Die Satisfaction der Zofe: Unterschied zwischen den Versionen

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== Ritter und Zofe ==
 
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Lares traf pünktlich auf die Minute auf dem Rücken seines Pferdes am vereinbarten Treffpunkt ein. Seine kleine Pagin hockte hinter ihm auf dem Pferderücken. Der Mersinger hatte sich des Anlasses entsprechend eher handfest angezogen. Es sollte ja zur Sache gehen, das war kein höfisches Geplänkel mehr. Doch als er die Straßen in Herzogenfurt entlangritt, drängten sich von Schritt zu Schritt immer mehr Menschen an den Straßen. Fast schien es, als sei Markttag und eine Gauklertruppe sei in der Stadt. Erst viel zu spät begriff er, dass wohl er den Hofnarren für all diese gaffenden Leute spielen würde. Das ließ den Zorn in seinen Eingeweiden wüten. Diese ganze Veranstaltung war unnötig, schändlich und der inadäquaten Verhaltensweise dieser Schnepfe von einer Schlange geschuldet. Der Pöbel warf ihm, den man nicht nur an seinem Äußeren, sondern insbesondere am Wappen seines Hauses auf dem Wappenrock erkennen konnte, den er über einem lockeren Wams trug, zunächst nur böse Blicke, dann jedoch Schmähungen zu. Manch einer traute sich sogar, vor ihm auszuspucken. Wäre dies in Rosenhain passiert, er hätte das Pack Respekt gelehrt. Aber was konnte man schon vom Pöbel erwarten, wenn dessen Herrschaft nicht in der Lage war, sich adäquat zu verhalten. So ritt er finsterer Mine und starren Blickes auf den Platz vor dem Uhlenturm. Als er dort angekommen war, verschaffte er sich in der Menge Platz, indem er mit seinem Pferd einen Kreis umritt. Dann ließ er sein treues Ross vor dem unsäglichen Bannstrahler und seiner noch unsagbareren Verlobten halten. Gemach und ohne Eile stieg er ab, klopfte sich die Rockschöße aus und blickte der Altenbergerin und ihrem Verlobten entgegen.
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Der Mersinger sprach mit lauter Stimme: “Hoher Herr vom Traurigen Stein, hohe Dame von Altenberg. Hier bin ich, wie in Eurem allein an mich adressierten Brief gefordert. Und scheinbar auch die halbe Stadt.” Mit der Linken machte der Mersinger eine ausladende Geste, die die gesamte Entourage einbezog. “Nun bin ich es nicht gewohnt, dass einem fairen Wettstreit unter Edelleuten schaulustige Gaffer beiwohnen, doch scheine ich mit einigen Sitten in Eurer Stadt nicht ganz geläufig zu sein. Weil Euch meine in aller Form ausgesprochene Entschuldigung nicht ausreichte, habt Ihr Euch diese Zusammenkunft erbeten. Ihr seid Euch wie ich selbst der Tatsache bewusst, dass wir kein Ehrenhändel ausfechten; andernfalls sähe ich mich gezwungen, abzulehnen, nachdem Ihr nicht unter Waffen steht. Aber das konnte ich mit Eurem Vater ja bereits hinlänglich besprechen, der mir in dieser Angelegenheit im Übrigen seinen Rechtsrat anbot - eine große, aber unnötige Geste.” Lares schüttelte den Kopf. “Ich frage Euch deshalb unter den hier anwesenden - zahlreichen - Zeugen, ob Ihr von Eurem Begehr Abstand nehmen wollt oder ob Ihr hier mich und Euch zur Attraktion des gemeinen Volkes zu machen gedenkt. Noch bin ich bereit, diese Sache friedlich und wie bereits angeboten vernünftig zu lösen. Meines Erachtens geziemt es weder einer Frau von Stand noch einem solchen Herren, dem Volke Brot und Spiele zu sein.”
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Linnart rollte kurz mit den Augen als der Mersinger ihn so überschwänglich begrüßt hatte und sein Viehzeug, wohl in einem Anflug von Provokation, vor ihm und seiner Verlobten abstellte. Dennoch ließ der Ritter sich zu keiner äußerlichen Regung hinreißen. Er war selbst nicht glücklich darüber, dass Volk und andere Gäste gleichermaßen anwesend waren. Die Kombattanten und der engste Kreis hätten seiner Meinung nach gereicht, doch wusste Linnart natürlich auch, dass Durinja genau diese Konstellation wollte. Aufmerksamkeit und ein Publikum. Er hoffte, dass sie sich daran nicht ihre schlanken Finger verbrennt. Klar, der Bannstrahler würde auf sie acht geben und wenn der Mersinger die Waffe auf sie richtete um ihr Leben zu bedrohen, würde er ihm die Hand abschlagen. Ohne Forderung und sonstiges Pipapo … doch so schätzte er den jungen Ritter nicht ein. Der Traurigsteiner war selbst nicht glücklich darüber, dass es soweit kommen musste und sich seine Frau dafür hergab den Pöbel zu unterhalten, doch sei es drum. Nun konnte niemand mehr einen Rückzieher machen.
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Der Trollpforzer hingegen nickte anerkennend auf seinem Pferd sitzend. Die Worte des Mersingers waren schlicht die Wahrheit. ‘Das Schauspiel’ war eben jenes, ein Schauspiel und als solches unwürdig für die Darlegung eines Streits unter Edelleuten. Nein, hier ging es um Eitelkeit und Selbstdarstellung.
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Heute war Melisande nicht die Zofe ihrer Baronin, sondern nur eine neugierige junge Frau, der das Gespräch mit Durinja noch gut im Gedächtnis war. Deshalb hatte sie sich heute unauffällig gekleidet, in ein einfaches Hemd und Hose, kniehohe Stiefel und einen weiten, dunklen Umhang mit Kapuze. Außerdem trug sie ihre Haare darunter offen, und ihr Gesicht hatte sie mit Schminke aufgehellt und mit ein paar kunstvollen Pinselstrichen an den richtigen Stellen in das einer anderen Frau verwandelt - zumindest, solange niemand, der sie kannte, allzu genau hinsah. Aber die einsetzende Dunkelheit und die Kapuze waren in dieser Beziehung ihre Freunde.
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So stand sie nun inmitten der Menge, eine Zuschauerin unter vielen, die in der Gruppe unterging. Sie hatte ein wenig der Gauklerin zugesehen, aber die Begeisterung von vor zwei Tagen hatte sie mit ihren hier dargebotenen kleinen Kunststücken natürlich nicht wecken können, dennoch hatte sie ganz wie andere Schaulustige einen Heller in den ausgelegten Beutel geworfen und sich dabei ein Bild gemacht, wer alles gekommen war.
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Und nun war auch der Mersinger heran. Sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass seine Rede in der Sache zwar richtig, in der Art aber eine erneute Beleidigung Durinjas darstellte, ob das nun von ihm so beabsichtigt war oder nicht. Gespannt schob sie sich in der Menge ein wenig nach vorne, um besser sehen zu können.
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Rajodan von Keyserring hörte zu. Er stand etwas abseits neben seiner Tochter Luzia und beobachtete das Schauspiel. Etwas anderes war es wohl kaum. Dieses Weibstück dort war gerissen und gewillt über Leichen zu gehen. Andere ins Unglück zu stürzen für ihr eigenes Glück. Wissentlich. Er lächelte. Aber hübsch war sie. Im Bett sicherlich eine Kratzbürste, die zahm schnurren konnte, wenn sie den richtigen Mann fand. Einen Mann, den sie suchte: Jemand, der sich nicht von ihre manipulieren liess. Mit kalten Feuer lag sein starrer Blick auf Durinja, während er seine Tochter befragte, ob sie Näheres zu dem Ausgangspunkt dieser unschönen Situation wusste.
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Doch Luzia schüttelte den Kopf. Ihre Sorge galt ihrer Schwester, die verstört hinter Lares stand und immer wieder zu ihr herüber schielte.
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'Das arme Mädchen!' war Ringards erster, mitfühlender Gedanke, als sie die junge Pagin des Mersingers hinter diesem sitzend sah. Warum hatte der nicht wenigstens das Kind aus der Sache raushalten können? Wie sich diese fühlen musste, von der halben Stadt feindselig angestiert für Beleidigungen, die ihr Ritter Durinja an den Kopf geworfen hatte... haben musste, nach allem, was sie gehört hatte. Warum hatte sich dieser nur zu so etwas hinreißen lassen? War es falschverstandene Ritterlichkeit, sich für diese Andesine zu verwenden? Oder nicht doch eher die Eifersucht eines Mannes, dem das Glück auf der Brautschau nicht hold gewesen war und eine ebenfalls unglückliche Dame als Vorwand für irgendwelche Tiraden vorgeschoben hatte? Und jetzt versuchte er ebenso offensichtlich wie halbherzig, sich aus der Affäre zu ziehen. Die Rede des Mersingers vermochte Ringard jedenfalls ebenso wie dessen ganzer Auftritt nicht zu überzeugen oder gar auf dessen Seite zu ziehen.
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Ungläubig schüttelte Durinja den Kopf und legte ihre Hand auf den linken Busen, als ob sie einen Schmerz fühlen konnte. Dann machte sie einen Schritt nach vorn, so dass man sie besser im Fackelschein sehen konnte. Die Edeldame reckte ihr Kinn, stolz, aber verletzlich wirkte sie. “Euer Wohlgeboren von Mersingen.”, fing sie an mit ruhiger, aber deutlich vernehmbaren Stimme. “Wieder einmal beweist ihr, das Worte nicht eure Stärke sind. Ich bin genauso überrascht wie ihr, Zeugen für unser Treffen zu sehen. Doch sagt es mir eines: Eure unflätigen Worte mir gegenüber haben anscheinend Wellen geschlagen. Ich widerum brauche kein Publikum, um von meinem Stand zu künden.” Dann faltete sie ihre Hände vor ihren Bauch. “Und ich hoffe eure Worte waren nicht an die Baronin von Schweinsfold gerichtet. Ich stamme nicht von hier, noch diene ich diesem Hofe. Ich komme aus Elenvina und kenne die hiesigen Gebräuche nicht.” Ein kurzer Seitenblick ging in Richtung der Höflinge der Baronin. “Ich möchte euch daran erinnern, das ihr mitnichten eure Entschuldigung in aller Form ausgesprochen habt. Schnell daher gesagte Worte im Flüsterton sind wohl keiner Edeldame würdig, zumal ihr kaum einen Augenblick später weiter Beleidigungen aussprachet und somit eurer Worte vorher Lüge straftet. Aber genau deshalb sind wir hier.” Nun öffnete sie ihre Hände in einer vergebungsvollen Geste. “Ihr fragt mich ob ich davon Abstand nehmen möchte, euch die Gelegenheit zu geben, das ihr euch ehrlich Entschuldigen könnt?  Wie es scheint habt ihr meine Einladung missverstanden. Mir liegt es daran einen Weg des Friedens zu gehen.” Durinja drehte sich kurz zu Linnart und lächelte ihn an. Mit dem selben Lächeln schaute sie herauf, des Junkers Blick erhaschend. “Ich stehe hier, als zukünftige hohe Dame des Hauses vom Traurigen Stein. Ihr habt nun die Gelegenheit sich bei mir und dem Haus ´vom Traurigen Stein´ in aller Form zu entschuldigen. Da ihr aber auch bewiesen habt, dass Worte nicht eure Stärke sind und ich als Edeldame mir nicht zu fein bin euch entgegenzukommen, biete ich euch einen vernünftigen und fairen Wettstreit an. Taten sprechen ja oft mehr als Worte. Ohne Waffengang, nur ihr und ich. Ihr könnt euch Aussuchen, wie er aussehen sollte. Und von mir aus könnt ihr auch unsere Zuschauer wegschicken, allerdings habe ich nichts zu verbergen. Eure Wahl, euer Wohlgeboren.”
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Innerlich musste Linnart über die Worte seiner Frau lächeln, doch drang davon nichts nach außen. Er lehnte nun wieder lässig an der Brüstung und verschränkte seine Arme vor der Brust. Durinja führte wahrlich eine Zunge, die spitzer war als die meisten Schwerter - sie verstand es zu spielen und zu manipulieren, was dazu führte, dass die Gaffer förmlich an ihren hübschen Lippen hingen, auch wenn der eine oder andere anwesende Adelige merklich den Kopf schüttelte. Die hübsche, junge Zofe mit dem Herzschmerz und der unflätige, von Neid und Missgunst getriebene Ritter aus dem Hause Mersingen. Linnart wusste, dass dieser Lares nichts anderes war als ein Prahlrik und Großmaul. Ein Mann, der seinen Namen vor sich her tragen musste, weil ihn das Fehlen großer Taten als das erscheinen lassen würde, was er wirklich war - ein Hofschranze, der sich Ritter nennen durfte, weil er 12 Götterläufe an der Seite eines anderen Adeligen abgesessen hatte. Es juckte den Linnartsteiner in seinen Fingern, doch konnte und durfte er sich als Diener des Gleißenden nicht für solch einen Wahnwitz hergeben. Noch dazu vor all dem Pöbel. Der Bannstrahler bemerkte natürlich auch, dass seine Verlobte in ihrer Rede und dem damit einhergehenden Verhalten vielleicht etwas zu dick auftrug. Ob sie auch hinter diesen übertriebenen Gerüchten steckte, die hier im Umlauf waren? Er wollte es gar nicht wissen. Dennoch schenkte er Durinja für die Dauer einiger Herzschläge ein ehrliches Lächeln, beschränkte sich dann aber wieder darauf zu beobachten.
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Thankred schnaubte und schüttelte ungläubig den Kopf. War dies die ‘Lösung’ für die Streitigkeit- ein Wettkampf, also nichts anderes als ein kleines Spielchen und das vor dem Volk? Nein, das war keine Lösung, das war der sichere Weg sich lächerlich zu machen. Die versammelten Herrschaften hatten schlicht nicht das Rückgrat oder… die Eier, einen Streit vernünftig beizulegen.
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Neugierig blickte der Trollpforzer nun zum Mersinger. Er war gespannt, wie dieser auf dieses Angebot reagieren
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‘Schlange’, dachte Melisande und schmunzelte innerlich. Jetzt war sie gespannt, wie der Mersinger wohl darauf reagieren würde. Immerhin ließ Durinja ihm immer noch die Wahl der ‘Waffen’, obwohl es sich ja bei diesem Wettstreit um kein Duell handeln sollte. Das war in den Augen der rickenhausener Zofe ein nicht zu unterschätzender Schwachpunkt in Durinjas Plan. Sie war jetzt sehr gespannt darauf, wie der Mersinger reagieren würde. Verstohlen sah sie sich um. Eigentlich müsste doch irgendwo in der Menge auch Durinjas Vater stehen, der würde doch seine Tochter in so einer Situation nicht allein lassen?
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Ein wenig enttäuscht vernahm Doratrava die Worte der Hofdame. Sollten die beiden die Sache wirklich unter sich ausmachen wollen und das Publikum wegschicken? “Alana”, flüsterte sie ihrer Freundin zu, “wenn die beiden alle wegschicken - was wirst du denn dann tun?”
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“Na wenn ich nicht gebraucht werde, werden wir alle gehen müssen. Aber ich denke wir beide finden dann schon was, das wir machen können.”zwinkerte die Ritterin der Gauklerin zu.
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Doratrava lächelte zurück. “Hm, da müsste ich dann ja fast schon hoffen, dass sie uns wegschicken - oder es schnell zu Ende bringen.”
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Ein faires Angebot Durinjas, fand Ringard. Wenn dieser Junker seine Entschuldigung ernst gemeint hatte, so könnte er sie problemlos wiederholen und sich darüber hinaus erklären - dann wäre die Sache aus der Welt. Und falls nicht, konnte sie sich selbst gegenüber eine gewisse Vorfreude nicht verleugnen, dabei Zeuge zu sein, wie ihre zukünftige Schwägerin dem Mersinger eine Lektion erteilte. Und zu sehen, ob diese tatsächlich so gut war, oder Amiel dieser gegenüber einfach zu gutmütig.
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Rajodan hatte seine Tochter ums Handgelenk gegriffen und näher ans Geschehen gezogen. Den Blick weiterhin auf die Hofdame gerichtet. Als er neben seiner jüngsten Tochter angekommen war, ließ er Luzia los, legte seinen Kopf schief und fixierte die Altenbergerin weiterhin mit einem hochgezogenen Mundwinkel.
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Luzia beugte sich zu Lissa herunter und raunte ihr zu: “Was ist denn nur geschehen, man hört die unglaubwürdigsten Gerüchte.” Doch das Kind zuckte nur irritiert mit den Achseln.
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Der Vater der beiden Schwestern hingegen hob die Stimme:
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“Verzeiht, hohe Dame, im Interesse meines eigenen Hauses, das dem Hause Mersingen freundschaftlich verbunden ist, möchte ich euch bitten, den Wortlaut der Anschuldigungen zu wiederholen, mit dem euch der junge Ritter bezichtigt haben soll. Selbstverständlich verstehe ich, wenn ihr zuvor alle Zuschauer nach Hause schicken wolltet. Immerhin scheinen es ja sehr unangenehme Bezichtigungen gewesen zu sein.
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Ihr werdet meine Besorgnis verstehen, meine Tochter bei jemanden in Knappschaft gegeben zu haben, den ihr öffentlich beschuldigt, beleidigend und anmaßend zu sein. Und als wohlmeinender, fürsorglicher Vater, muss ich natürlich Sorge tragen, und im Falle einer gravierenden Verfehlung meine Tochter aus dieser Verbindung herauslösen.” die Stimme des Eisensteiners klang kalt und ließ keinen der Anwesenden zweifeln, wen er für anmassend hielt und sein wissender, musternder Blick ruhte auf Durinja. War sie wahrhaft so kalt, herzlos und egozentrisch, Lares von Mersingen so tief hineinzureiten? Und seine Tochter, die erbleichte, von ihrem Lebenstraum zu trennen, nur um dieses lächerliche Spektakel durch zu ziehen? “Erhellt mich bitte, welche Freveltaten der Herr von Mersingen begangen haben soll. Offensichtlich nichts so Frevelhaftes, dass euer Verlobter einzugreifen gedachte. Daher wäre ich doch sehr angetan über etwas Aufklärung.”
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Dass nun ein Hochadliger Partei für den Mersinger ergreifen musste, sagte viel, fand Ringard. Andererseits war sie mehr als neugierig, die Beleidigungen, die der Junker Durinja und Linnart an den Kopf geworfen haben musste, überhaupt einmal im Detail zu vernehmen. Gespannt wanderte ihr Blick zu der Angesprochenen.
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“Jetzt wird es spannend”, raunte da der Junker von Trollpforz seiner Verlobten zu.
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Der Auftritt des Eisensteiners brachte eine neue, interessante Wendung. Keine Zunge war zu Spitz und Flink wie die von Rajodan von Keyserring. Vor dessen ‘Kunst’ einem das Worte im Mund zu verdrehen musste man sich in acht nehmen. Und wenn diese Schnepfe glaubte sie könne etwas handfestes gegen den Mersinger vortragen, dann sollte sie es doch versuchen. Der Eisensteiner würde sicher etwas zu entgegnen haben, da war sich Thankred ziemlich sicher.
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Bei den Worten des Barons umspielte Linnarts Züge ein Schmunzeln. Als der Eisensteiner ihn mit seinem letzten Satz in diese Sache mit hinein zog, erstarb dieses jedoch  sogleich wieder. Nun wurde er tatsächlich dazu genötigt eine Wortmeldung abzugeben, denn ein Diener Praios', der sich zu vorliegenden Ungerechtigkeiten und Unrecht nicht äußert und es schweigend hinnimmt wäre ein fatales Bild für den Pöbel. "Ich darf Euch dahingehend beruhigen, dass im gegenständlichen Fall keinerlei Frevel gegen den Herrn Praios und seine elf göttlichen Geschwister vorliegt, Euer Hochgeboren." Seine Stimme war ruhig, schaffte es aber dennoch Autorität zu vermitteln. "Was Eure berechtigten Sorgen Eure Tochter betreffend angeht, schlage ich ein Gespräch in privatim vor. Wiewohl es der Gleißende verlangt offen und ehrlich zu unserer Schuld und unseren Vergehen zu stehen, scheinen mir hier zu viele Ohren anwesend, um jene … Dinge, die der Herr von Mersingen mich und meine Verlobte betreffend großmundig von sich gegeben hat wiederholen zu lassen. Man müsste schon ausnahmslos alle, bis auf Euch, die hohe Dame von Altenberg, den Herrn von Mersingen und mich des Platzes verweisen. Wir sind hier weder vor Gericht, noch in einem Tempel des Götterfürsten." Der Blick des Bannstrahlers lag fordernd am Baron. "Vielleicht gereicht Euch fürs erste mein Wort, dass meine Zukünftige jedes Recht dazu hat eine öffentliche Entschuldigung zu fordern." Zum hier stattfindenden Schauspiel gab er bewusst keinen Kommentar ab.
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Als der Eisensteiner neben ihm auftauchte entglitten Lares kurz die Gesichtszüge. Dieses Spektakel war all seinen Ambitionen, aber insbesondere seiner armen Pagin total abträglich! Dass das der Eisensteiner mitbekam, war überhaupt nicht erfreulich. Als er dann auch noch davon sprach, ihm die kleine Lissa, die ihm so ans Herz gewachsen war, zu entziehen, wurde der eh schon bleiche Mersinger weiß wie eine Wand. Doch die Worte des Barons richteten sich - wie eine Klinge - ersichtlich gegen seine Kontrahenten, was mehr als erfreulich war. Die Dreistigkeit, die der Traurigsteiner an den Tag legte, sprach für sich. Dieses Spektakel hier zu organisieren - wer außer ihm wusste denn noch von dem Zusammentreffen? - und sich dann hinter den Massen zu verstecken? Eine Erwiderung war angebracht, doch Lares biss sich auf die Zunge. Momentan hatte er einen potenten Fürsprecher. Er würde warten, ob sich der Baron mit dieser offensichtlich jämmerlichen Antwort zufrieden gab.
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Linnarts Blick ging vom Baron hin zum Mersinger, dem man sein Unwohlsein deutlich ansah. “Ich beteilige mich nur sehr ungern an derlei Eitelkeiten und tue es nur, wenn ich tatsächliches Unrecht vernehme. Dass der Herr von Mersingen in seiner ersten Rede bereits die hiesigen Gepflogenheiten in Frage stellte und damit seine Gastgeberin, die Baronin von Schweinsfold, sowie alle der hier Anwesenden latent beleidigte, spricht Bände. Ich werde es nicht sein, der dafür eine Richtigstellung oder Entschuldigung fordert … aber es zeigt ein recht genaues Bild von der losen Zunge, die der junge Herr zu führen pflegt.” Mit diesen Worten lehnte sich der unwillentlich in diese Farce mit einbezogene wieder gegen die Brüstung.
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“Nun”, antworte der Eisensteiner, “ihr versteht sicher meine Verwirrung, wenn ihr einerseits versichert, dass sich eure Verlobte zu Recht angegriffen fühlt. Andererseits aber sagt, euch nur in derlei Eitelkeiten einzumischen, wenn ein Unrecht geschehen ist. Da ihr nicht für ihre Ehre den Mersinger gefordert habt, also scheinbar in euren Augen kein solches relevantes Unrecht vorliegt, scheinen sich beide Aussagen zu widersprechen. Was sie sicherlich nicht tun, das möchte ich nicht unterstellen, aber ihr mögt mich doch bitte erhellen, um meine Verwirrung aufzulösen.
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Und wenn ihr schon dabei seid, könnt ihr damit fortfahren, mir zu erläutern wie eine öffentliche Entschuldigung funktionieren mag, wenn ihr andererseits konstatiert, dass es ein Thema fürs Private sei, das ihr nicht öffentlich … darzulegen gedenkt.”
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Etwas irritiert blickte der junge Ritter auf den Baron. Hielt er ihn für schief gewickelt? Dennoch straffte sich Linnart und setzte ein Lächeln auf. “Ventitum Duellum …”, meinte er knapp und blickte theatralisch an seinem weißen Wappenrock hinab, “... ich sehe keine rote Löwin auf meiner Brust … wir Bannstrahler vergießen Blut für den Schutz der praiosgefälligen Ordnung und nicht für unsere persönlichen Befindlichkeiten.” Sein Blick wurde ernst. “Ich kann Euch versichern, dass wenn ich dem Anliegen meiner Verlobten so wenig Wert beimessen würde, wie Ihr verstanden habt, dann stünde ich nicht hier. Auch denke ich, dass die hohe Dame von Altenberg eine starke und eigenständige Frau ist, die keinen Mann braucht, der ihre Kämpfe für sie ausficht. Seht es als einer jener Dinge, die mir an ihr am Meisten imponiert haben.” Linnart kratzte sich an seinem Kinn. “Ich hatte es dem hohen Herrn von Mersingen im Übrigen angeboten die Sache auf St. Aldec, im Angesicht des Götterfürsten, zu regeln. Es dürfe kein offizieller Ehrenhandel sein, Ihr wisst ja … Ventitum Duellum, aber es wäre eine Möglichkeit gewesen auch den dort anwesenden Knappen etwas zu lehren.” Sein Blick lag kurz am Mersinger, der sein Angebot damals ignorierte. “Ich hoffe auch Eure zweite Unklarheit beseitigen zu können. Bei einer öffentlichen Entschuldigung ist es nicht wichtig was die, der Entschuldigung zu Grunde liegende Anschuldigung war. Der Akt der Entschuldigung entkräftet die Anschuldigung, meint Ihr nicht? Wenn ich Euch einer Unehrenhaftigkeit bezichtige und dann um Vergebung für meine falsch gewählten Worte bitte, erleidet Ihr keinen Gesichtsverlust.” Eher im Gegenteil, doch ließ er das unausgesprochen. “Deshalb ja, wenn der Herr von Mersingen sich öffentlich und ehrlich für seine Beleidigungen entschuldigt, sehe ich kein Problem diese zu wiederholen. Auch vor den hier Anwesenden.”
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“Nun, in Ansätzen verstehe ich eure Argumente. Wenngleich nicht vollständig. Ein Duell kann auch durch einen Ersatzkämpfer ausgetragen werden und eure Verlobte hat wohl genug Verwandte in der Nähe, dass sich jemand gefunden hätte, der diese Forderung hätte ausführen können.
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Aber wie ihr sagt, scheinbar beschreitet sie lieber neue Wege, anstatt althergebrachten und Bewährtem zu folgen. Etwas, das meiner Erfahrung nach eher Rahja- als Praioskirche schätzt, aber Dere wandelt sich eben, nicht wahr? Da kann man es dem jungen Mersinger nicht übelnehmen euer Angebot ausgeschlagen zu haben, da es in Ehrenfragen nicht üblich ist, dem Beschuldigten ein solches zu unterbreiten. Dem Beschuldigten, dem Ehrverletzer wird es auferlegt. Es wird verlangt. Also mögt ihr ihm dies nicht zum Vorwurf machen, ist er einfach wohl weniger progressiv als ihr es seid.
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Eure zweite Erklärung hingegen bin ich gänzlich anderer Meinung, aber das mag ebenfalls an meiner Haltung zu althergebrachten Werten und Wegen liegen. Eine Beleidigung, die öffentlich erfolgt ist, soll öffentlich entschuldigt werden oder durch ein Duell gesühnt. Eine Beleidung aber, die im Privatem erfolgt ist, sollte doch im Privaten entschuldigt werden. In einem solchen Fall, geht es doch eher um persönliche Ansichten als um einen Angriff auf die Ehre.
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Um welchen Fall handelt es sich denn nun? Wer war anwesend als die scheinbar so geheime Beleidigung ausgesprochen wurde?” Sein Kopf drehte sich Lares zu und der kalte Blick der dunklen Augen ruhte nun auf dem Mersinger.
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Lares hatte sich zurückgehalten - was aus seiner Sicht zu seinem Vorteil war. Nun nickte er.
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“Die Unterredung fand unter acht Augen statt. Die hohe Dame von Altenberg, der hohe Herr vom traurigen Stein, Eure jüngste Tochter und ich waren zugegen, euer Hochgeboren. Zwar fand die Unterredung während der Feier des gestrigen Tages statt, doch handelte es sich um eine Angelegenheit, die nur mich und den hohen Herrn vom Traurigen Stein sowie seine Verlobte belangte, sodass ich es selbstredend dabei bewenden ließ, keine weitere Person in diese Unterredung miteinzubeziehen. Nicht im Traume würde es mir einfallen, eine Angelegenheit zwischen zwei adeligen Herren - und nur zwischen diesen - zum Gespött der Leute zu machen.”
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"Die Unterredung fand nicht in einem Separee unter acht Augen statt, sondern an einer besetzten Festtafel auf einem Fest der Familie meiner zukünftigen Frau. Eure Zusicherung niemand anderes hätte es hören können, ist schlichtweg falsch. Das dürfte einem jeden hier klar sein, der schon einmal einem Bankett beigewohnt hat." Der Blick des Ritters war unbeeindruckt. "Ins Gespräch mit einbezogen habt Ihr sonst niemanden, das spreche ich Euch nicht ab."
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“Lasst es mich klarer formulieren: Wer außer euch, eurer Frau, herzlichen Glückwunsch im übrigen zum Traviabund, die Abfolge von Verlobung und Ehelichung scheint heutzutage ebenfalls schneller zu gehen als es mir meine Werte vorgeben, und meiner Tochter haben die Beleidigung vernommen?”
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Linnart musste unwillkürlich lächeln. “Nun der Mersinger hat die Worte an einem vollbesetzten Tisch ausgesprochen und ist auch sonst damit hausieren gegangen, wie mir im Nachhinein von mehreren Stellen zugetragen wurde. Mit mir hat er dann im Übrigen erst zum Schluss das Gespräch gesucht, nachdem er sein Gift schon versprüht hatte.”  Auf die Spitze des Barons mit der Hochzeit ging der Traurigsteiner nicht ein.
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“Gegen diese Unterstellung protestiere ich vehement”, fuhr ihm Lares dazwischen. “Dies entspricht schlicht und ergreifend nicht der Wahrheit. Momentan bin ich es, der unausgesprochene Anschuldigungen über sich ergehen lassen muss - von denen Ihr Euch nicht traut, diese offen auszusprechen. Dass die Angelegenheit, über die wir sprechen, Wellen geschlagen hat, das ist zutreffend. Doch denkt wohl darüber nach, wer diese Wellen geschlagen hat. Meint Ihr etwa, Tränen fließen ohne Zuschauer? Meint Ihr etwa, jeder und jede steht schweigend daneben und niemand frägt? Sollte ich lügen, wollt Ihr das von mir verlangen? Ich habe versprochen, über die Angelegenheit zu schweigen und ich halte meine Versprechen. Dreht mir hieraus keinen Strick, das ist unlauter."
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Der Ritter blickte sich um und wandte sich dann in ruhigem Ton Lares zu. "Ihr seht welches Aufsehen erregt wurde und was für ein Tratsch kursiert. Ich gebe nicht viel auf derlei Gewäsch, aber es hat die Runde gemacht. Das könnt Ihr nicht von der Hand weisen. Aber das haben wir schon an der Tafel besprochen."
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“Und genau dort hin gehörte diese Angelegenheit. Nicht hierher. Wir hatten diesbezüglich eine vernünftige Übereinkunft.”
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"Ich behandle Eure Fehltritte hier und heute sehr diskret, hoher Herr. Dasselbe Maß an Diskretion ließet Ihr allem Anschein nach vermissen."
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“Nun, seiner Aussage nach, hat er niemandem Zeit und Ort der heutigen Verabredung genannt. Insofern ihr und eure Frau dies auch nicht taten, wird dieser Umstand wohl ein Mysterium bleiben. Insofern jeder die Wahrheit spricht.” Ein süffisantes Grinsen zeigte sich auf den Zügen des Ritters: “Ich plädiere an dieser Stelle dazu, die Ehrverletzung hier nun öffentlich zu benennen. Denn ansonsten machen sich nur Gerüchte breit, die Gift sind für Praiosgefälligkeit, Ordnung und Wahrheit. Nichts kann dieses Gift besser bekämpfen als ehrliche Worte, wahre Worte. Da werdet ihr mir doch wohl als Diener des Götterfürsten nicht wiedersprechen?”
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“Fürwahr wohl gesprochen, doch dennoch kann ich Euch nicht folgen. Ihr meint es würde der Praiosgefälligkeit dienen Unwahrheiten über Adelige des Reiches, einer darüber hinaus Venerati Lumini in der Gemeinschaft des Lichts, zu verbreiten?” Linnart schob seine Augenbrauen zusammen. “Die Anschuldigung gegen den Herrn von Mersingen ist hinreichend bekannt und wurde auch von meiner … Verlobten … ausreichend artikuliert. Den genauen Wortlaut braucht es da nicht, meint Ihr nicht?”
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“Nein, das meine ich sehr wohl. Es geht im Übrigen nicht darum die Anschuldigung zu wiederholen, sondern seinen Wortlaut wiederzugeben. Der Unterschied zwischen dem Wiedergeben von Fakten und dem Wiedergeben von Beschuldigungen sollte euch geläufig sein. Ihr vertraut den Menschen nicht, dass sie dazu in der Lage sind zu differenzieren? Dann bedenkt, welche Auswirkungen es haben kann, bei diesen Schwachgeistigen, wenn die Entschuldigung wie eine hohle Phrase in der Luft hängt. Sie würden die Gefahr bergen, dass man an den Worten eurer Frau zweifelt, wenn sie sich weigert, den Wortlaut zu wiederholen. Es könnte so aufgefasst werden, als weigere sie sich, da sie womöglich etwas zu verbergen hat oder die Worte des jungen Mersingers doch nicht so haltlos waren. Und nicht nur ihren Worten auch den euren würde man denselben Zweifel zuteil werden lassen. Und das darf nicht passieren. Der Stand, den ihr vertretet, darf nicht beschmutzt werden. So sehr ich es bewundere, wie sehr ihr für eure Frau einsteht. Doch sagtet ihr ja bereits: In erster Linie seid ihr ein Diener des Götterfürsten und in zweiter Linie erst ein Mensch, mit den Bedürfnissen, die wir anderen haben.”
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“Zweifel an den Worten meiner Zukünftigen habt soeben Ihr gestreut, Hochgeboren. Indem Ihr diesen Gedanken in die Köpfe der Anwesenden gesetzt habt.” Er musterte Rajodan eindringlich. Etwas in Linnart sagte ihm, dass dies berechnend geschah. “Das heißt wenn ich über Euch ein böses Gerücht vernehme, muss ich dieses in die Welt tragen um der Praiosgefälligkeit genüge zu tun?” Er schüttelte sein Haupt. “Ihr habt Recht, es darf keinen Zweifel an der Wahrhaftigkeit unseres Standes geben. Da sind wir vollends d´accord. Und hätte ich Zweifel an den Beweggründen meiner Frau würde ich hier nicht stehen.”
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“Ihr unterscheidet nicht zwischen Klatsch und Aufklärung?” kam es zynisch zurück: “Glaubt mir, es gibt genügend böse Gerüchte über mich. Aber das ist etwas, was man hinnehmen muss, wenn man eine gewisse Größe hat.”
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“Ich gebe nichts auf derlei Gewäsch, solange es meine Integrität nicht in Frage stellt. Zweifelt man an mir, zweifelt man am Ornat … am Orden … an der Kirche des Götterfürsten. Bezichtigt mich ein Mann öffentlich des Wortbruchs und der Lüge, dann kann ich das nicht unbeantwortet lassen. Nicht um meinet Willen, denn eine jede dieser unlauteren Behauptungen lässt das Bild der Gemeinschaft des Lichts eines oder mehrer Gläubigen vielleicht ins Wanken geraten und das wäre ein viel größerer Schaden. Das versteht Ihr doch hoffentlich?” Er wartete keine Antwort ab. “Genauso verhält es sich auch mit meiner Verlobten. Jemand, der ihr unlautere und unrichtige Dinge unterstellt untergräbt ihre Integrität, ihr Ansehen und ihre Ehre. Diese unflätigen Behauptungen wieder und wieder zu wiederholen führt zu nichts anderem als, dass sie sich in mehr und mehr Köpfen manifestieren. Ihr wisst genau, dass es leichter gesagt als getan ist, die Menschen im Nachhinein vom kompletten Gegenteil zu überzeugen. Deshalb kann ich dem Wiederholen der schändlichen Worte des hohen Herrn hier und heute nicht zustimmen.”
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“Es ist bedauerlich, dass ein Mann der Kirche, es für gefährlich hält, die Menschen zu erhellen.” Missbilligung war aus den Worten des Barons zu hören. “So sehe ich nur eine Möglichkeit, besprecht in privatim mit dem jungen Ritter, was ihr von ihm verlangt. Er wird entscheiden, ob er darauf eingehen möchte. Und ihr darüber, welche Konsequenzen es nach sich zieht, wenn er es nicht tut”
