Alte Hallen von neuem Leben erfüllt

Alte Hallen von neuem Leben erfüllt

Der Besuch in Ishna Mur

Ort

Bergwacht Ishna Mur in den gräflichen Vogteien Nilsitz - und das Gebiet darunter

Zeit

Praios 1043 BF

Personen

Argmin von Wirselbach, Novize des Tempels der Leuin zu Gratenfels,
Grimmgasch 'Friedenswahrer' groscho Kagannto, Angroschgeweihter aus Senalosch,
Lagorasch, Sohn des Sugusch, Geode aus Nilsitz,
Borix, Sohn des Barax, Bergvogt von Ishna Mur,
Murloschtaxa, Tochter der Mokloscha, seine Frau,
Bengurr und Baschtasch, zwei ihrer Söhne,
Ihre Gnaden Marbolieb, Borongeweihte aus Markt Calmir,
Dwarosch, Sohn des Dwalin, Oberst des Eisenwalder Garderegimentes ‘Ingerimms Hammer’,
Borindarax, Sohn des Barbaxosch, Vogt von Nilsitz,
Boindil, Sohn des Borintosch, Leibwächter und rechte Hand des Vogts

Eine Briefspielgeschichte von BorBar, JoWa, RekkiThorkarson, Konrad und IseWeine.

Inhalt

Im Praios 1043 BF besucht eine Gruppe aus Senalosch die neue Bergwacht Ishna Mur an der Grenze zwischen Nilsitz und Rabenstein (Dokument hängt an).

Auf Aves Pfaden

(nach oben)


Es war an einem heißen Tag im noch jungen Mond des Götterfürsten, da sich eine kleine Gruppe Wanderer aus der Stadt Senalosch, dem Sitz des Rogmarog von Isnatosch, aufmachten, um ein gegebenes Versprechen einzulösen, aber auch, um zu sehen wie die seit Jahrhunderten leerstehenden Hallen der Bergwacht Ishna Mur wieder von Leben erfüllt wurden.

Allein die leichte Brise aus den sie umgebenden Bergen, dem Eisenwald im Praios und die Ingrakuppen im Firun, machte den beschwerlichen Weg erträglich. Die Berge des Isenhag jedoch boten dem Wandersmann abseits der Karrenwege niemals einfaches Terrain und zu besagter Bergwacht führte lediglich ein mittlerweile wieder gangbar gemachter Stollen, der aufgrund seiner geringen Deckenhöhe den Menschen der Reisegruppen jedoch unzumutbar war. Niemals hätte einer von ihnen es vermocht, mehr als einen Tag lang vornübergebeugt zu wandern und so musste man sich wohl oder übel durch die nahezu unberührte Wildnis schlagen.

Der kaum auszumachende Trampelpfad zu ihren Füßen führte sie über Stock und Stein und nötigte Angroschim und Menschen so manches Mal zum kraxeln - ein Unterfangen, dass für die erblindete Borongeweihte Marbolieb jedes Mal von Neuem zu einem Abenteuer wurde und das nur aufgrund der Tatsache überhaupt möglich war, dass die Zwerge eine gewisse Erfahrung im Bergsteigen besaßen. Eine Ausnahme davon bildete der junge Geode Lagorasch, der für einen Vertreter seiner Rasse sehr ungewöhnlich dem Element Wasser zugetan war und seit kurzer Zeit das Heiligtum des Flussvaters nahe der Opferschlucht auf Wunsch des Herrn der Muscheln - dem Heermeister des Flussvaters zu seinem Refugium gemacht hatte.

Argmin zu Wirselbach, Knappe der Göttin, war auf Wunsch Borindarax von Nilsitz mit von der Partie. Den Rondrianer aus dem Tempel zu Gratenfels war durch seine zukünftige Weihewaffe mit Nilsitz, den Ländereien oberhalb von Isnatosch, verbunden, deren Vogt Borax war. Der ‘Wellenkamm’, jene Zweihandwaffe, war die Schöpfung eines Meisterschmieds aus Calbrozim. Mehr aber noch als das war der Rondrakamm Sitz eines uralten Edelsteins - eines Rubin, der einst aus der Hand der Zwerge dem Flussvater zum Friedensgeschenk gemacht wurde und nun in Argmins Obhut lag, ein Privileg, zu dem auch Pflichten gehörten, die den Geweihten regelmäßig nach Nilsitz führten.

Ebenfalls zur Reisegruppe gehörte Grimmgasch, ein noch junger und seit kurzem zum Diener Angroschs geweihter Zwerg, welcher ursprünglich aus Xorlosch stammend nun seine Heimat im Eisenwald gefunden hatte und zum Tempel der Schätze des Allvaters in Senalosch gehörte. Des Weiteren waren der Urenkel des Rogmarog, Borindarax, Sohn des Barbaxosch, der durch Graf Ghambir bestellte Herr der Lande und der ihn stets begleitende Krieger Boindil, Sohn des Borintosch zu nennen.

Das Bild einer ungewöhnlichen Wandergemeinschaft abrundend, gehörte das ungleiche Paar, bestehend aus dem Sohn des Dwalin, dem Oberst des Eisenwalder Garderegiments, und seiner Gefährtin, besagter Boroni Marbolieb, dazu. Des Götterfürsten Scheibe begleitete die Wanderschar durch die wunderbare Gefilde der Wälder und Berghänge des nördlichen Eisenwaldes, mal prächtig und in aller Herrlichkeit am Himmel, dann scheinend hinter den hohen Bäumen und versteckt hinter den Bergen. Doch sie war ein steter Begleiter und wie der Götterfürst unnachgiebig in ihrem Sein.

Argmin hatte sein wattiertes Wams bereits aufgeknöpft, soweit es der Anstand erlaubte. Der Wellenkamm ruhte schwer auf seiner Schulter, Rucksack und das Waffengehänge machten das Wandern nicht leicht. Er hatte seinen Schritt an den von Frau Marbolieb angepasst und hielt sich immer in der Nähe der schweigsamen und blinden Frau, immer bedacht, schnell zur Stelle sein, sollte sie straucheln oder ins Leere greifen. Doch seine Umsicht schien unnötig, denn die Geweihte des Raben bewegte sich erstaunlich sicher durch das unwegsame Gelände.

Der junge Rondranovize zerrte erneute an den Schnüren seines Wams, um etwas kühle Luft an seine Haut wehen zu lassen. Er blickte nach vorne und zurück und betrachtete ihrer Gemeinschaft mit einem Lächeln. Er fühlte sich wohl in der Gegenwart der Angroschim, die er in all den zurückliegenden, gemeinsamen Ereignissen sehr zu schätzen gelernt hatte. Als Kameraden, als Waffenbrüder und als Gesprächspartner. Manchmal auch als Trinkfreunde, wobei er dabei immer den Kürzeren zog, wie er sich eingestehen musste - wenngleich es immer eine lustige und angenehme Angelegenheit war. Er war gespannt, was vor ihnen lag, was sie wohl erwarten würde. Borix, Sohn des Barax, hatte ihn gebeten, mitzukommen und mit Freude hat Argmin zugesagt, versprach die Reise zu den Hallen von Ishna Mur doch ein kleines Abenteuer.

Der Segen des Götterfürsten war reichlich, doch die junge Almadanerin genoss die Wärme aus vollen Zügen. Lang und kalt war der Winter hier im Norden, und Firun geizte wahrlich nicht mit seinen Gaben. Dafür vermochte der kurze, sengende Sommer sie manchmal fast vergessen lassen, wie hoch in den Bergen - und wie weitab des Yaquirs - sie sich befand.

Allein, der Weg - der kaum als solcher bezeichnet werden konnte - war alles andere als angenehm. Unbeholfen stolperte die zierliche Frau über die Steine, eine Hand um einen anderthalb Schritt hohen Stock mit geschnitztem Rabenkopf geklammert, die andere sehr unzeremoniell in den Ärmel des bulligen Oberst geknallt, und hatte Mühe, mit den Schritten der Angroschim und anderen Begleiter mitzuhalten. Mit gesenktem Kopf sparte sie ihren Atem und richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Boden unter ihren Füßen und dem Versuch, nicht allzuoft von den Steinen unter ihren Füßen abzugleiten. Eine Schweißperle rollte ihr von der Nase und sie sehnte die nächste Pause herbei, die noch unendlich lange entfernt schien.

Der massige Zwerg an der Seite der Geweihten gab sich redlich Mühe, für ihre Sicherheit zu sorgen. Straucheln tat ihre Gnaden dennoch dann und wann, jedes Mal aber, wenn dies geschah, war der Oberst zur Stelle und stützte sie oder fing sie gar auf, so dass ein Sturz verhindert werden konnte. Druckstellen würde Marbolieb dennoch davontragen, denn Dwarosch griff beherzt zu, wenn es zu einer solchen Situation kam. Alles in allem war dies aber wohl das geringere Übel, denn Schürfwunden oder gar eine Verstauchung trug sie so keine davon. Letztere hätte in der nur schwer zugänglichen Wildnis des Isenhag zudem ein Problem für die ganze Gruppe bilden können.

Der Vogt von Nilsitz und Boindil, sein ständiger Begleiter, liefen an der Spitze der kleinen Reisegesellschaft. Borindarax, der für ihre Wanderung eine kurze Lederhose, schwere Schnürstiefel und ein ärmelloses Kettenhemd gewählt hatte, schwitzte trotz der luftigen Aufmachung und das lag nicht nur an dem Zwergenschlägel, den er über die Schulter gelehnt trug. Nein, Borax war diese Anstrengungen schlicht kaum noch gewohnt, seitdem er den Grafen als Vogt vertrat. Seine feuerroten, wilden Haare klebten ihm bereits am Kopf, als das Praiosmal noch nicht einmal seinen höchsten Punkt erreicht hatte. Borindarax war die Kühle seiner Schreibstube tief unter der Erdoberfläche gewohnt und hatte sichtlich zu kämpfen mit der Hitze des Tages. Ein ums andere Mal mussten sie rasten, da der Vogt Luft schnappen und etwas trinken musste. Ein Umstand, den nicht alle Anderen als störend empfanden. Boindil, der trotz schwerer Lederkleidung und eines langen Kettenhemdes deutlich ausdauernder war, neckte seinen Dienstherrn deswegen dann und wann, was Borax jedoch mitnichten störte. Ganz im Gegenteil, Borindarax nickte sogar voller Selbstironie zustimmend oder lachte gar über den ein oder anderen Scherz seines Leibwächters.

