leidend, schüttele Geron mehrmals den Kopf. Er wirkte nun deutlich gefasster und die pure Aggression, welche er gerade noch ausgestrahlt hatte, hatte einer deutlich gefassten Haltung Platz gemacht. Er bedachte die Rahjani mit einem langen, nachdenklichen Blick, bevor er sich zur Gänze Relindis zuwandte. Er bot ihr seinen Arm. “Du wolltest mich sprechen? Lass uns ein Stück gehen.” meinte er mit rauer Stimme.

Valeria ließ ihren Blick für einen Moment zwischen den beiden anderen hin und her schweifen. Immer noch wirkte sie äußerlich unbeeindruckt. Innerlich schwor sie sich jedoch, dass sie diesen Mann im Auge behalten würde. Es war klar, dass auch die Feinde der Zwölfgötter ihre begierigen Finger nach dem Stern ausstrecken. Dass sie dies nun damit rechtzufertigen versuchten, die Menschen vor der Gefahr herabfallender Sterne zu schützen, empfand die Rahjani als besonders perfide. Niemand hier, das schwor sie sich, würde Schaden durch diese verkommene Seele erleiden müssen. So verabschiedete die Geweihte sich wortlos und ging in Richtung des Tempels zurück, nur um aus dem Sichtfeld der beiden anderen umzukehren und ihnen unauffällig zu folgen.

Ängstlich beäugte Akka, wie ihre Gefährtin tatsächlich den Arm des Mannes ergriff, der auf einmal aber auch gar nicht mehr so gefährlich wirkte. Sie beschloss, in sicherem Abstand hinterherzuwatscheln und dabei gut auf ihre flügellose Freundin aufzupassen. “Geht es wieder bei Dir, Geron?” fing Relindis mit sanfter Stimme an. “Du schienst ganz außer Dir. Waren es die Wahl der Reiseroute und die falsch gewichteten Prämissen, unter denen diese erfolgte und die auch mir nicht gefielen, oder ist noch etwas zwischen Dir und Ihrer Gnaden vorgefallen?” fragte sie offen heraus. Lediglich die gezückte Klinge sprach sie zunächst nicht an.

Der Ritter antwortete nicht sofort auf die Fragen, sondern führte Relindis auf eine kleine, abgelegene Lichtung inmitten des Parks. Langsam nahm er Maske und Brille ab und lehnte sich dann schwer gegen einen Baum. Unter der Maske und der Brille war ein markantes, von einem sauber gestutztem Vollbart geziertes und durchaus nett anzusehendes Gesicht zum Vorschein gekommen. “Die Entscheidung nach Twergenhausen zu reisen und ein paar der Dinge die drinnen gesagt wurden haben mich hinausgetrieben und als ich dabei war, meine innere Ruhe wiederzufinden, da kam die Geweihte und hat mich mit ihrer Art immer weiter gereizt.” Er setzte an noch mehr zu sagen, doch…

Die junge Geweihte schlich sich im Schutz der Bäume an die Lichtung an. Immer gegen den Wind, so wie sie es gelernt hatte. Als der Ritter seine Maske abnahm, zog sie ihre Augenbrauen zusammen. ´Rahja hilf´, dachte sie bei sich, blieb jedoch ruhig.

Auf die Distanz konnte Valeria nichts Ungewöhnliches feststellen. Doch noch bevor er die Maske ganz abgelegt hatte, ruckte Gerons Kopf hoch und eiligst zog der Ritter wieder die Brille auf, bevor er einen suchenden Blick auf den Bereich richtete wo sich Valeria versteckte. Mit einer geübten Handbewegung zog er die Riemen der Maske wieder straff, während er ein paar vorsichtige Schritte in die Richtung tat, aus der er das Geräusch gehört hatte.

Die junge Frau rollte mit ihren Augen, als der Ritter sich in ihre Richtung aufmachte. Wieder zog sie den, mit äußerst potenten Boronstropfen präparierten Dolch aus seiner versteckten Scheide an ihrem Oberschenkel. ´Verfluchter Dämonenbuhle´, knurrte sie innerlich und machte sich bereit ihm notfalls in den Rücken fallen zu können. Unvermittelt blieb Geron stehen und drehte sich zu Relindis um. “Hier können wir nicht offen reden. Lass uns woanders hingehen.”

Das war ihr Stichwort. Hier gab es wohl nichts mehr zu erfahren. Die offene Konfrontation würde sie nicht suchen, auch die Rolle des Aggressors war nicht die ihre. Aber sie würde sich und die anderen verteidigen. Mit einem Gedanken an die Traviageweihte, die sie nun alleine zurückließ, wandte sie sich um und ging zurück in Richtung des Tempels.

Beunruhigt sah sich Relindis um - konnte jedoch nichts Verdächtiges ausmachen. Doch wusste sie darum, dass Geron, ebenso wie seine Schwester Khorena, weit schärfere Sinne als die allermeisten anderen, sie eingeschlossen, hatte, und vertraute daher seinen Instinkten. Noch immer war sie mit einem nicht nur leichten Schaudern des Dolches in Valerias Hand, in der Hand einer Götterdienerin!, aber auch Gerons Rage eingedenk. Es galt, einen weiteren Zusammenstoß zwischen den beiden wenigstens in der jetzigen Gemütslage zu vermeiden. Sie nickte daher: "Du hast Recht, wo sollen wir hingehen? Sollen... ich meine... dürfen wir Onkel Hesindian besuchen?" Dort wären sie unter Vertrauten, und sie könnte auch noch, trotz der Kürze ihres Aufenthalts, Leuenhard und Eberwin in Augenschein nehmen und Travias Segen wünschen.

Geron dachte darüber nach, schüttelte aber dann den Kopf. “Ich möchte sie nicht in Gefahr bringen, indem ich einen Verfolger zu ihrem Haus führe.” Der Wind trug einen Geruch zu ihm, den er mit der Rahjani verband. Nun wusste er, wer sie beschattet hatte. Er konnte fühlen wie etwas in seinem Inneren an den Ketten zog, aber nur halbherzig. Um sicherzugehen zog er seine Waffe und ging nochmal auf das Gebüsch zu, wo er ein Geräusch gehört hatte. Wie erwartet, war hier niemand mehr, aber der Geruch war noch nicht ganz entschwunden. Sie war also wirklich weg, das war gut. Geron steckte die Waffe wieder weg und ging zu Relindis zurück. “Es war die Rahjani, die uns belauscht hat und sie ist scheinbar weg. Jedenfalls glaube ich, dass sie gerade firunwärts läuft.” Für einen kurzen Moment blieb er stehen und dachte nach. “Ich glaube, wir können es doch wagen zu mein..., ich meine, unseren Onkel zu gehen. Sie werden sich freuen dich zu sehen.”

"Und ich freue mich auf sie! Ich bin sehr gespannt auf unsere beiden kleinen Vetter!" gab Relindis lächelnd zurück. Noch immer hatte sich Gerons Anspannung nicht gänzlich gelöst, das konnte sie deutlich spüren. Sie beschloss, dieser zunächst keine neue Nahrung zu geben und alle Fragen zu den Geschehnissen gerade eben zurückzustellen, bis sie in der Sicherheit der Heimstatt Hesindians wären. Wo Travias Schutz und Liebe walten, da kann sich Zorn und Angst nicht halten. Kurz sah sie sich um, und vergewisserte sich, dass Akka auch wirklich nachkam - natürlich tat sie das, aber ihr Blick sprach Bände über die Skepsis des Tiers, was Relindis' Umgang betraf.

Geron hatte ihr abermals seinen Arm geboten, bevor er sie durch den Park und das Stadttor, durch ein Gewirr von Gassen führte, wobei er stets auf Verfolger achtete. Währenddessen konnte sie spüren wie ein Teil seiner Anspannung von ihm abfiel. Schließlich hielt er vor einem schmucken Haus, das sich nicht von den anderen Häusern, links und rechts, unterschied. Kurz lauschte er, dann klopfte er sachte an den Fensterrahmen links von ihnen. Für einen Moment erschien ein Kopf, dann verschwand er wieder. Sekunden später öffnete ihnen Onkel Hesindian die Tür. Freudestrahlend bedeutete er ihnen einzutreten und dabei leise zu sein. “Im Moment schlafen alle beide.” flüsterte er. Dunkle Ringe lagen um seine Augen und auch Tante Alruna, die ebenfalls im Gang stand, sah übernächtigt aus. Trotzdem trübte das keineswegs die Freude über die Anwesenheit ihrer Gäste und sowohl Relindis als auch Geron wurden von beiden herzlich umarmt.

Relindis freute sich sehr, dass es ihr nun doch vergönnt war, Onkel Hesindian und Tante Alruna zu besuchen. Zu ihrem Bedauern hatte sie ihr Geschenk für die beiden neuen Derenbewohner, ein Mobile aus grünen Glasplättchen, das im Tages-, aber auch im Kerzenlicht schöne Reflexe warf, in ihrem Reisegepäck und damit im Traviatempel zurückgelassen. Ein wenig konnten sie einen schon dauern, so abgekämpft und müde die beiden frischgebackenen Eltern aussahen - aber das schien ihr Glück nicht zu trüben - und hieß es nicht, dass nichts Eltern und Kinder stärker zusammenschweißte als gemeinsam durchwachte Nächte? Relindis ließ es sich nicht nehmen, gleich einen sehr eingehenden Blick auf Leuenhard und Eberwin zu werfen und den Segen der gütigen Mutter über sie zu sprechen. Sie schmolz nur so dahin, den beiden ganz still und heimlich beim Schlafen zuzusehen, wie sie nebeneinander lagen, so klein und unschuldig, so süß und liebreizend. "Wenn sie wach sind, muss ich sie unbedingt im Arm halten!" bemerkte sie mit einem ganz verliebten Seufzen, nachdem sie sich schließlich doch von den beiden gelöst hatte. "Wie gerne würde ich euch vier länger sehen", entschuldigte sie sich, als sie sich mit Geron zu Hesindian und Alruna gesetzt hatte. "Aber der Stern, der mich hierherlockte, führt uns auch gleich wieder weg. Und nicht nur uns." Sie sah dabei Geron an, darauf hoffend, dass er nun offenbaren würde, was im Park genau geschehen war und was in Geron vorging.

“Relindis, du bist uns immer herzlich willkommen.” meinte Hesindian. Ja, Gerüchte über einen fallenden Stern hatte er in letzter Zeit öfter gehört, doch hatte er genug mit seiner Familie und der Auswertung seiner letzten Exkursion zu tun, als dass er sich noch etwas aufbürden würde, was nicht sein Spezialgebiet war. Sein Blick wanderte zwischen Relindis und Geron hin und her. Es freute ihn ungemein, dass sich Khorena und Geron so gut mit den Kindern seiner Schwester verstanden. “Mir scheint, ihr beide habt etwas zu bereden.” meinte er mit einem gütigen Lächeln und gähnte herzhaft. “Wenn es euch nichts ausmacht, nutzen wir die Ruhe und sammeln unsere Kräfte.” Geron nickte ihnen dankbar zu. Brille und Maske lagen vor ihm auf dem Tisch der guten Stube. “Habt dank. Versucht ein wenig zu schlafen.”

Als Alruna und Hesindian gegangen war, begann Geron zu sprechen. Er sah Relindis nicht direkt an, sondern starrte auf seine Hände. Ein Zittern erfasste ihn. “Bei den Zwölfen, Relindis. Was habe ich da vorhin beinahe getan? Wenn du nicht gewesen wärst..” er schluckte schwer. “Noch nie habe ich derart die Beherrschung über mich selbst verloren.” Entsetzen blitze in seinen Augen auf, als er doch einen scheuen Blick in Richtung Relindis warf. “Ich bin direkt nach der Abstimmung hinaus gestürmt um meinen Unmut Luft zu machen. Das hat auch ganz gut funktioniert, aber dann erschien diese Rahjani und versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln. Irgendetwas an ihr hat mich gestört und mit jedem Wort aus ihrem Mund wurde ich nur noch wütender auf sie. Ich versuchte zu gehen, versuchte sie zu warnen, während das wilde Tier in meiner Brust sich von seinen Ketten befreite. Sie wollte nicht hören.” Geron unterbrach sich und atmete tief durch. “Der gütigen Mutter sei Dank, bist du dann erschienen und hast uns beide gerettet.” Wieder sah er auf seine Hände.

"Mach Dir keine Vorwürfe." versuchte Relindis Geron zu trösten. "Du bist in Sorge um Deine Familie und die Menschen in Foldenau, für die Dein Herz schlägt. Es sind vielleicht große Fährnisse, die auf sie alle und uns zukommen. Ich kann nur zu gut verstehen, dass es Dich wütend macht, wenn andere die Sache", sie sprach von der Sache, meinte damit aber beides, den Stern und den Fluch, der auf Gerons Geschlecht lastete, "so viel leichter nehmen, wie ein Spiel gar. Oder wenn sie vielleicht nur ihren Profit sehen oder die wissenschaftliche Erkenntnis, die aus dem Stern zu ziehen ist, nicht aber die Gefahren und die tiefere Botschaft des Geschehens." Die junge Geweihte nahm beide Hände Gerons sanft in die ihren und sah ihm tief in die Augen, auch um ihm zu zeigen, dass sie nach wie vor keine Angst vor ihm hatte. "Geron, Du bist ein guter Mensch! Es waren Liebe und Fürsorge, die Dich haben unkontrolliert überschäumen lassen, nicht einfach nur animalische Triebe oder gar stumpfer Hass. Zermarter Dich nicht! Lass uns lieber überlegen, wie wir so schnell wie möglich die Kunde von alldem nach Schweinsfold bringen können." Im Zweifel würde sie mit darauf aufpassen, dass so etwas nicht wieder geschehen möge.

Furcht stand in seinen Augen, als er den Blick seiner Base erwiderte. “Ich habe Angst davor, was beim nächsten Mal passieren wird und du nicht in der Nähe bist. Ich war drauf und dran die Kontrolle zu verlieren und dann wäre ein Unglück geschehen.” flüsterte. “Vielleicht sollte ich auf Gut Foldenau bleiben, damit ich niemanden gefährden kann, bis ich mich besser unter Kontrolle habe.”

"Und wie willst Du lernen, Dich besser zu kontrollieren, wenn Du Dich vor der Welt und damit auch den von dieser in Dir ausgelösten starken Gefühlen versteckst?" fragte Relindis leise. "Ich glaube, Du musst Dich diesen stellen - wie Du es in der Vergangenheit ja auch getan hast. Außerdem bin ich mir sicher, dass uns die guten Götter aus gutem Grund auf die Spur dieses Sterns geschickt haben. Lass uns diesen zusammen rausfinden - Du passt dabei auf mich auf und ich auf Dich!"

Die Worte und ruhige Art von Relindis schafften es die Beklemmung, welche Geron befallen hatte, zu lösen. Ihre Worte ergaben Sinn, die Gefahr des fallenden Sterns war nicht gebannt und dann war da auch noch das vermeintliche Königskind. Relindis konnte die Veränderung in seinen Augen deutlich erkennen. Die Angst wich neuem Tatendrang und frisch erwachter Hoffnung. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und brachte seine Zähne zur Geltung. “So sei es, wir passen aufeinander auf, während wir gleichzeitig nach dem Kind suchen und die Leute vor dem Stern warnen.”

Geldquelle

Auf dem Wasser des Großen Fluss (13 - 19. Peraine 1043 BF)

Noch immer von einem frischen Wind begleitet, aber dennoch mit freundlichen Sonnenschein, trafen sich die Gelehrten am Mittag des nächsten Tages am Hafen Elenvinas. Wie versprochen hatte der Hohe Lehrmeister des Hesindetempels etwas organisieren können. Zwei Kapitäne, die der Hesinde nahe standen, hatten sich bereit erklärt, die Mission über den Großen Fluß zu bringen. Dazu kam noch ein Hausboot, besser gesagt ein schwimmender Schrein des Efferd, das einem alten Freund Eladors gehörte. Dank einiger Spenden kam einiges an Proviant und Ausrüstung dazu, das nun fleißig von einigen Matrosen auf die Boote gebracht wurden. Nachdem alles verstaut war und die Gelehrten zum Aufbruch bereit waren, richtet der Hesindegeweihte letzte Worte und einen Segen an sie. “Die Allwissende hat uns zusammengeführt. Nun gilt es, ihren Weg weiter zu beschreiten. Ein Stern ist am Fallen und ihr werdet das Götterzeichen finden!” Nun erhob er feierlich seine Arme. “Oh wissende Göttin, allweise Mutter! Anempfehle ich dir, diese wissbegierigen Menschen, die in deinem Namen den Stern folgen und finden mögen. Hesinde, du Erleuchtete, fülle ihre Geister mit Wissen, schärfe ihre Sicht, auf dass niemand zu Schaden kommen mag und keine Spur verloren gehe. Es sei!” Mit diesen Worten gab er das Zeichen, das es Zeit war aufzubrechen.

Ein Fest auf rauschenden Wasser (auf der ´Weihrauch & Myrrhe) 18. Peraine 1043 BF

Ronan war müde. Viel geschlafen hatte er nicht, hatte er doch noch über die Botschaften der Inrah-Karten meditiert. Naja, gegrübelt traf es eher. Außerdem hatten ihn noch die letzten Geschäfte wachgehalten, die er erledigen wollte, auch wenn Gemellus und Harun die meisten Schriftarbeiten vorgenommen hatten. Eines dieser Schriftstücke war eine Bitte um ein persönliches Gespräch mit dem Hochgelehrten Meister Hesindiard von Rickenbach, überbracht durch Harun im Namen seines Dienstherrn Ronan al’Menkhauhour, Baronet und Doctor der Sternkunde. Harun war nicht lang von der Unterkunft des gelehrten Alten zurückgekehrt mit einer schriftlichen Bestätigung und einer Einladung für den kommenden Morgen vor der Abfahrt. Harun ergänzte diese höflich formulierte Einladung um das, was nicht niedergeschrieben, aber ausgesprochen worden war. „Na, wenn es denn sein muss. Soll er halt kommen.“ Und jetzt war Ronan früh nach einer zu kurzen Nacht erwacht und sah einem Gespräch mit einem sehr von sich überzeugten, aber auch ebenso auf seinem Gebiet fähigen, sturen, alten Mann entgegen. Großartige Aussichten. Andererseits, Feqz sei gepriesen, irgendetwas faszinierte Meister Hesindiard an den Sternen, etwas, was über reine Berechnungen hinausging – und das wiederum mochte verbinden. Ronan wusste nicht, was ihn und all die anderen Missionsteilnehmer auf dieser Queste erwarten würde, aber allein wäre der Fuchs verloren. So stand er nun vor der Taverne “das Nest”, in dem der Gelehrte in Elenvina nächtigte, weil der Wirt der Großneffe des Alten war, und klopfte. Harun würde sein Gepäck für die Reise zum Hafen bringen, nur seinen Rucksack und seine notwendige und wertvolle Habe führte er mich sich. Kurze Zeit später saß er mit Meister Hesindiard gemütlich in der Stube im Obergeschoß, früh am Morgen, vor sich eine heiße Tasse Tee stehend. „Hesinde und Phex, den Sternenwächter, zum Gruße.“ sprach Ronan, als er in den Raum geführt worden war und nahm den ihm angebotenen Platz gerne an. „Und seid bedankt für Eure Einladung, Meister Hesindiard.“ “Ja,ja.” antwortete der Alte fahrig. “Was wollt ihr mit mir besprechen?... Alrik...Alrik.” Der junge Rotschopf trat aus einem der angrenzenden Räume ein. “Ja, Meister?” “Das Gepäck. Ist es soweit?” “Es ist schon auf dem Weg zum Hafen, Herr. Wie wir es besprochen hatten.” “Ahh. Gut, gut. Dann kümmere dich um alles, während ich mit...” Er sah Ronan erwartungsvoll an, “Wie war gleich euer Name?” “Ronan ibn Seleyna al’Menkhauhour, Doctor der Astrologischen Wissenschaft.” stellte dieser sich vor. “Ach ja, genau. Während ich mit Herrn al’Menkhauour spreche.” Der Diener nickte, warf Ronan ein schiefes Lächeln zu und neigte ein wenig den kopf. “Sicher, Herr. Ich werde mich um alles kümmern.” DAmit ließ Alrik die beiden wieder allein. “Nun, was genau wolltet ihr gleich von mir?” Der Gast in diesem zeitweiligen Heim lächelte. “Einen wissenschaftlichen Austausch. Trotz der ganzen Ereignisse der letzten Jahre ist es immer noch ein besonderes Ereignis, fällt ein Stern vom Himmel. Und Eure Berechnungen, die ich gestern nur überfliegen konnte, sind überaus faszinierend und unglaublich präzise.” “Oh. Ja. Ja. Sicher sind sie das. Ich habe diese Berechnungen auf Grundlage der Beobachtungen berechnet, die ich in den letzten Monaten mit meinem Teleskop gemacht habe.” Er seufzte. “Leider fehlen für wirklich exakte Berechnungen so viele grundlegende Parameter. Die wir, vermutlich niemals genauer kennen werden.” Ronan lächelte. “Leider muss ich Euch da zustimmen, Meister Hesindiard. Ich glaube, ohne göttliche Hilfe werden wir dieses Rätsel nicht lösen können. Und Phex, der Gott der Sterne, liebt Rätsel.” Er neigte den Kopf. “Welcher Aspekt dieses vor uns stehenden Rätsels erscheint Euch besonders wichtig?” “Interessant an unserer Exkursion ist besonders die Sternenkonstellation, aber das ist euch sicher klar? Wir sollten achtgeben. Die Sterne stehen günstig, dass wir uns zu sehr auf unsere Positionen versteifen und daran könnte ein Konflikt größeren Ausmasses hängen.” “Hm-hm...” murmelte der Tulamide zustimmend. “Ihr sprecht da etwas von besonderer Bedeutung an. Ich habe bereits ähnliche Eindrücke ausgemacht und versucht – was hier in der Stadt schwieriger ist als auf dem Land oder gar auf dem Turm meiner Burg Wolfenhang – die Konstellation der Wandelsterne in den jeweiligen astrologischen Sternbildern zu deuten.” Er runzelte die Stirn. “Wäret Ihr bereit, mir Eure Erkenntnisse zu erläutern?” “Gerne doch: Am höchsten steht im Moment das Sternbild der Herrin Peraine, wie ihr wisst. Genau zwischen ihm und dem Nordstern steht, vollständig, mit all seinen Sternen, der Drache. Er durchbricht quasi die Verbindung des Nordsterns mit dem Storch. Gleichsam stellt sich also eine Auseinandersetzung in den Wert des Wachstums. Mit dem Drachen sind zwei andere Sternbilder konjugiert. Das Gehörn wird mit dem Drachen über das Ogerkreuz verbunden. Eine Auseinandersetzung also, die mit wilder Kraft an Ausdauer und Willenskraft hängt. Umrahmt wird all das im Moment von fünf Planeten. Nandus, Kor und Kaiserstern umrahmen das Gehörn, während Simia und Uthar an der Schwanzspitze des Drachen aufgegangen sind. Anfang und Ende des Konfliktes liegen also momentan nahe beieinander. Ist es nicht interessant, dass unsere kleine Exkursion aus drei Fraktionen zu bestehen scheint? Vertreter des Wissens, der Wissenschaft, zu denen ich uns zählen würde, dann die, die sich um den säbelrasselnden Alten geschart haben, der all das als Zeichen des Krieges zu interpretieren scheint. Und dann scheint es einige zu geben, die sich mit dem Wissen oder dem Sternengold, Macht und Reichtum sichern wollen. “ Ronan hatte während des ganzen Vortrags nicht nur interessiert gelauscht, sondern den alten Mann auch beobachtet. Er war von dem überzeugt, was er gerade vortrug, in aller Ernsthaftigkeit. “Bei Phex, dem Sternenwächter, ich muss zugeben und wünschte doch, es wäre anders, dass meine Berechnungen ähnliche, wenn nicht sogar gleiche Ergebnisse erbracht haben.” Wieder runzelte er die Stirn und kratzte sich am Kinn. “Insbesondere die anstehende Konjunktion von Simia und Uthar im Drachen ist besorgniserregend, deutet es doch wirklich daraufhin, dass der von Euch benannte Konflikt kurz bevorsteht. Viel Vorbereitungszeit haben wir nicht, uns diesem Konflikt, egal wie er aussieht, zu stellen.” Der Alte nickte: “Ja. Keine sozusagen. Zudem wird Nandus meinen Berechnungen zufolge in den nächsten Wochen durch das Sternbild des Drachen wandern. Also das Wissen selbst kann Kern einer großen Auseinandersetzung sein. Ja, das besorgt mich.” Ronan neigte den Kopf. “Ihr meint, dass Wissen um den fallenden Stern selbst? Könnte dieses Wissen die beteiligten Fraktionen entzweien?” Wieder runzelte er die Stirn. “Eure Aussagen besorgen mich noch mehr, als mich meine eigenen Berechnungen beunruhigen. Da sie diese bestätigen und ich langsam nicht mehr von einem Irrtum ausgehen kann.” Er fiel in ein kurzes Schweigen, legte die Hände in den Schoß. Mit den Fingern der rechten Hand spielte er mit dem silbernen Ring an der linken Hand, fuhr die feine Gravur auf der kleine Siegelplatte ab. “Die Gier nach Macht, nach Reichtum und auch die Gier nach Wissen ist gefährlich. Die Gier ist Phex, dem Wächter der Sterne, nicht gefällig.” Hesindiard schaute ihn an. Die alten Augen voller Weisheit, Wissen und Lebenserfahrung schaute in die des deutlich jüngeren Mannes. “Aber, Meister Hesindiard, Phex schickt uns weder allein noch unvorbereitet in diese Suche, denn die Sterne selbst sind seine Hinweise, die wir nur lesen müssen.” Ronan schaute ihm tief in die Augen. Ernst – und ruhig. Der Alte nickte: “Ja, das ist richtig. Die Frage ist aber, wer giert nach was? Wer wünscht was? Solange nicht jeder seine Motive aufgedeckt hat, können wir nicht verhindern, dass sich unsere Gruppe entzweien wird. Womöglich bedeutet der Drache in der Mitte des Sternenhimmels auch, dass jemand in der Gruppe nach etwas strebt, dass den Göttern nicht gefällig ist. Wichtig ist, zu durschauen, wer nicht nur nach Wissen strebt.” Aber, mein lieber Ronan, so sehr ich mich darauf verstehe, die Sterne zu deuten, so wenig verstehe ich es die Menschen zu lesen. Ich begreife Lügen dann, wenn Aussagen Logikbrüche enthalten. Aber ansonsten interessieren mich Menschen nicht genug, um mich mit ihnen und ihren Motiven zu beschäftigen” Er zuckte mit den Achseln: Womöglich würde Ronan das auch einmal so sehen. Wenn kaum ein Mensch, der einem je etwas bedeutet hat, noch am Leben war, verlor man vielleicht den Sinn zwischenmenschlicher Beziehungen aus den Augen. Hesindiard seufzte. Und ein Hauch der tief in der Seele des Gelehrten begrabenen Verzweiflung war spürbar: “Ich verstehe sie nicht, sie sind gleichsam so komplex, dass ich sie nicht verstehen kann, andererseits aber auch so simpel. Sie wiederholen beispielsweise stets dieselben Fehler. Die Geschichte ist voll vom Streben nach Macht, Geld. Voll des Hungers, der Gier nach unerreichbaren Höhen. Und so viele sind für diese Gier zugrunde gegangen. So wenige sind ihr nicht erlegen- dieser Gier. Womöglich sogar niemand.” der Alte schüttelte den Kopf: “Verlegen wir uns darauf. Ich kümmere mich um die Sterne und ihr versucht eurerseits die Menschen zu lesen. Was haltet ihr davon?” Der Tulamide zuckte mit den Achseln. “Das kann ich Euch nicht vollständig versprechen.” Er lächelte. “Ich tue das, was Phex von mir verlangt. Aber ich achte Euren Verstand, Eure Klugheit und Eure große Erfahrung in der Berechnung und Deutung der Sternkonstellationen. Und das Lesen von Menschen ist genauso zu lernen – und genauso schwer - “ Er lachte. “... wie das Lesen von Sternenbahnen.” Er wurde wieder ernst. “Diese Expedition braucht Euch, Meister Hesindiard. Ihr bringt die nötige logische Distanz ein, die uns andere wieder den Fokus fassen lässt. Und insofern verspreche ich Euch, dass ich Euch zuhöre, wenn Ihr mit Eurer Erfahrung sprecht. Und auch den anderen Expeditionsteilnehmern werde ich zuhören – sowohl dem, was sie sagen, als auch dem, was sie nicht sagen.” Er legte seine Hände offen auf den Tisch, leicht, die Handflächen nach oben geöffnet. “Ich denke auch, unsere Zeit drängt, die Abfahrt steht kurz bevor. Sollten wir aufbrechen?” Der Alte hatte wohl zugehört: “Ja das sollten wir.” Doch er schwieg und rührte sich nicht: “Ich bin alt. Und habe viel gesehen. Jede Katastrophe, die uns in den letzten Jahrzehnten, womöglich sogar in den letzten Jahrhunderten oder Jahrtausenden, widerfahren ist, basiert auf Einzelnen und Gruppen, die glaubten ihre eigene Agenda über die anderer zu stellen. Anstatt ihr Wissen, ihre Fähigkeiten, ihre Mächte zu bündeln, haben sie ihren wahren Feinden durch diese Selbstentzweiung in die Karten gespielt. Es ist nur ein schmaler Grad zwischen der Treue zu sich selbst oder seinen Göttern und einem Abgrund unermesslichen Ausmasses.” Damit erhob sich der Alte: “Alrik, Alrik. Wir wollen los.”