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War das ein leichter Anflug von Naivität, oder wollte der Baron ihn provozieren. “Nicht jeder Geist ist für jedes Wort empfänglich, Euer Hochgeboren. Das ist gefährliches Denken, das, Praios sei es gedankt, wohl außerhalb der Nanduskirche nicht viele teilen. Dass Ihr es verstehen würdet und die richtigen Schlüsse ziehen werdet, glaube ich Euch und würde ich nie in Zweifel ziehen. Es hat jedoch seine Gründe warum die Kirche manches Gedankengut vom einfachen Volk fern hält.” Er seufzte und maß Durinja mit einem Seitenblick. “Was unsere Zusammenkunft und die zugrundeliegende … Meinungsverschiedenheit … angeht, wurde eine Einladung ausgesprochen, die der Herr von Mersingen allem Anschein nach angenommen hat.” Sein Blick lag immer noch auf seiner Verlobten. Es war ihre Forderung und ihre Entscheidung wie sie weiter verfahren würde. Sie war dazu in der Lage das selbst zu entscheiden.
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“Wenn jeder seinen Platz kennt und die praiosgefällige Ordnung aufrecht erhalten ist, bedarf es nur einem, der die richtigen Schlüsse zieht. Und ich würde nicht so weit gehen die Baronin dieser Lande derart zu beleidigen für diese Länder hier etwas anderes anzunehmen.” entgegnete der Eisensteiner lässig: “Daher scheren mich auch Gerüchte um meine Person nicht. Außerdem sei angemerkt, dass diese Umgebung nicht als privat angesehen werden kann. Aber womöglich ist das auch nur eine konservative Sichtweise. Und ihr seid ja eher progressiv, wie ihr ja eindrücklich dargelegt habt. Und damit kenne ich mich nicht aus.” so endete der Baron, trat einen Schritt zurück, so dass er zwischen seinen Töchtern stand und vergrub seinen kaltflammigen Blick erneut in Durinja. Diesmal allerdings auffordernd.
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“Nichts läge mir ferner als die hiesige Baronin zu beleidigen, doch geht Ihr, trotz Eurer konservativen Sichtweise, wohl etwas zu sorglos an diese Sache heran. Proaktiv zuzulassen, oder gar herbeizuführen, dass unflätige und jeglicher Grundlage entbehrende Äußerungen über die Angehörige eines alten, hier in der Stadt vertretenen Adelshauses und einen Diener des Götterfürsten öffentlich multipel wiederholt werden, kann und wird nicht zur Förderung und Erhaltung des Ansehens und Vertrauens der Menschen in Adel und Klerus beitragen. Ihr wisst wie schnell sich Gerüchte verbreiten und auch mutieren können. Ich lade Euch gerne noch einmal ein diese Unterhaltung in kleinem Kreis fortzusetzen. Ich verstehe Eure Sorge betreffend Eurer Tochter und bin gerne bereit Euch zu dieser Causa Rede und Antwort zu stehen.” Der Ritter hob seine Schultern und empfand, dass von seiner Seite aus genug Zeit mit Geplänkel vergeudet wurde. Das Wort sollten die Kombattanten haben.
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Durinja hörte aufmerksam zu. Die Einmischung des Barons von Eisenstein kam überraschend und ungeplant. ´Herr Phex, ich verstehe. Kein einfaches Spiel gönnst du mir.´ richtete sie die stummen Worte zu ihren Gott. Viel hatten die beiden Männer zu sagen und höflich wartete sie ab, bis die Möglichkeit da war, zu sprechen. Den kaltflammigen Blick des Barons beantwortete sie mit einem verletzten und traurigen Blick. “Danke eurer vielen Worte, euer Hochgeboren. Ich verstehe, dass es einige Unklarheiten für die Außenstehenden gibt, wobei ich natürlich den Wunsch meines zukünftigen Gemahls berücksichtigen werde und die genau Wortwahl des Junkers nicht wiederholen werde. Ich möchte aber auch betonen, dass ich nichts zu verheimlichen habe. Der hohe Herr von Mersingen hat in meine Anwesenheit meinem Verlobten niedere Beweggründe unterstellt, die Verlobung mit mir eingegangen zu sein. Ebenfalls hat er mir gegenüber wissen lassen, das ich bei der Wahl meines Verlobten wohl ´ein gutes Blatt´ gespielt hatte. Diese Brautschau war kein Spiel, noch waren niedere Beweggründe involviert. Ein Zeichen der Götter, ja des Herrn Praios, fügte unsere Verbindung. Nicht nur meinen Verlobten, sondern auch mir versuchte er etwas zu unterstellen. Nun, ich denke, das hat eine ordentliche und öffentliche Entschuldigung dem Haus ´vom Traurigen Stein´ und meiner Person verdient. Seine Beleidigungen wurden auch öffentlich, bei der Feier meiner Familie und unter hohen Gästen, ausgesprochen. Wie diese aber aussehen soll, liegt in der Hand seiner Wohlgeboren. Und falls er seine  genaue Wortwahl wiederholen möchte, ebenfalls.” Nun richtete Durinja ihren Blick auf Lares.
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Irritiert schaute der Junker von Trollpforz zu seiner Verlobten hinüber, dann schüttelte er sichtlich belustigt den Kopf. “Glaubt sie wirklich, dass das was sie vorbringt diese ganzen Wind rechtfertigt? Oder verharmlost sie alles mit ihrer blumigen Sprache, so dass es dem Sinn der möglichen Beleidigung nicht gerecht wird?”, sprach er ungläubig und hielt sich dabei auch nicht sonderlich zurück, so dass auch einige Umstehende ihn hören konnten- die Streithähne indes nicht, die waren mit sich selbst ausreichend beschäftigt.
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Aufmerksam hatte Melisande den Schlagabtausch verfolgt und sich dabei noch ein wenig näher an das Geschehen herangearbeitet. Das war ja schon ein veritables Duell gewesen, mit Worten zwar, aber deren Schärfe war nicht zu unterschätzen - auch nicht deren Auswirkung auf unbedacht davon getroffene Zuhörer, wie es hier so einige gab. Nun, dieses Duell war leider beendet, der Baron von Eisenstein hatte sich leider mit einem Unentschieden zufrieden gegeben und zurückgezogen. Und der Herr vom Traurigen Stein nutzte doch sehr offensiv seine Stellung als Bannstrahler als Deckung - um nicht zu sagen, er verstecke sich gar dahinter.
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Leider hatte das Streitgespräch nicht zur Erhellung der Sachlage beigetragen, auch Durinjas Einlassung danach fasste eher die umlaufenden Gerüchte zusammen, als dass sie die Fakten, also die tatsächliche Beleidigung, darlegte. Viele der Zuschauer, die nicht auf der Brautschau zugegen gewesen waren und daher auch nicht das wenige aufgeschnappt hatten, das ihr selbst dort zu Ohren gekommen war, würden sich nun weiter auf bloße Gerüchte bei der Einschätzung der beiden Kombattanten verlassen müssen.
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Nun, sei es drum, das war nicht ihr Problem. Aber der Besuch hier hatte sich schon gelohnt, hier konnte man etwas lernen - so oder so.
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Was redeten die da so viel? Doratrava wurde aus dem hochtrabenden Geschwafel nicht recht schlau. Gut, der Baron verteidigte den Mersinger, vielleicht weil die Tochter des Barons seine Knappin war. Und der Traurigsteiner verteidigte seine Verlobte, was ja kaum anders zu erwarten war. Nur wieso man da so viele Worte dafür brauchte, konnte die Gauklerin nicht nachvollziehen. Es war ganz erstaunlich, wie viele Worte in Garethi man hintereinanderreihen konnte, so dass zwar ein korrekter Satz entstand, der aber keinerlei Sinn transportierte - zumindest keinen, dem sie folgen konnte. Nun ja, die Welt des Adels war eben noch immer fremd für sie. Ob die Adligen wohl manchmal vor einem teuren Glasspiegel standen und solche Reden einübten? Sie musste ein wenig kichern bei dem Gedanken.
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“Alana”, wandte sie sich an die Kriegerin, “was reden die da? Und was meint wohl Durinja mit ‘niederen Beweggründen’? Und der Mersinger guckt, als hätte er was Unrechtes gegessen und sagt gar nichts dazu!”
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Es juckte sie ja in den Fingern, den beiden einen ganz besonderen Wettstreit vorzuschlagen. Dolruchas, der Messerwerfer der Gauklertruppe, die sie als Kind aufgenommen und von dem sie selbst dieses Handwerk erlernt hatte, hatte es immer ‘das Urteil des letzten Gerichts’ genannt, vielleicht weil dem einen oder der anderen, welche sich diesem unterzogen hatte, anschließend die letzte Mahlzeit nochmals durch den Kopf gegangen war. Auf jeden Fall ging es darum, dass dann, wenn zwei Streithähne sich gar nicht einig wurden, Dolruchas ihnen nahelegte, sich nacheinander vor die Scheibe zu stellen, die er bei seinen Vorführungen benutzte. Dann ließ er sich die Augen verbinden und warf einen seiner Dolche auf die Scheibe. Wer stehenblieb, bis der Dolch steckte, hatte den Streit gewonnen. Blieben beide stehen, was selten vorkam, dann riet er ihnen, einen Trinken zu gehen und sich wieder zu vertragen.
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Doratrava lächelte versonnen, aber natürlich traute sie sich nicht, diesen Vorschlag wirklich zu machen.
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Tatsächlich verschwand Alanas Lächeln und nun fasste sie ihr Schwert enger. Die Einmischung des Barons kam unerwartet. Sollte es doch zu einem Duell kommen? “Hmmm, ich habe keine Ahnung. Aber er muss wohl ordentlich unter die Gürtellinie gegriffen haben der Junker.  Jetzt heißt es abzuwarten.” sagte sie vorsichtig.
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Doratrava seufzte. Das alles hörte sich nicht nach einem schnellen Ende an. Und der Unterhaltungswert hielt sich bis jetzt auch sehr in Grenzen, zumindest für sie. Sorgenvoll registrierte sie Alanas Reaktion und wurde auch wieder ernster. “Ja”, war ihre knappe Antwort.
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Endlich - so empfand es Ringard - hatte sich mit Durinja wenigstens eine der beiden Personen wieder zu Wort gemeldet - oder eher: war am Ende oder in einer Pause des Wortgefechts Linnarts mit dem Baron von Eisenstein doch noch zu Wort gekommen - um die es heute eigentlich ging. Dass Linnart sich für seine Verlobte in die Bresche warf, war aus Sicht der jungen Tannenfelserin angesichts der Angriffe des Eisensteiners nur zu verständlich, zumal sich diese ja auch mehr oder weniger direkt auch gegen ihn richteten. Im Gegenteil: Ein anderes Verhalten des Traurigsteiners hätte sie sogar schwer enttäuscht.
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Enttäuschend war aber auf jeden Fall der Auftritt des Mersingers, der das Feld weitgehend seinem hochadligen Fürsprecher überließ, anstatt selbst für sich einzutreten. Wahrscheinlich wäre der Junker nicht imstande, rhetorisch eine auch nur annähernd so gute Figur abzugeben wie der Vater seiner Pagin, und verließ sich daher voll auf dessen unleugbaren Künste im Argumentieren und Worte-im-Munde-verdrehen - selbst ihre eigene Mutter hatte am Morgen nach der Brautschau Andeutungen über jene verloren.
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Noch immer hoffte der sensationslüsterne Teil in ihr ein bisschen, dass der Mersinger aussprechen würde, war er am Abend der Brautschau genau abgelassen hatte, aber wahrscheinlich war es wirklich besser, wenn dies nicht coram publico geschah.
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In jedem Fall fieberte Ringard bei den Wortgefechten davor ebenso mit wie dem Wettkampf, wegen dem sie eigentlich hier waren, entgegen, was vor allem Amiels bereits mal mehr, mal weniger fest massierte Hand zu spüren bekam.
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"Jetzt soll auch der Mersinger endlich mal selbst reden!" entfuhr es ihr in dieser Anspannung auf Durinjas Rede hin, ein wenig zu laut, als dass es nur sie oder Amiel hätten hören können.
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Was für Umstandskrämer! Nun hatten sich schon alle versammelt und kamen endlich mal wieder in den Genuss eines, wenn auch improvisierten, Schauspiels, da begann man schon am Anfang, wie auf einem Hühnerhof, die Worte zu zerpicken, jämmerlich zu gackern oder lauthals zu krähen. Hoffentlich war man sich nun endlich klar, dass man anfangen konnte. Mist, sie wollten ja mit denen vom Traurigen Stein gemeinsam nach Elenvina, früher konnte man also auch nicht weg. Aber nun schien das Vorspiel vorbei. Froh lehnte Sina sich gegen Aureus und wartete weiter ab, ob man das Körnchen, das zu verteidigen wert war, gefunden hatte und sich weiter stritt. Eine zu pöbelige Vorstellungen, doch hoffte sie für Durinja, dass Linnart seine Zunge bei sonstigen Vorspielen besser einsetzen würde. Sie wirkte noch arg verkrampft.
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Der Baron von Eisenstein war unzufrieden mit dem Ausgang des Gespräch. Mehr als das. Er war weder blind noch taub gewesen, aber ihn interessierten diese Ränkespiele des Niederadels mitnichten. Durinja war in seinen Augen jemand, der genau wusste, was sie wollte und alles tat um es zu bekommen, unabhängig, wem sie damit schadete. Linnart ein verblendeter Diener des Götterfürsten, der seine Worte so anpasste, dass ihm selbst nicht einmal auffiel, dass er auf dem Altar Travias oder Rahjas die Werte des Praios opferte, weil er die Befindlichkeiten seiner berechnenden Verlobten persönlich höher schätzte als die Werte des Götterfürsten. Immerhin hatte er es geschafft, dies vor sich selber zu verbergen. Und dann war da der Mersinger, unbeherrscht, jung, der Wahrheit verhafteter als der Diplomatie. Mit einem guten Herzen. Weshalb er sich auch so freudig seinem kleinen Dämonenbraten angenommen hatte. Mit heraufgezogenem Mundwinkel sah er auf Basilissa hinab.
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Es gab vier Menschen, die in jedem Fall genau gehört hatten, was los war. Der Traurigsteiner, der sich weigerte zu sprechen, weil er glaubte, es sei Praios dienlicher zu schweigen. Die Altenbergerin, die dieses Schauspiel und die Inszenierung viel zu sehr genoss, der Mersinger, der ein viel zu gutes Herz hatte, willentlich andere zu verletzten (Das passierte bei ihm wohl immer mehr als Kollateralschaden), und seine Tochter.
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Kalt lag sein Blick immer noch auf dem Kind, das sichtlich nervös versuchte, diesem auszuweichen. “Komm mal mit hier herüber, Basilissa.” befahl er und ging mehrere Schritt zur Seite, genau in Richtung des wartenden Pöbels. Das Kind sah angstvoll zu Lares hinüber und zu seiner Schwester, die missbilligend die Stirn runzelte, aber der Jüngeren zum Vater folgte.
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Dieser hatte nicht vor etwas heimlich zu tun, sondern sprach abseits der Streitenden zwar, dennoch aber laut genug, um Ohren zu erreichen, die dafür empfänglich waren:
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“Was lehrte ich dich über die Wahrheit?” fragte er die Kleine streng.
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Mit hochrotem Kopf sah Lissa abwechselnd zu Lares hinüber, zu ihrer Schwester und auf den Boden.
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“Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche.” ertonte darauf streng ihres Vaters Stimme und das Kind sah zu ihm auf. “Die Wa...Wahrheit ist das höchste Gu..ut, das wir haben. Sie….steht in ih..rer Ab...Absolut...utheit über allem.” Rajodan grinste. “Sehr schön. Und was lehrte ich dich über deine Verpflichtungen gegenüber der Herrin Travia?” Wieder glitt ihr Blick zu Boden als würde sie das Ende bereits erahnen: “Die Herrin verlangt, die Familie zu ehren. Den Gatten. Dyn...dynastische Treue für das Ehebe..bett. Die Eltern zu ehren und.. Und ihnen zu gehorchen.” Rajodans Wundwinkel zogen zufrieden nach oben: “Ich möchte nun, dass du mir erzählst, was du dort gehört hast, in dieser Situation, um die es geht.” Das Kind, das nervös von einem auf das andere Bein gestiegen war, verharrte angespannt. Hin und her gerissen. Ohnehin unsicher aufgrund der gesamten Situation. Und schwieg, panisch zu Lares hinüberschauend. Was würde er denken? Würde er sie fortschicken, wenn wegen ihr die Sache anders liefe, als er es wollte. “Hat dein Schwertvater dir vermittelt, dass es falsch ist die Wahrheit zu sagen?” “Nein!” entfuhr es dem Kind, “Hat er dir vermittelt, dass es falsch sei, seinem Vater zu gehorchen?” Mit Blick auf den Boden schüttelte Lissa das Haupt. “Warum sprichst du dann nicht?” Der Baron wusste, dass seiner Tochter am Ende nichts übrig bleiben würde.
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“Vater, ist das denn.. Nötig?” versuchte Luzia vorsichtig Partei zu ergreifen. “Und du bist der Meinung die Wahrheit könne ein Fehler sein?” Luzias Blick senkte sich und sie schüttelte den Kopf.
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“Nun denn, Kind, sprich.”
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"Jetzt redet schon wieder nur der Baron von Eisenstein auf Linnart ein. Und dann will er auch noch seine kleine Tochter ins die Schlacht werfen! Unsäglich, findest Du nicht auch?" befand Ringard leise in Richtung Amiels.
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“Euer Hochgeboren, haltet ein!”, presste Lares zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor. “Eure Tochter hat keinen Anteil an diesem Schauprozess.”
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Wenigstens zeigte der Mersinger in dieser Sache Anstand! Wenn er jetzt noch das ganze Vorgeplänkel beenden und endlich für sich selbst sprechen würde, könnte er ein wenig Achtung Ringards zurückgewinnen.
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Der Blick des jungen Bannstrahlers lag auf dem unwürdigen Schauspiel des Eisensteiners, dem es nun allem Anschein nach nicht zu blöd war, seine Tochter dem anwesenden Pöbel vorzuführen ... wie einen kleinen, tanzenden Rahjatänzer im Tempel zu Belhanka. Wenn ein Baron der Nordmarken sich selbst und seine Tochter vor dem gemeinen Volk derartig herabwürdigen wollte, konnte er das nicht unkommentiert lassen. Hier ging es schließlich nicht nur um seine Integrität, sondern auch um die des involvierten, von Praios erhobenen, Adels. "Ihr unterstellt also den hier Anwesenden Unehrlichkeit und führt jetzt Eure achtjährige Tochter der Menge vor? Was erwartet Ihr Euch davon? Außer, dass Ihr Euch und Eure Familie mit solcherlei Darbietungen zum Stadtgespräch macht und dieser ganzen Sache, die nie in einer solchen Runde diskutiert werden sollte, noch größere Aufmerksamkeit zukommen lässt? Der Herr Praios hat einem jeden Menschen auf dem Dererund seinen Platz zugewiesen. Seine Ordnung ist der Stützpfeiler unseres Lebens. Wenn Ihr meint, dass das Verbreiten von falschen Anschuldigungen gegen meine Person, oder die meiner Verlobten irgendetwas mit unserer vom Herrn gegebenen Pflicht zu tun hätte, dann ist dies aufs Schärfste zu verneinen." Linnarts Blick war streng, er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Lares. "Der Herr von Mersingen soll seine Worte wiederholen. Beendet diese Farce und die Nötigung Eurer kleinen Tochter. Das ist vor diesem Publikum eines Angehörigen des Hochadels unwürdig." Dass der Traurigsteiner in seinen Augen so ziemlich alles an Achtung verloren hatte, die er für den Baron hatte, wurde vielen der Umstehenden klar.
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“Ich unterstelle keine Unehrlichkeit. Das habe ich mit keinem Wort getan, nicht wahr? Eure Aussage könnte allerdings dahingehend aufgefasst werden, dass ihr dazu neigt Beleidigungen in etwas hineinzulesen. Darüber hinaus gebe ich zu Bedenken, dass es eure Verlobte war, die diesen Ort und diese Zeit wählte. Nun den Ort als Entschuldigung zu nehmen, der Aufklärung entgegen zu stehen, wirkt etwas irritierend. Und da für euch die Anwesenheit des Publikums eine solche Relevanz hat, bedenkt, wie so etwas von diesem interpretiert werden könnte. Aber ansonsten stimme ich euch zu: So lasst nun endlich den Mersinger den Wortlaut wiederholen. Auch ich bin der Meinung, dass das würdiger ist als einem Kind aufzubürden als einziges eine Aufklärung mit Hilfe von Fakten herbeizuführen.”
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"Mit Eurer Annahme, es gebe hier etwas aufzuklären, unterstellt Ihr mir sehr wohl Unehrlichkeit. Ich habe Euch zuvor versichert, dass der Grund für eine Entschuldigung vorliegt." Linnart ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. "Auch ich bin mit dem Umfeld, indem diese Diskussion geführt wird alles andere als glücklich. Doch hatten die Äußerungen des Herrn von Mersingen wohl so hohe Wellen geschlagen, dass sich ein derartiger Auflauf nicht vermeiden ließ. Auch der Ort hier vor der Stadt ist nicht unbedingt diskret zu nennen. Die Menschen haben Augen im Kopf." Der Blick des Ritters löste sich vom Baron und lag nun auf Lares. "Es wäre das Recht des hohen Herrn gewesen, diese … Forderung … auszuschlagen. Dennoch stehen wir hier und bringen nun schon ein halbes Stundenglas damit zu unsere Namen und unser Ansehen mit Füßen zu treten. Das ist eine Sache zwischen meiner Verlobten und dem Herrn von Mersingen. Ich sehe in dieser Zusammenkunft weder einen Rechtsbruch noch verstößt die Forderung einer Entschuldigung gegen die guten Sitten. Auch ein Wettkampf unter Gleichen … mag zwar außergewöhnlich sein, doch ist es alles andere als verwerflich. Ich habe es Euch schon dreimal angeboten, Euch diese Sache in kleinem Rahmen darzulegen, auf dass Ihr Eure Schlüsse daraus ziehen mögt. Nun soll der Mersinger seine unflätigen Behauptungen gegen zwei unbescholtene Adelige des Herzogtums wiederholen, so er das möchte."
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“Nun die Annahme, es gäbe etwas aufzuklären entstand beim Verfolgen des Gesprächs und der Einwürfe des jungen Mersingers. Ich denke daher nicht, dass man von einer Unterstellung sprechen kann. Wieder allerdings wirft euer Einwand die Frage auf, ob ihr eine Neigung habt, in Dinge etwas hineinzuinterpretieren, was vom Sprecher gar nicht gesagt wurde und womöglich nicht gemeint war. Und ich habe mich nicht verweigert euch an einen privaten Ort zu begleiten. Ihr legtet dar, die Beleidigung sei offen verkündet worden und solle offen entschuldigt werden. Dies war wie sich nun herausstellt wohl aber vielmehr die Meinung eurer Gattin, der ihr aber offenkundig nicht zu widersprechen gedachtet, als sie den Ort wählte. Da sie nun diese Wahl traf, muss sie die Konsequenzen tragen und da ihr ihr dabei nicht widerspracht, ihr auch.
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Aber nun lasst uns doch eurer Entscheidung folgen und den Mersinger zu Wort kommen.”
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Linnart lächelte daraufhin wortlos. Der Baron lehnte sich für den paranoiden Schwertvater seiner Tochter weit aus dem Fenster. Nun war der Mersinger am Wort. So dieser bei seiner alternativen Wahrheit blieb und ihn hier vor allen als ´notgeilen Mann´ und seine Frau als ´falsche Schlange´ bezeichnete, die einer anderen den Verlobten ausspannte und mit der sich ein Mann bloß wegen ihrer Optik verbinden würde - wiewohl eine solche Verlobung oder dahingehendes Versprechen niemals vorlag ... wenn er wiederholte, dass er ihn, einen Diener des Götterfürsten, Wortbruch und Lüge unterstellte, ohne das beweisen zu können … es würde dem Mersinger und dem Baron gleichermaßen zur Schande gereichen, aber sie wollten die Schmutzwäsche ja unbedingt vor dem Pöbel waschen.
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Lares von Mersingen nickte bedächtig. Endlich würde er wieder ein wenig Kontrolle über die Situation zurückgewinnen dürfen. “Gut. Bisher band mich eine Übereinkunft unter vernünftigen Edelleuten, die Worte zu wiederholen, die gefallen sind. Diese Übereinkunft ist wohl nunmehr hinfällig. Nachdem wir uns hier treffen, weil Ihr, hohe Dame von Altenberg, ein Satisfaktionsbedürfnis hegt, so werde ich wiedergeben, was ich zu Euch sagte.” Lares wandte sich demonstrativ vom Traurigsteiner ab. Dieser hatte hinlänglich bewiesen, dass er weder zu Einsicht, noch zu irgendeiner Form des offenen Worts fähig war, sondern sich die Welt zurecht legte, wie sie ihm gefiel. “Wenn Euer Verlobter sich selbst in seiner Ehre gekränkt fühlt, so möge er das vortragen und mir dann erläutern, wie dies möglich ist, wo er mich doch ausdrücklich bat, offen mit ihm zu sprechen. Also.” Lares sinnierte einige Momente, wobei sich seine Lippen stumm bewegten, als rekapitulierte er das Gespräch im Geiste. “Hohe Dame von Altenberg, ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zur Verlobung zu gratulieren. Eure Bemühungen waren erfolgreich. Dafür habt Ihr Anerkennung verdient. Ihr habt Euer gutes Blatt richtig gespielt und einen passenden Gegner gefunden. Ich hoffe, Eure Entscheidung trägt die gewünschten Früchte.” - Lares pausierte rhetorisch - “Das war, was ich zu Euch sagte. Wie ich bereits am vorgestrigen Tage betonte, waren diese Worte aufrichtig. Euer Erfolg gibt Euch Recht. Sollten diese Worte missverständlich gewesen sein, so sei mir verziehen - dafür entschuldigte ich mich ebenfalls bereits am vorgestrigen Tage postwendend. Weitere Worte über diese Entschuldigung hinaus richtete ich nicht an Euch.” Lares zuckte mit den Achseln. Sollte der Bannstrahler seine Fehltritte des vorgestrigen Tages zum Gegenstand der öffentlichen Debatte machen. Wenn er das wollte, nur zu. Doch ob er sich die Sympathie der Anwesenden würde bewahren können, wenn seine Tändelei mit zwei Damen am selben Tage bekannt würde, das war zweifelhaft. Doch der Mersinger hatte auch diesbezüglich versprochen, Stillschweigen zu bewahren - soweit er dies eben konnte. Und Lares hielt seine Versprechen. Doch am Ende des Tages war er ein Mersinger. Und für diese galt: Nichts wird kälter serviert als die Rache und der Tod.
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Auf Linnarts Zügen zeigte sich ein Lächeln, doch schwieg er. Innerlich überlegte der Ritter jedoch, ob es ihm zur Ehre gereichte, oder sorgen sollte, dass der Mersinger so sehr auf ihn fixiert war. Der junge Mann war allem Anschein nach unaufmerksam gewesen, sonst wüsste er, dass der etwaig gekränkte Stolz des Bannstrahlers hier nicht das Thema war. Was kümmerte es die Eiche, wenn sich eine Sau dran rieb?
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'Das kann doch niemals alles gewesen sein.' sinnierte Ringard. 'Falls doch, hätte Durinja sicher niemals diese Forderung geschrieben.'
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“Ich verstehe.” sagte Durinja kurz und knapp und senkte den Blick. Nun schlich sich ein leicht wütender Zug um ihren Mund und ihr Blick traf dann Lares hart. “Junker Lares von Mersingen. Noch immer verkennt ihr die Situation. Eure Glückwünsche waren nicht beleidigend, auch wenn eure Worte, besser gesagt der Unterton, der mitschwang, wirklich missverständlich war.” Sie zog die Luft scharf ein. “Und wie in meinem Schreiben an euch klar formuliert ist: Ich fordere keine Satisfaktion. Eine ehrlich gemeinte Entschuldigung meinem zukünftigen Haus und mir gegenüber. In Wort oder in Form eines ordentlichen Wettstreits. All das, um euch entgegen zu kommen. Doch wie es scheint bin ich nicht mehr als eine einfache Magd für Euch. Nach euren Glückwünschen seid ihr dazu übergegangen, meinen Verlobten zu beschimpfen. Eure Worte waren aus eurer Sicht vielleicht nicht an mich gerichtet, doch was bin ich? Ein Diener, der zu Schweigen hat? Ein Baum? Ein Möbelstück? Nur weil ihr Euer Gesicht in die Richtung meines Verlobten gedreht habt, bedeutet das, dass ich nichts mehr höre? Eure Worte waren durchaus auch an mich gerichtet. Die Beleidigungen, die ihr öffentlich meinem Verlobten entgegenbrachtet, werfen auch ein schlechtes Licht auf mich. Offensichtlich sollte ich sie auch hören. Und ihr habt euch auch angemaßt für mich und eine anderen Dame zu sprechen. Was gab euch das Recht dazu? Wenn euch die Ehre einer Frau am Herzen liegt, euch gar eine Tugend ist, habt ihr denn auch gefragt, ob diese das denn auch wollten? Und warum konntet ihr nicht warten bis ich nicht mehr anwesend war? Oder hat aus eurer Sicht eine Frau zu schweigen?“ Durinja suchte die Blicke der Frauen in der Masse. “Aber mit einer ehrlichen Entschuldigung hier und jetzt können wir das bereinigen. Oder ohne Worte mit einem Wettstreit, denn eine Frau, eine die nicht am Schwert gelernt hat, hat auch andere geschickliche Talente.” Herausfordend  wartete sie auf des Mersingers Antwort.
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Linnart war während ihrer Rede neben Durinja getreten und griff dann nach ihrer Hand. Es waren sehr unaufgeregte Worte und sie kratzte dabei auch nicht jene großmundigen und unflätigen Behauptungen des Mersingers von vorgestern an. Er konnte damit leben, wiewohl es ihm klar war, dass die Wortmeldung des Mersingers - entweder er war naiv oder stellte sich absichtlich dumm - und seiner Verlobten die sensationslüsternen Gemüter, allen voran den Gockel von Eisenstein, nicht befriedigen würden. Dennoch wollte er nun an ihrer Seite stehen, was auch immer für Anschüttungen in Gegenwart des Pöbels folgen würden. Kurz ging sein Blick hinüber zu Andesine, die, warum auch immer, ebenfalls anwesend war. Eine Tatsache, derer Linnart sich erst jetzt gewahr wurde. Auch ihretwegen sollte der vorgestrige Tag hier vor den einfachen Leuten und auch den anwesenden Adeligen nicht unbedingt zur Gänze ausgerollt werden - zuviel Kummer hatte er ihr schon bereitet, weshalb er sich dafür einsetzen würde es zu verhindern. Sie sollte nicht auch noch zum Stadtgespräch werden.
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'Aha, da war also noch mehr.' Jetzt hätte Ringard doch zu gerne alles gehört, was vorgestern gesprochen wurde. Aber alleine das verdruckste Antwortverhalten des Mersingers gab Durinja doch unfreiwillig Recht. Jedenfalls war sie gespannt, ob dieser die Herausforderung ihrer Schwägerin nun endlich annehmen würde, oder sich weiter durch lange Worte seines Fürsprechers, jedoch ohne eigene Entschuldigung, herauswinden lassen wollte. Denn eine Entschuldigung, darin war sich Ringard sicher, würde jenem wohl ganz sicher nicht mehr über die Lippen kommen. Zumindest keine ohne ‘Wenns’ und ‘Abers’ und irgendwelche Hintertürchen.
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Sie sah hinüber zu Durinja. Diese war ganz anders gestrickt als sie selbst - viel härter auf jeden Fall und wohl auch viel stärker. Ob sie auch so sein konnte? Ob sie das überhaupt wollte? So stark sein auf jeden Fall. Aber auch so hart? Einerseits bewunderte sie ihre Schwägerin dafür, hier ihr Recht einzufordern, ihren Willen durchsetzen zu wollen. Andererseits fragte sie sich so langsam, wohin das ganze führen würde. Und ob das ganze am Ende nicht doch zu weit ging, mehr Schaden anrichtete als es gut machte. Am Ende würde und musste es der Abend zeigen.
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Gezelda von Ulmentor war beeindruckt. Ein Duell nach ihrem Geschmack - mit Worten und ohne Waffen. Auch wenn sie wusste, dass diese Durinja einen berechnenden Charakter hatte, war sie überzeugt. Oft wurden die Fähigkeiten einer Frau, einer Frau die nicht im Waffenhandwerk ausgebildet wurde, unterschätzt. Auch wenn der junge Ritter hier ein Opfer war, stand er doch für all jenige, die Frauen mundtot machen wollten. Ihr Blick wanderte zu dem Baron. Er war ein solcher.  Auch wenn sie nach der Brautschau eine lustvolle Nacht verbrachten, hatte Gezelda ihn durchaus erkannt. Ihn als Spielzeug zu betrachten, machte es einfach zu genießen. Doch jetzt spürte sie eine Wut in sich aufkeimen.
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Der alte Advocatus, Durinjas Vater, hielt sich im Schatten des Uhlenturms verborgen und betrachtete alles aus der Ferne. Er musste zugeben, er bedauerte es nun sehr, seine Tochter nicht an die Rechtsschule geschickt zu haben. So viel Potenzial. Im Gegensatz zu ihrem Bruder. Die Sache wurde immer interessanter. Würde sie es schaffen, eine öffentliche Entschuldigung zu bekommen? Dann fiel sein Blick auf die Zofe Melisande. Ja, eine interessante Person. Die Blicke, die Neugierde, all das kam ihm bekannt vor. Als sie in seine Richtung schaute, winkte er ihr zu.
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Ach - da war er ja doch, Tassilo von Altenberg. Es hätte Melisande auch sehr gewundert, wenn er sich die Vorstellung seiner Tochter hätte entgehen lassen. Sie lächelte still, aber ein wenig bedauernd in sich hinein, als sie ihre Schritte zum Uhlenturm lenkte. Das führte sie leider dort aus der unmittelbaren Hörweite der unmittelbaren, aber eben auch mittelbaren Streithähne.
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Auf dem kurzen Weg sinnierte sie über Lares’ und Durinjas Aussagen. Wenn Lares von Mersingen tatsächlich nur die eben von ihm vorgetragenen Worte gesprochen hatte, dann war darin für Außenstehende schwerlich eine Beleidigung zu erkennen. Doch sie wusste selbst, wie wenig reine Worte ausdrückten, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Diesen Zusammenhang hatte Durinja versucht darzulegen, doch inwieweit sie dies ehrlich und objektiv getan hatte, vermochte niemand hier zu beurteilen. Melisande hatte da so ihre Vermutungen.
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Im Schatten des Uhlenturms angekommen und damit den Blicken der meisten Anwesenden entzogen, nickte sie Tassilo zu. “Phex zum Gruße, Herr von Altenberg. Ich habe mich schon gewundert, wo ihr Euch versteckt”, grüßte sie den Advocaten lächelnd mit leicht ironischem Unterton.
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Tassilo beantwortete das mit einem kurzen und leisen Lachen. “Heute sind andere dran, gesehen zu werden.”, sagte er verschwörerisch. “Ich bin gespannt ob der Junker sich auf ein Wettstreit einlässt. Denn dann stehen seine Chancen wirklich schlecht, in einem besseren ´Licht´ dar zu stehen.” flüsterte der Advocatus.
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Etwas verwirrt blickte Melisande ihn an. “Wie meint Ihr das?” Dann erhellte sich ihr Gesicht. “Ah, Ihr wisst vermutlich, welchen Wettstreit Eure Tochter im Sinn hat. Wollt Ihr mich erleuchten?”
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Er blickte hinauf zum Turm. “Ich kann mir das Klettern gut vorstellen oder,”Nun wanderte der Blick zum Fluß,” das Tauchen oder schwimmen. Mit dem Wurfdolch ist sie auch sehr gut. So etwas.” amüsiert schaute er Melisande an. “Mir ist auch zu Ohren gekommen, das ihr mit verantwortlich für diese Ideen wart, so wie die Artigas.”
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“Ich?” Melisande war überrascht. “Also … ja, Durinja hat uns Zofen mal um Rat gefragt in dieser Sache. Aber ich habe ihr nur vorgeschlagen, des Mersingers Waffenwahl abzuwarten, um dann einen angemessenen Stellvertreter zu bestimmen, oder zu signalisieren, auf jeden Fall selbst in den Ring zu treten, damit der Mersinger, bei seiner Ehre gepackt, keine Waffe wählen kann, die ihr gegenüber unehrenhaft wäre, um sich nicht lächerlich zu machen. Das mit dem Wurfdolch hat Durinja selbst aufgebracht. - Nun ja, aber bis jetzt wird ja nur geredet, sogar von nur indirekt Beteiligten. Ich bin mir gar nicht sicher, ob es am Ende zu einem Wettstreit kommt.” Tassilo lächelte nur. “Nun heißt es abwarten.” Dann richtete er den Blick wieder auf die Streithähne.
