Nachgedanken zur zweiten Jungfernfahrt der Concabella



Mitte Ingerimm 1042 BF
Von der Jungfernfahrt der ‚Concabella‘ zurück in Elenvina, war seine Hoheit der Herzog der Nordmarken nicht sonderlich gut gelaunt. Die Bewohner und Bediensteten der Eilenwîd-über-den-Wassern kannten ein solches Verhalten von ihrem Herrn und vermieden es deshalb tunlichst, seinen Unmut noch zusätzlich zu erregen, ein Unterfangen, das nicht unbedingt leicht war. Hagrobald Guntwin vom Großen Fluss war für vieles bekannt und berüchtigt. Für seine Kampfeskraft, seine Erfahrung als Kämpfer und für seinen formidablem Umgang mit der Lanze im Tjost. Für seine Macht, seinen Einfluss und die Schlagkraft seiner Flussgarde. Für seine Saufgelage und für seine Wutausbrüche!
In seiner aktuellen Verfassung war der Herzog kaum mehr als ein Fass Hylaïler Feuer, dessen Lunte verdammt nahe am Feuer verweilte, nur darauf wartend, durch eine unbedarfte Handlung hochzugehen. Erst am Morgen hatte ein Bediensteter dem Herzog in seiner Nervosität versehentlich etwas Bier über das herzogliche Wams gekippt, das daraufhin in weiten Teilen der Burg zu hörende Donnerwetter war mit einer Wucht auf den armen Mann eingestürmt, dass dieser sich, kaum hatte er die Türe hinter sich geschlossen, eingenässt hatte. Wahrlich, dieser Tage war Hagrobald vom Großen Fluss in einer ganz besonderen Stimmung, einer Stimmung, die glücklicherweise nur sehr selten auftrat.
Der Streit mit seiner Gemahlin setzte ihm schwer zu. Er liebte sie und sorgte sich um ihr Wohl, doch zugleich war es nicht immer einfach mit ihr. Vielleicht spielte sein aufbrausendes Temperament eine winzig kleine Rolle, aber ihm, Hagrobald vom Großen Fluss, hatte außer den Göttern und der Kaiserin höchstselbst niemand etwas zu befehlen. Zugegeben galt diese Aussage bei der Kaiserin nicht unbedingt uneingeschränkt, doch sei es wie es sei. Bei Rahja, Hesinde und Praios, er hätte es schlechter Treffen können.
Concabella von Ehrenstreit-Streitzig war durch die schöne Göttin mit einer liebreizenden Gestalt gesegnet worden und das zugleich ihren Anblick betreffend als auch ihren Charakter. Mit ihrer Güte hatte sie es binnen kurzer Zeit vermocht, unter seinen Vasallen die Rolle der Mutter der Nordmarken zu mit Beschlag zu belegen. Allerdings sorgte ihr Liebreiz auch für Ärger, so war sich der Herzog noch immer nicht sicher ob seine Gemahlin nicht eine Affäre mit seinem Jagdmeister hatte! Seine Gattin liebte die Beiz und hatte im Jagdmeister offensichtlich einen Gleichgesinnten gefunden, der sie zu kleineren Jagdausflügen ins Umland der Herzogenstadt begleitete. Auch damals hatte es Streit gegeben, als Herzog konnte und wollte er nicht akzeptieren, dass seine Gattin eine Affäre hatte. Das Problem war nur, auch er mochte die Jagd und fand Gefallen an den Jagdausflügen, die für ihn veranstaltet wurden. Keine von Hofschranzen, die eigentlich nur Politik machen und nicht an der eigentlichen Jagd teilhaben wollten, verdorbenen Ausritte, sondern tatsächliche Jagden, bei denen die Beute gestellt und erlegt wurde, ohne dass Treiber die Tiere vor die Armbrüste der unfähigen Jagdgesellschaft treiben mussten. Letztlich, nach einigem Streit, hatten sie sich geeinigt. Der Jagdmeister verblieb im Amt, würde seine Hoheit künftig aber als Gesandter in der Rommilyser Mark vertreten. So waren beide zufrieden. Der Herzog, weil er somit der möglicherweise bestehenden Affäre Einhalt geboten hatte und seine Gemahlin, weil sie nicht wollte, dass ein treuer Vasall für die ungerechtfertigte Eifersucht ihres Gatten Repressalien erleiden musste.