Die ´Weihrauch & Myrrhe´ gehörte der nordmärker Kapitänin Hesindiane Kälbling, die der Kirche der Allwissenden sehr nahe stand. Seit zwei Jahrzehnten schon betrieb sie den Handel mit Weihrauch, Myrrhe und all die anderen Kräuter und Gegenstände , die die Tempel und religiösen Einrichtungen den Großen Fluss auf und ab benötigten. Die beleibte Frau hatte gute Kontakte von Havena bis - wie man sagt - nach Khunchom. Und man mag den Gerüchten glauben schenken, denn einige ihrer Matrosen stammen tatsächlich aus dem fernen Tulamidenland. Der breite Flusssegler war aus dunklem Holz und der würzige Duft von Kräutern war ein ständiger Begleiter. Ein grünes Segel mit einer aufgestickten Schlange verrieten ihre nähe zur Hesindekirche. Hesindiane war eine gesellige Frau, trug ein viel zu engen, grünen Wams und ließ ihre honigblonden Locken ungebändigt unter einem Kapitänshut freien Lauf. Mit Freude nahm sie die Leute der Hesindemission auf und brachte sie nun schon ganze fünf Tage den Fluß aufwärts in Richtung Twergenhausen. Wie an jedem Tag, sorgte die Kapitänin für eine ausgelassen Stimmung, etwas was man auf einem Vergnügungsschiff erwartet hätte. Und so saßen die Gelehrten wieder an einem späten Nachmittag auf Deck zusammen, lauschte der Musik, lachten und bestaunten die Kunststücke einer Gauklerin. Der Frühlingswind auf dem Fluß war etwas stürmisch, doch blähte es die Segel zu voller Gänze auf. Hesindiane griff nach einem Humpen und schaute sich nach einem neuen Gesprächspartner um. Der Norbarde hatte seine Klamfa, ähnlich einer Laute mit lediglich drei Saiten, hervorgeholt und spielte darauf. Seine dunkle Stimme begleitete diese mit einem lustigen Liedchen. Die Mentorin Nirjaschka hörte einem der Gäste gespannt zu, während der Chronist neben einem Fass saß und gebannt der Gaukelei zu sah.

Nun war Doratrava also erneut auf einem Flusssegler, welcher Richtung Albenhus fuhr. Nun, bis dorthin würde sie nicht mitfahren, was sie einerseits erleichterte, aber andererseits auch wieder nicht, denn Twergenhausen war auch nicht ihr Lieblingsziel. Blöd nur, dass auf dem Schiff, das Meta nahm, kein Platz mehr gewesen war, vor allem deswegen nicht, weil sie auch noch ihr Pferd unterbringen musste. Sie hatte nicht vor, es ohne Not womöglich wochenlang in Elenvina unterzustellen, denn das wollte ja auch bezahlt werden. Das hatte nun natürlich auch den Nebeneffekt, dass sie ihren ganze Besitz mit sich führte, welcher überwiegend aus einer ganzen Reihe von Kleidern bestand, mit denen sie auf einer Expedition in die nordmärkische Wildnis absolut nichts würde anfangen können. Aber man wusste ja nie ... Nachdem sie sich so häuslich eingerichtet hatte, wie das auf einem Flussschiff möglich war, beschloss Doratrava, schon am ersten Tag die Toleranz der hiesigen Schiffsbesatzung auszutesten, und begann, auf dem Deck akrobatische Übungen zu vollführen: ein paar Dehnungsübungen zuerst, ein wenig Auf-den-Händen-laufen und dann ein paar Handstandüberschläge hintereinander, die sie über das halbe Deck führten.

Lessandero blickte während Doratrava über das Deck turnte von seinem Buch der Schlange, in dem er gerade schrieb, hoch und meinte bewundernd: “Ihr habt in dem Jahr seitdem wir uns das letzte Mal gesehen noch einiges an akrobatischen Fähigkeiten zugelegt!” Mit einem breiten Schmunzeln musste er an den abenteuerlichen Tanz denken, der ihnen damals so ziemlich die Haut gerettet hatte.

Doratrava hielt kurz inne, verneigte sich übertrieben vor dem Draconiter, wobei sich ihre Mundwinkel halb amüsiert, halb schmerzlich bei dem Gedanken an den Tanz, an den er sie erinnerte, verzogen, und turnte dann weiter.

Die letzten Tage hatte er sich immer wieder mit der Mentorin Nirjaschka und den anderen Gelehrten über ihr Ziel unterhalten. Aber irgendwie waren sie auf dem Schiff ihrem Ziel - nur durch die Diskussion - nicht viel näher gekommen. Jetzt sollte es die Zeit zeigen, dass sie rechtzeitig ankämen.

Wider Erwarten genoss Doratrava die Flussreise, waren doch Kapitänin und Mannschaft deutlich weniger verbohrt als bei ihrer letzten Reise in diese Richtung. Zudem ging sie nicht davon aus, diesmal wieder Dämonengezücht gegenüberzustehen - zumindest nicht unter den selben düsteren Umständen wie vor fast einem Jahr … Zu den Klängen des Norbarden tanzte Doratrava dann auch ausgelassen und selbstvergessen über das Deck. Natürlich ohne Tanzkleid und improvisiert wie meistens, noch dazu eher beiläufig, spielerisch, ohne den inneren Drang, große Kunst vorführen zu wollen, dennoch vermochte sie es, ihre Zuschauer zu verzaubern, so diese denn einen Sinn dafür hatten.

“Die ist großartig! Ich glaube auch die schon mal tanzen gesehen zu haben. Ist schon eine Weile her, das wir so viel Spass an Bord hatten. Das letzte Mal als wir einige Rahjanis von Albenhus nach Elenvina mitgenommen haben. In letzter Zeit sind die gute Kunden geworden.” Mit gerötetem Gesicht, Humpen und einer Flasche Albenbluth setzte die Kapitänin sich zu dem Draconiter.

Lessandero, der wie immer wenn er an der Reling saß, in seinem Buch der Schlange gelesen und geschrieben hatte, fuhr auf als ihn der Kapitän ansprach. “Wie bitte?” war die kurze Frage. “Äh, was? Ach so, ja, die Dame Doratrava, wir sind uns schon einmal begegnet. Ihre Tänzen sind schon von einem besonderen Reiz.” Er klappte das Buch der Schlange zu und steckte es weg. “Ihr seid ständig auf dem Großen Fluss unterwegs?”

“Ja, ich habe schon vor langer Zeit entschlossen das mein Segler meine Heimat ist. Aber ich habe viele Freunde unter den Geweihten am Fluß, da findet sich immer ein Plätzchen. Und ihr, seid ihr oft in den Nordmarken unterwegs? “Neugierig schaute Hesindiana Lessandero an. Lessandero lachte kurz auf. “Ja, schon. Allerdings meist da wo wenig Wasser fließt.” Er blickte die Kapitänin an. “Mein Wissensgebiet sind die Angroschim, die Zwerge. Und ja, ich habe schon einiges mit ihnen gemacht, so dass sie mich auch in ihre Bingen lassen.”

Freundlich strahlte sie ihn an. “Die Zwerge bekommen wir hier selten zu sehen, die meiden das Wasser wie die Zorgan Pocken. Obwohl in Twergenhausen kenne ich einen. Und auch den Bekannten mit dem Teleskop, den die Mentorin besuchen möchte.” “Das heißt Ihr kennt einen Angroscho und den Besitzer des Teleskops?” kam es von Lessandero retour. “Dann könnt Ihr uns ja vielleicht in unserem Anliegen unterstützen, um die Erlaubnis zu bekommen, dass wir das Teleskop benutzten können. Ihr wärt doch sicherlich so freundlich?”

“Aber natürlich. Meister Leuward Salbenstrumpf wird sich sicherlich freuen. Nicht viele teilen seine hesindianischen Interessen. Und soweit ich weiß, hat er sich das teure Teleskop sogar von den Zwergen bauen lassen.” Stolz über ihr wissen, nahm sie einen kräftigen Schluck Albenbluth.

“Wie weit ist denn das Anwesen von Hafen entfernt?” wollte der Draconiter nun noch wissen. “Denn ich nehme an, dass es auf einem der Hügel oder Berge im Umland der Stadt liegt, schließlich will man ja möglichst freie und ungetrübte Sicht auf das Firmament haben.” Dann schaute er die Kapitänin fragend an: “Könnt Ihr Euer Schiff so lange unbeaufsichtigt lassen?” “Nicht weit, denk ich. Ich muss zugeben, ich hab ihn nie besucht. Wir treffen uns immer in der Pinte am Hafen. Aber, um eure Frage zu beantworten, ich kann mein Schiff alleine lassen, sie ist in guten Händen bei meinen Mädels und Jungs. Und unter Gagrix, Sohn des Gogarix, der Hauptmann der Twergenhauser Garde, ist der Hafen sicher.”

“Dann freue ich mich sehr auf, dass Ihr uns begleitet”, Lessandero notierte sich während des Gespräches die Informationen, die er von der Kapitänin erhalten hatte. “Was meint Ihr, wann erreichen wir unseren Zielhafen?” “Morgen am Mittag sind wir in Twergenhausen. Der Wind ist gerade sehr gut.”, war ihre knappe antwort. “Sehr gut, sehr gut”, freute sich der Draconiter. “Dann werden wir am Nachmittag schon das Teleskop bewundern können. Habt Ihr schon Ihre Gnaden Strowinsky über die geplante Ankunftszeit unterrichtet?” Hesindiane nickte. “Morgen gehts weiter.” Die Kapitänen erhob sich wieder. “Zeit zum Wasser lassen.” Sie lachte kräftig und ging ihrer Wege. Lessandero schaut der Kapitänin ob ihrer ‘interessanten’ Verabschiedung etwas indigniert hinterher.

Nach einer Weile beendete Ghazbar seinen Gesang, entkorkte ein kleines Fläschen und winkte Doratrava an sich heran. “Lecker Mädel, du hast dir eine Pause verdient! Du tanzt genau so gut wie meine Hulka. Ach wie ich sie vermisse!” Mit leichter Sehnsucht in seinen Augen hielt er der Gauklerin die Flasche hin.

Ziemlich erhitzt vom Tanz folgte Doratrava der Einladung des Norbarden. So gern sie stundenlang am Stück tanzen würde, forderte ihr Körper doch gelegentlich sein Recht. Sie dankte Ghazbar mit einem Nicken für sein Lob und ließ sich bei ihm nieder, um an der Flasche zu schnüffeln. Sie hatte schon eine Weile nichts gegessen und sich gerade körperlich verausgabt, da sollte sie mit Alkoholischem, vor allem mit Hochprozentigem, vorsichtig sein. “Warum hast du Hulka denn nicht mitgebracht?” fragte Doratrava impulsiv und ohne weiter nachzudenken. “Ich würde sie gerne kennenlernen, wenn sie so gut tanzt wie ich.” Laut lachte der Norbarde. “Die bekommt bald ein Kegel, da hatte sie keine Lust auf eine Sternenjagd. Sie ist bei ihrer Meschpoche. Sag, Doratrava, warst du schon mal im Sveltland? Ich könnte schwören, das dort eine Schwester von dir herumläuft.”

Ein seltsames Gefühl durchströmte Doratrava bei diesen Worten, das sie sofort unterdrückte. Hoffnungen wurden in der Regel schnell und gründlich enttäuscht, zumindest, wenn man zu den Gauklern gehörte. “Äh, nein, das heißt doch”, antwortete sie mit kontrollierter Stimme. “Ich bin schon viel herumgekommen und es hat mich kurz nach Lowangen verschlagen. Allerdings wirklich kurz, nur für ein paar Tage. Das ist bestimmt schon drei Jahre her, und seither hat es sich nicht mehr ergeben.” Dann zögerte sie kurz, um dann doch zu fragen: “WIe meinst du das, eine Schwester von mir?” Eigentlich hatte sie noch nie darüber nachgedacht, aber jetzt, wo Ghazbar es ansprach, fragte sie sich, warum ihr noch nie ein so naheliegender Gedanke gekommen war: Hatte sie Geschwister?

“Seit vielen Jahren erzählen sich die Leute Geschichten über die ´weiße´ Frau. Soll sehr helle Haut haben und weißes Haar, ganz wie du. Ich habe sie nie gesehen, aber ich kenne zwei Leute die haben sie schon mal getroffen.” Dann schaute er ihr in die Augen. “Zaubern soll sie können und manche nennen sie die Tochter Madas … weil das Madamal auch so scheint wie sie … wie du.” Nun grinste der Norbarde.

Angestrengt versuchte Doratrava, ihre Gefühle zu beherrschen. Sie kannte den Norbarden nicht, das waren alles nur Geschichten. Wer weiß, ob da überhaupt etwas dran war. Dennoch musste sie fragen. “Was erzählt man sich denn für Geschichten? Und wer sind die zwei Leute, die du kennst, die sie schon einmal getroffen haben? Wie lange gibt es diese Geschichten denn schon?” Ein seltsamer Glanz trat in ihre Augen, die so schwarz waren, dass man die Pupille nicht erkennen konnte. “Maday'kha nennen manche sie, die Tochter Madas. Der Mond und die Sterne sind ihre Meschpoche. Vielleicht bist du auch eine? Zumindest bist du jetzt mit uns einen Stern jagen.” Er zwinkerte ihr zu.

Man sah Doratrava ihr Interesse deutlich an. “Wo … wo finde ich denn diese Maday’kha? Ich würde mich gerne mal mit ihr unterhalten.” Geistesabwesend nahm sie einen Schluck aus Ghazbars Flasche, ihre Gedanken beschäftigten sich gerade mit etwas anderem als der Überlegung, ob Alkohol nun wohl gut war oder nicht. Auch der Stern war in den Hintergrund ihrer Gedanken getreten. Wer hätte gedacht, dass diese Reise … aber nein … sie schüttelte den Kopf. Wie war das mit enttäuschten Hoffnungen? “Da musst du wohl im Svelttal suchen. Ich meinerseits hab meine nordmärker Maday´kha gefunden.” Er lachte wieder. “Ich kenne ein Lied das um Mond und Sterne geht. Vielleicht hast du Lust dazu zu tanzen?”, fragte Ghazbar und nahm seine Klampfa wieder in die Hand. Svellttal. Eine weite Reise durch dünn besiedeltes Gebiet. Wenig Möglichkeiten, etwas zu verdienen. Da musste sie sich gut vorbereiten. Aber die Geschichte von dieser Maday’kha hatte sie über alle Maßen neugierig gemacht. Doch hier und jetzt wartete eine andere Geschichte auf sie. Und diese begann mit einem Tanz zu einem Lied, das von Mond und Sternen sang.

Sanft schwankte der breite Flusssegler auf den Wellen des Großen Flusses. Sie war deutlich größer als der Segler des Hauses Lichtenberg, der jedoch derzeit in Grasbühl angelegt hatte. Er genoss den frischen Wind und die Spielerei und Körperkunst Doratravas – und erinnerte sich an die Fahrten auf der Nachtmond oder der Nachtklinge.

Nicht weit von ihm, ebenfalls an Deck an der Reling, saßen der junge Hesindegeweihte Madasil von Dachswies mit dem hübschen Gesicht in seiner grünen Tracht, und der hochgewachsene Magus Wolfhold von Punin in der perfekt nach dem Codex Albyricus geschneiderten Reiserobe der Magier. Zwei gelehrte Herren auf der Suche nach einem Stern. Auch die beiden schienen die ruhige Fahrt zu genießen und unterhielten sich leise. Ronan, der heute angesichts der Kälte des Frühlings ein dickes dunkelgraues Wams bestickt mit dem Wappen seines Hauses über dem Herzen, einen hellgrauen Schal und einen schwarzen, Wolllodenstoffumhang mit einer silbernen Fuchsschließe trug, schaute einen Augenblick zu ihnen beiden hin, dann richtete er seinen Blick wieder auf das Wasser, auf die Wellen, die wie die Wellen des Meeres auf und ab rauschten. Grau schien auch sein Gemüt zu sein, so sehr er die Fahrt auch genoss, denn die Gedanken kreisten in seinem Kopf wie ein Schwarm von einem Gewitter aufgescheuchter Spatzen. Ein kurzes Lachen ließ seinen Blick wieder zu dem Mentor und dem Magus gleiten. Tief atmete er durch den Mund ein und blies die Luft durch die Nase aus. Dann fasste er sich ein Herz, stand auf, fand den Halt auf dem schwankenden Deck und ging zu den beiden jungen Männern herüber. Mit einem Lächeln deutete er auf das festgezurrte Fass neben den beiden. „Hesinde zum Gruße, Euer Gnaden, Gelehrter Herr.“ Meinte er lächelnd. Darf ich mich in dieser kalten, klaren Luft dazusetzen?“

„Hesinde zum Gruße“, klang es unisono, woraufhin die beiden sich ansahen und lachten. Der Geweihte sah dann, mit immer noch vergnügtem Gesicht, zu Ronan: „Tatsächlich handelt es sich hier um den Hochgelehrten Herrn Wolfhold Leuenhard von Punin, denn schließlich hat er schon das Drittstudium hinter sich…au.“ Wolfhold hatte dem Geweihten unauffällig den Ellenbogen in die Seite gestoßen und raunte: „Sei doch nicht immer so lehrerhaft.“ Dann wandte er sich mit einem Lächeln Ronan zu: „Seine Gnaden hat Recht, aber es steht mir ja nicht auf die Stirn geschrieben. Außerdem habe ich zur Zeit keinen Lehrstuhl oder eine Anstellung, dann ist der Titel ohnehin nicht so wichtig.“ Bei diesen Worten machte Madasil ein empörtes Gesicht und jeder, mit halbwegs guter Menschenkenntnis konnte förmlich seine Gedanken sehen: `Wie kannst Du nur sowas sagen!` Offenbar hatten die beide zu diesem Thema unterschiedliche Ansichten. Wolfhold fuhr fort: „Seine Gnaden heißt im Übrigen Madasil Rondragoras von Dachswies und mit wem haben wir die Ehre? Gesehen hatte ich Euch schon, doch kam es nicht zur Vorstellung.“

Der hinzugetretene Gast setzte sich auf das festgezurrte Fass. „Ronan Rohaldor al’Menkhauhour von Lichtenberg, Baronet und Junker zu Wolfenzahn, Doctor astrologiae.“ stellte er sich in einem Atemzug vor und fuhr im selben Atemzug fort: „Ich bitte die falsche Anrede zu entschuldigen, Hochgelehrter Herr.“ Er lächelte, schlug das eine Bein über das andere und stützte sich mit den Händen zurückgelehnt auf dem Fass ab. „Es ist faszinierend, wie viele Jünger wahlweise der allweisen göttlichen Schlange oder des wissbegierigen Einhorns jenem weit gestreuten Ruf des hochwürdigen Hohen Lehrmeisters Elador Thedon gefolgt sind. Sagt, wenn ich dies fragen darf, was reizt Euch beide an dieser Suche?“ Der Mann, etwa in dem Alter wie Wolfhold, mit dem scharf geschnittenen, wie von der Sonne gebräunten Gesicht und den leicht schräggestellten, dunklen Augen, schenkte erst dem jungen Geweihten, dann dem nicht auf seinen Stand beharrenden Magus einen aufmunternden Blick.

„In gewisser Weise ist es wohl Zufall“, sagte der Jüngere und blickte dabei auf die Fuchsschleiße, „wir haben beide die letzten Jahre im Horasreich verbracht, wo wir uns dann eines Tages begegnet sind. Bei einigen Gesprächen haben wir dann festgestellt, dass wir beide aus den Nordmarken stammen und uns die Geschichte unseres schönen Herzogtums interessiert. Wir beschlossen uns gemeinsam der verborgenen Geheimnisse der Geschichte zu widmen und reisten hierher. Als uns dann zu Ohren kam, dass der Hohe Lehrmeister eine Expedition zusammenstellen möchte, war ich neugierig und habe nachgefragt, worum es geht. Da ich einige Zeit in Briefkontakt zu Dottora Meissini stand, eine Derologin, welche bei Arivor war, als es unterging, wollten wir uns dieser Sache widmen. Vielleicht mag das Ganze hier wesentlich glimpflicher ablaufen, aber ich finde, es ist unsere Pflicht der Sache auf den Grund zu gehen und notfalls Menschenleben zu schützen.“ Wolfhold nickte zustimmend und fügte hinzu: „Außerdem wird der Stern schließlich irgendwo einschlagen und dabei vielleicht alte Ruinen freilegen, die lange vergessen sind. Der Stern an sich wäre dann nicht mehr das einzige Geheimnis.“

„Ach, im Reich des Drachenkaisers?“ Ronan beugte sich interessiert vor. „Mein Leben pendelt aus verschiedenen Gründen zwischen dem Horasreich und dem Herzogtum zwischen den Wellen des Großen Flusses und den Hängen der Koschberge.“ Er richtete sich wieder auf und grinste. „Nicht umsonst führe ich den Titel eines horasischen Baronets und habe meinen Grad als Doctor der Astrologie von der Herzog-Eolan-Universität erhalten.“ Er bemerkte, wie Madasils Augen sich aus Neugier und Interesse weiteten. „Arivor, ja. Ich war auch dort, wurde dorthin entsandt, nachdem der Stern eingeschlagen ist und mittelbar für die Zerstörung der einstigen Metropole der unbeugsamen und tapferen Sturmherrin Rondra sorgte.“ Er senkte kurz den Blick, runzelte die Stirn, und schien die Planken des Flussseglers zu betrachten. Dann hob er ihn wieder. „Dennoch sind gefallene Sterne für sich bereits ein Mysterium.“ Deutlich trat sein tulamidischer Akzent mit der singenden Sprachmelodie hervor. „Kennt Ihr die Geschichte vom gefallenen Stern im Fürstentum Kosch?“ Der Hesindegeweihte verneinte kopfschüttelnd. Ronan grinste. „Dann zückt Euer Buch, welches immerwährend nach Weisheit und Wissen lechzt, Bruder in der allweisen Hesinde. Möchtet Ihr jene wahre Geschichte, wie sie sich vor einigen Jahren tatsächlich zutrug, hören?“

„Oh! Aber gewiss doch“, der Mentor griff begeistert nach dem Beutelbuch an seinem Gürtel und holte aus einer Tasche Tinte und Feder hervor. Ronan konnte sehen, dass Madasil offenbar nicht zum ersten Mal sein Vademecum außerhalb der Schreibstube mit Wissen füllte. Wolfhold indes seufzte kaum merklich, zumindest Madasil bekam es nicht mit. Auch nicht den traurigen Blick, den der Magus nun in seinem Antlitz trug. „Verzeiht, aber…ähm…mir ist da gerade eine These eingefallen, die ich gerne mit meinem Kollegen erörtern würde.“ Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich Wolfhold von den beiden und ging ein paar Schritte über Deck, um den anderen Vertreter der magischen Zunft anzusprechen. Er wusste, wann er überflüssig war, auch wenn es ihn schmerzte.

Ronan sah dem Magus nach, blinzelte verwirrt. „Na, so schlecht wird meine Geschichte schon nicht werden.“ Er wandte sich an seinen zurückbleibenden Gesprächspartner zurück. „Wir Tulamiden sind für unsere Haimamudim berühmt.“ Er grinste. „Also, haltet Eure Feder bereit, Wissen suchender Diener der Schlange.“ Er holte Luft und legte sich den Umhang fester um sich, um dem frischen Wind zu trotzen. „Es geschah vor nicht langer Zeit, im Travia-Mond des Jahres 1039 nach dem Falle Bosparans. Ein Stern ging hernieder, gerade so, wie es jetzt vorhergesagt wird. Und tatsächlich, er traf unseren beschaulichen Nachbarn und zerstörte ein darin liegendes Königreich.“ Er bemerkte die gerunzelte Stirn des jungen Mentors und seinen fragenden Blick sowie das Öffnen seines Mundes für eine Korrektur. „A-a-a… natürlich gibt es im Königreich Kosch ein weiteres Königreich. Das Königreich der Feldmäuse! Und der Stern zerstörte es zu einem großen Teil, zerstörte das Heim der zahllosen Feldmäuse unter ihrem König.“ Er beugte sich kurz vor. „Ihr kennt doch mit Sicherheit die Legenden um die Tierkönige?“ Er lehnte sich wieder zurück. „Es gibt sie und der König der Feldmäuse lebt im Königreich Kosch. Heimatlos wanderten all die Feldmäuse mit ihren Frauen und Kindern über das Land. Und sie fanden reichlich Platz und auch Nahrung in der Stadt eines anderen Herrschers dieser Lande: Angbar! Und Angbar, die Perle am Angbarer See, sah sich einer unerwarteten Mäuseplage gegenüber. Dabei wollte der Feldmauskönig doch nichts weniger als ein Heim für seine Untertanen. Da weder Gift noch Fallen noch Katzen gegen die unzähligen Mäuse etwas ausrichten konnten, suchte man nach anderen Wegen. Und fand sie in alten Legenden. Eine Gruppe tapferer Ritter fand eine Flöte, mit der Mäuse gerufen werden konnten und sie fanden auch den Wahren Namen des Feldmauskönigs heraus.“ Er bemerkte das ungläubige Zucken des Hesindegeweihten.