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Fast von den meisten nicht gesehen, war der hagere Mann in schwarzer Robe. Karolan von Henjasburg stand etwas abseits, kaum von den Fackeln beschienen und betrachtete diese Zusammenkunft regungslos, aber aufmerksam. Der Hüter des Raben war der Wächter des Tempels des schweigsamen Gottes Boron, der sich in den Kellergewölben des Uhlentums befanden. Seine Gemahlin, die Vögtin von Schweinsfold, hatte ihn von der Herausforderung der beiden Adligen erzählt und war überrascht, das der Turm als Treffpunkt ausgewählt wurde. Normalerweise hatte er nichts übrig von den Dünkeln der Adligen. Er selbst stammte aus einem weidner Adelshaus, doch liefen Dinge dort anders. Nur der Bitte seiner Frau folgend gesellte er sich zu dieser Versammlung. Die Baronin, seine Nichte, wollte sicher gehen, das zumindest eine Götterdiener ein Auge auf dieses Geschehen hatte. Der Name Mersingen war Karolan natürlich ein Begriff, sowie der Baron von Eisenstein. Die hiesige Tempelmutter der Travia trug den Namen Altenberg, doch die Traurigensteiner waren ihm neu. Fast wäre  der Geweihten Boronsfür die meisten aufgefallen, den ein großer, schwarze Kolkrabe flog  mit einem lauten Krächzen über sein Kopf hinweg.
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Es wurde mehr und mehr zu einem schlechten Schauspiel, bei dem sich alle Beteiligten der Lächerlichkeit preisgaben. Wie tief konnten Adelige sinken solche Reden vor dem einfachen Volk zu schwingen- begriffen sie nicht, dass sie damit ihre von Praios verliehene Autorität untergruben? Thankred schüttelte wiederholt den Kopf über solche Geistlosig- nein Schwachsinnigkeit, diesmal mit einem süffisanten Lächeln um die Mundwinkel. Sollten sie sich weiter mit Dreck bewerfen. In ihm reifte die Entscheidung sich diese durch und durch jämmerliche Darbietung nicht bis zum Ende anzusehen, das war unter seiner Würde.
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Währendessen liefen die Gedanken des Eisensteiners in eine ähnliche Richtung. Der Mersinger Heißsporn würde das an Vorteil verspielen, was er nach Rahjodans Meinung hatte. Und diese “Dame” schien sich besser auf dem Parkett der Intrige zu bewegen als Linnart und Lares zusammen. Das waren die Gründe, die ihn im Moment noch zögern ließen, zu gehen. Die vorgeblichen Einstellungen des Praioten entsetzten ihn zudem. Wie konnte ein Mann der Kirche ein Problem mit der Wahrheit haben und der Wahrheitsfindung. Innerlich schüttelte der Baron den Kopf. Vermutlich war dieser Linnart auch einer von denen, denen dieser merkwürdige Ort die Sinne verwirrt hatte. 13 Verlobungen! Musste man mehr wissen? Und dazu überwiegend von sich Fremden. Das hätte es zu seiner Zeit nicht gegeben. Eine Ehe war ein Vertrag. Lebenslang. Ohne Austrittsoption. Zumindest meist. Da sollte man bedächtig vorgehen. Alles genau prüfen. Wie es üblich war. Früher zumindest war es so. DIese modernen Zeiten!
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Dazu kam diese Frau auf die Idee eines Wettstreits!! Wie LÄCHERLICH! Nicht nur war sie eine Frau und hatte in seinen Augen bereits ausreichend gezeigt, was das bedeutete: Schwach, weinerlich, nicht fähig logische Schlüsse zu ziehen, einzig aufgrund der verwirrenden Gefühlswelt, in der Frauen spätestens nach der Geburt eines Kindes lebten, und die sich mit jeder weiteren Geburt nur weiter ins Absurde bewegte.
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Nein, das war es nicht alleine. Dieses Exemplar dort trat unter den Augen ihres Vaters, der wohl wie die ganze Altenberger Baggage Advocatus war, und dieses Linnarts, der Praios diente, nicht nur die alt hergebrachten Sitten mit Füßen, nein auch das Gesetz selber! Und anstatt ihr diese Aktion hier auszureden, wie man es hätte erwarten können von jedem vernünftigen Menschen, und erst recht von einem Advocatus und einem Praiosdiener, unterstützten diese beiden dies auch noch!
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Egal wie oft er alles überdachte, dieser Linnart schien von Rahja oder Mada so geküsst zu sein, dass er seinen Verstand vergessen hatte. Sich nicht zu schämen, wenn die Verlobte, noch nicht einmal Mitglied des gleichen Hauses,  einen anderen Kämpfer zu einem lächerlichen Wettstreit zu forderte, um die Ehre des Kämpfers zu rächen, der selber dazu darauf keinerlei Wert legte!
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Dieser ganze Ort war merkwürdig, dieses ganze Gebaren, diese kurzsichtigen Entscheidungen. Er würde mit der Baronin sprechen müssen. Sie musste das aufklären, womöglich waren hier Madas Kräfte am Werk und ließen die Menschen so absonderlich handeln. Jedenfalls war es ihre Pflicht dem nachzugehen. Das alles war mehr als merkwürdig.
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Doratrava schwirrte der Kopf von den Wortgefechten, die ihr den Eindruck machten, dass jeder, der etwas sagte, noch viel mehr nicht sagte, was aber nur jemand verstehen konnte, der des Gedankenlesens mächtig war oder mehr Hintergrundinformationen hatte. Beides traf auf sie leider nicht zu. Sie warf Alana einen Seitenblick zu. Und auf ihre neue Freundin offensichtlich auch nicht, wie sie da mit zusammengezogenen Brauen und sichtlicher Anspannung auf das Geschehen starrte.
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Da fiel ihr ganz in der Nähe ein weiteres vage bekanntes Gesicht in der Menge auf. War das nicht Nivards Schwester? Wie hieß sie nochmal? Etwas beschämt stellte sie fest, dass sie sich ihren Namen nicht gemerkt hatte. Dennoch zog sie Alana am Arm mit sich und drückte sich durch die Leute zu der jungen Frau. Na ja, eigentlich war sie noch ein Mädchen. Mittlerweile kam sich Doratrava richtig alt vor. Sie lächelte selbstironisch, dann sprach sie einfach drauflos: “Hallo, äh … was hältst du von dem Schauspiel hier?”
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Ringard hatte das Paar aus Gauklerin und Kriegerin gar nicht kommen sehen, so gespannt und zugleich ungeduldig hatte sie die bisherigen Wortfechtereien verfolgt. Wann würden die endlich mal vom Vorgeplänkel der Fürsprecher und Stellvertreter zur Sache kommen? Sie stutzte nicht nur daher kurz überrascht auf die Ansprache, auch wegen der ungewohnt vertrauensseligen Anrede. Sogleich setzte Erkennen ein. "Ihr seid..." Nivard hatte ihr gestern, als endlich Zeit für ein ruhiges Gespräch war, mehr von seinen Erlebnissen in Nilsitz und auf dem Weg hierher erzählt, auch von seiner Freundschaft zu ihrer Gegenüber. Ringard war daher bereits ein bisschen über die offene und nicht allzu förmliche Art der Künstlerin vorgewarnt. "Ich meine..., Du bist Doratrava." beschloss sie direkt, Nivards Anredestatus lächelnd auch für sich selbst zu akzeptieren. Mit einem Lächeln begrüßte sie auch Alana, die noch etwas hinter der Tänzerin stand. "Deinen Auftritt vorgestern werde ich wohl mein Lebtag nicht vergessen! Du auch nicht, Amiel, nicht wahr?" stieß sie ihren Verlobten an. Ihre glänzenden Augen kündeten mehr noch als ihre Worte davon, wie sehr sie die Darbietung beeindruckt haben musste. "Ob das für die Geschehnisse heute Abend auch gelten wird," sie deutete mit ihrem Haupt in Richtung der Diskutanten, "weiß ich noch nicht. Hängt davon ab, ob sich der Junker nun doch entschuldigt oder endlich die Herausforderung annimmt... Aber wer weiß, was noch alles passiert." fügte sie leiser und mit einem leicht verschwörerischen Unterton dazu. "Wenn es so weitergeht, wird das ganze hier aber noch länger vom Baron von Eisenstein zerredet, und dann ziehen alle von dannen, ohne dass die Sache richtig geklärt ist." Der Tonfall der jungen Tannenfelserin zeigte an, dass ihr das nicht recht gefallen würde. Bald würde sie eine von Altenberg sein, und daher wünschte sie sich, dass ihre Schwägerin hier mit einem Sieg für ihr zukünftiges Haus aus diesem Abend ging. "Aber das wird Deine Schwester wohl nicht mit sich machen lassen, oder?" zog sie auch Amiel weiter in das Gespräch.
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Geschmeichelt lächelte Doratrava. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie das junge Mädchen gedutzt hatte, es war ihr ganz natürlich vorgekommen, aber das war ja nun geklärt. Nur die Sache mit dem Namen nicht … und den Altenberger hatte sie jetzt erst bemerkt. Auch diesen hatte sie nur flüchtig kennengelernt und den Namen schon wieder vergessen. Sie rettete sich in ein freundliches Nicken.
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Aber bevor die Gauklerin eine Antwort geben konnte, ging das Streitgespräch in die nächste Runde.
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Lares nickte ruhig, dann sah er Durinja in die Augen. “Hohe Dame von Altenberg, ich gab gerade wahrheitsgetreu die Worte wieder, die ich zu Euch sprach. Ihr bestätigtet, dass ich diese genauso meinte und dass ich mich bereits für eine Kränkung entschuldigte, die diese Euch zugefügt haben mochten - in privatim als nunmehr erneut in coram publico. Und doch stehen wir noch immer hier. Tatsächlich findet gerade das statt, was Ihr mir vorwerft: Ich bin hier das Gespött der Leute, werde öffentlich vorgeführt, mein guter Name durch den Dreck gezogen. Und das, ohne eine einzige konkrete Anschuldigung. Ich habe Geduld walten lassen in der Hoffnung, wir könnten Differenzen wie erwachsene Edelleute ausräumen. Stattdessen werde ich hier mit einer vagen Andeutung nach der anderen konfrontiert. Ich bin nicht länger gewillt, mir dies gefallen zu lassen. Ich räume Euch noch eine letzte Chance ein, eine konkrete Anschuldigung zu formulieren, deretwegen eine Entschuldigung fällig sei. Andernfalls betrachte ich Euer Begehr als erfüllt.”
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Der Bannstrahler an der Seite der Edeldame hob etwas irritiert eine Augenbraue. "Ich denke, dass die Dame in ihrer Anschuldigung alles andere als vage blieb. Sie fühlte sich durch Eure öffentlich an mich gerichteten Worte in ihrer Ehre beleidigt. Was Sinn macht, erwählte sie mich doch als ihren zukünftigen Gatten. Was erwartet Ihr Euch davon hier und jetzt den Unwissenden zu mimen? Und nun sogar eine Entschuldigung zu fordern." Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen. "Denn Eure Beleidigungen an meine Person erfolgten leider ebenso coram publico. Ein jeder der hier Anwesenden soll sich diese Frage selbst stellen. Ist ein Gespräch an einer vollbesetzten Festtafel wirklich privat zu nennen?" Der Blick des Bannstrahlers machte eine Runde durch die Anwesenden. "Und bedingt durch eben diese Tatsache habt Ihr jene Worte, die eigentlich bloß mich und Euch betreffen sollten, ebenso zur Sache meiner Verlobten gemacht. Ich frage Euch deshalb vor allen Anwesenden; sprecht Ihr der unbescholtenen Dame von Altenberg die Berechtigung ab für Eure öffentlich vorgetragenen ... Unwahrheiten ...", ein Begriff den er bewusst wählte, "... meine Person betreffend eine öffentliche Entschuldigung zu fordern? Sprecht Ihr ihr das Recht der Kränkung ab? Soll sie ihren Mund halten und zuhören wie man sich über das Zustandekommen ihrer Verlobung den Mund zerreißt?" Linnart wartete vorerst keine Antwort ab. "Dass Ihr in Eurer Verblendung einem, laut seiner Vorgesetzten - darunter im Übrigen auch Ihre Erlauchte Eminenz von Faldahon -, untadeligen Ritter Praios´ Dinge und unlautere Beweggründe unterstellt ist eine Sache, mit der Ihr Euren Namen schon selbst beschmutzt habt. Dass Ihr meine Verlobte mit in diese Sache gezogen habt, indem Ihr das öffentlich tatet und nun nicht die Größe und Demut besitzt dies zumindest ihr gegenüber auszuräumen, sondern Unwissenheit vorgebt, macht es nicht besser. Deshalb an Euch noch einmal die Frage, ob dies Euer letztes Wort ist oder ob Ihr in Praios Namen nicht doch noch umdenken solltet und diese Sache mit dem bisschen Restwürde, die geblieben ist, bereinigen wollt."
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“Insofern Ihr selbst eure Ehre nicht als so angegriffen gesehen habt, dass ihr euch auf den codex duello berufen und einen Stellvertreterkampf gefordert hättet, scheint dies aber wohl jeder Grundlage zu entbehren.” Nach bevor jemand sich neuerlich auf die Eingabe des Eisensteiners einlassen konnte, riss Thankred der Geduldsfaden.
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“Ihr Götter”, stieß da der Trollpforzer laut hörbar fast flehentlich hervor.
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“Nun sagt doch endlich was der Mersinger euch an den Kopf geworfen und so beleidigt hat, dass es diesen ganzen Auflauf rechtfertigt. Eure Seite fühlt sich doch in ihrer Ehre gekränkt, dann sagt doch endlich worum es hier geht und tragt die Anschuldigung auch offen vor, wie es dem Götterfürsten gefällt, anstatt noch länger um den heißen Brei herum zu reden, als seien wir hier auf einem Basar in den Tulamindenlanden.
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Beim Praios strahlendem Antlitz, dass kann doch gerade für euch nicht so schwierig sein”, sprach er in Richtung des Praioten.
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Doch erst wandte sich dieser dem Eisensteiner zu. “Die Unwahrheiten, denen er mich bezichtigt hat, hat der Mersinger alleine vor dem Götterfürsten zu verantworten. Der durch die öffentliche Herabwürdigung eines Seiner Diener entstandene Makel auf der Seele des Ritters soll ihm Strafe genug sein. Die Angelegenheit hier betrifft jedoch nicht mich, wiewohl ich vielleicht der Auslöser dafür sein mag. Meine Verlobte tritt hier nicht für meine Ehre, sondern für die ihre ein. Und das sei ihr unbenommen. Eine Entschuldigung zu fordern ist ihr gutes Recht, das sie als Adelsdame hat, oder wollt Ihr ihr dieses absprechen? Es steht dem Herrn von Mersingen frei sich zurückzuziehen und abzulehnen.”
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Wiederholt ungläubig schüttelte Thankred den Kopf. Er konnte nicht glauben was der Bannstrahler da von sich gab. Das erträglich Maß an Winkelzügen, feigen Ausflüchten und nahezu substanzlosen Anschuldigungen war voll- übervoll.
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Ein Diener des Götterfürsten, der sich selbst auf mehrfache Nachfrage scheut die Wahrheit zu sagen- das war nicht Mal mehr merkwürdig, das war eine Schande!
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Der Trollpforzer griff die Zügel seines Rosses feste und drehte es auf der Stelle, ohne sich darum zu kümmern, dass er einige Gemeine um sich herum damit zur Seite drängte.
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"Diese Zusammenkunft ist dem Götterfürsten sicher nicht zum Wohlgefallen, denn alle hohen Herrschaften reden um den heißen Brei herum, selbst derjenige, der sich in SEINEN Dienst gestellt hat", sprach Thankred laut und deutlich.
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“Ich für meinen Teil kann das aus Respekt vor dem Götterfürsten nicht länger ertragen”, stieß der Trollpforzer hervor und ließ sein Pferd langsam durch die Menge davonschreiten.
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Auch wenn Sabea etwas hin und hergerissen war, über die Meinung ihres Verlobten und der Forderung ihrer Base Durinja, lenkte auch sie das Pferd herum und ritt an seiner Seite fort.
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“Es ist nicht Eure Angelegenheit, richtig! Ihr habt entschlossen, so wie ich, mit einem Handschlag auseinanderzugehen und unseren Konflikt ruhen zu lassen. Das war Euer letztes Wort. Dann steht endlich dazu und haltet Euch da raus!”, fuhr Lares dem Bannstrahler in die Parade. “Wenn dem nicht so ist, dann macht es wie ein Mann und fordert mich zum Duell. Aber dieses verkappte Geschwätz dulde ich nicht länger. Entweder es ist Euer Problem, dann versteckt Euch nicht hinter Eurer Verlobten und noch weniger hinter der Kirche des strahlenden Herrn, er sei gepriesen, oder es ist die Sache Eurer Verlobten, dann lasst sie entscheiden. Der hohe Herr Thankred von Trollpforz hat völlig Recht. Wenn es noch etwas zu reden gibt, dann wird konkret geredet.”
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“Dann redet konkret, hoher Herr und gebt nicht den Unwissenden. Ich attestiere Euch das nötige Maß an Intellekt um zu erkennen weshalb genau wir uns hier und jetzt eingefunden haben  …”, gab er unbeeindruckt zurück, “... ich habe hier die Forderung meiner Verlobten wiedergegeben, da einige der Anwesenden, Euch allem Anschein nach mit eingeschlossen, diese nicht zur Gänze verstanden hatten. Es wurden hier vor zwei Praiosläufen schon genug Unwahrheiten verbreitet. Wenn Ihr meint ich stünde hier unbeteiligt und lasse zu, dass nun auch hier, in meiner Gegenwart, falsche Annahmen die Runde machen, dann liegt Ihr falsch.” Sein Blick ging zum davon reitenden Trollpforzer, dessen Abgang er nicht wirklich Bedeutung beizumessen schien. Vielleicht sollte sich der Mann aus den Bergen das nächste Mal auch selbst hinterfragen - immerhin ließ er sich dazu herab diesem Auflauf beizuwohnen.
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“Dass es Euch unangenehm zu sein scheint, wenn ich als Fürsprecher der Dame von Altenberg auftrete - bei der Rolle des Barons von Eisenstein wart Ihr ja nicht so zimperlich - sagt viel über Eure Position aus. Die Anschuldigungen liegen auf dem Tisch. Auch sollte nun klar sein wer hier wen beschuldigt und wer hier von wem eine Entschuldigung verlangt und warum. Jedes Mal wenn jemand die Redlichkeit des Anliegens der Dame in Frage stellt, werde ich mein Wort erheben. Ich war anwesend und kenne den Sachverhalt. Es ist Eure Entscheidung. Entschuldigt Euch bei ihr, oder zieht ab. Was unseren Konflikt angeht, rate ich Euch in weiterer Folge Eure Beichtmutter oder Euren Beichtvater aufzusuchen. Reflektiert Euer Verhalten gegenüber Würdenträgern der Kirche des Götterfürsten, mäßigt Euch und leistet Buße. Das soll mir, als maßvoller und demütiger Diener des Götterfürsten, der ich bin, reichen.”
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Zustimmend nickte Durinja ihren Verlobten zu, gleichzeitig wusste sie, das ihre angedachten Pfade, Phexens Pfade, hier nicht mehr angebracht waren. Zu stur und zu verbohrt war der junge Junker und höchstwahrscheinliche ahnte dieser, das er bei den Wettkämpfen unterliegen würde. Dennoch gab sie hier nicht auf, denn überrascht war sie nicht. Ihr Blick schweifte in die Menge, bis sie die Person ausmachte, die sie gebeten hatte zu kommen. Mit einem beiläufigen Senken ihres Hauptes und kurzen schließen ihrer Lider gab sie ihr Signal.
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“Ich werde mich dem Junker anschliessen. Es ist eine Schande vor Praios, was hier passiert. Herr von Mersingen, meine Töchter werde ich mitnehmen, um sie nicht diesem erbärmlichen Schauspiel auszusetzen und diesem unwürdigen Spiel vor dem Götterfürsten ebensowenig. Ihr seid eingeladen, sobald ihr diese lächerliche Angelegenheit geklärt habt, sie morgen an meinem Gasthof abzuholen.
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Denn seid euch gewiss, bei euch sehe ich keine Schuld: Der Codex duello sieht sehr wohl vor, wie eine Person, die nicht unter Waffen steht oder aus anderen Gründen nicht zur Waffe greifen kann, vorzugehen hat, sollte ihre Ehre gekränkt worden sein: Sie hat einen Stellvertreter zu bestellen, der adelig ist und unter Waffen steht.
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Der Herr von Traurigenstein hat diese Möglichkeit nicht genutzt, obwohl er von ihr wusste. Warum ist ganz allein seine Sache. Dass seine Verlobte sich gekränkt fühlt und sie offensichtlich diese Gründe, die ihm alleine zustehen, nicht akzeptieren will, eine Sache zwischen den Versprochenen selbst. Euch da hineinzuziehen, noch dazu ohne sich dabei den gegenwärtigen Regeln und Sitten zu beugen, kann euch nicht angelastet werden.
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Weicht man in progressivem Wahn aber von althergebrachter Vorgehensweise ab, so kann man euch nicht anlasten, dieses Spiel nicht mitzuspielen. Und ich rate euch dringlichst, euch nicht auf diesen lächerlichen Wettstreit einzulassen. Ein Praiosdiener, der einen Wettstreit unter Gleichen fordert, hat scheinbar vergessen, was die praiosgefällige Ordnung ausmacht: Jeder bekleidet den Platz, der für ihn für Praios vorgesehen ist. Und daher seid ihr nicht gleich! Ihr seid ein Ritter. Sie ist eine… Hofdame. In was solltet ihr euch messen? Ihr habt nicht dieselbe Profession! Würde ein Bäcker einen Metzger zum Um die Wette Brotbacken fordern, würde jeder gleich die Absurdität erkennen. Versteift euch nicht auf die vermeintliche Gleichheit eures Standes und macht euch vor dem Volk und den Göttern lächerlich, wenn ihr einen Wettbewerb im Schönsticken oder Harfespielen verliert.” Er griff nach der Hand Lissas und gab Luzia ein Zeichen. “Darüber hinaus werde ich die Baronin aufsuchen. Das Mysterium, wie alle von dieser Forderung erfahren haben, gepaart mit den Absonderlichkeiten des gestrigen Tages sollten untersucht werden. Und sollte Madas Gabe missbraucht worden sein, so werde ich von der Baronin verlangen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.” Damit drehte er sich um und wollte mit seinen Töchtern davonziehen.
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"Hört, hört …", meinte Linnart kühl, "... der Baron spricht der Dame von Altenberg das Recht ab für sich einzustehen und dem Herrn von Mersingen darüber hinaus die Befähigung die vorgebrachte Forderung für sich richtig zu bewerten. Dass er dies mit, für den Sachverhalt unerheblichen Rechtsnormen zu belegen versucht, ist in der Tat bedauerlich. Man hebt ja auch seinen Zehnt nicht nach der Rechtslage des Horasiats ein."
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“So.” wandte sich der Eisensteiner ein letztes Mal an den Praiosdiener: “Auf welche Rechtsnorm bezieht sich denn bitte eure Verlobte? Erhellt mich doch, denn diese ist mir wohl vollends entgangen. Ich kenne nur die Sitte- und auf nichts weiter berief ich mich- sich auf den codex duello zu berufen, mir ist keinerlei Rechtsnorm bekannt, die das absurde, progressive Vorgehen Eurer Verlobten untermauern würde. Aber Ihr seid der Praiosdiener. Womöglich habe ich da etwas übersehen?”
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Er hob seine Schultern und wandte sich dann vom Eisensteiner ab. Dieser hatte noch immer nicht verstanden um was es geht ... wirkte auf ihn etwas wie Großvater Reginbald. Als er zu einer Antwort anheben wollte, hielt ihn das Auftauchen der Ritterin Alana ab.
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Mit sicheren und festen Schritt löste sich eine Ritterin aus der Menge. Gerüstet und ohne Helm stellte sich die rothaarige Frau neben die Edeldame Durinja. Ihre Rechte ließ sie dabei auf ihren Schwert ruhen, während die andere locker herunterhing. Ein Raunen ging durch die Menge, denn eine neue Person schien dem Schauspiel beizuwohnen.
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Skeptisch blickte Linnart auf die Ritterin, nickte ihr dann jedoch grüßend zu.
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Der Eisensteiner verharrte indess, weiter seine jüngste Tochter bei der Hand haltend, was dieser sichtlich unangenehm war. Das wurde nun erneut interessant. “In diesem Falle musst du natürlich deinem Schwertvater zur Hand gehen.” sagte er zu Lissa und ließ das Mädchen zu seinem Schwertvater gehen.
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“Na, endlich nimmt die Sache Fahrt auf”, entfuhr es Doratrava unwillkürlich. Den für einen Adligen ziemlich ungehobelten Trollpforzer kannte sie noch flüchtig von der Jagd in Nilsitz, aber er sprach ihr in diesem Moment aus der Seele. Etwas leiser raunte sie den Umstehenden zu: “Ich glaube, mit Zerreden ist es jetzt nicht mehr getan. Die haben sich alle schon viel zu tief da hineingeritten.” Ihr Blick suchte Alana. “Für mich hört sich das schon ziemlich ernst an, mal sehen, ob das noch ohne Waffeneinsatz zu regeln ist.”
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Diese erwiderte den Blick nicht. Mit ernsten Gesicht schritt Alana auf Durinja zu.
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Amiel, der jüngere Advocatus, schaute verblüfft. Alana, eine entfernte Verwandte, galt nicht gut gelitten im Hause Altenberg. Im Gegensatz zur der alten Tradition seines Hauses, brach sie damit, als sie im Waffenhandwerk geschult wurde. Hatte seine Schwester wirklich sie um Hilfe gebeten? Ein “Oh, oh.”, war alles, das über seine Lippen kam.
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Doratrava blieb fast das Herz stehen, als Alana nach vorne schritt. “Aber …” stieß sie hervor und streckte den Arm nach der Ritterin aus, machte gar einen Schritt, als wolle sie ihr folgen, bevor sie sich gerade noch beherrschte. Hilflos sah sie zu Ringard und Amiel.
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'Oh, oh.' Das traf es wohl. Auch Ringard sah Alana betreten hinterher. Ja, sie hatte sich gewünscht, dass die Parteien endlich zur Sache kämen, es in ihren Gedanken und zuletzt auch Worten herbeigerufen. Aber so? Ihr Blick glitt hinunter zu den von Amiel mitgebrachten Dingen, deren Einsatz sie gespannt erwartet hatte, dann zu Amiel, der offensicht genauso verdattert war wie sie, und schließlich zur vollkommen konsternierten Doratrava. "Vielleicht blufft Durinja ja nur?" gab sie, selbst auch ein wenig hilflos, in Richtung der Gauklerin zu Bedenken, und hoffte (allerdings ohne daran zu glauben), dass Amiel gleich grinsen und bestätigend nicken würde.
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Noch immer mit einem verletzten Blick ausgestattet, ließ sie ihren Blick von Linnart auf den Mersinger schweifen. Die Worte des aufgebrachten Barons und des Trollpforter Junkers ignorierte sie. “Ich hatte gehofft, das hier friedlich und unbeschwert lösen zu können. Und ich erkenne, dass Worte einer Entschuldigung nicht über eure Lippen finden, noch ihr euch auf einen Wettstreit mit einer Frau einlassen möchtet. Auch bin eine Frau der Nordmarken und komme aus einer alten und traditionsreichen Familie. Da ich auch die Traditionen meines Hauses achten mochte, hatte ich gehofft, das keine Waffe erhoben werden müsse. Doch es ist unmissverständlich, dass hier nur eine Tradition zur Gerechtigkeit und Einsichtigkeit führen wird.“  Ihre Worte waren kühl und klar gesprochen.
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Dann machte die Ritterin neben ihr einen Schritt nach vorne und richtete ihre Worte an den Junker. “Ich grüße euch, Junker Lares von Mersingen. Ich bin Alana Tharvuna von Altenberg und ich fordere euch im Namen der Edeldame Durinja, zukünftigst Haus vom Traurigen Stein, zu einem Duell, auf dass die Ehre ihrer Person und ihrem zukünftigen Haus wieder hergestellt werden wird. Nehmt ihr an?” Ihre Gesichtszüge der Mittdreißigerin waren ernst, ihre Worte förmlich und selbstbewußt.
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So, endlich hatte dieser grauenhafte Spuk ein Ende. “Hohe Dame von Altenberg, Ihr sprecht eine Sprache, die in diesen Landen Tradition hat. Ich habe noch nie eine Forderung ausgeschlagen und werde das mit dem heutigen Tage nicht beginnen.” Lares sah ihr mit festem Blick in die Augen. Gegen diese Alana hegte er keinen Groll, er wusste um ihre Funktion, ihren Platz in der Welt. “Ich nehme Eure Forderung an. Gefochten wird mit dem Anderthalbhänder. Nachdem Eurer Auffassung nach eine Ehrenschuld zu begleichen ist, wird ein Kampf auf das zweite Blut genügen. Wollt Ihr den Kampf sogleich austragen? Ich wäre bereit.”
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Nachdem Durinja ihr zu nickte, antwortete Alana ohne zu zögern. “So sei es. Praios, Rondra und ihre göttlichen Geschwister seien unsere Zeugen.” Doch dann erhob Durinja nochmals ihr Wort. “Habt ihr etwas dagegen zwei neutrale Schiedsrichter zu benennen? Mir wäre es wichtig, dass zumindest ein Diener der Zwölfe bei diesem Duell anwesend ist. Und ein Anderer von Stand.” Ihr Blick richtet sich auf den Boroni, der etwas abseits im Fackelschein stand.
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Linnart empfand seine Aufgabe als erfüllt. Nun sollten die Waffen sprechen, wie es die rondrianische Eitelkeit vorgab. Etwas ärgerte er sich dennoch. Diese ganze leidige Diskussion hätte verhindert werden können und niemand hätte sich vor dem Pöbel zu Reden hinreißen lassen. Dennoch bereute er nicht, für seine Verlobte eingestanden zu sein. Ihr Anliegen war unbefleckt und rein gewesen. Er würde nicht zulassen, dass irgendjemand die Integrität seiner zukünftigen Frau öffentlich anzweifelt - noch dazu mit halbseidenen Begründungen, die aus Verblendung, mit dem Namen des Götterfürsten im selben Satz hinausposaunt wurden. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er sich wieder auf die anfänglich von ihm genutzte Brüstung.
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“Junker von Altenwein, wäret Ihr bereit, das Duell zu überwachen?” Er hatte sich vernünftig und insbesondere offen für Austausch gezeigt; er war aus Sicht des Mersingers fast der perfekte Kandidat. Andesine und ihren Bruder wollte er bewusst heraushalten.
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Der Altenweiner löste sich aus der Zuschauermenge und trat nach vorne: “Es ist mir eine Ehre!” Er schritt zu den anderen und fragte: “Sind denn alle mit dieser Wahl einverstanden?”
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Durinja nickte zur Bestätigung. “Euer Hochwürden Karolan von Henjasburg. Wäret ihr so frei?” richtete sie ihr Wort an den Hüter des Raben. Ohne ein Wort zu sagen schritt er ebenfalls in die Menge und gesellte sich zum Junker von Altenwein. Seine Überraschung über diese Wendung ließ er sich nicht ansehen. Erst dachte er, dass seine Frau, die Vögtin, ihn  aus reiner Vorsichtsmaßnahme bat, hier zuzusehen. Doch anscheinend hatte sie wieder einmal eine Vorhersehung diesbezüglich. Dennoch war er leicht verdutzt. Die junge Altenbergerin war ihm persönlich unbekannt, doch schien es, dass sie ihn kannte. Formvollendet sprach sie seinen vollen Titel und Namen aus, als ob das ganze hier vorher geplant gewesen wäre. Innerlich seufzte er. Karolan wußte das der Tag kommen würde, wo auch er in die Politik dieses Landes hineingezogen würde.
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Doratrava glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. Alanas Worte hatten sich nicht so angehört, als seien sie unüberlegt, hastig oder unvorbereitet gesprochen worden, was als einzigen Schluss zuließ, dass das hier ein abgekartetes Spiel war. Sie spürte einen Stich im Herzen, wieder einmal wurde ihr bewusst, dass sie keinen ihrer ‘Freunde’ wirklich kannte, dass sie offenbar nur ein Spielball im undurchschaubaren Spiel höherer Mächte war, und damit meinte sie nicht die Götter.
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Doch obwohl die Enttäuschung in ihren Eingeweiden wühlte, lief es ihr trotzdem heiß und kalt den Rücken hinunter. Sie erinnerte sich zurück an ihre Gedanken von vorhin, als sie noch darüber sinniert hatte, ob Alana wohl als Stellvertreterin Durinjas einspringen musste und dass sie nicht zulassen konnte, dass ihrer Freundin etwas passierte, ganz unabhängig davon, dass diese eine ausgebildete Ritterin war und sie nur eine einfach Gauklerin. Nun gut, das traf es vermutlich nicht mehr so ganz bei allem, was sie in den letzten Jahren erlebt hatte, aber dennoch.
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Und jetzt wurde es tatsächlich ernst. Todernst. Nun wurden ihre spielerischen Gedanken von der Realität auf die Probe gestellt. Nun musste sie sich ganz schnell darüber klar werden, ob sie Alana weiterhin als ihre Freundin betrachtete, obwohl diese sie ganz offensichtlich im Dunkeln hatte tappen lassen, was ihre wahren Absichten hier waren. Und falls dies der Fall war, was sie tun würde, wenn Alana wirklich ernsthaft in Bedrängnis geriet, auch wenn sie dem Augenschein nach dem Mersinger überlegen sein sollte. Konnte sie dann kalten Herzens zuschauen, wie sie unter den Hieben ihres Kontrahenten fiel? Und wenn nicht? Sie konnte sich doch nicht einfach dazwischenwerfen, denn auch wenn sie die Gesetze der Adligen nicht kannte, wäre das sicher der Bruch irgend eines derselben und würde sie in des Namenlosen Küche bringen … Doratrava begann, nervös an ihren Fingernägeln zu kauen und warf Amiel und Ringard unstete Blicke zu.
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Durinja hatte nicht geblufft - sie meinte das ernst! Ringard war maßlos enttäuscht und auch ein wenig entsetzt. Letzteres nicht so sehr über das Duell als solches - auch wenn sie selbst noch keines miterlebt hatte, war dieses immerhin ein erprobter und nicht selten gegangener Weg, Ehrverletzungen zu begleichen, und trug in mancher der Geschichten, die sie so liebte, in der ein tapferer Ritter für die Ehre seiner Herzensmaid eintrat, sogar romantische Züge. Entsetzt war sie vielmehr darüber, dass nun nicht Durinja selbst - wie angekündigt - für ihre Forderung eintreten und den Mersinger mit den Waffen einer Zofe für sein ehrabschneidendes Auftreten am vorgestrigen Tage strafen würde, sondern dass Blut fließen würde, ja musste, und mit Alana eine andere den Kopf für ihre Schwägerin hinhalten sollte, noch nicht einmal deren ritterlicher Verlobter. Und das schlimmste war, dass das ganze obendrein auch noch ziemlich abgekartet wirkte, nicht nur durch einen überraschenden Verlauf der Geschehnisse erzwungen.
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Wenigstens schien Amiel so aufrichtig verblüfft, dass er ganz offensichtlich nicht Teil dieser Scharade gewesen sein konnte.
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War diese Ehrverletzung, die keiner aussprechen wollte, tatsächlich so schlimm gewesen, dass das hier gerechtfertigt war? Durinja wirkte nun nicht mehr so bewundernswert stark auf sie, sondern nur noch hart. Und ein wenig grausam.
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“Das wird schon gut ausgehen...” sprach sie mehr sich selbst als Doratrava zu. “Wird es doch, Amiel, oder? Sind denn Heilkundige unter uns?”
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Ratlos zog der die Schultern hoch. “Zumindest ein Boroni.” sagte er. Ob es nur eine Feststellung war oder ein Scherz, konnte Ringard nicht erkennen.
  