Dwarosch, der ähnlich wie Boindil gerüstet unterwegs war und einen Felsspalter in einem Waffengehänge auf dem Rücken trug, schüttelte schmunzelnd den Kopf, wenn die beiden sich Mal wieder kameradschaftlich mit Worten beharkten. Es war der Oberst gewesen, der Borindarax den jungen Krieger zur Seite gestellt hatte und er sah mit Wohlwollen, dass aus dem Auftrag den Vogt zu schützen mehr geworden war - Freundschaft. Mal vorne, mal hinten, oder einfach nur querfeldein, der kleine schwarzhaarige Geode Lagorasch schlug mit seiner einfachen Lederweste, der Wildlederhose und der einfachen Tasche an seiner Seite ganz aus der Art der Zwerge. Es schien immer wieder als ob Bäume, Sträucher und Wurzeln ihm Platz machten. Jedermann merkte wie das Wandern in der Natur ihn erfreute und er gerne Wasser besorgte oder die ein oder andere Wurzel, Pflanze oder Beere den Anderen anbot.

Die Mittagsstunde war über die Berge gekommen und hatte die Schatten verscheucht. Über dem Geröllfeld weit über der Baumgrenze, das die Gruppe gerade überquert hatte, flimmerte die Luft. Das nächste Stück des Weges, ein schmaler Sims entlang einer Felswand, würde nicht viel einfacher werden, und so war der spärliche Schatten, den die Wand warf, ein willkommener Grund, einige Augenblicke Atem zu schöpfen, ehe man das nächste, nicht einfach Wegstück in Angriff nehmen würde. Ein kleiner Bach, der am Rand des Schotterfeldes seinen Weg suchte, nicht mehr als ein Spann breit und so flach, dass die Felsstücke auf seinem Grund glitzerten, sang unbeirrt des sengenden Praiosmals sein Lied und erzählte von den schneebedeckten Kuppen der Eisenberge, die sich noch ein ganzes Stück über den Häuptern der Reisenden ins blaue Alveranszelt erstreckten.

Die Boroni Marbolieb hatte sich mit dem Rücken gegen eine Felswand gelehnt, merklich erschöpft von dem vergangenen Wegstück. Mit über den Knien gefalteten Händen, ihren langen Stecken neben sich, genoss sie mit geschlossenen Augen einige Atemzüge lang die Rast. Langsam beruhigte sich ihr aufgeregter Herzschlag wieder, den der Weg über den unsicheren, rutschenden und wenig gangbaren Geröllhang aufgescheucht hatte wie einen kleinen, aufgeregten Vogel. Wie hatte sie auf die Idee verfallen können, zu einer Wanderung über das Gebirge aufzubrechen?

Sie schob sich ihre Kapuze zurück und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, ehe sie sich verstohlen mit ihrem Ärmel etwas Luft zufächelte. Er hätte es nicht offen zugegeben, aber Argmin war froh, dass sie eine Pause machten. Er kniete nieder und ließ den Rucksack zu Boden gleiten, nahm den Rondrakamm vom Rücken, um ihn, sanft und nahezu liebevoll an einen Baumstamm zu lehnen. Der Almadin fing das Licht des Praiosmals auf und warf es vielfach und funkelnd und feurig und ungeduldig zurück. Argmin hielt kurz inne und schickte ein kurze Gebet an die Leuin und dankte ihr für ihre Güte und ihre Geduld mit ihm, führte die rechte Hand zum Herzen und die Linken ehrfürchtig zur Mitte der Kreuzstange der Klinge, dann erhob er sich.

Er vergewisserte sich, dass das Schwert gut und sicher stand, dann trat der Novize zur Boroni und sprach sie leise an, um sie nicht zu erschrecken. “Euer Gnaden? Darf ich Euch Wasser bringen?”, dann berührte er sie am Arm und führte den Wasserschlauch, so dass ihre Hände das Leder berührten und sie ihn greifen konnte, wenn ihr danach war. “Oh.” Die junge Geweihte wandte sich überrascht dem jungen Rondrageweihten zu. “Gerne.”

Marbolieb nahm vorsichtig mit beiden Händen den Wasserschlauch entgegen und trank mit durstigen Zügen. Die zierliche Geweihte war noch jung, Anfang 20, und besaß leicht gebräunte, glatte Haut und sehr ebenmäßige Gesichtszüge. Ihr glattes, rabenschwarzes Haar war nicht mehr als ein feiner, nicht ganz einen Halbfinger langer Schatten, der nur so gerade eben ihr Haupt bedeckte. Schließlich setzte sie den Schlauch ab, streckte ihn in die Richtung, in der sie den Mann vermutete und lächelte erleichtert. “Das tat gut. Habt Dank, Euer Gnaden.” Sie übergab ihm den Wasserschlauch, rieb sich unbewusst über ihren Oberarm und verzog bei dieser Geste schmerzerfüllt das Gesicht.

Dwarosch trat hinzu und nickte dem Novizen der Leuin dankbar dafür zu, dass er Marbolieb versorgt hatte. Argmin nahm den Wasserschlauch entgegen und schaute unsicher der Boroni in die dunkelbraunen Augen, die an ihm vorbei in die Berge sahen. Er erinnerte sich gehört zu haben, dass sie im Kampf gegen Dämonenpaktierer einst ihr Augenlicht verlor, und dass seit jenem Tag sie mit Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin, eine tiefe Bande einte.

“Nur ‘Bruder’, Euer Gnaden.”, sagte er. Der Kopf der jungen Frau drehte sich stumm in seine Richtung. Argmin meinte zu spüren, wie sie ihn musterte, wie sie weit tiefer in ihn blickte, als Augen das je tun könnten. “Ich habe die Weihe noch nicht empfangen, Euer Gnaden.”, erklärte er sich. So wie er sagte, klang es wie eine Entschuldigung. Argmin schalt sich in Gedanken einen Narren. Die junge Frau vor ihm war eine Boroni, eine Geweihte des Unergründlichen. Sie hatte bereits gegen Dämonen gekämpft und gegen Paktierer, gegen das Böse und das Chaos - und er? Was hatte er schon vorzuweisen, wenn er vor den Altar der Leuin treten würde, um seine Weihe zu empfangen? Dann fielen ihm wieder die Worte von Hochwürden Bodia von Leuenfels ein: ‘Du stehst Dir selber im Weg, Knappe! Überwinde die Grenzen, die Du Dir selbst gesetzt hast.’ Er straffte sich innerlich und körperlich und lächelte und flüsterte zu sich selbst ‘Dir, Sturmbringerin, widme ich mein ganzes Sein!’.

Ein warmes Lächeln angesichts seiner Worte verzauberte die Lippen der jungen Frau und ließ ihr Gesicht leuchten. Ihre dunklen Augen schimmerten wie der Himmel in einer mondlosen Sommernacht, schafften es aber nicht, die Gestalt des Knappen zu fassen. “So seid Ihr auf dem richtigen Weg, Herr Argmin.” Sie schwieg einen Moment und überlegte, ob es angemessen wäre, nochmals nach dem Wasserschlauch zu fragen. Vermutlich nicht.

“Sagt, was führt einen Novizen der Leuin allein in die Berge?” fragte sie. “Was kann ich Euch darauf antworten, Euer Gnaden?”, antwortete er, lächelte in Gedanken. “Schwertschwester Bodia schickt mich auf Pilgerfahrt. Hochwürden Leuenfels hieß mich in Calbrozim jene Waffe entgegenzunehmen, die meine Tante bei Meister Raraxim in Auftrag gegeben hatte. Doch die Prüfungen der Götter kommen unerwartet und die Waffe verschwand mit dem Fürst der Muscheln und tauchte erst in den Tiefen des Heiligtum des Flussvaters bei Sturzenstein wieder auf.” Er drehte sich um, und sah nach dem Rondrakamm und ließ seine Augen für einen Augenblick auf der Klinge ruhen, so wie ein Liebender seine Geliebte anblicken würde, jener Blick, der mehr sagte, als alle Worte je sagen könnten. Dann wandte er sich wieder der Geweihten zu. “Meine Weihe erhalte ich, wenn ich mich der Leuin als würdig erwiesen habe. So sagte Schwertschwester Leuenfels. Sie ... nun, sie wählte andere Worte … und sprach zu mir frei aus dem Herzen.” Er hielt erneut inne, zögerte weiterzusprechen, sah dann kurz zu Oberst Dwarosch, dann wieder zu Frau Marbolieb. “Hochwürden Bodia sagte mir, dass die größte Herausforderung, der ich mich stellen muss, ich selbst sei. Sie sagte mir, ich müsse lernen, das Leben zu meistern, denn das Leben sei so unberechenbar wie der Sturm der Herrin. Erst dann werde ich in Hlûtharshall zu Gratenfels den Schwur von Nebachot sprechen und aufgenommen werden in die Schwertgemeinschaft der Leuin. Ich werde der Göttin dienen, auf welchem Weg auch immer sie mich schicken wird, die Herrin wird meine Schritte lenken.” Er verstummte und sah auf seine Hände hinab, die noch immer den Wasserschlauch hielten, dann wieder in die Augen der Boroni. Argmin deutete zu Lagorasch und Borindarax hinüber, besann sich, dass Frau Marbolieb seine Geste nicht sehen konnte und fuhr ausführlich fort: “In den Hallen Calbrozims und im hohen Nilsitz und in den Tiefen von Sturzenstein lernte ich in der Gegenwart von Borindarax, Lagorasch und Grimmgasch viel über die unergründlichen Wege der Götter, über Vertrauen und Freundschaft - und über das Ablegen von Vorurteilen und das Annehmen des Unbekannten. Und so kam ich hierher, in die Berge von Isenhag. Der Vogt von Nilsitz bat mich, und ich folge ihm.”