„Jaja, glaubt mir, so war es wirklich. Einer der Ritter spielte die richtige Melodie auf dieser Flöte und tatsächlich erschien der Mäusekönig. Und der Fürst des Kosch verhandelte mit dem König der Feldmäuse und man fand ein neues Heim für sein Volk bei Oberangbar im Kosch, wo sie noch heute leben. Doch der Stern – der Stern war aus dem Sternbild der Rubine gefallen.“ Wieder beugte Ronan sich vor. „Wisst Ihr, wofür dieses Sternbild steht, Sinnsuchender der Weisheit?“

„Mmmmmh“, überlegte der Mentor, denn der südliche Sternenhimmel war ihm nicht ganz so geläufig, wie der nördliche, doch dann fiel es ihm wieder ein: „Die Rubine wurden früher mit dem Beschwörerdiadem der Hela – Horas, den Magiermogulen von Gadang oder mit Ingerimms Steinen der Kraft gleichgesetzt. Ich meine mich an eine Notiz zu erinnern, in der dieses Sternbild auch als achtbeinige Spinne betitelt wurde. Es geht im Hesinde auf und soll für List, Verschlagenheit und Planung stehen.“

Der Grauberobte lächelte – zufrieden, stolz. Und nickt. „Das ist korrekt, sehr gut zusammengefasst.“ Er wurde wieder ernst. „Dieser Stern war das Ziel einer schändlichen Zauberin, Charissia von Salmingen.“ Ronan sah, wie sich Madasils Augen verengten. Der Name schien ihm etwas zu sagen – und nichts Gutes. „Selbige Charissia plante, die entsprechend geprägte Energie des gefallenen Sterns für eine magische Intrige zu nutzen, um Zwietracht unter ihren Feinden zu sähen.“ Ronan schloss für einen Moment nachdenklich die Augen. Öffnete sie dann wieder. „Jeder gefallene Stern enthält nicht nur verschiedene, auch magische Metalle, gnädiger Schüler und Diener der Weisheit. Jeder gefallene Stern hat auch einzigartige Kräfte geprägt durch das Sternbild, aus dem sie stammen. Und diese Kräfte können genutzt wie auch missbraucht werden.“ Eine kurze Atempause entstand. Der Tulamide lächelte. „Diese Warnung ist gratis.“ Er lehnte sich nach einer kurzen Pause wieder zurück. „Daher bin ich froh, dass Diener der Götter diese Mission begleiten.“

„Dann wäre es wohl besser, wenn wir herausfinden, woher der Stern kommt, welche Kräfte ihm möglicherweise innewohnen und wer unserer Mitreisenden welches Interesse an dem Stern haben könnte. Und unter Umständen müssen wir uns darauf vorbereiten den Stern in Besitz zu nehmen und zu verteidigen.“ Madasil sah nicht sehr glücklich aus bei dem Gedanken. Ihm behagte es nicht, dass möglicherweise Waffen zum Einsatz kommen müssten. Außerdem war nicht klar welcher der `Eisenschwinger` auf welcher Seite stand und Geron von Foldenau war wutentbrannt abgereist.

Ronan nickte. „Da habt ihr recht. Ihr seid in der Sternkunde bewandert? Und ebenfalls in der Lage, entsprechende Berechnungen vorzunehmen?“ Er sah kurz zum Himmel, an dem strahlend die Sonne schien, als könne er dort bereits am Tag die Sterne sehen. Madasil folgte seinem Blick und rief in Gedanken die Worte wach, die es benötigte, um eine klare Sicht auf den Himmel zu erhalten, doch sprach er sie nicht aus. Stattdessen sagte er zu Ronan: „Ich würde sagen, dass ich soweit mit den Grundkenntnissen vertraut bin, dass ich mich auf ein Spezialgebiet konzentrieren könnte. Aber ich bin bei Weitem nicht so gut ausgebildet wie Ihr oder Meister Rickenbach. Ich bin eher an Historie und Religion interessiert.“

Ronan lachte. „Der Hochgelehrte Herr von Rickenbach, ja, ein interessanter Mann, der sicherlich eine Menge Erfahrung auf dem Gebiet der praktischen Astronomie und Astrologie besitzt.“ Er wurde wieder ernst. „Nun, die Astrologie ist ein komplexes Feld. Wir brauchen jeden Kundigen.“ Er schaute den jungen Mann an. So jung. So unerfahren. Und doch ein … „Ihr seid ein Geweihter. Ein Priester der Allweisen Schlange Hesinde. Meint Ihr, Ihr seid bereit, den Kampf zu wagen, wenn der Stern sich als mehr als nur ein Schatz herausstellt?“ Madasil sah ihn an. Schwieg erst einmal. Ronan schaute ihm in das Gesicht, abwartend. Verborgen vor dem Mentor geschah etwas in Ronans Geist, als er sich auf das besann, was die Götter ihm schenkten. Er verband seine übernatürliche Wahrnehmung mit seinem Geist und stellte stumm eine Brücke zwischen sich und dem Mentor her.

„Ich werde tun, was meine Göttin von mir verlangt. Sie wird mich nicht auf diesen Pfad gelenkt haben, wenn sie mir diese Aufgabe nicht zutrauen würde. Aber der Umgang mit Waffen ist mir fremd. Einzig mit Worten vermag ich zu kämpfen. Und mit meinem Geist. Wenn Euch das reicht.“ Madasil lächelte. Ronan vergaß kurz seinen Gedanken. Die Stimme des Geweihten brachte ihn wieder zurück: „Es klingt als hättet Ihr bereits einen Plan.“ Einige Sekunden vergingen. Ronan sah, wie sich flatternd etwas über Madasils Gesicht legte, schwach, durchscheinend. Er versuchte, das Bild festzuhalten, es zu zwingen, zu bleiben. Es war flüchtig und unvermittelt verschwand es wieder. Kaum hatte er erkennen können, was das Bild ihm zeigen wollte – einen schmalen Schädel, langgezogen mit langen Auswüchsen. Eine Ziege? Ein Reh? Ach, verphext! Ronan widerstand dem Drang zu fluchen. „Wie? Plan?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ein Plan ist abhängig von den Umständen. Wir wissen noch nicht, welche Eigenschaften der Stern haben wird.“ Sein Blick glitt dorthin, wo Radulf und Wolfhold miteinander sprachen, dann wieder zurück. „Daher wäre es sicherlich lohnenswert und hilfreich, wenn Ihr und Euer … Gefährte… Geist und Magie zur Verfügung stellen würdet. Und daher…“ Er räusperte sich. „… wäre sicherlich die Informationsbeschaffung mit dem Teleskop von großem Interesse.“ Er ruckte auf dem festgezurrten Fass etwas hin und her, dann stand er auf. „Euer Gnaden, ich bitte Euch über meine Worte nachzudenken und Euch auch auf Eure Aufgabe als Geweihter zu besinnen.“ Er lächelte. „Bitte entschuldigt, ich wollte noch kurz mit jemand anderem sprechen.“

„Aber gewiss.“ Etwas verdutzt sah er Ronan hinterher. Der letzte Teil des Gesprächs war irgendwie merkwürdig verlaufen und so jäh abgebrochen. Er würde später mit Wolfhold reden. Insbesondere die Anmerkung er solle sich auf seine Berufung besinnen warf Fragen in ihm auf. Und diese Fragen könnten sich zu Zweifeln entwickeln. Soweit wollte er es nicht kommen lassen.

In der Nähe des Hauptmastes hörte die Mentorin Nirjaschka dem Kontormeister Rhodan Herrenfels zu. “Ich muss schon sagen, dieser Rosendurft ist echt unvergesslich. Ich nehme an ihr presst kalt?” fragte diese. Rhodan, der in Gedanken versunken auf den Fluss gestarrt hatte, weil er im Kopf die Zahlen immer und immer wieder durchging, schreckte mit einem leisen ‘Huch’ hoch. “Ach, Mentorin Nirjaschka, Ihr seid es? Unser Duft, na, da bin ich ja sehr erfreut, dass er Euch zusagt. Wenn Euch bereits die Essenz der Rosen so erfreut, dann müsst Ihr unbedingt unser neuestes Produkt kosten: Einen feinen Yaquirtaler, mit den Blüten der Rose versetzt! Die elegantesten Aromen Deres in einem Genuss vereint”, prahlte der Händler in bester Verkäufermanier. Nicht ohne den Hintergedanken, die direkte Frage nach seinem bestgehütetsten Betriebsgeheimnis nonchalant zu übergehen.

“Oh, ihr meint jetzt … Wein? Ich sprach von eurem Duftwässerchen. Aber mal was anderes … wie seit ihr in der Sternenkunde bewandert? Ich bin mit den ganzen gerechne schon ganz durcheinander. Mein Augenmerk ist ja auf der Schriftkunde.” versuchte sie das Gespräch zum Laufen zu bringen. Rhodan nickte scheinbar bescheiden und hob verschmitzt die Augenbrauen. “Naja, hier und da habe ich mich mit den Geheimnissen der Sterne beschäftigt. Wenn man nach getanem Tagwerk hier und da mal ein Stündchen der Muße genießen kann, dann ist ein schlaues Buch schon etwas wert. Im Übrigen funkelt die Sterne bei uns in Rosenhain wirklich schön. Die Berge sind nah, die große Stadt weit. Da können sie ungehindert scheinen.”

“Dann sind wir also auf dem selben Stand. Ich bin so gespannt, was Hesinde uns offenbart wenn wir das Teleskop von Meister Salbenstrumpf benutzten … ich bin mir sicher, er hat nichts dagegen.” Unmerklich rutschte die Mentorin näher. Rhodan lachte. “Und wenn er dies hätte reist mit diesem Treck doch geballte Überzeugungskraft, meint Ihr nicht auch? Ich glaube jedoch immer noch, dass uns ein Teleskop nicht reichen wird. Auch wenn das natürlich bei weitem primitiver ist, so würden mehrere Ferngläser in der Nähe unsere Positionsbestimmung deutlich verbessern.”

“Ich habe es vorgeschlagen, weil es ein neues ist, mit Zwergenmechanik. Und wenn ich es richtig verstanden habe, sollte man immer den Himmel beobachten, da der Flug sich ändern kann und je näher es ist, desto genau kann der Einschlagsort bestimmt werden oder?” Und sie rückte noch ein Stück näher. Rhodan, der gerade sein Monocular vermisste, runzelte etwas die Stirne und betrachtete den Raum zwischen sich und der (für seinen Geschmack) alten Schachtel. “Je mehr Aufmerksamkeit wir den Sternen schenken, desto besser. Wie Ihr wisst: Jedem Schatz sollte man die entsprechende Aufmerksamkeit schenken. Doch sagt, wenn Ihr eigentlich keine Berührung mit dem Fachgebiet der Astronomia hattet, warum engagiert Ihr Euch an diesem Abenteuer? Und sagt mir jetzt nicht, Ihr würdet allein aufgrund des Auftrags Eurer Kirche reisen.”

´Was für ein süßes Kerlchen´ dachte die Mentorin bei sich. “Ihr habt recht, jedem SCHATZ sollte man Aufmerksamkeit schenken.” wiederholte sie seine Worte und sie war sich sicher, dass sie mit ´Schatz´ sich meinte. Dann räusperte sie sich kurz. “In erster Linie bin ich Mentorin der Allwissenden. Auch wenn es nicht mein Fachgebiet ist, ist es etwas, was es zu lösen gibt. Und das wiederum liegt im Interessengebiet jedes Hesindegeweihten. Und wer weiß, meine Wissen könnte noch hilfreich werden. Meine Neugierde war der Anstoß für diese Mission. Was ist eure?” “Teilweise teilen wir dann die Motivation. Sterne, die vom Himmel fallen! Was könnte es interessanteres geben? Aber ungeachtet dessen müssen wir uns natürlich bewusst sein, dass die Metalle, die diese Sterne beinhalten, wertvoll und potent sind. Sie für unser Herzogtum zu gewinnen ist bedeutsam für die Zukunft dieser Lande”, heuchelte Rhodan glaubhaft - obschon eindeutig war, dass das pekuniäre Interesse keinesfalls auf die Lande selbst als auf seine eigene Geldkatze beschränkt sein durfte.

Die ältere Geweihte nickte und ließ ihren Finger langsam an Rhodans Hand gleiten. Doch bevor sie diesen berührte, riss die polternde Stimme der Kapitänin Kälbling die Aufmerksamkeit der Beiden auf sich. “Nirjaschka, lasst uns endlich einen Wein trinken. Der Herrenfelser hat schon lang genug eure Zeit ausgenutzt.” Sie zwinkerte Rhodan zu. Die Geweihte lachte nur kurz und blickte den Händler entschuldigend an. “Ihr habt gehört, der Kapitän befiehlt.” Dann erhob sich Nirjaschka und ging, vergaß jedoch nicht Rhodan einen Augenaufschlag zu schenken. “Oh Herr Kapitän, wollt Ihr mich wirklich auf dem Trockenen sitzen lassen? Ein Gläschen Wein oder zwei würden mir auch nicht schaden! Man muss auf solch einer strapaziösen Reise doch seine Kehle feucht halten”, posaunte Rhodan aus tiefster Kehle.

“Das Lob ich mir!”lachte die Kapitänin kernig und winkte die Matrosin mit dem Weinkelch ran. “Maite, schenk dem Herrenfelser ein und setzt dich zu ihm. Heute wird gefeiert!” Die dralle Seefahrerin, die beileibe mehr nach dem Frauengeschmack des alten Lüstlings war, grinste - was er mit einem entsprechenden Grinsen beantwortete - und schenkte dem Händler ein, während Nirjaschka und Hesindiane zur Reling schlenderten.

Am anderen Ende jedoch hatten sich die beiden Magier an Bord einen geschützten Platz gesucht, auch wenn der Wind immer wieder an ihren Roben und Hüten zerrte. Eine Matrosin kam näher und brachte den Beiden einen Wein.

Radulf von Lîfstein zögerte kurz, dann griff er doch zum Wein. Ein Becher in Ehren würden seinen Geist noch nicht erschlaffen lassen, und wenn es ein Nordmärker Tropfen war, würde die Versuchung, sich daran in liderlicher Weise noch mehr gütlich zu tun oder gar zu betrinken, seine Widerstandskraft sicherlich nicht überfordern. Wobei, so schlecht roch er eigentlich gar nicht. Zur Not musste er doch unter Beweis stellen, wie sehr Exerzitien und Selbstkasteiung den Willen eines Mannes stählen konnten. "Auf die Zeichen der Götter, am hohen Himmelszelt ebenso wie den Niederungen des weltlichen Daseins! Mögen sie uns den Weg weisen und wir diesen im Sinne der Zwölfe beschreiten, zu Werkzeugen ihres Willens werden!" erhob er den Becher in Richtung Wolfholds. "Radulf von Lîfstein, Magus und Junker von Lîfstein. Mit wem habe ich die Freude?" stellte er sich vor, während er unauffällig versuchte, Wolfholds Akademiesiegel zu erkennen. "Ihr habt Eure Ausbildung in Punin erhalten?"

“Meine Erste, ja”, antwortete sein Gegenüber, “Wolfhold Leuenhard von Punin aus dem Hause Runstein. Das Zweitstudium durfte ich in Methumis absolvieren und habe kürzlich das Drittstudium abgeschlossen. Der Adelstitel des Edlen von Runstein ging allerdings an meine Halbschwester, somit darf ich mich nur Magus nennen.” Lächelnd prostete er Radulf zu. Anerkennend nickte Radulf - auch wenn Punin nur der grauen Gilde angehörte, genoss die Schule dennoch einen hervorragenden Ruf, dort Jahrgangsbester zu sein bedeutete etwas; und der Weg über Methumis ließ eine göttertreue Ausrichtung vermuten, obgleich Praios im Horasreich sicher nicht den Stellenwert hatte, der ihm gebührte: "Mein Respekt und mein Glückwunsch. Wo habt Ihr denn Euer Drittstudium absolviert?" interessierte er sich, ehe er mit einem schmalen Grinsen ergänzte:"Ich selbst habe es nur auf zwei Abschlüsse gebracht - beide Akademien zu Gareth." Zuerst auf Betreiben seiner Familie die Schwert und Stab, und dann auf eigenen Wunsch und sehr zu lasten seiner Börse die der Magischen Rüstung - denn lag es nicht in der Verantwortung jedes derart Begabten, die Welt und die göttliche Ordnung von den fehlgeleiteten Auswüchsen der Magie zu bewahren?

Wolfhold stutzte bei der Frage, sagte aber im Plauderton: “Beim Institut der arkanen Analysen zu Kuslik. Die Garether Akademien sind in der Tat recht interessant, nur mir liegt das Kämpfen nicht. So sehr ich es in der Vergangenheit auch versucht habe, ich konnte mir die Bewegungsabläufe nie merken, oder stellte mich dabei sehr tollpatschig an. Ich habe erkennen müssen, dass die Götter mir andere Talente zugedacht haben.” Ach ja, natürlich! - Radulf ärgerte sich insgeheim über seine nicht allzu kluge Frage nach dem Offensichtlichen. Er war wohl schon zu lange aus dem akademischen Betrieb, hatte sich handfesten Zweigen der Magie und einem Leben in der Realität außerhalb des Elfenbeinturms gewidmet, anders als sein Gegenüber, offensichtlich ein begnadeter Theoretiker. "Meinen Respekt habt Ihr dennoch, denn dafür spreche ich ja mit einem herausragenden Metamagier. Sagt, was haltet Ihr von alldem hier? Dem Stern, seinen Deutungen und unserem ganzen Unterfangen?"

“Vielen Dank.” Wolfhold fühlte sich geschmeichelt. “Nun, ehrlich gesagt bin ich besorgt. Sterne fallen nicht ohne Grund und auch die Veränderungen am Himmel haben eine Bedeutung. Eine Zeit des Umbruchs steht uns bevor. Ob sie alles besser oder schlechter macht, was wir bisher als selbstverständlich angesehen haben, lässt sich natürlich erst hinterher sagen, quasi, wenn es schon zu spät ist. Aber neben dieser theoretischen Gefahr, haben wir es erstmal mit der reellen zu tun. Ein Klumpen aus Stein und Metall wird auf Dere stürzen. Vielleicht in ein Dorf, eine Stadt oder nur auf ein Feld. Es wird einen Einschlagsort geben, wo ein Krater entsteht und das was vorher dort war wird zerstört werden. Mensch und Tier können dabei umkommen, fruchtbare Äcker veröden. Natürlich muss es nicht so schlimm kommen, doch wir sollten uns darauf vorbereiten. Und, wenn nichts passiert, dann haben wir eben etwas Geld verschwendet. Sonst nichts. Das nächste Problem wird dann die Habgier werden. Soweit mir bekannt trugen bisher alle gefallenen Sterne wertvolle, teils magische Metalle in sich. Es wird Streit geben, vermutlich auch schon innerhalb unserer Expedition, wem der Stern gehört und wer ihn deshalb ausschlachten darf. Und wir sind sicher nicht die Einzigen, die bereits jetzt unterwegs sind, den Stern zu finden. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn der Hohe Lehrmeister uns mit einem Eidsegen hätte schwören lassen, den Stern der Kirche zu überlassen.”

Radulf nickte immer wieder beipflichtend. "Ich sehe die selben Gefahren wie Ihr." Dann senkte er seine Stimme, auf dass nur noch Wolfhold sie hören möge. "Bereits hier scheinen mir viele moralisch nicht in einem Maße gefestigt, der Aussicht auf leicht errungenes Sternengold widerstehen zu können - wie sollte dies erst weniger vornehmen Menschen gelingen? Sicher wird es Lug und Trug, Reibereien und im schlimmsten Fall, der Herr Praios bewahre uns davor, sogar Mord und Totschlag geben, wenn der Stern nicht rasch in die gesicherte Obhut der zwölfgöttlichen Kirchen gelangt. Es wäre schlimm, wenn das Geschenk eines solchen Sterns uns innerlich so schwächen würde, wir uns so sehr darum bemühen, nicht von unserem Nächsten übervorteilt zu werden, dass wir darüber die wahren Gefahren für die Nordmarken, das Reich und die göttergefällig fromme Menschheit übersehen. Und das in diesen Zeiten, in denen wir leben!"

"Glücklicherweise haben wir drei Hesindegeweihte dabei. Einer davon sogar ein Draconiter. Mentor Madasil glaubt, dass wir uns vor der Rahjani hüten sollten. Wer, glaubt Ihr, wäre denn integer genug uns beizustehen?" "Für meinen alten Bekannten Melchior Praiotreu lege ich meine Hand ins Feuer." fing Radulf leise damit an, seine Einschätzungen mit Wolfhold zu teilen. Dabei beobachtete er den jüngeren genauestens. "Er ist durch und durch integer und zudem von einer Vernunft, die weniger auf allumfassender Bildung als vielmehr auf Lebenserfahrung und einem moralischen Kompaß fußt, den andere hier vermissen lassen. Die Magistra Magna von der Aue sollte als Mitglied des Lehrkörpers der Akademie der Herrschaft und Garether Absolventin ebenso über alle Zweifel erhaben sein. Die beiden, wir und die von Euch genannten - ich denke auf diesen wird die Last ruhen, das ganze zu einem guten Ende zu bringen." Kurz überlegte er, ob er fortfahren sollte oder besser nicht. Der Wein... "Der Meister Rickenbach ist wohl in Ordnung, aber schon hinreichend durch den Wind. Ihre Gnaden von Tannenfels wird wahrscheinlich stets aus besten Absichten handeln - ob dabei etwas vernünftiges herauskommt, muss man angesichts ihrer Abkunft aber in Frage stellen. Wer schon den ganzen Tag mit einer Gans herumläuft... Und sie kocht schon wieder ihr eigenes Süppchen, wie der Rest ihrer Sippschaft ständig, zusammen mit diesem Maskierten - kennt Ihr den vielleicht? Glauben wohl, sie werden vor uns da sein…” Radulf leerte seinen Becher. “Dem ganzen Rest... traue ich nicht über den Weg."

“Mentor Madasil scheint Geron von Foldenau zu vertrauen. Warum, weiß ich nicht, aber ich vertraue seiner Gnaden.” Er blickte kurz hinüber und sah ihn immer noch im Gespräch mit Ronan. Mit einem merkwürdigen Unterton fragte er: “Was haltet Ihr von dem da?” “Von dem?” Radulf dachte kurz nach - ihm war der Wechsel in der Stimmfarbe nicht entgangen. “Gelehrt, zweifelsohne ein kluger Kopf. Aber auch undurchsichtig. Was er im Tempel über göttergegebene Ansprüche auf den Stern verlauten ließ, veranlasst mich zur Wachsamkeit. Und Ihr?”

"Ich kenne ihn nicht, aber ich mag ihn nicht. Er kommt mir vor, wie ein Verführer. Dieser Typ Mensch, der immer kriegt, was er will und dir dann weissmacht, dass du es doch so haben wolltest." Die Bitterkeit war nun kaum zu überhören. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er die beiden, stürzte den Wein hinunter und bestellte nach.

So war das also... Radulf schnaubte kurz in sich hinein. Wo sollte das nur hinführen, wenn selbst die Prudenz dieser Reisegesellschaft in Sentimentalitäten und noch mehr Selbstmitleid schwelgte... "Ihr solltet Euch nicht darauf konzentrieren, was Ihr nicht bekommen könnt oder andere Euch wegschnappen." redete er Wolfhold zu. "Besinnt Euch darauf, wer und was Ihr seid, und welche Bestimmung Euch die Götter mit Eurer Begabung in die Wiege gelegt haben. Warum sollten sie Euch wohl mit einem solchen Intellekt gesegnet haben, dass ihr Jahrgangsbester und dreifach examinierter Absolvent dreier der renommiertesten Akademien auf dem Dererund geworden sein? Ihr steckt diesen Kerl da drüben - obgleich er durchaus klug und gelehrt ist - in die Tasche - auf Eurem Feld! Begeht nicht den Fehler, Euch auf das seine zerren zu lassen oder es gar allzu bereitwillig selbst zu betreten." Eigentlich hatte er schon genug, vielleicht sogar zuviel gesagt. Aber der Wein... einmal in Fahrt fuhr er fort: "Seid Euch immer eingedenk: Es geht um so viel mehr im Leben, als um das schnell vergängliche Feuer der Leidenschaft. Es geht darum, Eurer göttergegebenen Bestimmung gerecht zu werden, Euren Platz in ihrem Plan einzunehmen, nicht, mit wem Ihr einige Nächte oder selbst Jahre das Bett teilt. An der intellektuellen und moralischen Stärke von Frauen und Männern wie Euch, aber auch dem Mentor steht und fällt diese Expedition. Behaltet dies stets im Geiste und lasst nicht nichtige Gefühle über Euren Verstand obsiegen und damit alles in Gefahr bringen."

Wolfhold starrte seinen Collega an. “Ihr habt Recht! Ich habe einen Platz und den muss ich… will ich... auch einnehmen. Aber Ihr vergesst, dass auch die Leidenschaft göttergegeben ist und ein Quell sein kann, der einen vorantreibt und Halt gibt. Und ich werde mir diesen Quell nicht nehmen lassen. Allerdings möchte ich Euch bitten, sollte ich fehltreten, so sprecht mich darauf an. Meine Zeit im Horasreich hat mich verändert und einige nordmärker Sitten sind mir wohl abhanden gekommen.”

Radulf lächelte, doch es schwang ein Hauch Bitterkeit darin. Die Leidenschaft - manche nannten sie das Privileg der Jugend - er deren großes Laster. Wie viel Verwirrung und Schmerz ging doch allzuoft mit dieser einher, wie viele verhängnisvolle Fehler wurden aus Leidenschaft geboren, das wusste er nur zu gut. Erst in deren Überwindung lag Stärke, denn mit ihr schwand die Verwundbarkeit. Sapientia, modestia et fides in deos - das waren die Säulen, die ein Leben trugen, ganz besonders das eines Magiers: “Ihr dürft nicht vergessen, wie mächtig und wild die Kraft ist, die Menschen wie uns anvertraut ist - sie ist Geschenk und Fluch zugleich. Wer sie beherrschen möchte - und das ist unsere heilige Pflicht - muss allzuvorderst sich selbst zügeln. Wenn wir uns vom Strom der Leidenschaft mitreißen lassen, wird dieser durch uns nur allzu leicht zu einer vernichtenden Woge - ihr müsst Euch nur ansehen, welche die Gemeinschaft zersetzenden Auswüchse das beispielsweise im Treiben der Hexen nimmt.” Er war dabei, sich in Rage zu reden. Modestia, Modestia… “Doch verzeiht, natürlich sehe ich, was Euch angeht, keinerlei solche Gefahr im Verzug. Dennoch sei mir Eure Bitte vornehme Pflicht, und ich werde Euch gerne mit Rat zur Seite stehen, sollte ich auch nur die Andeutung der Gefahr eines Fehltrittes erkennen.”

“Ich danke Euch. Es fällt mir nicht leicht über solcherlei… Dinge... zu reden. Ich habe auch zuviel Zeit allein vor Büchern in staubigen Stuben verbracht, und mir ist aufgefallen, dass man mich manchmal komisch ansieht, nachdem ich etwas gesagt oder getan habe. Und es hat nichts mit unserer Gabe oder unserem Stand zu tun. Die Blicke sind... anders.” Er schaute kurz zu Boden. “Glaubt Ihr wirklich, dass Leidenschaften und Gefühle für die chaotischen Ströme der satuarischen Ausgestaltung der rohen Kraft verantwortlich sind? Und wenn ja, müsste dann nicht auch ein gelehrter Magier, der sich von seinen Gefühlen beim Zaubern leiten lässt, diese Ausgestaltung aufweisen?”

Da sprach Wolfhold etwas an… Radulf hub sofort zu einer leidenschaftlich vorgetragenen Rede an: “Die satuarische Ausgestaltung fußt nicht nur auf Leidenschaften und Gefühlen, sondern zu gleichen Teilen auch auf Dilettantismus und fehlendem Wissen. Und deswegen läuft ein Magier, der sich allzuleicht seinen Gefühlen hingibt, auch nicht Gefahr, dieser Ausgestaltung anheimzufallen - nein, es sieht sogar noch viel schlimmer um ihn aus: Denn über kurz oder lang wird er, aller inneren Schulung und anfänglicher moralischer Festigung, die er auf der Akademie ursprünglich erhalten hat, zum Spielball der rohen Kraft oder derjenigen Entitäten werden, die von jener angezogen werden. Und dann ist er eine noch größere Gefahr als all die Hexen und Druiden und anderen Naturzauberer - ich nenne sie Triebzauberer - denn dann trifft Zügel- und Morallosigkeit auf Wissen und Methodik, dann werden animalische Instinkte nicht mehr durch Dilettantismus in ihrer verderblichen Wirkung beschränkt. Darum müssen wir uns Tag für Tag nicht nur in unseren Zauberkünsten üben und unser Wissen erweitern, sondern auch durch stete Exerzitien unsere innere Widerstandskraft gegen die Amoral stärken.”

