Die Satisfaction der Zofe

Zeit

10. Rahja 1042 BF

Ort

In der Stadt Herzogenfurt in der Baronie Schweinsfold

Autoren

DanSch, Ambelmund, RekkiThorkarson, StLinnart

Teilnehmer:


Prolog

“Den Götter zum Gruß! Euer Wohlgeboren, Lares von Mersingen. Eine Frau von meinem Stand weiß um ihre eigene Ehre, die ihr uneinsichtig und in aller Öffentlichkeit in den Schmutz gezogen habt. Auch wenn eine Entschuldigung eureseits mit Phexens Stimme gesprochen wurde, war doch die praiosgefällige Ehrlichkeit, die hesindegefällige Einsichtigkeit und die rahjagefällige Leidenschaft nicht vorhanden. Den kaum kam eure Worte über eure Lippen, ging die Ehrbeleidigungen gegen meine Person gleich weiter, auch wenn sie verkleidet waren in den Anschuldigungen gegen meinem Verlobten Venerati Lumini Linnart vom Traurigen Stein. Mir ist bewusst, dass meine Worte in rahja- und rondragefälliger Leidenschaft gesprochen wurden. Doch ist es einer Dame zu verdenken? Das praiosgefällige Recht und das herzögliche Recht stehen auf eurer Seite. Somit werde ich euch nicht zu einer Satisfaktion fordern.

Wenn ihr ein Mann von Ehre seid, wie ihr lauthals behauptet, so würde ich eine öffentliche und ehrliche Entschuldigung als Genugtuung gerne entgegen nehmen. Sollten das gesprochene Wort nicht als standesgemäß empfunden werden, schlage ich euch einen angemessenen Wettstreit vor. Sei es zum Beispiel im Tauchen, Klettern oder Zielwerfen mit dem Messer. Die Wahl liegt bei euch. Seid ihr euch dem allem zu Schade, so ist das euer Recht.

Gebt den Überbringer des Schreibens bescheid, wie ihr euch entscheidet oder seid am 10. Rahja 1042 BF zur Phexstunde am Uhlenturm an den Ufern der Foldenquell und wir bereinigen diese Angelegenheit.

Durinja von Altenberg, zukünftigst Haus ´vom Traurigen Stein´.”

Schreiben an Lares von Mersingen am Abend der Brautschau, Herzogenfurt 8.Rahja 1042 BF

Stadtgespräche

Noch immer lag der frohlockende Sinn der liebholden Liebesgöttin Rahja in der Luft und die Bürger des kleinen Städtchen Herzogenfurt frönten noch immer eine ausgelassene Stimmung. Dieser Tag jedoch, der zehnte Tag des Rahjamondes 1042 nach Bosparans Fall, war erfüllt mit flüsternden Worten, Gelächter und Neugierde. Erst waren es nur wenige Gäste der Altenberger Brautschau, die vor zwei Tagen in Herzogenfurt standfand, die von einer Geschichte am Rande, zwischen einer Zofe und einem Ritter, hörten. Doch dann sprachen Knechte und Mägde darüber und binnen eines Tages war es das Stadtgespräch. So wusste einer der Gärtner im Lilienpark zu berichten, wie der Junker von Mersingen, dem Bannstrahler Linnart vom Traurigen Stein die Verlobte neidete und diese schändlichst beleidigte. Oder die Magd des Hotels konnte erzählen wie die Jungfer Durinja vom Traurigen Stein sich dem Mersinger vom Leibe halten musste, da ihm der Wein und Rahja zu Kopfe gestiegen war. Unter den Hofdamen sprach man davon, das der Junker sich zum ´Retter aller gebrochenen Herzen´ ernannte, ob diese nun wollten oder nicht, und erkor sich die Traurigensteiner aus, als Wurzel allen Übels, um diese zu einem Duell zu fordern. Die Geweihte der gütigen Travia war sich sicher, dass die ehrbare Göttin dem Wüstling strafen würde, für seine verletzenden Worte der Edeldame gegenüber und auch der Wurstmetzger und die Pökelmeisterin konnten nur den Kopf schütteln, über die Selbstgefälligkeit des Grünschnabels von einem Ritter. Welche Wendung diese Geschichte auch bekam, in einem Detail stimmten sie überein: Die Edeldame vom Traurigen Stein und der Ritter von Mersingen sollten sich zur Phexstunde an diesem Tag am Uhlenturm vor den Toren Herzogenfurts treffen, um dieser Geschichte genüge zu tun. Und somit brachen viele Stadtbürger, Edelleute und Gäste auf, dem Zeuge zu sein.

Die Dämmerung war schon über das Land eingebrochen und in einem Wasserlauf würden die Stadttore der Stadt Herzogenfurt in der Baronie Schweinsfold geschlossen. Nur hundert Schritt waren die beiden wuchtigen Zolltürme davon entfernt, die mit ihrer Brücke über den Foldenquell den Handel und die Reise Rahja-Efferdwärtig von Amleth nach Honingen sicherten. Zu Fuße des Uhlenturms, der auf der Seite Herzogenfurt stand, direkt am Ufer des Flusses fand sich eine Traube von Menschen ein, denn hier sollte das Zusammentreffen der beiden Edelleute stattfinden. Im Scheine von einigen Fackeln und Laternen wartete die besagt Jungfer, dessen Namen nun in jederfraus und jedermanns Mund war: Durinja vom Traurigen Stein. Die junge Frau hatte ihr dunkles, langes Haar zu einem Zopf geflochten und trug ein sittsames, hochgeschlossenen und dunkelgraues Hemd, dazu eine dunkle Hose, mit leichten Schnürstiefeln. Blass war ihr hübsches Gesicht, bar jeder Schminke. Einzig alleine ihre zweifarbigen Augen gaben ihr etwas auffälliges, doch jedem war klar, das diese zarte Gestalt sehr an den Schmähungen des Junkers gelitten haben musste. Die leichten Rötungen um Auge und Nase wiesen darauf hin, dass die unschuldig wirkende Edeldame geweint haben musste. Ihr Bruder, ein leicht untersetzter, hübscher Mann stand in ihrer Nähe. Zu seinen Füßen hatte eine sehr große, lederne Tasche und schien leicht abwesend. Auch der besagte Verlobte, der Bannstrahler Linnart vom Traurigen Stein war nicht weit und stand im Scheine einer Fackel. Neugierig wurde sie von den Leuten gemustert, immer wieder den Blick zum Stadttor wandernd, denn der Herausgeforderte war noch immer nicht zu sehen. Besagter Verlobter der Duellantin lehnte entspannt an einer nahen Brüstung. Sein aufmerksamer Blick schweifte über die Anwesenden und die sich ihm bietende Szenerie. ´Was für eine Schmierenkomödie´, dachte er bei sich, versuchte jedoch sich seinen Gemütszustand nicht anmerken zu lassen und neutral zu wirken. Dennoch fühlte er sich dazu genötigt seinen Ornat anzulegen, um halbwegs was her zu machen und die Präsenz der Kirche des Gleißenden zu zeigen. Vielleicht würde das die Anwesenden dazu motivieren die vorherrschenden, gegenseitigen Ressentiments nicht eskalieren zu lassen und hier und heute keine Dummheit zu begehen. Denn auch wenn er von diesem Duell nicht viel hielt - sobald er Durinja in Gefahr wähnte, würde er einschreiten. Verbot von Ehrenhändeln oder dieser nicht nachvollziehbare rondrianische Ehrbegriff in allen Ehren, aber ein Familienmitglied würde er immer verteidigen. So trug der Ritter sein edles, langes Kettenhemd mit der vergoldeten ersten Gliederreihe. Darüber einen weißen Wappenrock mit golden bestickten Säumen und einen schweren Umhang. Gegürtet hätte er ein hochwertiges Langschwert mit vergoldeten Parierstangen. Die güldenen Elemente seines Ornats funkelten im Licht der nahen Fackeln. Linnart blickte auf seine schöne Zukünftige. Was für eine herausragende Schauspielerin sie doch war. Die Anwesenden werden es ihr abnehmen und in Sympathie für die zierliche Hofdame dahinschmelzen - der Bannstrahler wusste es besser. Dennoch ließ er Durinja ihren Auftritt und die damit einhergehende Inszenierung. Sein Blick lag nun auch am Stadttor. Wer weiß würde dieser Mersinger überhaupt erscheinen. Er schien gerne auf phexischen Pfaden zu wandeln und liebte es Menschen hinter ihrem Rücken verbal zu verunglimpfen - die offene Konfrontation schien seine Stärke nicht zu sein.

An einer Hauswand, nicht weit von der sich bietenden Szenerie, lehnte der düstere Marborad und wartete mit leicht amüsierten Gesichtsausdruck auf das, was gleich kommen sollte. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt und stützte sich mit einem Bein an der Wand ab. Zu der hautengen Mi - Parti Hose in Schwarz und Weiß trug er Schnabelschuhe aus braunem Rindsleder und eine dunkelgrüne Schecke mit tiefen Ausschnitt und Mahoîtres. Die Säume waren mit silbernen Stickereien verziert, welche ein Granatapfelmuster zeigten. Unter der Schecke trug er ein weißes Leinenhemd. Sein Haar hatte er zu zwei Zöpfen geflochten, die einen dunkelgrünen Fez umrundeten und im Nacken ineinander gewoben waren. Caligo, sein Rabe, flog krächzend über die Brücke, flog einmal über die wartende Menge und beäugte dabei den Bannstrahler und dessen Verlobte, bevor er sich auf dem Dach des Uhlenturmes niederließ. Lange stand Marborad nicht alleine, denn Gezelda von Ulmentor, erste Hofdame der Baronin von Schweinsfold, gesellte sich zu ihm. Die ältere Frau, wohl schon in ihren Fünfzigern, war noch immer eine herbe Schönheit, der sich sich die Männer jeglichen Alters noch immer umdrehten. Mit einem horasischen Fächer in der Hand lächelte sie dem Höfling zu. “Diese Durinja hat ja ordentliche Arbeit geleistet, das muss man ihr lassen. Die ganze Stadt spricht von ihr … und vor allem schlecht von dem Junker.” raunte sie dem Dachswiesner zu. “Die möchte man wahrlich nicht zum Feind haben. Irgendwie tut mir der Junker sogar ein bisschen Leid. Und das obwohl er so häßlich ist.” Während sie leicht fächerte, lachte sie verhalten, weiter darauf achten, ein Lächeln für die anderen zu behalten. “Wahre Worte, Marborad. Schauen wir, wie er sich so schlägt. Vielleicht hat sie auch zu hoch gespielt. Zumindest weiß ich von zwei Mägden, die sie bezahlt hat … Geschichten zu streuen.” Nun bekam sie ein Funkeln im Gesicht. “Ihr Verlobter ist schon ein Schmuckstück … nur leider auf der falschen Seite.” Der Höfling betrachtete den Bannstrahler und antwortete: “Ich hätte schon Möglichkeiten ihn auf die `richtige`Seite zu bringen”, und grinste, “aber es wäre nur eine Illusion für einen Augenblick. Im Grunde genommen ist es doch auch langweilig, wenn sie es nicht von selbst wollen. Zumindest ein kleines bisschen. Findet Ihr nicht auch?” “In der Tat” Der Blick blitzte kurz über Linnart. “Man hört ja so einiges von den Traurigensteiner. Die sollen Orgien auf ihren Gut feiern. Was hälst du von dem da?” Sie deutete flüchtig auf den Junker Aureus von Altenwein. “Sieht nicht schlecht aus. Scheint mir aber etwas naiv zu sein, glaubt an das Gute im Menschen und so. Das muss keine schlechte Eigenschaft sein, solange man sich nicht übertölpeln lässt. Und irgendwie hat er etwas von einem Hund, treu, neugierig, freut sich über jeden neuen Menschen, den er trifft. - Ich frage mich, ob der auch mit seinem Schwanz wedeln kann? - Allerdings würde ich Euch von ihm abraten. Es liegt ein Schatten auf ihm, er tanzt gerade auf Messers Schneide und Urgroßmutter hat noch nicht entschieden, welchen Weg er nehmen wird. - Orgien hattet Ihr gesagt. Klingt verlockend. Sind die wie unsere Treffen, oder wie darf ich mir das vorstellen?” “Das kann ich wirklich nicht sagen. Aber vielleicht werden wir eines Tages eingeladen.”fast herausfordernd hörten sich ihre Worte an. “Das klingt ja so, als wolltet Ihr ein Spiel daraus machen…” Frech grinste er sie an. “Wer weiß, wer weiß.” war ihre knappe, doch verschwörerische Antwort. “Also gut. Ich nehme an. Worum wollen wir wetten?” Marborad war sich der Tatsache bewußt, dass er der ersten Hofdame unterlegen war, aber sie war wie eine Katze und diese spielten gerne. Warum sollte er ihr nicht eine kleine Freude machen. Leicht machen würde er es ihr jedenfalls nicht. “Ich schlage folgendes vor: wer von uns beiden zuerst eine Einladung erhält, hat gewonnen, nimmt aber den Verlierer mit. Der Verlierer hingegen spendiert dem Gewinner eine Flasche des seltenen, aber köstlichen Altenweiner Firunsodem. Na, was sagt Ihr?” “Abgemacht”, gurrte sie ihm entgegen.

Sina gähnte, die letzten Nächte und Tage waren zu kurz oder zu aufregend gewesen. So recht wusste sie auch nicht, was sie von dem Spektakel halten sollte. Mit Lares hatte sie nicht viel gesprochen, sympathisch war er ihr nicht, aber trotzdem machte er nicht den Eindruck, unbesonnen und ungerecht zu sein. Sicher hatte er sich entschuldigt und Sina selbst hatte Linnart für sein Verhalten eine Ohrfeige gegeben. Zuviel Emotionen auf einem Haufen. Durinja war ihr auch nicht so recht sympathisch, nach einem gemeinsamen Gespräch hatte es sich geändert, aber die Szenerie wirkte zu aufgesetzt. Vor allem Linnart. Er stand nur rum und ließ seine Frau weinen? Was war Nachts geschehen und warum war er so passiv? Ihr Gatte in spe schien wegzudösen. Sina weckte ihn mit einem stoß ihres Ellbogens. “Was hältst du davon?” Sie hatte noch einen Gedanken, den sie kontinuierlich verdrängte. So dumm wäre Linnart nicht und Durinja nicht so schlau. “Mmmmmh, mich wundert, dass sich der Mersinger auf dieses Spiel eingelassen hat. Gerade er sollte doch wissen, dass Duelle nicht gern gesehen sind, um es mal gelinde auszudrücken. Zumal Durinja nicht satisfaktionsfähig ist, sie wurde ja nicht zur Ritterin ausgebildet. Außerdem finde ich es merkwürdig, dass er noch nicht erschienen ist. Er ist eigentlich ein sehr korrekter Mann und daher zuverlässig und pünktlich.” Nachdenklich schaute er zum Stadttor. “Vielleicht sollte ich mal losgehen und schauen, ob er vielleicht ´aufgehalten´wurde.” Jetzt schaute er zu Durinja, denn auch der Junker hatte die Gerüchte vernommen, die durch die Stadt wehten. Sie passten so gar nicht zu dem Bild, dass er von dem Mersinger hatte, seit die beiden gemeinsam auf der Concabella gereist waren. Unwillkürlich fielen ihm plötzlich Durinjas Worte ein, die sie beim Tanz zu ihm gesprochen hatte: und nun passt mehr auf Eure Schritte auf. Er hatte damals geglaubt, sie würde sich auf seinen ungelenken Tanz beziehen, aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Mit dem Hintergrund dieser `Veranstaltung`bekamen diese Worte eine ganz andere Bedeutung, eine warnende Bedeutung im Sinne von: kommt mir nicht in die Quere. Aureus schüttelte den Gedanken wieder ab. Die vergangenen Nächte mit Sina waren lang und ausgiebig gewesen, so dass er vor Müdigkeit kaum klar denken konnte. Er nahm Sinas Hand, küsste sie und fragte: “Was hältst Du davon?” “Bleib lieber bei mir. Der Mersinger ist schlau, auch, wenn er skurril ist und sich vor Katzen fürchtet.” Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe. “Allerdings ist Durinja auch schlau. Ich hätte gestern besser aufpassen sollen, als ich vertrauter mit ihr geredet habe. Welchen Sinn das alles haben soll, verstehe ich auch nicht. Deine Leute passen doch auf unsere Sachen auf, oder? Die ganze Stadt ist abgelenkt. Man könnte das ausnutzen." “Welche Leute? Mein Zelt steht noch auf dem Platz neben dem Park und Deine Sachen sind doch im Hotel sicher, oder nicht?” “Sie sollten sicher sein. Abgesehen davon habe ich nicht viel dabei. Ich habe nur ein seltsames Gefühl. Kennst du ihre Familie ?” “Ich habe Elvan kennen gelernt bei der Jagd von Nilsitz vor ein paar Wochen, aber sonst ist mir das Haus Altenberg ein unbeschriebenes Blatt. Warum fragst Du?” “Und Elvan ist in Ordnung. Ich weiß nicht, es ist so ein Gefühl. Sie wirkt berechnend und tut sicher nichts, ohne es zu wollen. Gestern war sie nett zu mir, ich frage mich nur, ob sie mich beeinflussen wollte. Aber, das ist jetzt mein Vorteil, ich bin einfach zu unwichtig.” Sina lächelte. “Du bist die einzig wichtige hier”, lächelte Aureus und gab Sina einen Kuss auf die Wange. Er nahm ihre Hand in seine und sprach weiter: “Aber Du hast recht, Durinja müssen wir im Auge behalten.” Sina kicherte. „Wollen wir wirklich hier rumstehen? Oh, schau, Lares kommt.“

Gestern hatte Doratrava noch einen netten Nachmittag mit Cupida verbracht, sie hatte sich nach einer Einführung in die Rosenpflege von der Gärtnerin die Stadt zeigen lassen, aber dabei das Thema "Duell" weitgehend vermieden, da Cupida mit ihrer Neugier offensichtlich nichts anzufangen wusste. Später musste sie sich wieder um den Schrein kümmern, also hatte Doratrava die Zeit genutzt, noch ein wenig am Lilienteich zu verweilen und dort ihre täglichen Übungen zu absolvieren. Niemand hatte sie dort gestört, auch nicht der Teich oder die Weiden selbst. Am Abend hatte die Gauklerin sich dann in die nahegelegene Herberge begeben, um sich mit ihren Künsten noch ein wenig Zubrot zu verdienen. Dort hatte sie auch Nordrun getroffen und sich bei dieser ebenfalls nochmals bedankt und von ihr verabschiedet. Und auch Alana, die Ritterin, hatte sich zu ihrer Freude unter die Gäste gemischt. Das hatte ihre Lust zu tanzen nochmals angestachelt, und am Ende waren sie wieder in Alanas Zelt gelandet. Aber diesmal hatte sie wenigstens die halbe Nacht geschlafen. Und nun war sie hier. Gestern war Doratrava noch ein wenig unschlüssig gewesen, ob sie nicht Cupida zuliebe dem Duell fernbleiben sollte, aber als sich die Kunde desselben immer weiter verbreitet hatte, was ihr natürlich nicht entgangen war, redeten doch einige Leute im Gasthaus über nichts anderes mehr, hatte sie ihre oder vielmehr Cupidas Bedenken beiseite gewischt. Wenn so viel Volk Interesse zeigte, dann würde es viele Zuschauer geben. Und wo es viele Zuschauer für das Duell gab, gab es auch viele Zuschauer für sie, denn natürlich nutzte sie die Gelegenheit, die Schaulustigen bis zum Beginn des Duells mit Tanz und Akrobatik zu unterhalten und ihr Säckel noch ein wenig mehr zu füllen. Natürlich waren ihre Darbietungen kein Vergleich zu dem, was sie auf der Brautschau gezeigt hatte, aber erstens hatte sie nicht einmal ein Mindestmaß an Vorbereitungszeit gehabt und zweitens wollte sie ja nicht den beiden Streithähnen oder vielmehr dem Streithahn und der Streithenne die Bühne streitig machen. Sie schmunzelte innerlich über ihr gedankliches Wortspiel. So präsentierte sich Doratrava heute auch nicht in einem aufreizenden Kleid, sondern in Lederhose mit Schellen an den Fesseln und einem weit geschnittenen, langärmligen weißen Leinenhemd mit einem bunt karierten Streifen, der von der linken Schulter zur Hüfte verlief und von dort auf dem Rücken wieder zur linken Schulter zurück. So hatte sie schon am späten Nachmittag die ersten Neugierigen begrüßt und so hatte sie auch die danach herbei strömenden Leute auf sich aufmerksam gemacht, aber nun, da die verabredete Zeit des Duells gekommen war, beendete sie ihre kleine Vorführung, verbeugte sich vor den Zuschauern, sammelte die Heller und Kreuzer ein, welche nicht in ihrem Sammelbeutel gelandet waren, und stellte sich in die Gruppe der Wartenden, während ihr Blick von Durinja zu Linnart, dann zu den anderen bekannten Gesichtern wanderte. Was diese wohl alle dachten? “Die begabteste Gauklerin die ich kenne.” Alanas Stimme war unverkennbar. Die Ritterin aus dem Haus Altenberg stand hinter der zierlichen Doratrava. Heute Abend war sie gerüstet, so wie man es von einer Ritterin erwarten würde. Nur ihren Helm hatte sie nicht auf, doch ihr Schwert gegürtet. Erfreut wandte Doratrava sich zu der Kriegerin um und schloss den Beutel sicher. “Nanu, ziehst du in den Krieg?” lächelte die Gauklerin und hakte sich ganz gegen ihre Gewohnheit bei Alana unter. Nach zwei zumindest teilweise zusammen verbrachten Nächten war diese aber auch keine Fremde mehr. “Im Ernst: erwartest du einen Kampf?” “Ach, wo denkst du hin. Ich bin nur gebeten worden, falls der Junker meine Verwandte fordern möchte. Du mußt wissen, da sie keine Bewaffnete ist, darf sie ihn nicht fordern, auch wenn sie das als Wettstreit verkleidet hat. Aber sie dürfte eine Vertretung wählen.” Dabei tippte Alana auf ihr Schwert. Doratrava machte große Augen. “Du? Du müsstest dann kämpfen? Sollte Durinja nicht ihren Verlobten wählen, wenn sie einen Vertreter braucht?” Musste sie sich nun Sorgen machen? Alana sah durchaus so aus, als könne sie sich ihrer Haut erwehren, auch wenn Lares im Vergleich zu ihr ein junger Hüpfer war. Vielleicht war er beweglicher, aber die Kriegerin war sicher die Erfahrenere. Aber würde sie an sich halten können, wenn Alana ernsthaft in Bedrängnis geraten sollte? Sie konnte doch kaum einfach nur zuschauen, wie man ihre neue Freundin in Stücke schlug. Ihre grasgrünen Augen spiegelten ihre besorgten Gedanken wieder, aber dann schüttelte sie energisch den Kopf und setzte wieder ein Lächeln auf. Alana würde nichts passieren. Alana beantwortete Doratravas Lächeln ebenfalls mit einem. Nein, mit einem Waffengang rechnete sie nicht. Durinja war eine Altenbergerin. Und die verabscheuten das Schwert wie Pest und Galle. Dennoch war sie Neugierig, wie der junge Ritter auftreten würde.

Thankred von Trollpforz kam zu besagtem Duell wie es sich für einen Ritter von Stand gehörte, gerüstet, mit gegürtetem Schwert und hoch zu Ross. Der Junker wollte sich das 'Duell' nicht entgehen lassen. Zwar hatte er es ohnehin nicht sonderlich eilig in den Isenhag zurückzukehren und wollte nach dem Ende der Brautschau noch ein wenig der Jagd frönen, bis er gemeinsam mit Sabea- seiner zukünftigen Braut heimkehren würde, doch für ein solches 'Ereignis'- einem aus Eitelkeit geborenen Streit, verzichtete er gern auch darauf auf die Pirsch zu gehen. Die große und schwerbusige Sabea tat es ihrem Verlobten gleich und saß ebenfalls hoch zu Ross. Eigens dafür hatte sie sich den grau-weißen Apfelschimmel, genannt ´Aschefell´, von ihrer Schwester Gelda geliehen. Die wilden, roten Locken wirkten im Schein der Fackeln wie glühendes Feuer und mit bedauernden Blick schaute sie sich ihre Base Durinja an. “Ach, das arme Durinjaschen. Dieser unflätige Junker hätte nicht mal sein Satz beenden können, hätte er meinen Verlobten beleidigen wollen.” Mit einem Seitenblick lächelte sie nun Thankred zu. “Ich bin gespannt, wie die das lösen wollen. Mit diesen dünnen Ärmchen, wird die Arme kein Schwert heben können. Ich frag mich warum dieser Linnart nichts macht.” "In der Tat", bestätigte der Junker. "Das dürfte hoch interessant werden. Ich habe den Mersinger als sehr impulsiven, wenn nicht sogar hitzköpfigen Mann kennengelernt. Das was man hört haben sich die Parteien des Streits aber in dieser Hinsicht nicht viel gegeben. Wer im Recht oder Unrecht ist interessiert mich aber auch nicht sonderlich, um darüber zu Urteilen hätten man bei allen Episoden dabei sein müssen. Was mich hingegen neugierig macht ist die Frage, wie alle Beteiligten ohne Gesichtsverlust da herauskommen wollen, ohne großes Blutvergießen meine ich. Und Duell um die Ehre ist für gewöhnlich recht blutig nach meiner Erfahrung, die aber zugegebenermaßen noch nicht sehr groß ist." Sabea wirkte nachdenklich. “Bei uns in der Familie wird der Waffengang abgelehnt. Es soll wohl Unglück auf das Haus Altenberg werfen. Deswegen hab ich auch nach den Stützbalken der Schmiede gegriffen und nicht zum Schwert, als die Thorwaler kamen. Hmmmm.” Weiter Grübelnd schaute sie sich den Platz genauer an. “Es ist nichts unehrenhaftes daran sich mit den Fäusten zu messen”, auch so kann man einen Streit beilegen, schlug Thankred vor. “Das Problem an der vorliegenden Situation sind die ganzen Menschen, die sich hier versammelt haben. Das Volk erwartet ein Duell, sie wollen Blut sehen und werden enttäuscht sein, wenn es nicht so kommt und schlecht reden werden sie auch.”

Was für ein Menschenauflauf! Und wie neugierig sie schauten, dabei tuschelnd und schwatzend! Ringard versuchte, sich im Hintergrund zu halten, was in der Nähe ihres Verlobten Amiels und damit auch Durinjas gar nicht so einfach war. Wenigstens unterstützte sie ihr dezentes, dunkelgrünes Kleid mit naturfarbenen Seitenstücken, dessen einzige Finesse in seinen ausladenden Schmetterlingsärmeln und seiner rückwärtigen Schnürung bestand und ansonsten weder Einblicke in ihr ohnehin noch wenig üppiges Decolleté noch auf ihr Schuhwerk (heute einfache dunkelbraune Lederschuhe) oder gar Beine gewährte, bei diesem Ansinnen. Das dunkelblonde Haar der jungen Tannenfelserin lag bis auf zwei schmale, hinter ihrem Haupt zusammenlaufende Schläfenzöpfe offen über ihren Schultern, und betonte ihr durchaus hübsches, aber keinesfalls auffälliges oder gar aufreizendes Auftreten. Dennoch glaubte sie, die vielen gaffenden Blicke wie Nadelspitzen auf sich zu spüren. Rasch zog sie sich ein wenig hinter Amiel zurück, dessen üppigere Gestalt ihrer hageren im wachsenden Dunkel des Abends gute Deckung gewährte. Wie sehr musste der Mersinger Durinja beleidigt haben, dass diese sich zu einer derartigen Maßnahme gezwungen sah! Aus den Erzählungen konnte sie noch immer nicht genau nachvollziehen, was geschehen war. Jedenfalls schien alle Welt über den impertinenten Junker aufgebracht. Nur Amiel wirkte überraschenderweise recht gelassen auf sie. Ringard selbst war aufgeregt - was würde sich hier gleich ereignen? Und wo blieben nur Nivard und Elvrun? "Weißt Du, was Durinja genau vor hat?" raunte sie Amiel von hinten ins Ohr, vor Anspannung und Neugier fast platzend. “Ich habe keine Ahnung, mein Liebstes. Soweit ich weiß, wird es ein Wettstreit geben. Aber was für einen liegt in der Hand des Mersingers. Ich habe ein paar Sachen mitgebracht.”, flüsterte Amiel ihr zu. "Und was genau hast Du dabei?", flüsterte Ringard zurück. Sie wollte zu gerne wissen, auf welche Art von Wettstreit das ganze hinauslaufen würde. Irgendwie ging das alles ganz anders vonstatten, als sie sich so etwas ausgemalt hatte - wie in den Büchern, die sie und die Baroness Befinna sich letzten Winter gegenseitig in der Kemenate zu Burg Fadersberg mit rotglühenden Wangen mal kichernd, mal bangend und oft mit verträumt schmachtendem Blick vorgelesen hatten, und die voll von solchen Geschichten waren, Geschichten von großen Gefühlen und Menschen, die daran beinahe zerbrachen, dann aber daran wuchsen, Geschichten von wahrer Liebe und ewiger Feindschaft, von steter Treue und hinterhältigen Verrat und von unbefleckter Ehre und dreckigster Niederträchtigkeit. In diesen hätte Durinja niemals selbst für ihre Ehre streiten müssen, nein, sie hätte noch nicht einmal Satisfaktion fordern müssen. Dann wäre ihr Verlobter nämlich - wie ein echter Ritter - von sich aus für sie in den Ring gestiegen und hätte dem Mersinger Manieren beigebracht, wenn er denn auch nur halb so unflätig aufgetreten wäre, wie man sich erzählte. Obgleich Ringard sich unsicher war, wie viel von den Gerüchten sie glauben durfte, und obwohl sie Durinja nur wenig und den Mersinger gar nicht kannte, gehörte ihre Sympathie ganz der gepeinigten Zofe: zum einen würde diese bald ihre Schwägerin sein, und sie konnte sich kaum vorstellen, wie ein so lieber Mensch wie Amiel eine ganz andere Schwester haben sollte. Zum anderen war Durinja eine unbewaffnete Frau, noch dazu eine Zofe wie sie im Prinzip auch - selbst wenn man sie dafür in Ambelmund eine Hofdame schimpfen würde - und damit gegenüber einem Ritter und Junker in eindeutig unterlegener Position. Wie konnten all die Mannsbilder hier umhin sie in dieser Lage nur alleine für sich eintreten lassen? "Glaubst Du, dass es gefährlich für Durinja werden könnte?" schob sie aufgeregt hinterher, gespannt auf die Antwort selbst, aber auch auf die Reaktion Amiels. “Seile, Spielkarten und so Kram.” flüsterte er weiter. Dann griff Amiel nach Ringards Hand. “Keine Sorge, Durinja kann sich ihrer Haut erwehren. Ich hab jeden Kampf mit ihr verloren.” feixte er. Jetzt musste Ringard grinsen. "Na, wenn das so ist. Dann muss in Zukunft ja ich Dich beschützen." scherzte sie zurück.

Ritter und Zofe

Lares traf pünktlich auf die Minute auf dem Rücken seines Pferdes am vereinbarten Treffpunkt ein. Seine kleine Pagin hockte hinter ihm auf dem Pferderücken. Der Mersinger hatte sich des Anlasses entsprechend eher handfest angezogen. Es sollte ja zur Sache gehen, das war kein höfisches Geplänkel mehr. Doch als er die Straßen in Herzogenfurt entlangritt, drängten sich von Schritt zu Schritt immer mehr Menschen an den Straßen. Fast schien es, als sei Markttag und eine Gauklertruppe sei in der Stadt. Erst viel zu spät begriff er, dass wohl er den Hofnarren für all diese gaffenden Leute spielen würde. Das ließ den Zorn in seinen Eingeweiden wüten. Diese ganze Veranstaltung war unnötig, schändlich und der inadäquaten Verhaltensweise dieser Schnepfe von einer Schlange geschuldet. Der Pöbel warf ihm, den man nicht nur an seinem Äußeren, sondern insbesondere am Wappen seines Hauses auf dem Wappenrock erkennen konnte, den er über einem lockeren Wams trug, zunächst nur böse Blicke, dann jedoch Schmähungen zu. Manch einer traute sich sogar, vor ihm auszuspucken. Wäre dies in Rosenhain passiert, er hätte das Pack Respekt gelehrt. Aber was konnte man schon vom Pöbel erwarten, wenn dessen Herrschaft nicht in der Lage war, sich adäquat zu verhalten. So ritt er finsterer Mine und starren Blickes auf den Platz vor dem Uhlenturm. Als er dort angekommen war, verschaffte er sich in der Menge Platz, indem er mit seinem Pferd einen Kreis umritt. Dann ließ er sein treues Ross vor dem unsäglichen Bannstrahler und seiner noch unsagbareren Verlobten halten. Gemach und ohne Eile stieg er ab, klopfte sich die Rockschöße aus und blickte der Altenbergerin und ihrem Verlobten entgegen.

Der Mersinger sprach mit lauter Stimme: “Hoher Herr vom Traurigen Stein, hohe Dame von Altenberg. Hier bin ich, wie in Eurem allein an mich adressierten Brief gefordert. Und scheinbar auch die halbe Stadt.” Mit der Linken machte der Mersinger eine ausladende Geste, die die gesamte Entourage einbezog. “Nun bin ich es nicht gewohnt, dass einem fairen Wettstreit unter Edelleuten schaulustige Gaffer beiwohnen, doch scheine ich mit einigen Sitten in Eurer Stadt nicht ganz geläufig zu sein. Weil Euch meine in aller Form ausgesprochene Entschuldigung nicht ausreichte, habt Ihr Euch diese Zusammenkunft erbeten. Ihr seid Euch wie ich selbst der Tatsache bewusst, dass wir kein Ehrenhändel ausfechten; andernfalls sähe ich mich gezwungen, abzulehnen, nachdem Ihr nicht unter Waffen steht. Aber das konnte ich mit Eurem Vater ja bereits hinlänglich besprechen, der mir in dieser Angelegenheit im Übrigen seinen Rechtsrat anbot - eine große, aber unnötige Geste.” Lares schüttelte den Kopf. “Ich frage Euch deshalb unter den hier anwesenden - zahlreichen - Zeugen, ob Ihr von Eurem Begehr Abstand nehmen wollt oder ob Ihr hier mich und Euch zur Attraktion des gemeinen Volkes zu machen gedenkt. Noch bin ich bereit, diese Sache friedlich und wie bereits angeboten vernünftig zu lösen. Meines Erachtens geziemt es weder einer Frau von Stand noch einem solchen Herren, dem Volke Brot und Spiele zu sein.”

Linnart rollte kurz mit den Augen als der Mersinger ihn so überschwänglich begrüßt hatte und sein Viehzeug, wohl in einem Anflug von Provokation, vor ihm und seiner Verlobten abstellte. Dennoch ließ der Ritter sich zu keiner äußerlichen Regung hinreißen. Er war selbst nicht glücklich darüber, dass Volk und andere Gäste gleichermaßen anwesend waren. Die Kombattanten und der engste Kreis hätten seiner Meinung nach gereicht, doch wusste Linnart natürlich auch, dass Durinja genau diese Konstellation wollte. Aufmerksamkeit und ein Publikum. Er hoffte, dass sie sich daran nicht ihre schlanken Finger verbrennt. Klar, der Bannstrahler würde auf sie acht geben und wenn der Mersinger die Waffe auf sie richtete um ihr Leben zu bedrohen, würde er ihm die Hand abschlagen. Ohne Forderung und sonstiges Pipapo … doch so schätzte er den jungen Ritter nicht ein. Der Traurigsteiner war selbst nicht glücklich darüber, dass es soweit kommen musste und sich seine Frau dafür hergab den Pöbel zu unterhalten, doch sei es drum. Nun konnte niemand mehr einen Rückzieher machen.

Der Trollpforzer hingegen nickte anerkennend auf seinem Pferd sitzend. Die Worte des Mersingers waren schlicht die Wahrheit. ‘Das Schauspiel’ war eben jenes, ein Schauspiel und als solches unwürdig für die Darlegung eines Streits unter Edelleuten. Nein, hier ging es um Eitelkeit und Selbstdarstellung.