“Ihre Hochwürden spricht weise.” Die kleine Geweihte legte ihr Hände übereinander und lehnte sich an den sonnenheißen Stein in ihrem Rücken und bot ein in sich ruhendes Bild, das doch viel vom Süden erzählte, wo ihre Heimat sein musste. Sie trug eine einfache Robe, mit einer schmalen, silberfarbenen Borte um Ärmel und Saum, sowie einen weiten Kragen mit Kapuze aus tiefschwarzem Leinen. Die weiten Ärmel hatte sie bis zum Handgelenk gezogen, und am Halsausschnitt blitzte eine silberne Kette auf, Kompensation dafür, dass sie kein Boronsrad um den Hals - und keine solchen Stickereien an der Robe - an sich wusste. Ihre Hüfte gürtete eine einfache Kordel, an der eine schmucklose Gürteltasche und ein Stoffbeutel hingen. Bewaffnet war die Frau nicht - nicht einmal ein Messer war an ihr zu erkennen. “Und Ihr?” Sanft war ihre Stimme, leise und nur für die Ohren des Knappen bestimmt. “Wie steht ihr in diesem Kampf?”

Argmin schaute Marbolieb an. In seinem Kopf drehten sich die Gedanken. Die junge Frau begleitete sie nun seit wenigen Tagen und doch waren sie und der Oberst ihm schnell ein vertrauter Teil der Gemeinschaft geworden. Wie mit den Zwergen hatte der Novize der Rondra auch mit Marbolieb die Erfahrung gemacht, dass Gespräche nach einer gewissen Zeit des höflichen Abstandes mit eher unverbindlichen Themen dann zu persönlicheren Fragen führten.

“Es ist wie mit dem Schwertunterricht - die Theorie ist einfach, doch die Praxis ist immer anders und unerwartet. Doch man lernt bei jeder Übung dazu.” Er lächelte. “Die Götter prüfen uns. Tag für Tag. Sonnenlauf für Sonnenlauf. Immerzu. Das ganze Leben erscheint mir als eine Prüfung im Angesicht der Alveranier - so bringt doch jeder Tag neue Herausforderungen mit sich. Im Kleinen, wie im Großen. Und nicht immer helfen die Lehren des Tempels weiter, denn die göttliche Schöpfung ist zu mächtig, als dass sie sich in Worte fassen lassen würde. Und wenn die Worte der Tempel nicht weiterhelfen, dann ist das Vertrauen in die Zwölfe, die uns den Pfad voranschreiten lässt, egal mit welchen Dornen und Steinen er auch gespickt sein mag. Ich glaube, dass ist es, was Schwertschwester Bodia mich damit lehren will - dass das Leben mit zu vielen Möglichkeiten, Gefahren und Freuden aufwartet, als dass die Lehren alles abdecken würden, sondern dass es das Urvertrauen in die Zwölfe und ihren göttlichen Plan für unser aller Schicksal ist, der uns durch das Leben leitet … .” Er stockte und kam sich auf einmal unsagbar dumm vor, als er diese Worte zur Boroni sprach. ‘Als ob sie es nicht besser wissen würde…’ “Im Angesicht der Leuin werde ich mich beweisen”, beendete er schnell seinen Monolog mit den traditionellen Worten der Rondrakirche. Die blinde Borongeweihte hatte aufmerksam gelauscht, ihre Hände locker auf ihren Schenkeln übereinandergelegt. Sie wog die Worte ebenso sehr wie die Art und Weise, wie der Novize sie sprach, erzählte dies doch mindestens ebensoviel wie der reine Wortlaut der Rede. Hier berichtete der junge Mann merklich von einem: Zweifel.

Die gerade knapp über 20 Sommer zählende Priesterin grub ihre Zähne in ihre vollen, roten Lippen und sann darüber nach, welche Antwort wohl die beste wäre. “Und woher wisst ihr, was der Weg der Leuin ist, Novize?” fragte sie schließlich mit sanfter Stimme. Argmin lächelte unsicher zu den freundlichen Worten der Geweihten. Wie oft schon hatte er sich selbst diese Frage gestellt? Wie oft schon war er nachts wachgelegen und hatte darüber nachgedacht? “Die sieben Bücher des Heiligen Rondrariums sind die Grundlage aller Wege der Leuin, Euer Gnaden, denn darin steht, worauf unser Glaube an die Herrin baut.”, sprach der junge Novize, so wie er es gelernt hatte. “Kampf ist das alles bestimmende Element des Lebens. Der Zweikampf ist die edelste Form dieser Herausforderung, doch es ist viel mehr. Jeder Schritt, jeder Atemzug, jede Entscheidung kann eine Prüfung sein. Und die Leuin lehrt uns, keine Herausforderung auszuschlagen oder ohne Antwort zu lassen, solange darin Würde oder Ehre liegt oder die Möglichkeit den Ruhm der Herrin zu mehren.” Er machte eine Pause und dachte nach bevor er fortfuhr: “Doch die Sturmbringerin lehrt uns auch, dass wir nicht blind folgen sollen. Dass wir keine Soldaten sind, die Befehlen folgen, ohne deren Sinn zu hinterfragen. Jeder von uns wird von Ihr selbst auserwählt. Jeder von uns ist eine Klinge der Göttin, von Ihr begutachtet und geprüft. Ihr selbst bin ich Rechenschaft schuldig. Und so ist es meine heilige Pflicht, jeden meiner Schritte, jede meiner Entscheidungen zu prüfen und zu hinterfragen. Ich maße mich nicht an, den Willen der Herrin abschließend deuten zu können. Und so übe ich mich in Demut und im Gebet zur Herrin, auf dass Sie mich führt auf Ihrem Weg.”

Die Boroni lauschte achtsam und ohne ein eigenes Wort. Sie nickte auf die Worte des Novizen. Was er sprach, klang in sich wahr. Vor allem, dass er Nichtwissen der letzten Wahrheit, vom Prüfen und Hinterfragen jedes Schrittes, sprach.

“Ich denke, ihr seid auf einem sehr klugen Weg, Herr Argmin. Vergesst niemals, dass es die Zwölfe sind, nicht ihre Diener, welche die letzte Wahrheit in sich tragen - und Eure Schritte werden euch sicher tragen, auch wenn Ihr das eine oder andere mal stolpert.” Sie lächelte in die Richtung, in der sie den jungen Mann vermutete.

“Vielleicht mögt Ihr auf der Reise noch einigemale mit mir reden? Über die Götter - und über euch? Dies würde mich freuen.” “So lehrt uns die Leuin, dass es nicht das Stolpern ist, das wir fürchten sollen, sondern das Liegenbleiben.” Das war es auch, was Schwertschwester Bodia ihm lehren wollte. Dass es nicht darum ging, die Schriften des Rondrariums auswendig zu lernen. Dass es nicht darum ging, den Schattenkampf vor den anderen mit Schwert und Schild zu meistern. Dass es nicht darum ging, höfliche Dispute über die Philosophie des Krieges zu führen. Sondern dass es letztendlich darum ging, von der Göttin selbst geprüft zu werden. Jeden Tag auf das Neue. Und dass es auch das aufrichtige Streben nach dem Sieg war, was zählte. “Ich danke Euch, Euer Gnaden, für Euer Angebot und von ganzem Herzen wäre es mir eine Freude.”

Er blickte sie für einige Atemzüge an, sah in ihr ebenmäßiges Gesicht. Er spürte Erleichterung darüber, dass sie beide so frei gesprochen hatten, freier als es das Protokoll erlaubt hätte, Hier oben, in den Bergen des Isenhag, so weit weg von allem, hier in dieser Gemeinschaft von freien, ehrlichen Leuten, da waren andere Dinge wichtig, als Titel und Amt.

Er nickte der blinden Marbolieb zu. “Ich lasse Euch nun Eure Rast, Euer Gnaden. So wie ich die Zwerge kenne, werden sie sich noch ein gutes Stück des Weges schaffen wollen.”, dann wandte er sich an Dwarosch und reichte auch ihm den Wasserschlauch. “Oberst?”

“Danke”, entgegnete der Zwerg und nahm seinerseits den Wasserschlauch an sich, um einen tiefen Schluck daraus zu nehmen. Als er ihn wieder absetzte und an Argmin zurückreichte, deutete er knapp in Richtung des Rondrakamms, der immer noch an einem Baum lehnte. “Borax hat mir einiges von dem Meisterstück erzählt, dass ihr bei euch tragt und euer Eigen nennt. Es, nein - sie mit eigenen Augen zu schauen aber ist etwas anderes. Ich sah viele Waffen in meinem Leben. Diese ist etwas Besonderes! Sie ist schön und doch deuten die ‘Wellen’ an, welch verheerende Wunden sie imstande ist zu schlagen. Sie besitzt tödliche Eleganz”, resümierte Dwarosch mit einem Schmunzeln.

“Wisst ihr schon, welchen Namen sie tragen soll, wenn sie eure Weihewaffe wird?”, fragte der Oberst interessiert. “‘Wellenkamm’ nanntet ja nicht ihr sie und dies wäre ja vermutlich auch kein passender Name für euch, denn ein Geweihter der Leuin trägt den Namen seiner Waffe ja selbst als so etwas wie einen Beinamen, richtig?”

Stolz füllte Argmins Brust, als er sah, wie der Oberst die Waffe ansah. “Sie stammt aus der Schmiede von Meister Raraxim in Calbrozim, ein wahres Meisterwerk hat er mit ihr geschaffen. Der Stein wurde einst dem Flussvater vor langer Zeit übergeben von Euren Vorfahren, als Zeichen des Verbundenheit und als Pfand für einen Schwur. Dieser Schwur wurde erneuert und der Fürst der Muscheln übergab mir Klinge und Stein - und eine Aufgabe.” Die Praiosscheibe ließ den Edelstein funkeln wie feurige Glut.

“Ja, Oberst. Wenn ich die Weihe zum Priester der Leuin empfangen werde, werde ich den Namen meiner Familie ablegen und einen neuen Namen annehmen. Ich werde mich so nennen, wie die Sturmbringerin mich rufen wird. Sie wird mir meinen wahren Namen geben und ich werde Ihr Schwert werden. Und mein Schwert wird wiederum Teil von mir werden. Wir werden eins werden, eine Waffe, eine Klinge der Göttin.” Euphorie sprach aus Argmin, er spürte wie sein Blut aufwallte. “Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg, denn nur in höchster Entrückung in der Nähe zur Göttin und nur wenn ich mich würdig erwiesen habe vor der Löwin Alverans, wird Sie mir meinen Namen zuteil werden lassen. Wenn ich ihn erfahre, dann weiß ich, dass ich heimkehren kann nach Hlûtharshall, um die erste Weihe zu erhalten.”