Wolfhold, der in den letzten Jahren das `leichte Leben` im Horasreich kennen gelernt hatte, wo man sich oftmals sogar der Bekleidungsvorschriften des Codex Albyricus entledigt hatte, rollte innerlich mit den Augen. “Aber, bedeutet das denn nicht, dass wir jegliche Form von Leidenschaft aus unserem Leben verbannen müssen, um nicht zur Gefahr zu werden? Um uns nicht in uns selbst zu verlieren? Was ist mit der Leidenschaft, mit der wir den Göttern dienen? Oder der Leidenschaft des jungen Studenten, der sein Wissen mehren will? Und ist die Gefahr der Verbitterung, der Anfälligkeit für Einflüsterungen nicht genauso groß, die durch diese Form der Askese entstehen kann? Eure These ist höcht interessant, aber ich fürchte, dass Ihr alles an Gefühlen über einen Kamm schert und man hier vielleicht genauer hinschauen sollte. Ich denke, dass man auch bei Gefühlen sagen kann: Die Dosis macht das Gift. Oder irre ich, da mir etwas entgangen ist?”

"In unseren jungen Jahren mag die Leidenschaft in der Tat gerade der Ansporn sein, der uns unser Wissen mehren und den Göttern mit Inbrunst dienen lässt. Als die weitgehend leeren Gefäße, die wir dann noch sind, ohne in die Tiefen des Wissens oder die Erkenntnis des Willens der Götter vorgedrungen zu sein, schlummert darin auch lange nicht dieselbe Gefahr wie bei erfahreneren Magiern oder Götterdienern, vor allem, wenn wir uns leiten und mäßigen lassen von denen, die den Weg vor uns gegangen sind. Doch irgendwann sind wir selbst diejenigen, die die Jungen anleiten müssen, und wir müssen uns selbst mäßigen, da es kein anderer mehr tut und wir über so großes Wissen und astrale Macht verfügen, dass wir ohne Mäßigung zur Gefahr werden." Radulf sah Wolfhold eindringlich an. Er wusste wovon er sprach. Ja, er hatte sich selbst gemäßigt, sich die einstige Ohnmacht im Angesicht seiner eigenen Gefühle und Antriebe, aber auch seine diesbezüglichen Schuldgefühle gegenüber dem Herrn Praios und den Zwölfen aus dem Leib und dem Geist gegeißelt. "Und glaubt ja nicht, es sei der Verlust der Leidenschaft, der zur Verbitterung führt - nein, in Wahrheit ist es zumeist die noch vorhandene, aber in ihr Gegenteil verkehrte Leidenschaft, Leidenschaft, die enttäuscht wurde, Leidenschaft die nicht gedankt oder erwidert wurde. Und da dies im Laufe eines Lebens zwangsläufig geschieht, ist es so wichtig, sich bereits früh in der Modestia zu üben, die Klarheit des Verstands und die Ruhe wahrer Weisheit über den so leicht fehlgeleiteten impetus der Gefühle zu stellen!"

“Wäre es denn nicht möglich sich mit der Enttäuschung auszusöhnen, inneren Frieden zu finden und so, trotz seiner Gefühle, ein ausgeglichener Mensch zu werden, der trotz seines Wissens und seiner Macht keine Gefahr darstellt?” “Ihr sagt es, ausgeglichen. Und diese Ausgeglichenheit ist zwar sicherlich nicht gleichbedeutend mit völliger Gefühllosigkeit. Aber sie setzt sehr wohl die Kontrolle der Gefühle durch eine höhere Instanz - Verstand und Moral - voraus, auf dass nicht überschießende Leidenschaft oder völlige Enttäuschung einen aus dem Gleichgewicht bringen, mit allen potenziell verheerenden Folgen.”

“Dennoch klingt es so, als meintet Ihr Gefühllosigkeit. Vielleicht habe ich das missverstanden. Ich glaube nämlich, dass unsere Gefühle zu uns gehören und sie zu verdrängen, unterdrücken scheint mir nicht gesund zu sein.” “Kontrollieren und mäßigen hat nichts mit unterdrücken zu tun. Wie der gute Herrscher sein unwissendes Volk lenken und begrenzen und vor sich selbst schützen muss, damit es diesem gut geht und es nicht zu Schaden kommt, so ist es auch Aufgabe von Verstand und Moral, dafür zu sorgen, dass die Gefühle in ihrer Unberechenbarkeit und Härte nicht die Gesundheit der ganzen Seele gefährden.”

“Da habt ihr Recht. So habe ich das nicht betrachtet”, überlegte der Jüngere. “Wie aber erkenne ich, ob dieser Herrscher ein schützender Landesherr oder ein gieriger Tyrann ist?” “Das ist eine höchstberechtigte Frage.” Radulf schwieg einen Moment, in dem er über diese nachdachte. “Der Verstand alleine kann diese Unterscheidung in reinem Selbstbezug sicher nicht leisten. Er braucht ein höheres, ein absolutes Maß, an dem er sich orientieren und messen kann. Und was anderes könnte dieses Maß sein, außer das Wort und der über allem stehende Wille der Götter, allzuvorderst des Herrn Praios, der uns lehrt, was Mäßigung und Ordnung ist, und wie ein guter Herrscher zu sein hat.”

“Tatsächlich stehe ich der Herrin Hesinde näher, als dem Herrn Praios. Aber ich werde Euren Rat befolgen und mich in diesen Disziplinen üben. Könnt Ihr mir ein Werk empfehlen, dass ich dazu studieren kann? Oder gar einen Lehrmeister, an den ich mich wenden könnte?” “Lest am besten ‘De aequo animo - Die Säulen der Gleichmut’, von Ignatius Theodenus. Das Originalwerk aus bosparanischer Zeit soll von unübertroffener philosophischer Klarheit sein, allerdings ist praktisch nicht an dieses heranzukommen. Ich kann Euch aber auch die zeitgenössischen Abschriften wärmstens ans Herz legen. Mich haben Ignatius’ Lehren jedenfalls sehr vorangebracht.”

“Dann werde ich mich mal danach umsehen, wenn ich das nächste mal in Elenvina bin. Obwohl, wenn es jetzt wirklich ins Gratenfelser Becken geht, dann wäre die namensgebende Stadt wohl die nächste Wahl.” “In so manchem der größeren Tempel des Herrn Praios mag Euch diesbezüglich auch das gleißende Glück der Erleuchtung lachen.” wollte Radulf Wolfhold Mut machen, diesen Schritt nicht zu lange aufzuschieben, “ich bin mir sicher, dass man sich dort freut, Euch gegen eine angemessene Spende eine Abschrift zur Verfügung zu stellen.” So war es ihm selbst jedenfalls ergangen.

Ronan schlenderte über das Deck und genoss den frischen Wind. Er fühlte sich an die Nachtklinge und die Nachtmond erinnert. Das Deck war nicht groß, die Wege daher nicht weit. Im Gespräch vertieft sah er die beiden Magi, Wolfhold von Punin und Radulf von Lîfstein. Und da traf ihn ein Blick des Gefährten Madasils. Bitter! Giftig! Ronan erstarrte. Atmete kurz ein. Was war da nur los, er kannte diesen Magus nicht. Noch nicht. Er verschränkte die Finger vor seinem Bauch und richtete seine Konzentration auf den nur wenige Schritt entfernten Magus. Er sandte sein Gespür Fühlern gleich aus und tastete sich langsam vorwärts. Leise flüsterte er: "Macht der Gefühle, innerste Seele, ushûnam ymash'dar hawshal ob Feuer der Liebe oder Angst in der Kehle, spüre ich, was in dir war." Unerwartet war der Strom der Gefühle, die auf ihn einbrandeten. Ronan zuckte zusammen, sortierte seine und die Gefühle des anderen wie ein Gewirr aus Fäden auseinander. Wohlwollend-warme Liebe, Leidenschaft wie heißer Wein, aber kühl und drückend eine gewisse Traurigkeit und deutlich auch eine Eiseskälte, die deutlich gegen ihn, Ronan, gerichtet war. Eifersucht. Ronan blies die Luft durch die Nase aus und verbannte die Gefühle des anderen aus seinen eigenen Empfindungen. Und unterdrückte ein Seufzen. Seminare über den Umgang mit den eigenen, unumgänglichen Gefühlen boten die ach so hochgerühmten gildenmagischen Lehrhallen offenkundig nicht an. Nun - darum würde er sich kümmern. Auch wenn dies eigentlich Aufgabe einer Rahjageweihten war. Er grübelte. Und schüttelte den Kopf. Grinste in sich hinein. Nein nein, das war aufgehoben in seiner Hand.

Fachsimpeln auf den Wogen (auf der ´Windrush´) 18. Peraine 1043 BF

Kapitän Klewin Kupferfeld war ein gebürtiger Koscher, doch verbrachte er mehr Zeit seines Lebens auf dem Großen Fluß und anderen Länder. In seiner Jugend zog es ihn aufs Meer und er verbrachte viele Jahre in der Charyptik. Doch eines Tages war es nach einem Gespräch mit einer Geweihten der Hesinde, die ihn dazu bewegte in die Heimat zurückzukehren. Doch alleine kam Klewin nicht. Eine Ehefrau und eine Handvoll Südländer begleiteten Ihn, in der Hoffnung eine bessere Zukunft in einem fremden Land zu haben. Und so benannte der Kupferfelder seinen Flusssegler ´Windrush´, nach dem kemischen Wort für ´Hoffnung´. Noch heute sind viele der Mitgereisten Teil seiner Mannschaft und geben ein weltmännisches Flair an Bord. Der alte Seebär, mit den strahlend blauen Augen und dem prächtigen, weißen Backenbart führte seinen wendigen Segler schon seit ganzen fünf Tagen den Großen Fluß aufwärts, mischte sich aber selten unter seinen Passagieren. Der 18. Peraine war ein windiger Tag und die Wogen schütteten ihre Gischt oft an Bord. Die Gelehrten der Sternmission hatten sich zum größten Teil in den mittleren Bereich des Flussseglers begeben und waren noch immer damit beschäftigt zu Fachsimpeln. Zumindest gab es eine Matrosin, die sich für solch ein Thema begeistern konnte: des Kapitäns Frau Galepisi. Die schlanke, dunkelhäutige Frau stammte, wie der Horasier Balsazar, von einem Waldmenschenstamm ab, und war mit diesem und anderen in einem Gespräch vertieft. Doch ein jeder wußte, nur noch ein Tag auf diesem Fluß und man würde endlich Twergenhausen erreichen.

So weit Meta feststellen konnte, gab es nichts mehr zu tun. Doratrava war auf ein anderes Boot gewechselt. Keine schlechte Entscheidung, musste sie sich die Fahrt doch nun mit Alrik, der Rahjani und drei anderen gelehrten Personen rumschlagen. Es versprach Langeweile und Palaver, wie sie es von ihrem ersten Ausbilder kannte. Sie suchte sich einen sicheren und bequemen Platz und wartete auf die anderen.

Leonora - jene junge blonde Frau, die in der Begleitung des streitsüchtigen Alten im Tempel gewesen war - hatte auch die Reise gemeinsam mit dem Gelehrten angetreten. Auf dem Schiff trug sie nun robustere Kleidung als im Tempel: ein ärmelloses, ledernes Wams und Unterarmschützer, die ihre Blusenärmel zurückrafften, dazu eine Reiterhose und hohe Stiefel. An der Hüfte trug sie wieder ihr Korbschwert. Auch in dieser gröberen, rondragefälligen Tracht war sie eine ausnehmend schöne Frau. Nachdem sie ihr Pferd in den Pferchen versorgt und mit einem der fremdländischen Matrosen ein paar Worte gewechselt hatte, begab sie sich über eine Luke ins Innere des Schiffs, um bald wieder an Deck zu klettern. Erst spät nahm sie die Frau wahr, die sich in den letzten Tagen so weit abseits von den anderen Reiseteilnehmern gehalten hatte. Sie änderte ihre Richtung und kam direkt auf Meta zu. Sie lächelte, nickte und setzte sich neben die andere. “Guten Morgen!”, grüßte sie mit dem festen Vorsatz, diesmal das Eis zwischen ihnen zu brechen.

Diese mache es der schönen Neuankömmling nicht schwer. Mit einer Hand klopfte sie auf einen ebenfalls verlockend bequem aussehenden Platz zu ihrer Linken. Hochgeboren? Wohlgeboren? Hohe Dame? Setzt euch doch, mir ist fad.“ Auf einem kleinen Tischchen vor ihr stand ein Krug, der wohl Wasser enthielt, dazu waren einige Tonbecher gerichtet. „Mein Name ist Meta Croÿ, ich bin in Vertretung meines Schwertvaters Thymon vom Traurigen Stein hier.“ Meta lächelte frech aber sympathisch. „Ich bin also Knappin. Euer Antlitz ist mir gestern an einem anderen Tisch aufgefallen. Mit wem seid ihr unterwegs? Oh, bevor ich es vergesse, ein hübsches Tier habt ihr. Warunker?“

“Zuchtunfall.”, entgegnete Leonora lachend. “Ihre Mutter ist eine Elenvinerin, aber ihr Vater, der alte Räuber, ist ein Warunker.” Sie streckte ihre Hand aus. “Ihr könntet ‘Hohe Dame’ sagen, ‘Leonora’ wär’ mir aber lieber. Von Heiternacht. Also - Leonora von Heiternacht. Aus der Baronie Kaldenberg.” Sie seufzte. “Ich weiß nicht so recht, warum ich hier bin. Auf dem Rabenmarkfeldzug habe ich den Gelehrten Herrn von Rickenbach kennengelernt. Er hat mich mal durch sein Fern… ich meine Teleskop schauen lassen - tja, und seitdem…” Versonnen blickte sie in die Weite. “Seitdem lassen mich die Sterne nicht mehr los.” Wieder lachte sie. “Das klingt sicher ganz schön dramatisch - aber es ist wirklich so.” Die Ritterin wandte sich Meta zu: “Und Ihr? Als Knappin seid Ihr auch kein… Bücherwurm?”

Meta lachte etwas beschämt, anscheinend stellte sie sich wieder etwas vor. “Aber nein. Obwohl, bei meinem ersten Schwertvater, dem Dom Danilo von Cres musste ich viele Bücher lesen. Du wirst einige vielleicht kennen, er hat sie selbst verfasst. - 'Drum parlier der Noble nicht wie ein Rustikal' ... 'Vom Benehmen des Noblen im Felde' ... 'Vom Benehmen des Noblen zu Hause' und weitere Bücher werden wohl noch folgen. Ansonsten hat es mir eher leichte Literatur angetan.” Interessiert betrachtete sie die andere Frau. Sie schien jünger und doch erfahrener und weiblicher zu sein. In ein paar Jahren, dachte Meta sich, irgendwann werde man sie auch so sehen. Einen leichten Schmerz in der Brust ignorierend, war sie doch neugierig. “Durch was hat er dich schauen lassen? Ist das eine Umschreibung für etwas, äh, rahjagefälliges? Mir fehlt die Erfahrung, aber es interessiert mich. Die Sterne haben dann viel deutlicher geleuchtet, oder es war, als wäre man in den Sternen? Das erzählen die Mädchen im Dorf.”

Lebhaft gestikulierend entgegnete Leonora: “Es war auf dem Rabenmarkfeldzug. Einmal wurde ich in der Nacht wurde ich von der Wache abgelöst und da sah ich den Herrn von Rickenbach auf einen Hügel steigen. Auf jeden Fall bin ich hinterher, und er hatte sein Teleskop ausgepackt und ich durfte…” Die Bewegungen der jungen Frau erstarben und ihr Gesichtszüge schienen ihr einzuschlafen, als ihr das Missverständnis klar wurde, dem ihre Gesprächspartnerin gerade aufgesessen war. Leonora errötete abrupt, stand auf, setzte sich wieder hin, schüttelte den Kopf. “Nein - nein. Ich? Nein - er? Nein, nein.”, stammelte sie. “Nein, ich habe das nicht rahjagefällig - mit IHM? Ich glaube nicht, dass er - also, dass - nein.” Sie lachte verlegen. “Sein TELESKOP - das ist nichts rahjagefälliges. Also - ich weiß nicht ob es Rahja gefällt, aber es ist kein… Teil seines Körpers, es ist ein Ding - ich…” Das wurde ja immer schlimmer! Sie schlug lachend die Hände vor das Gesicht, als würde das peinliche Missverständnis verschwinden, wenn sie sich lange genug davor verbarg. Als sie sich schließlich beruhigt hatte, versuchte sie es erneut: “Es ist ein Apparat, um in den Nachthimmel zu schauen. Und dann kann man die Sterne viel besser erkennen. Die Sternenbilder. In ihnen steckt ganz viel Weisheit, und sie haben wunderschöne Farben und fremde Namen.” Langsam gelang es Leonora, ihre Verlegenheit wieder abzulegen. “Die Sterne wandern über den Horizont und immer dann wenn sie über uns scheinen, dann verändern sie die Welt. Und wenn sie sich selbst verändern, dann ist das sehr selten und wichtig für uns.” Sie deutete auf den Gelehrten, der im Gespräch mit der Frau des Gelehrten vertieft war. “Er - er weiß sehr viel über die Sterne. Er kennt alle ihre Namen, und viele Geschichten zu jedem von ihnen. Wenn er erzählt, dann vergesse ich alle Sorgen, die ich habe auf dieser Welt…” Das Thema ‘Sorgen’ schien ziemlich präsent zu sein, denn Leonora wirkte bedrückt, als sie diese Worte aussprach.

Oh, wie verwirrend und spannend. Meta errötete ebenfalls und kicherte. “Tja, ähm, also ich kenne mich mit rahjagefälligen Dingen nicht so aus. Genauso wenig kenne ich mich mit Gerätschaften aus, mit denen man so weit sehen kann.” Sie klammerte sich an ihren Becher und setzte erneut an. “Man kann wirklich bis zu den Sternen sehen? Das muss wundervoll sein. Was hat den Meister bewegt, also, was will er tun, wenn er ein Stück göttlicher Herrlichkeit sieht, das auf Dere fällt?” Sie zupfte sich an ihren wuscheligen Haaren. “Kann man daraus etwas über unser Schicksal erfahren? Es ist ja fast wie ... ja ... der Vergleich hinkt … eine Nachricht an uns, oder? Ich wurde geschickt, um als wohl ewige Knappin zu lernen.”

Bedeutungsschwer nickte Leonora: “Meister Hesindiard hat Warnungen in den Sternen gefunden, die mir auf dem Feldzug das Leben gerettet haben. Ich glaube, er will die Sterne verstehen.” Sie zog die Augenbrauen hoch: “Ihr solltet in Twergenhausen unbedingt - unbedingt! - in das Teleskop dort gucken. Es ist wirklich wundervoll...” Da zog sie die Augenbrauen zusammen: “Ewige Knappin? Was meint Ihr damit?”

Die junge Frau, die doch ein paar Götterläufe älter als die Ritterin ihr gegenüber war, lachte herzlich auf. “Na schau dich doch mal um. Wer ist in meinem Alter noch Knappe? Oder die hübsche Rahjani, die sitzt mit den Gelehrten am Tisch. Du bist wenigstens zu mir gekommen, mich haben sie keines Blickes gewürdigt. Aber das ist immer so. Hm. Nur zu gerne würde ich mir das selbst ansehen. Es ist sicher ein großes Ding, das man da aufbauen muss. Wird er uns dann damit von seinem Standpunkt aus beobachten, also mit seinem Auge dabei sein, während wir das Zeichen suchen?” Sie senkte verschwörerisch die Stimme. “Ich habe Angst, dass ich ihn schleppen muss. Er macht einen etwas … fragilen, nein, gebrechlichen Eindruck.”

“Wie kam es?”, fragte die Jüngere. “Ich meine, dass - dass Du noch Knappin bist. Ich meine…”, verlegen rieb sie sich die Schläfe, “Ach, Du weißt schon. Wenn Du’s sagen magst.”

“Kein Problem. Ursprünglich komme ich aus Almada und war dort in der Nähe von Ragath bei meinem Schwertvater. Domna Verema war dort Junkerin und als sie schwanger wurde, kam es zu einem heftigen Streit. Der Baron legte andere Schwerpunkte in der Ausbildung, als es hier üblich sein mag. Etikette, ein grässliches Fach, wenn man es übertreibt.” Sie blickte kurz gedankenverloren auf das Wasser des großen Flusses. “Kurz und gut, wir sind beide in die Nordmarken gezogen, das Junkergut der Domna wird inzwischen verwaltet und ihr Schwager hat mich als Knappin aufgenommen. Ich habe also inmitten meiner Ausbildung noch einmal mit der Knappschaft angefangen. Es gibt über mich keine Geschichten oder Heldentaten, von denen so oft erzählt wird. Du wurdest sicher nach dem Feldzug zur Ritterin geschlagen?”

“VOR dem Feldzug.”, entgegnete Leonora. “Meine Ausbildung war auch… anders als in den ritterlichen Geschichten. Und Heldentaten - naja.” Verlegen blickte sie auf ihre Füße. Dann blickte sie wieder auf und ihr Gesicht begann sich aufzuhellen: “Erzählt mir von Almada! Ist es dort wirklich so schön, wie man sagt? Schnelle Pferde, roter Wein, und an jeder Ecke duellieren sich zwei Edelleute?”

„Bitte wie? Vor dem Feldzug? Ist das in den Nordmarken so üblich, in so jungen Jahren zur Ritterin geschlagen zu werden, oder bist du eine Ausnahmetalent?“ Die Knappin fand es, wenn auch nicht ohne Neid, interessant. Fehlte nur noch, dass die Damen in viel jüngeren Jahren Männer und Gefährten erfolgreich anzogen, wofür sie sich erst seit kurzem relativ erfolglos interessierte. Ihr ‚Freund‘ hatte ihr Tipps gegeben, wie man sich weiblicher darstellte, aber noch kam es ihr wie eine Verkleidung vor. Schade, dass er sie nie begleitete, aber er hatte viel zu tun und war sicher mit seiner hübschen Frau beschäftigt genug. „Ach Almada… „ versonnen lächelte Meta beim Gedanken an die verlorene Heimat. „Es stimmt, dass man sich schneller duelliert als hier, allerdings habe ich es in Cres leider nicht erlebt. Und wir haben die schönsten und prächtigsten Pferde. Seit ich mit Domna Verena mehr zu tun habe, die für die herzogliche Zucht der Elenviner verantwortlich ist, hat sich meine Präferenz geändert. Manche mögen unscheinbar sein, doch zeigen viele einen Kampfgeist und Willen, der seinesgleichen sucht. Anfang Phex, zum Rossmarkt, richtet Verema mehr und mehr Turniere und Versteigerungen aus.“ Meta lachte und nahm noch etwas Wasser. „Jetzt bist du dran. Ich finde, wir sollten zuerst Wein organisieren, dann redet es sich besser. Nicht wahr?“

Wortlos stand die Jüngere auf und verschwand in der Luke unter Deck. Wenig später kam sie mit einer ansehnlichen Korbflasche wieder zurück. Sie nahm wieder ihren angestammten Platz ein und reichte die Flasche zuerst an Meta weiter. Erst als diese sich bedient hatte, setzte sie die Pulle an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. “So früh am Tag trinke ich eigentlich keinen Wein.”, kicherte sie. Dann wurde sie wieder ernst: “Ich glaube… Es klingt vielleicht komisch… Ich glaube mein Herr hat gespürt, dass er bald sterben würde. Irgendwie. Er hat mich zu sich gerufen, und dann hat er gesagt, ich soll in die Kapelle gehen und Andacht halten, bis er nach mir schickt. Ich dachte, ich hätte etwas schlimmes getan und müsste Buße tun, aber ich wusste nicht was. Der Baron hat mich nie bestraft. Naja, und erst am nächsten Morgen hat er mich holen lassen. Der ganze Hof war versammelt, und er hat mich zur Ritterin geschlagen, er hat gesagt es sei an der Zeit. Am Tag darauf ist er mit seiner Tochter und seinen Enkeln weggeritten zur Hochzeit des Barons von Hlutharswacht. Du hast vielleicht davon gehört… Kein schönes Fest. Sie sind alle gestorben. Baron, die Baroness, und auch die Kinder. Sie waren auch meine Neffen und meine Nichte.” Leonora nahm einen weiteren Schluck, tiefer als der letzte, und noch einen. Erst dann reichte sie die Flasche weiter zu Meta. “Kein Raschdulswaller, aber nicht so schlecht, oder?”, kommentierte sie den aromatisch-kräftigen, roten Landwein.

Meta war mit dem Wein zufrieden und der große Schluck, den sie genommen hatte, versetzte sie in angenehme Stimmung. Trotzdem konnte sie Leonoras Erzählung sofort einordnen. „DA ist es passiert? Verema war dort und hat mir davon erzählt, es muss furchtbar und grauslich gewesen.“ Sie schauderte und strich der Ritterin mitfühlend über die Hand. „Boron sei hoffentlich ihrer Seelen gnädig. Es tut mir Leid, du bist sicher traurig und schockiert. Gerade das zu verarbeiten ist schwer. Beim nächsten Schluck denken wir an sie. Meta bemühte sich, die Hochzeit zeitlich einzuordnen. Verema hatte damals ein Kind, sie wollte nicht alleine auf die Feier und hatte Travingo als Begleiter mitgenommen. „Du warst ganz schön jung, als man dich zur Ritterin schlug.“ Sie reichte Lenora wieder die Flasche. „Auf deine Verwandten und deinen Herren.“

“Boron sei ihrer Seele gnädig.”, wiederholte Leonora bekräftigend. “Auf die Toten, auf das Leben.” Sie lächelte schwermütig. Einem Impuls folgend, legte sie den Arm und die andere Frau und umarmte sie kurz, aber herzlich. “Danke.”, sagte sie schlicht, wie es auch ihrem Gemüt entsprach, als sie wieder losließ. Dann nahm sie einen weiteren Schluck. Sie kicherte: “Ich spüre den Wein schon in den Beinen… Noch ein paar Schluck, und ich beschließe diesem lahmen Kahn voraus zu schwimmen.” Sie reichte die Flasche wieder an Meta.

“Ein wahrlich guter Satz zum Ende.” Ob es Metas Gemüt entsprach, wusste man nicht, aber sie erwiderte die Umarmung zart und strich der so jungen und doch so viel höher stehenden Frau sanft über die Wange. Eine kurze Berührung, als würde man von einer Feder gestreichelt. Dann blickte sie Leonora in die Augen. Relativ lange, hörte ihr zu und nahm den Wein entgegen. “Was meinst du, wie lange wird die Fahrt dauern? Es kommt mir schon eine Ewigkeit vor, seit wir abgelegt habe.” Das Gespräch machte Spaß. Viele Leute verstanden ihre Gedankengänge oder Verrücktheiten nicht. Oder hatte gar sie selbst sich aus irgendeinem Grund verändert?. “Noch eine Korbflasche, dann sind wir da.”, scherzte Leonora, die alles andere als trinkfest war. Sie hob die Flasche an, um den Füllstand abzuschätzen. “Noch eine Korbflasche lang geht unsere Fahrt…”

Die schlanke Frau, mit ihren zu kurzen Zöpfen gedrehten Haar, hörte aufmerksam den alten Gelehrten zu. Sie unterbrach ihn nicht oft und höchst wahrscheinlich verstand sie auch nur die Hälfte von dem gesagt, doch fand sie seine Tonlage und sein Enthusiasmus interessant. Hesindiards Gegenüber war sicherlich schon in ihren Fünfzigern, doch weder ihr Gesicht noch ihre Figur verrieten ihr Alter. Nur das ergraute Haar und die gewählten Worte ließen darauf schließen. “Ich muss gestehen, Meister Hesindiard, die Sternenkunde der Nordländer, enthält viele Worte und gehen einen schwierigen Weg. Ich stamme aus Altoum und in meinem Volk ist der Sternenhimmel sehr wichtig. Auch wir lesen daraus … nur anders. Wart ich schon mal in der Charyptik?” Galepisi hatte eine dunkle und angenehme Stimme.