Heute war Melisande nicht die Zofe ihrer Baronin, sondern nur eine neugierige junge Frau, der das Gespräch mit Durinja noch gut im Gedächtnis war. Deshalb hatte sie sich heute unauffällig gekleidet, in ein einfaches Hemd und Hose, kniehohe Stiefel und einen weiten, dunklen Umhang mit Kapuze. Außerdem trug sie ihre Haare darunter offen, und ihr Gesicht hatte sie mit Schminke aufgehellt und mit ein paar kunstvollen Pinselstrichen an den richtigen Stellen in das einer anderen Frau verwandelt - zumindest, solange niemand, der sie kannte, allzu genau hinsah. Aber die einsetzende Dunkelheit und die Kapuze waren in dieser Beziehung ihre Freunde. So stand sie nun inmitten der Menge, eine Zuschauerin unter vielen, die in der Gruppe unterging. Sie hatte ein wenig der Gauklerin zugesehen, aber die Begeisterung von vor zwei Tagen hatte sie mit ihren hier dargebotenen kleinen Kunststücken natürlich nicht wecken können, dennoch hatte sie ganz wie andere Schaulustige einen Heller in den ausgelegten Beutel geworfen und sich dabei ein Bild gemacht, wer alles gekommen war. Und nun war auch der Mersinger heran. Sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass seine Rede in der Sache zwar richtig, in der Art aber eine erneute Beleidigung Durinjas darstellte, ob das nun von ihm so beabsichtigt war oder nicht. Gespannt schob sie sich in der Menge ein wenig nach vorne, um besser sehen zu können.

Rajodan von Keyserring hörte zu. Er stand etwas abseits neben seiner Tochter Luzia und beobachtete das Schauspiel. Etwas anderes war es wohl kaum. Dieses Weibstück dort war gerissen und gewillt über Leichen zu gehen. Andere ins Unglück zu stürzen für ihr eigenes Glück. Wissentlich. Er lächelte. Aber hübsch war sie. Im Bett sicherlich eine Kratzbürste, die zahm schnurren konnte, wenn sie den richtigen Mann fand. Einen Mann, den sie suchte: Jemand, der sich nicht von ihre manipulieren liess. Mit kalten Feuer lag sein starrer Blick auf Durinja, während er seine Tochter befragte, ob sie Näheres zu dem Ausgangspunkt dieser unschönen Situation wusste. Doch Luzia schüttelte den Kopf. Ihre Sorge galt ihrer Schwester, die verstört hinter Lares stand und immer wieder zu ihr herüber schielte.

'Das arme Mädchen!' war Ringards erster, mitfühlender Gedanke, als sie die junge Pagin des Mersingers hinter diesem sitzend sah. Warum hatte der nicht wenigstens das Kind aus der Sache raushalten können? Wie sich diese fühlen musste, von der halben Stadt feindselig angestiert für Beleidigungen, die ihr Ritter Durinja an den Kopf geworfen hatte... haben musste, nach allem, was sie gehört hatte. Warum hatte sich dieser nur zu so etwas hinreißen lassen? War es falschverstandene Ritterlichkeit, sich für diese Andesine zu verwenden? Oder nicht doch eher die Eifersucht eines Mannes, dem das Glück auf der Brautschau nicht hold gewesen war und eine ebenfalls unglückliche Dame als Vorwand für irgendwelche Tiraden vorgeschoben hatte? Und jetzt versuchte er ebenso offensichtlich wie halbherzig, sich aus der Affäre zu ziehen. Die Rede des Mersingers vermochte Ringard jedenfalls ebenso wie dessen ganzer Auftritt nicht zu überzeugen oder gar auf dessen Seite zu ziehen.

Ungläubig schüttelte Durinja den Kopf und legte ihre Hand auf den linken Busen, als ob sie einen Schmerz fühlen konnte. Dann machte sie einen Schritt nach vorn, so dass man sie besser im Fackelschein sehen konnte. Die Edeldame reckte ihr Kinn, stolz, aber verletzlich wirkte sie. “Euer Wohlgeboren von Mersingen.”, fing sie an mit ruhiger, aber deutlich vernehmbaren Stimme. “Wieder einmal beweist ihr, das Worte nicht eure Stärke sind. Ich bin genauso überrascht wie ihr, Zeugen für unser Treffen zu sehen. Doch sagt es mir eines: Eure unflätigen Worte mir gegenüber haben anscheinend Wellen geschlagen. Ich widerum brauche kein Publikum, um von meinem Stand zu künden.” Dann faltete sie ihre Hände vor ihren Bauch. “Und ich hoffe eure Worte waren nicht an die Baronin von Schweinsfold gerichtet. Ich stamme nicht von hier, noch diene ich diesem Hofe. Ich komme aus Elenvina und kenne die hiesigen Gebräuche nicht.” Ein kurzer Seitenblick ging in Richtung der Höflinge der Baronin. “Ich möchte euch daran erinnern, das ihr mitnichten eure Entschuldigung in aller Form ausgesprochen habt. Schnell daher gesagte Worte im Flüsterton sind wohl keiner Edeldame würdig, zumal ihr kaum einen Augenblick später weiter Beleidigungen aussprachet und somit eurer Worte vorher Lüge straftet. Aber genau deshalb sind wir hier.” Nun öffnete sie ihre Hände in einer vergebungsvollen Geste. “Ihr fragt mich ob ich davon Abstand nehmen möchte, euch die Gelegenheit zu geben, das ihr euch ehrlich Entschuldigen könnt? Wie es scheint habt ihr meine Einladung missverstanden. Mir liegt es daran einen Weg des Friedens zu gehen.” Durinja drehte sich kurz zu Linnart und lächelte ihn an. Mit dem selben Lächeln schaute sie herauf, des Junkers Blick erhaschend. “Ich stehe hier, als zukünftige hohe Dame des Hauses vom Traurigen Stein. Ihr habt nun die Gelegenheit sich bei mir und dem Haus ´vom Traurigen Stein´ in aller Form zu entschuldigen. Da ihr aber auch bewiesen habt, dass Worte nicht eure Stärke sind und ich als Edeldame mir nicht zu fein bin euch entgegenzukommen, biete ich euch einen vernünftigen und fairen Wettstreit an. Taten sprechen ja oft mehr als Worte. Ohne Waffengang, nur ihr und ich. Ihr könnt euch Aussuchen, wie er aussehen sollte. Und von mir aus könnt ihr auch unsere Zuschauer wegschicken, allerdings habe ich nichts zu verbergen. Eure Wahl, euer Wohlgeboren.”

Innerlich musste Linnart über die Worte seiner Frau lächeln, doch drang davon nichts nach außen. Er lehnte nun wieder lässig an der Brüstung und verschränkte seine Arme vor der Brust. Durinja führte wahrlich eine Zunge, die spitzer war als die meisten Schwerter - sie verstand es zu spielen und zu manipulieren, was dazu führte, dass die Gaffer förmlich an ihren hübschen Lippen hingen, auch wenn der eine oder andere anwesende Adelige merklich den Kopf schüttelte. Die hübsche, junge Zofe mit dem Herzschmerz und der unflätige, von Neid und Missgunst getriebene Ritter aus dem Hause Mersingen. Linnart wusste, dass dieser Lares nichts anderes war als ein Prahlrik und Großmaul. Ein Mann, der seinen Namen vor sich her tragen musste, weil ihn das Fehlen großer Taten als das erscheinen lassen würde, was er wirklich war - ein Hofschranze, der sich Ritter nennen durfte, weil er 12 Götterläufe an der Seite eines anderen Adeligen abgesessen hatte. Es juckte den Linnartsteiner in seinen Fingern, doch konnte und durfte er sich als Diener des Gleißenden nicht für solch einen Wahnwitz hergeben. Noch dazu vor all dem Pöbel. Der Bannstrahler bemerkte natürlich auch, dass seine Verlobte in ihrer Rede und dem damit einhergehenden Verhalten vielleicht etwas zu dick auftrug. Ob sie auch hinter diesen übertriebenen Gerüchten steckte, die hier im Umlauf waren? Er wollte es gar nicht wissen. Dennoch schenkte er Durinja für die Dauer einiger Herzschläge ein ehrliches Lächeln, beschränkte sich dann aber wieder darauf zu beobachten.

Thankred schnaubte und schüttelte ungläubig den Kopf. War dies die ‘Lösung’ für die Streitigkeit- ein Wettkampf, also nichts anderes als ein kleines Spielchen und das vor dem Volk? Nein, das war keine Lösung, das war der sichere Weg sich lächerlich zu machen. Die versammelten Herrschaften hatten schlicht nicht das Rückgrat oder… die Eier, einen Streit vernünftig beizulegen. Neugierig blickte der Trollpforzer nun zum Mersinger. Er war gespannt, wie dieser auf dieses Angebot reagieren

‘Schlange’, dachte Melisande und schmunzelte innerlich. Jetzt war sie gespannt, wie der Mersinger wohl darauf reagieren würde. Immerhin ließ Durinja ihm immer noch die Wahl der ‘Waffen’, obwohl es sich ja bei diesem Wettstreit um kein Duell handeln sollte. Das war in den Augen der rickenhausener Zofe ein nicht zu unterschätzender Schwachpunkt in Durinjas Plan. Sie war jetzt sehr gespannt darauf, wie der Mersinger reagieren würde. Verstohlen sah sie sich um. Eigentlich müsste doch irgendwo in der Menge auch Durinjas Vater stehen, der würde doch seine Tochter in so einer Situation nicht allein lassen?

Ein wenig enttäuscht vernahm Doratrava die Worte der Hofdame. Sollten die beiden die Sache wirklich unter sich ausmachen wollen und das Publikum wegschicken? “Alana”, flüsterte sie ihrer Freundin zu, “wenn die beiden alle wegschicken - was wirst du denn dann tun?” “Na wenn ich nicht gebraucht werde, werden wir alle gehen müssen. Aber ich denke wir beide finden dann schon was, das wir machen können.”zwinkerte die Ritterin der Gauklerin zu. Doratrava lächelte zurück. “Hm, da müsste ich dann ja fast schon hoffen, dass sie uns wegschicken - oder es schnell zu Ende bringen.”

Ein faires Angebot Durinjas, fand Ringard. Wenn dieser Junker seine Entschuldigung ernst gemeint hatte, so könnte er sie problemlos wiederholen und sich darüber hinaus erklären - dann wäre die Sache aus der Welt. Und falls nicht, konnte sie sich selbst gegenüber eine gewisse Vorfreude nicht verleugnen, dabei Zeuge zu sein, wie ihre zukünftige Schwägerin dem Mersinger eine Lektion erteilte. Und zu sehen, ob diese tatsächlich so gut war, oder Amiel dieser gegenüber einfach zu gutmütig.

Rajodan hatte seine Tochter ums Handgelenk gegriffen und näher ans Geschehen gezogen. Den Blick weiterhin auf die Hofdame gerichtet. Als er neben seiner jüngsten Tochter angekommen war, ließ er Luzia los, legte seinen Kopf schief und fixierte die Altenbergerin weiterhin mit einem hochgezogenen Mundwinkel. Luzia beugte sich zu Lissa herunter und raunte ihr zu: “Was ist denn nur geschehen, man hört die unglaubwürdigsten Gerüchte.” Doch das Kind zuckte nur irritiert mit den Achseln. Der Vater der beiden Schwestern hingegen hob die Stimme: “Verzeiht, hohe Dame, im Interesse meines eigenen Hauses, das dem Hause Mersingen freundschaftlich verbunden ist, möchte ich euch bitten, den Wortlaut der Anschuldigungen zu wiederholen, mit dem euch der junge Ritter bezichtigt haben soll. Selbstverständlich verstehe ich, wenn ihr zuvor alle Zuschauer nach Hause schicken wolltet. Immerhin scheinen es ja sehr unangenehme Bezichtigungen gewesen zu sein. Ihr werdet meine Besorgnis verstehen, meine Tochter bei jemanden in Knappschaft gegeben zu haben, den ihr öffentlich beschuldigt, beleidigend und anmaßend zu sein. Und als wohlmeinender, fürsorglicher Vater, muss ich natürlich Sorge tragen, und im Falle einer gravierenden Verfehlung meine Tochter aus dieser Verbindung herauslösen.” die Stimme des Eisensteiners klang kalt und ließ keinen der Anwesenden zweifeln, wen er für anmassend hielt und sein wissender, musternder Blick ruhte auf Durinja. War sie wahrhaft so kalt, herzlos und egozentrisch, Lares von Mersingen so tief hineinzureiten? Und seine Tochter, die erbleichte, von ihrem Lebenstraum zu trennen, nur um dieses lächerliche Spektakel durch zu ziehen? “Erhellt mich bitte, welche Freveltaten der Herr von Mersingen begangen haben soll. Offensichtlich nichts so Frevelhaftes, dass euer Verlobter einzugreifen gedachte. Daher wäre ich doch sehr angetan über etwas Aufklärung.”

Dass nun ein Hochadliger Partei für den Mersinger ergreifen musste, sagte viel, fand Ringard. Andererseits war sie mehr als neugierig, die Beleidigungen, die der Junker Durinja und Linnart an den Kopf geworfen haben musste, überhaupt einmal im Detail zu vernehmen. Gespannt wanderte ihr Blick zu der Angesprochenen.

“Jetzt wird es spannend”, raunte da der Junker von Trollpforz seiner Verlobten zu. Der Auftritt des Eisensteiners brachte eine neue, interessante Wendung. Keine Zunge war zu Spitz und Flink wie die von Rajodan von Keyserring. Vor dessen ‘Kunst’ einem das Worte im Mund zu verdrehen musste man sich in acht nehmen. Und wenn diese Schnepfe glaubte sie könne etwas handfestes gegen den Mersinger vortragen, dann sollte sie es doch versuchen. Der Eisensteiner würde sicher etwas zu entgegnen haben, da war sich Thankred ziemlich sicher.

Bei den Worten des Barons umspielte Linnarts Züge ein Schmunzeln. Als der Eisensteiner ihn mit seinem letzten Satz in diese Sache mit hinein zog, erstarb dieses jedoch sogleich wieder. Nun wurde er tatsächlich dazu genötigt eine Wortmeldung abzugeben, denn ein Diener Praios', der sich zu vorliegenden Ungerechtigkeiten und Unrecht nicht äußert und es schweigend hinnimmt wäre ein fatales Bild für den Pöbel. "Ich darf Euch dahingehend beruhigen, dass im gegenständlichen Fall keinerlei Frevel gegen den Herrn Praios und seine elf göttlichen Geschwister vorliegt, Euer Hochgeboren." Seine Stimme war ruhig, schaffte es aber dennoch Autorität zu vermitteln. "Was Eure berechtigten Sorgen Eure Tochter betreffend angeht, schlage ich ein Gespräch in privatim vor. Wiewohl es der Gleißende verlangt offen und ehrlich zu unserer Schuld und unseren Vergehen zu stehen, scheinen mir hier zu viele Ohren anwesend, um jene … Dinge, die der Herr von Mersingen mich und meine Verlobte betreffend großmundig von sich gegeben hat wiederholen zu lassen. Man müsste schon ausnahmslos alle, bis auf Euch, die hohe Dame von Altenberg, den Herrn von Mersingen und mich des Platzes verweisen. Wir sind hier weder vor Gericht, noch in einem Tempel des Götterfürsten." Der Blick des Bannstrahlers lag fordernd am Baron. "Vielleicht gereicht Euch fürs erste mein Wort, dass meine Zukünftige jedes Recht dazu hat eine öffentliche Entschuldigung zu fordern." Zum hier stattfindenden Schauspiel gab er bewusst keinen Kommentar ab.

Als der Eisensteiner neben ihm auftauchte entglitten Lares kurz die Gesichtszüge. Dieses Spektakel war all seinen Ambitionen, aber insbesondere seiner armen Pagin total abträglich! Dass das der Eisensteiner mitbekam, war überhaupt nicht erfreulich. Als er dann auch noch davon sprach, ihm die kleine Lissa, die ihm so ans Herz gewachsen war, zu entziehen, wurde der eh schon bleiche Mersinger weiß wie eine Wand. Doch die Worte des Barons richteten sich - wie eine Klinge - ersichtlich gegen seine Kontrahenten, was mehr als erfreulich war. Die Dreistigkeit, die der Traurigsteiner an den Tag legte, sprach für sich. Dieses Spektakel hier zu organisieren - wer außer ihm wusste denn noch von dem Zusammentreffen? - und sich dann hinter den Massen zu verstecken? Eine Erwiderung war angebracht, doch Lares biss sich auf die Zunge. Momentan hatte er einen potenten Fürsprecher. Er würde warten, ob sich der Baron mit dieser offensichtlich jämmerlichen Antwort zufrieden gab.

Linnarts Blick ging vom Baron hin zum Mersinger, dem man sein Unwohlsein deutlich ansah. “Ich beteilige mich nur sehr ungern an derlei Eitelkeiten und tue es nur, wenn ich tatsächliches Unrecht vernehme. Dass der Herr von Mersingen in seiner ersten Rede bereits die hiesigen Gepflogenheiten in Frage stellte und damit seine Gastgeberin, die Baronin von Schweinsfold, sowie alle der hier Anwesenden latent beleidigte, spricht Bände. Ich werde es nicht sein, der dafür eine Richtigstellung oder Entschuldigung fordert … aber es zeigt ein recht genaues Bild von der losen Zunge, die der junge Herr zu führen pflegt.” Mit diesen Worten lehnte sich der unwillentlich in diese Farce mit einbezogene wieder gegen die Brüstung.

“Nun”, antworte der Eisensteiner, “ihr versteht sicher meine Verwirrung, wenn ihr einerseits versichert, dass sich eure Verlobte zu Recht angegriffen fühlt. Andererseits aber sagt, euch nur in derlei Eitelkeiten einzumischen, wenn ein Unrecht geschehen ist. Da ihr nicht für ihre Ehre den Mersinger gefordert habt, also scheinbar in euren Augen kein solches relevantes Unrecht vorliegt, scheinen sich beide Aussagen zu widersprechen. Was sie sicherlich nicht tun, das möchte ich nicht unterstellen, aber ihr mögt mich doch bitte erhellen, um meine Verwirrung aufzulösen. Und wenn ihr schon dabei seid, könnt ihr damit fortfahren, mir zu erläutern wie eine öffentliche Entschuldigung funktionieren mag, wenn ihr andererseits konstatiert, dass es ein Thema fürs Private sei, das ihr nicht öffentlich … darzulegen gedenkt.”

Etwas irritiert blickte der junge Ritter auf den Baron. Hielt er ihn für schief gewickelt? Dennoch straffte sich Linnart und setzte ein Lächeln auf. “Ventitum Duellum …”, meinte er knapp und blickte theatralisch an seinem weißen Wappenrock hinab, “... ich sehe keine rote Löwin auf meiner Brust … wir Bannstrahler vergießen Blut für den Schutz der praiosgefälligen Ordnung und nicht für unsere persönlichen Befindlichkeiten.” Sein Blick wurde ernst. “Ich kann Euch versichern, dass wenn ich dem Anliegen meiner Verlobten so wenig Wert beimessen würde, wie Ihr verstanden habt, dann stünde ich nicht hier. Auch denke ich, dass die hohe Dame von Altenberg eine starke und eigenständige Frau ist, die keinen Mann braucht, der ihre Kämpfe für sie ausficht. Seht es als einer jener Dinge, die mir an ihr am Meisten imponiert haben.” Linnart kratzte sich an seinem Kinn. “Ich hatte es dem hohen Herrn von Mersingen im Übrigen angeboten die Sache auf St. Aldec, im Angesicht des Götterfürsten, zu regeln. Es dürfe kein offizieller Ehrenhandel sein, Ihr wisst ja … Ventitum Duellum, aber es wäre eine Möglichkeit gewesen auch den dort anwesenden Knappen etwas zu lehren.” Sein Blick lag kurz am Mersinger, der sein Angebot damals ignorierte. “Ich hoffe auch Eure zweite Unklarheit beseitigen zu können. Bei einer öffentlichen Entschuldigung ist es nicht wichtig was die, der Entschuldigung zu Grunde liegende Anschuldigung war. Der Akt der Entschuldigung entkräftet die Anschuldigung, meint Ihr nicht? Wenn ich Euch einer Unehrenhaftigkeit bezichtige und dann um Vergebung für meine falsch gewählten Worte bitte, erleidet Ihr keinen Gesichtsverlust.” Eher im Gegenteil, doch ließ er das unausgesprochen. “Deshalb ja, wenn der Herr von Mersingen sich öffentlich und ehrlich für seine Beleidigungen entschuldigt, sehe ich kein Problem diese zu wiederholen. Auch vor den hier Anwesenden.”

“Nun, in Ansätzen verstehe ich eure Argumente. Wenngleich nicht vollständig. Ein Duell kann auch durch einen Ersatzkämpfer ausgetragen werden und eure Verlobte hat wohl genug Verwandte in der Nähe, dass sich jemand gefunden hätte, der diese Forderung hätte ausführen können. Aber wie ihr sagt, scheinbar beschreitet sie lieber neue Wege, anstatt althergebrachten und Bewährtem zu folgen. Etwas, das meiner Erfahrung nach eher Rahja- als Praioskirche schätzt, aber Dere wandelt sich eben, nicht wahr? Da kann man es dem jungen Mersinger nicht übelnehmen euer Angebot ausgeschlagen zu haben, da es in Ehrenfragen nicht üblich ist, dem Beschuldigten ein solches zu unterbreiten. Dem Beschuldigten, dem Ehrverletzer wird es auferlegt. Es wird verlangt. Also mögt ihr ihm dies nicht zum Vorwurf machen, ist er einfach wohl weniger progressiv als ihr es seid. Eure zweite Erklärung hingegen bin ich gänzlich anderer Meinung, aber das mag ebenfalls an meiner Haltung zu althergebrachten Werten und Wegen liegen. Eine Beleidigung, die öffentlich erfolgt ist, soll öffentlich entschuldigt werden oder durch ein Duell gesühnt. Eine Beleidung aber, die im Privatem erfolgt ist, sollte doch im Privaten entschuldigt werden. In einem solchen Fall, geht es doch eher um persönliche Ansichten als um einen Angriff auf die Ehre. Um welchen Fall handelt es sich denn nun? Wer war anwesend als die scheinbar so geheime Beleidigung ausgesprochen wurde?” Sein Kopf drehte sich Lares zu und der kalte Blick der dunklen Augen ruhte nun auf dem Mersinger. Lares hatte sich zurückgehalten - was aus seiner Sicht zu seinem Vorteil war. Nun nickte er.

“Die Unterredung fand unter acht Augen statt. Die hohe Dame von Altenberg, der hohe Herr vom traurigen Stein, Eure jüngste Tochter und ich waren zugegen, euer Hochgeboren. Zwar fand die Unterredung während der Feier des gestrigen Tages statt, doch handelte es sich um eine Angelegenheit, die nur mich und den hohen Herrn vom Traurigen Stein sowie seine Verlobte belangte, sodass ich es selbstredend dabei bewenden ließ, keine weitere Person in diese Unterredung miteinzubeziehen. Nicht im Traume würde es mir einfallen, eine Angelegenheit zwischen zwei adeligen Herren - und nur zwischen diesen - zum Gespött der Leute zu machen.”

"Die Unterredung fand nicht in einem Separee unter acht Augen statt, sondern an einer besetzten Festtafel auf einem Fest der Familie meiner zukünftigen Frau. Eure Zusicherung niemand anderes hätte es hören können, ist schlichtweg falsch. Das dürfte einem jeden hier klar sein, der schon einmal einem Bankett beigewohnt hat." Der Blick des Ritters war unbeeindruckt. "Ins Gespräch mit einbezogen habt Ihr sonst niemanden, das spreche ich Euch nicht ab."

“Lasst es mich klarer formulieren: Wer außer euch, eurer Frau, herzlichen Glückwunsch im übrigen zum Traviabund, die Abfolge von Verlobung und Ehelichung scheint heutzutage ebenfalls schneller zu gehen als es mir meine Werte vorgeben, und meiner Tochter haben die Beleidigung vernommen?”

Linnart musste unwillkürlich lächeln. “Nun der Mersinger hat die Worte an einem vollbesetzten Tisch ausgesprochen und ist auch sonst damit hausieren gegangen, wie mir im Nachhinein von mehreren Stellen zugetragen wurde. Mit mir hat er dann im Übrigen erst zum Schluss das Gespräch gesucht, nachdem er sein Gift schon versprüht hatte.” Auf die Spitze des Barons mit der Hochzeit ging der Traurigsteiner nicht ein.

“Gegen diese Unterstellung protestiere ich vehement”, fuhr ihm Lares dazwischen. “Dies entspricht schlicht und ergreifend nicht der Wahrheit. Momentan bin ich es, der unausgesprochene Anschuldigungen über sich ergehen lassen muss - von denen Ihr Euch nicht traut, diese offen auszusprechen. Dass die Angelegenheit, über die wir sprechen, Wellen geschlagen hat, das ist zutreffend. Doch denkt wohl darüber nach, wer diese Wellen geschlagen hat. Meint Ihr etwa, Tränen fließen ohne Zuschauer? Meint Ihr etwa, jeder und jede steht schweigend daneben und niemand frägt? Sollte ich lügen, wollt Ihr das von mir verlangen? Ich habe versprochen, über die Angelegenheit zu schweigen und ich halte meine Versprechen. Dreht mir hieraus keinen Strick, das ist unlauter." Der Ritter blickte sich um und wandte sich dann in ruhigem Ton Lares zu. "Ihr seht welches Aufsehen erregt wurde und was für ein Tratsch kursiert. Ich gebe nicht viel auf derlei Gewäsch, aber es hat die Runde gemacht. Das könnt Ihr nicht von der Hand weisen. Aber das haben wir schon an der Tafel besprochen." “Und genau dort hin gehörte diese Angelegenheit. Nicht hierher. Wir hatten diesbezüglich eine vernünftige Übereinkunft.” "Ich behandle Eure Fehltritte hier und heute sehr diskret, hoher Herr. Dasselbe Maß an Diskretion ließet Ihr allem Anschein nach vermissen."

“Nun, seiner Aussage nach, hat er niemandem Zeit und Ort der heutigen Verabredung genannt. Insofern ihr und eure Frau dies auch nicht taten, wird dieser Umstand wohl ein Mysterium bleiben. Insofern jeder die Wahrheit spricht.” Ein süffisantes Grinsen zeigte sich auf den Zügen des Ritters: “Ich plädiere an dieser Stelle dazu, die Ehrverletzung hier nun öffentlich zu benennen. Denn ansonsten machen sich nur Gerüchte breit, die Gift sind für Praiosgefälligkeit, Ordnung und Wahrheit. Nichts kann dieses Gift besser bekämpfen als ehrliche Worte, wahre Worte. Da werdet ihr mir doch wohl als Diener des Götterfürsten nicht wiedersprechen?”

“Fürwahr wohl gesprochen, doch dennoch kann ich Euch nicht folgen. Ihr meint es würde der Praiosgefälligkeit dienen Unwahrheiten über Adelige des Reiches, einer darüber hinaus Venerati Lumini in der Gemeinschaft des Lichts, zu verbreiten?” Linnart schob seine Augenbrauen zusammen. “Die Anschuldigung gegen den Herrn von Mersingen ist hinreichend bekannt und wurde auch von meiner … Verlobten … ausreichend artikuliert. Den genauen Wortlaut braucht es da nicht, meint Ihr nicht?”

“Nein, das meine ich sehr wohl. Es geht im Übrigen nicht darum die Anschuldigung zu wiederholen, sondern seinen Wortlaut wiederzugeben. Der Unterschied zwischen dem Wiedergeben von Fakten und dem Wiedergeben von Beschuldigungen sollte euch geläufig sein. Ihr vertraut den Menschen nicht, dass sie dazu in der Lage sind zu differenzieren? Dann bedenkt, welche Auswirkungen es haben kann, bei diesen Schwachgeistigen, wenn die Entschuldigung wie eine hohle Phrase in der Luft hängt. Sie würden die Gefahr bergen, dass man an den Worten eurer Frau zweifelt, wenn sie sich weigert, den Wortlaut zu wiederholen. Es könnte so aufgefasst werden, als weigere sie sich, da sie womöglich etwas zu verbergen hat oder die Worte des jungen Mersingers doch nicht so haltlos waren. Und nicht nur ihren Worten auch den euren würde man denselben Zweifel zuteil werden lassen. Und das darf nicht passieren. Der Stand, den ihr vertretet, darf nicht beschmutzt werden. So sehr ich es bewundere, wie sehr ihr für eure Frau einsteht. Doch sagtet ihr ja bereits: In erster Linie seid ihr ein Diener des Götterfürsten und in zweiter Linie erst ein Mensch, mit den Bedürfnissen, die wir anderen haben.”

“Zweifel an den Worten meiner Zukünftigen habt soeben Ihr gestreut, Hochgeboren. Indem Ihr diesen Gedanken in die Köpfe der Anwesenden gesetzt habt.” Er musterte Rajodan eindringlich. Etwas in Linnart sagte ihm, dass dies berechnend geschah. “Das heißt wenn ich über Euch ein böses Gerücht vernehme, muss ich dieses in die Welt tragen um der Praiosgefälligkeit genüge zu tun?” Er schüttelte sein Haupt. “Ihr habt Recht, es darf keinen Zweifel an der Wahrhaftigkeit unseres Standes geben. Da sind wir vollends d´accord. Und hätte ich Zweifel an den Beweggründen meiner Frau würde ich hier nicht stehen.” “Ihr unterscheidet nicht zwischen Klatsch und Aufklärung?” kam es zynisch zurück: “Glaubt mir, es gibt genügend böse Gerüchte über mich. Aber das ist etwas, was man hinnehmen muss, wenn man eine gewisse Größe hat.”

“Ich gebe nichts auf derlei Gewäsch, solange es meine Integrität nicht in Frage stellt. Zweifelt man an mir, zweifelt man am Ornat … am Orden … an der Kirche des Götterfürsten. Bezichtigt mich ein Mann öffentlich des Wortbruchs und der Lüge, dann kann ich das nicht unbeantwortet lassen. Nicht um meinet Willen, denn eine jede dieser unlauteren Behauptungen lässt das Bild der Gemeinschaft des Lichts eines oder mehrer Gläubigen vielleicht ins Wanken geraten und das wäre ein viel größerer Schaden. Das versteht Ihr doch hoffentlich?” Er wartete keine Antwort ab. “Genauso verhält es sich auch mit meiner Verlobten. Jemand, der ihr unlautere und unrichtige Dinge unterstellt untergräbt ihre Integrität, ihr Ansehen und ihre Ehre. Diese unflätigen Behauptungen wieder und wieder zu wiederholen führt zu nichts anderem als, dass sie sich in mehr und mehr Köpfen manifestieren. Ihr wisst genau, dass es leichter gesagt als getan ist, die Menschen im Nachhinein vom kompletten Gegenteil zu überzeugen. Deshalb kann ich dem Wiederholen der schändlichen Worte des hohen Herrn hier und heute nicht zustimmen.”

“Es ist bedauerlich, dass ein Mann der Kirche, es für gefährlich hält, die Menschen zu erhellen.” Missbilligung war aus den Worten des Barons zu hören. “So sehe ich nur eine Möglichkeit, besprecht in privatim mit dem jungen Ritter, was ihr von ihm verlangt. Er wird entscheiden, ob er darauf eingehen möchte. Und ihr darüber, welche Konsequenzen es nach sich zieht, wenn er es nicht tut”

War das ein leichter Anflug von Naivität, oder wollte der Baron ihn provozieren. “Nicht jeder Geist ist für jedes Wort empfänglich, Euer Hochgeboren. Das ist gefährliches Denken, das, Praios sei es gedankt, wohl außerhalb der Nanduskirche nicht viele teilen. Dass Ihr es verstehen würdet und die richtigen Schlüsse ziehen werdet, glaube ich Euch und würde ich nie in Zweifel ziehen. Es hat jedoch seine Gründe warum die Kirche manches Gedankengut vom einfachen Volk fern hält.” Er seufzte und maß Durinja mit einem Seitenblick. “Was unsere Zusammenkunft und die zugrundeliegende … Meinungsverschiedenheit … angeht, wurde eine Einladung ausgesprochen, die der Herr von Mersingen allem Anschein nach angenommen hat.” Sein Blick lag immer noch auf seiner Verlobten. Es war ihre Forderung und ihre Entscheidung wie sie weiter verfahren würde. Sie war dazu in der Lage das selbst zu entscheiden.

“Wenn jeder seinen Platz kennt und die praiosgefällige Ordnung aufrecht erhalten ist, bedarf es nur einem, der die richtigen Schlüsse zieht. Und ich würde nicht so weit gehen die Baronin dieser Lande derart zu beleidigen für diese Länder hier etwas anderes anzunehmen.” entgegnete der Eisensteiner lässig: “Daher scheren mich auch Gerüchte um meine Person nicht. Außerdem sei angemerkt, dass diese Umgebung nicht als privat angesehen werden kann. Aber womöglich ist das auch nur eine konservative Sichtweise. Und ihr seid ja eher progressiv, wie ihr ja eindrücklich dargelegt habt. Und damit kenne ich mich nicht aus.” so endete der Baron, trat einen Schritt zurück, so dass er zwischen seinen Töchtern stand und vergrub seinen kaltflammigen Blick erneut in Durinja. Diesmal allerdings auffordernd.

“Nichts läge mir ferner als die hiesige Baronin zu beleidigen, doch geht Ihr, trotz Eurer konservativen Sichtweise, wohl etwas zu sorglos an diese Sache heran. Proaktiv zuzulassen, oder gar herbeizuführen, dass unflätige und jeglicher Grundlage entbehrende Äußerungen über die Angehörige eines alten, hier in der Stadt vertretenen Adelshauses und einen Diener des Götterfürsten öffentlich multipel wiederholt werden, kann und wird nicht zur Förderung und Erhaltung des Ansehens und Vertrauens der Menschen in Adel und Klerus beitragen. Ihr wisst wie schnell sich Gerüchte verbreiten und auch mutieren können. Ich lade Euch gerne noch einmal ein diese Unterhaltung in kleinem Kreis fortzusetzen. Ich verstehe Eure Sorge betreffend Eurer Tochter und bin gerne bereit Euch zu dieser Causa Rede und Antwort zu stehen.” Der Ritter hob seine Schultern und empfand, dass von seiner Seite aus genug Zeit mit Geplänkel vergeudet wurde. Das Wort sollten die Kombattanten haben.

Durinja hörte aufmerksam zu. Die Einmischung des Barons von Eisenstein kam überraschend und ungeplant. ´Herr Phex, ich verstehe. Kein einfaches Spiel gönnst du mir.´ richtete sie die stummen Worte zu ihren Gott. Viel hatten die beiden Männer zu sagen und höflich wartete sie ab, bis die Möglichkeit da war, zu sprechen. Den kaltflammigen Blick des Barons beantwortete sie mit einem verletzten und traurigen Blick. “Danke eurer vielen Worte, euer Hochgeboren. Ich verstehe, dass es einige Unklarheiten für die Außenstehenden gibt, wobei ich natürlich den Wunsch meines zukünftigen Gemahls berücksichtigen werde und die genau Wortwahl des Junkers nicht wiederholen werde. Ich möchte aber auch betonen, dass ich nichts zu verheimlichen habe. Der hohe Herr von Mersingen hat in meine Anwesenheit meinem Verlobten niedere Beweggründe unterstellt, die Verlobung mit mir eingegangen zu sein. Ebenfalls hat er mir gegenüber wissen lassen, das ich bei der Wahl meines Verlobten wohl ´ein gutes Blatt´ gespielt hatte. Diese Brautschau war kein Spiel, noch waren niedere Beweggründe involviert. Ein Zeichen der Götter, ja des Herrn Praios, fügte unsere Verbindung. Nicht nur meinen Verlobten, sondern auch mir versuchte er etwas zu unterstellen. Nun, ich denke, das hat eine ordentliche und öffentliche Entschuldigung dem Haus ´vom Traurigen Stein´ und meiner Person verdient. Seine Beleidigungen wurden auch öffentlich, bei der Feier meiner Familie und unter hohen Gästen, ausgesprochen. Wie diese aber aussehen soll, liegt in der Hand seiner Wohlgeboren. Und falls er seine genaue Wortwahl wiederholen möchte, ebenfalls.” Nun richtete Durinja ihren Blick auf Lares.

Irritiert schaute der Junker von Trollpforz zu seiner Verlobten hinüber, dann schüttelte er sichtlich belustigt den Kopf. “Glaubt sie wirklich, dass das was sie vorbringt diese ganzen Wind rechtfertigt? Oder verharmlost sie alles mit ihrer blumigen Sprache, so dass es dem Sinn der möglichen Beleidigung nicht gerecht wird?”, sprach er ungläubig und hielt sich dabei auch nicht sonderlich zurück, so dass auch einige Umstehende ihn hören konnten- die Streithähne indes nicht, die waren mit sich selbst ausreichend beschäftigt.