Zustimmend nickte der Zwerg zunächst nur, wie zu einer stummen Antwort. Dwarosch war in seinem Leben einigen Dienern Rondras begegnet und er meinte den jugendlichen Eifer, ja die inbrünstige Gläubigkeit in Argmin zu erkennen, den er bereits bei anderen zuvor kennengelernt hatte. Und doch gab es zumindest in seiner Wahrnehmung etwas, dass die Rondrianer von anderen Zwölfgötterdienern unterschied, und das war mitnichten die Wahl der Mittel. “Das was ich glaube bereits von Klerikern eurer Kirche erfahren zu haben ist, dass die Verbindung zur Leuin bei jedem ihrer Diener anders ist, speziell. Und ich bin der Überzeugung, dass es keine andere Kirche gibt, bei der die Auslegungen der gängigen Glaubenslehren mehr von dem Individuum abhängt mit dem man spricht.

So zumindest stellt es sich für mich als Außenstehenden dar. Ich meine damit nicht ausschließlich den Unterschied zu der Senne Südaventuriens, die Rondra auf ihre eigene Weise verehrt und sich gewissen Aspekten weniger verschließt.” Dwarosch seufzte. “Auf dem vergangenen Heerzug lernte ich den Ritter der Göttin Hagrian von Schellenberg kennen. Wir hatten einige Dispute was Strategien und Taktiken angeht, aber wir fanden eine Art und Weise miteinander respektvoll umzugehen. Mehr noch, wir wuchsen aneinander. Ich schätzte ihn sehr und ich glaube, dass es ihm ähnlich ging, obwohl uns auch vieles gab, dass uns trennte.

Ich war die meiste Zeit meines Lebens Söldner und bin dem blutigen Sohn Rondras gefolgt, mehrere Jahrzehnte unter dem Banner der Korknaben. Zu Rondrianer hatte ich stets ein sehr gespaltenes Verhältnis und wahrscheinlich auch keine sonderlich gute Meinung”, gestand der Oberst leicht zerknirscht. “Hagrian öffnete mir die Augen. Er kämpfte wie ein wahrer Löwe vor dem Zwinger Mendenas. Er, ein einzelner Mann war vielen ein Vorbild an Mut und Tapferkeit und ja, er machte einen Unterschied. Weniger seine Worte, als mehr seine Taten - die Hingabe in allem was er tat, überzeugte mich, dass es eure Kirche ist, die über den Frieden wachen muss nach all den dunklen Jahren. Kor, dem ich diene, aber dem ich nie mein Leben weihen werde, darf nur da sein schreckliches Antlitz zeigen, wo die Wahl des letzten Mittels notwendig ist.”

Der Oberst schmunzelte und schien fast ein wenig über sich selbst verwundert. Eine Erklärung war notwendig. “Ihr werdet euch sicher fragen, warum ich die Worte so eindringlich wählte”, setzte Dwarosch also wieder an. “Nun, ich bin heute, nach all dem Leid, dass der Kontinent durch den vergangenen Krieg gegen Borbarad und später seine Schergen erfahren hat, der Überzeugung, dass wir eine starke Rondrakirche brauchen, um den Frieden zu wahren und zu festigen, aber auch, um bei künftigen Konflikten wieder darüber wachen zu können, dass die Grenzen des Unsagbaren nie wieder überschritten werden. Geht euren Weg und wenn ihr eure Weihe erhalten habt, so ergründet welche Aufgabe die Leuin euch zur Lebensaufgabe gemacht habt. Ihr werdet gebraucht.”

Der junge Novizen war den Ausführungen des Oberst mit großen Augen gefolgt. Dass der Zwerg schon viel gesehen hatte, war ihm bekannt. Dass der Zwerg ein statthafter Krieger war, zeigten seine Narben und die Art, wie er sich bewegte, wie er seine Umgebung musterte. Kor! Bei dem Namen des Leuinssohnes stellte sich seine Nackenhaare auf. Der Oberst war dem Weg des Schnitters gefolgt, dem Herrn des Gemetzels und des Blutes. Er spürte, wie sich seine Kiefermuskeln verkrampften. Keine Ehre lag in dem Weg des Schwarzen Mantikors, keine Ehrlichkeit, keine Aufrichtigkeit. Für Ihn zählte allein der Sieg, ohne Rücksicht, ohne Gnade. Der Kor-Knaben Ruf war weitverbreitet, sie waren die Besten der Besten unter den zwergischen Kriegern, dem Hochkönig und ihrem Volk verschworen. Argmin spürte Unsicherheit in sich aufflammen.

"Der Unbarmherzige ist der Leuin und des Drachen Sohn. Seines Vaters Wut wallt heiß in Seinem Körper. Sein ist der Kampf und der Rausch und das Blut, das fließt, doch ohne Ehr", zitierte der Rondranovize. „Ich bin noch niemandem begegnet, der dem Mantikor huldigt und ich muss gestehen, dass ich nur weiß, was ich von Schwertschwester Bodia lernte – und das waren keinen guten Worte, die sie verloren hat. Doch die Leuin lehrte uns, nichts hinzunehmen, drum will ich mir eine eigene Meinung bilden. Rondra wählte Kor als Ihren Richter, so steht es niemandem zu, dies zu hinterfragen, und so wie Rondra in Alveran das Schild und das Schwert für die Schöpfung und die Herrin des Krieges ist, so ist Kor Ihr schwarzer Prinz. Ihr habt an der Seite von Hagrian von Schellenberg gekämpft? Ich hörte von seinen Taten, meine Mutter ist eine geborene Schellenberg. Auf Hagrian und seiner Mutter geht die Verehrung der Sturmbringerin in der Familie meiner Mutter zurück …“ Argmin musterte den Oberst eindringlich.

“Das habe ich Argmin”, bestätigte Dwarosch mit ruhiger Stimme und einen leichten Nicken. Das war jedoch nicht alles, was er dazu zu sagen hatte. “Ich stritt mit ihm über seinen und meinen Glauben, so wie wir im Begriff sind es zu tun. Hagrian und ich erhoben gemeinsam die Gläser und wir kämpften Seite an Seite. Wir rieben uns aneinander, aber wir wuchsen auch aneinander.” Trauer lag in der Stimme des Zwergen. Der Oberst seufzte. “Leider war es mir nicht vergönnt ihn zu Grabe zu tragen. Er starb in der Fremde. Ich schließe ihn häufig in meine Gebete mit ein. Mehr blieb mir verwehrt.”

Dwaroschs Miene wurde ernster. “Eines aber habt ihr falsch verstanden Argmin. Ich ‘huldige’ Kor nicht! Nein, ich verspüre sogar eine tief in mir verwurzelte Wut auf den den Sohn Angroschs und Rondras, der er ist im Glauben meiner Rasse,” stellte der Oberst klar. “Derjenige der lachend über das Schlachtfeld schreitet erwählte mich, nicht ich IHN. Glaubt nicht, ich habe mir SEINEN Weg ausgesucht. Nein, ER machte mich zu seinem Werkzeug und das gegen meinen Willen.

SEIN Weg ist hart, grausam, rücksichtslos, ohne Erbarmen und Gnade, doch irgendjemand muss ihn gehen. Rondra erwählte IHN nicht ohne Grund zu ihrem Scharfrichter. Es gibt eine Notwendigkeit für SEINE Existenz. Dies musste ich lernen, um mich mit diesem Schicksal, mit IHM zu arrangieren. Und ich erkannte meine Rolle in SEINEM Plan.

Ich sehe meine Aufgabe darin mein Volk auf das durch unseren Hochkönig verkündete Heldenzeitalter vorzubereiten. Der Rogmarog von Isnatosch hat mit Senalosch die letzte Festung errichten lassen. Ich tue mein Teil dieses Bollwerk mit Angroschim zu besetzen, die zu allem bereit sind das Fortbestehen unserer Rasse zu sichern, so wie wir es einst gegen die Drachen taten. Die Rolle als Oberst, die Instandsetzung der Festungsanlagen im Isenhag, der Tempel des Kor - des Biestes der immerwährenden Dunkelheit, dies sind alles Schritte auf diesem Weg.”

“Keine Gnade, kein Erbarmen, keine Ehre. Aber ewiger Kampf.“ Argmin hatte keinen Grund an den Worten Dwarosch zu zweifeln. Sie erinnerten ihn daran, wie er sich entschieden hatte, dem Weg der Alveransleuin zu folgen.

„Der Schnitter machte Euch zu Seinem Diener und Ihr folgt Ihm und zollt Ihm Seinen blutigen Preis? Er ist es, der angerufen wird, wenn die Schlacht aussichtslos ist, wenn Ehre nichts mehr zählt und die Zeit bar ist jeder Gnade und jedes Respekts vor dem Feind.“ Ein Anflug von Abscheu schlich sich in die Stimme des jungen Mannes. „Er ist es, der kommt, wenn es keine Hoffnung mehr gibt. Gibt es denn keine Hoffnung mehr für Euch? Euer Volk lebt länger als jedes andere Volk. Es heißt, ihr ward bereits hier, als Famerlor Seinen Bruder zerriss. Was kann den Angroschim zur Bedrohung werden? Was Ihr sagt, klingt nach den Vorbereitungen für einen neuen Krieg. Ein Krieg im Namen des Schnitters, wenn Ihr Ihm gar einen neuen Tempel baut?“

Der Oberst seufzte. “Wenn ich das nur wüsste …, ich könnte die meinen noch besser vorbereiten.” Er schüttelte den Kopf. “Doch kann man nicht leugnen, dass wir uns in einer Zeit des Wandels befinden, manche sagen zwischen den Zeitaltern. Sterne Fallen vom Firmament, Arivor ist nur ein Beispiel dafür. Sternbilder ändern sich, so auch das des Schwertes. Und”, Dwarosch lachte bitter auf, “der Sohn eines Drachen sitzt auf dem Horasthron. Für mich reicht das aus um dem vermeintlichen Frieden nicht über den Weg zu trauen. Und was Kor betrifft, so müssen wir doch feststellen, dass das Kaiserreich und die Sennen der Rondrakirche nicht verhindern konnten, was im Osten des Kontinents geschehen ist. Der Kampf dort besaß keine Ehre, es war ein Schlachten und Morden - aber es musste getan werden. Ich weiß das und ihr wisst es auch. Kors Prinzipien mögen einem aufrechten Mann wie euch widerstreben, aber er hat mitgeholfen die Zwölfgöttliche Ordnung wiederherzustellen. Darüber hinaus kennt Ihr sicher die Geschichten um das letzte Donnersturmrennen, in der der Heiligen Leomar von Baburin eine große Rolle spielt und in der Rondra mehr oder minder deutlich klarstellt, dass sie nicht als Göttin des Krieges verstanden werden will.”