 
[[Kategorie:Geschichten]]
 
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Version vom 27. Oktober 2022, 17:39 Uhr

Zeit

10. Rahja 1042 BF

Ort

In der Stadt Herzogenfurt in der Baronie Schweinsfold

Autoren

DanSch, Ambelmund, RekkiThorkarson, StLinnart

Teilnehmer:


Prolog

“Den Götter zum Gruß! Euer Wohlgeboren, Lares von Mersingen. Eine Frau von meinem Stand weiß um ihre eigene Ehre, die ihr uneinsichtig und in aller Öffentlichkeit in den Schmutz gezogen habt. Auch wenn eine Entschuldigung eureseits mit Phexens Stimme gesprochen wurde, war doch die praiosgefällige Ehrlichkeit, die hesindegefällige Einsichtigkeit und die rahjagefällige Leidenschaft nicht vorhanden. Den kaum kam eure Worte über eure Lippen, ging die Ehrbeleidigungen gegen meine Person gleich weiter, auch wenn sie verkleidet waren in den Anschuldigungen gegen meinem Verlobten Venerati Lumini Linnart vom Traurigen Stein. Mir ist bewusst, dass meine Worte in rahja- und rondragefälliger Leidenschaft gesprochen wurden. Doch ist es einer Dame zu verdenken? Das praiosgefällige Recht und das herzögliche Recht stehen auf eurer Seite. Somit werde ich euch nicht zu einer Satisfaktion fordern.

Wenn ihr ein Mann von Ehre seid, wie ihr lauthals behauptet, so würde ich eine öffentliche und ehrliche Entschuldigung als Genugtuung gerne entgegen nehmen. Sollten das gesprochene Wort nicht als standesgemäß empfunden werden, schlage ich euch einen angemessenen Wettstreit vor. Sei es zum Beispiel im Tauchen, Klettern oder Zielwerfen mit dem Messer. Die Wahl liegt bei euch. Seid ihr euch dem allem zu Schade, so ist das euer Recht.

Gebt den Überbringer des Schreibens bescheid, wie ihr euch entscheidet oder seid am 10. Rahja 1042 BF zur Phexstunde am Uhlenturm an den Ufern der Foldenquell und wir bereinigen diese Angelegenheit.

Durinja von Altenberg, zukünftigst Haus ´vom Traurigen Stein´.”

Schreiben an Lares von Mersingen am Abend der Brautschau, Herzogenfurt 8.Rahja 1042 BF

Stadtgespräche

Noch immer lag der frohlockende Sinn der liebholden Liebesgöttin Rahja in der Luft und die Bürger des kleinen Städtchen Herzogenfurt frönten noch immer eine ausgelassene Stimmung. Dieser Tag jedoch, der zehnte Tag des Rahjamondes 1042 nach Bosparans Fall, war erfüllt mit flüsternden Worten, Gelächter und Neugierde. Erst waren es nur wenige Gäste der Altenberger Brautschau, die vor zwei Tagen in Herzogenfurt standfand, die von einer Geschichte am Rande, zwischen einer Zofe und einem Ritter, hörten. Doch dann sprachen Knechte und Mägde darüber und binnen eines Tages war es das Stadtgespräch. So wusste einer der Gärtner im Lilienpark zu berichten, wie der Junker von Mersingen, dem Bannstrahler Linnart vom Traurigen Stein die Verlobte neidete und diese schändlichst beleidigte. Oder die Magd des Hotels konnte erzählen wie die Jungfer Durinja vom Traurigen Stein sich dem Mersinger vom Leibe halten musste, da ihm der Wein und Rahja zu Kopfe gestiegen war. Unter den Hofdamen sprach man davon, das der Junker sich zum ´Retter aller gebrochenen Herzen´ ernannte, ob diese nun wollten oder nicht, und erkor sich die Traurigensteiner aus, als Wurzel allen Übels, um diese zu einem Duell zu fordern. Die Geweihte der gütigen Travia war sich sicher, dass die ehrbare Göttin dem Wüstling strafen würde, für seine verletzenden Worte der Edeldame gegenüber und auch der Wurstmetzger und die Pökelmeisterin konnten nur den Kopf schütteln, über die Selbstgefälligkeit des Grünschnabels von einem Ritter. Welche Wendung diese Geschichte auch bekam, in einem Detail stimmten sie überein: Die Edeldame vom Traurigen Stein und der Ritter von Mersingen sollten sich zur Phexstunde an diesem Tag am Uhlenturm vor den Toren Herzogenfurts treffen, um dieser Geschichte genüge zu tun. Und somit brachen viele Stadtbürger, Edelleute und Gäste auf, dem Zeuge zu sein.

Die Dämmerung war schon über das Land eingebrochen und in einem Wasserlauf würden die Stadttore der Stadt Herzogenfurt in der Baronie Schweinsfold geschlossen. Nur hundert Schritt waren die beiden wuchtigen Zolltürme davon entfernt, die mit ihrer Brücke über den Foldenquell den Handel und die Reise Rahja-Efferdwärtig von Amleth nach Honingen sicherten. Zu Fuße des Uhlenturms, der auf der Seite Herzogenfurt stand, direkt am Ufer des Flusses fand sich eine Traube von Menschen ein, denn hier sollte das Zusammentreffen der beiden Edelleute stattfinden. Im Scheine von einigen Fackeln und Laternen wartete die besagt Jungfer, dessen Namen nun in jederfraus und jedermanns Mund war: Durinja vom Traurigen Stein. Die junge Frau hatte ihr dunkles, langes Haar zu einem Zopf geflochten und trug ein sittsames, hochgeschlossenen und dunkelgraues Hemd, dazu eine dunkle Hose, mit leichten Schnürstiefeln. Blass war ihr hübsches Gesicht, bar jeder Schminke. Einzig alleine ihre zweifarbigen Augen gaben ihr etwas auffälliges, doch jedem war klar, das diese zarte Gestalt sehr an den Schmähungen des Junkers gelitten haben musste. Die leichten Rötungen um Auge und Nase wiesen darauf hin, dass die unschuldig wirkende Edeldame geweint haben musste. Ihr Bruder, ein leicht untersetzter, hübscher Mann stand in ihrer Nähe. Zu seinen Füßen hatte eine sehr große, lederne Tasche und schien leicht abwesend. Auch der besagte Verlobte, der Bannstrahler Linnart vom Traurigen Stein war nicht weit und stand im Scheine einer Fackel. Neugierig wurde sie von den Leuten gemustert, immer wieder den Blick zum Stadttor wandernd, denn der Herausgeforderte war noch immer nicht zu sehen. Besagter Verlobter der Duellantin lehnte entspannt an einer nahen Brüstung. Sein aufmerksamer Blick schweifte über die Anwesenden und die sich ihm bietende Szenerie. ´Was für eine Schmierenkomödie´, dachte er bei sich, versuchte jedoch sich seinen Gemütszustand nicht anmerken zu lassen und neutral zu wirken. Dennoch fühlte er sich dazu genötigt seinen Ornat anzulegen, um halbwegs was her zu machen und die Präsenz der Kirche des Gleißenden zu zeigen. Vielleicht würde das die Anwesenden dazu motivieren die vorherrschenden, gegenseitigen Ressentiments nicht eskalieren zu lassen und hier und heute keine Dummheit zu begehen. Denn auch wenn er von diesem Duell nicht viel hielt - sobald er Durinja in Gefahr wähnte, würde er einschreiten. Verbot von Ehrenhändeln oder dieser nicht nachvollziehbare rondrianische Ehrbegriff in allen Ehren, aber ein Familienmitglied würde er immer verteidigen. So trug der Ritter sein edles, langes Kettenhemd mit der vergoldeten ersten Gliederreihe. Darüber einen weißen Wappenrock mit golden bestickten Säumen und einen schweren Umhang. Gegürtet hätte er ein hochwertiges Langschwert mit vergoldeten Parierstangen. Die güldenen Elemente seines Ornats funkelten im Licht der nahen Fackeln. Linnart blickte auf seine schöne Zukünftige. Was für eine herausragende Schauspielerin sie doch war. Die Anwesenden werden es ihr abnehmen und in Sympathie für die zierliche Hofdame dahinschmelzen - der Bannstrahler wusste es besser. Dennoch ließ er Durinja ihren Auftritt und die damit einhergehende Inszenierung. Sein Blick lag nun auch am Stadttor. Wer weiß würde dieser Mersinger überhaupt erscheinen. Er schien gerne auf phexischen Pfaden zu wandeln und liebte es Menschen hinter ihrem Rücken verbal zu verunglimpfen - die offene Konfrontation schien seine Stärke nicht zu sein.

An einer Hauswand, nicht weit von der sich bietenden Szenerie, lehnte der düstere Marborad und wartete mit leicht amüsierten Gesichtsausdruck auf das, was gleich kommen sollte. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt und stützte sich mit einem Bein an der Wand ab. Zu der hautengen Mi - Parti Hose in Schwarz und Weiß trug er Schnabelschuhe aus braunem Rindsleder und eine dunkelgrüne Schecke mit tiefen Ausschnitt und Mahoîtres. Die Säume waren mit silbernen Stickereien verziert, welche ein Granatapfelmuster zeigten. Unter der Schecke trug er ein weißes Leinenhemd. Sein Haar hatte er zu zwei Zöpfen geflochten, die einen dunkelgrünen Fez umrundeten und im Nacken ineinander gewoben waren. Caligo, sein Rabe, flog krächzend über die Brücke, flog einmal über die wartende Menge und beäugte dabei den Bannstrahler und dessen Verlobte, bevor er sich auf dem Dach des Uhlenturmes niederließ. Lange stand Marborad nicht alleine, denn Gezelda von Ulmentor, erste Hofdame der Baronin von Schweinsfold, gesellte sich zu ihm. Die ältere Frau, wohl schon in ihren Fünfzigern, war noch immer eine herbe Schönheit, der sich sich die Männer jeglichen Alters noch immer umdrehten. Mit einem horasischen Fächer in der Hand lächelte sie dem Höfling zu. “Diese Durinja hat ja ordentliche Arbeit geleistet, das muss man ihr lassen. Die ganze Stadt spricht von ihr … und vor allem schlecht von dem Junker.” raunte sie dem Dachswiesner zu. “Die möchte man wahrlich nicht zum Feind haben. Irgendwie tut mir der Junker sogar ein bisschen Leid. Und das obwohl er so häßlich ist.” Während sie leicht fächerte, lachte sie verhalten, weiter darauf achten, ein Lächeln für die anderen zu behalten. “Wahre Worte, Marborad. Schauen wir, wie er sich so schlägt. Vielleicht hat sie auch zu hoch gespielt. Zumindest weiß ich von zwei Mägden, die sie bezahlt hat … Geschichten zu streuen.” Nun bekam sie ein Funkeln im Gesicht. “Ihr Verlobter ist schon ein Schmuckstück … nur leider auf der falschen Seite.” Der Höfling betrachtete den Bannstrahler und antwortete: “Ich hätte schon Möglichkeiten ihn auf die `richtige`Seite zu bringen”, und grinste, “aber es wäre nur eine Illusion für einen Augenblick. Im Grunde genommen ist es doch auch langweilig, wenn sie es nicht von selbst wollen. Zumindest ein kleines bisschen. Findet Ihr nicht auch?” “In der Tat” Der Blick blitzte kurz über Linnart. “Man hört ja so einiges von den Traurigensteiner. Die sollen Orgien auf ihren Gut feiern. Was hälst du von dem da?” Sie deutete flüchtig auf den Junker Aureus von Altenwein. “Sieht nicht schlecht aus. Scheint mir aber etwas naiv zu sein, glaubt an das Gute im Menschen und so. Das muss keine schlechte Eigenschaft sein, solange man sich nicht übertölpeln lässt. Und irgendwie hat er etwas von einem Hund, treu, neugierig, freut sich über jeden neuen Menschen, den er trifft. - Ich frage mich, ob der auch mit seinem Schwanz wedeln kann? - Allerdings würde ich Euch von ihm abraten. Es liegt ein Schatten auf ihm, er tanzt gerade auf Messers Schneide und Urgroßmutter hat noch nicht entschieden, welchen Weg er nehmen wird. - Orgien hattet Ihr gesagt. Klingt verlockend. Sind die wie unsere Treffen, oder wie darf ich mir das vorstellen?” “Das kann ich wirklich nicht sagen. Aber vielleicht werden wir eines Tages eingeladen.”fast herausfordernd hörten sich ihre Worte an. “Das klingt ja so, als wolltet Ihr ein Spiel daraus machen…” Frech grinste er sie an. “Wer weiß, wer weiß.” war ihre knappe, doch verschwörerische Antwort. “Also gut. Ich nehme an. Worum wollen wir wetten?” Marborad war sich der Tatsache bewußt, dass er der ersten Hofdame unterlegen war, aber sie war wie eine Katze und diese spielten gerne. Warum sollte er ihr nicht eine kleine Freude machen. Leicht machen würde er es ihr jedenfalls nicht. “Ich schlage folgendes vor: wer von uns beiden zuerst eine Einladung erhält, hat gewonnen, nimmt aber den Verlierer mit. Der Verlierer hingegen spendiert dem Gewinner eine Flasche des seltenen, aber köstlichen Altenweiner Firunsodem. Na, was sagt Ihr?” “Abgemacht”, gurrte sie ihm entgegen.