Aufmerksam hatte Melisande den Schlagabtausch verfolgt und sich dabei noch ein wenig näher an das Geschehen herangearbeitet. Das war ja schon ein veritables Duell gewesen, mit Worten zwar, aber deren Schärfe war nicht zu unterschätzen - auch nicht deren Auswirkung auf unbedacht davon getroffene Zuhörer, wie es hier so einige gab. Nun, dieses Duell war leider beendet, der Baron von Eisenstein hatte sich leider mit einem Unentschieden zufrieden gegeben und zurückgezogen. Und der Herr vom Traurigen Stein nutzte doch sehr offensiv seine Stellung als Bannstrahler als Deckung - um nicht zu sagen, er verstecke sich gar dahinter. Leider hatte das Streitgespräch nicht zur Erhellung der Sachlage beigetragen, auch Durinjas Einlassung danach fasste eher die umlaufenden Gerüchte zusammen, als dass sie die Fakten, also die tatsächliche Beleidigung, darlegte. Viele der Zuschauer, die nicht auf der Brautschau zugegen gewesen waren und daher auch nicht das wenige aufgeschnappt hatten, das ihr selbst dort zu Ohren gekommen war, würden sich nun weiter auf bloße Gerüchte bei der Einschätzung der beiden Kombattanten verlassen müssen. Nun, sei es drum, das war nicht ihr Problem. Aber der Besuch hier hatte sich schon gelohnt, hier konnte man etwas lernen - so oder so.

Was redeten die da so viel? Doratrava wurde aus dem hochtrabenden Geschwafel nicht recht schlau. Gut, der Baron verteidigte den Mersinger, vielleicht weil die Tochter des Barons seine Knappin war. Und der Traurigsteiner verteidigte seine Verlobte, was ja kaum anders zu erwarten war. Nur wieso man da so viele Worte dafür brauchte, konnte die Gauklerin nicht nachvollziehen. Es war ganz erstaunlich, wie viele Worte in Garethi man hintereinanderreihen konnte, so dass zwar ein korrekter Satz entstand, der aber keinerlei Sinn transportierte - zumindest keinen, dem sie folgen konnte. Nun ja, die Welt des Adels war eben noch immer fremd für sie. Ob die Adligen wohl manchmal vor einem teuren Glasspiegel standen und solche Reden einübten? Sie musste ein wenig kichern bei dem Gedanken. “Alana”, wandte sie sich an die Kriegerin, “was reden die da? Und was meint wohl Durinja mit ‘niederen Beweggründen’? Und der Mersinger guckt, als hätte er was Unrechtes gegessen und sagt gar nichts dazu!” Es juckte sie ja in den Fingern, den beiden einen ganz besonderen Wettstreit vorzuschlagen. Dolruchas, der Messerwerfer der Gauklertruppe, die sie als Kind aufgenommen und von dem sie selbst dieses Handwerk erlernt hatte, hatte es immer ‘das Urteil des letzten Gerichts’ genannt, vielleicht weil dem einen oder der anderen, welche sich diesem unterzogen hatte, anschließend die letzte Mahlzeit nochmals durch den Kopf gegangen war. Auf jeden Fall ging es darum, dass dann, wenn zwei Streithähne sich gar nicht einig wurden, Dolruchas ihnen nahelegte, sich nacheinander vor die Scheibe zu stellen, die er bei seinen Vorführungen benutzte. Dann ließ er sich die Augen verbinden und warf einen seiner Dolche auf die Scheibe. Wer stehenblieb, bis der Dolch steckte, hatte den Streit gewonnen. Blieben beide stehen, was selten vorkam, dann riet er ihnen, einen Trinken zu gehen und sich wieder zu vertragen. Doratrava lächelte versonnen, aber natürlich traute sie sich nicht, diesen Vorschlag wirklich zu machen. Tatsächlich verschwand Alanas Lächeln und nun fasste sie ihr Schwert enger. Die Einmischung des Barons kam unerwartet. Sollte es doch zu einem Duell kommen? “Hmmm, ich habe keine Ahnung. Aber er muss wohl ordentlich unter die Gürtellinie gegriffen haben der Junker. Jetzt heißt es abzuwarten.” sagte sie vorsichtig. Doratrava seufzte. Das alles hörte sich nicht nach einem schnellen Ende an. Und der Unterhaltungswert hielt sich bis jetzt auch sehr in Grenzen, zumindest für sie. Sorgenvoll registrierte sie Alanas Reaktion und wurde auch wieder ernster. “Ja”, war ihre knappe Antwort.

Endlich - so empfand es Ringard - hatte sich mit Durinja wenigstens eine der beiden Personen wieder zu Wort gemeldet - oder eher: war am Ende oder in einer Pause des Wortgefechts Linnarts mit dem Baron von Eisenstein doch noch zu Wort gekommen - um die es heute eigentlich ging. Dass Linnart sich für seine Verlobte in die Bresche warf, war aus Sicht der jungen Tannenfelserin angesichts der Angriffe des Eisensteiners nur zu verständlich, zumal sich diese ja auch mehr oder weniger direkt auch gegen ihn richteten. Im Gegenteil: Ein anderes Verhalten des Traurigsteiners hätte sie sogar schwer enttäuscht. Enttäuschend war aber auf jeden Fall der Auftritt des Mersingers, der das Feld weitgehend seinem hochadligen Fürsprecher überließ, anstatt selbst für sich einzutreten. Wahrscheinlich wäre der Junker nicht imstande, rhetorisch eine auch nur annähernd so gute Figur abzugeben wie der Vater seiner Pagin, und verließ sich daher voll auf dessen unleugbaren Künste im Argumentieren und Worte-im-Munde-verdrehen - selbst ihre eigene Mutter hatte am Morgen nach der Brautschau Andeutungen über jene verloren. Noch immer hoffte der sensationslüsterne Teil in ihr ein bisschen, dass der Mersinger aussprechen würde, war er am Abend der Brautschau genau abgelassen hatte, aber wahrscheinlich war es wirklich besser, wenn dies nicht coram publico geschah. In jedem Fall fieberte Ringard bei den Wortgefechten davor ebenso mit wie dem Wettkampf, wegen dem sie eigentlich hier waren, entgegen, was vor allem Amiels bereits mal mehr, mal weniger fest massierte Hand zu spüren bekam. "Jetzt soll auch der Mersinger endlich mal selbst reden!" entfuhr es ihr in dieser Anspannung auf Durinjas Rede hin, ein wenig zu laut, als dass es nur sie oder Amiel hätten hören können.

Was für Umstandskrämer! Nun hatten sich schon alle versammelt und kamen endlich mal wieder in den Genuss eines, wenn auch improvisierten, Schauspiels, da begann man schon am Anfang, wie auf einem Hühnerhof, die Worte zu zerpicken, jämmerlich zu gackern oder lauthals zu krähen. Hoffentlich war man sich nun endlich klar, dass man anfangen konnte. Mist, sie wollten ja mit denen vom Traurigen Stein gemeinsam nach Elenvina, früher konnte man also auch nicht weg. Aber nun schien das Vorspiel vorbei. Froh lehnte Sina sich gegen Aureus und wartete weiter ab, ob man das Körnchen, das zu verteidigen wert war, gefunden hatte und sich weiter stritt. Eine zu pöbelige Vorstellungen, doch hoffte sie für Durinja, dass Linnart seine Zunge bei sonstigen Vorspielen besser einsetzen würde. Sie wirkte noch arg verkrampft.

Der Baron von Eisenstein war unzufrieden mit dem Ausgang des Gespräch. Mehr als das. Er war weder blind noch taub gewesen, aber ihn interessierten diese Ränkespiele des Niederadels mitnichten. Durinja war in seinen Augen jemand, der genau wusste, was sie wollte und alles tat um es zu bekommen, unabhängig, wem sie damit schadete. Linnart ein verblendeter Diener des Götterfürsten, der seine Worte so anpasste, dass ihm selbst nicht einmal auffiel, dass er auf dem Altar Travias oder Rahjas die Werte des Praios opferte, weil er die Befindlichkeiten seiner berechnenden Verlobten persönlich höher schätzte als die Werte des Götterfürsten. Immerhin hatte er es geschafft, dies vor sich selber zu verbergen. Und dann war da der Mersinger, unbeherrscht, jung, der Wahrheit verhafteter als der Diplomatie. Mit einem guten Herzen. Weshalb er sich auch so freudig seinem kleinen Dämonenbraten angenommen hatte. Mit heraufgezogenem Mundwinkel sah er auf Basilissa hinab. Es gab vier Menschen, die in jedem Fall genau gehört hatten, was los war. Der Traurigsteiner, der sich weigerte zu sprechen, weil er glaubte, es sei Praios dienlicher zu schweigen. Die Altenbergerin, die dieses Schauspiel und die Inszenierung viel zu sehr genoss, der Mersinger, der ein viel zu gutes Herz hatte, willentlich andere zu verletzten (Das passierte bei ihm wohl immer mehr als Kollateralschaden), und seine Tochter. Kalt lag sein Blick immer noch auf dem Kind, das sichtlich nervös versuchte, diesem auszuweichen. “Komm mal mit hier herüber, Basilissa.” befahl er und ging mehrere Schritt zur Seite, genau in Richtung des wartenden Pöbels. Das Kind sah angstvoll zu Lares hinüber und zu seiner Schwester, die missbilligend die Stirn runzelte, aber der Jüngeren zum Vater folgte. Dieser hatte nicht vor etwas heimlich zu tun, sondern sprach abseits der Streitenden zwar, dennoch aber laut genug, um Ohren zu erreichen, die dafür empfänglich waren: “Was lehrte ich dich über die Wahrheit?” fragte er die Kleine streng. Mit hochrotem Kopf sah Lissa abwechselnd zu Lares hinüber, zu ihrer Schwester und auf den Boden. “Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche.” ertonte darauf streng ihres Vaters Stimme und das Kind sah zu ihm auf. “Die Wa...Wahrheit ist das höchste Gu..ut, das wir haben. Sie….steht in ih..rer Ab...Absolut...utheit über allem.” Rajodan grinste. “Sehr schön. Und was lehrte ich dich über deine Verpflichtungen gegenüber der Herrin Travia?” Wieder glitt ihr Blick zu Boden als würde sie das Ende bereits erahnen: “Die Herrin verlangt, die Familie zu ehren. Den Gatten. Dyn...dynastische Treue für das Ehebe..bett. Die Eltern zu ehren und.. Und ihnen zu gehorchen.” Rajodans Wundwinkel zogen zufrieden nach oben: “Ich möchte nun, dass du mir erzählst, was du dort gehört hast, in dieser Situation, um die es geht.” Das Kind, das nervös von einem auf das andere Bein gestiegen war, verharrte angespannt. Hin und her gerissen. Ohnehin unsicher aufgrund der gesamten Situation. Und schwieg, panisch zu Lares hinüberschauend. Was würde er denken? Würde er sie fortschicken, wenn wegen ihr die Sache anders liefe, als er es wollte. “Hat dein Schwertvater dir vermittelt, dass es falsch ist die Wahrheit zu sagen?” “Nein!” entfuhr es dem Kind, “Hat er dir vermittelt, dass es falsch sei, seinem Vater zu gehorchen?” Mit Blick auf den Boden schüttelte Lissa das Haupt. “Warum sprichst du dann nicht?” Der Baron wusste, dass seiner Tochter am Ende nichts übrig bleiben würde. “Vater, ist das denn.. Nötig?” versuchte Luzia vorsichtig Partei zu ergreifen. “Und du bist der Meinung die Wahrheit könne ein Fehler sein?” Luzias Blick senkte sich und sie schüttelte den Kopf. “Nun denn, Kind, sprich.” "Jetzt redet schon wieder nur der Baron von Eisenstein auf Linnart ein. Und dann will er auch noch seine kleine Tochter ins die Schlacht werfen! Unsäglich, findest Du nicht auch?" befand Ringard leise in Richtung Amiels.

“Euer Hochgeboren, haltet ein!”, presste Lares zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor. “Eure Tochter hat keinen Anteil an diesem Schauprozess.” Wenigstens zeigte der Mersinger in dieser Sache Anstand! Wenn er jetzt noch das ganze Vorgeplänkel beenden und endlich für sich selbst sprechen würde, könnte er ein wenig Achtung Ringards zurückgewinnen.

Der Blick des jungen Bannstrahlers lag auf dem unwürdigen Schauspiel des Eisensteiners, dem es nun allem Anschein nach nicht zu blöd war, seine Tochter dem anwesenden Pöbel vorzuführen ... wie einen kleinen, tanzenden Rahjatänzer im Tempel zu Belhanka. Wenn ein Baron der Nordmarken sich selbst und seine Tochter vor dem gemeinen Volk derartig herabwürdigen wollte, konnte er das nicht unkommentiert lassen. Hier ging es schließlich nicht nur um seine Integrität, sondern auch um die des involvierten, von Praios erhobenen, Adels. "Ihr unterstellt also den hier Anwesenden Unehrlichkeit und führt jetzt Eure achtjährige Tochter der Menge vor? Was erwartet Ihr Euch davon? Außer, dass Ihr Euch und Eure Familie mit solcherlei Darbietungen zum Stadtgespräch macht und dieser ganzen Sache, die nie in einer solchen Runde diskutiert werden sollte, noch größere Aufmerksamkeit zukommen lässt? Der Herr Praios hat einem jeden Menschen auf dem Dererund seinen Platz zugewiesen. Seine Ordnung ist der Stützpfeiler unseres Lebens. Wenn Ihr meint, dass das Verbreiten von falschen Anschuldigungen gegen meine Person, oder die meiner Verlobten irgendetwas mit unserer vom Herrn gegebenen Pflicht zu tun hätte, dann ist dies aufs Schärfste zu verneinen." Linnarts Blick war streng, er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Lares. "Der Herr von Mersingen soll seine Worte wiederholen. Beendet diese Farce und die Nötigung Eurer kleinen Tochter. Das ist vor diesem Publikum eines Angehörigen des Hochadels unwürdig." Dass der Traurigsteiner in seinen Augen so ziemlich alles an Achtung verloren hatte, die er für den Baron hatte, wurde vielen der Umstehenden klar.

“Ich unterstelle keine Unehrlichkeit. Das habe ich mit keinem Wort getan, nicht wahr? Eure Aussage könnte allerdings dahingehend aufgefasst werden, dass ihr dazu neigt Beleidigungen in etwas hineinzulesen. Darüber hinaus gebe ich zu Bedenken, dass es eure Verlobte war, die diesen Ort und diese Zeit wählte. Nun den Ort als Entschuldigung zu nehmen, der Aufklärung entgegen zu stehen, wirkt etwas irritierend. Und da für euch die Anwesenheit des Publikums eine solche Relevanz hat, bedenkt, wie so etwas von diesem interpretiert werden könnte. Aber ansonsten stimme ich euch zu: So lasst nun endlich den Mersinger den Wortlaut wiederholen. Auch ich bin der Meinung, dass das würdiger ist als einem Kind aufzubürden als einziges eine Aufklärung mit Hilfe von Fakten herbeizuführen.” "Mit Eurer Annahme, es gebe hier etwas aufzuklären, unterstellt Ihr mir sehr wohl Unehrlichkeit. Ich habe Euch zuvor versichert, dass der Grund für eine Entschuldigung vorliegt." Linnart ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. "Auch ich bin mit dem Umfeld, indem diese Diskussion geführt wird alles andere als glücklich. Doch hatten die Äußerungen des Herrn von Mersingen wohl so hohe Wellen geschlagen, dass sich ein derartiger Auflauf nicht vermeiden ließ. Auch der Ort hier vor der Stadt ist nicht unbedingt diskret zu nennen. Die Menschen haben Augen im Kopf." Der Blick des Ritters löste sich vom Baron und lag nun auf Lares. "Es wäre das Recht des hohen Herrn gewesen, diese … Forderung … auszuschlagen. Dennoch stehen wir hier und bringen nun schon ein halbes Stundenglas damit zu unsere Namen und unser Ansehen mit Füßen zu treten. Das ist eine Sache zwischen meiner Verlobten und dem Herrn von Mersingen. Ich sehe in dieser Zusammenkunft weder einen Rechtsbruch noch verstößt die Forderung einer Entschuldigung gegen die guten Sitten. Auch ein Wettkampf unter Gleichen … mag zwar außergewöhnlich sein, doch ist es alles andere als verwerflich. Ich habe es Euch schon dreimal angeboten, Euch diese Sache in kleinem Rahmen darzulegen, auf dass Ihr Eure Schlüsse daraus ziehen mögt. Nun soll der Mersinger seine unflätigen Behauptungen gegen zwei unbescholtene Adelige des Herzogtums wiederholen, so er das möchte."

“Nun die Annahme, es gäbe etwas aufzuklären entstand beim Verfolgen des Gesprächs und der Einwürfe des jungen Mersingers. Ich denke daher nicht, dass man von einer Unterstellung sprechen kann. Wieder allerdings wirft euer Einwand die Frage auf, ob ihr eine Neigung habt, in Dinge etwas hineinzuinterpretieren, was vom Sprecher gar nicht gesagt wurde und womöglich nicht gemeint war. Und ich habe mich nicht verweigert euch an einen privaten Ort zu begleiten. Ihr legtet dar, die Beleidigung sei offen verkündet worden und solle offen entschuldigt werden. Dies war wie sich nun herausstellt wohl aber vielmehr die Meinung eurer Gattin, der ihr aber offenkundig nicht zu widersprechen gedachtet, als sie den Ort wählte. Da sie nun diese Wahl traf, muss sie die Konsequenzen tragen und da ihr ihr dabei nicht widerspracht, ihr auch. Aber nun lasst uns doch eurer Entscheidung folgen und den Mersinger zu Wort kommen.”

Linnart lächelte daraufhin wortlos. Der Baron lehnte sich für den paranoiden Schwertvater seiner Tochter weit aus dem Fenster. Nun war der Mersinger am Wort. So dieser bei seiner alternativen Wahrheit blieb und ihn hier vor allen als ´notgeilen Mann´ und seine Frau als ´falsche Schlange´ bezeichnete, die einer anderen den Verlobten ausspannte und mit der sich ein Mann bloß wegen ihrer Optik verbinden würde - wiewohl eine solche Verlobung oder dahingehendes Versprechen niemals vorlag ... wenn er wiederholte, dass er ihn, einen Diener des Götterfürsten, Wortbruch und Lüge unterstellte, ohne das beweisen zu können … es würde dem Mersinger und dem Baron gleichermaßen zur Schande gereichen, aber sie wollten die Schmutzwäsche ja unbedingt vor dem Pöbel waschen.

Lares von Mersingen nickte bedächtig. Endlich würde er wieder ein wenig Kontrolle über die Situation zurückgewinnen dürfen. “Gut. Bisher band mich eine Übereinkunft unter vernünftigen Edelleuten, die Worte zu wiederholen, die gefallen sind. Diese Übereinkunft ist wohl nunmehr hinfällig. Nachdem wir uns hier treffen, weil Ihr, hohe Dame von Altenberg, ein Satisfaktionsbedürfnis hegt, so werde ich wiedergeben, was ich zu Euch sagte.” Lares wandte sich demonstrativ vom Traurigsteiner ab. Dieser hatte hinlänglich bewiesen, dass er weder zu Einsicht, noch zu irgendeiner Form des offenen Worts fähig war, sondern sich die Welt zurecht legte, wie sie ihm gefiel. “Wenn Euer Verlobter sich selbst in seiner Ehre gekränkt fühlt, so möge er das vortragen und mir dann erläutern, wie dies möglich ist, wo er mich doch ausdrücklich bat, offen mit ihm zu sprechen. Also.” Lares sinnierte einige Momente, wobei sich seine Lippen stumm bewegten, als rekapitulierte er das Gespräch im Geiste. “Hohe Dame von Altenberg, ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zur Verlobung zu gratulieren. Eure Bemühungen waren erfolgreich. Dafür habt Ihr Anerkennung verdient. Ihr habt Euer gutes Blatt richtig gespielt und einen passenden Gegner gefunden. Ich hoffe, Eure Entscheidung trägt die gewünschten Früchte.” - Lares pausierte rhetorisch - “Das war, was ich zu Euch sagte. Wie ich bereits am vorgestrigen Tage betonte, waren diese Worte aufrichtig. Euer Erfolg gibt Euch Recht. Sollten diese Worte missverständlich gewesen sein, so sei mir verziehen - dafür entschuldigte ich mich ebenfalls bereits am vorgestrigen Tage postwendend. Weitere Worte über diese Entschuldigung hinaus richtete ich nicht an Euch.” Lares zuckte mit den Achseln. Sollte der Bannstrahler seine Fehltritte des vorgestrigen Tages zum Gegenstand der öffentlichen Debatte machen. Wenn er das wollte, nur zu. Doch ob er sich die Sympathie der Anwesenden würde bewahren können, wenn seine Tändelei mit zwei Damen am selben Tage bekannt würde, das war zweifelhaft. Doch der Mersinger hatte auch diesbezüglich versprochen, Stillschweigen zu bewahren - soweit er dies eben konnte. Und Lares hielt seine Versprechen. Doch am Ende des Tages war er ein Mersinger. Und für diese galt: Nichts wird kälter serviert als die Rache und der Tod.

Auf Linnarts Zügen zeigte sich ein Lächeln, doch schwieg er. Innerlich überlegte der Ritter jedoch, ob es ihm zur Ehre gereichte, oder sorgen sollte, dass der Mersinger so sehr auf ihn fixiert war. Der junge Mann war allem Anschein nach unaufmerksam gewesen, sonst wüsste er, dass der etwaig gekränkte Stolz des Bannstrahlers hier nicht das Thema war. Was kümmerte es die Eiche, wenn sich eine Sau dran rieb? 'Das kann doch niemals alles gewesen sein.' sinnierte Ringard. 'Falls doch, hätte Durinja sicher niemals diese Forderung geschrieben.'

“Ich verstehe.” sagte Durinja kurz und knapp und senkte den Blick. Nun schlich sich ein leicht wütender Zug um ihren Mund und ihr Blick traf dann Lares hart. “Junker Lares von Mersingen. Noch immer verkennt ihr die Situation. Eure Glückwünsche waren nicht beleidigend, auch wenn eure Worte, besser gesagt der Unterton, der mitschwang, wirklich missverständlich war.” Sie zog die Luft scharf ein. “Und wie in meinem Schreiben an euch klar formuliert ist: Ich fordere keine Satisfaktion. Eine ehrlich gemeinte Entschuldigung meinem zukünftigen Haus und mir gegenüber. In Wort oder in Form eines ordentlichen Wettstreits. All das, um euch entgegen zu kommen. Doch wie es scheint bin ich nicht mehr als eine einfache Magd für Euch. Nach euren Glückwünschen seid ihr dazu übergegangen, meinen Verlobten zu beschimpfen. Eure Worte waren aus eurer Sicht vielleicht nicht an mich gerichtet, doch was bin ich? Ein Diener, der zu Schweigen hat? Ein Baum? Ein Möbelstück? Nur weil ihr Euer Gesicht in die Richtung meines Verlobten gedreht habt, bedeutet das, dass ich nichts mehr höre? Eure Worte waren durchaus auch an mich gerichtet. Die Beleidigungen, die ihr öffentlich meinem Verlobten entgegenbrachtet, werfen auch ein schlechtes Licht auf mich. Offensichtlich sollte ich sie auch hören. Und ihr habt euch auch angemaßt für mich und eine anderen Dame zu sprechen. Was gab euch das Recht dazu? Wenn euch die Ehre einer Frau am Herzen liegt, euch gar eine Tugend ist, habt ihr denn auch gefragt, ob diese das denn auch wollten? Und warum konntet ihr nicht warten bis ich nicht mehr anwesend war? Oder hat aus eurer Sicht eine Frau zu schweigen?“ Durinja suchte die Blicke der Frauen in der Masse. “Aber mit einer ehrlichen Entschuldigung hier und jetzt können wir das bereinigen. Oder ohne Worte mit einem Wettstreit, denn eine Frau, eine die nicht am Schwert gelernt hat, hat auch andere geschickliche Talente.” Herausfordend wartete sie auf des Mersingers Antwort.

Linnart war während ihrer Rede neben Durinja getreten und griff dann nach ihrer Hand. Es waren sehr unaufgeregte Worte und sie kratzte dabei auch nicht jene großmundigen und unflätigen Behauptungen des Mersingers von vorgestern an. Er konnte damit leben, wiewohl es ihm klar war, dass die Wortmeldung des Mersingers - entweder er war naiv oder stellte sich absichtlich dumm - und seiner Verlobten die sensationslüsternen Gemüter, allen voran den Gockel von Eisenstein, nicht befriedigen würden. Dennoch wollte er nun an ihrer Seite stehen, was auch immer für Anschüttungen in Gegenwart des Pöbels folgen würden. Kurz ging sein Blick hinüber zu Andesine, die, warum auch immer, ebenfalls anwesend war. Eine Tatsache, derer Linnart sich erst jetzt gewahr wurde. Auch ihretwegen sollte der vorgestrige Tag hier vor den einfachen Leuten und auch den anwesenden Adeligen nicht unbedingt zur Gänze ausgerollt werden - zuviel Kummer hatte er ihr schon bereitet, weshalb er sich dafür einsetzen würde es zu verhindern. Sie sollte nicht auch noch zum Stadtgespräch werden.

'Aha, da war also noch mehr.' Jetzt hätte Ringard doch zu gerne alles gehört, was vorgestern gesprochen wurde. Aber alleine das verdruckste Antwortverhalten des Mersingers gab Durinja doch unfreiwillig Recht. Jedenfalls war sie gespannt, ob dieser die Herausforderung ihrer Schwägerin nun endlich annehmen würde, oder sich weiter durch lange Worte seines Fürsprechers, jedoch ohne eigene Entschuldigung, herauswinden lassen wollte. Denn eine Entschuldigung, darin war sich Ringard sicher, würde jenem wohl ganz sicher nicht mehr über die Lippen kommen. Zumindest keine ohne ‘Wenns’ und ‘Abers’ und irgendwelche Hintertürchen. Sie sah hinüber zu Durinja. Diese war ganz anders gestrickt als sie selbst - viel härter auf jeden Fall und wohl auch viel stärker. Ob sie auch so sein konnte? Ob sie das überhaupt wollte? So stark sein auf jeden Fall. Aber auch so hart? Einerseits bewunderte sie ihre Schwägerin dafür, hier ihr Recht einzufordern, ihren Willen durchsetzen zu wollen. Andererseits fragte sie sich so langsam, wohin das ganze führen würde. Und ob das ganze am Ende nicht doch zu weit ging, mehr Schaden anrichtete als es gut machte. Am Ende würde und musste es der Abend zeigen.

Gezelda von Ulmentor war beeindruckt. Ein Duell nach ihrem Geschmack - mit Worten und ohne Waffen. Auch wenn sie wusste, dass diese Durinja einen berechnenden Charakter hatte, war sie überzeugt. Oft wurden die Fähigkeiten einer Frau, einer Frau die nicht im Waffenhandwerk ausgebildet wurde, unterschätzt. Auch wenn der junge Ritter hier ein Opfer war, stand er doch für all jenige, die Frauen mundtot machen wollten. Ihr Blick wanderte zu dem Baron. Er war ein solcher. Auch wenn sie nach der Brautschau eine lustvolle Nacht verbrachten, hatte Gezelda ihn durchaus erkannt. Ihn als Spielzeug zu betrachten, machte es einfach zu genießen. Doch jetzt spürte sie eine Wut in sich aufkeimen.

Der alte Advocatus, Durinjas Vater, hielt sich im Schatten des Uhlenturms verborgen und betrachtete alles aus der Ferne. Er musste zugeben, er bedauerte es nun sehr, seine Tochter nicht an die Rechtsschule geschickt zu haben. So viel Potenzial. Im Gegensatz zu ihrem Bruder. Die Sache wurde immer interessanter. Würde sie es schaffen, eine öffentliche Entschuldigung zu bekommen? Dann fiel sein Blick auf die Zofe Melisande. Ja, eine interessante Person. Die Blicke, die Neugierde, all das kam ihm bekannt vor. Als sie in seine Richtung schaute, winkte er ihr zu.

Ach - da war er ja doch, Tassilo von Altenberg. Es hätte Melisande auch sehr gewundert, wenn er sich die Vorstellung seiner Tochter hätte entgehen lassen. Sie lächelte still, aber ein wenig bedauernd in sich hinein, als sie ihre Schritte zum Uhlenturm lenkte. Das führte sie leider dort aus der unmittelbaren Hörweite der unmittelbaren, aber eben auch mittelbaren Streithähne. Auf dem kurzen Weg sinnierte sie über Lares’ und Durinjas Aussagen. Wenn Lares von Mersingen tatsächlich nur die eben von ihm vorgetragenen Worte gesprochen hatte, dann war darin für Außenstehende schwerlich eine Beleidigung zu erkennen. Doch sie wusste selbst, wie wenig reine Worte ausdrückten, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Diesen Zusammenhang hatte Durinja versucht darzulegen, doch inwieweit sie dies ehrlich und objektiv getan hatte, vermochte niemand hier zu beurteilen. Melisande hatte da so ihre Vermutungen. Im Schatten des Uhlenturms angekommen und damit den Blicken der meisten Anwesenden entzogen, nickte sie Tassilo zu. “Phex zum Gruße, Herr von Altenberg. Ich habe mich schon gewundert, wo ihr Euch versteckt”, grüßte sie den Advocaten lächelnd mit leicht ironischem Unterton.

Tassilo beantwortete das mit einem kurzen und leisen Lachen. “Heute sind andere dran, gesehen zu werden.”, sagte er verschwörerisch. “Ich bin gespannt ob der Junker sich auf ein Wettstreit einlässt. Denn dann stehen seine Chancen wirklich schlecht, in einem besseren ´Licht´ dar zu stehen.” flüsterte der Advocatus. Etwas verwirrt blickte Melisande ihn an. “Wie meint Ihr das?” Dann erhellte sich ihr Gesicht. “Ah, Ihr wisst vermutlich, welchen Wettstreit Eure Tochter im Sinn hat. Wollt Ihr mich erleuchten?” Er blickte hinauf zum Turm. “Ich kann mir das Klettern gut vorstellen oder,”Nun wanderte der Blick zum Fluß,” das Tauchen oder schwimmen. Mit dem Wurfdolch ist sie auch sehr gut. So etwas.” amüsiert schaute er Melisande an. “Mir ist auch zu Ohren gekommen, das ihr mit verantwortlich für diese Ideen wart, so wie die Artigas.” “Ich?” Melisande war überrascht. “Also … ja, Durinja hat uns Zofen mal um Rat gefragt in dieser Sache. Aber ich habe ihr nur vorgeschlagen, des Mersingers Waffenwahl abzuwarten, um dann einen angemessenen Stellvertreter zu bestimmen, oder zu signalisieren, auf jeden Fall selbst in den Ring zu treten, damit der Mersinger, bei seiner Ehre gepackt, keine Waffe wählen kann, die ihr gegenüber unehrenhaft wäre, um sich nicht lächerlich zu machen. Das mit dem Wurfdolch hat Durinja selbst aufgebracht. - Nun ja, aber bis jetzt wird ja nur geredet, sogar von nur indirekt Beteiligten. Ich bin mir gar nicht sicher, ob es am Ende zu einem Wettstreit kommt.” Tassilo lächelte nur. “Nun heißt es abwarten.” Dann richtete er den Blick wieder auf die Streithähne.

Fast von den meisten nicht gesehen, war der hagere Mann in schwarzer Robe. Karolan von Henjasburg stand etwas abseits, kaum von den Fackeln beschienen und betrachtete diese Zusammenkunft regungslos, aber aufmerksam. Der Hüter des Raben war der Wächter des Tempels des schweigsamen Gottes Boron, der sich in den Kellergewölben des Uhlentums befanden. Seine Gemahlin, die Vögtin von Schweinsfold, hatte ihn von der Herausforderung der beiden Adligen erzählt und war überrascht, das der Turm als Treffpunkt ausgewählt wurde. Normalerweise hatte er nichts übrig von den Dünkeln der Adligen. Er selbst stammte aus einem weidner Adelshaus, doch liefen Dinge dort anders. Nur der Bitte seiner Frau folgend gesellte er sich zu dieser Versammlung. Die Baronin, seine Nichte, wollte sicher gehen, das zumindest eine Götterdiener ein Auge auf dieses Geschehen hatte. Der Name Mersingen war Karolan natürlich ein Begriff, sowie der Baron von Eisenstein. Die hiesige Tempelmutter der Travia trug den Namen Altenberg, doch die Traurigensteiner waren ihm neu. Fast wäre der Geweihten Boronsfür die meisten aufgefallen, den ein großer, schwarze Kolkrabe flog mit einem lauten Krächzen über sein Kopf hinweg.

Es wurde mehr und mehr zu einem schlechten Schauspiel, bei dem sich alle Beteiligten der Lächerlichkeit preisgaben. Wie tief konnten Adelige sinken solche Reden vor dem einfachen Volk zu schwingen- begriffen sie nicht, dass sie damit ihre von Praios verliehene Autorität untergruben? Thankred schüttelte wiederholt den Kopf über solche Geistlosig- nein Schwachsinnigkeit, diesmal mit einem süffisanten Lächeln um die Mundwinkel. Sollten sie sich weiter mit Dreck bewerfen. In ihm reifte die Entscheidung sich diese durch und durch jämmerliche Darbietung nicht bis zum Ende anzusehen, das war unter seiner Würde.

Währendessen liefen die Gedanken des Eisensteiners in eine ähnliche Richtung. Der Mersinger Heißsporn würde das an Vorteil verspielen, was er nach Rahjodans Meinung hatte. Und diese “Dame” schien sich besser auf dem Parkett der Intrige zu bewegen als Linnart und Lares zusammen. Das waren die Gründe, die ihn im Moment noch zögern ließen, zu gehen. Die vorgeblichen Einstellungen des Praioten entsetzten ihn zudem. Wie konnte ein Mann der Kirche ein Problem mit der Wahrheit haben und der Wahrheitsfindung. Innerlich schüttelte der Baron den Kopf. Vermutlich war dieser Linnart auch einer von denen, denen dieser merkwürdige Ort die Sinne verwirrt hatte. 13 Verlobungen! Musste man mehr wissen? Und dazu überwiegend von sich Fremden. Das hätte es zu seiner Zeit nicht gegeben. Eine Ehe war ein Vertrag. Lebenslang. Ohne Austrittsoption. Zumindest meist. Da sollte man bedächtig vorgehen. Alles genau prüfen. Wie es üblich war. Früher zumindest war es so. DIese modernen Zeiten! Dazu kam diese Frau auf die Idee eines Wettstreits!! Wie LÄCHERLICH! Nicht nur war sie eine Frau und hatte in seinen Augen bereits ausreichend gezeigt, was das bedeutete: Schwach, weinerlich, nicht fähig logische Schlüsse zu ziehen, einzig aufgrund der verwirrenden Gefühlswelt, in der Frauen spätestens nach der Geburt eines Kindes lebten, und die sich mit jeder weiteren Geburt nur weiter ins Absurde bewegte. Nein, das war es nicht alleine. Dieses Exemplar dort trat unter den Augen ihres Vaters, der wohl wie die ganze Altenberger Baggage Advocatus war, und dieses Linnarts, der Praios diente, nicht nur die alt hergebrachten Sitten mit Füßen, nein auch das Gesetz selber! Und anstatt ihr diese Aktion hier auszureden, wie man es hätte erwarten können von jedem vernünftigen Menschen, und erst recht von einem Advocatus und einem Praiosdiener, unterstützten diese beiden dies auch noch! Egal wie oft er alles überdachte, dieser Linnart schien von Rahja oder Mada so geküsst zu sein, dass er seinen Verstand vergessen hatte. Sich nicht zu schämen, wenn die Verlobte, noch nicht einmal Mitglied des gleichen Hauses, einen anderen Kämpfer zu einem lächerlichen Wettstreit zu forderte, um die Ehre des Kämpfers zu rächen, der selber dazu darauf keinerlei Wert legte! Dieser ganze Ort war merkwürdig, dieses ganze Gebaren, diese kurzsichtigen Entscheidungen. Er würde mit der Baronin sprechen müssen. Sie musste das aufklären, womöglich waren hier Madas Kräfte am Werk und ließen die Menschen so absonderlich handeln. Jedenfalls war es ihre Pflicht dem nachzugehen. Das alles war mehr als merkwürdig.

Doratrava schwirrte der Kopf von den Wortgefechten, die ihr den Eindruck machten, dass jeder, der etwas sagte, noch viel mehr nicht sagte, was aber nur jemand verstehen konnte, der des Gedankenlesens mächtig war oder mehr Hintergrundinformationen hatte. Beides traf auf sie leider nicht zu. Sie warf Alana einen Seitenblick zu. Und auf ihre neue Freundin offensichtlich auch nicht, wie sie da mit zusammengezogenen Brauen und sichtlicher Anspannung auf das Geschehen starrte. Da fiel ihr ganz in der Nähe ein weiteres vage bekanntes Gesicht in der Menge auf. War das nicht Nivards Schwester? Wie hieß sie nochmal? Etwas beschämt stellte sie fest, dass sie sich ihren Namen nicht gemerkt hatte. Dennoch zog sie Alana am Arm mit sich und drückte sich durch die Leute zu der jungen Frau. Na ja, eigentlich war sie noch ein Mädchen. Mittlerweile kam sich Doratrava richtig alt vor. Sie lächelte selbstironisch, dann sprach sie einfach drauflos: “Hallo, äh … was hältst du von dem Schauspiel hier?”