„Es mag sein, dass die Kirche der Rondra das Wirken Borbarads nicht verhindern konnte, doch es war Ayla von Schattengrund, die die Heerscharen gegen den Schwarzen und seine Diener führte. Und es war am Altar der Leuin, wo Siebenstreich neu geschmiedet wurde“, sagte Argmin rechtfertigend, in scharfem Ton, eine Hand zornig zur Faust geschlossen, dann atmete er schwer aus und sprach im ruhigen, versöhnlichen Ton weiter. „Aber ja, ich weiß, was Ihr meint, Dwarosch, und ja, Kor hat Seines dazu beigetragen, dass Borbarad und seine Schergen keinen Sieg erringen konnten. Seine Prinzipien widerstreben mir in und mit jeder Faser meines Seins, doch Er ist und bleibt der Leuin Sohn. Ihr alleine ist das Recht gegeben, über Ihn zu urteilen.“ Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Wasserschlauch.

„So wie Ihr es sagt, wäre das alles erst der Anfang. Borbarad, Haffax, Siebenstreich und der Donnersturm entrückt, der Sternenfall… Der Anbruch eines neuen Zeitalters, eine neue Ordnung… Dann seid ihr der Zweifler Eures Volkes? Trotzdem die Völker Seite an Seite standen, vereint im Kampf gegen die Dunkelheit?“ Der Oberst lächelte. Trotz der energischen, gar aufgebrachten Worte Argmins, hatte sich der junge Diener der Leuin von seinem Standpunkt her auf ihn zubewegt. Mehr hatte er sich weder erhofft, noch mit seiner Rede bezwecken wollen.

“Es scheint mir wir haben einen gemeinsamen Nenner”, begann Dwarosch folglich ebenfalls versöhnlich. “Er mag klein sein, aber ich denke er wird reichen, um respektvoll miteinander auszukommen. Lasst mich euch also deswegen meine Meinung darlegen.”

Der Oberst holte einmal Luft und sammelte sich. “Ich bin kein Zweifler - so würde ich mich nicht bezeichnen, ich bin eher ein Mahner. Ich weiß welch enorme Kraft, welch immenser, schöpferischer Geist, welche Leidenschaft, Zähigkeit und Überlebenswillen in meiner Rasse steckt, doch sind wir weit davon entfernt all unser Potential auszuschöpfen. Weniger noch aber sind wir bisher auf das was kommen mag ausreichend vorbereitet. Borbarad war das erste, dunkle Zeichen. Seine Diener, die sich nach der Schlacht an der Trollpforte die Splitter seiner sieben Mal verfluchten Krone angeeigneten nur weitere Boten der hereinbrechenden Finsternis. Es endet nicht mit Xeraan, Galotta, Haffax, oder gar Rhazzazzor, dessen Karfunkel nun tief in Okdrâgosch, der Schwarzdrachenwacht, verborgen liegt. Nein.

Die Sterne fallen Argmin, ich sagte es bereits. Die Grundfesten Alverans sind im Wandel und dies wird auch Auswirkungen auf uns hier unten haben.” Dwarosch seufzte. “Meine Rasse ist heute nicht mehr die, die sie war, als der geflügelte Tod unsere Existenz Tag um Tag bedrohte”, gestand er. “Wir haben uns in alle Winde zerstreut könnte man sagen, einige sogar, die Gorschafortbrumborim haben die schützende, steinernen Hallen unter den Bergen verlassen, um unter freien Himmel zu leben. So sehr ich ihr gutes Essen, ihr Feste und ihre Friedfertigkeit schätze, so sehr fürchte ich um sie.” Ein Schulterzucken folgte. “Angenommen ich liege falsch, dann bin ich nur der ewig sorgenvolle, mahnende Nörgler - damit kann ich leben und meinen inneren Frieden machen. Doch wenn ich richtig liege Argmin, und das was ich tue nur einen verschwindend kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass meine Rasse das Heldenzeitalter, die letzte Schlacht oder was weiß ich überlebt, dann lasse ich mich gerne beschimpfen. Ja, dafür bin ich bereit vieles zu ertragen, denn ich fühle mich dazu berufen, von IHM dazu berufen, von Angrosch Sohn.”

„Wer sind wir, dass wir es wagen würden, das Wirken der Götter zu hinterfragen oder es auch nur zu verstehen zu wollen? Rondra erwählte mich. Ich diene Ihr mit Leib und Seele und werde Ihr eines Tages das letzte Geschenk geben, mein Leben. Die Alveransleuin hat eine jede und einen jeden von uns auserwählt und wir sind Ihr selbst Rechenschaft schuldig, noch bevor wir Ihrer Kirche Rechenschaft schuldig wären. Sie selbst mahnt uns an, jeden unserer Schritte, jede unserer Taten zu hinterfragen und stets erneut uns selbst zu prüfen. Sie selbst mahnt uns, zu streben und selbst Bewährtes nicht einfach hinzunehmen. Ich sehe den gemeinsamen Nenner.“

Er schwieg und starrte hinaus, über die Täler und Berge. „Die Maxime, der ich folge, fußt auf vier Prinzipien: Absolute Ehrlichkeit, der Göttin und uns selbst gegenüber und damit auch allem anderen. Verantwortung und Verpflichtung, gerade jenen gegenüber, die ohne Privilegien auskommen müssen, für die wir daher Schild und Wehr sein müssen. Und der ehrenhafte Kampf, wenn Kraft, Gewandtheit und Waffenkunst sich messen. Und überall dem steht die Ehre, die in niemanden Hands liegt, denn in meiner und der Herrin Rondras.“ Er drehte sich zu Dwarosch um. „All diese Dinge bedeuten dem Schnitter nichts. Daher wünsche ich uns allen, dass Ihr falsch liegt und dass es nur ein Mahnen ist, dass Ihr Eurem Volk von Ihm bringt.“

Ingerimms Geselle

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Der ebenfalls für einen Angroschim noch recht junge Grimmgasch hatte sich der Gruppe auch angeschlossen, da er erfahren hatte, dass Ishna Mur nach den vielen Jahrhunderten des Dämmerschlafes hinter den Siegel der Rogmarogs wieder bewohnt wurde. Dass sich dort viele Zeugen der Vergangenheit finden lassen würden, war für ihn klar und daher bedurfte es keiner großen Überzeugungskraft, sich auf den Weg zu machen. Als er dann noch hörte, dass auch seine Freunde Argmin und Lagorasch mit dabei sein würden, gab es für ihn kein Halten. Der Weg entlang der Vorgebirge des Eisenwaldes war von der Qualität, die er in den letzten Jahren oft genug gegangen war. Daher war er auch trotz der Wärme des Praiosmals nicht so sehr außer Atem. Als sie jetzt hier in der Wärme des Sommermonds auf den Felsen saßen und die Aussicht genossen, meinte er zu seinen Begleitern: “Findet ihr diese Berge nicht auch so herrlich?”

“Hmmm”, brummte der Oberst zustimmend. Borindarax ließ sich derweil auf einen Felsbrocken plumpsen und streckte mit einem Stöhnen die strapazierten Beine aus, eine Geste, die Boindil und Dwarosch erneut lächeln ließ. Während der Leibwächter dem Vogt einen Wasserschlauch reichte, stemmte der Oberst die Hände in die Hüften und streckte den Rücken durch. Danach drehte er sich und genoss das sich ihnen bietende Panorama, berauschte sich daran. Dwarosch liebte die Berge - ihre Erhabenheit und den Frieden, den sie in seinem Herz bewirkten. Dann trat er an den Abhang zu den Zwergen und ließ die verspannten Schulter kreisen. Er sah zurück in das grüne Tal, aus dem sie hinaufgestiegen waren und ließ seinen Blick schweifen.

“Wohl, Grimmgasch, es ist ein herrlicher Anblick - auch wenn ich gestehen muss, dass ich froh bin, dass früher oder später jedem ‘hinauf’ auch ein ‘hinab’ folgen wird.”, antwortete er auf die Frage seines Freundes.

Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Wasserschlauch. Das einst kalte Wasser darin war inzwischen warm geworden und schmeckte etwas schal und nach Leder. Argmins Augen folgten dem schmalen Pfad bergaufwärts. Des Praios’ Scheibe stand nahezu senkrecht am Himmel. Erst wenn sie weiterwandern würde, würde sich auf ihrem Weg wieder Schatten bilden, bis dahin würde sie unter dem strengen, unbarmherzigen Blick des Praiosmal schreiten müssen. Argmin wog den Trinkschlauch in seinen Hand. Er würde ihn auffüllen an jenem kleinen Bach, denn er wusste nicht, wann sie wieder Wasser finden würden. “Sag an, werter Grimmgasch, wann schätzt Du erreichen wir Ishna Mur?” Grimmgasch überlegte kurz, dann blickte er zu der blinden Boroni und dem erschöpften Rondrageweihten: “Also sicher weiß ich's auch nicht, denn ich war ja noch nie da. Aber wenn ich die Beschreibung richtig verstanden habe, dann zieht sich der Pfad weiter hier am Nordhang der Berge entlang bis sie sich in ein breites Tal nach Süden zurückziehen. Das Tal ist gegenüber der großen Südschleife des Großen Flusses und zieht sich immer schmaler werdend bis fast auf die Kammhöhe. Ich denke, dass wir wohl noch ein wenig brauchen werden. So zwei Tage … .”