Auch war seine Gemahlin von Hesinde geküsst, ihr wacher und belesener Verstand hatte ihm schon häuft mit gutem Rat gedient. Zugleich bedeutete er aber auch Ärger, denn wer Rat erteilte, hatte meist eine eigene Meinung, eine Meinung die der Herzog der Nordmarken nicht immer hören oder akzeptieren wollte und konnte. Da das herzogliche Paar sich jedoch ausgezeichnet darauf verstand, auf der Richtigkeit der eigenen Meinung zu beharren, gab es auch aus diesem Grund häufiger Streit.
Als Erbgräfin von Ragath war Concabella auch politisch eine gute Partie. In dem Bewusstsein von künftiger Macht aufgewachsen und erzogen, verfügte die Gemahlin des Herzogs über das notwendige Rüstzeug, um wichtige Entscheidungen zu treffen und Befehle zu erteilen, sowie die notwendige Autorität, um diese gegen den möglichen Widerstand eines unzufriedenen Vasallen durchzusetzen. Da die Nordmärker Concabella jedoch in der Rolle der Mutter der Nordmarken akzeptierten und vor alle respektierten, musste sie ihnen gegenüber selten davon Gebrauch machen, sodass sich beim Herzog unweigerlich der Eindruck einstellen musste, als sei er mangels anderweitigen Widerstandes der Prüfstein, an dem sie diese Befähigung erhielt und weiter ausbildete.
Immer mal wieder flogen die Fetzen zwischen ihnen, gab es Streit über Nichtigkeiten und Angelegenheiten von Tragweite, doch immer hatte es sich irgendwie wieder eingerenkt. Dass Concabella in ihrem Zorn diesmal nach Ragath geflohen war, bereitete dem Herzog sorgen. Hatten sie es diesmal zu weit getrieben oder käme sie zu ihm zurück und ließe sich milder Stimmen? Doch das wirklich schlimme daran war, dass er angesichts seiner vielfältigen zusätzlichen Sorgen gerne ihre Rat zu diversen Angelegenheiten hören würde, auch wenn dadurch womöglich ein erneuter Streit vom Zaun gebrochen werden könnte. Auch die zweite Jungfernfahrt der ‚Concabella‘ hatte unter keinem guten Stern gestanden. Schon wieder hatte das Schiff Schaden genommen, schon wieder hatte das Gezücht des Rattenkindes versucht, Unheil und Chaos zu verbreiten. Dem Dunkel anheimgefallen hatte seine Vasallin versucht, ihn zu töten, hatte Calderine von Hardenfels es darauf angelegt, ihn mit seinem eigenen Schwert zu enthaupten. Die alte Vettel hatte tatsächlich versucht, sein Leben zu beenden und zugleich das praiosheilige Reichsrichtschwert zu entweihen, genau so wie es bereits andere Schergen des Namenlosen bei seinem Vater versucht hatten. Die Enthauptung war ihnen tragischerweise geglückt, das Schwert aber hatten sie dadurch allerdings nicht entweiht. Welche Machenschaften seinen Vater auch von den Zwölfgöttern entfremdet hatten, Guldebrandt hat ihn dafür gerichtet und vielleicht war es besser so gewesen, bevor er noch womöglich den Widersachern Alverans anheimgefallen wäre. Die Finder des Schreibens, das die Pläne enthüllt hatte, hatte er jedoch zum Stillschweigen verpflichtet, es stand nicht zur Diskussion! Das Ansehen der Nordmarken durfte nicht beschmutzt werden, genauso wenig wie er gestatten konnte, dass die Verdienste seines Vaters nach seinem Tod herabgewürdigt würden.