Ringard hatte das Paar aus Gauklerin und Kriegerin gar nicht kommen sehen, so gespannt und zugleich ungeduldig hatte sie die bisherigen Wortfechtereien verfolgt. Wann würden die endlich mal vom Vorgeplänkel der Fürsprecher und Stellvertreter zur Sache kommen? Sie stutzte nicht nur daher kurz überrascht auf die Ansprache, auch wegen der ungewohnt vertrauensseligen Anrede. Sogleich setzte Erkennen ein. "Ihr seid..." Nivard hatte ihr gestern, als endlich Zeit für ein ruhiges Gespräch war, mehr von seinen Erlebnissen in Nilsitz und auf dem Weg hierher erzählt, auch von seiner Freundschaft zu ihrer Gegenüber. Ringard war daher bereits ein bisschen über die offene und nicht allzu förmliche Art der Künstlerin vorgewarnt. "Ich meine..., Du bist Doratrava." beschloss sie direkt, Nivards Anredestatus lächelnd auch für sich selbst zu akzeptieren. Mit einem Lächeln begrüßte sie auch Alana, die noch etwas hinter der Tänzerin stand. "Deinen Auftritt vorgestern werde ich wohl mein Lebtag nicht vergessen! Du auch nicht, Amiel, nicht wahr?" stieß sie ihren Verlobten an. Ihre glänzenden Augen kündeten mehr noch als ihre Worte davon, wie sehr sie die Darbietung beeindruckt haben musste. "Ob das für die Geschehnisse heute Abend auch gelten wird," sie deutete mit ihrem Haupt in Richtung der Diskutanten, "weiß ich noch nicht. Hängt davon ab, ob sich der Junker nun doch entschuldigt oder endlich die Herausforderung annimmt... Aber wer weiß, was noch alles passiert." fügte sie leiser und mit einem leicht verschwörerischen Unterton dazu. "Wenn es so weitergeht, wird das ganze hier aber noch länger vom Baron von Eisenstein zerredet, und dann ziehen alle von dannen, ohne dass die Sache richtig geklärt ist." Der Tonfall der jungen Tannenfelserin zeigte an, dass ihr das nicht recht gefallen würde. Bald würde sie eine von Altenberg sein, und daher wünschte sie sich, dass ihre Schwägerin hier mit einem Sieg für ihr zukünftiges Haus aus diesem Abend ging. "Aber das wird Deine Schwester wohl nicht mit sich machen lassen, oder?" zog sie auch Amiel weiter in das Gespräch.

Geschmeichelt lächelte Doratrava. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie das junge Mädchen gedutzt hatte, es war ihr ganz natürlich vorgekommen, aber das war ja nun geklärt. Nur die Sache mit dem Namen nicht … und den Altenberger hatte sie jetzt erst bemerkt. Auch diesen hatte sie nur flüchtig kennengelernt und den Namen schon wieder vergessen. Sie rettete sich in ein freundliches Nicken. Aber bevor die Gauklerin eine Antwort geben konnte, ging das Streitgespräch in die nächste Runde.

Lares nickte ruhig, dann sah er Durinja in die Augen. “Hohe Dame von Altenberg, ich gab gerade wahrheitsgetreu die Worte wieder, die ich zu Euch sprach. Ihr bestätigtet, dass ich diese genauso meinte und dass ich mich bereits für eine Kränkung entschuldigte, die diese Euch zugefügt haben mochten - in privatim als nunmehr erneut in coram publico. Und doch stehen wir noch immer hier. Tatsächlich findet gerade das statt, was Ihr mir vorwerft: Ich bin hier das Gespött der Leute, werde öffentlich vorgeführt, mein guter Name durch den Dreck gezogen. Und das, ohne eine einzige konkrete Anschuldigung. Ich habe Geduld walten lassen in der Hoffnung, wir könnten Differenzen wie erwachsene Edelleute ausräumen. Stattdessen werde ich hier mit einer vagen Andeutung nach der anderen konfrontiert. Ich bin nicht länger gewillt, mir dies gefallen zu lassen. Ich räume Euch noch eine letzte Chance ein, eine konkrete Anschuldigung zu formulieren, deretwegen eine Entschuldigung fällig sei. Andernfalls betrachte ich Euer Begehr als erfüllt.”

Der Bannstrahler an der Seite der Edeldame hob etwas irritiert eine Augenbraue. "Ich denke, dass die Dame in ihrer Anschuldigung alles andere als vage blieb. Sie fühlte sich durch Eure öffentlich an mich gerichteten Worte in ihrer Ehre beleidigt. Was Sinn macht, erwählte sie mich doch als ihren zukünftigen Gatten. Was erwartet Ihr Euch davon hier und jetzt den Unwissenden zu mimen? Und nun sogar eine Entschuldigung zu fordern." Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen. "Denn Eure Beleidigungen an meine Person erfolgten leider ebenso coram publico. Ein jeder der hier Anwesenden soll sich diese Frage selbst stellen. Ist ein Gespräch an einer vollbesetzten Festtafel wirklich privat zu nennen?" Der Blick des Bannstrahlers machte eine Runde durch die Anwesenden. "Und bedingt durch eben diese Tatsache habt Ihr jene Worte, die eigentlich bloß mich und Euch betreffen sollten, ebenso zur Sache meiner Verlobten gemacht. Ich frage Euch deshalb vor allen Anwesenden; sprecht Ihr der unbescholtenen Dame von Altenberg die Berechtigung ab für Eure öffentlich vorgetragenen ... Unwahrheiten ...", ein Begriff den er bewusst wählte, "... meine Person betreffend eine öffentliche Entschuldigung zu fordern? Sprecht Ihr ihr das Recht der Kränkung ab? Soll sie ihren Mund halten und zuhören wie man sich über das Zustandekommen ihrer Verlobung den Mund zerreißt?" Linnart wartete vorerst keine Antwort ab. "Dass Ihr in Eurer Verblendung einem, laut seiner Vorgesetzten - darunter im Übrigen auch Ihre Erlauchte Eminenz von Faldahon -, untadeligen Ritter Praios´ Dinge und unlautere Beweggründe unterstellt ist eine Sache, mit der Ihr Euren Namen schon selbst beschmutzt habt. Dass Ihr meine Verlobte mit in diese Sache gezogen habt, indem Ihr das öffentlich tatet und nun nicht die Größe und Demut besitzt dies zumindest ihr gegenüber auszuräumen, sondern Unwissenheit vorgebt, macht es nicht besser. Deshalb an Euch noch einmal die Frage, ob dies Euer letztes Wort ist oder ob Ihr in Praios Namen nicht doch noch umdenken solltet und diese Sache mit dem bisschen Restwürde, die geblieben ist, bereinigen wollt."

“Insofern Ihr selbst eure Ehre nicht als so angegriffen gesehen habt, dass ihr euch auf den codex duello berufen und einen Stellvertreterkampf gefordert hättet, scheint dies aber wohl jeder Grundlage zu entbehren.” Nach bevor jemand sich neuerlich auf die Eingabe des Eisensteiners einlassen konnte, riss Thankred der Geduldsfaden.

“Ihr Götter”, stieß da der Trollpforzer laut hörbar fast flehentlich hervor. “Nun sagt doch endlich was der Mersinger euch an den Kopf geworfen und so beleidigt hat, dass es diesen ganzen Auflauf rechtfertigt. Eure Seite fühlt sich doch in ihrer Ehre gekränkt, dann sagt doch endlich worum es hier geht und tragt die Anschuldigung auch offen vor, wie es dem Götterfürsten gefällt, anstatt noch länger um den heißen Brei herum zu reden, als seien wir hier auf einem Basar in den Tulamindenlanden. Beim Praios strahlendem Antlitz, dass kann doch gerade für euch nicht so schwierig sein”, sprach er in Richtung des Praioten. Doch erst wandte sich dieser dem Eisensteiner zu. “Die Unwahrheiten, denen er mich bezichtigt hat, hat der Mersinger alleine vor dem Götterfürsten zu verantworten. Der durch die öffentliche Herabwürdigung eines Seiner Diener entstandene Makel auf der Seele des Ritters soll ihm Strafe genug sein. Die Angelegenheit hier betrifft jedoch nicht mich, wiewohl ich vielleicht der Auslöser dafür sein mag. Meine Verlobte tritt hier nicht für meine Ehre, sondern für die ihre ein. Und das sei ihr unbenommen. Eine Entschuldigung zu fordern ist ihr gutes Recht, das sie als Adelsdame hat, oder wollt Ihr ihr dieses absprechen? Es steht dem Herrn von Mersingen frei sich zurückzuziehen und abzulehnen.”

Wiederholt ungläubig schüttelte Thankred den Kopf. Er konnte nicht glauben was der Bannstrahler da von sich gab. Das erträglich Maß an Winkelzügen, feigen Ausflüchten und nahezu substanzlosen Anschuldigungen war voll- übervoll. Ein Diener des Götterfürsten, der sich selbst auf mehrfache Nachfrage scheut die Wahrheit zu sagen- das war nicht Mal mehr merkwürdig, das war eine Schande! Der Trollpforzer griff die Zügel seines Rosses feste und drehte es auf der Stelle, ohne sich darum zu kümmern, dass er einige Gemeine um sich herum damit zur Seite drängte. "Diese Zusammenkunft ist dem Götterfürsten sicher nicht zum Wohlgefallen, denn alle hohen Herrschaften reden um den heißen Brei herum, selbst derjenige, der sich in SEINEN Dienst gestellt hat", sprach Thankred laut und deutlich. “Ich für meinen Teil kann das aus Respekt vor dem Götterfürsten nicht länger ertragen”, stieß der Trollpforzer hervor und ließ sein Pferd langsam durch die Menge davonschreiten. Auch wenn Sabea etwas hin und hergerissen war, über die Meinung ihres Verlobten und der Forderung ihrer Base Durinja, lenkte auch sie das Pferd herum und ritt an seiner Seite fort.

“Es ist nicht Eure Angelegenheit, richtig! Ihr habt entschlossen, so wie ich, mit einem Handschlag auseinanderzugehen und unseren Konflikt ruhen zu lassen. Das war Euer letztes Wort. Dann steht endlich dazu und haltet Euch da raus!”, fuhr Lares dem Bannstrahler in die Parade. “Wenn dem nicht so ist, dann macht es wie ein Mann und fordert mich zum Duell. Aber dieses verkappte Geschwätz dulde ich nicht länger. Entweder es ist Euer Problem, dann versteckt Euch nicht hinter Eurer Verlobten und noch weniger hinter der Kirche des strahlenden Herrn, er sei gepriesen, oder es ist die Sache Eurer Verlobten, dann lasst sie entscheiden. Der hohe Herr Thankred von Trollpforz hat völlig Recht. Wenn es noch etwas zu reden gibt, dann wird konkret geredet.” “Dann redet konkret, hoher Herr und gebt nicht den Unwissenden. Ich attestiere Euch das nötige Maß an Intellekt um zu erkennen weshalb genau wir uns hier und jetzt eingefunden haben …”, gab er unbeeindruckt zurück, “... ich habe hier die Forderung meiner Verlobten wiedergegeben, da einige der Anwesenden, Euch allem Anschein nach mit eingeschlossen, diese nicht zur Gänze verstanden hatten. Es wurden hier vor zwei Praiosläufen schon genug Unwahrheiten verbreitet. Wenn Ihr meint ich stünde hier unbeteiligt und lasse zu, dass nun auch hier, in meiner Gegenwart, falsche Annahmen die Runde machen, dann liegt Ihr falsch.” Sein Blick ging zum davon reitenden Trollpforzer, dessen Abgang er nicht wirklich Bedeutung beizumessen schien. Vielleicht sollte sich der Mann aus den Bergen das nächste Mal auch selbst hinterfragen - immerhin ließ er sich dazu herab diesem Auflauf beizuwohnen. “Dass es Euch unangenehm zu sein scheint, wenn ich als Fürsprecher der Dame von Altenberg auftrete - bei der Rolle des Barons von Eisenstein wart Ihr ja nicht so zimperlich - sagt viel über Eure Position aus. Die Anschuldigungen liegen auf dem Tisch. Auch sollte nun klar sein wer hier wen beschuldigt und wer hier von wem eine Entschuldigung verlangt und warum. Jedes Mal wenn jemand die Redlichkeit des Anliegens der Dame in Frage stellt, werde ich mein Wort erheben. Ich war anwesend und kenne den Sachverhalt. Es ist Eure Entscheidung. Entschuldigt Euch bei ihr, oder zieht ab. Was unseren Konflikt angeht, rate ich Euch in weiterer Folge Eure Beichtmutter oder Euren Beichtvater aufzusuchen. Reflektiert Euer Verhalten gegenüber Würdenträgern der Kirche des Götterfürsten, mäßigt Euch und leistet Buße. Das soll mir, als maßvoller und demütiger Diener des Götterfürsten, der ich bin, reichen.”

Zustimmend nickte Durinja ihren Verlobten zu, gleichzeitig wusste sie, das ihre angedachten Pfade, Phexens Pfade, hier nicht mehr angebracht waren. Zu stur und zu verbohrt war der junge Junker und höchstwahrscheinliche ahnte dieser, das er bei den Wettkämpfen unterliegen würde. Dennoch gab sie hier nicht auf, denn überrascht war sie nicht. Ihr Blick schweifte in die Menge, bis sie die Person ausmachte, die sie gebeten hatte zu kommen. Mit einem beiläufigen Senken ihres Hauptes und kurzen schließen ihrer Lider gab sie ihr Signal.

“Ich werde mich dem Junker anschliessen. Es ist eine Schande vor Praios, was hier passiert. Herr von Mersingen, meine Töchter werde ich mitnehmen, um sie nicht diesem erbärmlichen Schauspiel auszusetzen und diesem unwürdigen Spiel vor dem Götterfürsten ebensowenig. Ihr seid eingeladen, sobald ihr diese lächerliche Angelegenheit geklärt habt, sie morgen an meinem Gasthof abzuholen. Denn seid euch gewiss, bei euch sehe ich keine Schuld: Der Codex duello sieht sehr wohl vor, wie eine Person, die nicht unter Waffen steht oder aus anderen Gründen nicht zur Waffe greifen kann, vorzugehen hat, sollte ihre Ehre gekränkt worden sein: Sie hat einen Stellvertreter zu bestellen, der adelig ist und unter Waffen steht. Der Herr von Traurigenstein hat diese Möglichkeit nicht genutzt, obwohl er von ihr wusste. Warum ist ganz allein seine Sache. Dass seine Verlobte sich gekränkt fühlt und sie offensichtlich diese Gründe, die ihm alleine zustehen, nicht akzeptieren will, eine Sache zwischen den Versprochenen selbst. Euch da hineinzuziehen, noch dazu ohne sich dabei den gegenwärtigen Regeln und Sitten zu beugen, kann euch nicht angelastet werden. Weicht man in progressivem Wahn aber von althergebrachter Vorgehensweise ab, so kann man euch nicht anlasten, dieses Spiel nicht mitzuspielen. Und ich rate euch dringlichst, euch nicht auf diesen lächerlichen Wettstreit einzulassen. Ein Praiosdiener, der einen Wettstreit unter Gleichen fordert, hat scheinbar vergessen, was die praiosgefällige Ordnung ausmacht: Jeder bekleidet den Platz, der für ihn für Praios vorgesehen ist. Und daher seid ihr nicht gleich! Ihr seid ein Ritter. Sie ist eine… Hofdame. In was solltet ihr euch messen? Ihr habt nicht dieselbe Profession! Würde ein Bäcker einen Metzger zum Um die Wette Brotbacken fordern, würde jeder gleich die Absurdität erkennen. Versteift euch nicht auf die vermeintliche Gleichheit eures Standes und macht euch vor dem Volk und den Göttern lächerlich, wenn ihr einen Wettbewerb im Schönsticken oder Harfespielen verliert.” Er griff nach der Hand Lissas und gab Luzia ein Zeichen. “Darüber hinaus werde ich die Baronin aufsuchen. Das Mysterium, wie alle von dieser Forderung erfahren haben, gepaart mit den Absonderlichkeiten des gestrigen Tages sollten untersucht werden. Und sollte Madas Gabe missbraucht worden sein, so werde ich von der Baronin verlangen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.” Damit drehte er sich um und wollte mit seinen Töchtern davonziehen.

"Hört, hört …", meinte Linnart kühl, "... der Baron spricht der Dame von Altenberg das Recht ab für sich einzustehen und dem Herrn von Mersingen darüber hinaus die Befähigung die vorgebrachte Forderung für sich richtig zu bewerten. Dass er dies mit, für den Sachverhalt unerheblichen Rechtsnormen zu belegen versucht, ist in der Tat bedauerlich. Man hebt ja auch seinen Zehnt nicht nach der Rechtslage des Horasiats ein." “So.” wandte sich der Eisensteiner ein letztes Mal an den Praiosdiener: “Auf welche Rechtsnorm bezieht sich denn bitte eure Verlobte? Erhellt mich doch, denn diese ist mir wohl vollends entgangen. Ich kenne nur die Sitte- und auf nichts weiter berief ich mich- sich auf den codex duello zu berufen, mir ist keinerlei Rechtsnorm bekannt, die das absurde, progressive Vorgehen Eurer Verlobten untermauern würde. Aber Ihr seid der Praiosdiener. Womöglich habe ich da etwas übersehen?” Er hob seine Schultern und wandte sich dann vom Eisensteiner ab. Dieser hatte noch immer nicht verstanden um was es geht ... wirkte auf ihn etwas wie Großvater Reginbald. Als er zu einer Antwort anheben wollte, hielt ihn das Auftauchen der Ritterin Alana ab. Mit sicheren und festen Schritt löste sich eine Ritterin aus der Menge. Gerüstet und ohne Helm stellte sich die rothaarige Frau neben die Edeldame Durinja. Ihre Rechte ließ sie dabei auf ihren Schwert ruhen, während die andere locker herunterhing. Ein Raunen ging durch die Menge, denn eine neue Person schien dem Schauspiel beizuwohnen. Skeptisch blickte Linnart auf die Ritterin, nickte ihr dann jedoch grüßend zu. Der Eisensteiner verharrte indess, weiter seine jüngste Tochter bei der Hand haltend, was dieser sichtlich unangenehm war. Das wurde nun erneut interessant. “In diesem Falle musst du natürlich deinem Schwertvater zur Hand gehen.” sagte er zu Lissa und ließ das Mädchen zu seinem Schwertvater gehen.

“Na, endlich nimmt die Sache Fahrt auf”, entfuhr es Doratrava unwillkürlich. Den für einen Adligen ziemlich ungehobelten Trollpforzer kannte sie noch flüchtig von der Jagd in Nilsitz, aber er sprach ihr in diesem Moment aus der Seele. Etwas leiser raunte sie den Umstehenden zu: “Ich glaube, mit Zerreden ist es jetzt nicht mehr getan. Die haben sich alle schon viel zu tief da hineingeritten.” Ihr Blick suchte Alana. “Für mich hört sich das schon ziemlich ernst an, mal sehen, ob das noch ohne Waffeneinsatz zu regeln ist.” Diese erwiderte den Blick nicht. Mit ernsten Gesicht schritt Alana auf Durinja zu.

Amiel, der jüngere Advocatus, schaute verblüfft. Alana, eine entfernte Verwandte, galt nicht gut gelitten im Hause Altenberg. Im Gegensatz zur der alten Tradition seines Hauses, brach sie damit, als sie im Waffenhandwerk geschult wurde. Hatte seine Schwester wirklich sie um Hilfe gebeten? Ein “Oh, oh.”, war alles, das über seine Lippen kam. 

Doratrava blieb fast das Herz stehen, als Alana nach vorne schritt. “Aber …” stieß sie hervor und streckte den Arm nach der Ritterin aus, machte gar einen Schritt, als wolle sie ihr folgen, bevor sie sich gerade noch beherrschte. Hilflos sah sie zu Ringard und Amiel.

'Oh, oh.' Das traf es wohl. Auch Ringard sah Alana betreten hinterher. Ja, sie hatte sich gewünscht, dass die Parteien endlich zur Sache kämen, es in ihren Gedanken und zuletzt auch Worten herbeigerufen. Aber so? Ihr Blick glitt hinunter zu den von Amiel mitgebrachten Dingen, deren Einsatz sie gespannt erwartet hatte, dann zu Amiel, der offensicht genauso verdattert war wie sie, und schließlich zur vollkommen konsternierten Doratrava. "Vielleicht blufft Durinja ja nur?" gab sie, selbst auch ein wenig hilflos, in Richtung der Gauklerin zu Bedenken, und hoffte (allerdings ohne daran zu glauben), dass Amiel gleich grinsen und bestätigend nicken würde.


Noch immer mit einem verletzten Blick ausgestattet, ließ sie ihren Blick von Linnart auf den Mersinger schweifen. Die Worte des aufgebrachten Barons und des Trollpforter Junkers ignorierte sie. “Ich hatte gehofft, das hier friedlich und unbeschwert lösen zu können. Und ich erkenne, dass Worte einer Entschuldigung nicht über eure Lippen finden, noch ihr euch auf einen Wettstreit mit einer Frau einlassen möchtet. Auch bin eine Frau der Nordmarken und komme aus einer alten und traditionsreichen Familie. Da ich auch die Traditionen meines Hauses achten mochte, hatte ich gehofft, das keine Waffe erhoben werden müsse. Doch es ist unmissverständlich, dass hier nur eine Tradition zur Gerechtigkeit und Einsichtigkeit führen wird.“ Ihre Worte waren kühl und klar gesprochen.

Dann machte die Ritterin neben ihr einen Schritt nach vorne und richtete ihre Worte an den Junker. “Ich grüße euch, Junker Lares von Mersingen. Ich bin Alana Tharvuna von Altenberg und ich fordere euch im Namen der Edeldame Durinja, zukünftigst Haus vom Traurigen Stein, zu einem Duell, auf dass die Ehre ihrer Person und ihrem zukünftigen Haus wieder hergestellt werden wird. Nehmt ihr an?” Ihre Gesichtszüge der Mittdreißigerin waren ernst, ihre Worte förmlich und selbstbewußt.

So, endlich hatte dieser grauenhafte Spuk ein Ende. “Hohe Dame von Altenberg, Ihr sprecht eine Sprache, die in diesen Landen Tradition hat. Ich habe noch nie eine Forderung ausgeschlagen und werde das mit dem heutigen Tage nicht beginnen.” Lares sah ihr mit festem Blick in die Augen. Gegen diese Alana hegte er keinen Groll, er wusste um ihre Funktion, ihren Platz in der Welt. “Ich nehme Eure Forderung an. Gefochten wird mit dem Anderthalbhänder. Nachdem Eurer Auffassung nach eine Ehrenschuld zu begleichen ist, wird ein Kampf auf das zweite Blut genügen. Wollt Ihr den Kampf sogleich austragen? Ich wäre bereit.” Nachdem Durinja ihr zu nickte, antwortete Alana ohne zu zögern. “So sei es. Praios, Rondra und ihre göttlichen Geschwister seien unsere Zeugen.” Doch dann erhob Durinja nochmals ihr Wort. “Habt ihr etwas dagegen zwei neutrale Schiedsrichter zu benennen? Mir wäre es wichtig, dass zumindest ein Diener der Zwölfe bei diesem Duell anwesend ist. Und ein Anderer von Stand.” Ihr Blick richtet sich auf den Boroni, der etwas abseits im Fackelschein stand.

Linnart empfand seine Aufgabe als erfüllt. Nun sollten die Waffen sprechen, wie es die rondrianische Eitelkeit vorgab. Etwas ärgerte er sich dennoch. Diese ganze leidige Diskussion hätte verhindert werden können und niemand hätte sich vor dem Pöbel zu Reden hinreißen lassen. Dennoch bereute er nicht, für seine Verlobte eingestanden zu sein. Ihr Anliegen war unbefleckt und rein gewesen. Er würde nicht zulassen, dass irgendjemand die Integrität seiner zukünftigen Frau öffentlich anzweifelt - noch dazu mit halbseidenen Begründungen, die aus Verblendung, mit dem Namen des Götterfürsten im selben Satz hinausposaunt wurden. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er sich wieder auf die anfänglich von ihm genutzte Brüstung.

“Junker von Altenwein, wäret Ihr bereit, das Duell zu überwachen?” Er hatte sich vernünftig und insbesondere offen für Austausch gezeigt; er war aus Sicht des Mersingers fast der perfekte Kandidat. Andesine und ihren Bruder wollte er bewusst heraushalten. Der Altenweiner löste sich aus der Zuschauermenge und trat nach vorne: “Es ist mir eine Ehre!” Er schritt zu den anderen und fragte: “Sind denn alle mit dieser Wahl einverstanden?” Durinja nickte zur Bestätigung. “Euer Hochwürden Karolan von Henjasburg. Wäret ihr so frei?” richtete sie ihr Wort an den Hüter des Raben. Ohne ein Wort zu sagen schritt er ebenfalls in die Menge und gesellte sich zum Junker von Altenwein. Seine Überraschung über diese Wendung ließ er sich nicht ansehen. Erst dachte er, dass seine Frau, die Vögtin, ihn aus reiner Vorsichtsmaßnahme bat, hier zuzusehen. Doch anscheinend hatte sie wieder einmal eine Vorhersehung diesbezüglich. Dennoch war er leicht verdutzt. Die junge Altenbergerin war ihm persönlich unbekannt, doch schien es, dass sie ihn kannte. Formvollendet sprach sie seinen vollen Titel und Namen aus, als ob das ganze hier vorher geplant gewesen wäre. Innerlich seufzte er. Karolan wußte das der Tag kommen würde, wo auch er in die Politik dieses Landes hineingezogen würde.

Doratrava glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. Alanas Worte hatten sich nicht so angehört, als seien sie unüberlegt, hastig oder unvorbereitet gesprochen worden, was als einzigen Schluss zuließ, dass das hier ein abgekartetes Spiel war. Sie spürte einen Stich im Herzen, wieder einmal wurde ihr bewusst, dass sie keinen ihrer ‘Freunde’ wirklich kannte, dass sie offenbar nur ein Spielball im undurchschaubaren Spiel höherer Mächte war, und damit meinte sie nicht die Götter. Doch obwohl die Enttäuschung in ihren Eingeweiden wühlte, lief es ihr trotzdem heiß und kalt den Rücken hinunter. Sie erinnerte sich zurück an ihre Gedanken von vorhin, als sie noch darüber sinniert hatte, ob Alana wohl als Stellvertreterin Durinjas einspringen musste und dass sie nicht zulassen konnte, dass ihrer Freundin etwas passierte, ganz unabhängig davon, dass diese eine ausgebildete Ritterin war und sie nur eine einfach Gauklerin. Nun gut, das traf es vermutlich nicht mehr so ganz bei allem, was sie in den letzten Jahren erlebt hatte, aber dennoch. Und jetzt wurde es tatsächlich ernst. Todernst. Nun wurden ihre spielerischen Gedanken von der Realität auf die Probe gestellt. Nun musste sie sich ganz schnell darüber klar werden, ob sie Alana weiterhin als ihre Freundin betrachtete, obwohl diese sie ganz offensichtlich im Dunkeln hatte tappen lassen, was ihre wahren Absichten hier waren. Und falls dies der Fall war, was sie tun würde, wenn Alana wirklich ernsthaft in Bedrängnis geriet, auch wenn sie dem Augenschein nach dem Mersinger überlegen sein sollte. Konnte sie dann kalten Herzens zuschauen, wie sie unter den Hieben ihres Kontrahenten fiel? Und wenn nicht? Sie konnte sich doch nicht einfach dazwischenwerfen, denn auch wenn sie die Gesetze der Adligen nicht kannte, wäre das sicher der Bruch irgend eines derselben und würde sie in des Namenlosen Küche bringen … Doratrava begann, nervös an ihren Fingernägeln zu kauen und warf Amiel und Ringard unstete Blicke zu.

Durinja hatte nicht geblufft - sie meinte das ernst! Ringard war maßlos enttäuscht und auch ein wenig entsetzt. Letzteres nicht so sehr über das Duell als solches - auch wenn sie selbst noch keines miterlebt hatte, war dieses immerhin ein erprobter und nicht selten gegangener Weg, Ehrverletzungen zu begleichen, und trug in mancher der Geschichten, die sie so liebte, in der ein tapferer Ritter für die Ehre seiner Herzensmaid eintrat, sogar romantische Züge. Entsetzt war sie vielmehr darüber, dass nun nicht Durinja selbst - wie angekündigt - für ihre Forderung eintreten und den Mersinger mit den Waffen einer Zofe für sein ehrabschneidendes Auftreten am vorgestrigen Tage strafen würde, sondern dass Blut fließen würde, ja musste, und mit Alana eine andere den Kopf für ihre Schwägerin hinhalten sollte, noch nicht einmal deren ritterlicher Verlobter. Und das schlimmste war, dass das ganze obendrein auch noch ziemlich abgekartet wirkte, nicht nur durch einen überraschenden Verlauf der Geschehnisse erzwungen. Wenigstens schien Amiel so aufrichtig verblüfft, dass er ganz offensichtlich nicht Teil dieser Scharade gewesen sein konnte. War diese Ehrverletzung, die keiner aussprechen wollte, tatsächlich so schlimm gewesen, dass das hier gerechtfertigt war? Durinja wirkte nun nicht mehr so bewundernswert stark auf sie, sondern nur noch hart. Und ein wenig grausam. “Das wird schon gut ausgehen...” sprach sie mehr sich selbst als Doratrava zu. “Wird es doch, Amiel, oder? Sind denn Heilkundige unter uns?” Ratlos zog der die Schultern hoch. “Zumindest ein Boroni.” sagte er. Ob es nur eine Feststellung war oder ein Scherz, konnte Ringard nicht erkennen.

Die Satisfaction

Durinja schaute zum Himmel und suchte das Madamal. Die schmale, silbrige Sichel zeichnete sich langsam am dämmernden, Himmel ab. Sie mußte sich eingestehen, dass sie enttäuscht war. Wie es schien, war der Listige nicht mit ihr am heutigen Abend. Aber wer weiß … noch immer gab sie die Hoffnung nicht auf. Zumindest waren die ersten Steine gesetzt, auch wenn sie nicht dahin geschoben wurden, wie sie es sich vorgestellt hatte. Oder war doch der Listenreiche doch dahinter? Die Zofe richtet ihr Haar und schritt zurück zu der hell beleuchteten Stelle auf dem man einige Schemel aufgestellte hatte. Die meisten Damen vom hohen Stand hatten sich auf ihre Seite versammelt, wie der eine oder andere hohe Herr auf der Seite von Lares zu finden war. Die restlichen Zuschauer, sprich die einfachen Bürger, standen dabei am Rande zwischen den Parteien. Der Geweihte des Boron stand gerade und würdevoll in seiner schwarzen Robe aus feinem Tuch mit silbernem Raben und Boronsradstickerein an Kragen und Ärmeln, zwischen den Parteien und schien in einem stummen Gebet. Neben ihm stand der Altenweiner und schien sich ebenfalls zu sammeln. Ob er stumm betete war nicht ersichtlich, doch hatte er in diesem Jahr häufiger mit Boronis zu tun gehabt, als ihm lieb war, weshalb man wohl davon ausgehen konnte. Er trug seinen roten Wappenrock mit dem großen goldenen Weinblatt auf Vorder- und Rückseite und hatte sich einen Stab geben lassen, um, falls es nötig werden sollte, die Kontrahenten voneinander zu trennen. Doch glaubte, und hoffte, er dass beide erfahren genug waren sich nicht von Gefühlen übermannen zu lassen, sondern sich an die rondragefälligen Regeln halten würden und somit ein eingreifen, von seiner Seite aus nicht nötig werden würde. War diese selten vorkommende Option ohnehin schon heikel genug. Würde er die falsche Entscheidung treffen, dann galt es nämlich als unrechtmäßiges Eingreifen und konnte dazu führen, dass er sich den Zorn beider Häuser, der Zuschauer und am allerschlimmsten der Herrin Rondra selbst zuziehen würde.

Marborad fröstelte ein wenig. Eigentlich wäre er jetzt lieber zuhause mit einem guten Wein und einem hübschen Stallburschen, aber seine Großtante Madalberta wollte unbedingt, dass er sich dieses Ereignis höchstpersönlich ansah. Das wortreiche Geplänkel vorhin hatte ihn schrecklich gelangweilt, vor allem deswegen, weil sich die Beteiligten ständig im Kreis drehten und sich wiederholten, ohne jedoch etwas relevantes von sich zu geben. Nun jedoch kam endlich Bewegung in die ganze Angelegenheit. Auch wenn wohl nur die Kontrahenten wirklich wussten, worum es wirklich ging.

Hätte sich Ringard vor der plötzlichen Wendung hin zu einem mit dem Stahl ausgetragenen Duell, wenn es stattdessen doch, wie - wenn schon nicht angedacht, so wenigstens angekündigt - zu einem spielerischen Wettkampf gekommen wäre, mit vollster Überzeugung auf die Seite Durinjas gestellt, tat sie dies nun mit nicht nur geringem inneren Widerwillen, vor allem der zukünftigen verwandtschaftlichen Bande und Amiel zuliebe. Hätte die Gleichheit der Waffen nicht auch hergestellt werden können, hätte sich der Mersinger eine Zofe oder in den Spielen Durinjas versierten Edeldame auserkoren, die an seiner Statt den Wettkampf für ihn focht? Ringard schalt sich sogleich für ihren törichten, ja kindischen Gedanken. Stattdessen betete sie lieber kurz, dass mit dem Mersinger wenigstens einer der beiden originären Streithähne bluten möge, und dass es beim zweiten Blut bleiben möge. Dann legte sie etwas hilflos ihre Hand auf Doratravas Schulter, die mit ihnen gekommen war, und drückte diese sachte.

Wie durch einen Nebel hatte Doratrava wahrgenommen, dass sich ein Teil der Zuschauer in zwei Gruppen trennte, ohne dass sie verstanden hätte, warum. Noch immer rasten die Gedanken in ihrem Kopf, versuchte sie, mit der Situation klarzukommen, so dass sie fast willenlos Nivards Schwester und deren Verlobten gefolgt war. Sie zuckte ein wenig zusammen, als sie Ringards Hand auf ihrer Schulter spürte, überrascht von der unerwarteten Vertraulichkeit der Geste. Kurz schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, ob diese Hand sie wohl von etwas Unüberlegtem anhalten konnte? Das Blut rauschte in ihren Ohren. Dass es nun eine weitere Wartezeit zu geben schien, machte das Ganze nicht besser, eher im Gegenteil. Starr verharrte ihr Blick auf Alana.

Die Ritterin spürte den Blick der Gauklerin auf sich und entschloss sich kurz zu ihr rüber zu bewegen. “Was schaust du den so bedrückt? Mach dir keine Sorgen. Ich mache nur, was Ritter so machen. Aber ich muss zugeben, dass ich nicht damit gerechnet habe, wirklich das Duell für Durinja auszuführen.” Alana seufzte. “Aber jeder hat es ja gehört. Der Junker wollte sich auf keine Entschuldigung herablassen oder eine Herausforderung annehmen.” Dann lächelte sie. “Falls jemand deine Ehre beschmutzt, würde ich auch ins Duell für dich gehen.”

Ringard entging Doratravas Zucken nicht - rasch zog sie ihre Hand zurück und sich näher an Amiel. Von dort aus verfolgte sie das Gespräch zwischen der Gauklerin und Alana mit. Diese hatte mit jedem ihrer Worte Recht - das, was sie tat, war das, was Ritter nunmal tun. Sie war sich sicher, dass ihre Brüder das auch für ihre Liebsten tun würden, ja sogar darauf bestanden hätten, selbst für deren Ehre einzutreten, wäre diese ernsthaft angegriffen oder verletzt. Warum aber ließ Durinja - offensichtlich mit Kalkül - Alana für sich kämpfen, wenn ihr Verlobter doch selbst ein Ritter war? Sie beschloss, Linnart selbst darauf anzusprechen.

Erst erstarrte Doratrava, als Alana aus sie zukam, aber bei ihren Worten lief sie rosa an vor Rührung und konnte nur mit Mühe die Tränen unterdrücken. Spontan machte sie einen Schritt nach vorne und küsste die fast gleichgroße Ritterin auf die Wange. Dabei raunte sie ihr zu: “Wenn dein Blut fließt, kann ich für nichts garantieren. Also sieh zu, dass es nur das deines Gegners ist.” Dann machte sie wieder einen Schritt zurück. Irgendwie fühlte sie sich jetzt besser. “Keine Sorge.” Die Ritterin zwinkerte ihr zu und kümmerte sich dann wieder um ihren Vorbereitungen.