Den letzten Satz ließ er im Raum stehend und stocherte verlegen mit seinem Wanderstab vor sich in der Erde herum.

Grimmgasch sah noch fast so aus wie Argmin und Lagorasch ihn von einigen Monaten in den Hallen des Flussvaters gesehen hatten, trotzdem war so einiges passiert. Denn er war - wie die junge, blinde Boroni, die er insgeheim für ihren Mut zu diesem “Spaziergang” bewunderte - jetzt ebenfalls mit den Gaben seines Gottes gesegnet. Es gab nur Details, die vorher nicht da waren: Um den Hals trug er jetzt einen silbernen Hammer, der ab und an durch den dichten roten Bart sichtbar wurde. Ebenso neu war der verzierte Schmiedehammer, den er am Gürtel trug. Der Tuchbeutel, in dem er seine Sachen trug, war auch deutlich größer und praller gefüllt als früher - denn irgendwo muss ja die Festrobe untergebracht werden, die er für die Gottesdienste in Ishna Mur braucht. Seine Reisekleidung war immer noch die schwarze Tracht aus schwerer Wolle, die an den Nähten und Säumen mit roten Flammen verziert war. Stiefel, Hose, Wams alles bequem und gut eingetragen. Der dicke Kapuzenmantel, der vor der Kälte und den plötzlich auftretenden Regengüssen schützen soll, war aufgerollt auf den Beutel geschnallt.

“Damit ist zu rechnen”, warf der Vogt mit leicht kratziger Stimme ein. Er tat noch einen Schluck aus seinem Wasserschlauch, bevor er weitersprach. “Die Soldaten des Oberst haben den Weg recht genau festgehalten und für Unkundige kaum erkennbare Wegmarken gesetzt. Außerdem gibt es zwei, den Tagesdistanzen angemessene Unterschlüpfe, die wir nutzen können. Sie sind trocken und verfügen über ein begrenztes Maß an Feuerholz für die Nacht.” Mit einem Bündel Blumen kam Lagorasch auf die Gruppe zu, es schien sich nur um eine Art von Blumen zu handeln. Ohne viele Worte setzte er sich, nahm einen großen und einen kleinen Stein und begann die Blumen zu zerstampfen. Sein goldener Halsring wippte auf und ab während er seiner einfachen Arbeit folgte und schon bald schlängelte sich auch seine gelbgrüne Kvillotter Serescha sein Bein hoch. Sie beobachtete was er mit seinen Händen trieb recht interessiert.

Nachtlager

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Es begann bereits zu dämmern, als Dwarosch vom Ende der kleinen Marschkolonne auf eine Felsformation abseits des Trampelpfades deutete. Sie lag etwas oberhalb von ihnen und war über einen sanft ansteigenden Hang zu erreichen, welcher von Gestrüpp und kleineren Sträuchern dominierten war. “Dort liegt unser Unterschlupf für heute Nacht”, stellte der Oberst erfreut fest.

Der kleine Aufstieg stellte nach den bereits überwundenen Schwierigkeiten des Tages kaum noch eine nennenswerte Herausforderung dar, doch waren alle müde und erschöpft. Demzufolge stieg die Stimmung mit jedem Schritt, den man dem Lagerplatz näherkam.

Das was die Gruppe daraufhin vorfand, war eine natürliche Höhle, die jedoch keine Zehn Schritt in den Felsen ragte und im Eingangsbereich aus sich überlappenden, oder sich aneinanderschmiegenden Gesteinsbrocken bestand, die durch eine aufwendige, hölzerne Stützkonstruktion stabilisiert wurden. Zu sehen war all dies wohlgemerkt erst, als die Reisegefährten unmittelbar vor dem Eingang standen, denn die ‘Erbauer’ hatten den Unterschlupf mit Buschwerk und einer Gruppe kleinerer Nadelbäume geschützt, die wohl extra zu diesem Zweck angepflanzt worden waren. Während im vorderen Bereich der Höhle eine kleine Feuergrube angelegt war, über der ein gusseisernes Dreibein stand, war weiter hinten ein Stapel penibelst aufgestapelter Holzscheite zu erkennen.

“Ah!” entfuhr es Grimmgasch, als er die Höhle und das vorbereitete Innere sah. “Hier haben unsere Brüder aber, Angrosch sei Dank, für eine gemütliche Übernachtungsmöglichkeit gesorgt. Eine schöne geschützte Höhle, Feuerholz, eine Kochgelegenheit und ich wette, dass es draußen nur ein paar Schritte entfernt eine Quelle und frisches Wasser gibt!” Er legte sein Gepäck ab und fragte dann in die Runde: “Soll ich ein Feuerchen machen oder ist es Euer Gnaden und den Herren warm genug ohne?”

Die blinde Boroni hatte ihren Stock unter den Arm geklemmt, ließ ihre Fingerspitzen an der Wand entlanggleiten und erforschte mit kleinen, vorsichtigen Schritten die kleine Grotte. Auf Grimmgaschs Worte hielt sie inne und lauschte in die Richtung des Angroscho.

“Danke. Für mich ist warm genug, Euer Gnaden.” antwortete sie auf das freundliche Angebot.

Wenn der Sommer in die Berge kam, würde er bleiben - und vermutlich würden die Temperaturen auch heute Nacht nicht zu tief fallen, auch wenn sie sich nach zwei Jahren im Gebirge noch nicht wirklich zutraute, dies zuverlässig einzuschätzen. Die Einheimischen schienen mit einem Blick zum Himmel zu wissen, wie das Wetter am kommenden Tag würde und wann das nächste Gewitter zu erwarten war - doch diese Feinheiten hatten sich der Puninerin bislang noch nicht erschlossen. Vermutlich musste man dafür viele Jahrzwölfte in den Bergen verbringen.

Sie lächelte in die ungefähre Richtung des zwergischen Priesters und nahm ihre Forschungen wieder auf. Nach dem langen Tag über Stein und Schotter spürte sie ihre Beine kaum noch. Sie stolperte über eine herausstehende Felskante und konnte sich gerade noch an der Wand abfangen, wo sie mit einem verlegenen Blick erst einmal stehenblieb, ehe sie sich nach ihrem Stock bückte, der bei diesem Missgeschick irgendwo am Boden gelandet sein musste.

Grimmgasch lachte leise auf, als ihn Marbolieb mit seinem offiziellen Titel ansprach und erwiderte in die Richtung der Blinden gewandt mit einem fröhlichen Ton: “Bitte nennt mich nicht ‘Euer Gnaden’, Euer Gnaden! Ich werde mich nie so recht an diesen Titel gewöhnen können, den ihr Kurzlebigen für die Angehörigen unserer Standes benutzen.

Ich bin ein Angroscho und da ist so etwas nicht üblich, nennt mich einfach Grimmgasch, das ist mir, meinem Amt und meinem Volk genug. Und wenn es Euch zu persönlich sein sollte, dann sagt ‘Bruder’ zu mir.”

Er drehte sich jetzt zu den anderen um. “Für euch gilt dieses selbstverständlich auch!” “Einverstanden, Bruder Grimmgasch.” Die kleine Menschenfrau nickte. “Nennt mich gerne Schwester.” So er wollte - Zwerge waren mitunter eigen. Menschen auch.

Männer sowieso.

Wo aber war dieser Stock nur hin?

Marbolieb ließ sich auf die Knie nieder und tastete nach dem entwischten Holzstück, das sich aber unter ihren suchenden Händen nicht zu offenbaren gedachte. Mit einem “Sucht ihr das, Schwester?” reichte Grimmgasch der blinden Frau den Stab, der sich außerhalb ihrer Reichweite an den Rand der Höhle verirrt hatte. Noch immer auf Knien nahm die Boroni den Stab entgegen, Erleichterung auf ihren Zügen, und schloss fest die Hände um das glatt polierte Stück Holz. Sie atmete tief ein, stützte den Stock auf die Erde - und blieb mit einem erschöpften Ausatmen sitzen.

“Danke, Bruder Grimmgasch.” Der Geweihte lächelte sie an. “Da nicht für, Schwester … ” Er zog seine Stirn kraus. “Wie war doch Euer Name?”

“Marbolieb, Bruder Grimmgasch.” Die Stimme der jungen Frau war leise, sanft - und erschöpft. “Gibt es beim Aufbau des Lagers etwas, bei dem ich helfen kann?” wollte sie wissen.

“Nun” meinte Grimmgasch, nachdem er mit seiner Lampe die dunklen Ecken der Höhle ausgeleuchtet und dabei in der hinteren Ecke hinter einem Felsbrocken eine mittelgroße Steintruhe gefunden hatte. “Hier sind ein paar haltbare Lebensmittel - vermute ich zumindest, denn so ist es in den anderen Nachtlagern auch. Ihr müsst wissen, dass die Angroschim an vielen Stellen in den Bergen solche Schutzhöhlen haben, schließlich kann einen hier schnell mal ein Gewitter, ein Sturm oder im Winter gar Schnee überraschen. Und wenn wir uns schon über der Angroschs Reich bewegen, dann wollen wir in einem solchen Fall ein Dach über dem Kopf haben.”

Er holte kurz Luft und frug dann Marbolieb: “Ich hoffe ich langweile Euch nicht?” Die Boroni, die aufmerksam mit leicht schräggelegtem Haupt gelauscht hatte, schüttelte energisch den Kopf. Ihre Kapuze verrutschte und gab ein sehr harmonisch geschnittenes Gesicht mit hellbronzenem Teint und einen Haaransatz mit nur dem Schatten von schwarzen Haaren frei. Es konnte noch nicht so lange her sein, dass sie das letzte Mal ihr Haupt rasiert hatte.

Dann fuhr er fort: “Die vielen Worte sollten ja eigentlich den Sinn dieser Kisten erklären. Wenn man also nass, müde und hungrig ins so eine Höhle kommt, dann findet man immer etwas Holz für ein Feuer und etwas zu essen vor. Und es ist daher auch Sitte, wenn man die Höhle wieder verlässt das, was man genommen hat durch etwas anderes, gleichwertiges zu ersetzen.” Nach den Letzten Worte öffnete er den Verschluss der Truhe und hob den Deckel an, um einen Blick auf den Inhalt zu werfen. Dort lag ein saubere Tücher eingeschlagen ein Schinken, ein tönerner Krug im eingelegten Eiern und ein paar Dauerwürste. Außerdem waren dort eine Pfanne, ein Topf und weitere Küchenutensilien untergebracht.