Doch waren das die Punkte, die er selbst und ohne großes Federlesen hatte ordnen können, den Rat seiner Gemahlin wünschte er vor allem in Fragen des Stapelrechtes. Diese unfähigen Fecht-“Meister“ der Feder in der Reichskanzlei hatten offensichtlich, und davon war er felsenfest überzeugt, ein wichtiges Schreiben verschlampt. Nach dem Tod seines Vaters hatte das Eichene Gemach in seinem Namen sämtliche Ansprüche auf Titel, Lehen und Regale bei der Kaiserin geltend gemacht, das Regal des Stapelrechts entlang des Großen Flusses innerhalb der Nordmarken aber war verschwunden. Die Nachforschungen, welche sein Onkel Frankwart, immerhin selbst Mitglied dieses Gremiums, in dieser Angelegenheit angestoßen hatte, dauerten noch an. Seine Gräfin hatte Wind davon bekommen und Klage vor dem Reichsgericht eingereicht, wäre sie jetzt nicht tot, würde er sie unverzüglich einbestellen. Sie und der Landgraf hatten davon gewusst und keiner von beiden hatte es für notwendig befunden, ihn, DEN HERZOG, davon zu unterrichten! Und als wäre dies alles noch nicht schlimm genug, hatten die Krämerseelen vom Albenhuser Bund ebenfalls davon erfahren und sich bei der Kaiserin vom Stapelzwang freigekauft. Keine Finger würde er rühren, um diesen Erlass zu siegeln! Wenn es der Kaiserin Wille war, so sollte sie zu ihm nach Elenvina kommen und ihm persönlich erklären, welchem Nutzen sie in diesem Erlass sah. Bei diesem Thema wollte er Concabellas Rat, wollte er ihren Rückhalt, richtig gehandelt zu haben. Nicht zwangsweise wegen der Kaiserin, sondern auch, weil ihm Hochwürden Ivetta, die Äbtissin des Therbûniten-Spitals vor den Toren der Stadt und Geburtshelferin seiner Kinder, ihm verkündet hatte, dass es der Wille des Phex sei, dass er den kaiserlichen Erlass zu Gunsten des Albenhuser Bundes siegelte.
Für vieles war Hagrobald vom Großen Fluss bekannt, nicht aber dafür zu Zaudern! Er war ein Mann der Tat, der Entscheidungen fällte und diese wenn notwendig mit seiner körperlichen oder politischen Macht durchsetzte. Aber die Götter? Konnte es des Phexens Wille sein, dass diese Krämerseelen bekamen, was sie begehrten?
In einem robusten Sessel sitzend dachte Hagrobald angestrengt nach. Wenn es tatsächlich der Wille des Phex war, dann brauchte er einen seiner Diener, um ihm das zu bestätigen, und nicht eine Peraine-Geweihte. Doch woher sollte er einen Gefolgsmann des Listenreichen holen, an seinem Hof duldete er sie nicht und ein Tempel wurde in der Stadt nicht unterhalten, zumindest nicht offiziell. Ein leises Räuspern beendete die fruchtlosen Ideen des Herzogs, als der Graue Vogt auf sich aufmerksam machte. „Verzeiht meine Störung, Hoheit!“ Entschuldigte er sich mit einem wohlklingenden Zungenschlag und verbeugte sich tief, doch Hagrobald war bereits aufgesprungen und erhob die Stimme. „WAS SUCHT ER HIER! Wir haben ihn aus unseren Diensten entlassen!“ So mancher wäre unter dem wütenden Funkeln des Herzogs eingeknickt, der Graue Vogt hingegen nicht. Er war für diese Gelegenheit aus den Schatten getreten. „Eure Hoheit mögen uns aus seinen Diensten entlassen haben, dennoch fühlen wir uns Euch gegenüber verpflichtet und wollen Seiner Hoheit Rat und Hilfe anbieten.“ „HA!“ Erklang die kräftige Stimme des Herzogs einem Faustschlag gleich, als ob er die Hilfe von Heimlichtuern brauchen würde. „Mit Verlaub, Hoheit, es wird nicht mein Rat sein, der Euch dienen soll. Vielmehr hatte ich den Eindruck, dass Hoheit womöglich gern ein Gespräch mit einem Diener des Listenreichen führen würde, ein Gespräch, das ich gern für Euch arrangieren würde.“ Spott und Zorn waren aus dem Blick des Herzogs gewichen, war es denn möglich? Ein knappes Nicken hatte gereicht, eine stille Übereinkunft. Der Graue Vogt war soeben gegangen, als Hagrobald laut rief: „WACHEN! Lasst die Knappen antreten, wir wollen ihre Schwertkunst prüfen!“
Nach seinem Amtsantritt hatte der junge Herzog sein Kabinett neu aufgestellt, dabei war das Amt des Grauen Vogtes dem rondratreuen Charakter des Herzogs zum Opfer gefallen. Doch der Graue Vogt wäre nicht, wer er war, wenn er sich durch derlei Kleinigkeiten von seinen Pflichten abbringen lassen würde. Auch weiterhin hatte er dem Herzog gute Dienste geleistet, allerdings hatte er dafür Gemahlin, Mutter und gräflichen Oheim seiner Hoheit mit allen notwendigen Informationen versorgt und geduldig in den Schatten verharrt. Der Graue Vogt hatte auf eine Gelegenheit gewartet, um seinem Herzog im rechten Augenblick zur Seite zu stehen. Vielleicht würde dieser ihn künftig wieder konsultieren, doch auch wenn er davon nicht ausging, so wusste er doch, dass der Herzog nicht vergessen würde.