Sina gähnte, die letzten Nächte und Tage waren zu kurz oder zu aufregend gewesen. So recht wusste sie auch nicht, was sie von dem Spektakel halten sollte. Mit Lares hatte sie nicht viel gesprochen, sympathisch war er ihr nicht, aber trotzdem machte er nicht den Eindruck, unbesonnen und ungerecht zu sein. Sicher hatte er sich entschuldigt und Sina selbst hatte Linnart für sein Verhalten eine Ohrfeige gegeben. Zuviel Emotionen auf einem Haufen. Durinja war ihr auch nicht so recht sympathisch, nach einem gemeinsamen Gespräch hatte es sich geändert, aber die Szenerie wirkte zu aufgesetzt. Vor allem Linnart. Er stand nur rum und ließ seine Frau weinen? Was war Nachts geschehen und warum war er so passiv? Ihr Gatte in spe schien wegzudösen. Sina weckte ihn mit einem stoß ihres Ellbogens. “Was hältst du davon?” Sie hatte noch einen Gedanken, den sie kontinuierlich verdrängte. So dumm wäre Linnart nicht und Durinja nicht so schlau. “Mmmmmh, mich wundert, dass sich der Mersinger auf dieses Spiel eingelassen hat. Gerade er sollte doch wissen, dass Duelle nicht gern gesehen sind, um es mal gelinde auszudrücken. Zumal Durinja nicht satisfaktionsfähig ist, sie wurde ja nicht zur Ritterin ausgebildet. Außerdem finde ich es merkwürdig, dass er noch nicht erschienen ist. Er ist eigentlich ein sehr korrekter Mann und daher zuverlässig und pünktlich.” Nachdenklich schaute er zum Stadttor. “Vielleicht sollte ich mal losgehen und schauen, ob er vielleicht ´aufgehalten´wurde.” Jetzt schaute er zu Durinja, denn auch der Junker hatte die Gerüchte vernommen, die durch die Stadt wehten. Sie passten so gar nicht zu dem Bild, dass er von dem Mersinger hatte, seit die beiden gemeinsam auf der Concabella gereist waren. Unwillkürlich fielen ihm plötzlich Durinjas Worte ein, die sie beim Tanz zu ihm gesprochen hatte: und nun passt mehr auf Eure Schritte auf. Er hatte damals geglaubt, sie würde sich auf seinen ungelenken Tanz beziehen, aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Mit dem Hintergrund dieser `Veranstaltung`bekamen diese Worte eine ganz andere Bedeutung, eine warnende Bedeutung im Sinne von: kommt mir nicht in die Quere. Aureus schüttelte den Gedanken wieder ab. Die vergangenen Nächte mit Sina waren lang und ausgiebig gewesen, so dass er vor Müdigkeit kaum klar denken konnte. Er nahm Sinas Hand, küsste sie und fragte: “Was hältst Du davon?” “Bleib lieber bei mir. Der Mersinger ist schlau, auch, wenn er skurril ist und sich vor Katzen fürchtet.” Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe. “Allerdings ist Durinja auch schlau. Ich hätte gestern besser aufpassen sollen, als ich vertrauter mit ihr geredet habe. Welchen Sinn das alles haben soll, verstehe ich auch nicht. Deine Leute passen doch auf unsere Sachen auf, oder? Die ganze Stadt ist abgelenkt. Man könnte das ausnutzen." “Welche Leute? Mein Zelt steht noch auf dem Platz neben dem Park und Deine Sachen sind doch im Hotel sicher, oder nicht?” “Sie sollten sicher sein. Abgesehen davon habe ich nicht viel dabei. Ich habe nur ein seltsames Gefühl. Kennst du ihre Familie ?” “Ich habe Elvan kennen gelernt bei der Jagd von Nilsitz vor ein paar Wochen, aber sonst ist mir das Haus Altenberg ein unbeschriebenes Blatt. Warum fragst Du?” “Und Elvan ist in Ordnung. Ich weiß nicht, es ist so ein Gefühl. Sie wirkt berechnend und tut sicher nichts, ohne es zu wollen. Gestern war sie nett zu mir, ich frage mich nur, ob sie mich beeinflussen wollte. Aber, das ist jetzt mein Vorteil, ich bin einfach zu unwichtig.” Sina lächelte. “Du bist die einzig wichtige hier”, lächelte Aureus und gab Sina einen Kuss auf die Wange. Er nahm ihre Hand in seine und sprach weiter: “Aber Du hast recht, Durinja müssen wir im Auge behalten.” Sina kicherte. „Wollen wir wirklich hier rumstehen? Oh, schau, Lares kommt.“

Gestern hatte Doratrava noch einen netten Nachmittag mit Cupida verbracht, sie hatte sich nach einer Einführung in die Rosenpflege von der Gärtnerin die Stadt zeigen lassen, aber dabei das Thema "Duell" weitgehend vermieden, da Cupida mit ihrer Neugier offensichtlich nichts anzufangen wusste. Später musste sie sich wieder um den Schrein kümmern, also hatte Doratrava die Zeit genutzt, noch ein wenig am Lilienteich zu verweilen und dort ihre täglichen Übungen zu absolvieren. Niemand hatte sie dort gestört, auch nicht der Teich oder die Weiden selbst. Am Abend hatte die Gauklerin sich dann in die nahegelegene Herberge begeben, um sich mit ihren Künsten noch ein wenig Zubrot zu verdienen. Dort hatte sie auch Nordrun getroffen und sich bei dieser ebenfalls nochmals bedankt und von ihr verabschiedet. Und auch Alana, die Ritterin, hatte sich zu ihrer Freude unter die Gäste gemischt. Das hatte ihre Lust zu tanzen nochmals angestachelt, und am Ende waren sie wieder in Alanas Zelt gelandet. Aber diesmal hatte sie wenigstens die halbe Nacht geschlafen. Und nun war sie hier. Gestern war Doratrava noch ein wenig unschlüssig gewesen, ob sie nicht Cupida zuliebe dem Duell fernbleiben sollte, aber als sich die Kunde desselben immer weiter verbreitet hatte, was ihr natürlich nicht entgangen war, redeten doch einige Leute im Gasthaus über nichts anderes mehr, hatte sie ihre oder vielmehr Cupidas Bedenken beiseite gewischt. Wenn so viel Volk Interesse zeigte, dann würde es viele Zuschauer geben. Und wo es viele Zuschauer für das Duell gab, gab es auch viele Zuschauer für sie, denn natürlich nutzte sie die Gelegenheit, die Schaulustigen bis zum Beginn des Duells mit Tanz und Akrobatik zu unterhalten und ihr Säckel noch ein wenig mehr zu füllen. Natürlich waren ihre Darbietungen kein Vergleich zu dem, was sie auf der Brautschau gezeigt hatte, aber erstens hatte sie nicht einmal ein Mindestmaß an Vorbereitungszeit gehabt und zweitens wollte sie ja nicht den beiden Streithähnen oder vielmehr dem Streithahn und der Streithenne die Bühne streitig machen. Sie schmunzelte innerlich über ihr gedankliches Wortspiel. So präsentierte sich Doratrava heute auch nicht in einem aufreizenden Kleid, sondern in Lederhose mit Schellen an den Fesseln und einem weit geschnittenen, langärmligen weißen Leinenhemd mit einem bunt karierten Streifen, der von der linken Schulter zur Hüfte verlief und von dort auf dem Rücken wieder zur linken Schulter zurück. So hatte sie schon am späten Nachmittag die ersten Neugierigen begrüßt und so hatte sie auch die danach herbei strömenden Leute auf sich aufmerksam gemacht, aber nun, da die verabredete Zeit des Duells gekommen war, beendete sie ihre kleine Vorführung, verbeugte sich vor den Zuschauern, sammelte die Heller und Kreuzer ein, welche nicht in ihrem Sammelbeutel gelandet waren, und stellte sich in die Gruppe der Wartenden, während ihr Blick von Durinja zu Linnart, dann zu den anderen bekannten Gesichtern wanderte. Was diese wohl alle dachten? “Die begabteste Gauklerin die ich kenne.” Alanas Stimme war unverkennbar. Die Ritterin aus dem Haus Altenberg stand hinter der zierlichen Doratrava. Heute Abend war sie gerüstet, so wie man es von einer Ritterin erwarten würde. Nur ihren Helm hatte sie nicht auf, doch ihr Schwert gegürtet. Erfreut wandte Doratrava sich zu der Kriegerin um und schloss den Beutel sicher. “Nanu, ziehst du in den Krieg?” lächelte die Gauklerin und hakte sich ganz gegen ihre Gewohnheit bei Alana unter. Nach zwei zumindest teilweise zusammen verbrachten Nächten war diese aber auch keine Fremde mehr. “Im Ernst: erwartest du einen Kampf?” “Ach, wo denkst du hin. Ich bin nur gebeten worden, falls der Junker meine Verwandte fordern möchte. Du mußt wissen, da sie keine Bewaffnete ist, darf sie ihn nicht fordern, auch wenn sie das als Wettstreit verkleidet hat. Aber sie dürfte eine Vertretung wählen.” Dabei tippte Alana auf ihr Schwert. Doratrava machte große Augen. “Du? Du müsstest dann kämpfen? Sollte Durinja nicht ihren Verlobten wählen, wenn sie einen Vertreter braucht?” Musste sie sich nun Sorgen machen? Alana sah durchaus so aus, als könne sie sich ihrer Haut erwehren, auch wenn Lares im Vergleich zu ihr ein junger Hüpfer war. Vielleicht war er beweglicher, aber die Kriegerin war sicher die Erfahrenere. Aber würde sie an sich halten können, wenn Alana ernsthaft in Bedrängnis geraten sollte? Sie konnte doch kaum einfach nur zuschauen, wie man ihre neue Freundin in Stücke schlug. Ihre grasgrünen Augen spiegelten ihre besorgten Gedanken wieder, aber dann schüttelte sie energisch den Kopf und setzte wieder ein Lächeln auf. Alana würde nichts passieren. Alana beantwortete Doratravas Lächeln ebenfalls mit einem. Nein, mit einem Waffengang rechnete sie nicht. Durinja war eine Altenbergerin. Und die verabscheuten das Schwert wie Pest und Galle. Dennoch war sie Neugierig, wie der junge Ritter auftreten würde.

Thankred von Trollpforz kam zu besagtem Duell wie es sich für einen Ritter von Stand gehörte, gerüstet, mit gegürtetem Schwert und hoch zu Ross. Der Junker wollte sich das 'Duell' nicht entgehen lassen. Zwar hatte er es ohnehin nicht sonderlich eilig in den Isenhag zurückzukehren und wollte nach dem Ende der Brautschau noch ein wenig der Jagd frönen, bis er gemeinsam mit Sabea- seiner zukünftigen Braut heimkehren würde, doch für ein solches 'Ereignis'- einem aus Eitelkeit geborenen Streit, verzichtete er gern auch darauf auf die Pirsch zu gehen. Die große und schwerbusige Sabea tat es ihrem Verlobten gleich und saß ebenfalls hoch zu Ross. Eigens dafür hatte sie sich den grau-weißen Apfelschimmel, genannt ´Aschefell´, von ihrer Schwester Gelda geliehen. Die wilden, roten Locken wirkten im Schein der Fackeln wie glühendes Feuer und mit bedauernden Blick schaute sie sich ihre Base Durinja an. “Ach, das arme Durinjaschen. Dieser unflätige Junker hätte nicht mal sein Satz beenden können, hätte er meinen Verlobten beleidigen wollen.” Mit einem Seitenblick lächelte sie nun Thankred zu. “Ich bin gespannt, wie die das lösen wollen. Mit diesen dünnen Ärmchen, wird die Arme kein Schwert heben können. Ich frag mich warum dieser Linnart nichts macht.” "In der Tat", bestätigte der Junker. "Das dürfte hoch interessant werden. Ich habe den Mersinger als sehr impulsiven, wenn nicht sogar hitzköpfigen Mann kennengelernt. Das was man hört haben sich die Parteien des Streits aber in dieser Hinsicht nicht viel gegeben. Wer im Recht oder Unrecht ist interessiert mich aber auch nicht sonderlich, um darüber zu Urteilen hätten man bei allen Episoden dabei sein müssen. Was mich hingegen neugierig macht ist die Frage, wie alle Beteiligten ohne Gesichtsverlust da herauskommen wollen, ohne großes Blutvergießen meine ich. Und Duell um die Ehre ist für gewöhnlich recht blutig nach meiner Erfahrung, die aber zugegebenermaßen noch nicht sehr groß ist." Sabea wirkte nachdenklich. “Bei uns in der Familie wird der Waffengang abgelehnt. Es soll wohl Unglück auf das Haus Altenberg werfen. Deswegen hab ich auch nach den Stützbalken der Schmiede gegriffen und nicht zum Schwert, als die Thorwaler kamen. Hmmmm.” Weiter Grübelnd schaute sie sich den Platz genauer an. “Es ist nichts unehrenhaftes daran sich mit den Fäusten zu messen”, auch so kann man einen Streit beilegen, schlug Thankred vor. “Das Problem an der vorliegenden Situation sind die ganzen Menschen, die sich hier versammelt haben. Das Volk erwartet ein Duell, sie wollen Blut sehen und werden enttäuscht sein, wenn es nicht so kommt und schlecht reden werden sie auch.”

Was für ein Menschenauflauf! Und wie neugierig sie schauten, dabei tuschelnd und schwatzend! Ringard versuchte, sich im Hintergrund zu halten, was in der Nähe ihres Verlobten Amiels und damit auch Durinjas gar nicht so einfach war. Wenigstens unterstützte sie ihr dezentes, dunkelgrünes Kleid mit naturfarbenen Seitenstücken, dessen einzige Finesse in seinen ausladenden Schmetterlingsärmeln und seiner rückwärtigen Schnürung bestand und ansonsten weder Einblicke in ihr ohnehin noch wenig üppiges Decolleté noch auf ihr Schuhwerk (heute einfache dunkelbraune Lederschuhe) oder gar Beine gewährte, bei diesem Ansinnen. Das dunkelblonde Haar der jungen Tannenfelserin lag bis auf zwei schmale, hinter ihrem Haupt zusammenlaufende Schläfenzöpfe offen über ihren Schultern, und betonte ihr durchaus hübsches, aber keinesfalls auffälliges oder gar aufreizendes Auftreten. Dennoch glaubte sie, die vielen gaffenden Blicke wie Nadelspitzen auf sich zu spüren. Rasch zog sie sich ein wenig hinter Amiel zurück, dessen üppigere Gestalt ihrer hageren im wachsenden Dunkel des Abends gute Deckung gewährte. Wie sehr musste der Mersinger Durinja beleidigt haben, dass diese sich zu einer derartigen Maßnahme gezwungen sah! Aus den Erzählungen konnte sie noch immer nicht genau nachvollziehen, was geschehen war. Jedenfalls schien alle Welt über den impertinenten Junker aufgebracht. Nur Amiel wirkte überraschenderweise recht gelassen auf sie. Ringard selbst war aufgeregt - was würde sich hier gleich ereignen? Und wo blieben nur Nivard und Elvrun? "Weißt Du, was Durinja genau vor hat?" raunte sie Amiel von hinten ins Ohr, vor Anspannung und Neugier fast platzend. “Ich habe keine Ahnung, mein Liebstes. Soweit ich weiß, wird es ein Wettstreit geben. Aber was für einen liegt in der Hand des Mersingers. Ich habe ein paar Sachen mitgebracht.”, flüsterte Amiel ihr zu. "Und was genau hast Du dabei?", flüsterte Ringard zurück. Sie wollte zu gerne wissen, auf welche Art von Wettstreit das ganze hinauslaufen würde. Irgendwie ging das alles ganz anders vonstatten, als sie sich so etwas ausgemalt hatte - wie in den Büchern, die sie und die Baroness Befinna sich letzten Winter gegenseitig in der Kemenate zu Burg Fadersberg mit rotglühenden Wangen mal kichernd, mal bangend und oft mit verträumt schmachtendem Blick vorgelesen hatten, und die voll von solchen Geschichten waren, Geschichten von großen Gefühlen und Menschen, die daran beinahe zerbrachen, dann aber daran wuchsen, Geschichten von wahrer Liebe und ewiger Feindschaft, von steter Treue und hinterhältigen Verrat und von unbefleckter Ehre und dreckigster Niederträchtigkeit. In diesen hätte Durinja niemals selbst für ihre Ehre streiten müssen, nein, sie hätte noch nicht einmal Satisfaktion fordern müssen. Dann wäre ihr Verlobter nämlich - wie ein echter Ritter - von sich aus für sie in den Ring gestiegen und hätte dem Mersinger Manieren beigebracht, wenn er denn auch nur halb so unflätig aufgetreten wäre, wie man sich erzählte. Obgleich Ringard sich unsicher war, wie viel von den Gerüchten sie glauben durfte, und obwohl sie Durinja nur wenig und den Mersinger gar nicht kannte, gehörte ihre Sympathie ganz der gepeinigten Zofe: zum einen würde diese bald ihre Schwägerin sein, und sie konnte sich kaum vorstellen, wie ein so lieber Mensch wie Amiel eine ganz andere Schwester haben sollte. Zum anderen war Durinja eine unbewaffnete Frau, noch dazu eine Zofe wie sie im Prinzip auch - selbst wenn man sie dafür in Ambelmund eine Hofdame schimpfen würde - und damit gegenüber einem Ritter und Junker in eindeutig unterlegener Position. Wie konnten all die Mannsbilder hier umhin sie in dieser Lage nur alleine für sich eintreten lassen? "Glaubst Du, dass es gefährlich für Durinja werden könnte?" schob sie aufgeregt hinterher, gespannt auf die Antwort selbst, aber auch auf die Reaktion Amiels. “Seile, Spielkarten und so Kram.” flüsterte er weiter. Dann griff Amiel nach Ringards Hand. “Keine Sorge, Durinja kann sich ihrer Haut erwehren. Ich hab jeden Kampf mit ihr verloren.” feixte er. Jetzt musste Ringard grinsen. "Na, wenn das so ist. Dann muss in Zukunft ja ich Dich beschützen." scherzte sie zurück.

Ritter und Zofe

Lares traf pünktlich auf die Minute auf dem Rücken seines Pferdes am vereinbarten Treffpunkt ein. Seine kleine Pagin hockte hinter ihm auf dem Pferderücken. Der Mersinger hatte sich des Anlasses entsprechend eher handfest angezogen. Es sollte ja zur Sache gehen, das war kein höfisches Geplänkel mehr. Doch als er die Straßen in Herzogenfurt entlangritt, drängten sich von Schritt zu Schritt immer mehr Menschen an den Straßen. Fast schien es, als sei Markttag und eine Gauklertruppe sei in der Stadt. Erst viel zu spät begriff er, dass wohl er den Hofnarren für all diese gaffenden Leute spielen würde. Das ließ den Zorn in seinen Eingeweiden wüten. Diese ganze Veranstaltung war unnötig, schändlich und der inadäquaten Verhaltensweise dieser Schnepfe von einer Schlange geschuldet. Der Pöbel warf ihm, den man nicht nur an seinem Äußeren, sondern insbesondere am Wappen seines Hauses auf dem Wappenrock erkennen konnte, den er über einem lockeren Wams trug, zunächst nur böse Blicke, dann jedoch Schmähungen zu. Manch einer traute sich sogar, vor ihm auszuspucken. Wäre dies in Rosenhain passiert, er hätte das Pack Respekt gelehrt. Aber was konnte man schon vom Pöbel erwarten, wenn dessen Herrschaft nicht in der Lage war, sich adäquat zu verhalten. So ritt er finsterer Mine und starren Blickes auf den Platz vor dem Uhlenturm. Als er dort angekommen war, verschaffte er sich in der Menge Platz, indem er mit seinem Pferd einen Kreis umritt. Dann ließ er sein treues Ross vor dem unsäglichen Bannstrahler und seiner noch unsagbareren Verlobten halten. Gemach und ohne Eile stieg er ab, klopfte sich die Rockschöße aus und blickte der Altenbergerin und ihrem Verlobten entgegen.

Der Mersinger sprach mit lauter Stimme: “Hoher Herr vom Traurigen Stein, hohe Dame von Altenberg. Hier bin ich, wie in Eurem allein an mich adressierten Brief gefordert. Und scheinbar auch die halbe Stadt.” Mit der Linken machte der Mersinger eine ausladende Geste, die die gesamte Entourage einbezog. “Nun bin ich es nicht gewohnt, dass einem fairen Wettstreit unter Edelleuten schaulustige Gaffer beiwohnen, doch scheine ich mit einigen Sitten in Eurer Stadt nicht ganz geläufig zu sein. Weil Euch meine in aller Form ausgesprochene Entschuldigung nicht ausreichte, habt Ihr Euch diese Zusammenkunft erbeten. Ihr seid Euch wie ich selbst der Tatsache bewusst, dass wir kein Ehrenhändel ausfechten; andernfalls sähe ich mich gezwungen, abzulehnen, nachdem Ihr nicht unter Waffen steht. Aber das konnte ich mit Eurem Vater ja bereits hinlänglich besprechen, der mir in dieser Angelegenheit im Übrigen seinen Rechtsrat anbot - eine große, aber unnötige Geste.” Lares schüttelte den Kopf. “Ich frage Euch deshalb unter den hier anwesenden - zahlreichen - Zeugen, ob Ihr von Eurem Begehr Abstand nehmen wollt oder ob Ihr hier mich und Euch zur Attraktion des gemeinen Volkes zu machen gedenkt. Noch bin ich bereit, diese Sache friedlich und wie bereits angeboten vernünftig zu lösen. Meines Erachtens geziemt es weder einer Frau von Stand noch einem solchen Herren, dem Volke Brot und Spiele zu sein.”

Linnart rollte kurz mit den Augen als der Mersinger ihn so überschwänglich begrüßt hatte und sein Viehzeug, wohl in einem Anflug von Provokation, vor ihm und seiner Verlobten abstellte. Dennoch ließ der Ritter sich zu keiner äußerlichen Regung hinreißen. Er war selbst nicht glücklich darüber, dass Volk und andere Gäste gleichermaßen anwesend waren. Die Kombattanten und der engste Kreis hätten seiner Meinung nach gereicht, doch wusste Linnart natürlich auch, dass Durinja genau diese Konstellation wollte. Aufmerksamkeit und ein Publikum. Er hoffte, dass sie sich daran nicht ihre schlanken Finger verbrennt. Klar, der Bannstrahler würde auf sie acht geben und wenn der Mersinger die Waffe auf sie richtete um ihr Leben zu bedrohen, würde er ihm die Hand abschlagen. Ohne Forderung und sonstiges Pipapo … doch so schätzte er den jungen Ritter nicht ein. Der Traurigsteiner war selbst nicht glücklich darüber, dass es soweit kommen musste und sich seine Frau dafür hergab den Pöbel zu unterhalten, doch sei es drum. Nun konnte niemand mehr einen Rückzieher machen.

Der Trollpforzer hingegen nickte anerkennend auf seinem Pferd sitzend. Die Worte des Mersingers waren schlicht die Wahrheit. ‘Das Schauspiel’ war eben jenes, ein Schauspiel und als solches unwürdig für die Darlegung eines Streits unter Edelleuten. Nein, hier ging es um Eitelkeit und Selbstdarstellung.

Heute war Melisande nicht die Zofe ihrer Baronin, sondern nur eine neugierige junge Frau, der das Gespräch mit Durinja noch gut im Gedächtnis war. Deshalb hatte sie sich heute unauffällig gekleidet, in ein einfaches Hemd und Hose, kniehohe Stiefel und einen weiten, dunklen Umhang mit Kapuze. Außerdem trug sie ihre Haare darunter offen, und ihr Gesicht hatte sie mit Schminke aufgehellt und mit ein paar kunstvollen Pinselstrichen an den richtigen Stellen in das einer anderen Frau verwandelt - zumindest, solange niemand, der sie kannte, allzu genau hinsah. Aber die einsetzende Dunkelheit und die Kapuze waren in dieser Beziehung ihre Freunde. So stand sie nun inmitten der Menge, eine Zuschauerin unter vielen, die in der Gruppe unterging. Sie hatte ein wenig der Gauklerin zugesehen, aber die Begeisterung von vor zwei Tagen hatte sie mit ihren hier dargebotenen kleinen Kunststücken natürlich nicht wecken können, dennoch hatte sie ganz wie andere Schaulustige einen Heller in den ausgelegten Beutel geworfen und sich dabei ein Bild gemacht, wer alles gekommen war. Und nun war auch der Mersinger heran. Sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass seine Rede in der Sache zwar richtig, in der Art aber eine erneute Beleidigung Durinjas darstellte, ob das nun von ihm so beabsichtigt war oder nicht. Gespannt schob sie sich in der Menge ein wenig nach vorne, um besser sehen zu können.

Rajodan von Keyserring hörte zu. Er stand etwas abseits neben seiner Tochter Luzia und beobachtete das Schauspiel. Etwas anderes war es wohl kaum. Dieses Weibstück dort war gerissen und gewillt über Leichen zu gehen. Andere ins Unglück zu stürzen für ihr eigenes Glück. Wissentlich. Er lächelte. Aber hübsch war sie. Im Bett sicherlich eine Kratzbürste, die zahm schnurren konnte, wenn sie den richtigen Mann fand. Einen Mann, den sie suchte: Jemand, der sich nicht von ihre manipulieren liess. Mit kalten Feuer lag sein starrer Blick auf Durinja, während er seine Tochter befragte, ob sie Näheres zu dem Ausgangspunkt dieser unschönen Situation wusste. Doch Luzia schüttelte den Kopf. Ihre Sorge galt ihrer Schwester, die verstört hinter Lares stand und immer wieder zu ihr herüber schielte.

'Das arme Mädchen!' war Ringards erster, mitfühlender Gedanke, als sie die junge Pagin des Mersingers hinter diesem sitzend sah. Warum hatte der nicht wenigstens das Kind aus der Sache raushalten können? Wie sich diese fühlen musste, von der halben Stadt feindselig angestiert für Beleidigungen, die ihr Ritter Durinja an den Kopf geworfen hatte... haben musste, nach allem, was sie gehört hatte. Warum hatte sich dieser nur zu so etwas hinreißen lassen? War es falschverstandene Ritterlichkeit, sich für diese Andesine zu verwenden? Oder nicht doch eher die Eifersucht eines Mannes, dem das Glück auf der Brautschau nicht hold gewesen war und eine ebenfalls unglückliche Dame als Vorwand für irgendwelche Tiraden vorgeschoben hatte? Und jetzt versuchte er ebenso offensichtlich wie halbherzig, sich aus der Affäre zu ziehen. Die Rede des Mersingers vermochte Ringard jedenfalls ebenso wie dessen ganzer Auftritt nicht zu überzeugen oder gar auf dessen Seite zu ziehen.

Ungläubig schüttelte Durinja den Kopf und legte ihre Hand auf den linken Busen, als ob sie einen Schmerz fühlen konnte. Dann machte sie einen Schritt nach vorn, so dass man sie besser im Fackelschein sehen konnte. Die Edeldame reckte ihr Kinn, stolz, aber verletzlich wirkte sie. “Euer Wohlgeboren von Mersingen.”, fing sie an mit ruhiger, aber deutlich vernehmbaren Stimme. “Wieder einmal beweist ihr, das Worte nicht eure Stärke sind. Ich bin genauso überrascht wie ihr, Zeugen für unser Treffen zu sehen. Doch sagt es mir eines: Eure unflätigen Worte mir gegenüber haben anscheinend Wellen geschlagen. Ich widerum brauche kein Publikum, um von meinem Stand zu künden.” Dann faltete sie ihre Hände vor ihren Bauch. “Und ich hoffe eure Worte waren nicht an die Baronin von Schweinsfold gerichtet. Ich stamme nicht von hier, noch diene ich diesem Hofe. Ich komme aus Elenvina und kenne die hiesigen Gebräuche nicht.” Ein kurzer Seitenblick ging in Richtung der Höflinge der Baronin. “Ich möchte euch daran erinnern, das ihr mitnichten eure Entschuldigung in aller Form ausgesprochen habt. Schnell daher gesagte Worte im Flüsterton sind wohl keiner Edeldame würdig, zumal ihr kaum einen Augenblick später weiter Beleidigungen aussprachet und somit eurer Worte vorher Lüge straftet. Aber genau deshalb sind wir hier.” Nun öffnete sie ihre Hände in einer vergebungsvollen Geste. “Ihr fragt mich ob ich davon Abstand nehmen möchte, euch die Gelegenheit zu geben, das ihr euch ehrlich Entschuldigen könnt? Wie es scheint habt ihr meine Einladung missverstanden. Mir liegt es daran einen Weg des Friedens zu gehen.” Durinja drehte sich kurz zu Linnart und lächelte ihn an. Mit dem selben Lächeln schaute sie herauf, des Junkers Blick erhaschend. “Ich stehe hier, als zukünftige hohe Dame des Hauses vom Traurigen Stein. Ihr habt nun die Gelegenheit sich bei mir und dem Haus ´vom Traurigen Stein´ in aller Form zu entschuldigen. Da ihr aber auch bewiesen habt, dass Worte nicht eure Stärke sind und ich als Edeldame mir nicht zu fein bin euch entgegenzukommen, biete ich euch einen vernünftigen und fairen Wettstreit an. Taten sprechen ja oft mehr als Worte. Ohne Waffengang, nur ihr und ich. Ihr könnt euch Aussuchen, wie er aussehen sollte. Und von mir aus könnt ihr auch unsere Zuschauer wegschicken, allerdings habe ich nichts zu verbergen. Eure Wahl, euer Wohlgeboren.”

Innerlich musste Linnart über die Worte seiner Frau lächeln, doch drang davon nichts nach außen. Er lehnte nun wieder lässig an der Brüstung und verschränkte seine Arme vor der Brust. Durinja führte wahrlich eine Zunge, die spitzer war als die meisten Schwerter - sie verstand es zu spielen und zu manipulieren, was dazu führte, dass die Gaffer förmlich an ihren hübschen Lippen hingen, auch wenn der eine oder andere anwesende Adelige merklich den Kopf schüttelte. Die hübsche, junge Zofe mit dem Herzschmerz und der unflätige, von Neid und Missgunst getriebene Ritter aus dem Hause Mersingen. Linnart wusste, dass dieser Lares nichts anderes war als ein Prahlrik und Großmaul. Ein Mann, der seinen Namen vor sich her tragen musste, weil ihn das Fehlen großer Taten als das erscheinen lassen würde, was er wirklich war - ein Hofschranze, der sich Ritter nennen durfte, weil er 12 Götterläufe an der Seite eines anderen Adeligen abgesessen hatte. Es juckte den Linnartsteiner in seinen Fingern, doch konnte und durfte er sich als Diener des Gleißenden nicht für solch einen Wahnwitz hergeben. Noch dazu vor all dem Pöbel. Der Bannstrahler bemerkte natürlich auch, dass seine Verlobte in ihrer Rede und dem damit einhergehenden Verhalten vielleicht etwas zu dick auftrug. Ob sie auch hinter diesen übertriebenen Gerüchten steckte, die hier im Umlauf waren? Er wollte es gar nicht wissen. Dennoch schenkte er Durinja für die Dauer einiger Herzschläge ein ehrliches Lächeln, beschränkte sich dann aber wieder darauf zu beobachten.

Thankred schnaubte und schüttelte ungläubig den Kopf. War dies die ‘Lösung’ für die Streitigkeit- ein Wettkampf, also nichts anderes als ein kleines Spielchen und das vor dem Volk? Nein, das war keine Lösung, das war der sichere Weg sich lächerlich zu machen. Die versammelten Herrschaften hatten schlicht nicht das Rückgrat oder… die Eier, einen Streit vernünftig beizulegen. Neugierig blickte der Trollpforzer nun zum Mersinger. Er war gespannt, wie dieser auf dieses Angebot reagieren

‘Schlange’, dachte Melisande und schmunzelte innerlich. Jetzt war sie gespannt, wie der Mersinger wohl darauf reagieren würde. Immerhin ließ Durinja ihm immer noch die Wahl der ‘Waffen’, obwohl es sich ja bei diesem Wettstreit um kein Duell handeln sollte. Das war in den Augen der rickenhausener Zofe ein nicht zu unterschätzender Schwachpunkt in Durinjas Plan. Sie war jetzt sehr gespannt darauf, wie der Mersinger reagieren würde. Verstohlen sah sie sich um. Eigentlich müsste doch irgendwo in der Menge auch Durinjas Vater stehen, der würde doch seine Tochter in so einer Situation nicht allein lassen?

Ein wenig enttäuscht vernahm Doratrava die Worte der Hofdame. Sollten die beiden die Sache wirklich unter sich ausmachen wollen und das Publikum wegschicken? “Alana”, flüsterte sie ihrer Freundin zu, “wenn die beiden alle wegschicken - was wirst du denn dann tun?” “Na wenn ich nicht gebraucht werde, werden wir alle gehen müssen. Aber ich denke wir beide finden dann schon was, das wir machen können.”zwinkerte die Ritterin der Gauklerin zu. Doratrava lächelte zurück. “Hm, da müsste ich dann ja fast schon hoffen, dass sie uns wegschicken - oder es schnell zu Ende bringen.”