Linnart stand etwas abseits und wirkte angesäuert. Er war nicht begeistert darüber sich dieses Schauspiel ansehen zu müssen. Duelle wie dieses trieften von Hochmut und Selbstverliebtheit. Es war hier Tradition, ja ... Rondra hatte schon immer die Eitelkeit des Einzelnen bedient. Doch wie bereitwillig einige der anwesenden Adeligen den Namen seines Herrn mit diesem Theater hier in Verbindung brachten war schockierend. Praios legte die Aufgabe zu herrschen und seine Gesetze durchzusetzen in die Hand des Adels. Der Orden hatte darüber wachen, dass diese dabei nicht vom rechten Weg abkamen. Was er hier das letzte halbe Stundenglas beobachtete, ließ in ihm den Gedanken aufkeimen, dass viele eine dringende Kurskorrektur nötig hatten. Der Ritter schüttelte sein Haupt als er seinen Blick über die Szenerie schweifen ließ. Hier wurden Anschuldigungen gegen Würdenträger des Herrn und unbescholtene Adelige vor dem Pöbel diskutiert, wohl wissend, dass deren simple Geister, weiß Praios was, in diese Worte hinein interpretieren würden. Ja, nicht nur das, die Bedienung von Lügen und Gerüchten vor den städtischen Bürgern wurde hier von einigen sogar als ´praiosgegebene´ Pflicht verstanden. Der Beschuldigte gaukelte Unwissen vor um sein Gesicht zu wahren. Eine Tatsache, die sich einem jeden eröffnete, der erkannte, dass der Mersinger seine Argumentation in erster Linie darauf stützte, dass ein Diener des Gleißenden sich seiner Meinung nach hierzu nicht zu äußern habe, da ihn Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit wohl nichts anzugehen haben. Ja, so waren sie die Sünder. Hielt man ihnen einen Spiegel vor, wanden sie sich wie Würmer. Dabei vertreibt nur jener Schwäche, Unreinheit und Sünde aus seinem Leben, der es schafft sich selbst und seine Eitelkeit zu überwinden. Das öffentliche Eingestehen von Schuld wäre ein passendes Mittel dafür, doch dazu brauchte es Schneid. Stärke, die diesem blasierten Mann wohl fehlte. Erschütternd, wurde doch gerade der Ritter von Mersingen nicht müde den Namen des Herrn bei jeder Gelegenheit in seinem Schandmaul zu führen. Ein Angehöriger des Hochadels mit mangelhaften Kenntnissen der Iurisprudentia erdreistete sich gar seine Tochter dem Pöbel vorzuführen, wie seine Mutter Adda ihren Hund - den kleinen Rahjatänzer Adriano. Doch nicht nur das, wechselte der Baron, der es sich zur Aufgabe machte als Wortführer des Mersingers zu fungieren, seine Argumentation doch beinahe mit jeder Rede. Linnarts Meinung nach war ein Mann, dessen Worte so sehr vor Chaos trieften, ungeeignet für die Ordnung eines Lehens zu sorgen. Und dann war da auch noch der Junker aus den Bergen. Ein Mann, der, so wusste der Bannstrahler seit vorgestern, gerne einmal das Heil in der Flucht suchte, wenn es unangenehm wurde. Er war sich jedenfalls nicht zu schade gewesen hier aufzukreuzen und Seite an Seite mit dem Pöbel ein Spektakel zu erwarten. Unwichtig. Am Schlimmsten war jedoch das Unverständnis in manchen Augen, als er lautstark für Wahrheit und Recht eingetreten war. Als er versuchte Gerechtigkeit für eine Frau zu fordern, der von mehreren Seiten übel mitgespielt wurde. Es war unabdingbar Sünde und Schmutz von unbescholtenen Menschen fern zu halten. Für die hochmütigen Sünder blieb sowieso nur die Selbsterkenntnis und Buße ... oder eben die Seelenmühle. So stand Linnart äußerlich unbeteiligt wirkend, doch mit wachem Blick und beobachtete das Geschehen.

Mist. Nun hatte auch Aureus noch eine Rolle, zum Glück eine Unparteiische. Lares war ihr nicht allzu sympathisch und Durinja war auch Zofe, sie hätte sich der Frau anschließen sollen. Aber sie wusste nicht, was passiert war und traute Durinja nicht. Sie selbst hatte ja aufgewühlt Linnart eine geschmiert, da es auf den ersten Blick so aussah, als hätte der Mann sich von den üblichen Trieben leiten lassen. Aber es waren eben Triebe, wegen denen man sich nicht gleich lebenslänglich binden musste. Warum er sich verlobt hatte, wusste Sina auch nicht, aber wie auch immer. Sie folgte Aureus in die Mitte, ausgerüstet mit einer Flasche Wein und einem Becher. „Pssst.. psst..!“ Sina war etwas das Geländer entlang gerutscht und versuchte, Linnarts Aufmerksamkeit zu erregen. Er sah müde und unzufrieden aus. Als er kurz aufsah, gab sie ihm mit dem Becher ein Zeichen.

Der Ritter musste auf den Hinweis der Hofdame unwillkürlich lächeln. Es war vielleicht das richtige um seinen Ärger zumindest im Ansatz in den Hintergrund zu drängen. Er nickte ihr zu und bedeutete Sina mit einer Handgeste näher zu kommen. Sie machte eine abwehrende Geste und wollte ihn zu sich bewegen. Trotzdem ging sie einen Schritt weiter auf ihn zu. Sie wollte aber mittig bleiben. Da wurde Linnart von einer anderen jungen Frau angesprochen.

Dieses Zeichen blieb von Ringard unbemerkt, als jene von der Seite an Linnart herantrat. "Es muss hart für Dich sein, zum Zusehen verdammt zu sein, wenn eine andere Ritterin für die Ehre Deiner Liebsten in den Ring steigt, nicht wahr?" fragte sie leise und mit unschuldigem Augenaufschlag, und einem Tonfall, in den man Mitgefühl hineininterpretieren konnte. Wenn man es denn wollte. Linnart war ob der Frage der jungen Frau etwas irritiert. "Warum sollte es das denn? Es ist ihr Recht und ihre Entscheidung gewesen … und die der Ritterin Alana." "Ist es Dir denn überhaupt kein inneres Bedürfnis, selbst für Durinja zu streiten? Wie ein echter Rit…?" Die letzte Silbe verschluckte Ringard erschrocken - auch wenn sie bald mit Linnart verschwägert sein würde, ging dies wohl zu weit, war ihr jugendliches Gemüt mit ihr durchgegangen.

Der Bannstrahler schien diese Worte jedoch nicht böse zu nehmen. Er legte seinen Kopf schief und lächelte. "Soso … bin ich kein richtiger Ritter, wenn ich nicht für meine Zukünftige streite?" "So habe ich das nicht gemeint." Ringards Wangen färbten sich rötlich ein. "Aber kommst Du Dir nicht übergangen vor? Dass Du Durinja alleine für Ihre Ehre eintreten lässt, solange mit Worten oder im Spiele gekämpft wird, sehe ich gerne ein. Aber jetzt, da daraus blutiger Ernst wird… und der Zwist - soweit ich die vagen Beschreibungen der Beleidigungen des Mersingers verstanden habe - aus dessen Äußerungen zu Eurer beider Verlobung erwachsen ist, da hätte ich erwartet, dass… naja, dass ein… dass ein Ritter…" bei den Göttern, sie sagte es ja schon wieder, was sie gerade nicht so gemeint haben wollte, "ich meine, dass Du aufschreist und darauf bestehst, selbst die Ehre deiner Verlobten zu verteidigen, anstatt eine fernere Anverwandte kämpfen zu lassen… egal, ob Durinja das scheinbar anders eingefädelt hat."

Der Traurigsteiner nickte verständnisvoll und lehnte sich dann wieder gegen die Brüstung. "Ich verstehe deine Verwirrung. Ich bin ein Ritter Praios und keiner, der sich der Rondragefälligkeit verschrieben hat. Das beginnt schon bei unserer Ausbildung. 12 Jahre, wie ein 'normaler' Ritter, doch wo es bei Adeligen reicht, diese an der Seite des Schwertvaters oder der Schwertmutter abzusitzen, erfolgt bei uns Bannstrahlern der Ritterschlag nicht am Ende der Ausbildung, sondern erst wenn wir uns um Kirche und Orden ausreichend verdient gemacht haben. Bei mir war das ein Dienst in Beilunk, unter einer lebenden Heiligen", Linnart reckte stolz sein Kinn. "Dieses Gebaren hier vor uns ist hochmütig und selbstverliebt. Es hat nichts mit den Werten und Geboten des Götterfürsten zu tun. Zwei gekränkte Seelen, die den Weg des ehrlichen Wortes scheuen und meinen, dieses Theater würde ihnen im Angesicht Praios' Absolution erteilen." Er seufzte. "Ich bin nicht glücklich darüber, dass der Mersinger uneinsichtig und blasiert auftrat. Dass er, obwohl er den Namen des Herrn beständig in seinem Mund führt, anscheinend nichts über das Wesen und Wirken Praios' verstanden hat. Ich bin auch nicht froh darüber, dass hier jetzt Blut fließen muss. Aber es ist rechtlich konform und wird deshalb von mir akzeptiert. Eine Akzeptanz, die ich nie aufbringen werde, wenn Adelige der Nordmarken einer unbescholtenen Dame das Recht absprechen wollen, eine öffentliche Entschuldigung zu fordern." Die eisblauen Augen des Geißlers lagen nun auf Ringard - wie bei einem Raubvogel, der seine Beute musterte. "Sag, an wen richtest du denn deine Gebete, Ringard? Bist du auch der Meinung, dass eine adelige Frau zu schweigen habe, wenn sie sich zurecht in ihrer Ehre gekränkt fühlt?"

Ringard entging Linnarts Lauern nicht. Wie Mutter es sie schon immer gelehrt hatte, musste man im Angesicht der Diener des Praios auf der Hut sein, selbst wenn sie so freundlich daher kamen wie ihr zukünftiger Anverwandter. Vor allem bei den Bannstrahlern, die die eifrigsten - oder eher eiferndsten - unter jenen waren. Angesichts der Weite von Linnarts Frage ging sie über die zum Glauben vorerst hinweg. Sein Verhalten hatte aber den aufmüpfigen Teil in ihr erst recht geweckt. "Oh glaub mir, Linnart, Durinjas Wille und Hartnäckigkeit, ihre Ehre und ihren guten Ruf zu verteidigen, hat mir sehr imponiert. Noch mehr aber, dies auf ihre Weise, mit einem Wettkampf, den sie selbst bestreiten kann, zu tun. Und ich stimme Dir zu, sie hat dazu jedes Recht der Welt. Aber nachdem sie den Mersinger am Ende doch zu einem Schwertduell um ihre und am Ende Euer beider Ehre gefordert hat, offenbar fordern musste, erscheint es mir ... " sie hätte fast 'bigott' gesagt, biss sich aber rechtzeitig auf die Zunge, "... widersprüchlich, dass Du nicht selbst antreten, sehr wohl aber billigen und dabei zusehen darfst, wie eine andere Ritterin Durinja vertritt. Aber ich bin noch recht jung und verstehe wenig von den Gesetzen Deines Ordens und klerikalen Standes..." Noch ehe sie ganz enden und Linnart antworten konnte, trat eine weitere Dame zu ihnen.

Sina beobachtete die Szene kurz, dann schob sie sich nach und nach näher an die Beiden heran. In der Hand immer noch die Weinflasche. Das würde nur ausarten, er sah schon wieder wie ein skeptischer Gockel, ob seinem Hühnchen Gefahr drohte. “Hier, lasst uns etwas trinken, Hoher Herr.” Sie drückte Linnart die Flasche in die Hand. “Schenkt ein. Wir trinken aus einem Becher. Will die Dame auch etwas?”

Wortlos, doch begleitet von einem Lächeln griff er nach Flasche und Becher und schenkte ein. Die Frau wusste wie man sein Gemüt beruhigte. Dann reichte er Sina das Trinkgefäß. “Ich könnte auch einen Schluck vertragen, habt Dank, edle Dame.” ging Ringard auf Sinas Angebot ein, gespannt auf Linnarts noch ausstehende Entgegnung. "Es ist mir verboten Ehrenhändel auszufechten …", ging dieser dann auf die Frage der Tannenfelserin ein. "Und selbst wenn es das nicht wäre, hätte ich es wohl nicht getan. Es tut mir leid, wenn ich deiner romantischen Vorstellung nicht entspreche." Linnart lächelte freundlich. Er schien gerade ein anderer Mann zu sein. Weg waren Zorn und Eifer, mit denen er die Rechte seiner Frau verteidigt hatte und machten Platz für Charme und Freundlichkeit. "Es ist die 'Forderung' meiner Verlobten. Es ist ihr Recht und ich unterstütze sie wann immer ihr das jemand absprechen will, genauso wie ich es auch für jede oder jeden anderen getan hätte und es meine Pflicht als Diener des Götterfürsten ist. Wer jedoch die Ehre eines Dieners des Gleißenden beleidigt, hat sich vor dem Herrn zu verantworten. Die Herabwürdigung eines seiner Diener ist eine schwere Sünde, aber das muss ich dir bestimmt nicht sagen. Ich habe dem Herrn von Mersingen für seine unwahren Worte meine Person betreffend die Beichte und Buße anempfohlen. Der ist verloren, der sich im Angesicht des Götterfürsten der Schande der Lüge zuwendet. Der Ritter hatte gewählt." Der Blick des Bannstrahlers ging hinüber zur Seite des Mersingers. "Er scheute die Selbsterkenntnis und das offene und wahre Wort. Vielmehr versuchte er die Anwesenden mit, wohl vorgetäuschter Unwissenheit zu verhöhnen. Das nun folgende ... Duell … habe ich zu billigen. Erstens bin ich nicht der Vormund meiner Verlobten und zweitens bewegt sie sich im rechtlich konformen Raum. Ich würde mich nie über geltendes Recht stellen." Er schenkte ihr noch einmal einen freundlichen Blick und wandte sich dann der Almadanerin zu.

"Wann wollen du und Aureus morgen eigentlich aufbrechen?", fragte er diese beiläufig. Ringard spitzte ihren Mund kurz zu einem Schnütchen, setzte dann aber rasch zu einem Lächeln an und pflichtete mit einem - erkennbar halbherzigen - Nicken bei. So war das mit dem Recht. Natürlich hatte ein Adeliger und noch mehr ein Diener des Gleißenden, dessen Getreue nimmer müde wurden, dies auch zu betonen, jenes zu beherzigen und zu verteidigen. Aber Recht war von Menschenhand gemacht. Und auch, wenn sie selbst keine Rechtsgelehrte war wie Amiel, dessen Vater oder in einigen Jahren auch ihre jüngste Schwester, so erkannte sie durchaus, dass aus diesem Umstand - wenigstens im Detail - dessen Widersprüchlichkeit resultierte, eine, die in manchem Einzelfall für ihr Empfinden sogar den höheren Prinzipien zuwider lief, die das Recht eigentlich auf Deren im Großen wie im Kleinen sicherstellen sollte. Und hinter der man sich gut verstecken konnte, wenn man die Möglichkeiten dazu durchschaute und dies nur - wie Linnart nach ihrem Empfinden - wollte. Wie sehr unterschied sich doch die Realität von den romantischen Geschichten, die sie so sehr liebte, stellte sie wieder mal mit einem inneren Seufzen fest. Dennoch oder auch gerade deswegen hoffte Ringard, dass sie über Amiel mehr über das Wesen des Rechts und dessen Nutzung lernen würde. Denn es war nie verkehrt, gewappnet zu sein. Jetzt drehte sie sich aber erst einmal ihrer neuen Gesprächspartnerin, der edlen Weinspenderin, zu.

“Am Vormittag, wann genau, das wird sich zeigen. Wir sind ja eine größere Gruppe. Nett, dass du dich schon so gut mit unserem künftigen Gefährten unterhalten hast. Das wird nicht langweilig werden.” Sie zuckte mit den Schultern. “Bis morgen wird hoffentlich alles geregelt sein. Ich werde etwas in Elenvina bleiben und treffe mich wahrscheinlich mit meiner Schwester.” Sina lächelte Ringard an. “Sina Artigas. Wir haben uns auf dem Fest noch nicht getroffen. Nehmt nur, ich zeige Euch, wo es mehr gibt wenn wir was brauchen.” Der hohe Herr schien noch nicht zu wissen, wer ihrem gemeinsamen Reisezug alles angehören sollte.

"Künftiger Gefährte?", fragte Linnart ruhig, "Du meinst es schließt sich uns noch jemand an?" Der Heller schien gefallen. Sein Blick ging zu Ringard. "Du und Amiel seid uns natürlich immer willkommen. Vielleicht machen wir dann gleich in Linnartstein Halt, liegt ja auf dem Weg." "Habt Dank! Ringard von Tannenfels, zukünftig Altenberg, sehr erfreut!" stellte sich die junge Ambelmunderin ihrerseits vor und nickte dankend auf Sinas Angebot einer Einweisung in die Nachschubquellen des guten Tröpfchens. Diese würden sicherlich auch Amiel sehr interessieren, und heute Abend würde ja nicht getanzt werden... "Der Elenviner Zweig der Familie Altenberg wird wahrscheinlich in ein paar Tagen unter dem Schutz der Plötzbogner aufbrechen." gab sie auf Linnarts lächelnd quittiertes Angebot hin weiter, was sie wusste. Am liebsten wäre sie selbst direkt mit Amiel mitgereist, egal ob mit den Plötzbognern oder der Reisegruppe Linnarts, die gerade interessant oder eher brisant zu werden versprach, wenn sie die Andeutungen richtig verstanden hatte. Aber noch waren Amiel und sie nur verlobt und nicht vor Travia verheiratet, und sie musste noch seitens der Baronin von ihren Aufgaben bei Hofe entpflichtet werden. Ihr Weg würde sie also doch erstmal zurück nach Ambelmund führen, zu ihrem Leidwesen, und es drohte ihr ein weiterer, hoffentlich letzter Winter dort, ehe das Leben, das neue, wirklich begann. Von ihrem zuletzt geführten würde sie nur wenig vermissen - allenfalls die in kichernd oder verträumt vernommenen Geschichten und Tanzübungen schwelgenden Mädelsabende mit Befinna, am liebsten dann, wenn die Baronin außer Haus weilte, aber sonst? Ihre Gedanken kehrten ins Hier und Jetzt zurück. Ihre Wehmut eingedenk des drohenden vorübergehenden Abschieds von Amiel rückte in den Hintergrund und das Kribbeln in ihrem Bauch im Angesicht des bevorstehenden Duells wurde wieder stärker. Lag es am Wein oder waren die anderen, älteren einfach abgebrühter als sie? Jedenfalls wirkten Linnart und Sina viel gelassener, als sie sich innerlich fühlte. "Ist das auch Euer erstes Duell, ich meine, das erste, dem Ihr beiwohnt, oder habt ihr schon mal eines erlebt?" lenkte sie das Gespräch zurück auf das, was sie gerade umtrieb.

"Natürlich …", gab Linnart zurück, "... ich hatte für den Moment ganz vergessen, dass du in Diensten der Baronin von Ambelmund stehst." Sein Blick ging hin zu seiner Verlobten, die ihnen den Rücken zuwandte und ihrer Base bei deren Vorbereitungen zusah. "Wir halten es ja genauso. Ich werde Durinja nach Elenvina begleiten, werde mit ihrer Dienstherrin sprechen, den Ehevertrag verschriftlichen lassen und ihr unser Domizil zeigen. Ist das alles geklärt, setzen wir einen Tag für die Hochzeit fest, bevor es für uns beide wieder in unser pflichterfülltes Leben geht." Wen Sina wohl dann meinte? Vielleicht hatte seine Verlobte jemanden eingeladen. Er schüttelte sanft sein Haupt. Diese Frau schien außer Rand und Band - sie musste ihn zukünftig in ihre Pläne einbinden. Es konnte nicht angehen, dass Linnart der letzte war, der von ihren Vorhaben erfuhr. Dies musste der Ritter ihr wohl zeitnah und in aller Deutlichkeit sagen. Nach einigen Momenten des Schweigens ging er auf die zweite Frage der jungen Frau ein. "Es mag dich verblüffen, doch bin ich noch nie bei so einem Duell anwesend gewesen. Es ist ja auch bloß eine Spielerei." Er winkte ab und hob seine Schultern. "Nicht zu vergleichen mit einem Scharmützel oder einer Schlacht gegen Dämonendiener, Knechte des Dreizehnten oder andere Feinde der praiosgefälligen Ordnung. Ich finde es bedauerlich, dass das hier nötig ist." Linnart lächelte kurz gequält und der Unterton, der mitschwang konnte abermals nicht verhehlen, wie wenig er von diesem Anlass hier hielt. "Naja, es wird mit scharfen Waffen gekämpft, bis eine oder einer der Duellanten bis zur Kampfunfähigkeit verletzt oder gar verstümmelt ist - das würde ich - verzeih mir mein zimperliches Gemüt - nicht als eine Spielerei abtun." wendete Ringard ein. "Der ursprünglich angedachte Wettbewerb, das wäre eine Spielerei gewesen. Aber das hier, das ist ganz schön ernst, finde ich... selbst wenn es nicht gegen die Mächte der Finsternis geht. Es muss eine verdammt heftige Ehrverletzung seitens des Mersingers gewesen sein." schob sie leise hinterher. Der Angesprochene wirkte ob dieser Worte etwas irritiert, erinnerte sich dann jedoch daran wer ihm gerade gegenüber stand. “Nach allem was ich darüber gehört habe ist es Spielerei … wenn einer der beiden Kombattanten sein Knie beugt, stoppt der Kampf. Wenn einer der beiden seine Waffe fallen lässt, stoppt der Kampf … es ist nicht vergleichbar mit einem Gegner, der dir tatsächlich nach dem Leben trachtet. Ein Gegner, der dir die Waffe ins Herz rammt wenn du am Boden liegst oder unbewaffnet bist. Ich habe in den zwölf Monden in der Sonnenmark vieles gesehen und erlebt. Gegner, die nicht nur nach meinem Leben trachteten, nein, die ihre Finger auch nach meiner Seele ausstreckten. Kameraden und Kameradinnen, die an meiner Seite fielen. Auch ich trage Narben auf meinem Körper - Verwundungen, die ich mir im Kampf für die praiosgefällige Ordnung und die Rechtgläubigen zugezogen habe.” Linnarts Blick ging ins Rondeau. “Ob die vorliegende Ehrbeleidigung dieses Theater rechtfertigt ist Ansichtssache. Ein Schuldeingeständnis und eine Entschuldigung wäre ungleich adäquater und des Herrn wohlgefällig gewesen, doch erfordert Wahrheit und Selbstreflexion für einige wohl mehr Mut und Stärke als … das hier. Nun wird eben der Weg des Hochmuts und der Eitelkeit beschritten.”

"Dein Wort in der Götter Ohren!" erwiderte sie Linnarts beschwichtigende Worte. Wirklich beruhigend wirkten diese nicht auf Ringard - ja, der Kampf konnte rasch und unblutig enden... er musste es aber nicht, je nachdem wie ehrversessen die Kontrahenten waren, ob und wie rasch der Unterliegende die Vergeblichkeit seines Strebens einsah und klein beigab, wie viel Opferbereitschaft für die Ehre beide Streiter mitbrachten. Außerdem schauderte sie beim Gedanken daran, welchen Schrecknissen Linnart bereits ins Auge geblickt haben musste. Und von der noch dunkleren Ahnung, welche Gräuel umgekehrt von ihm und seinem Orden ausgegangen sein mochten, in ihrem steten Eifer, für die gerechte Sache zu streiten… Ringard wagte in diesem Moment nicht, näher nachzufragen - so genau wollte sie es gar nicht wissen. Sie konnte nur hoffen, dass der junge Traurigsteiner seinen Dienst als Streiter des Gleißenden genauso pragmatisch und mit Gefühl für die Verhältnismäßigkeit anging, wie er zum Schwertduell als Lösung dieses Ehrenhändels stand - in dieser Sache nämlich musste sie ihm beipflichten. Ringard versuchte sich innerlich zu straffen und ihre düsteren Gedanken zu verscheuchen - was würden nur ihre Mutter und ihre Brüder denken, wenn sie wüssten, wie sie sich im Angesicht dieses Duells anstellte. Aber sie konnte halt nicht aus ihrer Haut. Es gab gute Gründe, warum sie sich nicht dem Schwert verschrieben hatte. "Ich glaube, es geht gleich los." deutete sie in Richtung der Duellstätte und nahm noch schnell einen großen Schluck vom guten Weine.

Vitold von Baldurstolz hatte Lares erst auf der Brautschau kennen gelernt, da beider Lebenswege bisher aneinander vorbei führten, obwohl sie sich am Hofe des Eisensteiner Barons mehrfach hätten treffen können. Dennoch hatte er ihm seinen Rat angeboten und Lares hatte ihn angenommen. Sie sprachen über Verfehlungen und Zurechtweisungen, doch verlor der Mersinger nie ein Wort darüber, wen oder was genau er meinte. Nach der letzten Stunde war es dem Baldurstolzer natürlich klar und er stellte sich auf Seiten des Junkers, wie es zuvor auch der Baron getan. Freundschaftlich legte er ihm die Hand auf die Schulter und drückte dies leicht, während er ihm zunickte.

Diese Geste überraschte Lares - fast fuhr ein kleiner Schrecken durch seine Glieder - hatte er doch befürchtet, dass sich (wie immer) alle Welt gegen ihn verschworen hatte. Die Schlange hatte erreicht, was sie wollte und jetzt würde er seine Ehre auf dem Felde zurückgewinnen. Doch der Beistand des Baldurstolzers freute ihn und heilte die Verletzung, die seine Seele davongetragen hatte, ein stückweit. Lares nickte zurück. “Jetzt wisst Ihr, worüber wir geredet haben. Bitter das Ganze. Bitter und unnötig. Aber es ist wie es ist - Herr PRAios kennt die Wahrheit und wird es schon richten und seine Schwester wird mit mir sein.” Lares wirkte davon fest überzeugt. Er hatte gerade das Kettenhemd angelegt, über das er seinen Wappenrock wieder überstülpte. Einen Helm trug man traditionell zum Duell nicht. Jetzt würde er nur noch Armschienen anlegen müssen und dann würde er in den Ring steigen. Lissa würde ihm dabei zur Hand gehen.

“Meiner Meinung nach treibt diese Durinja ein übles Spiel mit Euch. Mit dieser Farce führt sie Euch vor und man wird noch lange hiervon sprechen. Ihr steht dennoch für Eure Überzeugung ein und tretet gegen eine erfahrene Kämpferin an, die Euch vermutlich überlegen ist. Ich finde, das verdient Respekt. Mögen die Zwölfe mit Euch sein, Praios und Rondra voran!” Damit klopfte er dem Mersinger auf die Schulter und half ihm die Armschienen anzulegen. “Ich danke Euch. Der oder die Bessere - im Angesicht der Götter - wird gewinnen.”

Die kleine Lissa stand immer noch etwas irritiert daneben. Sie verstand nicht, warum dieses Duell nötig war. Ihr Schwertvater hatte irgendwas von Gemächt gesagt, aber zu diesem Linnart, nicht zu dieser Durinja, und das hatte diese Frau sehr aufgeregt. Sie musste unbedingt jemanden fragen, was es mit diesem Gemächt auf sich hätte. (Aber erst wenn all das vorbei war. Sonst würde sie vermutlich alles nur noch schlimmer machen). Etwas Gutes konnte es jedenfalls nicht sein. Diese Durinja fühlte sich jedenfalls von dieser Gemächt-sache scheinbar beleidigt, weil ihr Schwertvater es mit ihr in Verbindung gebracht hatte. Womöglich mochte sie Gemächte einfach nicht? Gemächte waren ja scheinbar etwas, das nur Männer besaßen. Vielleicht mussten Frauen sich davon fernhalten? Vielleicht waren sie gefährlich? So etwas wie eine Waffe womöglich? Aber warum sollten nur Männer diese Waffen haben dürfen? Das war merkwürdig. Jedenfalls hatte sich der Mersinger danach doch in aller Form entschuldigt und gesagt, dass sie das falsch aufgefasst hatte. Er wollte sie also gar nicht in diese Gemächt-sache reinziehen. Doch diese Durinja wollte seine Entschuldigung nicht annehmen. Auch dabei verstand Lissa nicht warum. Womöglich lag es auch an dem, was sie selbst mit diesem Linnart besprochen hatte. Der Praiosdiener hatte zu ihr gesagt, dass er lieber Andesine geheiratet hätte und diese Durinja nur seine zweite Wahl war. Und das diese das auch wüsste. Vielleicht war sie einfach nur eifersüchtig? Aber warum sollte sie dann ihren Schwertvater da mit reinziehen? Vielleicht weil er ein Freund von Andesine war? So wie diese Alana nun anstelle von Durinja das Duell austragen würde, war ihr Schwertvater womöglich nur ein Ersatz, weil Durinja eigentlich Andesine besiegen wollte? Weil sie nicht die 2. Wahl sein wollte? Vor aller Welt? Andererseits... Hatte Durinja nicht dem Mersinger vorgeworfen, sich nicht mit ihr messen zu wollen, weil sie eine Frau war? Ja- vielleicht war das der eigentliche Grund. Durinja wollte selbst so ein Gemächt haben! Bei diesem letzten Gedanken hellten sich ihre Züge etwas auf. Dieser Gemächtsache musste sie auf jeden Fall weiter auf den Grund gehen. Während all diese Gedanken durch den kleinen Kopf waberten, stand sie verloren zwischen den Erwachsenen, die sich über die wenns und abers der Situation weiterhin das Maul zerrissen.

Lares stellte fest, dass seine liebe kleine Pagin etwas verloren rumstand. Für sie musste diese Situation völlig überfordernd sein. “Lissa, komm mal her, hilf mir beim Anlegen der Armschienen.”, meinte er, obwohl Vitold ihn dabei redlich unterstützte. “Eine habe ich schon dran, siehst du. Reich mir bitte die andere.” Er würde mit ihr nach dem Duell sprechen müssen. Er wollte keinesfalls, dass sie sich vor dem Waffengang fürchtete, sollte er verletzt werden. Sie wollte doch eine tapfere Ritterin werden.

Die Kleine gehorchte und hob die schwere Armschiene auf, um sie Lares anzureichen. Aufmunternd lächelte Vitold sie an: “Jetzt musst Du sie nur noch anlegen und fest schnallen. Soll ich Dir zeigen, wie das am besten geht, oder weißt Du das schon?” “Ich habs schon oft gesehen.” entgegnete sie und machte sich daran- etwas unbeholfen zwar und daher langsamer als wenn Vitold diese zweite ebenfalls angeschnallt hätte, aber am Ende saß sie zumindest an der richtigen Stelle, wenngleich nicht so fest, wie sie sein müsste. Dafür fehlte dem Kind wohl noch die Kraft. “Sie schlackert herum.” sagte sie enttäuscht zu Lares.

“Nein, nein, das hast du schon sehr gut gemacht. Schau mal”, erwiderte der Mersinger mit einem seiner schiefen Lächeln auf den Lippen, “da, die Schnalle, es geht leichter, wenn du den Bügel etwas hinunterdrückst, während du ziehst. Dann gibt es noch so viel Widerstand. So etwa.” Mit der freien Hand öffnete er den Lederriemen noch einmal, drückte die Metallspange, die das Band festhalten sollte, nach unten und biss dann kräftig in das Band. Mit dem Kopf zog er den Riemen fest an und nutzte dann wieder die freie Hand, um die Halteöse einzufädeln. “Hast du gesehen? Auf dem Weg nach Rosenhain können wir das noch mal eine Runde üben, nicht wahr? In der Knappschaft wirst du das noch einige Male machen müssen. Das spielt sich mit der Zeit ein.” Lares klopfte Lissa liebevoll auf die Schulter. Dann ging er zu ihr in die Hocke. “Deinem Vater hast du die richtigen Antworten gegeben. Da warst du sehr tapfer. Was wir zusammen gelernt haben, das hast du gut verinnerlicht. Ich bin stolz auf dich”, sagte er und auch Vitold merkte, dass Lares dies ernst meinte. “Soll ich hier mit Dir warten?”, fragte Vitold des Mersingers Pagin. Sie war noch sehr jung und wer weiß, was sie gleich zu sehen bekommen würde. Er wollte nicht, dass sie dabei alleine war.

Sie nickte zögerlich und rückte etwas näher an den Dienstritter ihres Vaters heran. Sollte sie Vitold zu dieser Gemächtsache fragen? Vermutlich war es besser zu warten. Nachher war es etwas Ungehöriges und diese Durinja würde auch ihn noch fordern, wenn sie die Worte wiederholte. Immerhin schien sie ja nicht zu wissen, dass nur Ritter einander fordern durften. Oder sie würde sogar Lissa selbst fordern? Und sie konnte ja noch gar nicht richtig kämpfen. Alana hingegen war eine echte Ritterin, wie sie selbst eine werden wollte, die bestimmt sehr geschickt mit dem Schwert umging. Ob sie ihrem Schwertvater weh tun würde? Der Hinterwalder reichte ihr die Hand. “Falls Du Fragen hast, oder etwas unangenehm wird, wende Dich ruhig an mich. Hast Du Seine Wohlgeboren schon kämpfen sehen?” Sie nickte zögerlich. “Ich… ich verstehe vieles nicht. Aber… ich sollte das später fragen. Hier… nicht.” Vitold entging nicht der ängstliche Blick des Kindes, das dieses Durinja zuwarf. “Sie ist mir nicht geheuer.” flüsterte sie dem Eisensteiner zu.

Vitold ging auf ein Knie hinunter, um mit Basilissa auf Augenhöhe zu sein. Da sie nicht alleine waren, flüsterte er ebenfalls: “Dein Gefühl trügt Dich nicht, Basilissa. Wenn sie nicht bekommt, was sie will, in der Art, wie sie es will, dann wird sie gefährlich. Sieh, was sie gerade mit Deinem Schwertvater macht. Einen rechtschaffenen Mann derart bloßzustellen gehört sich nicht. Sie sagt, er habe sie beleidigt und fordert eine Entschuldigung. Soweit ich weiß, hat er sich entschuldigt, doch das reicht ihr nicht. Sie fordert eine weitere, öffentliche Entschuldigung und bietet einen Wettstreit an, da sie sich nicht duellieren darf. Plötzlich weiß die ganze Stadt Bescheid, Euer Schwertvater wird von allen als der Bösewicht angesehen, der eine arme, kleine Zofe von Stand zum Weinen gebracht hat. Und zur vereinbarten Zeit stehen Bürger und Bauern hier herum und verlangen gleichfalls Genugtuung. Da Seine Wohlgeboren sein Gesicht nicht verlieren darf, kann er sich nicht auf einen albernen Wettstreit einlassen, zumal er sich ja bereits entschuldigt hatte. Und dann zaubert sie eine Verwandte aus dem Hut, die in ihrem Namen den Mersinger fordert. Die Kränkung, die niemand hier gehört hat, und die niemand benennen will, ist angeblich so schwerwiegend, dass das Zweite Blut gefordert wird. Diese Frau, Basilissa, ist eine Spinne. Sie sitzt in ihrem Netz und zieht die Fäden, um die Welt für sich tanzen zu lassen. Und sie ist kaltblütig genug andere über die Klinge springen zu lassen, um zu kriegen, was sie will. Der Mersinger ist tapfer. Mach Dir keine Sorgen.”

Die Kleine nickte. Vitolds Worte beruhigten sie nicht gänzlich. Aber es war gut, dass jemand auf der Seite ihres Schwertvaters war. Überraschenderweise stellte sich die erste Hofdame der Baronin von Schweinsfold, Gezelda von Ulmentor, auf die Seite des Junker Lares. Schien es dem gewieften Beobachter, dass diese den Groll der Herausforderin nachvollziehen konnte, war sie nun mit freundlicher und entspannter Haltung auf der Gegenseite zu finden. Doch alleine war sie nicht, die Baroness Luzia von Keyssering stand neben ihr.