Es hatte Hagrobald gut getan, ein wenig Dampf abzulassen, ihm besser als seinen Knappen. Auch wenn der Herzog nur mit einem Übungsschwert gekämpft hatte, hatte keiner seiner Knappen das Übungsgefecht ohne mindestens ein halbes Dutzend blaue Flecken überstanden. Seine Schützlinge hatten ganz schön einstecken müssen, und dennoch war Hagrobald zufrieden mit ihnen. Der Kampf hatte seine schlechte Laune vorübergehend ein wenig gemildert, doch war er auch schweißtreibend gewesen, sodass sich er sich im Anschluss ein entspannendes Bad gönnte. Eine Magd brachte ihm Handtücher und legte diese neben der warmen Wanne ab. „Eure Hoheit, man richtete mir aus Ihr wünschtet ein Gespräch“, richtete sie zur Verwunderung Hagrobalds das Wort an ihn. „Wer ist sie und wieso sollten wir mit ihr Sprechen wollen?“ fragte er verwundert die Magd, die seines Wissens nach häufiger die Betten in den hochherrschaftlichen Gemächern neu bezog. „Hoheit können mich Füchslein nennen, wenn es Euch beliebt.“ Herzhaft und ehrlich lachend hielt sich der Herzog den Bauch. „Eine meiner Mägde ist also eine Geweihte des Phex, ein guter Witz!“ Sich langsam ans Gesicht fassend, lächelte die Magd freundlich. „Mit Verlaub, Hoheit, aber ich will den Ruf Eurer Magd nicht ruinieren ...“ Unvermittelt eine Maske in der Hand haltend blickte der Herzog plötzlich in ein gänzlich anderes Gesicht. „… vielmehr ist es so einfacher, zu Euch zu gelangen.“ Seinen Gast eingehend musternd konnte er schlecht abstreiten, dass hier etwas Übernatürliches geschehen war. „Also gut, Füchslein! In der Tat versuchen wir den Willen des Listenreichen zu ergründen. Eine Peraine-Dienerin sagte zu uns, es sei der Wille des Phex, dass wir dem Albenhuser Bund die Befreiung vom Stapelzwang gestatten. Doch sehen wir mehr Schaden als Nutzen in dieser Befreiung und würden gern von einem Diener des Phex hören, was der Wille seines Gottes ist.“ Sich eine Strähne aus den Augen streichend, funkelte die Unbekannte ihn mit ihren smaragdgrünen Augen an. „Wenn ich Euch eine Antwort gebe, werdet ihr, so befürchte ich, noch immer zweifeln, doch …“ Einen Silbertaler als ihrer Tasche ziehend, führte sie diesen an ihre vollen Lippen und flüsterte ein leises Gebet. Anschließend legte sie den Taler auf den Wannenrand, nicht jedoch ohne einen verstohlenen Blick hineinzuwerfen. „Werft den Silbertaler, und der Listenreiche wird Euch seinen Willen verkünden, Hoheit. Bei Kopf könnt ihr meinen Herren auf Eurer Seite wissen, bei Zahl aber unterstützt er die Händler des Albenhuser Bundes.“ Mit einen auffordernden Nicken bedeutete die Geweihte dem Herzog, die Münze aufzunehmen. Entschlossen griff Hagrobald zu und besah sich das Silberstück, ein Taler, makellos und vermutlich frisch geschlagen, versehen mit seinem eigenen Konterfei. Als er die Geweihte fragend anblickte, nickte diese nur mit einem verschmitzten Lächeln, wortlos bestätigend, dass er für diesem Dienst bereits unwissentlich bezahlt hatte.
Die Münze auf seinen Daumen legend, schnipste er sie schwungvoll in die Höhe. Zwei Augenpaare folgten ihr mit ihren Blicken, während sie sich um die eigene Achse drehend ihrem Zenit entgegen bewegte. Den Sternen einer klaren Nacht gleich glitzerte und glänze sie, obwohl nur matter Kerzenschein den Raum erhellte. Als hätte Satinav den Fluss der Zeit verlangsamt, senkte sich das Silberstück. Es aus der Luft greifend drückte der Herzog es auf seinen linken Handrücken. Ohne zu Zögern hob er dich Rechte. Kopf!