“Hier sind Schinken, eingelegte Eier und Wurst, könnt Ihr daraus etwas zaubern? Oder wollen wir uns von den mitgebrachten Vorräten bedienen?” Die Geweihte stutze und sah mit einemmal sehr bedrückt drein. “Ich kann nicht kochen, Euer Gnaden Grimmgasch.” Überhaupt nicht war die zutreffendere Bezeichnung.

“Tee könnte ich brauen, wenn ich Kräuter dabeihätte.” Die lagen in Calmir - seit nun schon zwei Götterläufen. Vermutlich waren sie längst von den Mäusen aufgefressen. Sie seufzte nachdenklich.

“Unsere Vorräte werden reichen müssen.” “Ich denke schon”, nickte der Angroschpriester. “Dann brauchen wir morgen auch nichts aufzufüllen.” Die Boroni schwieg nachdenklich, streckte die Hand suchend aus, bis sie die Felswand gefunden hatte, und rutschte so weit nach hinten, dass sie sich anlehnen konnte. Mit einem erleichterten Ausatmen legte sie den Kopf an die harte, kühle Wand und schloss einen Atemzug lang ermattet die Augen. Beruhigend fest, standfest und Ruhe verheißend war die stabile Wand. Kein weiteres Wandern für heute. Tief atmete sie ein und aus. Langsam ließ das Brennen auf ihren Fußsohlen bis auf ein erträgliche Maß nach.

“Euer Gnaden, was ist der Sinn daran, die Vorräte von hier zu nehmen, wenn wir sie wieder auffüllen?”

“Ihr sagt ja schon wieder ‘Euer Gnaden’, Schwester Marbolieb!” verbesserte der Zwerg. “Nun, der Sinn ist, das die Vorräte aufgefrischt werden und so die Sachen, die im Falle einer Notlage so wichtig sind auch dann genießbar sind.” Dann kramte er eine Decke aus seiner Tragetasche und ging zu Marbolieb. “Wollt Ihr Euch nicht auf eine Decke setzen? Die Steine sind hart und nachts wird es auch hier immer kalt.”

“Bitte entschuldigt, Euer Gn… Bruder Grimmgasch.” Marbolieb lauschte, was der zwergische Priester wohl gerade tun mochte. Offenbar entpackte er seine Ausrüstung. “Der Oberst hat eine für mich dabei.” beruhigte die Geweihte die Aufmerksamkeit in der Stimme ihres Glaubensbruders. Sie verschränkte ihre Finger über ihren angezogenen Knien, nachdem sie den Stock an ihrer Seite abgelegt hatte.

“Gibt es sonst etwas, das ich tun könnte? Könnt Ihr kochen?” fragte sie aufmerksam. “Kochen kann ich”, warf da der Leibwächter des Vogts ein. “Ich gehe Topaxandrina oft zur Hand in der Küche. Wir sollten ohnehin ein Feuer machen und über Nacht nähren, um die wilden Tiere fern zu halten. Außerdem gibt es etwas abseits einen Regenwassersammler, wenn ich es richtig gesehen habe.” Dwarosch nickte und bestätigte so die Vermutung von Boindil, der sogleich weitersprach. “Es ist jedoch sicher besser das Wasser abzukochen, sonst haben wir womöglich morgen alle Flinken Difar. Also, Bruder Grimmgasch, macht ihr ein Feuer? Ich hole Wasser. Tee für den Anfang und danach sehen wir was wir aus den Vorräten zubereiten können. Was meint ihr?”

Grimmgasch nickte kurz und meinte dann immer noch fröhlich: “Ein Feuer zu machen ist für mich eine deutlich einfachere Aufgabe als zu kochen. Schließlich bin ich ein Roroxo und kein Brumboro.”

Er begann dann ein paar Scheite aus dem Holzvorrat in die Grube zu stapeln und dann mit einem Span unter Zuhilfenahme dem heiligen Feuer in seiner Lampe zu entzünden. Nach ein paar Minuten flackerte dann ein gemütliches Feuer in der Höhle und begann langsam die kühlen Steine zu erwärmen. Feuer. Die bessere Wahl, wenn das Wasser nicht aus einem Gebirgsbach kam. Sie stellte sich vor, wie sie an der Stelle des Angroschpriesters mit Feuerstein, Stahl und Zunder gekämpft hätte und war froh daran, dass ihr Bruder im Glauben diese Aufgabe übernahm. “Was ist ein Brumboro, Bruder Grimmgasch?” gab sie schließlich ihrer Neugier nach. Diesem Wort war sie bislang noch nicht begegnet. Grimmgasch fuhr erschreckt aus seiner Arbeit hoch. “Oh verzeiht, Euer Gnaden! Ich vergesse immer wieder, dass wir mit Kurzlebigen reisen. Auch diesen Begriff müsst Ihr einen Angroscho verzeihen.

Brumboro ist die Kurzform von Gorschafortbrumboro, das heißt ‘Kind des Friedens’ oder wie ihr Menschen ihn nennen würdet ein Hügelzwerg. Dieses Volk lebt jenseits des Kosch und ist neben seinem guten Bier für seine Kochkunst berühmt. Nun ja, sie sind durch ihre Lebensart ein wenig verweichlicht und leben in Häusern!”

Er blickte kurz zu der Geweihten hinüber und versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, ob sie seinen Erklärungen folgen konnte. Marbolieb hatte ihre Hände um die Knie verschränkt und, angenehm an die Felswand gelehnt, interessiert den Ausführungen gelauscht. Sie hatte eine bestenfalls lückenhafte Kenntnis von fünf bis sechs Dutzend zwergischen Begriffen, aber dieser Hügelzwerg war ihr bislang noch nicht untergekommen. “Wir sind auf dem Feldzug durch den Kosch gekommen.” steuerte sie bei. Viel Zeit, das Land zu sehen oder die Kochkunst der Zwerge zu genießen, war dort indes nicht gewesen. “Habt Ihr schon einmal die Küche der Hügelzwerge genossen?”

Nachdem Grimmgasch stumm genickt hatte, fiel ihm ja ein, dass die Boroni ihn nicht sehen konnte, daher meinte er: “Ja, das habe ich. Während meiner Zeit als Novize war es mir aufgetragen alle wichtigen, heiligen Stätten der Angroschim - unabhängig von ihrem Volk - zu besuchen. Und so bin ich auch zum Schlund gewandert. Dort leben viele der Brumborim und da lernt man natürlich auch ihre Küche - und vor allem ihre Braukunst kennen. Und das ist eigentlich auch die Hauptsache, die sie interessiert.”

Als er wieder an diese Reise an die Ränder des Raschtulswalls dachte und an seine Begegnungen mit den Hügelzwergen, fiel ihm wieder ein wie sehr sich doch die Lebens- und Glaubensvorstellungen der Hügelzwerge von denen seines Volkes unterschieden. Sie lebten in den Tag hinein ohne sich ihrer Geschichte und ihren Ahnen bewusst zu werden.

“Und jetzt nennt ihr mich auch wieder Euer Gnaden, Bruder Grimmgasch.” schmunzelte die Boroni mit sachtem Tadel in der Stimme. “Mögt ihr mir mehr über die Hügelzwerge erzählen?” fasste sie vorsichtig nach. Dass sich die Völker der Angroschim derart stark unterschieden, wusste sie nicht. Sie hatte bislang nur viel über die der Schwertkunst verbundenen Ambosszwergen und den Angroschs Künsten zugetanen Erzzwergen erfahren - und doch waren die Hälfte der Erzzwerge, die sie kannte, hartgesottene Krieger. Am Herd konnte sie sich diese kaum vorstellen. Und doch täuschte - gerade bei Zwergen - der erste Eindruck oft. Sie lächelte, als sie eine Erinnerung an das Perainekloster in Storchengarten und die dortige Küche betrachtete. Lecker war das Mahl damals gewesen. Sie hatte zuvor nicht gewusst, dass Dwarosch derart gut kochen konnte.

Die Gedanken manifestierten sich als ein versonnenes, glückliches Lächeln auf ihren Zügen, das die Züge der jungen Frau wärmte und aufleuchten ließ. “Hmm,” begann der Zwerg mit der Antwort auf die Frage von Marbolieb. “Das ist eine sehr kurze Frage, die aber eine ziemlich lange und ausführliche Antwort folgen lässt. Ich hoffe, dass ich Euch nach den Anstrengungen des Tages dabei nicht zu sehr ermüde.”

Nach einer kurzer Pause, bei der er seine Überlegungen zu den Brumborim im Geist rekapitulierte, setzte er sich auf seine Decke, die er in die Nähe von Marbolieb ausgebreitet hatte, damit er nicht quer durch die ganze Höhle reden müsste, begann er gedankenverloren ins Feuer blickend zu sprechen: “Ihr wisst sicherlich, dass es vier große Völker der Angroschim gibt.

Die Boroschim, die ihr Kurzlebigen nach ihrem Wohnort auch Amboßzwerge nennt, die Domadin, die ihr Brillantzwerge nennt, die Brumborin und mein Volk der Roroxim. Als wir uns damals in wieder nach den Kämpfen gegen das elende Drachengezücht wieder auf unsere Aufgabe den Schutz der Welt besonnen und uns wieder in unsere Städte und Bingen zurückgezogen hatten, blieben die Brumborin über der Oberfläche und ohne den Schutz der Berge. Sie begannen im Kosch und in den Gebieten östlich davon zu siedeln. Und dabei bauten sie Häuser in die Hügel, die nur durch Erde und Gras gegen die Drax geschützt waren. Sie siedelten sogar am See und begannen Fische zu fangen - in Booten.

Und mit der Zeit gewöhnten sie sich immer mehr daran über der Oberfläche und bei den Großlingen zu leben und wurden geruhsam, faul und dick. Sie brauten Bier und kochten immer ausgefallenere Speisen.”