Die junge Eisensteinerin war immer noch irritiert. Zum einen darüber wieviele Fürsprecher das Verhalten dieser Person fand. Zum anderen über dieses Duell, das für sie überraschend gekommen war. Nun saß diese Altenbergerin dort und suhlte sich in aufgesetzter Betroffenheit. Lissa hatte ihre Schwester am Morgen vorsichtig nach den Gerüchten gefragt, die ihr zu Ohren gekommen waren. Fremde Menschen hatten getuschelt und auf das Kind gedeutet und ihrer kleinen Schwester Angst gemacht. Die Kleine hatte nicht verstanden, warum und um was es ging. Sie hatte Luzia berichtet, dass sich Lares mit dem Praiosakoluthen und der Zofe gestritten hätte, aber die Dame sei wütend gewesen und nicht traurig oder was diese Gerüchte sonst alles beinhalteten. Durinjas Verhalten machte Luzia wütend, was sie die Fäuste ballen ließ. Selbst wenn Lares einen Fauxpas begangen haben sollte, diese Inszenierung war überzogen, da war sich Luzi sicher. Und das Opfer war neben Lares auch Lissa. Feindselig ruhten ihre Augen daher auf der Altenbergerin, mochte die ruhig sehen, dass sie durchschaut worden war.

Die ältere Hofdame beobachtete Luzia und war zufrieden. ´Steckt also doch Leben in dem jungen Ding.´ Erst war sie misstrauisch, über die Anfrage die junge Eisensteinerin an den Hof Schweinsfold zu holen, doch erkannte sie jetzt das Potenzial. Sie aus den kontrollierenden Händen ihre Vaters zu holen, wird ihr ein Segen sein, auch wenn sie es nicht ahnt. Beruhigend legte sie ihr Hand auf Luzias Schulter, die darauf hin zusammen zuckte und ihren Blick zu der älteren Frau wandte. “Kennt ihr diese Durinja von Altenberg näher?” Gezelda schüttelte den Kopf.”Das kann ich nicht behaupten, euer Wohlgeboren. Aber Frauen wie diese da, sollte frau immer im Auge behalten. Nur so, kann man nicht in das Nest einer Spinne geraten …. So wie der Junker.”, flüsterte sie ihr zu, ohne ihren Blick vom Geschehen zu nehmen. Die junge Baroness runzelte die Stirn und sagte kalt: “Nun, wenn Spinnen sich verschätzen, und ihr Gegner doch zu groß ist, müssen sie sehr genau auf ihr Netz und ihre Beine achten.”

Kreuzende Klingen

Langsam kehrte Ruhe ein und nur das Gurren und Krächzen von den Eulen und Rabenvögel von der Spitze des Uhlenturms waren zu hören. Durinja hatte auf einem Schemel platz genommen, neben ihr saß die junge Zofe Ringard von Tannenfels, deren Hand sie hielt. Zusammen mit ihren blassen und traurigen Gesichtern wirkten beide Damen unschuldig und verletzlich zusammen. Die beiden Schiedsrichter, der Junker von Altenwein und der Boroni von Henjasburg, standen am Rand und mittig zwischen den Kontrahenten und sich gegenüber. Auf der Seite des Uhlenturms stand die Ritterin Alana von Altenberg in Rüstung und mit einem Anderthalbhänder. Der Waffenrock zeigte das Wappen ihres Hauses: ein blauer Dreiberg auf silber für das Haus Altenberg. Ihr gegenüber war der Ritter und Junker Lares von Mersingen. Lares trug über dem wattierten Unterzeug ein kurzes Kettenhemd und darüber den weißen Wappenrock mit dem schwarz-gelben Wappen des Hauses Mersingen. Mit Stolz erfüllte ihn die kleine Rose, die den mittleren Pfahl durchbrach. Die warmen Temperaturen, sogar zu fortgeschrittener Stunde, ließen kleine Schweißperlen auf seine Stirn treten, sodass das schüttere schwarze Haar an seiner hohen Stirn kleben blieb. Die Arm- und Beinschienen waren blank poliert und geölt. Die einsetzende Abenddämmerung ließ den blanken Stahl golden glänzen. Der Ritter hatte den schweren Anderthalbhänder in der Hand, eine Hand am Griff, die andere an der mit Metallband umwickelten Fehlschärfe. Das Einhandschwert, das er sonst, wie alle Vertreter seines Standes, als Seitenwaffe trug hatte er abgeschnallt. Die schwarze Lederhose saß trotzdem fest gegürtet und er überprüfte den Sitz noch einmal gründlich, um auf jeden Fall zu vermeiden, dass ihm seine Kleidung im Weg sein würde. Nachdem er sich der Passung all seiner Ausrüstung versichert hatte, sprach er ein kurzes Gebet an PRAios, RONdra und BORon. Wer genau hinsah konnte sehen, wie sich seine Lippen stumm bewegten. Mit dem Schutz der Götter würde er das Duell für sich entscheiden können. Der Beistand aus Alveran verschaffte ihm innerliche Ruhe. Fokussiert und ohne jeden Zorn schritt er in die Mitte des Kreises, den Aureus und der Herr von Henjasburg geschaffen hatten. Götterfürchtige 12 Schritt im Durchmesser - und nur vernünftig, denn einen Kollateralschaden durfte es auf keinen Fall geben. Lares blickte auf und nickte seiner Kontrahentin, dann den beiden Schiedsrichtern zu. Nun wurde es ernst.

Auch der Altenweiner trat nun in die Mitte des Kampfplatzes und begrüste die beiden Kombattanten. Dann prüfte er Waffen und Rüstungen der Beiden, wobei er darauf achtete, dass die Umstehenden, diese Prüfung sehen konnte. Nachdem er alles für gut befunden hatte, nickte er den Duellanten zu. Dann räusperte er sich und hob die Stimme: “Wer mich noch nicht kennt, ich bin Aureus Praioslaus von Altenwein, Junker von Altenwein und Gründungsmitglied des Schwurbundes nach Vorbild des Heiligen Orgil. Ich bin heute Schiedsrichter dieses Duells. Mir zur Seite steht Seine Hochwürden Karolan von Henjasburg, Hüter des Raben zu Herzogenfurt. Die Duellanten sind Seine Wohlgeboren Lares von Mersingen, er ficht für sich selbst, sowie die Hohe Dame Alana Tharvuna von Altenberg, sie ficht für die Edle Dame Durinja Elva von Altenberg zukünftige vom Traurigen Stein. Da es hierbei um eine ernste Schmähung geht, ist dies ein Duell aufs zweite Blut. Für diejenigen, die mit den Duellregeln nicht vertraut sind, das bedeutet, der Kampf dauert so lange, bis einer nicht mehr kann oder aufgibt. Vereinbart wurden: das Tragen von Rüstungen, als Waffe: der Anderthalbhänder, Ort und Zeit: hier und jetzt. Magie und Schußwaffen jedweder Art und Form sind verboten. Ebenso die Einmischung Dritter, mit Ausnahme der Schiedsrichter, falls ihnen regelwidriges Verhalten gewahr wird. Wer seine Waffe verliert, darf diese wieder aufheben, wer seine Waffe zerbricht oder sich selbst schwer verletzt hat verloren. Sind die Duellanten mit den gegebenen Regeln einverstanden und sich der Konsequenzen bewußt?” Er schaute sowohl die beiden Kämpfer, als auch Durinja an. “Jawohl”, erwiderte Lares unmittelbar. Auch Durinja und Alana nickten.

Während der Vorstellung der Kombattanten blickte Linnart doch etwas interessiert in das Rondeau. Er hatte so ein Duell im Sinne Rondras ja noch nie gesehen. War es wie ein Übungskampf bei ihnen im Kloster? 'Bis einer aufgibt', es hörte sich so an. Auch dort wurde er als Zögling und Knappe des Öfteren ziemlich hart verprügelt. Inzwischen wusste er sich zu wehren und stand seiner eigenen Lanze vor. Ehrenhändel wie dieser waren von Beginn seiner Ausbildung an verpönt. Der Abt des Klosters hatte sogar eine sehr rigorose Meinung und bezeichnete diese als 'Beschäftigungstherapie für Adelige, die sich sonst auf Burgen und in Lustschlössern ihre Hintern breit sitzen.' Der Traurigsteiner zuckte mit seinen Schultern. Er wünschte keinem der beiden Kämpfern etwas Böses - auch Lares nicht. Er war ein Sünder, ja, doch sollte er diese Schuld durch Selbsterkenntnis, Beichte und Buße von sich waschen und nicht … so. Linnart lehnte sich wieder an die Brüstung. Insgeheim war er froh, dass Durinja sich Ringard an ihre Seite holte. Er würde bei diesem Anlass nur ungern im Mittelpunkt sitzen. In seinem inneren Auge sah er heute noch seinen Ausbilder mit dem Rohrstock, den er als Heranwachsender so oft spüren musste. Ja, der Rohrstock wäre die Strafe dafür wenn er als Knappe solch einem Anlass beigewohnt hätte. Äußerlich unbeteiligt wirkend, aber doch interessiert wartete er auf den Kampf.

Nun musste Doratrava doch wieder schlucken. Bis einer … oder eine … aufgibt oder nicht mehr kann! Das heißt, es würde nicht mit ein paar belanglosen Schlägen getan sein, und bis einer der beiden aufgab, hatte sicher auch der andere Verletzungen erlitten, es sei denn einer oder eine war dem oder der anderen haushoch überlegen. Das hoffte Doratrava zwar, aber wissen tat sie es natürlich nicht, und auch dem besten Kämpfer konnte ein blöder Zufall zum Verhängnis werden. Und keine EInmischung Dritter. Aber falls es doch ernst wurde für Alana … wie sollte sie denn da einfach nur herumstehen und nichts tun? Sie begann erneut, an ihren Fingernägeln zu kauen. Dann fuhr er fort: “Im Namen der Zwölfe, Rondra voran, grüßt Euch und zeigt uns einen ehrenvollen Zweikampf.” Er schritt nun wieder an seine Position am Rande des Zirkels und drehte sich zu den Kämpfenden. Dann hob er seinen rechten Arm und wartete, bis das Gemurmel im Publikum verstummt war, ließ den Arm sinken und rief: “Beginnt!” Die ganze Zeit schon hatte sie die Hand Durinjas gehalten, oder eher sich selbst im Angesicht des Bevorstehenden an diese geklammert. Ringard wusste selbst nicht, wie ihr geschehen war, als sie sich auf einmal nicht nur am Rande des Geschehens, sondern in bester Sichtposition zum anstehenden Duell, unmittelbar neben ihrer angehenden Schwägerin gefunden hatte und somit natürlich aller neugieriger Augen ausgesetzt war, zumindest so lange diese noch nicht auf das Kampfgeschehen gerichtet waren. Der Eindruck, den sie auf die umstehenden Massen machte - oder machen half - war ihr aber in diesem Moment, in all ihrer inneren Unruhe, ganz einerlei. Denn jetzt war es so weit. Der Kampf war eröffnet. Ein Beben der Aufregung schüttelte den hageren Leib der jungen Dame, und Durinja spürte jäh den schmerzhaften Druck der um die ihre gelegten Hand, die eben noch so zart anmutete. Oh wie sehr Ringard hoffte, ja wie sie betete, dass es nicht so gehen möge wie in den tragischen Novellen oder Versromanzen, in denen solche Duelle oft lange und blutig hin und her wogten, der Held zunächst schwere Treffer und Verletzungen hinnehmen musste, ehe er am Ende mit letzter Kraft doch noch obsiegte - und das zuweilen nur, um danach in den Armen der Geliebten, deren Ehre gerettet war, sein Leben auszuhauchen, in Liebe den Weg über das Nirgendmeer anzutreten und schließlich gen Alveran aufzusteigen. Ja, hier ging es nur aufs zweite Blut, versuchte sie sich zu beruhigen. Aber konnte in einem verbissen geführten Kampf nicht ein unglückseliger Treffer den schmalen Grat zwischen der Kampfunfähigkeit und einer tödlichen Verletzung überwinden? Sie wollte gar nicht daran denken… Hoffentlich gab einer der beiden, am besten der Mersinger, rasch auf... Ob Durinja ebenso litt wie sie? Oder schmerzte inzwischen nur ihre Hand?

Sehr schön. Um Aureus musste man sich keine Sorgen machen, der war an sicherer Stelle und Sina meinte, bereits ihre ausgleichende Wirkung auf den Junker zu spüren. Umso genervter war, wen wundert es, Linnart. Sina meinte, zu ahnen, was ihm missfiel. “Hoher Herr, warum sitzt Ringard bei Eurer Zukünftigen und streichelt ihr die Hand und nicht ihr? Das dürft Ihr doch. Es würde ihr vielleicht gefallen. Und den Leuten auch.” "Das musst du meine Zukünftige fragen …", meinte der Angesprochene trocken, "... wiewohl ich froh darüber bin … bei solch einem Anlass nicht erste Reihe fußfrei sitzen zu müssen. Ich habe ihre Rechte und ihr redliches Anliegen vor den unflätigen Versuchen des Eisensteiners verteidigt, der anscheinend hierher kam, um einen der Kombattanten zu bemuttern und Zweifel zu säen. Das ist nun ihre Sache - ich heiße es nicht gut, doch ist auch das ihr Recht." Linnart rollte kurz und kaum vernehmbar mit seinen Augen. "Wenn meine Verlobte meinen seelischen Beistand benötigt, bin ich gerne im Anschluss an diese Zusammenkunft bereit, ihr diesen zu gewähren. Das ist nur gut und richtig so." Der Blick des jungen Mannes lag für einen Moment auf Durinja und Ringard … wie verletzlich die Altenbergerin gegenwärtig wirkte - ganz anders, als er sie kennen und schätzen lernen durfte. Dann wandte er sich wieder zurück zu Sina. "Du kannst dich jedoch hinter sie stellen und ihr den Rücken stärken. Es würde ihr wahrscheinlich sehr viel Kraft schenken, dich auf ihrer Seite zu wissen. Meinst du nicht?"

Sie lächelte unbedarft und tätschelte seine Schulter. “Aber nein. Sie ist doch eine so starke Frau, die für sich selbst sprechen kann. Sie braucht keine, Die sie kaum kennt.“ Nachdenklich betrachtete sie die Szenerie. Sie erinnerte sich an Ihrer Hochgeboren, Domna Richeza Aldonada von Kornkammer-Scheffelsteyn y da Vanya. Eine Adlige, die in Sinas Kindheit berüchtigt für ihre Freude an Duellen war. Ein Duell war eine spannende Sache. “Der Wein ist leer. Lass uns flugs Neuen holen. Wir wollen den Kampf doch nicht verpassen.” Sina überlegte kurz, nach welcher Formulierung der geringste Redeschwall seltsamer Phrasen folgen würde. “Wer, deiner Meinung nach, wird gewinnen. Nur deine Meinung, nicht viel Drumrum, wer es nötig hat, und wer nicht.” "Jede mündige Frau und jeder mündige Mann von Stand kann für sich selbst sprechen. Wir sind doch keine Leibeigenen." Er schüttelte sein Haupt. "Bedenklich, dass hier der Gedanke kursiert, dass Adelige, die nicht unter Waffen stehen zugunsten von Waffengeklirr zu schweigen hätten. Rondra ist dem Adel wohl zu sehr in den Kopf gestiegen." Linnart seufzte. "Wer gewinnt. Das ist eine gute Frage. Zwar eine, der ich nicht viel Wert beimesse, doch dennoch schwer zu beantworten. Die Ritterin Alana ist bestimmt die bessere Kämpferin. Sie hat Erfahrung, ist kampferprobt und gestählt. Der Mersinger auf der anderen Seite ist wohl noch grün hinter den Ohren. Wie lange ist der Ritter? Einen Götterlauf? Diente er schon einmal an einer Front? Er ist schwer einzuschätzen, doch hat er bestimmt eine Waffe gewählt, von der er glaubt, dass sie ihn bevorzugt. Wir werden es sehen. Was meinst du?"

“Nach Augenschein muss es Alana sein. Es verwirrt mich nur, dass Wohlgeboren von Anfang an einem Kampf zugestimmt hat. Er hätte auch gegen dich gekämpft, nicht wahr? Was macht ihn so sicher?” Linnart schüttelte sein Haupt. "Ich denke nicht, dass er sich sicher ist zu gewinnen. Das wäre töricht und würde ihn nur unkonzentriert in den Kampf schreiten lassen. So schätze ich ihn nicht ein. Es ist wohl eher krankhaftes Ehrgefühl, das ihn treibt. Hochmut, Selbstverliebtheit. Du hast ihn vorhin gehört; ein Eingeständnis seiner Schuld, gefolgt von einer Entschuldigung wäre ihm nie über die Lippen gekommen. Das Duell hier fällt ihm wohl leichter und mag ihn vor dem Pöbel rehabilitieren, ob er nun siegt oder nicht. Vor Praios jedoch bedeutet das gar nichts." Setzte er mit bedauerndem Ton hinzu. “Hm.” Das war knapp gewesen. Gut, dass er müde war, Sina hatte wenig Lust auf weitere Ausschweifungen und Belehrungen zu Praios oder Ehre und so weite. “Ja. Gut so. Lass uns Wein holen.” Reden war Silber, Schweigen war Gold. Trotzdem. “Was, wenn Lares gewinnt? Wird sie es hinnehmen oder zieht es sich in eine zweite Runde?”

Er hob seine Schultern. "Dann muss sie es wohl hinnehmen. Das ist das Risiko, welches sie nun trägt." Linnart verdrängte weitere Gedanken an diesen Anlass und sah auf die leere Weinflasche. "Du willst jetzt Wein holen? Während des Kampfes? Bis wir zurück sind hat sich der Auflauf wohl schon wieder aufgelöst." “Meinst du? Das wäre Schade.” Unschlüssig stand Sina da. Das Ende wollte sie nicht verpassen. “Hier, bring du uns was. Das schaffst du schon.” Sie drückte Linnart die Flasche in die Hand und schob ihn auffordernd. Der lachte auf. "Nein ... vergiss es, Sina"

Während sich alle auf die Kampfvorbereitungen konzentrierten, verschwand Marborad in den Schatten hinter dem Uhlenturm. Er achtete darauf, dass kein Mensch ihn beobachtete, während er sich die Schuhe auszog und sich barfuß auf die Erde stellte. Dann zog er eine der geschwärzten Nadeln aus seinem Haar und stach sich in den Finger. Nachdem er sich einen großen Tropfen seines Blutes herausgepresst hatte, konzentrierte er sich auf die große Mutter und verteilte das Blut auf seinen Lippen, in seinem Haar und auf seiner Brust. Die Kraft der Mutter durchströmte ihn augenblicklich, kleine Fältchen glätteten sich, das Haar wirkte kräftiger, die Augen strahlten und die Haut wurde weicher. Kurzum er wirkte nun noch anziehender, als zuvor. So gerüstet streifte er den Dreck von seinen Füßen, zog die Schuhe wieder an und begab sich zur improvisierten Arena. Dort steuerte er direkt auf Durinja zu. “Edle Dame ist hier noch frei?”, fragte er mit einem schelmischen Grinsen und setzte sich auf den Schemel zu ihrer Linken, noch bevor sie antworten konnte. “Eine Schande, was dieser Mersinger Euch da angetan hat. Seid versichert, Ihr habt mein tiefstes Mitgefühl. Kann ich Euch irgendetwas Gutes tun?”

Deren Verlobten war das Auftauchen dieses Höflings nicht entgangen. Was der wohl vor hatte? Bloßer seelischer Beistand, oder war da mehr im Busch? Linnart zuckte mit seinen Schultern. Egal was es war … die Tatsache, dass er es hier und jetzt tat, zeigte dem Traurigsteiner, dass wohl keinerlei Gefahr - für was auch immer - von ihm ausging. Gab es einen ungeeigneteren Zeitpunkt? Es war dem Ritter klar, dass Durinja eine Frau war, die solche Männer anzog wie das Licht die Motten. Deshalb maß er dieser Situation nicht wirklich viel Wert bei, nahm einen Schluck vom Wein und blickte auf das Rondeau. Durinja war mehr als überrascht, als sich der Höfling zu ihr setzte. Sie kannte ihn von der Brautschau, doch erst jetzt fiel ihr auf, wie attraktiv dieser war. Ihr Blick klärte sich kurz und sie begrüßte ihn mit einem Lächeln. Die Situation in der sie sich befand, vergass sie allerdings nicht. Kurz kam ihr der Gedanke, dass der Dachswiesner auch eine gute Partie gewesen wäre, doch schallt sie sich gleich. Linnart war deutlich besser und versprach ein aufregendes Leben, auch wenn der Höfling deutlich hübscher war. Und wie so oft, je attraktiver der Mann, desto wahrscheinlicher war es, das er auf das eigene Geschlecht stand. “Setzt euch ruhig, hoher Herr. Eine starke Seite bei uns zu wissen, ist beruhigend.”, sagte sie freundlich.

Obgleich Ringard in diesem Moment an und für sich weder Augen noch Nerven für die Reize des anderen Geschlechts haben sollte und eigentlich auch hatte, musste sie dennoch feststellen, dass sich dieses Bild von einem Mann mehr als nur sehen lassen konnte. Überreich war jener mit Schönheit und Ausstrahlung beschenkt worden, doch ahnte die junge Dame auch, dass diese Gabe nicht nur natürlich Bestand hatte, sondern auch eifrig - oder eher eitel - gehegt, gepflegt und unterstützt wurde. Und nicht nur im äußeren Erscheinungsbild des Dachswiesners steckte Zielgerichtetheit, nein, auch in seinem Auftritt hier, das sagte Ringard ihr Bauchgefühl. Was er nur wollte? Grundgütige Mutter, starrte sie diesen etwa gerade an?!, ertappte sie sich erschrocken selbst und richtete ihren Blick und ihre darob erröteten Wangen ruckartig wieder auf den Duellplatz. Ihre Hand verblieb aber auf der Durinjas, und ihre Ohren waren gespitzt. “Ihr schmeichelt mir, Edle Dame. Sagt, mögt Ihr mir nicht Eure reizende Begleiterin vorstellen, schließlich hatte ich leider nicht das Vergnügen mit ihr tanzen zu dürfen.” Durinja drehte sich leicht zu ihrer zukünftigen Schwägerin. ”Ringard. Ringard von Tannenfels.” sagte sie kurz. Diese nickte Marborad lächelnd und sichtlich geschmeichelt zu. “Es freut mich Eure Bekanntschaft machen zu dürfen, Ringard von Tannenfels. Mein Name ist Marborad von Dachswies.” Der Edle lächelte sie an und betonte ihren Namen leicht nachdenklich, als versuche er sich den Klang der Silben einzuprägen. Am Ende zwinkerte er ihr zu. Es bereitete ihm außerordentliche Freude zu sehen, wie das Mädchen rot anlief. Schließlich bedeutete es nur, dass er seinen Charme noch besaß und die Mutter mit ihm war. Dann wandte er sich wieder Durinja zu. “Ihr seid meiner Frage ausgewichen, meine Liebe”, sagte er in leicht tadelndem Tonfall und zog einen Schmollmund.

Besaßen ihre Wangen bereits zuvor eine mehr als gesunde Farbe, wurden sie auf das Zwinkern Marborads hin nahezu leuchtend rot, und Ringard konnte nur mühsam ein heraufdrängendes Kichern unterdrücken. “Die Freude ist ganz meinerseits.” entgegnete sie lächelnd, mit einem unschuldigen Augenaufschlag. Geplänkel, das war ihr bewusst, aber von einer außerordentlich charmanten Art… Das eigentliche Ziel des Edlen aber war Durinja, und sie selbst war mehr als neugierig, was er im Sinne hatte. “Wenn ihr weniger Lächeln würdet, könntet ihr so den Ernst der Situation nicht missverständlich erscheinen lassen.” Auch wenn sie sehr angetan ob der Aufmerksmankeit des Edlen war, war das hier der falsche Moment für einen Flirt. Durinja holte tief Luft und konzentrierte sich wieder auf das Geschehen. Marborad stutzte. Normalerweise verlangte man von ihm mehr zu Lächeln und nicht weniger. “Ihr habt recht. Dies ist nicht der Moment für Heiterkeit, oder ein freundliches Wort. Aber das werdet ihr gleich selbst feststellen. Ich werde Euch nicht weiter in Eurer `Kontemplation`stören. Ich empfehle mich.” Marborad erhob sich, dann machte er noch einen Kratzfuß vor Ringard. “Es war mir eine Ehre. Vielleicht sieht man sich mal wieder.”

Einerseits hatte Durinja nicht völlig unrecht - Ort und Zeit erschienen ohne jeden Zweifel unpassend für Geplänkel der eher leichten Art - selbst wenn es nur vorgeblich darum ging - vor allem dann nicht, wenn es die eigene Ehre war, um die hier gefochten wurde. Die Zurückweisung Marborads klang in Ringards Ohren dennoch recht brüsk - aus dem Munde ihrer Baronin hätte sie einen derartigen Ton vielleicht erwartet, nicht jedoch aus dem einer Hofdame aus dem Süden des Herzogtums. Sicher lag es daran, ja, das musste es wohl, dass Durinja innerlich aufgewühlter war, als man ihr äußerlich angesehen hätte. Ringard versuchte, den harschen Eindruck ein wenig zu mildern, in dem sie Marborad zunickte und ein scheues Lächeln schenkte. "Die Ehre war ganz meinerseits. Ein andermal wird sicher mehr Gelegenheit für ein heiteres Gespräch sein." ´Schade´, dachte Durinja bei sich. Doch ein Mann ohne Rückgrat und Sinn für Situationen langweilte sie eh. Zumindest hatte Marborad nicht lange gebraucht, um ihr zu zeigen wer er war. Sie zwang sich ihm nicht hinterher zu sehen. Nun galt es ein Duell zu sehen. Ihre Hand drückte Ringards fester.

Verdrossen schaute Durinjas Vater Tassilo auf den Schauplatz. ´Tse,tse, na wenn meine kleine Füchsin sich da nicht verrannt hat´. Er zog zwei Zigarillos aus der Tasche und reichte eine der Zofe Melisande. Noch immer standen die beiden im Schatten des Turms. Seit langer Zeit wartete er darauf, dass seine Tochter endlich vom Listigen, dem Gott der Nacht Phex, erkannt wurde. Aber wie es schien, war das heute nicht der Tag. Der sich um den Turm schleichenden Höfling Marborad entging ihm auch nicht. “Na da kann aber einer nicht an sich halten.”, sagte er zu Melisande misstrauisch und deutete auf Marborad. Melisande nahm den Zigarillo gerne an, während sie über Tassilos Bemerkung über seine Tochter nachsann, aber als der Advocatus auf Marborad hinwies, machte sie unwillkürlich einen Schritt tiefer in die Schatten und verzichtete vorerst darauf, sich den Glimmstängel anzünden zu lassen. “Was macht der denn hier?” zischte sie Tassilo leise zu. “Kennt Ihr ihn näher?” Tassilo verneinte. “Wahrscheinlich will der nur ´Wasser lassen´”, sagte er vorsichtig, hörte sich aber nicht überzeugend an.

Halb belustigt, halb skeptisch ob der Antwort Tassilos hob Melisande eine Braue, blieb aber im Schatten und sah den Höfling bei seinem seltsamen Tun zu, soweit sie es im Schatten des Turmes erkennen konnte. Allerdings war das nicht viel. Es sah aus, als ziehe er die Schuhe aus, dann machte er etwas mit seinem Gesicht, seinen Haaren und seiner Brust und dann zog er die Schuhe wieder an. Definitiv kein Wasser lassen. Nun schritt er zu Durinja, um sich neben diese zu setzen. Erneut sah Melisande Tassilo fragend an. Dieser hatte den Höfling nicht mit den Blicken gefolgt, sondern hatte die anderen Zuschauer im Blick. “Und?” fragte er dennoch, als er ihren fragenden Blick sah. “Eure Tochter scheint diesen Herrn von Dachswies offenbar doch besser zu kennen?” präzisierte die Zofe die Frage in ihrem Blick. “Oder dieser will sich anbiedern. Warum auch immer.” Den mittlerweile begonnen Kampf nahm Melisande nur beiläufig wahr. Es war nicht das Geklirr der Schwerter, welches sie hierher gezogen hatte, zumal sie mit einem solchen auch überhaupt nicht gerechnet hatte. “Da vertraue ich ganz eurer Worte, Melisande. Es scheint übliches Höflingsgeplänkel zu sein. Oder?”

“Mag sein”, antwortete die Angesprochene mit hochgezogenen Brauen und etwas zweifelndem Tonfall. In diesem Moment fiel Alana zu Boden und der Mersinger kurz danach ebenfalls, was sie von Marborad ablenkte. “Seht, der Kampf ist entschieden. Nanu, wer wohl jetzt gewonnen hat?” Überrascht zog der Advocatus die Augenbrauen hoch.

Alana spürte wie ihr der Schweiß den Rücken runterlief, der schwülwarme Abend des Rahjamondes hatte noch nichts von einer Frische verkünden lassen. Mit ihren 170 Halbfingern war die Ritterin nur unwesentlich Größer als der Mersinger. Er war jung und sie hatte wesentlich mehr Jahre am Schwert. Abschätzig schaute sie rüber. ´Na dann beenden wir dieses Schauspiel schnell.´ ging es ihr durch den Kopf. Sie legte ihre Hände fest um den Griff ihres Anderthalbhänders, ein Geschenk ihrer Schwertmutter Thalina von Sturmfels-Maurenbrecher, Edle von Hlutharsruh. Mit einem stummen gebet an Rondra auf den Lippen ging Alana langsam auf Lares zu. Auch dieser setzte sich in Bewegung. Sie zählte darauf das auch der Ritter denselben Fehler macht, wie die meisten Gegner, die sich ihr stellten. Aufgrund ihre Größe und ihren schlanken Körperbau wurde sie oft unterschätzt. Auf halben Weg rannte sie los und setzte all ihre Kräfte in Bewegung. Inbrünstig hoffte sie, dass eine Kraftdemonstration ausreichen würde, das der Grünschnabel freiwillig aufgab. Alana bemerkte den überraschten Blick des Mersingers und legte, mit einem wütenden Schrei, all ihre Kraft in die Wucht ihres Schlages. Die Klingen klirrten.

Lares hielt zunächst dagegen, doch das Momentum hatte er so nicht erwartet. Er spannte alle Muskeln im Leib an, als plötzlich die Wunde im Bauch, die ihm der widerwärtige Bäckerpruch vor einem Mond geschlagen hatte, anfing, zu zwicken. Zunächst nur schwach, dann immer stärker. Der Schmerz ließ ihn nachgeben. Verdammt! Das war ein ganz schlechter Zeitpunkt! Der nachgebende Gegendruck verriet Alana, dass sie erreicht hatte, was sie wollte. Die Waffe des Mersingers glitt ihm aus den Händen und fiel zu Boden. Gerade noch konnte Lares unter der herabsausenden Waffe durchtauchen, als sein Widerstand endlich brach. Für einige Augenblicke schloss die Ritterin ihre Augen und verharrte in ihre Position. Mit einem herausfordernden Grinsen, wartete sie bis Lares seine Waffe wieder aufhob.

Doratrava blieb die Luft weg, als Alana so plötzlich auf ihren Gegner zurannte. Doch sie hatte gar keine Zeit, auf unüberlegte Gedanken zu kommen, schon klirrten die Waffen aufeinander, und als das Schwert des Mersingers zu Boden fiel, entfuhr ihr ein lauter Schrei. Das Alana nicht die Schwächste war, hatte sie ja schon am eigenen Leib erfahren dürfen. Mit einem “Jaaa!” warf sie die Arme in die Luft und freute sich schon, dass gleich alles vorbei war, doch dann hielt sie verwirrt inne, als Alana verharrte und den Mersinger das Schwert wieder aufheben ließ. Nanu? Man ließ einem Gegner doch nicht die Gelegenheit, sich wieder zu bewaffnen, wenn er schon geschlagen war! Das waren bestimmt wieder irgendwelche komischen Regeln, die etwas mit Ehre und Adel zu tun hatte. Enttäuscht ließ die Gauklerin die Arme wieder sinken. Verdammt, jetzt war der Ritter gewarnt, noch einmal würde er sich sicher nicht so einfach entwaffnen lassen. In einer für sie ebenso unbekannten wir verstörenden Mischung aus Angststarre und grausiger Faszination verfolgte Ringard gebannt den ersten Angriff Alanas. Am liebsten hätte sie die Augen kurz vor dem krachenden Aufeinandertreffen der Kontrahenten geschlossen oder abgewendet, aber sie konnte ihren Blick nicht vom Kampfgeschehen lassen. Jawohl! Bereits mit dem ersten Streich entwaffnet - der Mersinger musste doch wohl spätestens jetzt seine Unterlegenheit einsehen und aufgeben! Ringards Hoffnung auf einen glimpflichen Ausgang des Duells wuchs... Oh nein, er schickte sich doch an, sein Schwert wieder aufzunehmen. Wie konnte man nur so verbohrt sein?

Lares musste die Taktik wechseln. Er sammelte den Anderthalbhänder ein. Die Ritterin durfte ihre Stärke und ihre Masse nicht ausspielen dürfen. Lares hatte dennoch einen Vorteil Alana gegenüber: Er war schnell, wendig und ausdauernd. Er würde sie zunächst auf Abstand halten und dann ihre Nähe suchen müssen. Der Mersinger reckte die Waffe der Ritterin entgegen und fing an, mit Seitwärtsschritten den Duellkreis zu umrunden. “Na kommt schon, worauf wartet Ihr? Ein zweites Mal mache ich es Euch nicht mehr so leicht!”, forderte sie Lares mit einem Winken auf, wieder Anlauf zu nehmen. Alana tat ihm den Gefallen. Sie hatte vor, dem Junker Vernunft beizubringen und ihn die Hammerfaust einer echten Kämpferin spüren zu lassen. Kopf voran nahm sie erneut Anlauf und versuchte, die Distanz, die der Mersinger aufgebaut hatte, zu überbrücken. Lares sah ihr direkt in die Augen und tat so, als ob er den Angriff direkt beantworten wollte. Alana führte das Schwert über Kopf und ließ es auf Lares mit voller Wucht herabsausen. Doch der berührte das Schwert im richtigen Moment mit seiner Klinge, sodass der Schlag einige Finger fehl ging und neben ihn in den Boden des Stadtplatzes einschlug. Funken spritzten davon. Der Mersinger nutzte den Schwung, den er durch das Ableiten des Schlages mitnahm und drückte seine Klinge über der Waffe seiner Kontrahentin mit aller Kraft nach oben, um Alana die Fehlschärfe und den Knauf seiner Waffe vor den Kopf zu zementieren. Doch Alana kannte diesen Kniff. Statt sich überraschen zu lassen, griff sie an der Waffe um, sodass die Spitze der Klinge direkt in den Boden zeigte und verkeilte ihre Parierstange in Lares’ Waffe. Die Klingen verhakten sich und die beiden Kontrahenten standen sich Gesicht an Gesicht gegenüber. Lares verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. Nur wer genau hinsah konnte erkennen, dass sich auf seinem Wappenrock knapp über der Hüfte ein kleiner roter Fleck abzeichnete. "Oh nein!" entfuhr es Ringard, in der Nähe gut vernehmbar, und ihr Herz blieb beinahe stehen, als sie den Einschlag in Alanas Gesicht erwartete. Ganz unwillkürlich rückte sie näher an Durinja heran. Verdammt, im Mersinger steckte nicht nur Eifer, sondern auch noch Kampfgeschick und jede Menge Leben. Auch wenn Alana dessen Manöver offensichtlich durchschaut und noch abgewehrt hatte, wuchs die Beklemmung in Ringard, dass das ganze kein Selbstläufer würde - und wenigstens für eine Seite dumm ausgehen könnte.

Wie gebannt starrte Doratrava auf den Kampf. Als die Parierstange von Lares’ Schwert auf Alanas Gesicht zuflog, hatte sie das Gefühl, es wäre ihr eigenes Gesicht. Ohne ihr bewusstes Zutun ruckte ihr Kopf zur Seite, als müsse sie wirklich der Waffe ausweichen. Sie blinzelte verwirrt, als Alana den Hieb parierte. Linnart hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete den Kampf mit einer Mischung aus Amüsement und Interesse. In der Schlacht wären die Tage des Mersingers gezählt gewesen, doch musste er ihm auch Anerkennung dafür zollen, dass ihn dieser erste Rückschlag nicht wanken ließ. Alles in allem fühlte sich der Bannstrahler etwas in der Zeit zurückversetzt. Das hatte schon auch ein bisschen was von den Kämpfen zwischen ihm und Bruder Praioswulfus am Ende seiner Ausbildung - wobei der Ausbilder dabei Alanas Rolle einnahm und Linnart jene des Mersingers.

Geschickt stieß sich Alana wieder von Lares ab, dabei ein lautes und wütendes Stöhnen von sich gebend. Ihr Plan war nicht aufgegangen und nun spürte sie wie ihr die Kraft fehlte, die sie in ihren Angriff gelegt hatte. Mit gesetztem Schritt wollte sie Abstand zwischen ihn und sich bringen, doch der Junker setzte gleich hinterher. Seine Klinge zielte auf ihren Bauch und sie zog den Anderthalbhänder mühsam hoch, um seinen abzuwehren. Ihr Körper war jetzt klitschnass vom Schweiß. Der Ritterin gelang es, den Hieb abzulenken, doch waren ihre Bewegungen jetzt schon ein wenig zu langsam. Innerlich musste sie zugeben, das ihr Herbst-und Frühlingstage am liebsten für einen Kampf waren. Erst jetzt bemerkte sie, das die Spitze von Lares Waffe ihre linke Schulter geritzt hatte. Nochmals sammelte sie innerlich ihre Kräfte und setzte sogleich zum Gegenschlag an.