Ein faires Angebot Durinjas, fand Ringard. Wenn dieser Junker seine Entschuldigung ernst gemeint hatte, so könnte er sie problemlos wiederholen und sich darüber hinaus erklären - dann wäre die Sache aus der Welt. Und falls nicht, konnte sie sich selbst gegenüber eine gewisse Vorfreude nicht verleugnen, dabei Zeuge zu sein, wie ihre zukünftige Schwägerin dem Mersinger eine Lektion erteilte. Und zu sehen, ob diese tatsächlich so gut war, oder Amiel dieser gegenüber einfach zu gutmütig.

Rajodan hatte seine Tochter ums Handgelenk gegriffen und näher ans Geschehen gezogen. Den Blick weiterhin auf die Hofdame gerichtet. Als er neben seiner jüngsten Tochter angekommen war, ließ er Luzia los, legte seinen Kopf schief und fixierte die Altenbergerin weiterhin mit einem hochgezogenen Mundwinkel. Luzia beugte sich zu Lissa herunter und raunte ihr zu: “Was ist denn nur geschehen, man hört die unglaubwürdigsten Gerüchte.” Doch das Kind zuckte nur irritiert mit den Achseln. Der Vater der beiden Schwestern hingegen hob die Stimme: “Verzeiht, hohe Dame, im Interesse meines eigenen Hauses, das dem Hause Mersingen freundschaftlich verbunden ist, möchte ich euch bitten, den Wortlaut der Anschuldigungen zu wiederholen, mit dem euch der junge Ritter bezichtigt haben soll. Selbstverständlich verstehe ich, wenn ihr zuvor alle Zuschauer nach Hause schicken wolltet. Immerhin scheinen es ja sehr unangenehme Bezichtigungen gewesen zu sein. Ihr werdet meine Besorgnis verstehen, meine Tochter bei jemanden in Knappschaft gegeben zu haben, den ihr öffentlich beschuldigt, beleidigend und anmaßend zu sein. Und als wohlmeinender, fürsorglicher Vater, muss ich natürlich Sorge tragen, und im Falle einer gravierenden Verfehlung meine Tochter aus dieser Verbindung herauslösen.” die Stimme des Eisensteiners klang kalt und ließ keinen der Anwesenden zweifeln, wen er für anmassend hielt und sein wissender, musternder Blick ruhte auf Durinja. War sie wahrhaft so kalt, herzlos und egozentrisch, Lares von Mersingen so tief hineinzureiten? Und seine Tochter, die erbleichte, von ihrem Lebenstraum zu trennen, nur um dieses lächerliche Spektakel durch zu ziehen? “Erhellt mich bitte, welche Freveltaten der Herr von Mersingen begangen haben soll. Offensichtlich nichts so Frevelhaftes, dass euer Verlobter einzugreifen gedachte. Daher wäre ich doch sehr angetan über etwas Aufklärung.”

Dass nun ein Hochadliger Partei für den Mersinger ergreifen musste, sagte viel, fand Ringard. Andererseits war sie mehr als neugierig, die Beleidigungen, die der Junker Durinja und Linnart an den Kopf geworfen haben musste, überhaupt einmal im Detail zu vernehmen. Gespannt wanderte ihr Blick zu der Angesprochenen.

“Jetzt wird es spannend”, raunte da der Junker von Trollpforz seiner Verlobten zu. Der Auftritt des Eisensteiners brachte eine neue, interessante Wendung. Keine Zunge war zu Spitz und Flink wie die von Rajodan von Keyserring. Vor dessen ‘Kunst’ einem das Worte im Mund zu verdrehen musste man sich in acht nehmen. Und wenn diese Schnepfe glaubte sie könne etwas handfestes gegen den Mersinger vortragen, dann sollte sie es doch versuchen. Der Eisensteiner würde sicher etwas zu entgegnen haben, da war sich Thankred ziemlich sicher.

Bei den Worten des Barons umspielte Linnarts Züge ein Schmunzeln. Als der Eisensteiner ihn mit seinem letzten Satz in diese Sache mit hinein zog, erstarb dieses jedoch sogleich wieder. Nun wurde er tatsächlich dazu genötigt eine Wortmeldung abzugeben, denn ein Diener Praios', der sich zu vorliegenden Ungerechtigkeiten und Unrecht nicht äußert und es schweigend hinnimmt wäre ein fatales Bild für den Pöbel. "Ich darf Euch dahingehend beruhigen, dass im gegenständlichen Fall keinerlei Frevel gegen den Herrn Praios und seine elf göttlichen Geschwister vorliegt, Euer Hochgeboren." Seine Stimme war ruhig, schaffte es aber dennoch Autorität zu vermitteln. "Was Eure berechtigten Sorgen Eure Tochter betreffend angeht, schlage ich ein Gespräch in privatim vor. Wiewohl es der Gleißende verlangt offen und ehrlich zu unserer Schuld und unseren Vergehen zu stehen, scheinen mir hier zu viele Ohren anwesend, um jene … Dinge, die der Herr von Mersingen mich und meine Verlobte betreffend großmundig von sich gegeben hat wiederholen zu lassen. Man müsste schon ausnahmslos alle, bis auf Euch, die hohe Dame von Altenberg, den Herrn von Mersingen und mich des Platzes verweisen. Wir sind hier weder vor Gericht, noch in einem Tempel des Götterfürsten." Der Blick des Bannstrahlers lag fordernd am Baron. "Vielleicht gereicht Euch fürs erste mein Wort, dass meine Zukünftige jedes Recht dazu hat eine öffentliche Entschuldigung zu fordern." Zum hier stattfindenden Schauspiel gab er bewusst keinen Kommentar ab.

Als der Eisensteiner neben ihm auftauchte entglitten Lares kurz die Gesichtszüge. Dieses Spektakel war all seinen Ambitionen, aber insbesondere seiner armen Pagin total abträglich! Dass das der Eisensteiner mitbekam, war überhaupt nicht erfreulich. Als er dann auch noch davon sprach, ihm die kleine Lissa, die ihm so ans Herz gewachsen war, zu entziehen, wurde der eh schon bleiche Mersinger weiß wie eine Wand. Doch die Worte des Barons richteten sich - wie eine Klinge - ersichtlich gegen seine Kontrahenten, was mehr als erfreulich war. Die Dreistigkeit, die der Traurigsteiner an den Tag legte, sprach für sich. Dieses Spektakel hier zu organisieren - wer außer ihm wusste denn noch von dem Zusammentreffen? - und sich dann hinter den Massen zu verstecken? Eine Erwiderung war angebracht, doch Lares biss sich auf die Zunge. Momentan hatte er einen potenten Fürsprecher. Er würde warten, ob sich der Baron mit dieser offensichtlich jämmerlichen Antwort zufrieden gab.

Linnarts Blick ging vom Baron hin zum Mersinger, dem man sein Unwohlsein deutlich ansah. “Ich beteilige mich nur sehr ungern an derlei Eitelkeiten und tue es nur, wenn ich tatsächliches Unrecht vernehme. Dass der Herr von Mersingen in seiner ersten Rede bereits die hiesigen Gepflogenheiten in Frage stellte und damit seine Gastgeberin, die Baronin von Schweinsfold, sowie alle der hier Anwesenden latent beleidigte, spricht Bände. Ich werde es nicht sein, der dafür eine Richtigstellung oder Entschuldigung fordert … aber es zeigt ein recht genaues Bild von der losen Zunge, die der junge Herr zu führen pflegt.” Mit diesen Worten lehnte sich der unwillentlich in diese Farce mit einbezogene wieder gegen die Brüstung.

“Nun”, antworte der Eisensteiner, “ihr versteht sicher meine Verwirrung, wenn ihr einerseits versichert, dass sich eure Verlobte zu Recht angegriffen fühlt. Andererseits aber sagt, euch nur in derlei Eitelkeiten einzumischen, wenn ein Unrecht geschehen ist. Da ihr nicht für ihre Ehre den Mersinger gefordert habt, also scheinbar in euren Augen kein solches relevantes Unrecht vorliegt, scheinen sich beide Aussagen zu widersprechen. Was sie sicherlich nicht tun, das möchte ich nicht unterstellen, aber ihr mögt mich doch bitte erhellen, um meine Verwirrung aufzulösen. Und wenn ihr schon dabei seid, könnt ihr damit fortfahren, mir zu erläutern wie eine öffentliche Entschuldigung funktionieren mag, wenn ihr andererseits konstatiert, dass es ein Thema fürs Private sei, das ihr nicht öffentlich … darzulegen gedenkt.”

Etwas irritiert blickte der junge Ritter auf den Baron. Hielt er ihn für schief gewickelt? Dennoch straffte sich Linnart und setzte ein Lächeln auf. “Ventitum Duellum …”, meinte er knapp und blickte theatralisch an seinem weißen Wappenrock hinab, “... ich sehe keine rote Löwin auf meiner Brust … wir Bannstrahler vergießen Blut für den Schutz der praiosgefälligen Ordnung und nicht für unsere persönlichen Befindlichkeiten.” Sein Blick wurde ernst. “Ich kann Euch versichern, dass wenn ich dem Anliegen meiner Verlobten so wenig Wert beimessen würde, wie Ihr verstanden habt, dann stünde ich nicht hier. Auch denke ich, dass die hohe Dame von Altenberg eine starke und eigenständige Frau ist, die keinen Mann braucht, der ihre Kämpfe für sie ausficht. Seht es als einer jener Dinge, die mir an ihr am Meisten imponiert haben.” Linnart kratzte sich an seinem Kinn. “Ich hatte es dem hohen Herrn von Mersingen im Übrigen angeboten die Sache auf St. Aldec, im Angesicht des Götterfürsten, zu regeln. Es dürfe kein offizieller Ehrenhandel sein, Ihr wisst ja … Ventitum Duellum, aber es wäre eine Möglichkeit gewesen auch den dort anwesenden Knappen etwas zu lehren.” Sein Blick lag kurz am Mersinger, der sein Angebot damals ignorierte. “Ich hoffe auch Eure zweite Unklarheit beseitigen zu können. Bei einer öffentlichen Entschuldigung ist es nicht wichtig was die, der Entschuldigung zu Grunde liegende Anschuldigung war. Der Akt der Entschuldigung entkräftet die Anschuldigung, meint Ihr nicht? Wenn ich Euch einer Unehrenhaftigkeit bezichtige und dann um Vergebung für meine falsch gewählten Worte bitte, erleidet Ihr keinen Gesichtsverlust.” Eher im Gegenteil, doch ließ er das unausgesprochen. “Deshalb ja, wenn der Herr von Mersingen sich öffentlich und ehrlich für seine Beleidigungen entschuldigt, sehe ich kein Problem diese zu wiederholen. Auch vor den hier Anwesenden.”

“Nun, in Ansätzen verstehe ich eure Argumente. Wenngleich nicht vollständig. Ein Duell kann auch durch einen Ersatzkämpfer ausgetragen werden und eure Verlobte hat wohl genug Verwandte in der Nähe, dass sich jemand gefunden hätte, der diese Forderung hätte ausführen können. Aber wie ihr sagt, scheinbar beschreitet sie lieber neue Wege, anstatt althergebrachten und Bewährtem zu folgen. Etwas, das meiner Erfahrung nach eher Rahja- als Praioskirche schätzt, aber Dere wandelt sich eben, nicht wahr? Da kann man es dem jungen Mersinger nicht übelnehmen euer Angebot ausgeschlagen zu haben, da es in Ehrenfragen nicht üblich ist, dem Beschuldigten ein solches zu unterbreiten. Dem Beschuldigten, dem Ehrverletzer wird es auferlegt. Es wird verlangt. Also mögt ihr ihm dies nicht zum Vorwurf machen, ist er einfach wohl weniger progressiv als ihr es seid. Eure zweite Erklärung hingegen bin ich gänzlich anderer Meinung, aber das mag ebenfalls an meiner Haltung zu althergebrachten Werten und Wegen liegen. Eine Beleidigung, die öffentlich erfolgt ist, soll öffentlich entschuldigt werden oder durch ein Duell gesühnt. Eine Beleidung aber, die im Privatem erfolgt ist, sollte doch im Privaten entschuldigt werden. In einem solchen Fall, geht es doch eher um persönliche Ansichten als um einen Angriff auf die Ehre. Um welchen Fall handelt es sich denn nun? Wer war anwesend als die scheinbar so geheime Beleidigung ausgesprochen wurde?” Sein Kopf drehte sich Lares zu und der kalte Blick der dunklen Augen ruhte nun auf dem Mersinger. Lares hatte sich zurückgehalten - was aus seiner Sicht zu seinem Vorteil war. Nun nickte er.

“Die Unterredung fand unter acht Augen statt. Die hohe Dame von Altenberg, der hohe Herr vom traurigen Stein, Eure jüngste Tochter und ich waren zugegen, euer Hochgeboren. Zwar fand die Unterredung während der Feier des gestrigen Tages statt, doch handelte es sich um eine Angelegenheit, die nur mich und den hohen Herrn vom Traurigen Stein sowie seine Verlobte belangte, sodass ich es selbstredend dabei bewenden ließ, keine weitere Person in diese Unterredung miteinzubeziehen. Nicht im Traume würde es mir einfallen, eine Angelegenheit zwischen zwei adeligen Herren - und nur zwischen diesen - zum Gespött der Leute zu machen.”

"Die Unterredung fand nicht in einem Separee unter acht Augen statt, sondern an einer besetzten Festtafel auf einem Fest der Familie meiner zukünftigen Frau. Eure Zusicherung niemand anderes hätte es hören können, ist schlichtweg falsch. Das dürfte einem jeden hier klar sein, der schon einmal einem Bankett beigewohnt hat." Der Blick des Ritters war unbeeindruckt. "Ins Gespräch mit einbezogen habt Ihr sonst niemanden, das spreche ich Euch nicht ab."

“Lasst es mich klarer formulieren: Wer außer euch, eurer Frau, herzlichen Glückwunsch im übrigen zum Traviabund, die Abfolge von Verlobung und Ehelichung scheint heutzutage ebenfalls schneller zu gehen als es mir meine Werte vorgeben, und meiner Tochter haben die Beleidigung vernommen?”

Linnart musste unwillkürlich lächeln. “Nun der Mersinger hat die Worte an einem vollbesetzten Tisch ausgesprochen und ist auch sonst damit hausieren gegangen, wie mir im Nachhinein von mehreren Stellen zugetragen wurde. Mit mir hat er dann im Übrigen erst zum Schluss das Gespräch gesucht, nachdem er sein Gift schon versprüht hatte.” Auf die Spitze des Barons mit der Hochzeit ging der Traurigsteiner nicht ein.

“Gegen diese Unterstellung protestiere ich vehement”, fuhr ihm Lares dazwischen. “Dies entspricht schlicht und ergreifend nicht der Wahrheit. Momentan bin ich es, der unausgesprochene Anschuldigungen über sich ergehen lassen muss - von denen Ihr Euch nicht traut, diese offen auszusprechen. Dass die Angelegenheit, über die wir sprechen, Wellen geschlagen hat, das ist zutreffend. Doch denkt wohl darüber nach, wer diese Wellen geschlagen hat. Meint Ihr etwa, Tränen fließen ohne Zuschauer? Meint Ihr etwa, jeder und jede steht schweigend daneben und niemand frägt? Sollte ich lügen, wollt Ihr das von mir verlangen? Ich habe versprochen, über die Angelegenheit zu schweigen und ich halte meine Versprechen. Dreht mir hieraus keinen Strick, das ist unlauter." Der Ritter blickte sich um und wandte sich dann in ruhigem Ton Lares zu. "Ihr seht welches Aufsehen erregt wurde und was für ein Tratsch kursiert. Ich gebe nicht viel auf derlei Gewäsch, aber es hat die Runde gemacht. Das könnt Ihr nicht von der Hand weisen. Aber das haben wir schon an der Tafel besprochen." “Und genau dort hin gehörte diese Angelegenheit. Nicht hierher. Wir hatten diesbezüglich eine vernünftige Übereinkunft.” "Ich behandle Eure Fehltritte hier und heute sehr diskret, hoher Herr. Dasselbe Maß an Diskretion ließet Ihr allem Anschein nach vermissen."

“Nun, seiner Aussage nach, hat er niemandem Zeit und Ort der heutigen Verabredung genannt. Insofern ihr und eure Frau dies auch nicht taten, wird dieser Umstand wohl ein Mysterium bleiben. Insofern jeder die Wahrheit spricht.” Ein süffisantes Grinsen zeigte sich auf den Zügen des Ritters: “Ich plädiere an dieser Stelle dazu, die Ehrverletzung hier nun öffentlich zu benennen. Denn ansonsten machen sich nur Gerüchte breit, die Gift sind für Praiosgefälligkeit, Ordnung und Wahrheit. Nichts kann dieses Gift besser bekämpfen als ehrliche Worte, wahre Worte. Da werdet ihr mir doch wohl als Diener des Götterfürsten nicht wiedersprechen?”

“Fürwahr wohl gesprochen, doch dennoch kann ich Euch nicht folgen. Ihr meint es würde der Praiosgefälligkeit dienen Unwahrheiten über Adelige des Reiches, einer darüber hinaus Venerati Lumini in der Gemeinschaft des Lichts, zu verbreiten?” Linnart schob seine Augenbrauen zusammen. “Die Anschuldigung gegen den Herrn von Mersingen ist hinreichend bekannt und wurde auch von meiner … Verlobten … ausreichend artikuliert. Den genauen Wortlaut braucht es da nicht, meint Ihr nicht?”

“Nein, das meine ich sehr wohl. Es geht im Übrigen nicht darum die Anschuldigung zu wiederholen, sondern seinen Wortlaut wiederzugeben. Der Unterschied zwischen dem Wiedergeben von Fakten und dem Wiedergeben von Beschuldigungen sollte euch geläufig sein. Ihr vertraut den Menschen nicht, dass sie dazu in der Lage sind zu differenzieren? Dann bedenkt, welche Auswirkungen es haben kann, bei diesen Schwachgeistigen, wenn die Entschuldigung wie eine hohle Phrase in der Luft hängt. Sie würden die Gefahr bergen, dass man an den Worten eurer Frau zweifelt, wenn sie sich weigert, den Wortlaut zu wiederholen. Es könnte so aufgefasst werden, als weigere sie sich, da sie womöglich etwas zu verbergen hat oder die Worte des jungen Mersingers doch nicht so haltlos waren. Und nicht nur ihren Worten auch den euren würde man denselben Zweifel zuteil werden lassen. Und das darf nicht passieren. Der Stand, den ihr vertretet, darf nicht beschmutzt werden. So sehr ich es bewundere, wie sehr ihr für eure Frau einsteht. Doch sagtet ihr ja bereits: In erster Linie seid ihr ein Diener des Götterfürsten und in zweiter Linie erst ein Mensch, mit den Bedürfnissen, die wir anderen haben.”

“Zweifel an den Worten meiner Zukünftigen habt soeben Ihr gestreut, Hochgeboren. Indem Ihr diesen Gedanken in die Köpfe der Anwesenden gesetzt habt.” Er musterte Rajodan eindringlich. Etwas in Linnart sagte ihm, dass dies berechnend geschah. “Das heißt wenn ich über Euch ein böses Gerücht vernehme, muss ich dieses in die Welt tragen um der Praiosgefälligkeit genüge zu tun?” Er schüttelte sein Haupt. “Ihr habt Recht, es darf keinen Zweifel an der Wahrhaftigkeit unseres Standes geben. Da sind wir vollends d´accord. Und hätte ich Zweifel an den Beweggründen meiner Frau würde ich hier nicht stehen.” “Ihr unterscheidet nicht zwischen Klatsch und Aufklärung?” kam es zynisch zurück: “Glaubt mir, es gibt genügend böse Gerüchte über mich. Aber das ist etwas, was man hinnehmen muss, wenn man eine gewisse Größe hat.”

“Ich gebe nichts auf derlei Gewäsch, solange es meine Integrität nicht in Frage stellt. Zweifelt man an mir, zweifelt man am Ornat … am Orden … an der Kirche des Götterfürsten. Bezichtigt mich ein Mann öffentlich des Wortbruchs und der Lüge, dann kann ich das nicht unbeantwortet lassen. Nicht um meinet Willen, denn eine jede dieser unlauteren Behauptungen lässt das Bild der Gemeinschaft des Lichts eines oder mehrer Gläubigen vielleicht ins Wanken geraten und das wäre ein viel größerer Schaden. Das versteht Ihr doch hoffentlich?” Er wartete keine Antwort ab. “Genauso verhält es sich auch mit meiner Verlobten. Jemand, der ihr unlautere und unrichtige Dinge unterstellt untergräbt ihre Integrität, ihr Ansehen und ihre Ehre. Diese unflätigen Behauptungen wieder und wieder zu wiederholen führt zu nichts anderem als, dass sie sich in mehr und mehr Köpfen manifestieren. Ihr wisst genau, dass es leichter gesagt als getan ist, die Menschen im Nachhinein vom kompletten Gegenteil zu überzeugen. Deshalb kann ich dem Wiederholen der schändlichen Worte des hohen Herrn hier und heute nicht zustimmen.”

“Es ist bedauerlich, dass ein Mann der Kirche, es für gefährlich hält, die Menschen zu erhellen.” Missbilligung war aus den Worten des Barons zu hören. “So sehe ich nur eine Möglichkeit, besprecht in privatim mit dem jungen Ritter, was ihr von ihm verlangt. Er wird entscheiden, ob er darauf eingehen möchte. Und ihr darüber, welche Konsequenzen es nach sich zieht, wenn er es nicht tut”

War das ein leichter Anflug von Naivität, oder wollte der Baron ihn provozieren. “Nicht jeder Geist ist für jedes Wort empfänglich, Euer Hochgeboren. Das ist gefährliches Denken, das, Praios sei es gedankt, wohl außerhalb der Nanduskirche nicht viele teilen. Dass Ihr es verstehen würdet und die richtigen Schlüsse ziehen werdet, glaube ich Euch und würde ich nie in Zweifel ziehen. Es hat jedoch seine Gründe warum die Kirche manches Gedankengut vom einfachen Volk fern hält.” Er seufzte und maß Durinja mit einem Seitenblick. “Was unsere Zusammenkunft und die zugrundeliegende … Meinungsverschiedenheit … angeht, wurde eine Einladung ausgesprochen, die der Herr von Mersingen allem Anschein nach angenommen hat.” Sein Blick lag immer noch auf seiner Verlobten. Es war ihre Forderung und ihre Entscheidung wie sie weiter verfahren würde. Sie war dazu in der Lage das selbst zu entscheiden.

“Wenn jeder seinen Platz kennt und die praiosgefällige Ordnung aufrecht erhalten ist, bedarf es nur einem, der die richtigen Schlüsse zieht. Und ich würde nicht so weit gehen die Baronin dieser Lande derart zu beleidigen für diese Länder hier etwas anderes anzunehmen.” entgegnete der Eisensteiner lässig: “Daher scheren mich auch Gerüchte um meine Person nicht. Außerdem sei angemerkt, dass diese Umgebung nicht als privat angesehen werden kann. Aber womöglich ist das auch nur eine konservative Sichtweise. Und ihr seid ja eher progressiv, wie ihr ja eindrücklich dargelegt habt. Und damit kenne ich mich nicht aus.” so endete der Baron, trat einen Schritt zurück, so dass er zwischen seinen Töchtern stand und vergrub seinen kaltflammigen Blick erneut in Durinja. Diesmal allerdings auffordernd.

“Nichts läge mir ferner als die hiesige Baronin zu beleidigen, doch geht Ihr, trotz Eurer konservativen Sichtweise, wohl etwas zu sorglos an diese Sache heran. Proaktiv zuzulassen, oder gar herbeizuführen, dass unflätige und jeglicher Grundlage entbehrende Äußerungen über die Angehörige eines alten, hier in der Stadt vertretenen Adelshauses und einen Diener des Götterfürsten öffentlich multipel wiederholt werden, kann und wird nicht zur Förderung und Erhaltung des Ansehens und Vertrauens der Menschen in Adel und Klerus beitragen. Ihr wisst wie schnell sich Gerüchte verbreiten und auch mutieren können. Ich lade Euch gerne noch einmal ein diese Unterhaltung in kleinem Kreis fortzusetzen. Ich verstehe Eure Sorge betreffend Eurer Tochter und bin gerne bereit Euch zu dieser Causa Rede und Antwort zu stehen.” Der Ritter hob seine Schultern und empfand, dass von seiner Seite aus genug Zeit mit Geplänkel vergeudet wurde. Das Wort sollten die Kombattanten haben.

Durinja hörte aufmerksam zu. Die Einmischung des Barons von Eisenstein kam überraschend und ungeplant. ´Herr Phex, ich verstehe. Kein einfaches Spiel gönnst du mir.´ richtete sie die stummen Worte zu ihren Gott. Viel hatten die beiden Männer zu sagen und höflich wartete sie ab, bis die Möglichkeit da war, zu sprechen. Den kaltflammigen Blick des Barons beantwortete sie mit einem verletzten und traurigen Blick. “Danke eurer vielen Worte, euer Hochgeboren. Ich verstehe, dass es einige Unklarheiten für die Außenstehenden gibt, wobei ich natürlich den Wunsch meines zukünftigen Gemahls berücksichtigen werde und die genau Wortwahl des Junkers nicht wiederholen werde. Ich möchte aber auch betonen, dass ich nichts zu verheimlichen habe. Der hohe Herr von Mersingen hat in meine Anwesenheit meinem Verlobten niedere Beweggründe unterstellt, die Verlobung mit mir eingegangen zu sein. Ebenfalls hat er mir gegenüber wissen lassen, das ich bei der Wahl meines Verlobten wohl ´ein gutes Blatt´ gespielt hatte. Diese Brautschau war kein Spiel, noch waren niedere Beweggründe involviert. Ein Zeichen der Götter, ja des Herrn Praios, fügte unsere Verbindung. Nicht nur meinen Verlobten, sondern auch mir versuchte er etwas zu unterstellen. Nun, ich denke, das hat eine ordentliche und öffentliche Entschuldigung dem Haus ´vom Traurigen Stein´ und meiner Person verdient. Seine Beleidigungen wurden auch öffentlich, bei der Feier meiner Familie und unter hohen Gästen, ausgesprochen. Wie diese aber aussehen soll, liegt in der Hand seiner Wohlgeboren. Und falls er seine genaue Wortwahl wiederholen möchte, ebenfalls.” Nun richtete Durinja ihren Blick auf Lares.

Irritiert schaute der Junker von Trollpforz zu seiner Verlobten hinüber, dann schüttelte er sichtlich belustigt den Kopf. “Glaubt sie wirklich, dass das was sie vorbringt diese ganzen Wind rechtfertigt? Oder verharmlost sie alles mit ihrer blumigen Sprache, so dass es dem Sinn der möglichen Beleidigung nicht gerecht wird?”, sprach er ungläubig und hielt sich dabei auch nicht sonderlich zurück, so dass auch einige Umstehende ihn hören konnten- die Streithähne indes nicht, die waren mit sich selbst ausreichend beschäftigt.

Aufmerksam hatte Melisande den Schlagabtausch verfolgt und sich dabei noch ein wenig näher an das Geschehen herangearbeitet. Das war ja schon ein veritables Duell gewesen, mit Worten zwar, aber deren Schärfe war nicht zu unterschätzen - auch nicht deren Auswirkung auf unbedacht davon getroffene Zuhörer, wie es hier so einige gab. Nun, dieses Duell war leider beendet, der Baron von Eisenstein hatte sich leider mit einem Unentschieden zufrieden gegeben und zurückgezogen. Und der Herr vom Traurigen Stein nutzte doch sehr offensiv seine Stellung als Bannstrahler als Deckung - um nicht zu sagen, er verstecke sich gar dahinter. Leider hatte das Streitgespräch nicht zur Erhellung der Sachlage beigetragen, auch Durinjas Einlassung danach fasste eher die umlaufenden Gerüchte zusammen, als dass sie die Fakten, also die tatsächliche Beleidigung, darlegte. Viele der Zuschauer, die nicht auf der Brautschau zugegen gewesen waren und daher auch nicht das wenige aufgeschnappt hatten, das ihr selbst dort zu Ohren gekommen war, würden sich nun weiter auf bloße Gerüchte bei der Einschätzung der beiden Kombattanten verlassen müssen. Nun, sei es drum, das war nicht ihr Problem. Aber der Besuch hier hatte sich schon gelohnt, hier konnte man etwas lernen - so oder so.

Was redeten die da so viel? Doratrava wurde aus dem hochtrabenden Geschwafel nicht recht schlau. Gut, der Baron verteidigte den Mersinger, vielleicht weil die Tochter des Barons seine Knappin war. Und der Traurigsteiner verteidigte seine Verlobte, was ja kaum anders zu erwarten war. Nur wieso man da so viele Worte dafür brauchte, konnte die Gauklerin nicht nachvollziehen. Es war ganz erstaunlich, wie viele Worte in Garethi man hintereinanderreihen konnte, so dass zwar ein korrekter Satz entstand, der aber keinerlei Sinn transportierte - zumindest keinen, dem sie folgen konnte. Nun ja, die Welt des Adels war eben noch immer fremd für sie. Ob die Adligen wohl manchmal vor einem teuren Glasspiegel standen und solche Reden einübten? Sie musste ein wenig kichern bei dem Gedanken. “Alana”, wandte sie sich an die Kriegerin, “was reden die da? Und was meint wohl Durinja mit ‘niederen Beweggründen’? Und der Mersinger guckt, als hätte er was Unrechtes gegessen und sagt gar nichts dazu!” Es juckte sie ja in den Fingern, den beiden einen ganz besonderen Wettstreit vorzuschlagen. Dolruchas, der Messerwerfer der Gauklertruppe, die sie als Kind aufgenommen und von dem sie selbst dieses Handwerk erlernt hatte, hatte es immer ‘das Urteil des letzten Gerichts’ genannt, vielleicht weil dem einen oder der anderen, welche sich diesem unterzogen hatte, anschließend die letzte Mahlzeit nochmals durch den Kopf gegangen war. Auf jeden Fall ging es darum, dass dann, wenn zwei Streithähne sich gar nicht einig wurden, Dolruchas ihnen nahelegte, sich nacheinander vor die Scheibe zu stellen, die er bei seinen Vorführungen benutzte. Dann ließ er sich die Augen verbinden und warf einen seiner Dolche auf die Scheibe. Wer stehenblieb, bis der Dolch steckte, hatte den Streit gewonnen. Blieben beide stehen, was selten vorkam, dann riet er ihnen, einen Trinken zu gehen und sich wieder zu vertragen. Doratrava lächelte versonnen, aber natürlich traute sie sich nicht, diesen Vorschlag wirklich zu machen. Tatsächlich verschwand Alanas Lächeln und nun fasste sie ihr Schwert enger. Die Einmischung des Barons kam unerwartet. Sollte es doch zu einem Duell kommen? “Hmmm, ich habe keine Ahnung. Aber er muss wohl ordentlich unter die Gürtellinie gegriffen haben der Junker. Jetzt heißt es abzuwarten.” sagte sie vorsichtig. Doratrava seufzte. Das alles hörte sich nicht nach einem schnellen Ende an. Und der Unterhaltungswert hielt sich bis jetzt auch sehr in Grenzen, zumindest für sie. Sorgenvoll registrierte sie Alanas Reaktion und wurde auch wieder ernster. “Ja”, war ihre knappe Antwort.