Der Alte schüttelte den Kopf- “Leider nein. Und mittlerweile bin ich wohl zu alt. Meine Familie hat mir schon einen Leibdiener aufgedrängt, weil sie meint, ich sei zu betagt, um alleine auf die Reise zu gehen. Nun- man muss dem Jungen zugute halten, dass er schnell mit dem Kopf ist und nicht allzusehr stört. Doch Altaia werde ich wohl niemals sehen, nur die Sterne, die sich von dort nach dem letzten Kerygma wieder zu ihrem Herrn gesellt haben, erinnern mich stets an diesen Mangel, wenn ich in die Sterne schaue.” seufzte er. “Was unterscheidet eure Art den Sternenhimmel zu betrachten von unserer?”

Nun schlich sich ein Schmunzeln in ihr Gesicht. “Ihr werdet jetzt sicherlich Lachen, aber die Schamanen, unsere Sterndeuter, ziehen nicht nur den Himmel in betracht der Deutung. Die Wolkenbewegung, Wellengänge, all Dinge die in der Natur passieren können. Den nicht nur die Sterne werden von den Nipakau gelenkt. Ich weiß, dass viele Gelehrte eures Volkes unser Wissen oft belächeln. Aber vielleicht solltet ihr es mal in Erwägung ziehen.”

“Nipakau sind eure Götter? Dann unterscheidet sich euer Glauben nicht allzu sehr von unserer WIssenschaft. Denn auch wir denken, dass es die Kräfte der Götter sind, die Wind, Wasser, Wolken und all die Kräfte auf Dere bewegen. Ebenso wie es ihre Kräfte sind, die auf die Sterne Einfluss nehmen.” Er schaute sie direkt an: “Wisst ihr. Unsere Gelehrsamkeit begründet sich auf Logik. Und Logik ist nichts anderes als Folgerichtigkeit. Jemand kann einen logisch richtigen Schluss ziehen, der dennoch nicht korrekt ist. Einzig weil ihm nicht alle Informationen vorliegen. Oder weil er Prämissen setzt die inkorrekt sind. Sagen, Legenden, GEschichten, Märchen…. Das alles sind Informationen, die wir nutzen können, um den wahren WEsen der STernen nahe zu kommen.”

“Ich kann mit euren Worten nur mitgehen, Hesindiard. Ich habe nicht viele Männer wie euch getroffen. Ich wünsche euch viel Erfolg dabei. Ich kann nur sagen, dass der große Nipakau dieses Flusses in den letzten Götterläufen oft zornig war. Doch wie es scheint wollen die Lufte, dass wir schnell nach Twergenhausen kommen.” Sie hielt ihre Nasenspitze in die Höhe und schloß ihre Augen. “Nun, wer weiß schon, was die Götter für Pläne haben.” zuckte der Alte mit den Achseln.

Das Rauschen der Gischt übertönte kurz das heitere Lachen der beiden Horasier, die sich vorsichtig einen Kelch Wein einschenkten. “Signora, ich finde eure Heimat interessant … es ist hier ganz anders als in Drol, das muss ich gestehen. Habt ihr euch den schon wieder eingelebt? Der Wein zumindest ist vielversprechend.”, sagte der gutaussehende Chirakahner.

Es war eine der wenigen angenehmen Unterhaltungen, die Valeria seit dem Beginn dieser Unternehmung führte und vielleicht lag es daran, dass ihr ein Landsmann gegenüber saß. Für Ronan mochte das ebenfalls gelten, auch wenn sie ihn optisch eher in den Tulamidenlanden verorten würde. "Wieder eingelebt?" Sie lächelte. "Ich habe vor einigen Monden das erste Mal einen Fuß in die Nordmarken gesetzt. Es wird wohl noch etwas dauern bis ich die Heimat meiner Vorfahren auch die meine Heimat nennen kann." Sie nippte am Wein. Er war in der Tat nicht schlecht. "Und Ihr, Signor? Ihr jagd hier im Herzogtum der Prophezeiung über ein Königskind nach, wie ich gehört habe?" Es war nicht leicht aus dieser Frage heraus zu hören was genau sie davon hielt.

“Das kann wohl so sagen. Die Droler Bibilotheken sind nicht die üppigsten, aber durch Zufall bin ich darauf gestoßen. Und nun nach dem Treffen im Hesindetempel in Elenvina, fühle ich mich bestätigt. Die Einheimischen hier, konnten viele prophetischen Worte lokalen Orten zuteilen. Wie auch meine Kollegen, die Sterndeuter, vermuten, kommt der Stern im gratenfelser Becken runter. Aber das Königskind bleibt ein Rätsel. Es bleibt spannend. Ihr habt nicht zufällig etwas von einer schwangeren Königin vernommen?” Nun blickte er ihr direkt in die Augen.

Die Geweihte stellte ihren Kelch zurück und strich mit ihren schlanken Fingern den Stiel entlang. "Königinnen in den Nordmarken? Die gibt es hier nur unter dem Berg in den Königreichen der Angroschim." In diesem Moment fiel Valeria eine widerspenstige Strähne ihrer honigblonden Locken ins Gesicht, die sie beinahe schüchtern lächelnd wieder zurück strich. "Wobei … als Kind mochte ich immer die Geschichten über die Tier- und Pflanzenkönige. Gwyddor, den Tierkönig der Löwen zum Beispiel, den Rondra versteinert hat um ihn den Tod durch seine jüngeren Herausforderer zu ersparen, oder Mandavarvin, den König der Einhörner … vielleicht ist eine solche gemeint? Im Herzogtum sind mir jedoch keine Tierkönige und -Königinnen bekannt." Die Rahjani lächelte. "Was haben denn die anderen gesagt?" Kurz strich sich Belsazar durch seinen blau-schwarzen Bart. “Keine kannte irgendein Adligen, der ein Kind erwarten würde. Sie erwähnten eine Baronin von … Schweinsfold? Soll aber auch nicht schwanger sein. Aber sie kamen mit der Theorie einer Lilienprinzessin. Wenn ich es richtig verstanden habe … eine Fee. Aber um ehrlich zu sein, hat mich das nicht überzeugt.”

"Eine Fee?" Valeria zog eine Augenbraue hoch. Sie kannte Geschichten um Feenwesen. "Feen leben doch nicht in unserer Welt, oder? Zumindest keine Königinnen. Ich denke, dass das eine Sackgasse ist." Die Geweihte hob ihr Trinkgefäß und blickte für einen Moment hinein. "Baroninnen sind auch keine Königinnen. Yolante Kasmyrin, die Königin von Nostria lebt firunwärts von hier. Kaiserin Rohaja von Gareth ist die Königin Almadas, des Kosch und Albernias." Sie hob ihre Schultern. "Sonst blieben nur die Frauen der Bergkönige. Sonst gibt es hier meines Wissens nach keine Königinnen." Nun nahm sie wieder einen Schluck. "Was haben Eure Nachforschungen sonst ergeben? Ihr meintet, dass es wohl gesichert ist, dass der Stern im Gratenfelser Becken auftrifft."

“Die Berechnungen der anderen Sterndeuter hier, kommen meinen sehr nahe und ich muss gestehen, die von Signor Rickenbach sind äußerst schlüssig. Ich denke weiter Blicke an den Himmel, sollten uns sicherheit geben, wo genau der Stern runterkommt. Was haltet ihr davon?” fragte Belsazar. Die junge Frau verzog kurz einen Mundwinkel. "Es gibt nicht viele Dinge, die langweiliger sind als Zahlen …", Valeria kicherte und spielte mit einer Haarlocke, "... aber der Herr von Rickenbach wird schon wissen was er tut. Es ist sehr beeindruckend, dass man den Weg eines Sterns überhaupt vorhersagen kann. So oft kommt das ja nicht vor, dass es da eine sichere Methode, basierend auf Studien gäbe." Sie hob ihre schmalen Schultern und blickte hinaus auf das Wasser des großen Flusses. "Aber lassen wir das. Wir werden es früh genug sehen ob die Berechnungen stimmen. Erzählt mir lieber etwas über Euch, Signor."

Nun warf der Gelehrte ihr einen schmelzenden Blick zu. “Nun, ich stamme aus Drol. Meine Eltern sind hiesige Bauern. Ein Gelehrter aus Silas wurde - Phex sei dank - auf mich aufmerksam. Er bildete mich zum Sternendeuter aus.” dann strich er sichs durchs Haar. “Ich bin nicht verheiratet und habe auch keine Kinder. Die Wissenschaft hat mich bis jetzt gut beschäftigt. Wie sieht es bei euch aus?”

Die Angesprochene nahm einen Schluck aus ihrem Trinkgefäß. “Meine Mutter entstammt einem kleinen hiesigen Adelsgeschlecht. Mein Vater war ein horasischer Taugenichts. Die beiden waren durch einen Rahjabund verbunden, deshalb gelte ich hier im Mittelreich als Bastard.” Valeria hob ihre Schultern. “Mutter diente als Geweihte in Rahjas Palast auf Deren zu Belhanka, doch war sie keine der Tempelgeweihten. Sie war für das Keltern des Bosparanjers verantwortlich und deshalb störte es auch nicht, dass sie meinen älteren Bruder und mich bekam. Erinnern kann ich mich an beide Elternteile nicht. Alles was ich weiß stammt aus Erzählungen. Meine Mutter starb als ich einen Sommer zählte - sie ließ ihr Leben beim Überfall der Barbaren auf die Seestute. Mein Vater verschwand kurz darauf.” Kurz lächelte die Geweihte bitter, nahm dann einen weiteren Schluck und fuhr fort: “Der Tempel hat mich als Mündel aufgenommen, während mein Bruder in die Nordmarken zu Onkel Thymon kam, der ihn wie einen eigenen Sohn aufzog. Ich bin dann sozusagen den Spuren meiner Mutter gefolgt und Rahja hat mich als eine ihrer Dienerinnen akzeptiert. Gylv … äh … die Hüterin des Kelches hat es mir nahegelegt in die Nordmarken zurückzukehren.” Hier stoppte die junge Frau in ihren Ausführungen und blickte stattdessen für einige Herzschläge hinaus auf das Wasser des großen Flusses. Belsazar spürte das eine Last auf der Geweihten lag, ein Gefühl das ihm durchaus bekannt vorkam. Doch hier war es nicht Zeit und Ort in die Tiefe zu gehen. Er bezweifelte sogar, dass er der richtige Zuhörer war. “Seht es so, ihr habt die Möglichkeit Belhanka nach Elenvina zu bringen.” Nun erhob er seinen Kelch und prostete ihr zu. Die Geweihte prostete ihm nickend zu.

Bezwinger der Gischt (auf dem Hausboot) 13. Peraine 1043 BF

Wild peitschten die Wogen auf und trieben die Gischt an Bord. Das große Hausboot von Juno von Altenberg, einem alten Efferdgeweihten, knarrte und wankte im Rhythmus der wilden Fahrt. Über und über war sein schwimmender Schrein des Launenhaften mit Netzen, mit efferdgefälligen Schnitzereien und Muscheln geschmückt, die ebenfalls ein rasselndes Geräusch beisteuerte. Der Efferdgeweihte war ein breitschultriger, rüstiger Mann in seinen Siebzigern. Sein volles silbergraues Haar und der gepflegte Vollbart, waren nass vom aufwirbelnden Flusswasser. Seine grünen Augen wirkten oft streng, doch nun blitzten sie voller Leidenschaft auf. Der Gefährte von Wind und Woge trug sein blaugrünes Schuppengewand, das mit vielen Talismanen behangen waren. Mit tiefer Stimme lachte er, während er das Boot steuerte. Jeder der sich noch an den alten Herzog Jast Gorsam erinnern konnte, möge meinen, das Juno Ähnlichkeit mit diesem besass. Etwas, was man tunlichst meiden sollte zu erwähnen. Normalerweise hatte er es meistens nicht eilig über den Fluß zu kommen, doch diesmal trieb ihn ein Wunsch seiner Begleiter, das gewohnte Tempo zu brechen. Am Vorabend bekam er Besuch von seinen alten Freundes Hesindian von Foldenau, eines Hesindegeweihten aus Elenvina. Die Geschichte über einen fallenden Stern und die mögliche Bedrohung durch diesen, hatten ihn gleich überzeugt zu helfen. Und so ging es im Morgengrauen Richtung Kyndoch flussabwärts los. Wer aber gedacht hatte, das es eine gemütliche Fahrt werden würde, hatte sich ordentlich getäuscht. Juno nahm die Eiligkeit der Mission sehr ernst und rief die Winde Efferds an. Und so wurde jeder der Gäste und seine Novizin eingespannt, sei es am Segel, Ruder, Steuer oder der Versorgung der ´Mannschaft´. “Har, Har!! Efferd, ist das alles was du uns geben kannst?” brüllte der Geweihte, während ein weiterer Schwall der Gischt über ihn hereinbrach.

Relindis gab ihr bestes - sowohl, sich an Bord nützlich zu machen, als auch, im Angesicht des Tosens und Brausens Efferds ihren Mageninhalt bei sich zu behalten. Ihre Gesichtsfarbe sprach dennoch Bände, und schließlich fütterte sie doch die Fische im großen Fluss, nur um sich dann wieder umso tapferer an den ihr zugewiesenen Tauen zu verdingen. Ihre Mitschwestern und -brüder würden sich, könnten sie sie jetzt sehen, vielleicht bestätigt wähnen, dass man am besten am heimischen Herde bliebe und die Gemeinschaft redlich nährte, nicht aber sie selbst: sie würde hier ihre Frau stehen, im Namen der gütigen Mutter. Es gab Dinge, für die es sich lohnte, auszuziehen und zu kämpfen, selbst für eine Geweihte der Travia. Und was könnte dies mehr sein, als das Leben so vieler Menschen im Aufschlaggebiet schützen zu wollen und ein verheißenes Kindlein zu suchen und zu finden? Außerdem sollte sie ihr nur wenig älterer Bruder Nivard nicht dereinst frotzeln, falls sein Schwiegervater ihm von dieser Fahrt erzählen sollte. In einem kurzen ruhigeren Augenblick sah sie nach Akka - diese hatte sich schutzsuchend ins Innere des Hausbootes verkrochen und schien sehnlichst darauf zu warten, dass diese Sturmfahrt vorbei wäre. Liebevoll nahm sie ihre Begleiterin in den Arm und streichelte sie sanft über die Federn, konnte ihr aber noch nicht den Trost spenden, dass es durchstanden wäre. Denn schon kurz danach ging es draußen wieder weiter. Wie Juno nur mit seinem Gott rang! ‘Das Wesen der Götter war so unterschiedlich, und ebenso waren es auch ihre Geweihten,’ ruhte ihr beeindruckter Blick auf ihrem Bootsführer. Umso unangenehmer war es für sie, dass sie sich, ausgerechnet in dem Moment, da Junos und ihr Blick sich kreuzten, nach einem jähen Aufbäumen und Zusammenfallen der Wogen ein weiteres Mal übergeben musste.

“Was füttert ihr die Fische, Schwester Relindis?” brüllte Juno rüber. “MMAAAFFFIII!”, rief er nach seiner Novizin. “Bring der Schwester etwas Ingrim!” “Es geht schon wieder… nur keine Umstände...” setzte Relindis an. Sie wollte hier keine Schwäche zeigen, stattdessen unbedingt beweisen, dass sie nicht nur am Herdfeuer der gütigen Mutter gut aufgehoben war, sondern dieser und der Gemeinschaft, der sie angehörte - und das war hier die Mannschaft dieses Bootes - auch überall sonst ein gute Dienerin sein konnte. Es hatten doch alle mehr als genug damit zu tun, dieses Boot irgendwie durch das Rauschen und Tosen zu manövrieren… Ihr immer noch rebellierender Magen gemahnte sie aber umgehend, bei der Wahrheit zu bleiben. Die junge Geweihte krümmte sich, behielt diesmal aber alles bei sich - dafür sprach ihr kreidebleiches Gesicht Bände. “Ingrim, also gut...was ist das?... ach, egal, wenn es hilft, nehme ich es.”

“Ay ay Käpt´n”, rief sie zurück und lief behände zur Traviageweihten. Dort holte sie aus ihrer Tasche eine unscheinbare Wurzel hervor, schnitt ein paar kleine Scheiben ab und reichte sie der Geweihten: “Hier, euer Gnaden, ihr müsst langsam darauf herum kauen. Wenn es nicht besser wird, solltet ihr unter Deck gehen und die Augen schließen. Ich habe auch gehört, dass Peraineäpfel helfen sollen, aber die habe ich nicht da.” Der Grauling lächelte. Die Scheiben hatten eine gelbliche Schnittfläche, sahen faserig holzig aus und hatten einen scharfen Geruch.

“Habt Dank.” erklang Relindis’ Stimme schwach. Rasch stopfte sie sich die Scheiben in den Mund und biss allzu herzhaft darauf - sogleich bereute sie dies auch schon: für einen kurzen Moment schmeckte es bitter und sauer zugleich, und dann begann das Zeug auch noch niederhöllisch zu brennen, so scharf war es. Aber nach einer Weile, als der faserige Brei in ihrem Mund anfing, über die Schärfe hinweg eine herbe Süße zu entwickeln, begannen die Wurzelstücke tatsächlich zu wirken - lag es an den Säften, oder nur daran, dass sie viel zu sehr damit beschäftigt war, die Eindrücke dieser Wurzel zu verarbeiten, um noch Übelkeit zu empfinden? Jedenfalls ging es der Geweihten nach und nach besser. “Dieses Ingrim wirkt tatsächlich… woher habt Ihr das? Im heimischen Kräutergarten oder im Wald ist mir diese Wurzel noch nicht begegnet.”

“Sie wächst wohl in der Nähe vom Mhanadi. Vielleicht auch woanders in den Tulamidenlanden. Juno hat es mir erzählt. Und er findet immer ein Schiff, dass diese Wurzel an Bord hat. Es scheint in der Seefahrt weit verbreitet. Kauft es lieber direkt vom Schiff, auf dem Markt kostet es ein Vermögen.”

"Wird diese Wurzel in den Tulamidenlanden nur als Heilmittel verwendet, oder auch in der Küche? Ich könnte mir vorstellen, dass man ihren eigentümlichen Geschmack durchaus zähmen und nutzen kann..." ihr erwachendes Interesse an der Kochkunst zeigte ihr, dass es ihr langsam wirklich deutlich besser ging. Sofort schalt sie sich aber innerlich: sie sollte jetzt besser nicht ans Essen denken, sondern daran, sich hier wieder besser nützlich zu machen. Außerdem hatte sie auf diesem Boot noch keine Kochstelle gesehen…

Nicht zum ersten Mal an diesem Tag fragte sich Geron, warum er sich zu dieser Schiffspassage hatte überreden lassen. Seine Hände hatten sich in eines der Netze gekrallt, damit ihn keine plötzliche Welle über Bord spülen konnte. Natürlich war er seinem Onkel dankbar dafür, dass er diese Reisemöglichkeit aufgetan hatte, aber dieser alte Freund von ihm, war ganz eindeutig verrückt. Wer, bei den Zwölfen, brüllte dem Herrn Efferd solche Herausforderungen entgegen und lachte dann auch noch? Er bewunderte die Novizin Mafalda, die täglich mit diesem verrückten alten Mann den Fluss befuhr. Er lächelte ihr zu, als sie an ihm vorbeikam, was sie freilich nicht sehen konnte, da er, wie immer, Maske und Brille trug. Dagegen tat ihm Relindis leid, auch wenn es nicht einer gewissen Ironie entbehrte, dass sie diese Reise weitaus weniger gut vertrug als er selbst. Ihm war auch etwas flau im Magen, aber das war alles. Er konnte sehen wie Relindis gerade wieder ihren Kopf über die Reling hob und wandte den Blick ab. Stattdessen fasste er Mafalda ins Auge, die gerade wieder zurückkam. “Ist das nicht gefährlich, den Herrn Efferd so herauszufordern?”

Der Grauling lachte und fragte frech: “Warum? Habt Ihr etwa Angst?” Mafalda war ein eher unscheinbares Mädchen von gerade mal vierzehn Ernten. Sie trug die typische schlichte graue Robe der Efferdnovizen und lief barfuß über die Planken. Der einzige Schmuck war eine Kette aus diversen Glasscheibchen von unterschiedlicher Größe. Sie waren alle unterschiedlich, teils klar mit glatter Oberfläche, teils milchig mit rauer Oberfläche. Sie waren durchsichtig oder weiß. Einige Grün. Das größte Stück aber war kobaltblau. Allen gemeinsam war, dass sie vom Fluss geschliffen worden waren und nun an einem Streifen aus silbrigen Leder klebten. Mafaldas Haar war braun und sie hatte sich zwei Zöpfe geflochten, die an den Seiten ihres Gesichtes herabhingen. Den Rest trug sie offen. Hier und da war eine Muschel oder ein Schneckenhaus eingeflochten. Ihre grünen Augen blitzten auf, als das Boot kurz schlingerte. “Ihr seid doch Ritter, oder? Fordert Ihr dann nicht bei jedem Kampf auch die himmlische Leuin heraus?”

Die kleine Neckerei, ob er denn Angst habe, hätte Geron normalerweise gereizt, doch stattdessen schüttelte er nur belustigt den Kopf. Die Kleine legte eine erfrischend direkte Art an den Tag, dass er ihr gar nicht böse sein konnte. Vielleicht hatte auch die Anwesenheit der Travia-Geweihten etwas damit zu tun. Jedenfalls setzte er dazu an, die Frage der Novizin zu beantworten, während eine weitere Welle seine Kleidung weiter mit Flusswasser bespritzte. “Ja, ich bin Ritter und nein, ich fordere die Herrin Rondra nicht heraus, wenn ich einen Kampf bestreite. Vielmehr achte ich ihre Lehren und halte mich an ihre Gebote, doch würde ich die Herrin Rondra nie derart herausfordern, wie es seine Gnaden tut.” Für einen Moment verstummte Geron als er an eine Begebenheit aus seiner Jugend zurück dachte. “Außer du würdest es als Herausforderung zählen, wenn ein 15 Jahre alter Knappe sich während eines heftigen Sturms auf den Turm einer Burg stellt um sich Wind und Regen entgegenzustellen, während er Rondra ähnliche Worte entgegen ruft die verblüffend jenen seiner Gnaden gleichen, weil er beweisen will, wie stark er ist.” Ja, das hatte er tatsächlich getan und zwar wesentlich länger als eigentlich gewollt. Denn jemand hatte die offene Bodenklappe zur Plattform entdeckt und kurzerhand verschlossen, damit kein Regenwasser hereinkommen und der Sturm die Klappe nicht wieder öffnen konnte. Am nächsten Morgen hatte man ihn dann halb erfroren und völlig durchnässt gefunden. Die daraus resultierende schwere Erkältung, die Standpauke seines Schwertvaters und nicht zu vergessen die Demütigung von einer Rondra-Geweihten übers Knie gelegt zu werden, hatten ihn Demut gelehrt.

Mafalda legte den Kopf schief und betrachtete Geron. Dann sagte sie unvermittelt: “Ja, das würde ich. Das Boot hier ist die Turmspitze, nur dass die paar Tropfen und das laue Lüftchen hier, sicherlich weit von einem Sturm entfernt sind. Mmmmm… ich hab immer gedacht, dass ein Ritter bei jedem Kampf nicht nur gegen einen Gegner und sich selbst antritt, sonder symbolisch auch gegen Rondra selbst.”

Der Ritter zog ob dieser Vorstellung die Stirn kraus und dachte darüber nach. Schließlich meinte er. “So habe ich das noch nie gesehen. Bitte, erkläre mir wie du das meinst. Warum sollte ich gegen die Göttin selbst kämpfen?” Ehrliches Interesse und Neugier sprachen aus seiner Stimme. “Es kann natürlich sein, dass ich da was falsch verstanden habe, aber ist es nicht so, dass jeder ehrenvolle Kampf eine Manifestation der Göttin selbst ist. Prüft sie denn nicht auf diese Art und Weise ihre Gläubigen, ob sie würdig sind dereinst an ihrer Tafel sitzen zu dürfen und am Ende aller Tage in den letzten Kampf zu ziehen?”

“Ich kann dir nicht sagen, ob du richtig oder falsch liegst. Da müsstest du wohl mit einem Geweihten der Rondra sprechen. Jedoch gibst du mir zu einem Thema zu denken, über das ich bisher noch gar nicht groß nachgedacht habe. Dafür werde ich ein wenig Zeit benötigen. Doch sobald ich eine Antwort gefunden habe zu der ich auch stehen kann, wirst du die Erste sein, der ich davon erzähle.”

“Prima!”, freute sich das Mädchen, “Ihr wisst ja, wo Ihr mich erreichen könnt. Falls Ihr einen Brief schreiben wollt, und das Boot gerade nicht zu erreichen ist, dann schickt ihn zu meinem Vater, den Vogt zu Schwertleihe.” “Das werde ich tun.” meinte Geron, für Mafalda unsichtbar, lächelnd. “Auf welcher Strecke kann ich euch den normalerweise finden? Etwa zwischen Albenhus und Kyndoch, oder reist ihr auf der gesamten Länge des Großen Flusses?” Während des Gesprächs hatte Geron zunehmend eine entspannte Haltung eingenommen. Seine Augen glitten über den Fluss und das rasch vorüberziehende Ufer. “Gefällt es dir auf dem Fluss?”

“Ooooch, wir bereisen eigentlich den gesamten Fluss. Je nach Lust und Laune. Irgendwann aber”, schwärmte sie mit leuchtenden Augen,” da möchte ich mal das Meer bereisen. Nur um zu gucken, ob es anders ist als der Fluss. Und wenn ja, wie es anders ist. Und ob man einen Unterschied spüren kann, wenn man auf anderen Flüssen unterwegs ist. Bist Du schon viel gereist?”

Der Blick des Ritters wanderte in Richtung des Horizonts. “Das Meer… “ murmelte er leise, aber noch für Mafalda vernehmbar. “Ich war noch nie auf dem Meer, geschweige denn in der Nähe davon. Nein, das stimmt nicht. Einmal habe ich es gesehen, in Mendena, als ich mit dem Ruf des Herzogs gefolgt bin. Das war auch gleichzeitig meine längste Reise, die ich jemals unternommen habe.” Für einen Augenblick verlor sich Geron in den Erinnerungen des Feldzugs, dann sprach er weiter.. “Aber normalerweise reise ich höchstens mal von Foldenau nach Elenvina und wieder zurück und das auf dem Rücken eines Pferdes.” Des Stehens überdrüssig ließ sich Geron auf eine festgezurrte Kiste sinken und bedeutete Mafalda, sich neben ihn zu setzen. “Ich hoffe, dass deine Wünsche in Erfüllung gehen werden und du sowohl das Meer als auch andere Flüsse bereisen kannst.”