So eine Rüstung mochte ja schützen, aber dennoch war sie ganz offensichtlich schwer. Doratrava sah, dass die Bewegungen Alanas bereits erlahmten. Nach diesem kurzen Schlagabtausch? Sie hatte wohl mehr Kraft in den ersten Angriff gesteckt, als man als Zuschauer sehen konnte. Erneut hielt Doratrava die Luft an, als das Schwert des Mersingers über Alanas Schulter fuhr. Ihr Bauch kribbelte, ihre Hände, sie konnte sich kaum zurückhalten. Unterbewusst nahm sie wahr, dass ihre Magie floss, so dass sie schneller sein konnte als ein normaler Mensch, was sie in gefährlichen Situationen schon öfter gerettet hatte, aber im Moment achtete sie kaum darauf, sondern versuchte sich krampfhaft zu beherrschen. Nun hatten beide jeweils einmal Blut vergossen. Der nächste Schlag mochte entscheiden. Luzia hoffte, niemand mochte sich allzu sehr verletzen. Das würde den Skandal nur noch mehr in die Öffentlichkeit tragen.

Obgleich der Schwertkampf nicht Ringards Welt war, verstand sie ‘dank’ ihrer Mutter und Brüder sowie einiger, inzwischen schon länger zurückliegender Übungskämpfe zwischen diesen, die sie mehr oder eher minder interessiert verfolgt hatte, doch gerade noch genug davon, um zu erkennen, dass Alana von Altenberg abbaute, und auch die kleine Schulterwunde der Ritterin entging ihr nicht. Ihre Befürchtungen schienen im Beginn ihrer Bewahrheitung. Nein, bitte nicht weiter! Warum nur durfte - und wollte - Durinjas Verlobter nicht selbst für seine zukünftige Gemahlin streiten? Obwohl sie Alana kaum kannte, hatte sie in diesem Moment Angst um diese und zitterte darum, dass diese nicht im selbstlosen Kampf für die Ehre ihrer Anverwandten schwereren Schaden davontrug. ´Stark begonnen und noch stärker nachgelassen´, befand Linnart in Gedanken über den Auftritt der Ritterin. So früh die Oberhand zu haben und sich dann die Butter vom Brot nehmen zu lassen, dürfte einer Frau mit ihrer Erfahrung normalerweise nicht passieren - noch dazu gegen einen Jungritter. Solcherlei Fehleinschätzungen waren im Ernstfall tödlich und sie schien auf ihn nicht unbedingt ein Grünohr zu sein. Zu früh zu viel zu wollen war jedoch ein Anfängerfehler - oder war es weil sie ihren Gegner unterschätzte? Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Der Bannstrahler fand es interessant zu beobachten und fühlte nun ebenfalls ein Kribbeln in den Fingern. Doch waren Vorgaben von Ordensoberen eben auch Gesetz und alleine seine gegenwärtigen Gedanken an ein Duell waren bereits eine Sünde.

Alana hieb noch einmal nach dem Mersinger. Sie setzte einen Schlag von rechts, den Lares jedoch mit wenig Mühe parierte. Dann schlug sie erneut zu, doch auch hier brachte er Mersinger seine Klinge zwischen sich und ihren Schlag. Lares war sich sicher, dass der Kampf nicht mehr lange dauern würde. Allerdings war auch der rote Fleck in seinem Wappenrock immer größer geworden. Jetzt war es nicht mehr nur ein Punkt, sondern das Weiß des Wappenrocks war im Bauchbereich heftig besudelt. Das Adrenalin des Kampfes ließ ihn nicht spüren, wie stark die alte Wunde tatsächlich blutete. Der Mersinger beschloss, dass jetzt die Zeit gekommen war, die Initiative zu übernehmen. Er würde seine Gegnerin lehren, dass in ihm ein richtiger Kämpfer steckte. Noch immer die Waffe der Ritterin abwehrend, drückte sich Lares einen Schritt näher an sie heran und berührte mit seiner Schulter ihren Brustpanzer. Er packte mit der linken Hand die Fehlschärfe seiner Waffe und drückte die Klinge in der Parade weiter nach vorne, bis die Waffe unmittelbar auf Alanas Brust zeigte. Jetzt musste er nur noch genügend Druck auf das Schwert seiner Gegnerin bekommen und der Anderthalbhänder im Halbschwert würde ihren Halsbereich bedrohen. Doch Alana erkannte die Gefahr. Die erfahrene Ritterin merkte, dass dieses Manöver sie in ernsthafte Schwierigkeiten brachte und löste sich von dem Mersinger. Lares, dessen Kraft noch nicht nachgelassen hatte, setzte nach und hieb mit zwei schwere Schlägen nach der Altenbergerin. Ersichtlich hatte Alana Mühe, ihre Waffe noch in die Parade zu bekommen. Lares zog den Anderthalbhänder mit aller Kraft nach links oben und ließ die Waffe herabsausen. Im letzten Augenblick, die Schwertspitze des Mersingers schwebte schon über Alanas verletzter Schulter, konnte Alana ihre Waffe zwischen sich und Lares’ Klinge bringen. Kopf an Kopf standen die beiden Kontrahenten da. Alana drückte verzweifelt gegen das Schwert, wissend, dass, sollte sie nachgeben, ihr rechter Arm eine schwere Verletzung davontragen würde. Lares dagegen hatte alle Muskeln angespannt. Die Sehnen in seinem Nacken traten hervor. Er würde das Duell jetzt entscheiden. Mit einem letzten Ruck drückte er Alanas Waffe aus dem Weg, was jedoch auch seine Klinge an ihrer Waffe abgleiten ließ. Er machte einen Ausfallschritt nach vorne und versetzte Alana einen wuchtigen Kopfstoß. Seine Stirn traf ihre Nasenwurzel, die ein unschönes Knacken von sich gab. Die Ritterin riss die Augen weit auf, dann kippte sie ohnmächtig nach hinten. Lares sah seiner Kontrahentin einen Augenblick beim Fallen zu. Dumpf schlug ihr Körper auf dem Pflaster auf. So stand der Mersinger steif in dem Rondell. Der Fleck auf seinem Bauch hatte mittlerweile die gesamte linke Seite rot gefärbt und Blut tropfte auch unter seinem Wappenrock entlang des linken Beins nach unten. Noch bevor Aureus oder der Boroni herbeieilen konnten verdrehte Lares die Augen und fiel wie ein nasser Sack in sich zusammen. Beide Kontrahenten lagen bewusstlos auf dem Boden. Der Kampf war entschieden - ohne einen Sieger.

Mit einem Aufschrei stürzte Doratrava nach vorne. “Alana!” Deutlich hörte man das Entsetzen in der Stimme der Gauklerin, die es schon bei den letzten Schlägen kaum auf ihrem Platz gehalten hatte. Ohne sich um die Zuschauer oder Schiedsrichter zu kümmern, schnellte sie los wie ein Geschoss, als Alana nach hinten zu fallen begann. Ihre Bewegungen verschwammen vor den Augen derjenigen, welche zufällig auf sie achteten oder durch ihren Schrei auf sie aufmerksam geworden waren, und ein Blinzeln später hechtete sie hinter ihre Freundin und konnte gerade noch verhindern, dass ihr Hinterkopf auf den harten Boden knallte, auch wenn deren Rüstung ihr dadurch heftig auf Arme und Brust schlug. Doch die Gauklerin spürte den Schmerz kaum, sie umschlang die Ritterin mit den Armen, streichelte ihr über die schweißnassen Haare und tätschelte ihre Wange. Sie fühlte sich so hilflos. Soweit sie wusste, durfte man jemanden, der etwas auf den Kopf bekommen hatte, nicht schütteln, auch wenn sie alles danach drängte, genau das zu tun, in der Hoffnung, Alana damit aufwecken zu können. Tränen stiegen ihr in die Augen, sie lenkte ihre verschwommene Sicht auf die Umstehenden. “So helft ihr doch!” rief sie verzweifelt. Dass der Mersinger ebenfalls zusammengebrochen war, nahm sie gar nicht zur Kenntnis.

Der Bannstrahler schüttelte seinen Kopf und rollte mit seinen Augen. Dennoch drückte er sich sogleich von der Brüstung ab und begab sich schnellen Schrittes zu den beiden Kombattanten. Die hysterische weißhaarige Frau - wo kam diese denn so schnell her? - bedachte er dabei mit einem Seitenblick. “Bring sie in eine Seitenlage, die ist nur bewusstlos. Wird wieder”, wies er Doratrava an. Der Mersinger war, so zeigte es ihm der große Blutfleck, schlimmer und gefährlicher zugerichtet gewesen. Linnart kniete sich neben den klein gewachsenen Ritter und begann vorsichtig seine Wunde freizulegen. Ein Jahr im Krieg führte dazu, dass man lernen musste Wunden zu versorgen - vor allem wenn man lieber starb als Magie anzuwenden. “Wasser und saubere Tücher …”, blaffte er den verdutzt wirkenden Schaulustigen zu, bevor er sich dem Borongeweihten zuwandte. “Hochwürden …”, auffordernd sah der Bannstrahler zu Karolan hoch, “... er hat viel Blut verloren. Gibt es in der Stadt heilkundige Brüder und Schwestern der Peraine?”

Der Hochgeweihte schaute nur, antwortete aber nicht. Fast schien es so, als ob er abwägen würde, ob Boron nicht seinen Tribut fordern würde. Es war doch jemand anderes der dem Bannstrahler antwortete. Der untersetzte Bruder Durinjas, Amiel, tauchte neben den bewußtlosen Ritter auf. “Keine Sorge. Ich mach das, Tsa ist mit uns.”, sagte dieser bestimmt und hatte bereits Tücher und eine Feldflasche mit Wasser in der Hand. Erst jetzt fiel Linnart die junge Tannenfels auf, die hinter Amiel stand mit einem geöffneten Rucksack. “Ringard, lass die Tasche hier und helfe Doratrava die Ritterin auf die Seite zu legen.” Der Advocatus nickte Linnart kurz zu und, wie es schien, schaute sich die Wunde des Mersingers fachkundig an.

Der Ritter seinerseits nickte seinem Schwager dankbar zu, nicht ohne zuvor dem Boroni einen strengen Blick zuzuwerfen. "Ringard, greife der hohen Dame in den Mund und sieh nach ob ihre Zunge noch dort ist wo sie sein soll", gab Linnart Amiels Verlobter mit auf den Weg, bevor er sich wieder der Wunde des Mersingers zuwandte. Der Altenberger hatte wohl Ahnung von dem was er tat, weshalb der Praiosdiener sich darauf beschränken konnte zu assistieren. Dennoch war das weiß-goldene Ornat des Geißlers bald schon vom Blut des jungen Mannes vor ihnen gezeichnet. Kurze Zeit später, für den Mersinger vielleicht eine Ewigkeit, traf der Hinterwalder ein. “Wie geht es ihm? Kann ich helfen?”, waren seine knappen Fragen, während er sich bereits die Ärmel hochkrempelte.

“Hat viel Blut verloren …”, meinte Linnart knapp. “Ich würde ihn gerne der Obhut von heilkundigen Götterdienern übergeben. Amiel tut was er kann, aber ob das reicht?” Er blickte zum Baldurstolzer hoch. “Traut Ihr Euch zu dem Herrn von Altenberg zur Hand zu gehen? Wenn ja, dann sehe ich kurz nach der hohen Dame Alana. Dürfte bei ihr ja nur eine gebrochene Nase und ein Kratzer sein.” “Natürlich”, er nickte knapp und kniete sich hin, bereit nach Amiels Anweisungen zu handeln. Doch sah er bereits, dass es übel aussah. “Gut”, der Bannstrahler nickte, machte Platz für den Ritter und erhob sich dann um nach Alana zu sehen.

Doratrava nahm ihre Umgebung nur noch wie durch einen Nebel war. Dennoch hatte sie die Anweisung des Bannstrahlers gehört, sie solle Alana auf die Seite legen. Doch schlaff wie die Ritterin war und mit der schweren Rüstung war das einfacher gesagt als getan. Mühsam zog und zerrte die Gauklerin, noch zusätzlich behindert durch die Angst, zu fest zuzugreifen und Alana womöglich noch mehr Schaden zuzufügen. Deshalb war sie dankbar, als sich Ringard zu ihr gesellte. Ringard stockte das Herz, als sie beide Streiter unmittelbar nacheinander zu Boden gehen sah, und ihre Gesichtsfarbe schlug in Leichenblässe um. Wie hoch, wie schrecklich würde der in Blut bezahlte Preis dieses Ehrenhändels ausfallen? Ehe sich das Grauen weiterer Teile ihrer Gedanken bemächtigen konnte, hatte jedoch Amiel sie zu sich gewunken, der den beiden Verletzten zu Hilfe eilte. Jetzt war keine Zeit für Schockstarre, und auch nicht dafür, darüber zu sinnieren, warum ihr Verlobter so gut für die Versorgung von Verwundeten ausgestattet war, wenn doch nur ein harmloser Wettstreit angedacht war. Stattdessen war sie sofort an dessen Seite und versuchte, sich nützlich zu machen. So viel Blut beim Mersinger... aber Amiel und Linnart waren ja bei diesem... sie orientierte sich, wie ihr geheißen, direkt zu Alana. Diese sah inzwischen ebenfalls furchterregend aus: aus der unschön zugerichteten Nase quoll das Blut nur so, und auch die Schulterpartie war zusehends rot eingefärbt. "Komm, pack mit an. Auf drei! Eins, zwei, drei!" Gemeinsam mit Doratrava rollte sie die Ritterin auf die Seite. In ihrem Eifer schien sie gar nicht zu registrieren, wie ihre rechte Hand und ihr Kleid dabei ebenfalls voll Blut beschmiert wurden. Stattdessen befolgte sie Linnarts Rat und zog die beiden Kiefer der Ritterin auseinander. 'Verdammt! Die Zunge war tatsächlich nicht dort, wo sie sein sollte.' "Doratrava. Dorotrava!! Schnell, halt auf." Ringard hatte überhaupt keine Zeit, darüber nachzudenken, was sie tat - schon befand sich ihre Hand im Mund der Altenbergerin und fischte beherzt nach deren in den Tiefen ihrer Kehle verschwundenen Zunge. "Komm... schon... raus!" "Das hätten wir." gab Ringard schließlich keuchend von sich , als Alanas Atem erst röchelnd, doch dann wieder freier einsetzte. Rasch stabilisierte sie die Lage der Verletzten, dann warf sie einen Blick auf die Schulterwunde - unschön, aber nur oberflächlich und daher nicht lebensgefährlich, wenn sie nur rasch gereinigt und verbunden wurde, hätte sie gesagt. Dennoch hoffte sie, dass gleich ein Berufenerer in Ruhe darauf blicken würde. "Das schafft sie! Das schaffen wir!" lehnte sie sich dennoch in Richtung Doratravas aus dem Fenster. Dann sah sie auf ihre Hände, sah all das Blut, das an diesen klebte und wurde sich erschrocken gewahr, wie eng das gerade gewesen war, und was sie selbst in diesem Augenblick getan hatte. Beim Gedanken daran wurde Ringard schwindelig, und sie musste sich erst einmal, wieder ganz bleich, selbst neben Alana seitwärts in den Staub sacken lassen. Sogleich setzte sie sich aber wieder auf - sie hatte ja nach der Verletzten zu sehen, bis diese richtig versorgt wurde.

Während Doratrava zusammen mit Ringard Alana in eine stabile Seitenlage brachte, beruhigte sie sich ein wenig. Tun konnte sie sowieso nichts mehr, ungeschehen machen schon gar nichts. Als Ringard dann zusammensackte, huschte sie zu dem Mädchen und fasste sie um die Schultern. “Alles in Ordnung?” fragte sie besorgt, aber schon deutlich weniger aufgelöst als eben noch. “Und: danke!” Sie drückte Ringard kurz an sich, um sie dann fragend anzusehen. "Ich glaube, schon..." entgegnete diese, mit jetzt matt klingender Stimme, auf die Frage. "Ich habe... sowas... noch nie machen müssen, weißt Du?" fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, ein bisschen nach Entschuldigung klingend, obgleich gar kein Grund dafür vorlag. Nach einem neuerlichen kurzen Schweigen straffte Ringard sich weiter und zwang sich zu einem tapferen Lächeln, das allerdings im Widerspruch zu ihren im Angesicht der nachlassenden Anspannung endlich feucht schimmernden Augen stand: "Aber wichtiger als mein Befinden ist, dass Deine... Freundin..." ihr war keineswegs entgangen, dass da mehr zwischen der Gauklerin und der Kriegerin schwang als eine einfache Bekanntschaft, "...diese Geschichte halbwegs glimpflich übersteht. Wo ich doch direkt so ein schlechtes Gefühl hatte, als es hieß, dass die Waffen sprechen sollten..."

“Ja …” Immer noch sprach Dankbarkeit für die Anteilnahme Ringards aus Doratravas Blick. “Können wir … kannst du noch etwas für Alana tun? Ich … sollen wir ihr die Rüstung ausziehen?” Die Gauklerin hatte keine Ahnung, ob das etwas half, aber sie hatte das Gefühl, nicht einfach still abwarten zu können, bis sich jemand anderes um Alana kümmerte. Diese Durinja … warum schickte diese nicht nach einem Heiler? Alana war schließlich für sie angetreten! Doratrava warf einen Blick hinüber zu der Zofe, dann zu ihrem Verlobten, der sich auch mehr für den Gegner Alanas und damit Durinjas als für Alana selbst zu interessieren schien, dann zu Amiel. Warum halfen alle dem Mersinger und niemand außer Ringard ihrer Freundin? "Du hast Recht, das sollten wir.." nickte Ringard Doratrava zu. "Du hältst sie stabil, und ich löse die Rüstungsteile?" Sie wollten gerade anfangen, da erschien Linnart bei den beiden jungen Frauen. Doratrava musterte er dabei besonders lang und streng.

Was guckte der Bannstrahler so? Hatte sie etwas verbrochen? Sie versuchte doch nur, ihrer Freundin zu helfen. Mit gerunzelter Stirn starrte sie zurück, ihre meerblauen Augen blitzten. Wenigstens kümmerte sich jetzt endlich jemand von Durinjas Partei um deren Streiterin. Linnarts blütenweißer Ornat war vom Blut des Mersingers besudelt und er reinigte soeben seine Hände an einem Tuch. “Wie sieht es aus?”, fragte er und ging dann neben der Altenbergerin in die Knie. “Nase ist gebrochen … nicht weiter schlimm. Um die Schulter genau ansehen zu können muss sie aus der Rüstung raus”, sprach Linnart mehr zu sich selbst und machte sich daran die Frau aus ihrer Rüstung zu schälen - eine Sache, die ihm sonst vielleicht Freude bereitet hätte, war hier notwendig und mit keinerlei rahjagefälligem Gefühl oder Gedanken kombiniert. Doratrava versuchte zu helfen, merkte aber schnell, dass sie den Bannstrahler nur behinderte und ließ es. Dennoch beobachtete sie mit wachsamen Blicken jede seiner Bewegungen, bereit, jederzeit einzugreifen.

Ringard war nicht unglücklich, dass sich Linnart jetzt federführend der Rüstung annahm - oft genug hatte sie zwar bereits ihrer Baronin beim An- und Ablegen helfen müssen, doch war diese dabei höchstens ungeduldig, niemals jedoch ohnmächtig oder verletzt gewesen. Sie legte mit Hand an und unterstützte den Bannstrahler nach Kräften, vor allem bei den sittlich kritischen Handgriffen, so dass sie bei aller gebotener Vorsicht gut vorankamen und Alanas Verletzung bald freigelegt hatten. "Sieht wirklich nicht so schlimm aus - tief ist es jedenfalls nicht, oder?" fragte sie Linnart, etwas unsicher. "Du hattest übrigens Recht damit, nach der Zunge zu sehen. Das wär sonst dumm ausgegangen." Beruhigt sah sie zu, wie kundig Linnart die Wunde in Augenschein nahm und zugleich ihrer Einschätzung nicht widersprach. Dieser nickte begleitet von einem Brummen, sodass sich Ringard nicht gleich erschloss welcher ihrer Fragen dieser Ausdruck nun galt. "Ich selbst hatte einmal bei einem Übungskampf meine Zunge verschluckt. Ein mächtiger Hieb und ich war bewusstlos. Im Nachhinein hat man mir dann erzählt, dass Bruder Praioswulfus mir das Leben gerettet hatte." Er wandte sich wieder Alana zu. "Die Wunde ist halb so wild. Wir müssen sie reinigen und sauber verbinden. Ein Medicus sollte sie dennoch ansehen, auch wäre es interessant inwiefern der Arm jetzt in seiner Bewegung eingeschränkt ist."

Jetzt, da die Last der Verantwortung für Alanas Leben von ihren Schultern genommen war und dieses offensichtlich nicht mehr in Gefahr schwebte, musste Ringard doch nachfragen: "Wo steckt eigentlich Durinja?" Der Bannstrahler wandte sich dorthin um, wo er seine Verlobte vermutete, doch konnte er sie ad hoc nicht ausmachen. Er hob seine Schultern, schien der Frage jedoch gegenwärtig nicht die höchste Priorität zuzumessen. “Aber Alana wird doch wieder ganz gesund?” konnte Doratrava sich jetzt nicht mehr zurückhalten zu fragen, wobei sie auch den ängstlichen Unterton nicht aus ihrer Stimme heraushalten konnte. Obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab, ärgerte sie sich. Dieser Linnart machte sie ganz wuschig. "Sieh her …", wies er die Gauklerin an, "... siehst du diese Narbe hier?" Er zeigte auf eine vernarbte Wunde am freigelegten Oberarm der Ritterin. "Diese Verletzung war ziemlich sicher gefährlicher als ihre jetzige. Und sie war doch vollkommen gesund, oder?" Er lächelte schmal. "Bring uns Wasser und etwas zu verbinden. Amiel ist dahingehend ausgerüstet." Doratrava gab sich innerlich eine Ohrfeige. Was war nur los mit ihr? Natürlich hatte der Bannstrahler recht. Sie musste ja nur an die selbst in den letzten Jahren erlittenen Verletzungen denken. Dann zog sie die Augenbrauen zusammen. Wie sollte sie die zweite Frage Linnarts verstehen? Sie presste die Lippen zusammen und beschloss, den aufgetragenen Botengang auszuführen. Dann war sie aus der direkten Reichweite des Mannes und konnte sich wieder ein wenig einkriegen. In seiner Gegenwart würde ihr das nicht gelingen. Demonstrativ küsste Doratrava Alana auf die Stirn, dann stand sie mit einem undeutbaren Blick auf Ringard auf und ging schnellen Schrittes hinüber zu der Gruppe um den Mersinger. “Herr von Altenberg”, wandte sie sich an Amiel, als dieser ansprechbar aussah, “der Herr vom Traurigen Stein schickt mich, um Euch um Wasser und Verbandszeug für Alana zu bitten.” Ihre Stimme klang ein wenig kratzig, Alanas Zustand und Linnarts Auftreten nagten noch immer an ihrer Selbstbeherrschung.

Ringard spürte Doratravas Blick, wusste aber wenig mit diesem anzufangen. Leicht verunsichert sah sie dieser hinterher und zur Szenerie um Amiel, der offensichtlich noch immer alle Hände voll zu tun hatte, obwohl ihn Vitold von Baldurstolz unterstützte. Und da war Blut. Viel Blut. Bedeutend mehr Blut als bei Alana. Jetzt erst fielen ihr die Flecken auf Linnarts Gewandung richtig auf. "Wie steht es um den Mersinger?" stieß sie leise, jedoch vernehmbar erschrocken in Richtung Linnarts aus. "Meinst Du, Amiel braucht noch Hilfe?" Wenn sie sah, wie souverän und trocken der in solchen Dingen offensichtlich weit erfahrenere Traurigsteiner an die Sache heranging, bezweifelte sie zwar, eine größere Hilfe als dieser sein zu können, aber sie wollte nicht untätig hier sitzen, wo sie vielleicht gar nicht mehr gebraucht wurde, während ihr Verlobter noch um das Leben des Mersingers kämpfte.

Der Bannstrahler biss sich kurz auf die Unterlippe. Sein Blick war ehrlich sorgenvoll - trotz aller Konflikte, die zwischen ihm und dem Ritter standen. Lares solle doch noch die Möglichkeit bekommen Buße für seine Verfehlungen abzuleisten. "Er hat viel Blut verloren. Das Adrenalin des Kampfes hat ihn zu lange auf den Beinen gehalten. Dein Verlobter weiß jedoch was er tut und hat helfende Hände bei sich, aber ohne die Gnade der Götter …", er blickte sich unter den Schaulustigen um, "... ich hoffe, dass wenigstens eine der anwesenden Personen auf dem Weg ist um in der Stadt Hilfe zu holen."

Von den Menschen unbemerkt stieß Caligo sich vom Dach des Uhlenturmes ab und ließ sich ein paar Meter fallen, bevor er die Flügel ausbreitete und sich vom Wind Richtung Stadt tragen ließ. Das Bild des großen Nestes vor dem inneren Auge, dass sein Seelenverwandter ihm gesandt hatte, suchte er die dort lebenden Menschen. Durch eine der Öffnungen an der Nestseite flog er hinein, setzte sich auf einen Balken und krächzte: "Blut. Blut am Uhlenturm. Helft. Helft." Bevor man ihn fangen konnte, flog er wieder hinaus. Hinaus aus dem Nest. Hinaus aus der Stadt. Hinein in den Wald, wo er sich eine Weile versteckte. Marborad nickte zufrieden. Hoffentlich waren die Traviageweihten klug genug der Botschaft zu folgen.

Auf der anderen Seite, wo die Freunde des Mersingers standen, landete die starke Hand Vitolds auf Basilissa Schulter und hielt sie zurück. Er konnte ahnen, was sie fühlen musste, doch half es ihrem Schwertvater nicht, wenn sie sich jetzt dort ins Gewühl werfen würde. Im Gegenteil, womöglich würde sie dadurch noch sein Leben gefährden. Dem Baldurstolzer war vorhin schon der rote Fleck aufgefallen. Eine Bauchwunde, die noch nicht verheilt war und nun wieder aufbrach. Auf dem Schlachtfeld bedeutete dies oftmals den Tod. Der Mersinger hatte nicht darauf hingewiesen und war dennoch in den Kampf gegangen. Dadurch stieg der Ritter in seinem Ansehen. Das hatte er ihm nicht zugetraut. Er drehte sich zu Luzia um: “Wohlgeboren, mögt Ihr Euch um Eure Schwester kümmern?!” Das kleine Mädchen ließ sich schwer zurückhalten. Erst als die Schwester neben ihr auftauchte und in die Arme zog, liefen ihr Tränen die Wangen hinunter. Den Kopf im Gewand der Älteren vergraben, Luzias Arme sanft um sich geschlungen, hoben sich die Schultern des Kindes immer heftiger und alle Umstehenden konnten das Schluchzen hören, das die kleine Pagin schüttelte. “Wi i i rd … e r st….e….r…..b….n?”, hörte Luzia die leise geschluchzten Worte ihrer kleinen Schwester. “Er hat einen starken Willen, dein Schwertvater, Lissa. Er…. Sieh, sie versorgen ihn bereits.” Ihr eigener Blick lag sorgenvoll auf dem Treiben um den Mersinger.

Nachdem die Geschwister sich nun gegenseitig trösten konnten und beschäftigt waren wandte sich der Baldurstolzer an die Hofdame: “Könntet Ihr einen Augenblick auf die beiden Acht geben? Ich weiß, dass zählt nicht zu Euren Aufgaben, aber ich möchte nicht, dass sie mir nachlaufen, während ich nach dem Mersinger sehe. Vielleicht kann ich helfen.” Er wollte schon losgehen, da drehte er sich nochmal zu den Mädchen um: “Macht euch keine Sorgen, ich bin gleich zurück. Sicher ist er nur ohnmächtig.” Luzi nickte. “Ich bin bei ihr, keine Sorge.” sie lächelte Vitold an. Er war viel freundlicher als sie ihn eingeschätzt hatte. “Beide Töchter des Barons sind in sichere Obhut”, setzte die Hofdame Gezelda hinterher und lächelte Vitold wissend an. Vitold nickte der Hofdame dankend zu und begab sich zum darniederliegenden Lares und seinen Helfern.

Urteilsverkündung

Kühl blickte der Altenweiner auf die Szenerie und hob überrascht eine Augenbraue, als beiden Kontrahenten gleichzeitig zu Boden gingen. Als plötzlich Dorotrava hinter Alana stand und versuchte sie aufzufangen, mischte sich Zorn in seine Gedanken. Streng genommen konnte man das immer noch als Einmischung betrachten, noch dazu mit Hilfe von Magie. Er würde später noch ein ernstes Wort mit ihr wechseln. Nun aber galt es das Duell zu beenden und einen Schiedsspruch zu verkünden.

Der zweite Schiedsrichter, Karolan von Henjasburg, Tempelvorsteher des hiesigen Borontempels, stellte sich zu Aureus. Beide tauschten stille Worte miteinander. Wieder hob er seinen Arm und wartete, bis sich das ungläubige und überraschte Gemurmel im Publikum legte. Den Helfern freilich gestand er zu weiterhin zu sprechen. In deren Befehle hinein rief er laut: “Das Duell ist entschieden. Die Götter haben beide Seiten für schuldig befunden im Unrecht zu sein. Von daher lautet unser Urteil: Seine Wohlgeboren Lares von Mersingen, als auch die Edle Dame Durinja Elva von Altenberg, zukünftige vom Traurigen Stein, haben für einen Mond, auf Tag und Stunde genau, dem Herrn Boron zum Gefallen, ein Schweigegelübde einzuhalten, um über ihre übereilten und beschämenden Worte nachzudenken. Des Weiteren sollen sie jeweils 12 der blitzenden Golddukaten dem hiesigen Traviatempel schenken, da sie mit ihrem unbedachten Verhalten auch die Herrin von Anstand, guter Sitte und Gastrecht erzürnt haben. Die Sünden sind gesühnt. Alle Schmähungen sind vergangen. Die Ehre wieder hergestellt. Es sei!” Karolan schlug zur Unterstützung das Boronsrad. Aureus warf Durinja noch einen durchdringenden Blick zu. Linnart blickte von seiner Tätigkeit auf und musste schmunzeln. Gerne gab er dem Tempel die 12 Dukaten im Namen seiner Zukünftigen. Das Schweigegelübde versprach jedoch interessant und unterhaltsam zu werden. Nun musste er also an der Seite einer schweigenden Verlobten zurück nach Elenvina reisen. Der Traurigsteiner schüttelte sein Haupt. Durinja musste man wahrscheinlich ihren hübschen Mund zunähen, um sie so lange still zu halten. Er hoffte dennoch, dass sie daraus wenigstens etwas lernte. Die Abkehr von einem praiosgefälligen Anliegen hin zum rondrianischen Weg des Hochmuts und der Selbstverliebtheit barg eben die eine oder andere Gefahr. Dann wandte der Bannstrahler sich wieder der Verwundeten zu.

Statt einem Schweigegelübde hätte Durinja aus Ringards Sicht besser die Pflege Alanas bis zu deren vollständiger Genesung auferlegt werden sollen - während Lares von Mersingen ja mit seiner Verletzung bereits selbst hinreichend und am Ende hoffentlich nicht sogar mit dem Tode bestraft war, hatte ja die Ritterin, über deren Zustand sie zusammen mit Doratrava und Linnart wachte, anstelle ihrer Schwägerin geblutet. Der Blick der jungen Tannenfelserin verharrte einige Momente auf Amiel. Wie er sich voll und ganz für das Leben des Mersingers ins Zeug legte... trotz all des Schlimmen um sie herum, all des Bluts und der Schmerzen, sowie der leichten Zweifel im Hinblick auf sein Wissen über und seine Rolle in dieser grausamen Scharade wurde ihr ganz warm ums Herz, ihn so zu sehen. Ihre Augen huschten hinüber zu dessen Schwester, die sie sich hier, bei den Verwundeten, bislang so rar gemacht hatte. Was diese wohl im Angesicht des Urteils und des Zustands Alanas empfinden mochte? War es all das für sie wert?

Durinja, die Zofe, hatte ihre Satisfaktion bekommen, doch das Ende und das Urteil ließ ihr sämtliche Emotionen aus dem Gesicht gleiten. Nach dem der Altenweiner sie eindringlich betrachtete, stand sie auf und ging zu den Verletzten rüber. Schon wollte sie ihrem Bruder Amiel eine Frage stellen, als ihr bewusst wurde, dass sie ab jetzt zu schweigen hatte. Bevor sie allerdings irgendetwas machen könnte, drückte ihr Bruder ihr ein blutiges Tuch, das Blut des Mersingers, in die Hände.

Blutiges Erwachen

Während Amiel und der Ritter Vitold sich weiterhin um den bewußtlosen Mersinger kümmerten, war es die leicht verdatterte Durinja, die auf die Anfrage der Gauklerin, Wasser und Verbandszeug für die Ritterin Alana zu besorgen, reagierte. Die griff in die große Tasche und holte eine weitere Feldflasche und eine Tischdecke heraus und drückte diese Doratrava in die Hand. Dann hörte man das Husten des erwachenden Lares. Erstaunt nahm Doratrava die Sachen entgegen, hielt sich aber nicht weiter auf und kehrte zu Alana zurück.

Vitold war erleichtert ein Lebenszeichen vernehmen zu können, doch dachte er auch gleich an die Ehre des Mersingers: “Ihr dürft jetzt nicht sprechen. Ich erkläre es Euch später. Wenn Ihr Euren Finger bewegen könnt, dann hebt ihn einmal für Ja und zweimal für Nein. Habt Ihr das verstanden?” Dann schaute er auf die Hand des Ritters und wartete auf eine Reaktion. Vor Lares’ Augen drehte sich die Welt noch immer. Anstatt irgendetwas von sich zu geben übergab sich der Ritter mit einem widerlichen Gurgeln an Ort und Stelle. Er war noch immer weiß wie die Wand. Dann zwinkerte er heftig und wischte sich so gut es ging die Galle von seinem Gesicht. Ein Finger zuckte. Der Edle zu Hinterwald stellte dem Mersinger mehrere medizinische Fragen, um Amiel durch mehr Informationen die Arbeit zu erleichtern und auch, damit dieser sich weiter auf die Wunde konzentrieren konnte. Er formulierte sie stets so, dass sie mit Ja oder Nein beantwortet werden konnten und Zeiträume, wie das Alter der Wunde ließ er sich durch Klopfen des Fingers anzeigen. Zwischen den Fragen ließ er Pausen, um den Verletzten nicht zu sehr anzustrengen. Zudem achtete er auf die Augen, denn er wusste, dass Menschen mit einer blutenden Bauchwunde nicht wieder aufwachten, wenn sie zu früh die Augen schlossen.

Lares mühte sich, die Fragen so gut es ging zu beantworten. Die Wunde war noch nicht sonderlich alt, genauer gesagt einen Mond. Die Verwundung war schwer und hatte ihm bereits beim ersten Mal beinahe das Leben gekostet. Die Wunde wurde ihm durch ein Schwert zugefügt. So viel er selbst wusste war die Waffe nicht vergiftet gewesen. Eine Begründung, wie es zu der Wunde kam, konnte mit einfachen Gesten nicht geleistet werden. Ernst schaute Amiel drein, bis er zu einem Entschluß kam. “Ja, das muss genäht werden. Aber Tsa sei dank, ich kenne die richtige Person in der Stadt dafür. Meine Tante, die Doctora Maura von Altenberg ist noch in der Stadt. Am besten wir bringen euch zum Travia-Tempel. Die Familie ist dort zum Abendessen.” Nun wartete der junge Mann auf Lares Bestätigung. Der Baldurstolzer indes wollte nicht warten. Egal, wie sich der Mersinger entscheiden würde, er musste transportiert werden. In der sich langsam auflösenden Menschenmenge sah er ein bekanntes Gesicht. “Dachswies”, bellte er in befehlsgewohntem Ton über den Platz.