Endlich - so empfand es Ringard - hatte sich mit Durinja wenigstens eine der beiden Personen wieder zu Wort gemeldet - oder eher: war am Ende oder in einer Pause des Wortgefechts Linnarts mit dem Baron von Eisenstein doch noch zu Wort gekommen - um die es heute eigentlich ging. Dass Linnart sich für seine Verlobte in die Bresche warf, war aus Sicht der jungen Tannenfelserin angesichts der Angriffe des Eisensteiners nur zu verständlich, zumal sich diese ja auch mehr oder weniger direkt auch gegen ihn richteten. Im Gegenteil: Ein anderes Verhalten des Traurigsteiners hätte sie sogar schwer enttäuscht. Enttäuschend war aber auf jeden Fall der Auftritt des Mersingers, der das Feld weitgehend seinem hochadligen Fürsprecher überließ, anstatt selbst für sich einzutreten. Wahrscheinlich wäre der Junker nicht imstande, rhetorisch eine auch nur annähernd so gute Figur abzugeben wie der Vater seiner Pagin, und verließ sich daher voll auf dessen unleugbaren Künste im Argumentieren und Worte-im-Munde-verdrehen - selbst ihre eigene Mutter hatte am Morgen nach der Brautschau Andeutungen über jene verloren. Noch immer hoffte der sensationslüsterne Teil in ihr ein bisschen, dass der Mersinger aussprechen würde, war er am Abend der Brautschau genau abgelassen hatte, aber wahrscheinlich war es wirklich besser, wenn dies nicht coram publico geschah. In jedem Fall fieberte Ringard bei den Wortgefechten davor ebenso mit wie dem Wettkampf, wegen dem sie eigentlich hier waren, entgegen, was vor allem Amiels bereits mal mehr, mal weniger fest massierte Hand zu spüren bekam. "Jetzt soll auch der Mersinger endlich mal selbst reden!" entfuhr es ihr in dieser Anspannung auf Durinjas Rede hin, ein wenig zu laut, als dass es nur sie oder Amiel hätten hören können.

Was für Umstandskrämer! Nun hatten sich schon alle versammelt und kamen endlich mal wieder in den Genuss eines, wenn auch improvisierten, Schauspiels, da begann man schon am Anfang, wie auf einem Hühnerhof, die Worte zu zerpicken, jämmerlich zu gackern oder lauthals zu krähen. Hoffentlich war man sich nun endlich klar, dass man anfangen konnte. Mist, sie wollten ja mit denen vom Traurigen Stein gemeinsam nach Elenvina, früher konnte man also auch nicht weg. Aber nun schien das Vorspiel vorbei. Froh lehnte Sina sich gegen Aureus und wartete weiter ab, ob man das Körnchen, das zu verteidigen wert war, gefunden hatte und sich weiter stritt. Eine zu pöbelige Vorstellungen, doch hoffte sie für Durinja, dass Linnart seine Zunge bei sonstigen Vorspielen besser einsetzen würde. Sie wirkte noch arg verkrampft.

Der Baron von Eisenstein war unzufrieden mit dem Ausgang des Gespräch. Mehr als das. Er war weder blind noch taub gewesen, aber ihn interessierten diese Ränkespiele des Niederadels mitnichten. Durinja war in seinen Augen jemand, der genau wusste, was sie wollte und alles tat um es zu bekommen, unabhängig, wem sie damit schadete. Linnart ein verblendeter Diener des Götterfürsten, der seine Worte so anpasste, dass ihm selbst nicht einmal auffiel, dass er auf dem Altar Travias oder Rahjas die Werte des Praios opferte, weil er die Befindlichkeiten seiner berechnenden Verlobten persönlich höher schätzte als die Werte des Götterfürsten. Immerhin hatte er es geschafft, dies vor sich selber zu verbergen. Und dann war da der Mersinger, unbeherrscht, jung, der Wahrheit verhafteter als der Diplomatie. Mit einem guten Herzen. Weshalb er sich auch so freudig seinem kleinen Dämonenbraten angenommen hatte. Mit heraufgezogenem Mundwinkel sah er auf Basilissa hinab. Es gab vier Menschen, die in jedem Fall genau gehört hatten, was los war. Der Traurigsteiner, der sich weigerte zu sprechen, weil er glaubte, es sei Praios dienlicher zu schweigen. Die Altenbergerin, die dieses Schauspiel und die Inszenierung viel zu sehr genoss, der Mersinger, der ein viel zu gutes Herz hatte, willentlich andere zu verletzten (Das passierte bei ihm wohl immer mehr als Kollateralschaden), und seine Tochter. Kalt lag sein Blick immer noch auf dem Kind, das sichtlich nervös versuchte, diesem auszuweichen. “Komm mal mit hier herüber, Basilissa.” befahl er und ging mehrere Schritt zur Seite, genau in Richtung des wartenden Pöbels. Das Kind sah angstvoll zu Lares hinüber und zu seiner Schwester, die missbilligend die Stirn runzelte, aber der Jüngeren zum Vater folgte. Dieser hatte nicht vor etwas heimlich zu tun, sondern sprach abseits der Streitenden zwar, dennoch aber laut genug, um Ohren zu erreichen, die dafür empfänglich waren: “Was lehrte ich dich über die Wahrheit?” fragte er die Kleine streng. Mit hochrotem Kopf sah Lissa abwechselnd zu Lares hinüber, zu ihrer Schwester und auf den Boden. “Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche.” ertonte darauf streng ihres Vaters Stimme und das Kind sah zu ihm auf. “Die Wa...Wahrheit ist das höchste Gu..ut, das wir haben. Sie….steht in ih..rer Ab...Absolut...utheit über allem.” Rajodan grinste. “Sehr schön. Und was lehrte ich dich über deine Verpflichtungen gegenüber der Herrin Travia?” Wieder glitt ihr Blick zu Boden als würde sie das Ende bereits erahnen: “Die Herrin verlangt, die Familie zu ehren. Den Gatten. Dyn...dynastische Treue für das Ehebe..bett. Die Eltern zu ehren und.. Und ihnen zu gehorchen.” Rajodans Wundwinkel zogen zufrieden nach oben: “Ich möchte nun, dass du mir erzählst, was du dort gehört hast, in dieser Situation, um die es geht.” Das Kind, das nervös von einem auf das andere Bein gestiegen war, verharrte angespannt. Hin und her gerissen. Ohnehin unsicher aufgrund der gesamten Situation. Und schwieg, panisch zu Lares hinüberschauend. Was würde er denken? Würde er sie fortschicken, wenn wegen ihr die Sache anders liefe, als er es wollte. “Hat dein Schwertvater dir vermittelt, dass es falsch ist die Wahrheit zu sagen?” “Nein!” entfuhr es dem Kind, “Hat er dir vermittelt, dass es falsch sei, seinem Vater zu gehorchen?” Mit Blick auf den Boden schüttelte Lissa das Haupt. “Warum sprichst du dann nicht?” Der Baron wusste, dass seiner Tochter am Ende nichts übrig bleiben würde. “Vater, ist das denn.. Nötig?” versuchte Luzia vorsichtig Partei zu ergreifen. “Und du bist der Meinung die Wahrheit könne ein Fehler sein?” Luzias Blick senkte sich und sie schüttelte den Kopf. “Nun denn, Kind, sprich.” "Jetzt redet schon wieder nur der Baron von Eisenstein auf Linnart ein. Und dann will er auch noch seine kleine Tochter ins die Schlacht werfen! Unsäglich, findest Du nicht auch?" befand Ringard leise in Richtung Amiels.

“Euer Hochgeboren, haltet ein!”, presste Lares zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor. “Eure Tochter hat keinen Anteil an diesem Schauprozess.” Wenigstens zeigte der Mersinger in dieser Sache Anstand! Wenn er jetzt noch das ganze Vorgeplänkel beenden und endlich für sich selbst sprechen würde, könnte er ein wenig Achtung Ringards zurückgewinnen.

Der Blick des jungen Bannstrahlers lag auf dem unwürdigen Schauspiel des Eisensteiners, dem es nun allem Anschein nach nicht zu blöd war, seine Tochter dem anwesenden Pöbel vorzuführen ... wie einen kleinen, tanzenden Rahjatänzer im Tempel zu Belhanka. Wenn ein Baron der Nordmarken sich selbst und seine Tochter vor dem gemeinen Volk derartig herabwürdigen wollte, konnte er das nicht unkommentiert lassen. Hier ging es schließlich nicht nur um seine Integrität, sondern auch um die des involvierten, von Praios erhobenen, Adels. "Ihr unterstellt also den hier Anwesenden Unehrlichkeit und führt jetzt Eure achtjährige Tochter der Menge vor? Was erwartet Ihr Euch davon? Außer, dass Ihr Euch und Eure Familie mit solcherlei Darbietungen zum Stadtgespräch macht und dieser ganzen Sache, die nie in einer solchen Runde diskutiert werden sollte, noch größere Aufmerksamkeit zukommen lässt? Der Herr Praios hat einem jeden Menschen auf dem Dererund seinen Platz zugewiesen. Seine Ordnung ist der Stützpfeiler unseres Lebens. Wenn Ihr meint, dass das Verbreiten von falschen Anschuldigungen gegen meine Person, oder die meiner Verlobten irgendetwas mit unserer vom Herrn gegebenen Pflicht zu tun hätte, dann ist dies aufs Schärfste zu verneinen." Linnarts Blick war streng, er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Lares. "Der Herr von Mersingen soll seine Worte wiederholen. Beendet diese Farce und die Nötigung Eurer kleinen Tochter. Das ist vor diesem Publikum eines Angehörigen des Hochadels unwürdig." Dass der Traurigsteiner in seinen Augen so ziemlich alles an Achtung verloren hatte, die er für den Baron hatte, wurde vielen der Umstehenden klar.

“Ich unterstelle keine Unehrlichkeit. Das habe ich mit keinem Wort getan, nicht wahr? Eure Aussage könnte allerdings dahingehend aufgefasst werden, dass ihr dazu neigt Beleidigungen in etwas hineinzulesen. Darüber hinaus gebe ich zu Bedenken, dass es eure Verlobte war, die diesen Ort und diese Zeit wählte. Nun den Ort als Entschuldigung zu nehmen, der Aufklärung entgegen zu stehen, wirkt etwas irritierend. Und da für euch die Anwesenheit des Publikums eine solche Relevanz hat, bedenkt, wie so etwas von diesem interpretiert werden könnte. Aber ansonsten stimme ich euch zu: So lasst nun endlich den Mersinger den Wortlaut wiederholen. Auch ich bin der Meinung, dass das würdiger ist als einem Kind aufzubürden als einziges eine Aufklärung mit Hilfe von Fakten herbeizuführen.” "Mit Eurer Annahme, es gebe hier etwas aufzuklären, unterstellt Ihr mir sehr wohl Unehrlichkeit. Ich habe Euch zuvor versichert, dass der Grund für eine Entschuldigung vorliegt." Linnart ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. "Auch ich bin mit dem Umfeld, indem diese Diskussion geführt wird alles andere als glücklich. Doch hatten die Äußerungen des Herrn von Mersingen wohl so hohe Wellen geschlagen, dass sich ein derartiger Auflauf nicht vermeiden ließ. Auch der Ort hier vor der Stadt ist nicht unbedingt diskret zu nennen. Die Menschen haben Augen im Kopf." Der Blick des Ritters löste sich vom Baron und lag nun auf Lares. "Es wäre das Recht des hohen Herrn gewesen, diese … Forderung … auszuschlagen. Dennoch stehen wir hier und bringen nun schon ein halbes Stundenglas damit zu unsere Namen und unser Ansehen mit Füßen zu treten. Das ist eine Sache zwischen meiner Verlobten und dem Herrn von Mersingen. Ich sehe in dieser Zusammenkunft weder einen Rechtsbruch noch verstößt die Forderung einer Entschuldigung gegen die guten Sitten. Auch ein Wettkampf unter Gleichen … mag zwar außergewöhnlich sein, doch ist es alles andere als verwerflich. Ich habe es Euch schon dreimal angeboten, Euch diese Sache in kleinem Rahmen darzulegen, auf dass Ihr Eure Schlüsse daraus ziehen mögt. Nun soll der Mersinger seine unflätigen Behauptungen gegen zwei unbescholtene Adelige des Herzogtums wiederholen, so er das möchte."

“Nun die Annahme, es gäbe etwas aufzuklären entstand beim Verfolgen des Gesprächs und der Einwürfe des jungen Mersingers. Ich denke daher nicht, dass man von einer Unterstellung sprechen kann. Wieder allerdings wirft euer Einwand die Frage auf, ob ihr eine Neigung habt, in Dinge etwas hineinzuinterpretieren, was vom Sprecher gar nicht gesagt wurde und womöglich nicht gemeint war. Und ich habe mich nicht verweigert euch an einen privaten Ort zu begleiten. Ihr legtet dar, die Beleidigung sei offen verkündet worden und solle offen entschuldigt werden. Dies war wie sich nun herausstellt wohl aber vielmehr die Meinung eurer Gattin, der ihr aber offenkundig nicht zu widersprechen gedachtet, als sie den Ort wählte. Da sie nun diese Wahl traf, muss sie die Konsequenzen tragen und da ihr ihr dabei nicht widerspracht, ihr auch. Aber nun lasst uns doch eurer Entscheidung folgen und den Mersinger zu Wort kommen.”

Linnart lächelte daraufhin wortlos. Der Baron lehnte sich für den paranoiden Schwertvater seiner Tochter weit aus dem Fenster. Nun war der Mersinger am Wort. So dieser bei seiner alternativen Wahrheit blieb und ihn hier vor allen als ´notgeilen Mann´ und seine Frau als ´falsche Schlange´ bezeichnete, die einer anderen den Verlobten ausspannte und mit der sich ein Mann bloß wegen ihrer Optik verbinden würde - wiewohl eine solche Verlobung oder dahingehendes Versprechen niemals vorlag ... wenn er wiederholte, dass er ihn, einen Diener des Götterfürsten, Wortbruch und Lüge unterstellte, ohne das beweisen zu können … es würde dem Mersinger und dem Baron gleichermaßen zur Schande gereichen, aber sie wollten die Schmutzwäsche ja unbedingt vor dem Pöbel waschen.

Lares von Mersingen nickte bedächtig. Endlich würde er wieder ein wenig Kontrolle über die Situation zurückgewinnen dürfen. “Gut. Bisher band mich eine Übereinkunft unter vernünftigen Edelleuten, die Worte zu wiederholen, die gefallen sind. Diese Übereinkunft ist wohl nunmehr hinfällig. Nachdem wir uns hier treffen, weil Ihr, hohe Dame von Altenberg, ein Satisfaktionsbedürfnis hegt, so werde ich wiedergeben, was ich zu Euch sagte.” Lares wandte sich demonstrativ vom Traurigsteiner ab. Dieser hatte hinlänglich bewiesen, dass er weder zu Einsicht, noch zu irgendeiner Form des offenen Worts fähig war, sondern sich die Welt zurecht legte, wie sie ihm gefiel. “Wenn Euer Verlobter sich selbst in seiner Ehre gekränkt fühlt, so möge er das vortragen und mir dann erläutern, wie dies möglich ist, wo er mich doch ausdrücklich bat, offen mit ihm zu sprechen. Also.” Lares sinnierte einige Momente, wobei sich seine Lippen stumm bewegten, als rekapitulierte er das Gespräch im Geiste. “Hohe Dame von Altenberg, ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zur Verlobung zu gratulieren. Eure Bemühungen waren erfolgreich. Dafür habt Ihr Anerkennung verdient. Ihr habt Euer gutes Blatt richtig gespielt und einen passenden Gegner gefunden. Ich hoffe, Eure Entscheidung trägt die gewünschten Früchte.” - Lares pausierte rhetorisch - “Das war, was ich zu Euch sagte. Wie ich bereits am vorgestrigen Tage betonte, waren diese Worte aufrichtig. Euer Erfolg gibt Euch Recht. Sollten diese Worte missverständlich gewesen sein, so sei mir verziehen - dafür entschuldigte ich mich ebenfalls bereits am vorgestrigen Tage postwendend. Weitere Worte über diese Entschuldigung hinaus richtete ich nicht an Euch.” Lares zuckte mit den Achseln. Sollte der Bannstrahler seine Fehltritte des vorgestrigen Tages zum Gegenstand der öffentlichen Debatte machen. Wenn er das wollte, nur zu. Doch ob er sich die Sympathie der Anwesenden würde bewahren können, wenn seine Tändelei mit zwei Damen am selben Tage bekannt würde, das war zweifelhaft. Doch der Mersinger hatte auch diesbezüglich versprochen, Stillschweigen zu bewahren - soweit er dies eben konnte. Und Lares hielt seine Versprechen. Doch am Ende des Tages war er ein Mersinger. Und für diese galt: Nichts wird kälter serviert als die Rache und der Tod.

Auf Linnarts Zügen zeigte sich ein Lächeln, doch schwieg er. Innerlich überlegte der Ritter jedoch, ob es ihm zur Ehre gereichte, oder sorgen sollte, dass der Mersinger so sehr auf ihn fixiert war. Der junge Mann war allem Anschein nach unaufmerksam gewesen, sonst wüsste er, dass der etwaig gekränkte Stolz des Bannstrahlers hier nicht das Thema war. Was kümmerte es die Eiche, wenn sich eine Sau dran rieb? 'Das kann doch niemals alles gewesen sein.' sinnierte Ringard. 'Falls doch, hätte Durinja sicher niemals diese Forderung geschrieben.'

“Ich verstehe.” sagte Durinja kurz und knapp und senkte den Blick. Nun schlich sich ein leicht wütender Zug um ihren Mund und ihr Blick traf dann Lares hart. “Junker Lares von Mersingen. Noch immer verkennt ihr die Situation. Eure Glückwünsche waren nicht beleidigend, auch wenn eure Worte, besser gesagt der Unterton, der mitschwang, wirklich missverständlich war.” Sie zog die Luft scharf ein. “Und wie in meinem Schreiben an euch klar formuliert ist: Ich fordere keine Satisfaktion. Eine ehrlich gemeinte Entschuldigung meinem zukünftigen Haus und mir gegenüber. In Wort oder in Form eines ordentlichen Wettstreits. All das, um euch entgegen zu kommen. Doch wie es scheint bin ich nicht mehr als eine einfache Magd für Euch. Nach euren Glückwünschen seid ihr dazu übergegangen, meinen Verlobten zu beschimpfen. Eure Worte waren aus eurer Sicht vielleicht nicht an mich gerichtet, doch was bin ich? Ein Diener, der zu Schweigen hat? Ein Baum? Ein Möbelstück? Nur weil ihr Euer Gesicht in die Richtung meines Verlobten gedreht habt, bedeutet das, dass ich nichts mehr höre? Eure Worte waren durchaus auch an mich gerichtet. Die Beleidigungen, die ihr öffentlich meinem Verlobten entgegenbrachtet, werfen auch ein schlechtes Licht auf mich. Offensichtlich sollte ich sie auch hören. Und ihr habt euch auch angemaßt für mich und eine anderen Dame zu sprechen. Was gab euch das Recht dazu? Wenn euch die Ehre einer Frau am Herzen liegt, euch gar eine Tugend ist, habt ihr denn auch gefragt, ob diese das denn auch wollten? Und warum konntet ihr nicht warten bis ich nicht mehr anwesend war? Oder hat aus eurer Sicht eine Frau zu schweigen?“ Durinja suchte die Blicke der Frauen in der Masse. “Aber mit einer ehrlichen Entschuldigung hier und jetzt können wir das bereinigen. Oder ohne Worte mit einem Wettstreit, denn eine Frau, eine die nicht am Schwert gelernt hat, hat auch andere geschickliche Talente.” Herausfordend wartete sie auf des Mersingers Antwort.

Linnart war während ihrer Rede neben Durinja getreten und griff dann nach ihrer Hand. Es waren sehr unaufgeregte Worte und sie kratzte dabei auch nicht jene großmundigen und unflätigen Behauptungen des Mersingers von vorgestern an. Er konnte damit leben, wiewohl es ihm klar war, dass die Wortmeldung des Mersingers - entweder er war naiv oder stellte sich absichtlich dumm - und seiner Verlobten die sensationslüsternen Gemüter, allen voran den Gockel von Eisenstein, nicht befriedigen würden. Dennoch wollte er nun an ihrer Seite stehen, was auch immer für Anschüttungen in Gegenwart des Pöbels folgen würden. Kurz ging sein Blick hinüber zu Andesine, die, warum auch immer, ebenfalls anwesend war. Eine Tatsache, derer Linnart sich erst jetzt gewahr wurde. Auch ihretwegen sollte der vorgestrige Tag hier vor den einfachen Leuten und auch den anwesenden Adeligen nicht unbedingt zur Gänze ausgerollt werden - zuviel Kummer hatte er ihr schon bereitet, weshalb er sich dafür einsetzen würde es zu verhindern. Sie sollte nicht auch noch zum Stadtgespräch werden.

'Aha, da war also noch mehr.' Jetzt hätte Ringard doch zu gerne alles gehört, was vorgestern gesprochen wurde. Aber alleine das verdruckste Antwortverhalten des Mersingers gab Durinja doch unfreiwillig Recht. Jedenfalls war sie gespannt, ob dieser die Herausforderung ihrer Schwägerin nun endlich annehmen würde, oder sich weiter durch lange Worte seines Fürsprechers, jedoch ohne eigene Entschuldigung, herauswinden lassen wollte. Denn eine Entschuldigung, darin war sich Ringard sicher, würde jenem wohl ganz sicher nicht mehr über die Lippen kommen. Zumindest keine ohne ‘Wenns’ und ‘Abers’ und irgendwelche Hintertürchen. Sie sah hinüber zu Durinja. Diese war ganz anders gestrickt als sie selbst - viel härter auf jeden Fall und wohl auch viel stärker. Ob sie auch so sein konnte? Ob sie das überhaupt wollte? So stark sein auf jeden Fall. Aber auch so hart? Einerseits bewunderte sie ihre Schwägerin dafür, hier ihr Recht einzufordern, ihren Willen durchsetzen zu wollen. Andererseits fragte sie sich so langsam, wohin das ganze führen würde. Und ob das ganze am Ende nicht doch zu weit ging, mehr Schaden anrichtete als es gut machte. Am Ende würde und musste es der Abend zeigen.

Gezelda von Ulmentor war beeindruckt. Ein Duell nach ihrem Geschmack - mit Worten und ohne Waffen. Auch wenn sie wusste, dass diese Durinja einen berechnenden Charakter hatte, war sie überzeugt. Oft wurden die Fähigkeiten einer Frau, einer Frau die nicht im Waffenhandwerk ausgebildet wurde, unterschätzt. Auch wenn der junge Ritter hier ein Opfer war, stand er doch für all jenige, die Frauen mundtot machen wollten. Ihr Blick wanderte zu dem Baron. Er war ein solcher. Auch wenn sie nach der Brautschau eine lustvolle Nacht verbrachten, hatte Gezelda ihn durchaus erkannt. Ihn als Spielzeug zu betrachten, machte es einfach zu genießen. Doch jetzt spürte sie eine Wut in sich aufkeimen.

Der alte Advocatus, Durinjas Vater, hielt sich im Schatten des Uhlenturms verborgen und betrachtete alles aus der Ferne. Er musste zugeben, er bedauerte es nun sehr, seine Tochter nicht an die Rechtsschule geschickt zu haben. So viel Potenzial. Im Gegensatz zu ihrem Bruder. Die Sache wurde immer interessanter. Würde sie es schaffen, eine öffentliche Entschuldigung zu bekommen? Dann fiel sein Blick auf die Zofe Melisande. Ja, eine interessante Person. Die Blicke, die Neugierde, all das kam ihm bekannt vor. Als sie in seine Richtung schaute, winkte er ihr zu.

Ach - da war er ja doch, Tassilo von Altenberg. Es hätte Melisande auch sehr gewundert, wenn er sich die Vorstellung seiner Tochter hätte entgehen lassen. Sie lächelte still, aber ein wenig bedauernd in sich hinein, als sie ihre Schritte zum Uhlenturm lenkte. Das führte sie leider dort aus der unmittelbaren Hörweite der unmittelbaren, aber eben auch mittelbaren Streithähne. Auf dem kurzen Weg sinnierte sie über Lares’ und Durinjas Aussagen. Wenn Lares von Mersingen tatsächlich nur die eben von ihm vorgetragenen Worte gesprochen hatte, dann war darin für Außenstehende schwerlich eine Beleidigung zu erkennen. Doch sie wusste selbst, wie wenig reine Worte ausdrückten, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Diesen Zusammenhang hatte Durinja versucht darzulegen, doch inwieweit sie dies ehrlich und objektiv getan hatte, vermochte niemand hier zu beurteilen. Melisande hatte da so ihre Vermutungen. Im Schatten des Uhlenturms angekommen und damit den Blicken der meisten Anwesenden entzogen, nickte sie Tassilo zu. “Phex zum Gruße, Herr von Altenberg. Ich habe mich schon gewundert, wo ihr Euch versteckt”, grüßte sie den Advocaten lächelnd mit leicht ironischem Unterton.

Tassilo beantwortete das mit einem kurzen und leisen Lachen. “Heute sind andere dran, gesehen zu werden.”, sagte er verschwörerisch. “Ich bin gespannt ob der Junker sich auf ein Wettstreit einlässt. Denn dann stehen seine Chancen wirklich schlecht, in einem besseren ´Licht´ dar zu stehen.” flüsterte der Advocatus. Etwas verwirrt blickte Melisande ihn an. “Wie meint Ihr das?” Dann erhellte sich ihr Gesicht. “Ah, Ihr wisst vermutlich, welchen Wettstreit Eure Tochter im Sinn hat. Wollt Ihr mich erleuchten?” Er blickte hinauf zum Turm. “Ich kann mir das Klettern gut vorstellen oder,”Nun wanderte der Blick zum Fluß,” das Tauchen oder schwimmen. Mit dem Wurfdolch ist sie auch sehr gut. So etwas.” amüsiert schaute er Melisande an. “Mir ist auch zu Ohren gekommen, das ihr mit verantwortlich für diese Ideen wart, so wie die Artigas.” “Ich?” Melisande war überrascht. “Also … ja, Durinja hat uns Zofen mal um Rat gefragt in dieser Sache. Aber ich habe ihr nur vorgeschlagen, des Mersingers Waffenwahl abzuwarten, um dann einen angemessenen Stellvertreter zu bestimmen, oder zu signalisieren, auf jeden Fall selbst in den Ring zu treten, damit der Mersinger, bei seiner Ehre gepackt, keine Waffe wählen kann, die ihr gegenüber unehrenhaft wäre, um sich nicht lächerlich zu machen. Das mit dem Wurfdolch hat Durinja selbst aufgebracht. - Nun ja, aber bis jetzt wird ja nur geredet, sogar von nur indirekt Beteiligten. Ich bin mir gar nicht sicher, ob es am Ende zu einem Wettstreit kommt.” Tassilo lächelte nur. “Nun heißt es abwarten.” Dann richtete er den Blick wieder auf die Streithähne.

Fast von den meisten nicht gesehen, war der hagere Mann in schwarzer Robe. Karolan von Henjasburg stand etwas abseits, kaum von den Fackeln beschienen und betrachtete diese Zusammenkunft regungslos, aber aufmerksam. Der Hüter des Raben war der Wächter des Tempels des schweigsamen Gottes Boron, der sich in den Kellergewölben des Uhlentums befanden. Seine Gemahlin, die Vögtin von Schweinsfold, hatte ihn von der Herausforderung der beiden Adligen erzählt und war überrascht, das der Turm als Treffpunkt ausgewählt wurde. Normalerweise hatte er nichts übrig von den Dünkeln der Adligen. Er selbst stammte aus einem weidner Adelshaus, doch liefen Dinge dort anders. Nur der Bitte seiner Frau folgend gesellte er sich zu dieser Versammlung. Die Baronin, seine Nichte, wollte sicher gehen, das zumindest eine Götterdiener ein Auge auf dieses Geschehen hatte. Der Name Mersingen war Karolan natürlich ein Begriff, sowie der Baron von Eisenstein. Die hiesige Tempelmutter der Travia trug den Namen Altenberg, doch die Traurigensteiner waren ihm neu. Fast wäre der Geweihten Boronsfür die meisten aufgefallen, den ein großer, schwarze Kolkrabe flog mit einem lauten Krächzen über sein Kopf hinweg.

Es wurde mehr und mehr zu einem schlechten Schauspiel, bei dem sich alle Beteiligten der Lächerlichkeit preisgaben. Wie tief konnten Adelige sinken solche Reden vor dem einfachen Volk zu schwingen- begriffen sie nicht, dass sie damit ihre von Praios verliehene Autorität untergruben? Thankred schüttelte wiederholt den Kopf über solche Geistlosig- nein Schwachsinnigkeit, diesmal mit einem süffisanten Lächeln um die Mundwinkel. Sollten sie sich weiter mit Dreck bewerfen. In ihm reifte die Entscheidung sich diese durch und durch jämmerliche Darbietung nicht bis zum Ende anzusehen, das war unter seiner Würde.

Währendessen liefen die Gedanken des Eisensteiners in eine ähnliche Richtung. Der Mersinger Heißsporn würde das an Vorteil verspielen, was er nach Rahjodans Meinung hatte. Und diese “Dame” schien sich besser auf dem Parkett der Intrige zu bewegen als Linnart und Lares zusammen. Das waren die Gründe, die ihn im Moment noch zögern ließen, zu gehen. Die vorgeblichen Einstellungen des Praioten entsetzten ihn zudem. Wie konnte ein Mann der Kirche ein Problem mit der Wahrheit haben und der Wahrheitsfindung. Innerlich schüttelte der Baron den Kopf. Vermutlich war dieser Linnart auch einer von denen, denen dieser merkwürdige Ort die Sinne verwirrt hatte. 13 Verlobungen! Musste man mehr wissen? Und dazu überwiegend von sich Fremden. Das hätte es zu seiner Zeit nicht gegeben. Eine Ehe war ein Vertrag. Lebenslang. Ohne Austrittsoption. Zumindest meist. Da sollte man bedächtig vorgehen. Alles genau prüfen. Wie es üblich war. Früher zumindest war es so. DIese modernen Zeiten! Dazu kam diese Frau auf die Idee eines Wettstreits!! Wie LÄCHERLICH! Nicht nur war sie eine Frau und hatte in seinen Augen bereits ausreichend gezeigt, was das bedeutete: Schwach, weinerlich, nicht fähig logische Schlüsse zu ziehen, einzig aufgrund der verwirrenden Gefühlswelt, in der Frauen spätestens nach der Geburt eines Kindes lebten, und die sich mit jeder weiteren Geburt nur weiter ins Absurde bewegte. Nein, das war es nicht alleine. Dieses Exemplar dort trat unter den Augen ihres Vaters, der wohl wie die ganze Altenberger Baggage Advocatus war, und dieses Linnarts, der Praios diente, nicht nur die alt hergebrachten Sitten mit Füßen, nein auch das Gesetz selber! Und anstatt ihr diese Aktion hier auszureden, wie man es hätte erwarten können von jedem vernünftigen Menschen, und erst recht von einem Advocatus und einem Praiosdiener, unterstützten diese beiden dies auch noch! Egal wie oft er alles überdachte, dieser Linnart schien von Rahja oder Mada so geküsst zu sein, dass er seinen Verstand vergessen hatte. Sich nicht zu schämen, wenn die Verlobte, noch nicht einmal Mitglied des gleichen Hauses, einen anderen Kämpfer zu einem lächerlichen Wettstreit zu forderte, um die Ehre des Kämpfers zu rächen, der selber dazu darauf keinerlei Wert legte! Dieser ganze Ort war merkwürdig, dieses ganze Gebaren, diese kurzsichtigen Entscheidungen. Er würde mit der Baronin sprechen müssen. Sie musste das aufklären, womöglich waren hier Madas Kräfte am Werk und ließen die Menschen so absonderlich handeln. Jedenfalls war es ihre Pflicht dem nachzugehen. Das alles war mehr als merkwürdig.