“Oh danke”, grinste das Mädchen und starrte einen Augenblick in die Wellen. “Darf ich Dir eine Frage stellen?” “Sicher.” antwortete der Vermummte freundlich. “Was möchtest du wissen?” “Warum die Maske?”, platzte es aus ihr heraus und mit einer Mischung aus Neugier und Herausforderung blickte sie ihn an. Furcht oder Abscheu schien sie jedenfalls nicht zu haben. Die Frage überraschte Geron nicht, aber er hatte gehofft sie nicht schon so früh zu hören. Kurz erwog er, ihr nicht darauf zu antworten, doch er mochte Mafalda und ihre direkte, offene Art, so kurz er sie auch erst kannte. Sie hatte ein wenig Wahrheit verdient. “Nun, ich möchte niemanden ängstigen. Denn verängstigte Menschen machen unüberlegte Sachen. Verstehst du?”

Der Grauling überlegte kurz und nickte. “Ja, schon. Aber soll man einen Menschen nicht immer nach seinem Wesen beurteilen und nicht nach seinem Äußeren?” “Das ist richtig, aber wenn jemand Angst hat, dann vergisst er das leicht. Es ist für mich einfacher diese Maske zu tragen und sie nur gegenüber denjenigen, welchen ich vertraue, abzulegen.” “Ja, Du hast recht. Schade, dass Du Dich so verstecken musst.” “Es ist besser so, glaube mir.” seufzte Geron. Er betete zu Hesinde, dass die letzte Exkursion seines Onkels endlich eine Lösung zu tage fördern würde. Dann könnte er endlich ein normales Leben führen. “Ich bin sehr vorsichtig geworden, wem ich mein Gesicht zeige. Zu oft habe ich mit ansehen müssen, wie sich Angst und Abscheu auf den Gesichtern selbst jener zeigten, die ich für Freunde hielt.”

“Dann schau ich Dir eben in die Augen und bleibe Deine Freundin”, grinste sie. Geron antwortete mit einem vergnügten Lachen. "Ich soll also die Brille abnehmen und die Maske auflassen? Das würde nichts ändern… meine Freundin." Mafalda sah den Ritter irritiert an, dann prustete sie, mit einem glockenhellen Lachen, los: "Aber da kann man doch durchgucken, Du Dummerchen." Sie wischte sich eine Träne aus den Augen und setzte nach:" Ich hoffe doch, dass das für beide Blickrichtungen gilt." Ihr Lachen war pure, ansteckende Freude ohne Spott.

In seinem Inneren hörte Geron das Klirren der Ketten, als sich die Bestie regte und er fühlte etwas in sich aufsteigen, dass er zuerst für ein Knurren hielt, aber was sich dann als Lachen entpuppte, dass sich dem Mafaladas anschloss. “Du nennst mich ein Dummerchen? Ganz schön frech.” Er schüttelte belustigt den Kopf. “Und was wäre das für eine Brille, wenn der Träger nicht hindurchblicken könnte? Du hast vielleicht Ideen.”

"Warum, glaubst Du, hat Meister Juno mich wohl ausgesucht? Brav kann ja jeder." Geron warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. “Ja, das stimmt und das mag und schätze ich auch an dir.” Als das Lachen abgeklungen war, fuhr er ernster fort: “Aber nicht jeder mag dir das gut leiden oder nachsehen, auch dass du einen Adligen einfach duzt.” “Jaaaa”, sagte sie kleinlaut und blickte schuldbewusst zu Boden. “Ich bin doch auch adlig”, schmollte der Grauling. “Außerdem”, sie linste mit einem Auge Richtung Geron, “hatte ich das Gefühl, dass Du … ähm Ihr … mir das nicht Übel nehmt.”

“Nein, ich nehme es dir nicht übel und du kannst bei mir gerne beim Du bleiben. Aber es gibt andere, die es leider nicht so sehen.” Geron stupste Mafalda behutsam mit seinem Ellbogen an. “Jetzt lass den Kopf nicht hängen. Aus welchem Haus stammst du denn?” Mafalda lächelte ihn an und sagte mit einem Anflug von Stolz in ihrer Stimme:” Mein Vater ist Ulfing Traviard von Storchenflug, der Vogt der Baronie Schwertleihe. Ich habe noch zwei ältere Brüder, deswegen muss ich nicht in irgendwelchen staubigen Sälen sitzen und Dokumente unterzeichnen, sondern kann frei wie ein Delphin die Wasser dieser Welt erkunden.” Geron nickte anerkennend. “Eine gute Familie mit einem achtbaren Ruf. Du hast es jedenfalls gut getroffen, als Drittgeborene. Ich hingegen bin der Erstgeborene, doch habe ich noch ein paar Götterläufe, bevor ich die Nachfolge meines Vaters antreten muss. Warst du schon mal in der Baronie Schweinsfold?”

“Nein, ich glaube nicht. Mein Noviziat bei Meister Juno begann in Weidleth. Wir sind also in Nembutal abgebogen und über Rieden, Orgils Heim und Nummath gereist. Das ist jetzt fast drei Götterläufe her. Wenn ich davor mal in Schweinsfold gewesen sein sollte, dann weiß ich das nicht mehr.” “Ah, der Halwartsstieg.” kommentierte Geron die Reiseroute von Mafalda. “Wenn du einmal nach Schweinsfold kommst, dann kannst du mich in Foldenau besuchen kommen, Praioswärts von unserem Gut entspringt der Folden. Das ist der kleine Fluß, der durch Schweinsfold fließt und letztendlich in die Tommel mündet.” Seine innere Unruhe meldete sich zurück, bei dem Gedanken an Foldenau. “Brauchen wir noch lange bis Kyndoch?” “Wir sind doch gerade erst losgefahren”, meinte sie verwundert, da sie vergessen hatte, dass für sie das Reisen auf dem Fluss alltäglich war, im Gegensatz zu ihren beiden Gästen. Dennoch hielt sie nach Landmarken ausschau und meinte dann, als sie eine entdeckt hatte: “Also, von hier aus, bei gutem Wind und wenn der Flussvater uns nicht grollt, sind es noch zwei Tage. Es sei denn, ihr wollt, dass wir auch nachts fahren, dann könnten wir es in einem schaffen.”

Abilacht (16. Peraine 1043 BF, Abend)

Viele Tage war die kleine Reisegruppe unterwegs, doch schien es, das ihnen die Götter hold waren, denn nichts hielt sie länger auf. In Kyndoch, als alle aufs Pferd wechselten, verkündete Juno zu aller Überraschung, dass er sich und Mafalda dieser Mission anschließen würde. In dem Moment, als der Name Efferd in der Prophezeiung des Gelehrten Belsazar ay Asango erwähnt wurde, stand es für ihn fest. “Efferds Wirken ist nicht nur auf dem Fluss zu finden”, waren seine Worte an seine verwunderte Novizin. So euphorisch er am Anfang war, so bereute er recht schnell, sein Hausboot mit dem Efferdschrein, in Obhut des Kyndocher Tempels gelassen zu haben. Es verging nicht ein Tag an dem er jeden wissen ließ, das ein Pferderücken kein Schiff ersetzten könnte. Die Ankunft in Abilacht am Abend, war eine willkommene Pause, nach dem langen Ritt der Tage. In der Herberge´Travias Nachtruh´ war schnell für einen sichere Nacht gesorgt, doch zog es die Gruppe in das Handwerksviertel. Denn hier, so hörte Relindis vom Herbergsvater, soll es einen Handwerker geben, der sich mit Teleskopen und dem Sternenhimmel auskannte. Vielleicht konnte man hier noch etwas mehr erfahren, wie es um den fallenden Stern bestallt war. Und so standen sie vor einem Fachwerkhäuschen das dem Meister Angrond Hufeisner gehörte.

Endlich zu Ross auf dem Land unterwegs war Relindis wieder eher in ihrem Element und ein ganz anderer Mensch. Sie konnte Juno nur allzu gut verstehen - wahrscheinlich erging es ihm seinerseits gerade so, wie sie die stürmische Flussfahrt erlebt hatte... gut, seinen Mageninhalt hatte er bislang natürlich erfolgreicher bei sich behalten als sie, aber sonst... Zu ihrer Freude gab es jetzt auch wieder warmes Essen... was der Launenhafte und seine Diener nur gegen offenes Feuer hatten? Ein Leben ohne die Wärme des heimischen Herdfeuers oder einem in der gastfreundlichen Fremde schien ihr unvorstellbar.

Gestärkt, aufgewärmt und seit einigen Tagen wieder mit festem Boden unter den Füßen stand Relindis nun voll Tatendrang neben Geron und Mafalda vor dem Haus des Meisters. An ihrer Seite reckte Akka, die gerade noch ein paar Körner vom Boden gepickt hatte, neugierig ihren Hals, aber weniger zum Haus, als in Richtung Mafaldas, von der sie sich noch einen Leckerbissen erhoffte. Das Mädchen holte einen kleinen Beutel aus Ölzeug hervor und öffnete ihn. Sie holte ein paar Regenwürmer hervor, die sie der Gans zu Füßen warf. Die stürzte sich mit Wonne auf die Gabe und ließ keinen davon unverputzt.

"Soll ich erst einmal mit dem Meister reden?" fragte Relindis halb, halb stellte sie es mit Blick auf Gerons verhülltes Auftreten, das bei vielen erst einmal Argwohn auslöste, fest. Dann klopfte sie an die Tür. Hoffentlich würde ihnen der Besuch auf ihrer Suche weiterhelfen. “Das wäre wohl das Beste.” bestätigte Geron müde. Die letzten Tage waren hart für ihn gewesen. Nun ja, über Land mit dem Pferd zu reisen war für ihn deutlich angenehmer als auf dem Boot, doch durch ihre neuen Reisegefährten war er nun ständig gezwungen sowohl Brille als auch Maske zu tragen. Es schmerzte ihn ein wenig, dass er seine Mahlzeiten abseits der anderen einnehmen musste um sie nicht zu verschrecken. Letzteres würde auch das Zimmer im Gasthaus nicht verhindern, doch wenigstens war er dort frei. Aber zuerst mussten sie mit diesem Mann sprechen.

Als zunächst niemand öffnete und auch kein Ruf von drinnen ertönte, klopfte Relindis noch einmal, diesmal fester. Mit einem,”Bist du schon zurück?”, öffnete eine kräftige Frau in ihren vierzigern die Tür und war überrascht, fremde Gesichter zu sehen. “Oh ...Wer … Was kann ich zur späten Stunde für euch tun?”fragte sie noch recht verdattert.

Mit einem “Travia zum Gruße, gute Frau” trat Relindis auf die Frau zu, dieser ein warmherziges Lächeln schenkend. “Verzeiht die späte Störung Eurer trauten abendlichen Ruhe, doch dürften wir den Meister Hufeisner sprechen? Es handelt sich eine Angelegenheit von hoher Dringlichkeit. Ich bin Schwester Relindis, und an meiner Seite sind der hohe Herr Geron von Foldenau und die Novizin des Herrn Efferd Mafalda.” Ein lautes Schnattern ertönte von hinter ihr - es war Akka, die gerade Mafalda nach weiteren Würmern anbettelte und am Ölbeutel des Graulings knabberte. “Ach ja, und Akka, meine Gans.”

“Ist ja schon gut”, lachte das Mädchen, seine Umgebung ignorierend, und drehte den Beutel vor Akkas Augen um. Hinaus fielen weitere Würmer, ein wenig Wasser, ein paar Algen und sogar drei Schnecken. “Aber dafür musst Du mir bei der Suche nach neuen Ködern helfen”, neckte sie die Gans mit gespielter Strenge. Als ob sie Mafalda genau verstanden hätte, ließ Akka ein ganz leises, nach Zustimmung klingendes Schnattern ertönen, um sich dann freudig über die vor ihr ausgeleerten Köder herzumachen. “Da hast Du ja was angefangen, Mafalda!” lachte Relindis. “Wie ich Akka kenne, wird sie Dir jetzt so schnell nicht von der Seite weichen.” Sie ging neben ihrer Gänsefeundin in die Hocke und streichelte ihr sachte über den Rücken. Die war aber viel zu sehr damit beschäftigt, sich eine der Schnecken im Schnabel zurechtzulegen, als dass sie, wie sonst so oft, die Streicheleinheiten mit einem sanften Knabbern erwidert hätte. Vielmehr wand sie sich sogar unter den Liebkosungen weg, um einem flüchtigen Regenwurm nachzustellen. “Siehst Du, jetzt bin ich fürs erste sogar abgemeldet.” beklagte sich Relindis im Scherz und erhob sich, um sich wieder der angesprochenen Frau zuzuwenden.

Der Grauling antwortete lapidar: “Na, wenn Du ihr auch immer nur diese langweiligen Körner zuwirfst, musst Du Dich nicht wundern.” Dann sah sie die offene Haustür und erschrak. Schnell fügte sie noch ein schuldbewusstes: “Euer Gnaden”, an. “Nicht doch!” erwiderte Relindis ganz leise und nur für diese vernehmbar in Richtung Mafaldas. Sie war doch selbst erst kürzlich dem Noviziat entwachsen, da bestand sie dem Grauling gegenüber nicht auf der förmlichen Anrede, schon gar nicht, nachdem ihr diese so gut dabei geholfen hatte, die aufreibende Fahrt auf dem großen Fluss zu überstehen, und in den letzten Tagen eine richtige Gefährtin geworden war. Wenn sie das Mädchen und Juno doch nur noch von den Vorzügen eines knisternden Herdfeuers und eines mit Liebe gekochten warmen Mahls überzeugen könnte.

“Wir sind aber nicht mehr unter uns”, flüsterte sie zurück. Dann schaute sie mit unverhohlener Neugier rüber zu der Frau, die im Türrahmen stand. “Na gut.” stimmte Relindis ganz leise zu und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder ganz der Frau, die ihnen geöffnet hatte. Geron unterdrückte mit Mühe ein Schmunzeln, während er das Gespräch zwischen seinen Begleiterinnen verfolgte. “Ja, den Götter zu Gruße.” antwortete die Frau und schaute etwas irritiert. “Nun, mein Gemahl ist nicht hier. Er ist auf einer … Mission. Seid ihr deswegen hier? Die Meisterin Kornlind ist mit ihm zusammen los.”

“Was denn für eine Mission?”, platze es aus Mafalda heraus, “wir sind nämlich auch auf einer.” “Wenn es um einen Stern geht, dann seid ihr auf der selben.”, sagte Frau Hufeisner vorsichtig. Relindis sah die anderen vielsagend an, dann nickte sie: “Ja, dann sind wir auf derselben Mission. Könnt Ihr uns denn sagen, wann und wohin genau Euer Gemahl und diese Meisterin Kornlind aufgebrochen sind?”

Noch ein wenig misstrauisch, sprach sie vorsichtig weiter. “Das war gestern. Die Geweihte der Peraine erwähnte die Stadt Berg im Nordmärkischen. Da stammt sie auch her.” Dann rollte sie kurz die Augen. “Wartet einen Moment. Ich habe da was.” Die Hufeisnerin ließ die Tür halb offen und kam nach einem Augenblick wieder. “Mein Mann hat alle seine Aufzeichnungen mitgenommen, aber die hier hat er vergessen.” Die kräftige Frau hielt der Gruppe eine gefaltete Karte hin. “Es scheint wirklich wichtig zu sein, wenn so viele Diener der Zwölfe nach dem Stern suchen. Also, wenn ihr ihn einholt, könnt ihr sie ihm geben?” Mit fragenden Blick wartet sie auf die Antwort.

Berg lag doch nahe an Schweinsfold und Foldenau… so viel hatte sie vom gemeinsamen Kartenstudieren im Tempel der Hesinde her mitgenommen. Offensichtlich deckten sich die hiesigen Erkenntnisse wenigstens grob mit den ihren. Relindis warf Geron rasch einen Blick zu, dann wandte sie sich wieder ganz der Frau vor sich zu. “Das werden wir natürlich gerne tun.” bejahte Relindis die Bitte der Frau. “Dürfen wir die Karte ansehen?”

Geron erwiderte ihren Blick und nickte. ‘Berg’, dachte er. Natürlich kannte er den Ort, der etwas mehr als einen halben Tagesritt von Foldenau entfernt lag. Es drängte ihn, der Frau einige Fragen zu stellen, doch wollte er Relindis nicht unterbrechen. So hielt sich der Ritter vorerst zurück, auch wenn es ihm schwer fiel. “Sicherlich, ich kann doch annehmen, dass das bei euch in sicheren Händen ist.” Und so drückte sie die Karte in die Hände der Traviageweihten. “Falls ihr sie nicht auf dem Weg mehr erwischt, dann bestimmt in Berg. Dort wollten sie Wulf Bogner aufsuchen, denn ich glaube sie wollten dann in die Wälder. Der ist ein Ortskundiger dort und ein Freund von Meisterin Kornlind. Ich hoffe, ich konnte helfen.”

“Frage sie bitte, ob sie weiß, welchen Weg ihr Gemahl und die Geweihte genommen haben. Der Weg durch die Hügel mag als der kürzere scheinen, doch dauert die Reise sehr lange.” raunte Geron der Travia-Geweihten ins Ohr. Relindis nickte und tat, wie ihr geheißen. "Das habt Ihr bereits sehr, nehmt unseren und der gütigen Mutter Dank dafür!" antwortete sie der hilfsbereiten Frau. "Doch wisst Ihr auch, welchen Weg sie nach Berg nehmen wollten? Wie sind sie überhaupt unterwegs? Zu Fuß oder hoch zu Ross?" Wenn es Meister Hufeisner und Meisterin Kornlind in die Wälder zog, wäre es in der Tat gut, vor diesen in Berg anzukommen, ehe sich ihre Spur in der Wildnis verlor. “Ja, sind mit einem Karren los, den Weg über Albentrutz. Es ist möglich dass ihr sie einholt. Der Gaul ist nicht der schnellste.” Nun lächelte die Frau zufrieden, anscheinend hatte sie etwas gutes getan.

“Vergelt’s Euch die Göttin!” dankte Relindis erneut. “Dann sollten wir uns direkt an die Verfolgung machen, nicht war, Geron? Am besten so schnell, wie Akka fliegen kann.” Geron antwortete nicht sofort, sondern ging die Strecke im Kopf durch. Der Weg durch die Berge war zwar der kürzere Weg, aber man konnte nicht schnell auf ihm reisen und das Gelände bot Strauchdieben und Wegelagerern gute Versteckmöglichkeiten. Er selbst war nur einmal auf dieser Straße gereist und danach nie wieder. Über die Reichsstraße ging es deutlich schneller, auch die eigentliche Strecke um einiges länger war. Der Karren würde sie ausbremsen, vor allem im Gebirge. Alles in allem würde es sie wertvolle Zeit kosten, die sie eigentlich nicht hatten. Er sah nochmal zum Abendhimmel auf und bemaß das schwindende Abendlicht. “Morgen früh können wir aufbrechen. Heute ist es schon zu spät.” Mehr sagte er nicht in Anwesenheit der Frau.

Als sie kurz darauf wieder alleine auf der Straße und auf dem Weg zum Gasthaus waren, wandte er sich an seine beiden Begleiterinnen. “Wir müssen uns überlegen, was wir morgen machen wollen. Den beiden ins Gebirge hinterherzureisen wird uns wertvolle Zeit kosten und sobald wir sie eingeholt haben, werden sie uns durch diesen verdammten Karren ausbremsen.” Der Ritter stieß einen tiefen Seufzer aus, dann suchte er den Blick von Relindis. “Wenn wir den beiden hinterher reiten, dann hätten wir auch zusammen mit den anderen nach Twergenhausen reisen können. So schwer es mir fällt, aber wenn wir früh genug in Foldenquell oder Berg sein wollen, müssen wir über die Reichsstraße reiten und nicht durch das Gebirge. Dann muss es halt ohne Teleskop gehen.”

Juno, der Geweihte des Efferd, war die ganze Zeit still. Doch nun sagte auch er etwas.” Geron hat recht. Die Zeit scheint gegen uns zu arbeiten. Wenn wir einen schnelleren lauf folgen können, um ans selbe Ziel zu gelangen bin ich dafür. Ich nehme an, ihr kennt die Gegend gut? Dann solltet ihr das Steuer übernehmen.”

Relindis wog die Worte Gerons und Junos und die Bitte der so hilfsbereiten Hufeisners-Frau ab - früh am erwarteten Ort des Einschlag oder in dessen Nähe zu sein war natürlich das oberste Ziel ihrer Reise. Solange sie davon ausgehen mussten, dass der Stern nahe Foldenau aufschlagen würde, hatten die beiden Reisegefährten eindeutig Recht. “Lasst uns doch den Abend hier in Abilacht nutzen, die Karte eingehend zu studieren. Vielleicht liefert uns diese Erkenntnisse, die uns die Entscheidung für die eine oder andere Route erleichtern. Wenn wir danach davon ausgehen dürfen, dass unser Ziel unverändert bleibt und vielleicht sogar einiges dafür spricht, dass die Karte absichtlich zurückgelassen worden ist, weil sie gar nicht mehr benötigt wird, reisen wir mit reinem Gewissen weiter wie geplant und übergeben die Karte vielleicht vor Ort. Wir sollten der guten Frau dann aber reinen Wein einschenken!” Relindis empfände es als schäbig, die Hufeisnerin zu hintergehen, egal wie gut die Absichten hinter ihrem Handeln waren. “ Und wenn nicht, müssen wir ohnehin über unseren weiteren Weg reden.”

Geron hatte ruhig sowohl Juno als auch Relindis zugehört. “Ich danke euch für euer Vertrauen. In der Tat kenne ich die Wege nach Foldenau oder Berg recht gut. Doch hat Relindis Recht, wir sollten im Gasthaus weiter über unsere nächsten Schritte beratschlagen.” Sein Blick richtete sich auf Mafalda, die bis jetzt geschwiegen hatte. “Was meinst du dazu?”

“Ich?!”, fragte der Grauling überrascht und blickte kurz zu ihrem Lehrmeister. “Mmmmm, also, wenn es nach mir geht, dann wäre ein Abendessen nicht schlecht, ich hab mächtig Hunger. Und dann können wir uns die Karte angucken, wie Reli gesagt hat und entscheiden, wo wir morgen hingehen. Morgen früh werden Akka und ich nach neuen Schnecken suchen und können dabei dann ja der Frau Hufeisen sagen, wie wir uns entschieden haben.” Mit einem frechen Grinsen sah sie, stolz über ihren Vorschlag, in die Runde.

Geron nickte beifällig. “Das ist eine gute Idee, allerdings werden Akka und du euch morgen bei der Suche nach Leckereien für Akka beeilen müssen. Denn wir werden wahrscheinlich sehr zeitig aufbrechen.” Einen nachdenklichen Blick über die vielen Handwerksbetriebe werfend, fragte der Ritter dann: “Habt ihr auch alles was ihr für eine eventuelle Reise durch die Wildnis braucht? Wenn nicht, hier könntet ihr wahrscheinlich alles Notwendige erstehen.” Ein leises Grummeln war zu hören und Geron griff sich an den Bauch. “Nun ja, vielleicht reicht es auch noch morgen früh, wenn wir wissen, ob wir überhaupt den Weg abseits der Reichsstraße nehmen. Lasst uns in unser Gasthaus gehen.”

“Wenn wir die Reichsstraße verlassen, müssen wir vorher auf jeden Fall noch Proviant aufnehmen. Damit für uns auch so gut gesorgt ist wie für Akka!” zwinkerte Relindis Mafalda zu. “Mit einem guten Essen wird selbst das Lagerfeuer in der Wildnis heimelig…” Die Geweihte ging in Gedanken rasch ihre Ausrüstung durch: “Sonst habe ich aber alles bei mir.”

Am Wegesrand (17. Peraine 1043 BF, früh am morgen)

Die Karte hatte eindeutig nur ein Ziel: ein Kreuz, gesetzt in die Wälder zwischen der Quelle der Foldenau und der Ortschaft Berg. Das Fragezeichen daneben, deutete aber auf Unsicherheit hin. Doch die Entscheidung war eine einfache. Der Weg über Honingen und Herzogenfurt war der schnellere. Und so brach die kleine Reisegruppe am morgen auf, doch weit kamen sie nicht. Nach ungefähr einem halben Wassermas war es Akka, die wild aufflatterte und sich in die Büsche schlug. Die Neugierigen die folgten, sahen bald, was die Gans entdeckt hatte: ein umgestürzter Karren. Der Gaul war noch immer mit einer Leine daran befestigt und graste nicht all zu weit vor sich hin. Einige Taschen lagen verstreut und ein paar Beine lugten unter dem Fuhrwerk hervor.

Geron war abgesessen um dann der Gans mit gezogener Waffe zu folgen. Auf alles gefasst, blieb der Ritter stehen und bedeutete den anderen hinter ihm zu bleiben. Aufmerksam lauschte er den Geräuschen seiner Umgebung und sog die Luft ein, auf der Suche nach etwas Ungewöhnlichem. Für die menschliche Nase noch nicht wahrnehmbar, doch dem eines Tieres gewiss. Geron sog die Luft ein und nahm es gleich war. Der Geruch des Todes lag in der Luft, zart doch so sicher wie der Schnee im Firun. Der Mensch der unter dem Karren lag war tot, vielleicht ein Tag oder Zwei. Die latente Unruhe des Gauls konnte er auch spüren, denn dieser mußte den Geruch ebenfalls wahrnehmen. Dennoch wurde er nicht unruhig. Eine Gefahr schien nicht vorhanden.

Relindis musste alle Willenskraft aufbringen, sich an Gerons Aufforderung zu halten, drängte doch alles in ihr, dem armen Menschen, dessen Beine hier zu sehen waren, zu helfen. Denn zu was sonst hatte die gütige Mutter sie durch ihre Akka an diese Stelle geführt. "Hörst Du was? Wenn nicht, lass uns schnell hineilen." klang ihre Stimme beinahe flehend. "Was ist denn da?", fragte Mafalda neugierig und machte einen Schritt nach vorne, doch Instinktiv packte Juno seine Schülerin am Handgelenk und hielt sie zurück. "Au! Was ist denn?", protestierte sie und schaute in das von Entschlossenheit und Sorge gezeichnete Gesicht ihres Meisters.

"Es ist soweit sicher. Relindis, du kannst jetzt gerne nach dem Opfer sehen." Traurig schüttelte der Ritter den Kopf. "Aber Golgari hat sich seiner Seele bereits angenommen, fürchte ich." Trotzdem begleitete er die Geweihte auf die andere Seite des Karrens. Der Karren war gewaltsam umgestoßen und von der Straße abgedrängt worden. Die Spuren auf dem hölzernen Gefährt waren eindeutig. Die Taschen die im Gras lagen, waren anscheinend durchwühlt worden. Einige zerrissene Aufzeichnungen, wie auch Werkzeuge, wie Hammer und Keile lagen verstreut rum. Der tote Mann lag unter dem Gefährt, doch war klar das er nicht beim Sturz gestorben war: die aufgeschlitzte Kehle erzählte eine andere Geschichte. Gekleidet war der ältere Mann einfach, fast so wie es viele Karrenführer der Gegend trugen.

Beim Anblick des Toten schlug Geron das Boronsrad. Dann sah er sich nach Spuren der Perainegeweihten um, den er hatte keinen Zweifel, dass der Tote Herr Hufeisner war. Doch es fand sich keine Spur der Geweihten … doch, fand er einen grünen Lederhandschuh mit Stickereien der Peraine darauf. Kurz zog Geron die Luft ein dann wusste er wem er gehörte. Der Duft einer resoluten Frau, die hart anpacken konnte und eine Vorliebe für Minze hatte.