Langsam fingen die Augenlider Alanas zu flackern, die dann langsam ihre Augen öffnete. Nur schemen konnte sie erkennen und ein Name verließ ihre Lippen. “Mersea …?” stammelte sie vor sich hin. Der Ritter musste lächeln. Er hatte die Berichte aus Hlûtharswacht gelesen und kannte den Namen vom Lesen … dachte er zumindest, denn von Alanas zuvor angesprochener Knappschaft bei Thalina von Sturmfels-Maurenbrecher - ein Name, der auch in besagtem Bericht vorgekommen war - war es nicht schwer auf die Tochter eben jener Schwertmutter zu schließen. “Nein …”, meinte Linnart sanft, “... Ihr müsst Euch leider mit mir zufrieden geben, hohe Dame. Bleibt noch liegen, ich verbinde Euch gleich und reinige Eure Wunde.” Der stechende Schmerz von Kopf und Nase holte sie augenblicklich zurück. Dann verzog sie ihr Gesicht zu einer Grimasse. “Ahhh … dieses Arschloch hat seinen Holzkopf eingesetzt…” Langsam wanderte ihre Hand zu ihrer Stirn.

Linnart lachte leise. “Ja, groß genug ist er ja … der Holzkopf …”, scherzte er, nicht ohne gleich darauf sorgenvoll in die Richtung des anderen zu blicken. “Doratrava sollte gleich mit Wasser und Tüchern zurück sein. Dann werdet Ihr Euch wieder wie neu fühlen.” In diesem Moment kam Doratrava mit der Feldflasche und der Tischdecke zurück. Als sie sah, dass Alana wach war, warf sie sich mit einem leisen Aufschrei auf die Knie, drückte Linnart ohne Hinzusehen die gewünschten Gegenstände in die Hand und fiel ihrer Freundin um den Hals. “Alana! Wie geht es dir?” Der Traurigsteiner machte sich, die Gauklerin ignorierend, sogleich an die Arbeit. Er reinigte die Wunde, zerriss das Tischtuch und verband der Ritterin die Schulter. Die gebrochene Nase reinigte er vorsichtig, doch für Alana wohl nicht immer schmerzfrei vom Blut und legte ihr dann eine kühl-nasse Kompresse auf.

Wem so herzhafte Kraftausdrücke so flüssig von den Lippen gingen, konnte es tatsächlich nicht allzu schlimm erwischt haben, befand Ringard erleichtert für sich - sie musste darüber erst einmal schlucken, und eine kleine Freudenträne stahl sich in ihren Augenwinkel. Wenn der Mersinger es Alana doch nur bald gleich täte... Das Beste gegen die Sorge war das Tun, wie ihre Mutter zu sagen pflegte, und so fasste sie erneut mit an, als Linnart den Schulterverband anlegte, in dem sie währenddessen den Oberkörper der auch ohne Rüstung gar nicht so leichten Ritterin stützte. Die an dieser hängende, noch immer aufgewühlte Doratrava machte die Sache nicht einfacher. Alana ließ den Bannstrahler seine Arbeit verrichten und brummte weiter vor sich hin. “Mit solch einem Söldnertrick hätte ich rechnen müssen… hat der Altenweiner ihm den Sieg zugesprochen?”, fragte sie in die Runde. Vorsichtig tastete sie nach der Hand Doratravas.

Linnart wiederum wusste nicht was sie mit 'Söldnertrick' meinte - wahrscheinlich empfanden es Rondragläubige als 'unehrenhaft' ihre Vorteile auszunutzen. "Der Mersinger ging mit Euch gemeinsam zu Boden. Er hatte eine tiefe Bauchwunde, die während des Kampfes wieder aufbrach." Der Bannstrahler runzelte seine Stirn - diese Tatsache ließ das Antreten des Ritters in seinen Augen noch dümmer erscheinen. Die Angst davor einen Spiegel vorgehalten zu bekommen und sich dann mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen war wohl groß im Hause Mersingen, wenn Lares eher sein eigenes Ableben in Kauf nahm, als sich dessen zu stellen. "Es steht nicht allzu gut um ihn … hat viel Blut verloren, aber wir versuchen unser Bestes. Der Kampf wurde unentschieden gewertet." Der Traurigsteiner schwieg daraufhin für einige Momente und verband die Altenbergerin zu Ende. "Auch wenn ich nicht viel von solchen Dingen halte, hohe Dame … danke ich Euch trotzdem im Namen meiner Verlobten, dass Ihr für sie eingestanden seid.” “Es war mir eine Ehre.” antwortete die Ritterin, auch wenn wenig Freude darin lag. Mühsam erhob sie sich und blickte zu Lares hinüber. Doratrava half ihrer Freundin und stützte sie. In das Gespräch zwischen Linart und Alana mochte er sich aber nicht einmischen. Doch ihr vorlautes Mundwerk kümmerte sich nicht um ihre Wünsche: “Wo...woher hat der Mersinger die Wunde? Alana hat ihn doch gar nicht getroffen?” Der Ritter hob seine Schultern. “Sah mir auch nicht wie eine Kampfwunde aus. Eher so als hätte jemand versucht ihn abzustechen. Schmaler Stichkanal und soweit ich erkennen konnte von unten nach oben geführt - wohl ein Messer oder ähnliches. Aber ich kann mich auch irren.” Linnart versuchte abzuschätzen ob Alana seine Hilfe beim Stehen und Gehen benötigen würde. “Wenn man mit einem losen Mundwerk auf die falschen Leute trifft …”, er ließ den Rest unausgesprochen.

Unwillkürlich fasste sich Doratrava an ihren Bauch. Es kribbelte unter ihren Fingern, sie erinnerte sich unangenehm an ein Messer, das vor Jahren ihren eigenen Bauch aufgeschlitzt hatte, und schauderte. “Aber … wieso hat er dann gekämpft?” fragte sie verdattert. “Wenn die Wunde so frisch ist … also … dann … hätte er dann nicht ins Bett gehört statt auf eine Brautschau?” “Das musst du den hohen Herrn selbst fragen”, meinte Linnart teilnahmslos. Ringard hatte bis dahin zuviel zu tun, Linnart zu unterstützen, als dass sie direkt in Gespräch hätte eingreifen können oder wollen. Zugehört hatte sie dennoch aufs Genaueste. Warum der Mersinger sich auf dieses Duell eingelassen hatte, war für sie mit dem Wissen um seinen Vorzustand ebenfalls nicht einleuchtend. Es sprach für seinen Mut im Positiven - ebenso aber auch für dessen übersteigertes Ehrverständnis. Die junge Tannenfelserin fragte sich insgeheim, wie wohl ihre Mutter oder ihre Brüder an dessen Stelle gehandelt hätten - und die ihr am wahrscheinlichsten erscheinende Antwort wollte ihr gar nicht gefallen. Rasch wischte sie diese zur Seite und nutzte ein kurz aufkommendes Schweigen, ihrer Neugier Luft Alana gegenüber zu verschaffen - sie wollte, nein sie musste einfach wissen, ob das ganze von Anfang an ein abgekartetes Spiel gewesen war oder nur eine seitens Durinja zwar befürchtete und daher ins Kalkül einbezogene, aber dennoch nicht gewollte Eskalation der Geschehnisse: "Hat es Euch ebenso wie uns - oder wenigstens mich - überrascht, dass es überhaupt soweit, also zu diesem Duell, kommen musste, hohe Dame?"

Alana nickte nur zu Antwort. Ihr Blick wanderte weiter besorgt zu Lares rüber. “Danke für eure Hilfe… Doch verzeiht, ich werde dem Junker helfen.” Dann ging sie rüber zu Lares und bot ihre helfenden Hände an. Linnart sah der Ritterin nach wie sie in Richtung des Mersingers ging. Er hob seine Schultern, nickte Ringard freundlich zu und entfernte sich dann ebenfalls. Er befand jedoch, dass schon mehr als genug Helfer beim Ritter standen und jeder Weitere entweder im Weg stehen oder als Gaffer eingeordnet werden würde. Ein leichter Seufzer entfleuchte seiner Kehle als er das viele Blut auf seinem Wappenrock vernahm, er könnte jetzt wahrlich einen Schluck vertragen. Alana schien es ja wieder besser zu gehen, was Doratrava einerseits freute, andererseits war sie ein wenig enttäuscht, dass ihr Interesse nun ihrem Gegner galt, kaum, dass sie wieder selbst stehen konnte. Nun, sie würde sich nicht aufdrängen. Nachdem die Sorgen um ihre Freundin ausgestanden waren, konnte sie auch ein wenig warten. Mit verschränkten Armen stellte sie sich wieder zu den Zuschauern - und sah zu, was Alana bei dem Mersinger machte.

Ehe sie sich versah, stand Ringard alleine da. Ihr Blick wanderte hinüber zum Zentrum des aktuellen Geschehens, wo Amiel noch immer um den wiedererwachten Mersinger kämpfte. Auch sie zog es innerlich dorthin, an die Seite ihres Verlobten, ihm zur Hand zu gehen. So viele waren aber schon dort versammelt, dass ihre Hilfe wohl eher stören als etwas zum Besseren wenden würde. So beäugte sie nur von der Seite, wie es weiterging, bereit einzugreifen, falls sie doch benötigt wurde. Dabei begann sie, zunächst vorsichtig ihren inneren Frieden mit dem, was vorgefallen war, zu machen - besonders auch der Rolle ihrer zukünftigen Anverwandten in diesem am Ende blutigen Spiel: offensichtlich war dieses Duell nur die in Betracht gezogene, aber nicht von Anfang an angestrebte Ultima Ratio gewesen, das hatten ihr die Reaktionen Amiels und zuletzt Alanas gezeigt. Und auch Durinja wirkte reichlich konsterniert. Am überzeugendsten aber war das Ringen Amiels für den Kontrahenten seiner Schwester. Ringard wurde ganz warm ums Herz, ihm dabei zuzusehen, wie er ganz in seinem Leben schenkenden Wirken aufging.

Zufrieden nickte die orange-braun berobte Frau. Die Geweihte der Travia hatte die Worte der Raben vernommen, schaute sich aber noch einmal um, ob es weitere Zeugen gab. Tatsächlich waren alle damit beschäftigt die Nachtruhe vorzubereiten und so verließ sie als einzige den Tempel. Schwester Lichthild war eine Mittzwanzigerin, von eher dürrer Gestalt. Sie blickte auf zum Sternenhimmel und konnte schon erahnen, dass es bald die Zeit der Sternenleere war. Die heiligen Tage ihres wahren Herren waren nicht mehr fern. Sie selbst hatte geholfen, die schlimmen Gerüchte um den Junker zu schüren und legte sogar noch einiges drauf. Groll, Hass und Zorn, ja das sollte die Adligen zerreißen. Und dieses dumme Ding an Zofe, Durinja von Altenberg, hatte in ihrer Eitelkeit ihr diese Gelegenheit quasi in die Hände gelegt. Mit langsamen Schritt ging sie zur Hütte des Quacksalbers Ehrenward. Seine fragwürdigen und überteuerten Dienstleistungen waren stadtbekannt. Nun konnte sich Lichthild kein Lachen unterdrücken. Sollte doch einer der Kontrahenten verbluten. Um so besser. Oder die Hand des Quacksalbers wird ihnen den Rest geben. Die Zeit war auf ihrer Seite.

´Was für ein Ausgang´, dachte Gezelda bei sich. Der Junker hat bekommen, was er verdient hatte und höchstwahrscheinlich wird er diesen Zusammenstoß auch überleben. Auch die Zofe hat einen Dämpfer für ihr vorlautes Maul bekommen. Sie war jung und kannte das höfische Spiel nicht so gut wie sie. Nun galt es aber die Hofdame der Zukunft wieder in die Obhut des Vaters zu bringen. Die ältere Dame straffte sich.”Nun, die Ehre ist wiederhergestellt, Zeit für uns, wieder zu eurem Herr nVater zurückzukehren.”,lenkte sie ihre bestimmenden Worte an die Baroness Luzia und ihre Schwester Basilissa. “Junker von Altenwein, wäret ihr so frei uns nach Burg Herzogenfurt zu geleiten?” Mit einem freundlichen Lächeln schaute sie zu Aureus und dessen Verlobte.

"Aber gern", lächelte er zurück und suchte den Blick seiner Verlobten. Er streckte ihr seine Hand entgegen. "Möchtest Du uns begleiten, Sina?" Luzia beugte sich derweil zu ihrer kleinen Schwester herab, die mittlerweile die Umklammerung aufgelöst hatte und ängstlich das Geschehen um Lares beobachtete: “Schau, Lissa, es ist sicher besser, du kommst heute nacht mit in die Burg der Baronin. Morgen….” “NEIN” rief das Kind mit ängstlich aufgerissenen Augen. Es fürchtete, sollte es einmal zum Vater zurück geschickt werden, würde der seine Meinung über ihre Ausbildung ändern. “Ich bleibe bei meinem Schwertvater! Jemand…. Muss sich um ihn kümmern.” Luzia lächelte. “Wir werden jemanden finden. Er ist im Moment besser in einem Tempel oder bei einem Heiler aufgehoben.” “Dann…. Dann….. Muss trotzdem jemand auf ihn aufpassen. Und….. und er sollte nicht…. Alleine sein, wenn …. Wenn er aufwacht.” ihre Stimme war immer schriller geworden. Die Vorstellung wieder nach Obena zu müssen, in die erdrückende Stille des Schlosses, zu ihrer noch stilleren Mutter und der Ausbildung zum Singen, Sticken, Harfespielen und der Hauswirtschaft, schürten Angst in dem Mädchen. “Aber, wenn, wenn du meinst… dass es…. Es …. Dann…. Dann … begleite DU MICH doch. Dann können wir beide auf ihn aufpassen.” Luzia zögerte einen kurzen Moment. Oh ja, DAS würde Vater gefallen. Hilfesuchend sah sie zu Gezelda und Aureus herüber: “Sieh mal, die gute Dame von Ulmentor hier, hat die Weisung mich zurückzubringen. Wir möchten ihr doch keinen Ärger bereiten. Ärger mit unserem Vater?” fragte sie die Kleinere, wobei sie den letzten Satz im Besonderen hervorhob.

"Der Baldurstolzer wollte seinen Onkel in Altenwein besuchen. Vielleicht kann er ja noch ein paar Tage länger bleiben und auf Deinen Schwertvater achten? Was meinst Du? Zumindest für heute Nacht sollte das kein Problem sein." Aureus lächelte Basilissa an. "Soll ich ihn nachher mal fragen?" Die Kleine schüttelte den Kopf, während sie nickte. “Aber…” Luzi strich ihr übers Haar. “Komm erstmal mit. Morgen sehen wir weiter.” “Was, wenn er aufwacht und Angst hat? Dann…. Wäre es doch sicherlich gut, wenn jemand da ist, den er kennt. Und…. wenn er sich keine Sorgen macht, ob es mir gut geht.” Aureus schmunzelte, erinnerte ihn diese Situation doch an ein Gespräch über Pflichtbewusstsein und Selbstaufopferung, dass er Anfang des Jahres geführt hatte. Nur, dass ihm dabei der Kopf gewaschen wurde. “Du bist eine tapfere kleine Knappin, der heilige Orgil wäre Stolz auf Dich. Aber Du kannst Deinem Herrn besser dienen, wenn Du ausgeschlafen bist. Er würde sich mehr Sorgen um Dich machen, wenn er wüsste, dass Du weder schläfst noch isst. Aber, wenn Du etwas tun willst, dann können wir nachher in die Kapelle gehen und für seine Genesung beten. Vielleicht überlegst Du Dir auch, welches Geschenk Du der Herrin Peraine machen möchtest? Morgen früh gehen wir dann zu ihm. Du könntest ihm dann etwas zu Essen mitbringen.”

“Sieh mal, morgen begleite ich dich zu ihm. Dann werden wir weitersehen. Vielleicht bleiben wir beide dann einfach hier bis er wieder gesund ist. Aber im Moment sollten wir ihn den Heilkundigen überlassen.” Lissa nickte still und sah über den Kampfplatz, wo nun alles vorbei war. Ja, es war vorbei, auch wenn der Ausgang die Almadanerin in Sina nicht so recht zufrieden stellte. Nun, es war ein anderes Land und solche Mätzchen waren hier vielleicht üblich. Ihr lieber Aureus wirkte so erschöpft, instinktiv wollte sie ihm Gesellschaft leisten. „Na, hoher Schiedsrichter, das war alles etwas viel heute. Erst stehen wir uns die Beine in den Bauch, kommen in den Genuss, diverse Herren quäken zu hören.“ Sie legt eine Hand an seine Hüfte, er sollte nicht erschrecken. „Dann hin und her, bis es duster war und dann das Duell, zu dem ich nicht mehr sage, als dass es in Almada zur Unterhaltung gedient hätte, damit einem Wein und Cressos - die haben hier völlig gefehlt - besser schmecken. Der Wind kam auf. Zärtlich nahm sie bei der Hüfte. “Leg dich etwas hin. Wir werden morgen früh aufbrechen. Ehrlich gesagt, aber das sagt nichts.” Sie lächelte vergnügt. "Es macht dir sicher nichts auch, wenn ich mit Linnart zum Abschied etwas...plaudere. Hm, es geht um Frauenzeug. Kleider, Bräuche und so weiter.” Ein Schwall Zuneigung überkam Sina und sie zog Aureus an sich, umarmte ihn, so schön warm war er, dass sie sich fest an ihn schmiegte und, als sie seine Sehnsucht merkte, ihm einen Kuss gab, der verheißungsvoll genug war. “Später” Flüsterte sie, dann entschwand sie, den Hohen Herrn zu suchen. Vorsichtshalber hatte sie eine Flasche Wein dabei.

“Aber...ähm”, war alles, was er hervorbrachte, bevor er sich wieder der ersten Hofdame und den beiden Baronstöchtern zuwandte, von denen die Ältere ihn irritiert ansah: “Sie...ähm...ist Almadanerin.” Sagte er entschuldigend und blickte verlegen zu Boden. Am liebsten hätte Gezelda das weinerliche Kind eine gescholten. Diesen ´Schwertvater´, ein Mann, der Frauen nicht ernst nahm, war es nicht Wert auch nur eine Träne zu vergießen. Aber dann straffte sie sich wieder. Den Töchtern konnte frau die anerzogenen Unterwürfigkeit gegenüber Männer nicht vorwerfen, der Baron von Eisenstein war ein dominanter Charakter. Immerhin hatte sie ein wenig Hoffnung für Luzia, sobald sie an den schweinsfolder Hof betreten würde. Beschwichtigend lenkte sie ihre Worte an die Adligen. “Ihr solltet mit uns kommen, Sina. Ich werde für uns alle einen guten Tropfen besorgen und den Abend gut ausklingen lassen.” Sie lächelte den Altenweinern zu. “Und ihr, Luzia, müßt jetzt mitkommen. Genau genommen könnte eure Schwester bei ihrem Schwertvater bleiben, auch wenn ich beruhigter wäre, wenn sie mitkommen würde.” “Sie wird uns begleiten, aber ich werde zuvor sicherstellen, dass sich jemand um den Mersinger kümmert.” antwortete Luzia. “Entschuldigt mich einen Moment. Es wird nicht allzulange dauern.”

“Einen wahrlich guten Tropfen? Dann komme ich natürlich gerne mit.” Sie wandte sich zu Aureus und legte ihre Hand auf seine Schulter. “Keine Sorge, für uns nehme ich auch was mit, das wird ein lauschiger Abend.” Voller Vorfreude schmunzelte sie, fast wie ein Kind, das es kaum erwarten kann. “Gezelda, ich kann leider nur den Wein mitnehmen, so leid es mit tut, aber mein Gatte in spe musste schon viel zu lange warten und wir wollten noch so viel besprechen. Es müssen wirklich die Götter gefügt haben. Wir sind uns in mehr als in Rahja verbunden, nicht wahr, Liebling?” Sie gab Aureus seine sanften Kuss auf die Hand und lächelte schalkhaft. Der Junker lächelte zurück. “Soso, Gezelda. Du schließt aber schnell Freundschaften”, schmunzelte er. “Aber es wäre unhöflich sofort zu verschwinden, wenn ich die Damen unversehrt zur Burg gebracht habe. Ein, zwei Stündchen kann ich wohl noch warten.” “Na dann, lasst uns gehen” Zufrieden lächelte die Hofdame.

Luzia beugte sich zu Lares herunter und ließ sich auf die Knie nieder. “Könnt ihr sprechen?” Sie lächelte ihn ein wenig mitleidig an. “Wie geht es euch?” “Er darf nicht, Wohlgeboren”, erinnerte Vitold Luzia an das Urteil. Aber Ihr könnt ihm Ja - Nein - Fragen stellen. Er hebt dann seinen Finger. Einmal für Ja und zweimal für Nein. Sie nickte: “Ich werde Lissa heute abend mit zu mir nehmen. Morgen werden wir euch aufsuchen. Wohlgeboren von Baldurstolz wird mich informieren, wo ihr nächtigt.” Sie sah den Baldurstolzer fragend an. “Selbstverständlich”, erwiderte er knapp. “Ob nun in eurer Herberge, bei einem Heiler oder in einem Tempel - Letzteres wäre vermutlich angeraten ob eurer schweren Wunde.” “Ich werde ihn höchstselbst zum Traviatempel tragen, wo sich offenbar die Doctora von Altenberg aufhält, und dort an seiner Seite bleiben.” “Morgen werden wir wieder zu euch stoßen. Oder möchtet ihr mir noch etwas mitteilen bevor ich gehe?” beruhigend hatte sie ihre Hand auf seine Schulter gelegt. Lares zuckte frustriert mit den Schultern. Ach verdammte Scheiße. Das Allerletzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war es, den Baron zu versetzen. Aber diese Verwundung würde ihn zwingen. Und dieser Boroni...ja der Herr des Schweigens hatte ihn hart gestraft. Lares zuckte mit den Schultern. Wie sollte er auf eine Wahlfrage antworten? Sie strich ihm nochmal aufmunternd über die Schultern. „Alles wird gut.“ dann erhob sie sich, um mit Lissa und Gezelda zu ihrem Vater zurück zu kehren.

Mit ernsten Gesichtsausdruck drückte Tassilo von Altenberg den dampfenden Stummel seiner Zigarillo mit dem Fuß aus. “Hmmmm. Ich fühle mich ein wenig beraubt.”, flüsterte er der Zofe zu. “Aber das Zeichen war eindeutig. Die Grünlinge haben jetzt eine Auszeit zum Nachdenken.” Dann hielt er Melisande seinen Arm hin. “Lust auf einen Wein im ´Herzog´?” Sein charmantes Lächeln war in seinem Gesicht zurückgekehrt. Hier gab es nichts mehr zu sehen oder zu erfahren. Warum also nicht den Abend angenehm ausklingen lassen? Sie nahm Tassilos Arm und schenkte ihm einen erfreuten Augenaufschlag. “Warum nicht, Herr von Altenberg? Ich denke, auf diesen Schreck hin haben wir uns einen Wein wohl verdient.”

Marborad schrak zusammen und...gehorchte. Er wunderte sich selbst darüber, denn er war es nicht gewohnt, dass jemand ihn herum kommandierte. “Ihr wünscht, Euer Wohlgeboren?” “Besorgt mir ein großes Brett, eine Tür.” “Eine...Tür, Wohlgeboren?” Vitold atmete tief durch, griff in seine Geldkatze und drückte Marborad drei Silbertaler in die Hand: “Lauft zu dem Haus da vorne und kauft den Leuten ihre Tischplatte ab. Dann bringt sie her!” Marborad tat, wie ihm befohlen. Dabei war das überhaupt nicht seine Art. Verwirrt stellte er fest, dass er bei jedem anderen, der so mit ihm umsprang, das Geld zurück vor die Füße geworfen und beschimpft hätte. Oder er hätte die Münzen eingesteckt und wäre verschwunden. Nun aber klopfte er an eine Haustür, um eine Tischplatte, oder etwas ähnliches zu kaufen. Lares schloss die Augen, dann nickte er langsam. Er wusste, was jetzt kommen würde und stählte sich innerlich.

Wenige Minuten später kam Marborad mit einer Tischplatte an. Offenbar war er es nicht gewohnt schwere oder sperrige Gegenstände zu tragen, denn die hintere Ecke zog er über den Boden. Vitold dirigierte den Höfling, dann stellte er sich auf die unverletzte Seite des Junkers und bat noch zwei weitere es ihm gleichzutun. “Auf Drei heben wir seine Seite an. Dachswies schiebt dann die Platte unter ihn und wir lassen ihn dann langsam wieder ab. Danach ziehen wir ihn gänzlich auf die Platte. Bereit Wohlgeboren?” Dieser nickte. “Eins, zwei, Drei”, gleichmäßig drehten sie den Mersinger auf seine gesunde Seite, während Marborad die Tischplatte in Stellung brachte. Gemeinsam gelang es ihnen den Ritter auf der improvisierten Trage zu platzieren. “Dachswies, Ihr geht voran. Zeigt uns den Weg zum Tempel. Wer hilft mir tragen?” Sogleich war Lares Kontrahentin, Alana von Altenberg, zur Stelle. Mit kräftigen Blick griff sie nach der Tischplatte und hievte sie zusammen mit Vitold in die Höhe. “Mit der Tür ins Haus, auf gehts, Mersinger.”, sagte die Ritterin bestimmt. Lares verzog zuerst die Augenbrauen, dann fing er an zu kichern, doch das Lachen blieb ihm im Hals stecken, weil ein bitterböser Schmerz seinen Bauchraum durchfuhr.

Trennende Wege

Nachdem die Verletzten so gut es geht versorgt waren, stand Linnart wieder etwas abseits des Geschehens. Er war inzwischen aus seinem blutigen Wappenrock geschlüpft und nutzte die Gelegenheit diesen gleich einer Wäscherin des Hotel zum Herzog mitzugeben, die er vom Sehen kannte - der Traurigsteiner hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis wenn es um die Gesichter von jungen Frauen ging - und die sich hier als Schaulustige eingefunden hatte. Seiner schmutzigen Kleidung entledigt und mit gereinigten Händen stand er wieder an die Brüstung gelehnt. Die vergoldeten Ringe seiner Kettenrüstung, die Parierstange seines Schwerts, das Sonnenamulett und der von ihm getragene gelbgoldene Schmuck glänzten im flackernden Licht der nahen Fackeln. Insgeheim ärgerte sich der Bannstrahler, dass er nicht doch Wein nachgeholt hatte. Es würde ihm gegenwärtig definitiv danach gelüsten. Linnart schmunzelte. Nun, vielleicht hatte ja der Weinkeller noch geöffnet, wiewohl ihm seine Verlobte ja jetzt für längere Zeit keine angenehme Gesprächspartnerin sein würde. Vielleicht fand sich ja eine andere Person für ein anregendes Gespräch - wobei ein Glas Wein und Durinjas Anblick, auch wenn sie ihn nicht mit ihrer lieblichen Stimme erfreuen konnte, auch nicht zu verachten wäre. Sein Blick ging auf die Menschentraube, die sich langsam wieder auflöste. Eine seltsame Veranstaltung. Mögen beide Parteien daraus gelernt haben. Der Mersinger, dass er sein unlauteres Mundwerk zu zügeln hatte und seinen Umgang mit den Dienern des Götterfürsten überdenke und auch Durinja, auf dass sie nie wieder den Weg des Gleißenden zugunsten von Eitelkeit und Hochmut verlasse. Das Leben war ein beständiges Lernen und der Herr Praios war dem gegenüber barmherzig, der ehrlich bereute und seine Strafe reinen Herzens empfing. Fehler, Strafen und Buße gehörten zum Prozess der Entwicklung und der Läuterung der Seele. Einen Knappen des Ordens musste man in diesen Fällen Prügel und Exerzitien angedeihen lassen, einen Hund wiederum hielt man mit seiner Schnauze in seinen Haufen, wenn dieser seine Notdurft wieder und wieder in der guten Stube verrichtete ... eine jede Seele erreichte man eben auf eine andere Art. Durinja musste nun schweigen. Ein passendes Urteil, wie Linnart befand. Eines, unter dem auch er selbst zu leiden hatte, doch brachte er jedes Verständnis für diese Maßnahme auf, war es ja schließlich für ein größeres Wohl. Sein Blick ging hin zu seiner Verlobten, die immer noch etwas bedröppelt zwischen den Menschen stand. Der Bannstrahler lächelte sanftmütig. Er grollte ihr nicht. Niemand war frei von Fehlern, doch würde er darauf achten, dass sie ihre Buße ordnungsgemäß beging.

Der Ritter trat an sie heran. Worte waren hier keine nötig. Oft sagten Gesten sowieso mehr aus als das gesprochene Wort. Es galt sie wissen zu lassen, dass sie nicht alleine war, auch wenn die Last der Sühne nun auf ihren Schultern lag. Linnart lächelte seiner Verlobten zu, schloss sie dann in seine Arme und hielt sie eine Weile wortlos.

Als Alana ihrem Gegner zu Hilfe eilte, hatte Doratrava genug von dem Schauspiel. Sie wusste selbst nicht genau, was sie eigentlich hierher getrieben hatte, vielleicht war es eine Vorahnung gewesen, weil das Schicksal oder wer auch immer ihre neue Freundin in diesen Streit hineingezogen hatte. Aber nun, da alles vorbei war, fühlte sie sich ... leer. Sie hatte nicht bekommen, was sie erhofft hatte, ohne zu wissen, worin diese Hoffnung überhaupt bestanden hatte. War es ein gutes Schauspiel gewesen? Nein. Die vielen Worte zu Anfang hatte sie kaum verstanden, da sie die Hintergründe nicht kannte, den Kampf hatte sie nicht erwartet, und dann war auch noch ihre Freundin in Gefahr geraten. Andererseits ... wäre sie nicht vor Ort gewesen, dann hätte Alana sich bei dem Sturz nach des Mersingers Kopfstoß womöglich noch schlimmer verletzt. Das tröstete die Gauklerin ein wenig über den unbefriedigenden Verlauf des Abends hinweg. Doratrava seufzte und schlug den Weg zurück ein zu ihrem Zelt auf der Wiese des Stadtparks. Morgen würde sie weiterreisen, mit vielen schönen Erinnerungen und eben auch der ein oder anderen nicht so schönen. Wer weiß, vielleicht kam heute ja noch eine Erinnerung der schönen Sorte hinzu. Alana wusste, wo ihr Zelt stand ... und sie wusste, wo Alanas stand.

Als ein großer Pulk an Menschen das Tor nach Herzogenfurt durchkreuzten, mit einem verletzten Ritter auf einer Tischplatte, war es Amiel von Altenberg, der den Quacksalber Ehrenward sah. Dieser ältere Zausel, so wie die meisten ihn beschreiben würden, stand schon mit einer großen Tasche und einer Beinsäge bereit und schien auf jemanden zu warten. ´Der wurde doch nicht etwa … Das doch nicht dein ernst, Schwesterlein.´, ging es ihm durch den Kopf. Amiel löste sich von der Menge und lief Ehrenward entgegen. Er musste wissen, warum dieser hier war. “Meister Ehrenward, was macht ihr hier draußen zu dieser späten Stunde? Ihr wollt doch nicht etwa einem Schweinehändler den Zahn ziehen?” begrüßte er diesen mit einem offenen Lächeln. Der alte Mann verkniff die Augen misstrauisch. “Nee, ich soll dem da,”er deutete auf Lares,” die Wunden schließen. Schwester Lichthild schickt mich.” Der junge Advocatus hob beide Augenbrauen. ´ Lichthild? Elva würde doch nie ....´, seufzte er innerlich. Ein Glück wußte der Altenberger von den Vorliebes des Quacksalbers. “Oh, da braucht ihr euch keine Mühe mehr machen, der Junker wird bereits versorgt. Aber schön das ich euch treffe, ich wollte schon immer mehr über eure Künste wissen. Lasst uns doch auf einen Beerenschaps in den ´Herzog gehen. Ich lade euch ein.” Beschwichtigend legte er den Arm um Ehrenward. Die Augen des Quacksalbers öffneten sich weit und seine Zunge leckte sich die Lippen. “Ja, Beerenschnaps hört sich gut an. Also wenn ihr meint … na dann los!” Freudig machte er kehrt um. Amiel wartete noch kurz, bis die Leute um den Mersinger vorbei waren Tief atmete nochmals durch ´Na das ging ja nochmal gut, jetzt ist wenigstens das Leben des Junkers gerettet.´ und lenkte dann die Schritte zum Gasthof.

Verwundert und, ja, insgeheim enttäuscht sah Ringard, die Amiels Tasche aufgenommen hatte und der Türprozession in die Stadt gefolgt war, wie ihr Verlobter sich jäh von der Menge löste, auf einen älteren Mann zuging und sich mit diesem vom Zug absetzte. Was hatte das nur zu bedeuten? Ob sie sich anschließen sollte? Nein, das erschien ihr nicht passend; außerdem wirkte der Geselle, als ob sie diesen nicht näher kennenlernen wollte. Oder weiter dem Junker auf der Tischplatte hinterherpilgern? Der hatte aber mehr als genügend Begleiter und Träger, und würde sich bald in der Obhut des Traviatempels und damit weit berufeneren Händen befinden. Ringard seufzte leise und beschloss, anstatt weiter verloren und unschlüssig herumzustehen oder der Traube zu folgen, diesen unerfreulichen Abend zu beenden und sich in ihr Zelt zurückzuziehen. Sie hatte sich das alles ganz anders vorgestellt - fröhlicher, ohne Blutvergießen und mit einem zweisamen Ausklang mit Amiel. Wenn sie sich doch schon in wenigen Tagen für lange Monde trennen würden... Jetzt waren nicht einmal Nivard und Elvrun da, mit denen sie ihrem Bedürfnis hätte nachkommen können, sich über das Erlebte, dieses Lehrstück für eine vollkommen aus dem Ruder gelaufene Herausforderung auszutauschen. Ob wenigstens der Mersinger am Ende halbwegs glimpflich davon kommen würde? Sie würde dafür beten. Im Zelt angekommen fiel ihr Blick auf Amiels Rucksack, den sie gerade abgesetzt hatte. Vielleicht würde er ihn nachher ja noch holen kommen.

Spät war der Abend, als die greise Traviageweihte, Mutter Elva, aus der Nebenkammer trat. Ruhig war es im Tempel der heiligen Gans und nur das Prasseln des Herdfeuers erfüllte den großen Speisesaal. “So, der Junker ist nun gut versorgt. Viel Blut hat er verloren, aber nun dürfte die Wunde nicht mehr aufbrechen. Wer auch immer davor dran war, verstand nicht viel von seiner Kunst.” sagte sie ruhig zu den Wartenden. Dann nahm sie Platz und groß sich ein wenig Bier ein. “Ihr könnt heute nacht gerne hier bleiben, es gibt noch Schlafplätze neben dem Mersinger.” Die Ritterin Alana stand auf und umarmte die Geweihte. “Habt dank, Mutter Elva, ich nehme das gerne an.” Sie schaute noch einmal zu Vitold von Baldurstolz und nickte diesem zum Abschied zu. Dann kehrte sie in den Raum, wo der versorgte Mersinger lag, ein. “Ich werde ebenfalls bleiben, schließlich habe ich es der Tochter meines Barons versprochen. Dachswies, ich danke Euch für Eure Hilfe, möchte Euch aber um einen weiteren Gefallen bitten.” Der Angesprochene blickte mit fragend hochgezogener Augenbraue den Ritter an: “Welchen Wunsch darf ich Euch denn noch erfüllen?” Sein Tonfall war keck und ließ darauf schließen, dass zwischen den Zeilen noch eine weitere Frage mitschwang, die für die heiligen Hallen der Herdgöttin ein wenig zu anrüchig war. Nun war es der Baldurstolzer, der eine Augenbraue hob und Marborad kühl in seine Schranken wies: “Hättet Ihr die Güte meinen Knappen über diese Situation in Kenntnis zu setzen?” Der Hexer war ein wenig enttäuscht, ließ es sich aber nicht anmerken: “Aber gewiss.” Dann drehte er sich um und machte sich auf den Weg zur Festwiese. Vielleicht gab es ja später noch die Möglichkeit mit dem Baldurstolzer allein zu sein. Lares war wach und orientiert, auch wenn man ihm die schweren Schmerzen ansah, die er durchlitt. Die Wunde war versorgt und genäht, aber bis die Prozedur abgeschlossen war, wurde die Nadel mehrfach durch sein Fleisch getrieben. Bei PRAios und PERaine - hoffentlich würde die Wunde nicht so schnell wieder aufbrechen, am Besten nie. Der junge Mersinger regte sich, als er Alana hereinkommen sah, doch die Bewegung schoss sofort Pfeile der Pein durch seinen Körper, die ihn aufstöhnen ließen. Er versuchte sich dennoch, sich zusammen zu reißen. So also nickte er der Ritterin zu, die er für ihren guten Kampf respektierte. Die Altenbergerin klopfte den Mersinger nur kurz auf die Schulter. “Ruht euch aus. Es gibt nichts mehr zu beweisen. Rondra braucht euch noch für die nächste Schlacht. Eine ehrenvolle.” Dann ging sie zu einem Feldbett und legte sich hin.