Doratrava schwirrte der Kopf von den Wortgefechten, die ihr den Eindruck machten, dass jeder, der etwas sagte, noch viel mehr nicht sagte, was aber nur jemand verstehen konnte, der des Gedankenlesens mächtig war oder mehr Hintergrundinformationen hatte. Beides traf auf sie leider nicht zu. Sie warf Alana einen Seitenblick zu. Und auf ihre neue Freundin offensichtlich auch nicht, wie sie da mit zusammengezogenen Brauen und sichtlicher Anspannung auf das Geschehen starrte. Da fiel ihr ganz in der Nähe ein weiteres vage bekanntes Gesicht in der Menge auf. War das nicht Nivards Schwester? Wie hieß sie nochmal? Etwas beschämt stellte sie fest, dass sie sich ihren Namen nicht gemerkt hatte. Dennoch zog sie Alana am Arm mit sich und drückte sich durch die Leute zu der jungen Frau. Na ja, eigentlich war sie noch ein Mädchen. Mittlerweile kam sich Doratrava richtig alt vor. Sie lächelte selbstironisch, dann sprach sie einfach drauflos: “Hallo, äh … was hältst du von dem Schauspiel hier?”

Ringard hatte das Paar aus Gauklerin und Kriegerin gar nicht kommen sehen, so gespannt und zugleich ungeduldig hatte sie die bisherigen Wortfechtereien verfolgt. Wann würden die endlich mal vom Vorgeplänkel der Fürsprecher und Stellvertreter zur Sache kommen? Sie stutzte nicht nur daher kurz überrascht auf die Ansprache, auch wegen der ungewohnt vertrauensseligen Anrede. Sogleich setzte Erkennen ein. "Ihr seid..." Nivard hatte ihr gestern, als endlich Zeit für ein ruhiges Gespräch war, mehr von seinen Erlebnissen in Nilsitz und auf dem Weg hierher erzählt, auch von seiner Freundschaft zu ihrer Gegenüber. Ringard war daher bereits ein bisschen über die offene und nicht allzu förmliche Art der Künstlerin vorgewarnt. "Ich meine..., Du bist Doratrava." beschloss sie direkt, Nivards Anredestatus lächelnd auch für sich selbst zu akzeptieren. Mit einem Lächeln begrüßte sie auch Alana, die noch etwas hinter der Tänzerin stand. "Deinen Auftritt vorgestern werde ich wohl mein Lebtag nicht vergessen! Du auch nicht, Amiel, nicht wahr?" stieß sie ihren Verlobten an. Ihre glänzenden Augen kündeten mehr noch als ihre Worte davon, wie sehr sie die Darbietung beeindruckt haben musste. "Ob das für die Geschehnisse heute Abend auch gelten wird," sie deutete mit ihrem Haupt in Richtung der Diskutanten, "weiß ich noch nicht. Hängt davon ab, ob sich der Junker nun doch entschuldigt oder endlich die Herausforderung annimmt... Aber wer weiß, was noch alles passiert." fügte sie leiser und mit einem leicht verschwörerischen Unterton dazu. "Wenn es so weitergeht, wird das ganze hier aber noch länger vom Baron von Eisenstein zerredet, und dann ziehen alle von dannen, ohne dass die Sache richtig geklärt ist." Der Tonfall der jungen Tannenfelserin zeigte an, dass ihr das nicht recht gefallen würde. Bald würde sie eine von Altenberg sein, und daher wünschte sie sich, dass ihre Schwägerin hier mit einem Sieg für ihr zukünftiges Haus aus diesem Abend ging. "Aber das wird Deine Schwester wohl nicht mit sich machen lassen, oder?" zog sie auch Amiel weiter in das Gespräch.

Geschmeichelt lächelte Doratrava. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie das junge Mädchen gedutzt hatte, es war ihr ganz natürlich vorgekommen, aber das war ja nun geklärt. Nur die Sache mit dem Namen nicht … und den Altenberger hatte sie jetzt erst bemerkt. Auch diesen hatte sie nur flüchtig kennengelernt und den Namen schon wieder vergessen. Sie rettete sich in ein freundliches Nicken. Aber bevor die Gauklerin eine Antwort geben konnte, ging das Streitgespräch in die nächste Runde.

Lares nickte ruhig, dann sah er Durinja in die Augen. “Hohe Dame von Altenberg, ich gab gerade wahrheitsgetreu die Worte wieder, die ich zu Euch sprach. Ihr bestätigtet, dass ich diese genauso meinte und dass ich mich bereits für eine Kränkung entschuldigte, die diese Euch zugefügt haben mochten - in privatim als nunmehr erneut in coram publico. Und doch stehen wir noch immer hier. Tatsächlich findet gerade das statt, was Ihr mir vorwerft: Ich bin hier das Gespött der Leute, werde öffentlich vorgeführt, mein guter Name durch den Dreck gezogen. Und das, ohne eine einzige konkrete Anschuldigung. Ich habe Geduld walten lassen in der Hoffnung, wir könnten Differenzen wie erwachsene Edelleute ausräumen. Stattdessen werde ich hier mit einer vagen Andeutung nach der anderen konfrontiert. Ich bin nicht länger gewillt, mir dies gefallen zu lassen. Ich räume Euch noch eine letzte Chance ein, eine konkrete Anschuldigung zu formulieren, deretwegen eine Entschuldigung fällig sei. Andernfalls betrachte ich Euer Begehr als erfüllt.”

Der Bannstrahler an der Seite der Edeldame hob etwas irritiert eine Augenbraue. "Ich denke, dass die Dame in ihrer Anschuldigung alles andere als vage blieb. Sie fühlte sich durch Eure öffentlich an mich gerichteten Worte in ihrer Ehre beleidigt. Was Sinn macht, erwählte sie mich doch als ihren zukünftigen Gatten. Was erwartet Ihr Euch davon hier und jetzt den Unwissenden zu mimen? Und nun sogar eine Entschuldigung zu fordern." Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen. "Denn Eure Beleidigungen an meine Person erfolgten leider ebenso coram publico. Ein jeder der hier Anwesenden soll sich diese Frage selbst stellen. Ist ein Gespräch an einer vollbesetzten Festtafel wirklich privat zu nennen?" Der Blick des Bannstrahlers machte eine Runde durch die Anwesenden. "Und bedingt durch eben diese Tatsache habt Ihr jene Worte, die eigentlich bloß mich und Euch betreffen sollten, ebenso zur Sache meiner Verlobten gemacht. Ich frage Euch deshalb vor allen Anwesenden; sprecht Ihr der unbescholtenen Dame von Altenberg die Berechtigung ab für Eure öffentlich vorgetragenen ... Unwahrheiten ...", ein Begriff den er bewusst wählte, "... meine Person betreffend eine öffentliche Entschuldigung zu fordern? Sprecht Ihr ihr das Recht der Kränkung ab? Soll sie ihren Mund halten und zuhören wie man sich über das Zustandekommen ihrer Verlobung den Mund zerreißt?" Linnart wartete vorerst keine Antwort ab. "Dass Ihr in Eurer Verblendung einem, laut seiner Vorgesetzten - darunter im Übrigen auch Ihre Erlauchte Eminenz von Faldahon -, untadeligen Ritter Praios´ Dinge und unlautere Beweggründe unterstellt ist eine Sache, mit der Ihr Euren Namen schon selbst beschmutzt habt. Dass Ihr meine Verlobte mit in diese Sache gezogen habt, indem Ihr das öffentlich tatet und nun nicht die Größe und Demut besitzt dies zumindest ihr gegenüber auszuräumen, sondern Unwissenheit vorgebt, macht es nicht besser. Deshalb an Euch noch einmal die Frage, ob dies Euer letztes Wort ist oder ob Ihr in Praios Namen nicht doch noch umdenken solltet und diese Sache mit dem bisschen Restwürde, die geblieben ist, bereinigen wollt."

“Insofern Ihr selbst eure Ehre nicht als so angegriffen gesehen habt, dass ihr euch auf den codex duello berufen und einen Stellvertreterkampf gefordert hättet, scheint dies aber wohl jeder Grundlage zu entbehren.” Nach bevor jemand sich neuerlich auf die Eingabe des Eisensteiners einlassen konnte, riss Thankred der Geduldsfaden.

“Ihr Götter”, stieß da der Trollpforzer laut hörbar fast flehentlich hervor. “Nun sagt doch endlich was der Mersinger euch an den Kopf geworfen und so beleidigt hat, dass es diesen ganzen Auflauf rechtfertigt. Eure Seite fühlt sich doch in ihrer Ehre gekränkt, dann sagt doch endlich worum es hier geht und tragt die Anschuldigung auch offen vor, wie es dem Götterfürsten gefällt, anstatt noch länger um den heißen Brei herum zu reden, als seien wir hier auf einem Basar in den Tulamindenlanden. Beim Praios strahlendem Antlitz, dass kann doch gerade für euch nicht so schwierig sein”, sprach er in Richtung des Praioten. Doch erst wandte sich dieser dem Eisensteiner zu. “Die Unwahrheiten, denen er mich bezichtigt hat, hat der Mersinger alleine vor dem Götterfürsten zu verantworten. Der durch die öffentliche Herabwürdigung eines Seiner Diener entstandene Makel auf der Seele des Ritters soll ihm Strafe genug sein. Die Angelegenheit hier betrifft jedoch nicht mich, wiewohl ich vielleicht der Auslöser dafür sein mag. Meine Verlobte tritt hier nicht für meine Ehre, sondern für die ihre ein. Und das sei ihr unbenommen. Eine Entschuldigung zu fordern ist ihr gutes Recht, das sie als Adelsdame hat, oder wollt Ihr ihr dieses absprechen? Es steht dem Herrn von Mersingen frei sich zurückzuziehen und abzulehnen.”

Wiederholt ungläubig schüttelte Thankred den Kopf. Er konnte nicht glauben was der Bannstrahler da von sich gab. Das erträglich Maß an Winkelzügen, feigen Ausflüchten und nahezu substanzlosen Anschuldigungen war voll- übervoll. Ein Diener des Götterfürsten, der sich selbst auf mehrfache Nachfrage scheut die Wahrheit zu sagen- das war nicht Mal mehr merkwürdig, das war eine Schande! Der Trollpforzer griff die Zügel seines Rosses feste und drehte es auf der Stelle, ohne sich darum zu kümmern, dass er einige Gemeine um sich herum damit zur Seite drängte. "Diese Zusammenkunft ist dem Götterfürsten sicher nicht zum Wohlgefallen, denn alle hohen Herrschaften reden um den heißen Brei herum, selbst derjenige, der sich in SEINEN Dienst gestellt hat", sprach Thankred laut und deutlich. “Ich für meinen Teil kann das aus Respekt vor dem Götterfürsten nicht länger ertragen”, stieß der Trollpforzer hervor und ließ sein Pferd langsam durch die Menge davonschreiten. Auch wenn Sabea etwas hin und hergerissen war, über die Meinung ihres Verlobten und der Forderung ihrer Base Durinja, lenkte auch sie das Pferd herum und ritt an seiner Seite fort.

“Es ist nicht Eure Angelegenheit, richtig! Ihr habt entschlossen, so wie ich, mit einem Handschlag auseinanderzugehen und unseren Konflikt ruhen zu lassen. Das war Euer letztes Wort. Dann steht endlich dazu und haltet Euch da raus!”, fuhr Lares dem Bannstrahler in die Parade. “Wenn dem nicht so ist, dann macht es wie ein Mann und fordert mich zum Duell. Aber dieses verkappte Geschwätz dulde ich nicht länger. Entweder es ist Euer Problem, dann versteckt Euch nicht hinter Eurer Verlobten und noch weniger hinter der Kirche des strahlenden Herrn, er sei gepriesen, oder es ist die Sache Eurer Verlobten, dann lasst sie entscheiden. Der hohe Herr Thankred von Trollpforz hat völlig Recht. Wenn es noch etwas zu reden gibt, dann wird konkret geredet.” “Dann redet konkret, hoher Herr und gebt nicht den Unwissenden. Ich attestiere Euch das nötige Maß an Intellekt um zu erkennen weshalb genau wir uns hier und jetzt eingefunden haben …”, gab er unbeeindruckt zurück, “... ich habe hier die Forderung meiner Verlobten wiedergegeben, da einige der Anwesenden, Euch allem Anschein nach mit eingeschlossen, diese nicht zur Gänze verstanden hatten. Es wurden hier vor zwei Praiosläufen schon genug Unwahrheiten verbreitet. Wenn Ihr meint ich stünde hier unbeteiligt und lasse zu, dass nun auch hier, in meiner Gegenwart, falsche Annahmen die Runde machen, dann liegt Ihr falsch.” Sein Blick ging zum davon reitenden Trollpforzer, dessen Abgang er nicht wirklich Bedeutung beizumessen schien. Vielleicht sollte sich der Mann aus den Bergen das nächste Mal auch selbst hinterfragen - immerhin ließ er sich dazu herab diesem Auflauf beizuwohnen. “Dass es Euch unangenehm zu sein scheint, wenn ich als Fürsprecher der Dame von Altenberg auftrete - bei der Rolle des Barons von Eisenstein wart Ihr ja nicht so zimperlich - sagt viel über Eure Position aus. Die Anschuldigungen liegen auf dem Tisch. Auch sollte nun klar sein wer hier wen beschuldigt und wer hier von wem eine Entschuldigung verlangt und warum. Jedes Mal wenn jemand die Redlichkeit des Anliegens der Dame in Frage stellt, werde ich mein Wort erheben. Ich war anwesend und kenne den Sachverhalt. Es ist Eure Entscheidung. Entschuldigt Euch bei ihr, oder zieht ab. Was unseren Konflikt angeht, rate ich Euch in weiterer Folge Eure Beichtmutter oder Euren Beichtvater aufzusuchen. Reflektiert Euer Verhalten gegenüber Würdenträgern der Kirche des Götterfürsten, mäßigt Euch und leistet Buße. Das soll mir, als maßvoller und demütiger Diener des Götterfürsten, der ich bin, reichen.”

Zustimmend nickte Durinja ihren Verlobten zu, gleichzeitig wusste sie, das ihre angedachten Pfade, Phexens Pfade, hier nicht mehr angebracht waren. Zu stur und zu verbohrt war der junge Junker und höchstwahrscheinliche ahnte dieser, das er bei den Wettkämpfen unterliegen würde. Dennoch gab sie hier nicht auf, denn überrascht war sie nicht. Ihr Blick schweifte in die Menge, bis sie die Person ausmachte, die sie gebeten hatte zu kommen. Mit einem beiläufigen Senken ihres Hauptes und kurzen schließen ihrer Lider gab sie ihr Signal.

“Ich werde mich dem Junker anschliessen. Es ist eine Schande vor Praios, was hier passiert. Herr von Mersingen, meine Töchter werde ich mitnehmen, um sie nicht diesem erbärmlichen Schauspiel auszusetzen und diesem unwürdigen Spiel vor dem Götterfürsten ebensowenig. Ihr seid eingeladen, sobald ihr diese lächerliche Angelegenheit geklärt habt, sie morgen an meinem Gasthof abzuholen. Denn seid euch gewiss, bei euch sehe ich keine Schuld: Der Codex duello sieht sehr wohl vor, wie eine Person, die nicht unter Waffen steht oder aus anderen Gründen nicht zur Waffe greifen kann, vorzugehen hat, sollte ihre Ehre gekränkt worden sein: Sie hat einen Stellvertreter zu bestellen, der adelig ist und unter Waffen steht. Der Herr von Traurigenstein hat diese Möglichkeit nicht genutzt, obwohl er von ihr wusste. Warum ist ganz allein seine Sache. Dass seine Verlobte sich gekränkt fühlt und sie offensichtlich diese Gründe, die ihm alleine zustehen, nicht akzeptieren will, eine Sache zwischen den Versprochenen selbst. Euch da hineinzuziehen, noch dazu ohne sich dabei den gegenwärtigen Regeln und Sitten zu beugen, kann euch nicht angelastet werden. Weicht man in progressivem Wahn aber von althergebrachter Vorgehensweise ab, so kann man euch nicht anlasten, dieses Spiel nicht mitzuspielen. Und ich rate euch dringlichst, euch nicht auf diesen lächerlichen Wettstreit einzulassen. Ein Praiosdiener, der einen Wettstreit unter Gleichen fordert, hat scheinbar vergessen, was die praiosgefällige Ordnung ausmacht: Jeder bekleidet den Platz, der für ihn für Praios vorgesehen ist. Und daher seid ihr nicht gleich! Ihr seid ein Ritter. Sie ist eine… Hofdame. In was solltet ihr euch messen? Ihr habt nicht dieselbe Profession! Würde ein Bäcker einen Metzger zum Um die Wette Brotbacken fordern, würde jeder gleich die Absurdität erkennen. Versteift euch nicht auf die vermeintliche Gleichheit eures Standes und macht euch vor dem Volk und den Göttern lächerlich, wenn ihr einen Wettbewerb im Schönsticken oder Harfespielen verliert.” Er griff nach der Hand Lissas und gab Luzia ein Zeichen. “Darüber hinaus werde ich die Baronin aufsuchen. Das Mysterium, wie alle von dieser Forderung erfahren haben, gepaart mit den Absonderlichkeiten des gestrigen Tages sollten untersucht werden. Und sollte Madas Gabe missbraucht worden sein, so werde ich von der Baronin verlangen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.” Damit drehte er sich um und wollte mit seinen Töchtern davonziehen.

"Hört, hört …", meinte Linnart kühl, "... der Baron spricht der Dame von Altenberg das Recht ab für sich einzustehen und dem Herrn von Mersingen darüber hinaus die Befähigung die vorgebrachte Forderung für sich richtig zu bewerten. Dass er dies mit, für den Sachverhalt unerheblichen Rechtsnormen zu belegen versucht, ist in der Tat bedauerlich. Man hebt ja auch seinen Zehnt nicht nach der Rechtslage des Horasiats ein." “So.” wandte sich der Eisensteiner ein letztes Mal an den Praiosdiener: “Auf welche Rechtsnorm bezieht sich denn bitte eure Verlobte? Erhellt mich doch, denn diese ist mir wohl vollends entgangen. Ich kenne nur die Sitte- und auf nichts weiter berief ich mich- sich auf den codex duello zu berufen, mir ist keinerlei Rechtsnorm bekannt, die das absurde, progressive Vorgehen Eurer Verlobten untermauern würde. Aber Ihr seid der Praiosdiener. Womöglich habe ich da etwas übersehen?” Er hob seine Schultern und wandte sich dann vom Eisensteiner ab. Dieser hatte noch immer nicht verstanden um was es geht ... wirkte auf ihn etwas wie Großvater Reginbald. Als er zu einer Antwort anheben wollte, hielt ihn das Auftauchen der Ritterin Alana ab. Mit sicheren und festen Schritt löste sich eine Ritterin aus der Menge. Gerüstet und ohne Helm stellte sich die rothaarige Frau neben die Edeldame Durinja. Ihre Rechte ließ sie dabei auf ihren Schwert ruhen, während die andere locker herunterhing. Ein Raunen ging durch die Menge, denn eine neue Person schien dem Schauspiel beizuwohnen. Skeptisch blickte Linnart auf die Ritterin, nickte ihr dann jedoch grüßend zu. Der Eisensteiner verharrte indess, weiter seine jüngste Tochter bei der Hand haltend, was dieser sichtlich unangenehm war. Das wurde nun erneut interessant. “In diesem Falle musst du natürlich deinem Schwertvater zur Hand gehen.” sagte er zu Lissa und ließ das Mädchen zu seinem Schwertvater gehen.

“Na, endlich nimmt die Sache Fahrt auf”, entfuhr es Doratrava unwillkürlich. Den für einen Adligen ziemlich ungehobelten Trollpforzer kannte sie noch flüchtig von der Jagd in Nilsitz, aber er sprach ihr in diesem Moment aus der Seele. Etwas leiser raunte sie den Umstehenden zu: “Ich glaube, mit Zerreden ist es jetzt nicht mehr getan. Die haben sich alle schon viel zu tief da hineingeritten.” Ihr Blick suchte Alana. “Für mich hört sich das schon ziemlich ernst an, mal sehen, ob das noch ohne Waffeneinsatz zu regeln ist.” Diese erwiderte den Blick nicht. Mit ernsten Gesicht schritt Alana auf Durinja zu.

Amiel, der jüngere Advocatus, schaute verblüfft. Alana, eine entfernte Verwandte, galt nicht gut gelitten im Hause Altenberg. Im Gegensatz zur der alten Tradition seines Hauses, brach sie damit, als sie im Waffenhandwerk geschult wurde. Hatte seine Schwester wirklich sie um Hilfe gebeten? Ein “Oh, oh.”, war alles, das über seine Lippen kam. 

Doratrava blieb fast das Herz stehen, als Alana nach vorne schritt. “Aber …” stieß sie hervor und streckte den Arm nach der Ritterin aus, machte gar einen Schritt, als wolle sie ihr folgen, bevor sie sich gerade noch beherrschte. Hilflos sah sie zu Ringard und Amiel.

'Oh, oh.' Das traf es wohl. Auch Ringard sah Alana betreten hinterher. Ja, sie hatte sich gewünscht, dass die Parteien endlich zur Sache kämen, es in ihren Gedanken und zuletzt auch Worten herbeigerufen. Aber so? Ihr Blick glitt hinunter zu den von Amiel mitgebrachten Dingen, deren Einsatz sie gespannt erwartet hatte, dann zu Amiel, der offensicht genauso verdattert war wie sie, und schließlich zur vollkommen konsternierten Doratrava. "Vielleicht blufft Durinja ja nur?" gab sie, selbst auch ein wenig hilflos, in Richtung der Gauklerin zu Bedenken, und hoffte (allerdings ohne daran zu glauben), dass Amiel gleich grinsen und bestätigend nicken würde.


Noch immer mit einem verletzten Blick ausgestattet, ließ sie ihren Blick von Linnart auf den Mersinger schweifen. Die Worte des aufgebrachten Barons und des Trollpforter Junkers ignorierte sie. “Ich hatte gehofft, das hier friedlich und unbeschwert lösen zu können. Und ich erkenne, dass Worte einer Entschuldigung nicht über eure Lippen finden, noch ihr euch auf einen Wettstreit mit einer Frau einlassen möchtet. Auch bin eine Frau der Nordmarken und komme aus einer alten und traditionsreichen Familie. Da ich auch die Traditionen meines Hauses achten mochte, hatte ich gehofft, das keine Waffe erhoben werden müsse. Doch es ist unmissverständlich, dass hier nur eine Tradition zur Gerechtigkeit und Einsichtigkeit führen wird.“ Ihre Worte waren kühl und klar gesprochen.

Dann machte die Ritterin neben ihr einen Schritt nach vorne und richtete ihre Worte an den Junker. “Ich grüße euch, Junker Lares von Mersingen. Ich bin Alana Tharvuna von Altenberg und ich fordere euch im Namen der Edeldame Durinja, zukünftigst Haus vom Traurigen Stein, zu einem Duell, auf dass die Ehre ihrer Person und ihrem zukünftigen Haus wieder hergestellt werden wird. Nehmt ihr an?” Ihre Gesichtszüge der Mittdreißigerin waren ernst, ihre Worte förmlich und selbstbewußt.

So, endlich hatte dieser grauenhafte Spuk ein Ende. “Hohe Dame von Altenberg, Ihr sprecht eine Sprache, die in diesen Landen Tradition hat. Ich habe noch nie eine Forderung ausgeschlagen und werde das mit dem heutigen Tage nicht beginnen.” Lares sah ihr mit festem Blick in die Augen. Gegen diese Alana hegte er keinen Groll, er wusste um ihre Funktion, ihren Platz in der Welt. “Ich nehme Eure Forderung an. Gefochten wird mit dem Anderthalbhänder. Nachdem Eurer Auffassung nach eine Ehrenschuld zu begleichen ist, wird ein Kampf auf das zweite Blut genügen. Wollt Ihr den Kampf sogleich austragen? Ich wäre bereit.” Nachdem Durinja ihr zu nickte, antwortete Alana ohne zu zögern. “So sei es. Praios, Rondra und ihre göttlichen Geschwister seien unsere Zeugen.” Doch dann erhob Durinja nochmals ihr Wort. “Habt ihr etwas dagegen zwei neutrale Schiedsrichter zu benennen? Mir wäre es wichtig, dass zumindest ein Diener der Zwölfe bei diesem Duell anwesend ist. Und ein Anderer von Stand.” Ihr Blick richtet sich auf den Boroni, der etwas abseits im Fackelschein stand.

Linnart empfand seine Aufgabe als erfüllt. Nun sollten die Waffen sprechen, wie es die rondrianische Eitelkeit vorgab. Etwas ärgerte er sich dennoch. Diese ganze leidige Diskussion hätte verhindert werden können und niemand hätte sich vor dem Pöbel zu Reden hinreißen lassen. Dennoch bereute er nicht, für seine Verlobte eingestanden zu sein. Ihr Anliegen war unbefleckt und rein gewesen. Er würde nicht zulassen, dass irgendjemand die Integrität seiner zukünftigen Frau öffentlich anzweifelt - noch dazu mit halbseidenen Begründungen, die aus Verblendung, mit dem Namen des Götterfürsten im selben Satz hinausposaunt wurden. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er sich wieder auf die anfänglich von ihm genutzte Brüstung.

“Junker von Altenwein, wäret Ihr bereit, das Duell zu überwachen?” Er hatte sich vernünftig und insbesondere offen für Austausch gezeigt; er war aus Sicht des Mersingers fast der perfekte Kandidat. Andesine und ihren Bruder wollte er bewusst heraushalten. Der Altenweiner löste sich aus der Zuschauermenge und trat nach vorne: “Es ist mir eine Ehre!” Er schritt zu den anderen und fragte: “Sind denn alle mit dieser Wahl einverstanden?” Durinja nickte zur Bestätigung. “Euer Hochwürden Karolan von Henjasburg. Wäret ihr so frei?” richtete sie ihr Wort an den Hüter des Raben. Ohne ein Wort zu sagen schritt er ebenfalls in die Menge und gesellte sich zum Junker von Altenwein. Seine Überraschung über diese Wendung ließ er sich nicht ansehen. Erst dachte er, dass seine Frau, die Vögtin, ihn aus reiner Vorsichtsmaßnahme bat, hier zuzusehen. Doch anscheinend hatte sie wieder einmal eine Vorhersehung diesbezüglich. Dennoch war er leicht verdutzt. Die junge Altenbergerin war ihm persönlich unbekannt, doch schien es, dass sie ihn kannte. Formvollendet sprach sie seinen vollen Titel und Namen aus, als ob das ganze hier vorher geplant gewesen wäre. Innerlich seufzte er. Karolan wußte das der Tag kommen würde, wo auch er in die Politik dieses Landes hineingezogen würde.

Doratrava glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. Alanas Worte hatten sich nicht so angehört, als seien sie unüberlegt, hastig oder unvorbereitet gesprochen worden, was als einzigen Schluss zuließ, dass das hier ein abgekartetes Spiel war. Sie spürte einen Stich im Herzen, wieder einmal wurde ihr bewusst, dass sie keinen ihrer ‘Freunde’ wirklich kannte, dass sie offenbar nur ein Spielball im undurchschaubaren Spiel höherer Mächte war, und damit meinte sie nicht die Götter. Doch obwohl die Enttäuschung in ihren Eingeweiden wühlte, lief es ihr trotzdem heiß und kalt den Rücken hinunter. Sie erinnerte sich zurück an ihre Gedanken von vorhin, als sie noch darüber sinniert hatte, ob Alana wohl als Stellvertreterin Durinjas einspringen musste und dass sie nicht zulassen konnte, dass ihrer Freundin etwas passierte, ganz unabhängig davon, dass diese eine ausgebildete Ritterin war und sie nur eine einfach Gauklerin. Nun gut, das traf es vermutlich nicht mehr so ganz bei allem, was sie in den letzten Jahren erlebt hatte, aber dennoch. Und jetzt wurde es tatsächlich ernst. Todernst. Nun wurden ihre spielerischen Gedanken von der Realität auf die Probe gestellt. Nun musste sie sich ganz schnell darüber klar werden, ob sie Alana weiterhin als ihre Freundin betrachtete, obwohl diese sie ganz offensichtlich im Dunkeln hatte tappen lassen, was ihre wahren Absichten hier waren. Und falls dies der Fall war, was sie tun würde, wenn Alana wirklich ernsthaft in Bedrängnis geriet, auch wenn sie dem Augenschein nach dem Mersinger überlegen sein sollte. Konnte sie dann kalten Herzens zuschauen, wie sie unter den Hieben ihres Kontrahenten fiel? Und wenn nicht? Sie konnte sich doch nicht einfach dazwischenwerfen, denn auch wenn sie die Gesetze der Adligen nicht kannte, wäre das sicher der Bruch irgend eines derselben und würde sie in des Namenlosen Küche bringen … Doratrava begann, nervös an ihren Fingernägeln zu kauen und warf Amiel und Ringard unstete Blicke zu.

Durinja hatte nicht geblufft - sie meinte das ernst! Ringard war maßlos enttäuscht und auch ein wenig entsetzt. Letzteres nicht so sehr über das Duell als solches - auch wenn sie selbst noch keines miterlebt hatte, war dieses immerhin ein erprobter und nicht selten gegangener Weg, Ehrverletzungen zu begleichen, und trug in mancher der Geschichten, die sie so liebte, in der ein tapferer Ritter für die Ehre seiner Herzensmaid eintrat, sogar romantische Züge. Entsetzt war sie vielmehr darüber, dass nun nicht Durinja selbst - wie angekündigt - für ihre Forderung eintreten und den Mersinger mit den Waffen einer Zofe für sein ehrabschneidendes Auftreten am vorgestrigen Tage strafen würde, sondern dass Blut fließen würde, ja musste, und mit Alana eine andere den Kopf für ihre Schwägerin hinhalten sollte, noch nicht einmal deren ritterlicher Verlobter. Und das schlimmste war, dass das ganze obendrein auch noch ziemlich abgekartet wirkte, nicht nur durch einen überraschenden Verlauf der Geschehnisse erzwungen. Wenigstens schien Amiel so aufrichtig verblüfft, dass er ganz offensichtlich nicht Teil dieser Scharade gewesen sein konnte. War diese Ehrverletzung, die keiner aussprechen wollte, tatsächlich so schlimm gewesen, dass das hier gerechtfertigt war? Durinja wirkte nun nicht mehr so bewundernswert stark auf sie, sondern nur noch hart. Und ein wenig grausam. “Das wird schon gut ausgehen...” sprach sie mehr sich selbst als Doratrava zu. “Wird es doch, Amiel, oder? Sind denn Heilkundige unter uns?” Ratlos zog der die Schultern hoch. “Zumindest ein Boroni.” sagte er. Ob es nur eine Feststellung war oder ein Scherz, konnte Ringard nicht erkennen.