Bestürzt kniete sich Relindis neben dem Toten nieder. Sie unterdrückte den instinktiven Drang, wegzuzucken, als die Kälte seines Leibes an ihre Hand drang, und schloss mit einer sanften Bewegung die Augen des so grausam Getöteten. Dann hielt sie für einige Momente seine Wange, berührte seine Stirn und sprach ein leises Gebet an die gütige Mutter und alle guten Götter. Mochte er im Schoße der Gottheit, der seine Seele gehörte, den Frieden finden, der ihm in den letzten Momenten verwehrt geblieben war. Obgleich das Noviziat sie auch auf die schwereren Aufgaben der Priesterschaft vorbereitet hatte, standen ihr dennoch Tränen in den Augen, und sie musste erst schlucken, ehe sie wieder imstande war, Worte an die anderen zu richten. “Oh Geron! Glaubst Du…” Ihr Blick strich über die Szenerie, während ihr Geist das unfassbare zusammenzusetzen versuchte. “Glaubst Du, er wurde… dieses Sternes wegen… ermordet? Und wo ist.. wo ist nur die Schwester im Glauben an die gebende Mutter?” In einer Mischung aus Angst um die Geweihte und verzweifelter Hoffnung, jene vielleicht doch noch lebend bergen zu können, fuhren ihre Blicke suchend herum…

“Benutze deinen Blick. Sei wie die Möwe auf dem Fluß, die nach einem Fisch sucht. Die Straße ist nichts anderes als ein Fluß.”sagte Juno sehr ernst zu Mafalda. “Aber das wollte ich doch gerade”, schmollte das Mädchen und blieb stehen. Sorgsam schaute sie sich um, stellte sich sogar auf die Zehenspitzen, um ein wenig weiter schauen zu können. Dann erblickte sie die Beine unter dem schweren Wagen. Und Fliegen. “Iiiiiiiiiiiih!”, ein unangenehm hoher und schriller Ton entrang sich ihrer Kehle. “Ist … ist das… eine Leiche?”, fragte sie ängstlich und klammerte sich an die Hand ihres Lehrers.

“Ja. Deswegen sollst du dich auf den Weg konzentrieren und nicht was da im Gebüsch liegt. Und nun … sei eine Möwe, Maffi!” Nun schickte Juno sie zur Spurensuche. Mafalda schluckte und brauchte einen Augenblick, um sich zu sammeln. Dann aber richtete sie ihren Blick auf die Straße und einen, vielleicht spannbreiten Randstreifen links und rechts. Langsam ging sie den Weg entlang und suchte nach Spuren. Auch wenn es Neuland für sie war, Spuren auf einer Straße zu suchen, wurde sie doch fündig. Sicher war es eine stark benutzte Straße, doch die Spuren die vom Gebüsch her kamen, waren eindeutig. Es gab eingedrückte Erde am Wegesrand, das sie an Stiefel und Hufe erinnerte. Und was war das ? Etwas abseits fand sie einen dunkelgrünen Handschuh der mit Ähren, ja mit dem Symbol der Göttin Peraine bestickt war.

Vorsichtig hob sie den Handschuh vom Boden auf und betrachtete ihn genauer. Wer nur war so dreist einer friedlichen Geweihten der Herrin von Ackerbau und Heilkunst etwas anzutun? Langsam kehrte sie zu Juno zurück, nachdem sie ein X in den Sand der Straße geritzt hatte, wo der Handschuh lag. “Den hab ich gefunden”, sagte sie und hielt ihm den Handschuh hin, “und dazu Spuren von Pferden, vermutlich vier Stück, und Menschen mit Stiefeln. Das könnten vier bis sechs gewesen sein.” “Gut gemacht, kleine Möwe.” Juno schien zufrieden. Nun kannst du den beiden Bericht erstatten.” Langsam ging der Alte zu dem X. Zögerlich ging Mafalda Richtung Wagen. Sie wollte eigentlich nicht, aber ihr Kapitän hatte es ihr aufgetragen. “Geron, Relindis, ich habe was gefunden!”, rief sie ihnen entgegen, dabei reckte sie die Hand in die Höhe, in der sie etwas aus grünem Stoff zu halten schien.

Zunächst machte sich bei Relindis sichtbar Bestürzung breit, als sie Mafalda mit einem Kleidungsstück winken sah, das wohl eindeutig zum Ornat der Peraine-Geweihten zählte. Andererseits, warum sollte sie dieses zeigen, wenn sie den Leichnam der Priesterin entdeckt hätte. Eilig schritt sie dem Grauling entgegen. “Was ist das… ein Handschuh? Wo genau hast Du ihn entdeckt? Darf ich ihn mir ansehen?” Hoffentlich fanden sich keine Blutspuren daran… “Hast Du sonst noch irgendwelche Hinweise auf Mutter Kornlind gefunden?” “Der Handschuh lag da vorne, wo Meister Juno gerade steht. Und da waren Spuren von Pferden und Leuten. Ich glaube es waren vier Pferde und vier Reiter. Aber da waren noch zwei weitere Stiefelspuren. Wenn es nicht sechs Angreifer waren, müssen diese zwei zu denen gehören, die mit dem Wagen unterwegs waren.” Ihr Blick ging unwillkürlich zu dem Leichnam und sie wurde bleich, Tränen stiegen ihr in die Augen, dann begann sie zu würgen. Hier würde kein Ingrimm helfen.

Relindis legte ihre Arme um Mafalda und führte sie ein Stückchen weg vom Ort des schlimmen Geschehens. Ihr Wille, dem Mädchen Trost und Sicherheit zu spenden, schenkten ihr selbst auch wieder festeren Boden unter den Füßen. Als sie merkte, dass wenigstens der Magen der Jüngeren sich soweit am Fangen war, sich nicht direkt zu übergeben, nahm sie diese richtig in den Arm und drückte sie feste an sich. “Wir werden Mutter Kornlind finden.” versuchte sie, sich beiden Hoffnung zu machen. “Die Gebende ist mit ihr, so wie der Herr Efferd auf Deinen Wegen stets mit Dir reist und die gütige Mutter mich niemals alleine lässt.” Trotz des Trostes ließ sie Efferd freien Lauf. Ihre Tränen kullerten ihr aus den Augen und bebend vergrub sie ihr Gesicht in Relindis. “Www… wer macht nur… sowas?”, schluchzte sie. “Uuuuuund wofür?”

Das waren genau die Fragen, die auch Relindis umtrieben. Wie schlecht musste man im Herzen sein, ein solches Verbrechen zu begehen? ‘Einfache’ Wegelagerer waren das nicht gewesen, die lauerten doch normalerweise irgendwo und waren eher nicht zu Ross unterwegs. Vor allem aber würden sich die allerwenigstens davon an einer Geweihten in Begleitung eines Mannes wie Hufeisner vergreifen, zumal der Überfall sicherlich keine Reichtümer versprach. Wenigstens nicht unmittelbar… die Erkenntnis traf sie wie ein Fausthieb in die Magengrube. Wie verderbt konnte man nur sein, angesichts eines fallenden Sterns nicht an die Menschen zu denken, die durch den Einschlag zu Schaden kommen konnten, sondern zuallererst daran, sich diesen unter den Nagel zu reißen? Und dafür über Leichen zu gehen. “Zutiefst götterlose Menschen, Mafalda!” Sie schluckte schwer. “Und ich fürchte, sie wollen den Stern.”

Trotzig, wohl auch um ihre Angst zu überspielen, antwortete sie: “Dann sollen sie ihn doch haben. Diesen blöden Stern. Ich wünsche, dass er ihnen auf den Kopf fällt und sie direkt in die Niederhöllen schleudert, wo sie hingehören.” Dann brach sie wieder in Tränen aus. Relindis konnte Mafaldas Impuls nur zu gut verstehen. Sie strich ihr tröstend über das Haar. Doch weit wichtiger als Rache und Strafe war es, weiteres Unheil zu verhindern. Ihre Aufgabe als Diener der Götter war es, Seelen für diese zu retten, nicht die vermeintlich verlorenen selbst in die Niederhöllen zu wünschen. Es war bereits schlimm genug, dass einigen nicht zu helfen war. Doch sprach sie dies in diesem Moment nicht aus, es würden sich passendere Momente ergeben, darüber zu reden. “Komm, lass uns alles daran setzen, Mutter Kornlind zu finden. Und dafür zu sorgen, dass der Stern keine Unschuldigen trifft!” “J...ja”, schniefte sie und wischte sich die Augen trocken. “Darf ich Akka halten?”, fragte sie traurig.

“Natürlich. Sie ist eine wunderbare Trostspenderin.” Das wusste Relindis selbst nur allzu gut. “Akka.” rief sie nur relativ leise, doch schien diese, von der gütigen Mutter geleitet, zu spüren, wo sie gebraucht wurde und kam bereits herbei. Die Travia-Geweihte fühlte selbst das Bedürfnis, Trost zu suchen, doch war es die Eigenschaft des Todes, den Überlebenden zunächst sehr viel Arbeit zu bereiten, die ihrerseits half, das Geschehene zu verarbeiten. Sie mussten die Spuren weiter untersuchen. Und sie mussten sich um den Leichnam kümmern, der in Würde und mit dem Segen der Götter seinen letzten Frieden finden musste. Akka sah Relindis fragend an, dann watschelte sie geradezu behutsam schnatternd zu Mafalda hin, und ließ sich von dieser bereitwillig in die Arme nehmen.

Das Mädchen strich der Gans über den Kopf und den Rücken. “Ach Akka, warum gibt es nur so böse Menschen?”, fragte sie leise und holte dann wieder den Beutel aus Öltuch hervor. Zwei Schnecken und drei Regenwürmer legte sie der Gans zu Füssen und beobachtete sie dabei, wie sie fraß. Dieser Blickwinkel war zwar klein, doch bei dem, was sie sah, war die Welt wieder in Ordnung. Kein Blut, keine aufgeschnittene Kehle, kein bläulich grauer Körper in unnatürlicher Starre. Sie weinte stumm, als sie Akka wieder in die Arme schloß. “Wie… wie lange bleiben wir denn jetzt hier?”, fragte sie in die Runde.

Geron ging vor Mafalda in die Hocke und strich ihr fürsorglich, einem großen Bruder gleich, durch das Haar. “Eine kleine Weile noch. Wir müssen nach Spuren suchen, die uns zeigen wohin diese Schurken geflohen sind. Außerdem müssen wir Herr Hufeisner zurück nach Abilacht schaffen.” Er sah zu den beiden Geweihten auf. “Der Karren sieht eigentlich noch gut aus. Wenn wir ihn wieder aufrichten, könnten wir Herr Hufeisner damit nach Hause bringen.” Er vermied absichtlich Worte wie Leichnam oder Toter um Mafalda nicht noch mehr Kummer zu bereiten. Das Mädchen nickte, konnte (oder wollte?) nicht verhindern, dass ihr weiterhin stumm die Tränen liefen. “Meister Juno steht jetzt da, wo ich den Handschuh gefunden habe.” “Das hast du gut gemacht.” lobte Geron die junge Novizin. Einmal mehr verfluchte er seine Maske, die seine Züge weitestgehend verbarg. So strich er Mafalda ein weiteres Mal über ihren Kopf, bevor er aufstand. Sein Blick blieb auf Relindis hängen und er ging zu ihr um seine Hand auf ihre Schulter zu legen. “Geht es dir gut?” fragte er besorgt. Ihm ging auf, dass er ihre Fragen von vorhin gar nicht beantwortet hatte, aber es war alles so schnell gegangen. Er war noch bei der Spurensuche und Relindis hatte sich um Mafalda gekümmert.

"Ja." beeilte Relindis sich, ihre Lage herunterzuspielen. "Und nein." räumte sie dann ehrlich ein. Sie legte ihre Hand auf die Gerons. "Mir geht es gut, denn ich bin am Leben und unversehrt. Doch wie soll es mir ebenso wie uns allen hier gut gehen, solange wir das Leid dieses armen Mannes und nochmehr das seiner Witwe vor Augen haben? Solange wir um Mutter Kornlind bangen müssen? Solange Menschen wegen dieses Sterns morden? Und solange wir fürchten müssen, dass der Stern selbst Tod und Verderben über seinen Einschlagsort bringt?" Sie musste erkennbar schlucken, rang nach Fassung. "Doch können wir uns nicht aussuchen, wohin die Götter uns in ihrer Weisheit schicken. Und wenn dieser Stern schon so viel Dunkel und Kälte über unsere Welt bringt, dann lass es uns sein, das Feuer am Leben zu erhalten und Licht und Wärme dorthin zu tragen, wo es gebraucht wird.” Sie sah Geron an. In diesem Moment fühlte es sich besonders traurig an , dass er sich hinter einer Maske verbergen musste. “Eine Umarmung könnte ich gerade dennoch vertragen.”

Anstatt etwas zu erwidern, schloss Geron Relindis in seine Arme, hielt sie geborgen und bot ihr Halt an. Noch immer schwieg er, während er die Geweihte weiter im Arm hielt. Nach einer Weile kam der Geweihte Efferds zu den anderen. “Gut, lass alle Traurigkeit raus. Und dann sammle deinen Zorn auf diese Verbrecher. Gerechtigkeit wird walten.” sagte Juno und strich Mafalda über die Schulter. “Die Reiter sind weiter die Straße nach Honingen weiter. Lasst uns den Verstorbenen nach Abilacht bringen und dann weiter ziehen. Mutter Kornlind werden wir aus den Händen der Frevler befreien!” Grimmig schaute er jetzt die Geweihte und den Ritter an.

Der Grauling nickte: “Ay, Käpt`n” Noch immer standen die Geweihte und der Ritter eng umschlungen beieinander und leise flüsterte Geron ihr zu: “Wir stehen das gemeinsam durch und mit der Hilfe der Götter, werden wir sowohl Mutter Kornlind als auch jene, die von dem Stern bedroht werden, retten.” Relindis nichte nur stumm - es schwangen Trauer und Hoffnung zugleich darin. Dann hob Geron den Kopf und sah den Efferd-Geweihten direkt an. “Seid Ihr Euch sicher mit der Richtung?” Unglauben über die Dreistigkeit der Entführer schwang in seiner Stimme mit. “Das kommt mir seltsam vor. Geradezu tollkühn, wenn man bedenkt, dass sie eine Gefangene dabeihaben. Aber Ihr habt vollkommen recht, bringen wir den Herrn Hufeisner zurück. Euer Gnaden, würdet Ihr mir helfen den Karren aufzurichten und das Pferd anzuspannen, damit wir ihn so zurück nach Abilacht bringen können?” “Ay, Ay”, sagte Juno und packte an.

“Braucht ihr beiden auch meine Hilfe?” war Relindis sich nicht zu schade, ebenfalls beim Wagen mitanzupacken. “Sonst hole ich das Pferd.” In Gedanken war sie bereits bei der Frau des Toten. “Ich denke das schaffen wir zu zweit.” meinte Geron leichthin um ihr dann noch zuzuflüstern. “Bitte kümmere dich um Mafalda, ich möchte nicht, dass sie sieht, was der Karren mit dem Körper des Mannes angerichtet haben mag.” Er drückte sie noch einmal, dann ließ Relindis los und ging zu dem Geweihten. Leise meinte er zu ihm. “Wartet bitte noch einen Augenblick. Als Ihr Euch umgesehen habt, ist Euch da das Teleskop untergekommen?” "Mach ich." nickte Relindis, ihre nicht nur leichten Zweifel zurückstellend, ob der Karren nicht doch zu schwer für die beiden Männer alleine sein könnte. Falls ja, wäre sie ja gleich zur Stelle. Dann gesellte sie sich zu Mafalda, die noch immer Akka koste. "Wollen wir zusammen nach dem Pferd sehen?"

Das Mädchen sah die Geweihte an. Die Tränen waren getrocknet und deren Reste glitzerten auf ihren Wangen. Mafalda hatte sie nicht abgewischt. “Ja”, sagte sie und versuchte zu lächeln. Immer noch bleich stand sie auf. “Ich bin gleich wieder da, Akka. Muss mich nur kurz um das Pferd kümmern”, verabschiedete sie sich von der Gans. Diese schnatterte zur Antwort und schüttelte den Kopf, dann schlug sie kurz mit den Flügeln und fing an im Boden zu stochern. Mafalda lächelte. Mit wackligen Knien ging sie an Relindis` Seite hinüber zum Pferd. Juno ging auf Geron zu.”Alles was noch in den Taschen war.” Der Alte hielt ihm ein Fernrohr hin.

Relindis freute sich, dass ihre Akka Mafalda so gut tat - manchmal bewunderte sie die Gans für ihre seelsorgerischen Fähigkeiten - ganz ohne Worte. “Wir müssen sein Vertrauen gewinnen, bevor wir es wieder dem Wagen vorspannen können. Sammelst Du schnell ein paar saftige Kräutlein? Aber achte darauf, kein Gilbornskraut zu erwischen. Ich glaube, da vorne sprießt es ganz kräftig.” zeigte sie auf ein prächtiges kleines Wiesenfleckchen, in der dem Wagen und dem toten Hufeisner entgegengesetzten Richtung. “Dann kannst Du es füttern und ich greife mir Zügel und Halfter.” Wahrscheinlich würde das Pferd sich auch ohne Bestechung vorspannen lassen, aber so würde sie die notwendige Zeit gewinnen.

Das Mädchen schaute sich das genannte Kraut gut an, denn Pflanzen waren für sie eine fremde Welt und sie wollte nichts falsch machen. Dann griff sie in ihre Tasche und holte eine Muschel hervor, die die Größe eines Kinderhandtellers hatte. Sie brach diese in zwei Hälften und reichte eine davon Relindis: “Hier. Damit lassen sich die Kräuter besser schneiden.” Die Bruchstelle war tatsächlich rasiermesserscharf und würde wohl ihren Zweck erfüllen; ganz ohne Schmiedefeuer, auch wenn sie sich schneller abnutzen würde, als eine geschmiedete Klinge.

Eine große Pflanzenkundlerin war Relindis auch nicht - nur soviel eben, wie man halt gezeigt bekommt oder auch so aufschnappt, wenn man im Ambelmunder Tann aufwächst. Aber es reichte aus, um ein Ross nicht ausversehen zu vergiften, nur indem sie es fütterte. "Du weißt Dir mit des Herrn Efferds Gaben gut zu helfen, Mafalda, auch an Land." ließ sie den Grauling von ihrer Bewunderung für ihre praktischen Fertigkeiten wissen. Vorsichtig versuchte sie sich auch daran, Kräuter mit der Muschel zu schneiden, was ihr auch leidlich gut gelang. Dennoch zierten danach oberflächliche Schnittwunden zwei ihrer Finger.

“Danke”, grinste sie, ”Meister Juno ist ein guter Lehrer. Oh! Du blutest ja”, bemerkte Mafalda, “zeig mal her.” Sie schaute sich die Finger an, pulte eine kleine Muschelscherbe heraus und sagte dann: “Ist nicht so schlimm. Steck Dir die Finger in den Mund und lutsch ein bisschen darauf rum, bis Du das Blut nicht mehr schmeckst. Das sollte reichen.”

"Ja, natürlich." lächelte Relindis zurück, ehe sie tatsächlich ihre Finger in den Mund steckte. "Dann musst Du aber füttern." Pferdefüttern tat der Seele gut, und war genau das richtige, um Mafaldas Geist dem Schrecken vorne an der Straße zu entziehen. “Au fein!”, freute sich der Grauling, “es ist zwar schon ne Weile her, dass ich ein Pferd gefüttert habe, aber ich glaube, dass kriege ich noch hin.” Sie nahm die Kräuter und näherte sich langsam dem Pferd von schräg vorne, damit es sie sehen und riechen konnte. Sie wartete, bis das Pferd reagierte und kam dann wieder langsam näher, hielt ihm, mit ausgestrecktem Arm, die Kräuter hin. Der Gaul näherte sich, schnupperte und fraß ihr aus der Hand und Mafalda wußte, es wird einfach werden ihn nach Hause zu bringen.

Honingen (18. Peraine 1043 BF, Abend)

Noch vor dem Torschluss erreichte die Gruppe mit Geron von Foldenau als Anführer das Städtchen Honingen. Schweren Herzens waren sie schnell aus Abilacht aufgebrochen, auch wenn es nicht leicht war eine Walpurgensbotschaft der Frau Hufeisner zu überbringen. Noch auf dem Weg in den Norden erfuhren sie von Bauern, dass eine Gruppe von vier Leuten, angeführt von einer Frau mit grünem Stirnband und Silberblick, eine erkrankte Geweihte der Peraine nach Honingen bringen wollten. Ziemlich eilig hatten sie es gehabt und ihre Pferde wirken gehetzt. Nach kurzer nachfrage im Perainetempel in Honingen, war es klar das diese Gruppe hier nie ankam. Phexens Glück war es zu verdanken, dass jemand diese Gruppe außerhalb der Stadt gesehen hatte. Im Traviatempel trafen sie Bruder Honigbert, der diese auf der Straße Richtung Herzogenfurt sah. Ein ganzen Tag Vorsprung schienen die Entführer zu haben.

“Au fein”, Mafalda klatschte und sprang vor Freude in die Luft, “dann haben wir sie ja fast.” Ihr Blick verfinsterte sich und den anderen schien es fast, als würde sich ihr Gemüt wechseln, wie das Wetter auf hoher See: “Und dann soll Efferds Zorn diese Verbrecher treffen”, grollte sie mit tiefer Stimme, nur um im nächsten Moment wieder vor Freude zu strahlen, wie die Sonne nach dem Sturm: “Und wir können die arme Geweihte befreien. Ich freue mich so!”

Relindis wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder lieber sorgen sollte. Einerseits steckte ihr noch das Schicksal des Hufeisners und der Schmerz in den Augen seiner Witwe in der Seele, daher drängte alles in ihr darauf, Mutter Kornlind ein ähnliches Los zu ersparen, ja es war ihre heilige Pflicht. Andererseits war nicht zu erwarten, dass Schurken, die nicht davor zurückscheuten eine Geweihte der Peraine gewaltsam zu entführen, vor zwei Efferdienern und einer Traviageweihte klein beigeben würden, und Geron alleine würde es vermutlich auch nicht richten können. "Und was machen wir dann, wenn wir sie eingeholt haben?" fragte sie, wohlwissend, dass sich das natürlich auch aus den konkreten Umständen ihrer Begegnung ergeben würde, wenigstens nach einer Idee.

In der Tat hatte sich Geron auch schon seine Gedanken dazu gemacht, was passieren würde, wenn sie die Gejagten einholen würden. Um sich selbst machte er sich dabei kaum Sorgen, vielmehr galten seine Bedenken seinen Begleitern. Normalerweise sollten sie als Geweihte nichts zu befürchten haben, aber diese Schurken schreckten scheinbar vor nichts zurück. “Das wird kein Kinderspiel, Mafalda. Diese Leute schrecken vor nichts zurück und ich kann, sollte es zu einem Kampf kommen, nicht alle von euch zur gleichen Zeit schützen. Allerdings könnten wir versuchen hier ein paar Söldner anzuwerben, die uns unterstützen oder wir bitten in Herzogenfurt die Baronin um Hilfe. Der Bote mit der Warnung vor dem Sternenfall sollte die Nachricht bereits überbracht haben. Wir könnten eine weitere Nachricht schicken, damit Ihre Hochgeboren uns ein paar ihrer Büttel zur Seite stellt.”

Einem Impuls folgend sagte Mafalda: “Knie Dich hin, Geron”, dann nahm sie ihre Kette aus vom Fluss geschliffenen Glasscherben ab und legte sie dem Ritter um, “Von Wind zu Sturm, von Ebbe zu Flut - dies ist der Kreislauf der Gezeiten und des Lebens selbst”, sie kramte eine kleine Kalebasse aus ihrer Tasche hervor, öffnete sie und goss ein wenig Flusswasser daraus über Gerons Haupt, “Möge Rondrikan Dir seine Kraft geben, wenn Du gegen die Feinde der Götter streitest.”

Überrascht von der Bitte war Geron vor Mafalda auf die Knie gegangen. Seine Augen waren auf die junge Novizin gerichtet, während sie ihren Segen sprach. “Es sei!” erwiderte Geron ernst als Mafalda endete. Seine Gesichtszüge wurden weicher und verrieten, dass er gerade lächeln musste, auch wenn die Maske einen Großteil davon verbarg. “Ich danke dir für diesen Segen, Mafalda. Das bedeutet mir viel.”

“Jetzt… musst Du Dich… an Efferds Gebote halten”, lächelte sie mit glasigem Blick. Ein einzelner Schweißtropfen rann an ihrer Schläfe herab. Sie wankte, die Augen rollten nach hinten. Sie fiel. Offenbar hatte sie sich überanstrengt. Mit einer schnellen Bewegung fing Geron die Bewusstlose auf. Behutsam lud er sich Mafalda auf die Arme und musterte sie besorgt. "Was hat sie? Ist das schon mal passiert?" wollte der Ritter von ihrem Lehrmeister wissen. “Mafalda, was ist los mit dir? Wach wieder auf.” sanft tätschelte er ihre Wangen. Der Grauling blinzelte benommen, schaute in Gerons Augen, lächelte und seufzte, als sie erkannte, in wessen Armen sie lag: “Mein Ritter.” Dann dämmerte sie wieder weg.

Relindis musste lächeln ‘Mein Ritter’. “Ich glaube, Du musst Dir keine großen Sorgen machen, Geron - sie ist Efferd ganz nahe - und in ihrer jetzigen Lage ganz glücklich. Falls Du Mafalda aber wecken möchtest, dann leg ihre Füße hoch und lass sie daran riechen.” Sie hielt Geron ein Fläschchen an, in dem etwas Hochprozentiges enthalten war.

“Noch nie.”, war Junos knappe Antwort. Er war überrascht, dass Mafalda hier und jetzt ihren ersten Segen versuchte. Und Efferd hatte sie erhört. Der kurze Nieselregen der fiel, war kaum zu spüren gewesen. Stolz durchzog ihn. Anscheinend hatte er mit Mafalda eine zukunftsträchtige Efferddienerin. Wahrscheinlich seine letzte Schülerin. Mit einem breiten Grinsen drehte er sich um. “Nun Kapitän Geron, noch weiß ich den Efferdbart zu schwingen. Ganz allein seid ihr nicht, falls die Schurken uns angreifen. Aber ich gebe euch recht, wir könnten Hilfe in Herzogenfurt anfordern. Mein Sohn ist der Gemahl der Baronin … und meine Mutter eine Geweihte im Gänsetempel.” Letzteres sprach er leise aus. “Rasten wir und ziehen morgen in der Morgendämmerung weiter?” Sein Blick galt jetzt den zwei Erwachsenen.

Relindis nickte. "Ja, lasst uns aufbrechen, sobald die Tore öffnen. Ich frage Bruder Honigbert, ob heute Nacht Platz für uns alle ist." Sie selbst sehnte sich nach einer Nacht an Travias Herdfeuer, und auch Akka würde sich sicher auf einen Schnack unter Gänsen freuen. Geron nickte. “Das ist eine gute Idee.” Er warf noch einen von Fürsorge durchwirkten Blick auf die schlafende Mafalda und stand dann auf, sie auch weiterhin in seinen Armen haltend. “Ich muss gestehen, dass ich ganz vergessen hatte, dass Ihr der Vater meines Barons seid.” entschuldigte er sich bei Juno. “Auf Eure Fürsprache um Hilfe in Herzogenfurt komme ich gerne zurück und auch auf Euren starken Arm mit dem Efferdbart.” Juno winkte nur bescheiden ab. ‘Mein Ritter’ hallten plötzlich die Worte der Novizin durch seinen Kopf. Als er dann noch die Blicke der vorbei eilenden Städter und das zufriedene Lächeln von Mafalda bemerkte, lief Geron hochrot an. “Ähm… also…” der der Ritter räusperte sich, “...dann zum Tempel.”

Twergenhausen (19. Peraine 1043 BF, Spätabends)

Kaum war die Hesinde-Mission in dem kleinen Städtchen Twergenhausen angekommen, dauerte es nicht lange bis der Bürgermeister, Perval Gliependiek, sich sehen ließ. Als er von den Plänen der Mentorin Strowinsky erfuhr, besorgte er gleich einen zwergischen Ortskundigen, der die kleine Karawane zum Hause des Gelehrten Salbenstrumpf führen möge. Diese war in Twergenhausen bekannt, gab er doch dem ein oder anderen Bürgerskind Unterricht im Lesen und Schreiben. Der Angroscho Rogram, Sohn des Rolo, kannte ihn persönlich und führte die Gruppe etwas außerhalb der Stadt. Denn der besagte Salbenstrumpf wohnte auf einem Hügel, einen ganzen Wassermass entfernt. Und so machte die Mission sich auf den Feldweg lang bis ins hügelige Umland. Die Praiosscheibe war schon untergegangen, ein klarer Sternenhimmel spendete spärliches Licht, doch die Fackeln der Wanderer spiegelte eine gewisse Sicherheit vor. Und endlich waren sie am Ziel, als Rogram auf ein kleines Haus deutet. Gut war es nicht zu erkennen, den kein Licht kam aus dem Haus.

"Schade, dass wir nicht zusammen mit dem Schiff fahren konnten." Doratrava hatte sich einfach bei Meta untergehakt. "Der Norbarde hat gespielt und ich habe getanzt. Den meisten hat es gefallen, denke ich. Und nun - hoffe ich, dass es uns hier nicht langweilig wird." Sie lächelte die Knappin an. “Ach, das bezweifle ich”, blaffte Rhodan fröhlich, der sich zwischen die beiden Damen drängte. Er war zufrieden, dass es endlich voranging. “Wir werden heute viel lernen. Ihr werdet die modernste Technik kennenlernen, die unsere Lande zu bieten haben. Was könnte es spannenderes geben ?“

Meta ignorierte den nervigen Kerl erstmal, doch mochte er noch Kurzweil bieten. „Das ist schon in Ordnung. Ich habe eine nette Bekanntschaft gemacht, ansonsten war es recht öde auf dem Segler. Du kennst das ja sicher. Sobald man als unwichtig eingestuft wird, seines wegen geringer Abstammung oder Ausbildung, tragen sie nicht mal die Nase hoch, man wird einfach ignoriert. Außer natürlich, es gibt unangenehme, nieder Dinge, die es zu Erledigen gilt.“ Nun schien sie den Mann zu bemerken, der irgendwas gesagt hatte. „Mein Herr, Ihr kennt Euch wohl in Vielem aus. Das Teleskop wird Euch sicher sehr faszinieren. Ihr solltet länger bei dem Meister bleiben. Am besten auch tagsüber. Er wird Euch gerne alles erklären.”

Ein wenig ungehalten über das ungehobelte Verhalten des dicklichen Händlers zog Doratrava Meta wieder zu sich herüber. Wegen seiner Einmischung konnte sie gar nicht auf Metas Worte eingehen, was die Bootsfahrt betraf. Technik. Spannend. Na ja … “Ich wüsste da schon ein, zwei Dinge”, konnte Doratrava nicht anders, als dem Mann zu widersprechen, wobei sie ihn zuckersüß anlächelte. “Aber habt Dank, tatsächlich habt Ihr mir die Augen geöffnet, was nun Interessantes auf uns zukommt.” Sie blinzelte Meta zu. Dieses “Teleskop” interessierte sie nicht wirklich, sie war ja nur mitgegangen, um nicht in Twergenhausen über Leute und Erinnerungen zu stolpern, über die sie nicht stolpern wollte. Und dieser aufdringliche Herrenfels, dem sie einmal kurz in Herzogenfurt unter eher … unerquicklichen Umständen begegnet war, hatte sie nun daran erinnert, dass auch das Beobachten ihrer lieben Mitreisenden ein sehr unterhaltsamer Zeitvertreib sein konnte. Sie grinste in sich hinein.

“Jaja, dieses Wunderwerk der Handwerkskunst wir Euch beeindrucken, junge Damen. Seid gewiss! Der Blick in den Himmel bei Nacht ist so schon wunderschön, doch durch ein Teleskop wird das Funkeln der Sterne so nah.” Rhodan wurde ersichtlich sentimental. Man merkte ihm an, dass er große Freude bei dem Gedanken empfand, der sechsten Sphäre nah sein zu können. “Ich finde es faszinierend, was wir alles tun können, um nach Höherem zu greifen. Aber wir haben ja ein Ziel. In die Ferne schweifen ist dem abträglich”, erinnerte er sich selbst an die eigentliche Aufgabe. “Sagt, wissen die Damen schon, was sie mit einem Stern zu tun gedenken?”

“Darauf tanzen?” entgegnete Dortrava grinsend. “Das heißt, wenn er groß genug dafür ist. Ansonsten: drum herum tanzen?” Ihr Grinsen bekam nun einen ganz leicht sarkastischen Zug. “Im Ernst: ich gehe nicht davon aus, dass ich etwas von dem ‘Stern’ oder was immer davon übrig bleibt nach dem vorhergesagten Einschlag abbekomme. Denn erst werden sich die Geweihten darum schlagen, dann die Magier, dann die Schatzjäger, und vielleicht auch alle auf einmal, und da stelle ich mich nicht dazwischen. Na ja, wenn sie sich alle ausgiebig genug prügeln, bekomme ich vielleicht doch eine Chance …” Nun grinste Doratrava wieder rein belustigt.

Ronan, der sich ebenfalls der fröhlichen Wandertruppe zum Teleskop angeschlossen hatte, grinste. “Wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte. Erst eine zünftige Prügelei und dann, wenn wir alle erschöpft am Boden liegen, tanzt du fröhlich für uns um den gefallenen Stern herum.” Er warf Rhodan, dem Kontorleiter mit dem leichten Schmerbauch, einen Blick zu, ein leichtes Zwinkern, bevor er sich wieder der weißhaarigen Gauklerin zuwandte. “Und glaube mir, schneehaarige Tänzerin, allein der Blick durch ein kostbares Teleskop an den Nachthimmel ist diese Reise bereits wert.” Doratrava verneigte sich scherzhaft in Ronans Richtung. “Na, wenn der berühmte Doktor Ronan das sagt, dann muss ich das wohl glauben”, lachte sie.

Meta kickte mir dem Fuß einen gar nicht so häßlichen Stein beiseite. “Durchschauen will ich auf jeden Fall. Es ist Neugier, außerdem könnten mir dann die Gelehrten erzählen was sie wollten, was sie gesehen hätten und das Drum, das wir suchen sollen, wie es aussieht. Wir machen uns selbst ein Bild.”

Lessandero schnaufte ein wenig kurzatmig hinter der Gruppe hinterher. Berge und Hügel waren noch nie sein Ding. Der große Vorteil der Zwergenforschung war - so fand er - dass sie sinnvolle Mechaniken entwickelt hatten um Höhendifferenzen einfach und nicht zu Fuß zu überwinden.

Das ganze erinnerte Radulf tatsächlich an die Feldexkursionen seiner Scholaren-Zeit an der Schwert und Stab - nur dass an der Akademie mehr Disziplin und Ordnung herrschten als hier und die Gespräche trotz des damals jugendlichen Alters gehaltvoller waren als das hier teilweise gehörte. Wie so viele hochgelehrte Damen und Herren von Stand derartig nichtiges Zeug schwatzend zur Sternwarte schlurften, als ginge ihnen jede Körperspannung ab... der Junker schüttelte innerlich den Kopf und achtete darauf, wenigstens mit seinem Auftreten seinem Stand nicht zur Schande zu gereichen.

Als man den Hügel erklommen hatte, standen die Gelehrten endlich vor einem kleinen, aber ordentlichen Fachwerkhäuschen. Noch immer war kein Licht zu sehen, auch aus dem Schornstein auf dem Dach war kein Rauch zu erkennen. Nur unweit vom Haus, einem weiteren kleinen Hügel hinauf, erkannte man ein kleinen rundlichen Bau mit einem Kuppeldach. Das dieser noch nicht ganz fertig war, erkannte man an dem Gerüst, das an den Wänden stand. Bis auf den pfeifenden Wind und das Auf- und Zuschlagen der Eingangstür war es still.

Als sie nahe genug heran waren, um das Klappern der Tür zu hören, runzelte Doratrava die Stirn und zog ihren Umhang gegen den Wind enger um den Körper. Es war kalt genug, dass jemand in einem Haus sicher ein Feuer gebrauchen könnte, zudem würde niemand die EIngangstür offen stehen lassen, weder, wenn er oder sie sich im Haus befand, noch, wenn er oder sie ausgegangen war, und sei es nur zu dem anderen Gebäude da drüben. Unwillkürlich tastete ihre Hand nach einem ihrer Wurfdolche, aber sie beschloss, sich zurückzuhalten. Sie wollte jetzt keine unnötige Sorge verbreiten, nachher ergab sich eine ganz harmlose Erklärung und dann würde sie schön blöd dastehen.

Auch Leonora reagierte alarmiert, allerdings kam es ihr nicht in den Sinn, dass sie für ihre Vorsicht Spott ernten könnte. Hatte sie während des Fußmarsches noch das Ende der Marschkolonne gebildet, schloss sie nun zügig zur Spitze auf. Sie hob die Hand: “Lasst mich nach dem Rechten sehen.”, schlug sie vor, allerdings ohne auf eine Antwort zu warten. So zurückhaltend sie sich in Angelegenheiten der Sternenkunde und der Aritme...dingsbums verhielt, so selbstverständlich nahm sie nun eine Führungsrolle ein. Sollten hier Gefahren lauern, wäre das ausnahmsweise mal eine Aufgabe, die sie besser ausführen könnte als die meisten anderen ihrer Reisebegleiter.

Zügigen Schrittes setzte sie sich von der Gruppe ab, vor dem Haus wurde sie dann langsamer, in die Finsternis des auf- und zufallenden Hauseingangs spähend. Ihre Hand wanderte zum Griff ihres Korbschwerts. Natürlich war sie weder gerüstet, noch trug sie andere Bewaffnung als ihre Seitenwaffe bei sich. Warum auch, sie machten ja “nur” einen Abstecher zu einer Sternwarte… Da würde eben die Vorsicht ihre Rüstung sein müssen. Als Leonora an ihr vorbei huschte, schloss sich Doratrava kurzerhand an. Falls es keinen Grund zur Besorgnis gab, stand sie nun wenigstens nicht alleine blöd da. Da die Andere sich der Haustür zuwandte, entschloss die Gauklerin sich, rechts um das Haus herum zu gehen. Vielleicht konnte man etwas durch die Fenster sehen, obwohl es schon recht dunkel war, oder es gab einen Hintereingang.

Rhodan hielt sich zurück. Die Situation alarmierte ihn - ein unangenehmes Gefühl. Sollte das schon wieder so ein anstrengender Ausflug ohne Ende werden? Wenigstens wurden sie dieses Mal von Waffenvolk begleitet. Die Heiternachterin drückte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand neben der Eingangstür. Sie fällte die Entscheidung, dass ihr das stockfinstere, verlassene Haus mit der auf- und zuschlagenden Tür nicht gefiel, und dass sie JETZT aktiv werden musste, um die anderen Mitglieder der Reisegruppe zu schützen. Sie zog ihr Korbschwert und trat in das Haus, wobei sie ihre Bewegung zuerst verzögerte, um dann umso schneller in den Flur vorzudringen. Damit hoffte sie zu verhindern, dass ein Schütze im Hausinneren sie erfolgreich aufs Korn nehmen konnte.

Während sich die ersten dem Haus zuwandten, entschied sich Lessandero zur Sternwarte zu eilen. Vielleicht war der Forscher nur von der Neugier überfallen worden und zur Beobachtung der Sterne geeilt.

Höchst verdächtig! Radulfs Instinkte schlugen angesichts der Szenerie sofort an, und er war klug genug, jene ernst zu nehmen, aber nicht sein Handeln bestimmen zu lassen. Als er die ersten auf das Haus zustechen sah - bezeichnenderweise nicht die Prudenz dieser Gesellschaft - immerhin konnten sie sich ja doch wie Menschen mit Rückgrat bewegen - fasste er seinen Stab fester und schritt seinerseits zügig auf die Sternwarte zu. Wo wären die kostbaren Instrumente zu erwarten? Wo die begehrten Aufzeichnungen und raren Bücher, wenn es welche gab? Wo also sollte ein Angriff auf den Forscher stattfinden, worauf ein Raubzug zielen, wenn nicht die Warte? Und wo würden sie zu Erkenntnissen gelangen, falls sich alles als Fehlalarm herausstellen sollte? Eben…

Ronan verharrte. Kein Gelehrter, und mochte er noch so einsam wohnen, würde das Tor zu seiner Stube offen stehen lassen. Gerade, wenn er einsam wohnte, denn die kostbaren Bücher und Instrumente, die er in seinem Haus aufbewahrte, wären ein gefundenes Fressen für kleine und große Tiere. Obwohl es, bei Feqz, wahrscheinlich war, dass dieser Weise der Sterne seine Instrumente und Schriften in der Sternwarte aufbewahrte. Welche Richtung war lohnenswerter? Feqz - in Gedanken warf er eine Münze. Und schaute zur Sternenwarte. Langsam glitt seine Hand an seine Hüfte, dort, wo an seinem Schwertgurt sein schlanker, aber scharfer Säbel hing, den er einstmals in Donnerbach erhalten hatte. Leise hatte er sich neben den Magus Radulf von Lîfstein begeben. Wie er erfahren hatte, war dieser gelehrte Herr ein Magus der rechten Hand, ausgebildet an der Akademie der magischen Rüstung in der Kaiserstadt Gareth. Feqz, Madawächter, zwar keine magische Infanterie, aber magischer Schirm. “Weber der Sternenkraft…” raunte Ronan leise, um etwaige Eindringlinge nicht aufzuscheuchen. “... begleitet Ihr mich in die Sternenwarte?”

Radulfs Augen verengten sich kurz, dann nickte er. Jetzt würde sich - vielleicht - zeigen, aus welchem Holz der Astrologe geschnitzt war, wenn er nicht gerade die Sterne deutete oder sie in Worten vom Himmel holte und damit junge Gelehrte umgarnte und das Herz ebenso junger Magier brach. Ob sich hinter seiner mit dem für die Südländer so typischen blumigen Gerede verbrämten Fassade Substanz verbarg oder nur hohles Getue. Bis er es wusste, würde er doppelt vorsichtig sein. Einmal noch atmete er langsam und tief durch, um sich zu sammeln, die innere Ruhe und Klarheit zu finden, die es brauchte, in brenzliger Situation den rechten Cantus zur rechten Zeit zu sprechen und Schild und Schutz für ihre Einheit zu sein. "Geht Ihr links?" fragte er Ronan. Dann wäre er durch dessen Waffe mitgedeckt, wenn es sofort zu zaubern hieß.

Der nickte, zog seinen Baghtiar, seinen schlanken Säbel und begab sich auf die linke Seite. Ronan erkannte durchaus unter der nach Außen getragenen Selbstsicherheit des Magus seine militärische Erfahrung und war sich sicher, dass er seine magischen Fähigkeiten in einem Kampf oder Hinterhalt gezielt einzusetzen wusste. Stumm betete er zum Nachtkrieger Feqz. Und deutete dann mit zwei Fingern der freien Hand, sich in die Richtung der Sternwarte vorzuwagen.

“Dann los.” Zu zweit schritten sie auf die Sternwarte zu. Radulf war angenehm über die spürbare Präsenz und Fokussiertheit Ronans überrascht: es wirkte, als wäre dieser nicht das erste Mal in einer solchen Lage. Der tulamidische Sternkundler rückte auch in genau der richtigen Geschwindigkeit auf das Gebäude zu - nicht zu schnell und nicht zu langsam, wie es manch unerfahrener Kämpfer vielleicht getan hätte. Wer sich darinnen alleine auf sein Gehör verließ, würde jedenfalls nicht erahnen, das hier nicht zwei harmlose Erkenntnis Suchende des Weges kämen, sondern gleich die Härte der Gerechtigkeit über ihn käme…

Die Knappin beobachtete, wie sich die Gruppe erst unsicher, dann wohl mit gespielter Sicherheit teilte. Es wurde dunkel und Spuren waren so kaum zu erkennen. Sie entschloss sich der Gruppe zur Sternwarte zu folgen. Aus ihrem kleinen Beutel zog sie einen grauen Überwurf und schlich, ihren geschwärzten Dolch griffbereit hinterher.

Im Haus des Meister Salbenstrumpf

Nirjaschka war besorgt und hielt ihren Zeigefinger vor die Lippen und signalisierte allen still zu sein. Sie nickte der Gruppe zu, die sich vorsichtig zur Sternenwarte aufmachen und wartete gespannt, darauf was Leonora und Doratrava finden würden. Madasil und Wolfhold bat sie, bei ihr zu bleiben. Madasil nickte. Er wirkte bleich und seine Augen waren weit geöffnet. Der junge Mann hatte ganz offensichtlich Angst. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, da er sich alle möglichen Schreckensszenarien ausmalte. So merkte er auch nicht, dass seine Hand nach der des Magiers suchte. Wolfhold indes war wesentlich gefasster. Zur Not würde er sich auf den Hammer des Magus, zu dem er seinen Stab verwandeln konnte, oder gar auf den Cantus Ignifaxius, den er in Grundzügen beherrschte, verlassen. Dennoch hoffte er, dass es nicht zu einem Kampf kommen würde. Als er Madasils Hand spürte, fasste er sie und drückte leicht zu. Dabei lächelte er den Mentor beruhigend an. Der Griff der Hände entging der Mentorin nicht und so fasste sie den Ellenbogen Wolfholds an und drückte diesen Vorsichtig. “Hesinde beschütze uns vor allem Üblen. Das stehen wir gemeinsam durch!”, flüsterte sie den Beiden zu. Der Magus nickte mit entschlossenem Gesichtsausdruck. Madasil aber blickte zu Boden. Er schämte sich seiner Furcht in Gegenwart seiner Göttin.

Leonora schlüpfte vorsichtig in den Flur des Hauses. Kalt war es hier drinnen, die Tür schien schon eine Weile offen gestanden zu haben. Die Dielen knarrten leicht bei ihren Gang. Nur einige Schritte weiter und sie erreichte die Wohnstube. Der Raum war über und über mit Regalen voller Bücher und Pergamente gefüllt, aber auch hier war kein Licht entzündet. Ein leicht süßlicher Geruch lag in der Luft, der trotz aller Lieblichkeit, einen leichten Würgereiz im Hals der Kriegerin löste.

Die Kriegerin hielt sich nahe der Wand, in der Erwartung, dass die Dielen dort weniger laut knarrten. Sie konnte den Geruch einordnen, es war der Geruch von Tod und Verwesung. Sie schluckte einmal und atmete dann flach durch den leicht geöffneten Mund, um sich vom Würgereiz zu befreien. Inzwischen hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Trotzdem verließ sie sich hauptsächlich auf ihr Gehör. Ihr Korbschwert hielt sie im rechten, erhobenen Arm hinter sich, jederzeit bereit zuzuschlagen. War da jemand außer ihr?

Langsam ging die Kriegerin weiter und entdeckte einen Körper der zwischen der Wohnstube und der Küche lag. Die Frau war von schlanker Gestalt und trug ein graues Kleid mit einer Schürze. Ihr Kopf allerdings war seltsam verdreht und der Geruch kam von ihr aus. Die Kriegerin nickte grimmig. Es war, wie sie erwartet hatte. Sie waren jedoch hier, um einen HERRN Grabensalb zu sehen, und offensichtlich war diese Gestalt hier kein Mann. Sie bezweifelte zudem, dass ein Gelehrter die Kraft aufgebracht hatte, um der Frau hier den Hals umzudrehen. Also hielt sie sich nicht lange bei der Toten auf, stieg leise und vorsichtig über sie hinweg. Kurz dachte sie, die Tote hätte sich bewegt, erinnerte sich zurück an die Rabenmark, doch sie verscheuchte den Gedanken mit einem energischen Kopfschütteln. Ihr Weg führte sie weiter in die Küche, noch immer nahe der Wände entlang, um möglicherweise die Mörder zu überraschen.

Gewand wie eine Katze umkreiste die Gauklerin Doratrava das Fachwerkhäuschen und entdeckte im ersten Stockwerk ein geöffnetes Fenster. Mit Leichtigkeit kletterte sie darauf zu, nur um in einer in Dunkelheit liegenden Schlafkammer zu gelangen. Die Bettstatt war unberührt, aber auch hier lag die Kälte im Raum. Vorsichtig sah Doratrava sich um, so gut es in dem dämmrigen Licht ging, nachdem sie einen Wurfdolch aus dem Gürtel gezogen hatte. Sicher war sicher. Der Raum hier schien leer zu sein, also wandte sie sich der Tür zu und versuchte diese, so leise wie möglich zu öffnen. Dabei lauschte sie auch auf Geräusche aus dem Haus, wohl wissend, dass unten wahrscheinlich mittlerweile Leonora zugange war und die Kriegerin wohl kaum leise sein würde.

Erstaunlicherweise hörte sie keine weiteren Geräusche. Die Tür ließ sich lautlos öffnen, dahinte befand sich ein Flur mit einer Treppe nach unten. Doratrvas empfindliche Nase riechte es sofort: Verwesung! Es schien von unten zu kommen. Igitt, dachte Doratrava bei sich. Andererseits: wenn der Hausherr schon so lange tot war, dass es nach Verwesung roch, dann waren seine Mörder vermutlich nicht mehr im Haus. Dennoch ließ sie in ihrer Vorsicht nicht nach und schlich die Treppe hinunter, da es hier oben ja sonst offensichtlich keine Räumlichkeiten mehr gab.

Fluchs war sie die Treppe hinunter und fand sich in der Küche des Hauses wieder. Doch diesmal war sie nicht allein, den die Kriegerin schlich ebenfalls in die Küche. Der Geruch des Todes war hier stärker. Leonora zuckte zusammen, als Doratrava in die Küche geschlichen kam. Um ein Haar wäre sie auf die andere Frau losgegangen - doch sie begnügte sich mit einem Nicken in Richtung der anderen.

Offensichtlich war es hier zu einem Kampf gekommen, den Holz- und Zinnteller lagen wild verstreut zu Boden, wie auch andere Küchenutensilien. Das Herdfeuer war verloschen. Die Leiche einer Magd lag halb im Raum. Leonora sah einen Blutspritzer mit einer Schleifspur, die zum Hintertürchen führte. Doratrava jedoch sah sofort einen schimmernden Halsreifen: Ein Schlangenhalsband aus Messing. Erschrocken zog Doratrava die Luft ein. Sie hatte in den letzten Tagen genug mit Hesindegeweihten zu tun gehabt, um den Schlangenhalsreif als das Erkennungszeichen eines solchen Geweihten zu erkennen. Wobei … die arme Magd war zweifelsohne tot, aber der Besitzer des Halsreifs war vielleicht … ‘nur’ entführt worden? Hm … hatten die gelehrten Herren und Damen irgend etwas davon gesagt, dass dieser Salbenstrumpf ein Geweihter war? Sie konnte sich nicht erinnern …

Die Gauklerin winkte Leonora und zeigt auf den Halsreif, dann flüsterte sie: “Entführt? - Ich sage denen da draußen Bescheid, guckst du, dass sich hier niemand Feindliches mehr herumtreibt? Hinter dem Haus war auf jeden Fall niemand, den ich gesehen hätte.”

Erneut nickte Leonora. Wortlos machte sie sich auf, um die Zimmer zuerst im Erdgeschoss, dann im Obergeschoss und schließlich im Keller - so sich einer fand - nacheinander abzusuchen.

Nach kurzem Warten vor dem Haus, kam die Gauklerin hinaus und ging auf die wartenden Hesindianer zu. Als eine Gestalt das Haus verließ und auf sie zukam, biß Madasil sich auf die Unterlippe und fing an nervös von einem Fuß auf den anderen zu tippeln. Wolfholds Hand zerquetschte er dabei schon fast. Erst, als er die Gauklerin erkannte, beruhigte er sich wieder. Doratrava eilte auf die Wartenden zu, um dann unwillkürlich immer noch mit unterdrückter Stimme hastig zu berichten: “Da drin liegt eine tote Magd, und ein Schlangenhalsreif. War der Hausherr ein Geweihter der Hesinde? Es wurde wohl gekämpft, vielleicht ist er entführt worden?”

“Consortis. Akoluth.”, brachte Nirjaschka hervor. “Helindis ist tot?” Ungläubig schaute sie zu ihren zwergischen Führer. Dieser zog grimmig die Augen zusammen. “Wo ist Meister Salbenstrumpf?”, fragte er energisch die Gauklerin. Dann erbleichte die Mentorin und schaute zu Wolfhold. “Sind die Anderen in Gefahr?” “Das weiß ich nicht!” Doratrava zuckte ein wenig zurück ob der grimmigen Ansprache des Zwergen. “Ich sagte doch, es ist wohl niemand sonst im Haus - außer der Kriegerin, natürlich - und der Herr Salbenstrumpf ist vermutlich entführt worden. Es gibt auch eine Schleifspur zur Hintertür!” Die Gauklerin sah sich nochmal zu dem Haus um, aber alles blieb ruhig. “Man riecht schon den Leichengeruch, ich vermute, der Überfall ist schon einige Zeit her. Ich glaube nicht, dass wir noch in Gefahr sind, aber vorsichtig sollten wir trotzdem sein. Man weiß ja nie.”

Der junge Mentor hatte die Hand vor den Mund geschlagen und fühlte sich nicht gut. Die Toten, die er bisher zu Gesicht bekommen hatte, waren nur noch blanke Knochen, die bei Ausgrabungen gefunden worden waren und hier sollte eine frische Leiche liegen. Und eine Schleifspur. Vielleicht mit einer weiteren Leiche am Ende. Waren der oder die Mörder noch in der Nähe? Er fing wieder an zu tippeln. Für die nächste Expedition wollte er definitiv mehr Kriegsvolk dabei haben. Wenn es denn eine nächste Expedition gab. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und zuckte zusammen. Fast wäre er losgelaufen, doch dann merkte er, dass es Wolfhold war, der versuchte mit ihm zu reden. Der Magus merkte die steigende Nervosität des Geweihten und entwand sich dem zunehmenden Druck. Dann wandte er sich ihm zu und schüttelte ihn sanft an der Schulter. Der Mentor war kreidebleich und hatte kalten Schweiß auf seiner Stirn, der bereits unter der Rohalskappe hervorkam. “Madasil! Euer Gnaden! Ihr müsst Euch beruhigen”, flüsterte er eindringlich.

“Also … ich wollte euch das bloß sagen.” Doratrava drehte sich erneut zum Haus. Was machte Leonora denn nur? Hoffentlich war sie nicht doch noch einem Hinterhalt zum Opfer gefallen. “Ich glaube, ich gehe nochmal zum Haus, nach Leonora sehen. Jemand sollte den Leuten bei der Sternwarte Bescheid sagen.” Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte die Gauklerin herum und lief bereits wieder los. Ihr war gar nicht bewusst, dass sie die ganze Zeit einen Wurfdolch in der Rechten gehalten hatte. “Sie hat recht. Magister Wolfhold, Madasil, wir sollten zur Sternwarte.”, sagte Nirjaschka, die sich jetzt gefasst hatte.

Leonora suchte vorsichtig das Haus ab, aber niemand war darin zu finden. Alles deutete daraufhin, dass Meister Salbenstrumpf Opfer einer Entführung wurde und seine Magd eines Mordes. Die Schleifspuren führten aus der Küche heraus und verloren sich in der Wildnis. Fußspuren wiesen auf mindestens zwei Entführer hin. Als die Kriegerin ins Haus zurückkehrte, traf sie Doratrava wieder. “Und?” fragte diese nur, allerdings mit deutlicher Anspannung in der Stimme. Leonora schüttelte nur den Kopf. Auch sie wirkte angespannt. “Wir werden heute nacht die Spuren nur zertrampeln, wenn wir da suchen. Wir sollten zu den anderen gehen.” Sie deutete mit dem Schwert in Richtung der Sternwarte.

In der Sternwarte