Grimmgasch stieß ein verächtliches Schnauben aus, blickte aus dem Feuer direkt zu Marbolieb und fuhr dann mit leichter Empörung fort: “Ka roboschan hortiman Angroschin! Das Essen und Trinken wurde ihnen wichtiger als die Bewahrung der Schätze der Erde, wichtiger als der nie enden wollende Kampf gegen die Drakorabrodrom und wichtiger als die Verehrung der Ahnen und Traditionen. Selbst ihr Glaube an den Weltenschöpfer hat Züge angenommen, die viele aus unserem Volk nicht verstehen und gutheißen.”

“Ich habe gehört, sie räumen den Zwölfen mehr Platz ein, als die Erzzwerge dies tun.” Die kleine Borongeweihte hatte aufmerksam dem Redefluss des Angroschpriesters gelauscht, auch wenn sie bei der ganzen Rede ihre Knie nicht losgelassen hatte. Auch, um zu vermeiden, dass ihre Hände verrieten, wie müde sie tatsächlich war.

Doch die Gelegenheit, die Weltsicht eines Priesters des Baumeisters der Zwölfe zu hören, war selten - und diese einzigartige Gelegenheit hätte sie für kaum einen Preis vermeiden wollen - zumal Bruder Grimmgasch ein ausnehmend freundlicher und aufgeschlossener Vertreter seiner Rasse war. Außerdem war es schon sehr lange her, dass sie überhaupt an die Möglichkeit geraten war, mit einem anderen Priester zu sprechen. “Seht Ihr dies ebenso, Bruder Grimmgasch?”

Grimmgasch war drauf und dran der jungen Geweihte auf diese Frage sofort eine heftige Antwort zu geben. Aber dann besann er sich darauf, dass sie alle nur Gäste des Vogts waren und daher beschloss er bevor der Geweihten des Totengottes der Menschen antwortete eine kleine Pause einzulegen während der er mit einem Stöckchen im Feuer spielte.

Hätte die Geweihte ihn sehen können, dann hätte sie sicherlich die Zornesröte auf seinen Wangen gesehen - die aber auch weitestgehend von dem Bart des Geweihten verdeckt wurden - ebenso wie die steile Falte, die sich auf seiner Stirn gebildet hatte.

Als die Spitze des Stöckchen Feuer fing, warf er es ganz in die Flammen und sprach betont ruhig: “Ein Angroscho hat nur Platz für den Einen, den Weltenbaumeister. Und nur Angrosch soll uns der Gott sein, dem wir folgen. Alles andere würde unsere Kirche - wenn sie überall so streng wäre wie Eure Kirche des Praios - als Blasphemie bezeichnen und verfolgen.

Aber Angrosch ist nicht nur der Schöpfer der Angroschim, nein, er ist ihnen auf ein gütiger und verzeihender Vater. Deshalb verzeiht er den Bruborim auch ihre Verwirrung im Glauben.”

Nachdem er der Geweihte seine Meinung verkündet hatte, war auch die Röte wieder aus dem Gesicht gewichen und er fügte noch hinzu: “Vielleicht seid ihr Großlinge aber auch einfach ein zu junges Volk, um die Traditionen wie wir Angroschim sie leben zu verstehen. Wir haben schon lange gegen alles Echsische gekämpft bevor ihr überhaupt euren Fuß auf diese Erde gesetzt habt. Und verzeiht, wenn ich das so direkt sage, Ihr selbst seid auch sehr jung.” Den Satz - damit fehlt Euch die Weisheit des Alters - ließ er unausgesprochen in der Luft schweben. Schließlich war seine Feuertaufe auch erst zwei Monate her und damit war er auch noch nicht von sich zu behaupten, das er diese Weisheit besäße.

Vorsichtig blickte er in die Runde, ob diese Erklärung nicht etwa bei den beiden Menschen - die ihr Leben ja jeweils einem der ‘Zwölfe’ gewidmet hatten oder widmen wollten - und natürlich bei seinen zwergischen Brüdern Unmut hervorgerufen hatte.

“Ich habe euch verärgert, Bruder Grimmgasch.” Eine ruhige Feststellung. “Bitte verzeiht.” Marbolieb schwieg einige Augenblicke und sammelte ihre Gedanken.

“Ja, ich bin jung, Euer Gnaden. Doch dies bedeutet nicht, dass ich nicht lernen wollte - oder könnte.” Sie lauschte in die Dunkelheit, aufmerksam, ob der Geweihte des göttlichen Schmiedes oder einer der anderen Anwesenden etwas zum Thema zu sagen wünschte.

“Doch wenn Euer Volk nur dem einen Gotte huldigt - wieso wurde dann das neue Haus des Kor in Senalosch geweiht?”

Dwarosch blickte amüsiert vom Angroscho zur Frau an seiner Seite, hielt sich aber zurück, zumindest noch. Ihn interessierte sehr, wie sich das Gespräch weiterentwickeln würde.

Der Oberst wusste, dass seine Ansichten was Götter betraf nicht mit denen des Großteils seiner Brüder und Schwestern übereinstimmten. Sein Glaube stand irgendwo zwischen dem von Grimmgasch und Marbolieb.

“Nicht Ihr habt mich erzürnt, es sind die Brumbrorim, die nicht standhaft waren und ihren Glauben und ihre Tradition verlieren. Immer in kleinen Schritten und von Jahr zu Jahr mehr.” war Grimmgaschs Antwort, die jetzt auch deutlich gefasster und ruhiger wirkte. “Und auch ich habe in meinem Noviziat feststellen müssen, dass viele meiner Brüder und Schwestern den Einflüssen der Gigrim erliegen und neben Angrosch noch weitere Götter anbeten. Die letzten Jahre, in denen ihr euch über das Land ausgebreitet habt und mit uns Angroschim in Berührung gekommen seid, haben dazu geführt, dass diese Sitten und der Glauben auch in unseren Bingen Einzug gehalten hat.

Deshalb sehe ich es als meine Aufgabe an, die Tradition der Angroschim zu festigen und die Wurzeln und das Wissen der Ahnen zu suchen. Deshalb bin ich auch sehr froh, dass ich an dieser Reise nach Ischna Mur teilnehmen darf. Denn ich erhoffe mir viele Erkenntnisse, schließlich war die Binge Jahrhunderte versiegelt.” Die Boroni lauschte den Ausführungen und schwieg eine geraume Weile.

“Es ist kein Hügelzwerg hier, Euer Gnaden. Euer Grimm gegen dieses Volk findet hier kein Ziel.” Nachdenklich neigte sie den Kopf.

“Doch sagt, wie seht ihr dann die Weihe des neuen Tempels in Senalosch?” Immerhin hatte der Herr der Stadt seine Ansiedlung gestattet, und zwar nicht im menschlichen Bereich der Siedlung.

“Ich denke auch mir fehlt die Weisheit und die Weitsicht, alle Pläne des Vaters von Feuer und Stahl zu verstehen”, begann Grimmgasch mit seiner Antwort. “Wenn Er es zulässt, dass sich die Brumborim aus der Anglagorum eine Feier mit Braten und Bier machen, wie kann ich kleiner und unerfahrener Angroscho es verstehen. Es ist nur nicht so wie es uns von Generation zu Generation überliefert wurde. Aber vielleicht sind das alles Zeichen des neuen Zeitalter, das Rogmarog Albrax verkündet hat.”

“Nun, so wird es doch Eure Aufgabe als Priester des Herrn über das Schmiedefeuer sein, dies zu ergründen zu versuchen. Und Euer Privileg.” Ein freundliches Lächeln huschte über die schön geschwungene Lippen der Boroni, kurz aufblitzend und schnell wieder verschwunden.

“Meint ihr nicht, dass dann vielleicht etwas weniger Zorn vonnöten ist, wenn ihr über die Wege des Hügelvolkes nachsinnt - und über die Senaloscher Tempel?” Grimmgasch nickte nachdenklich, bevor er Marbolieb antwortete: “Um meinen Platz in Angroschs Plan zu ergründen, bin ich auf dieser Reise. Unsere Vergangenheit birgt soviele Rätsel und solange wir diese nicht gelöst haben und sie verstehen, wie wollen wir dann die Gegenwart und erst die Zukunft verstehen? Und wenn mein Zorn verraucht, habe ich dann nicht auch den leichten Weg genommen, den Weg der Bequemlichkeit, denn die Brumborim gewählt haben? Den leichten Weg einfach neue Götter neben Angrosch zu stellen, wenn er sich nicht jedem so offenbart wie er es erwartet? Nein, der Zorn ist mein Antrieb, meine Kraft meinen Brüdern und Schwestern den schweren Weg zu zeigen, sie zurück auf den Weg es Einen zu bringen.” Wieder hatte sich der Priester in Rage geredet und stocherte mit einem Stock in den Flammen herum, um sich zu beruhigen. Wie sollte er auch einer Menschenfrau Angrosch erklären, dass seine Brüder und Schwestern ihren eigenen Gott nicht mehr verstanden?

“Zorn ist eine einfache Lösung, Euer Gnaden.” Widersprach die Menschenfrau mit sehr sanfter Stimme. “Zorn ist das, was man fühlt, wenn man keine anderen Werkzeuge mehr hat. Seid nicht zornig, Bruder Grimmgasch.”

Sie hob den Kopf und wandte ihre dunklen. ruhigen Augen in Richtung des Angroschgeweihten. “Lauscht in Euch, Bruder. Was ist es wirklich, dass euch so wütend macht?”

Grimmgasch stocherte weiter mit einem Stock im Feuer und hatte seinen Kopf gesenkt, so dass keiner der anderen erkennen konnte, ob und wie ihn die Feststellung der Boroni getroffen hatte. Aber ja natürlich hatte sie recht. Der Zorn, der ihn übermannt hatte, war nicht der Zorn auf die Hügelzwerge und auch nicht auf seine anderen Brüder und Schwestern, die bei den Göttern der Menschen Trost suchen. Nein, der Zorn entsprang der Angst. Der Angst, die tief in ihm ruhte und der er ohnmächtig gegenüberstand. Die Angst, dass er seinen Weg nicht finden würde, sondern dass in ihm der innere Hügelzwerg siegen könnte. Dass er den Weg, den er seine ganze Novizenzeit gegangen ist, nicht zu Ende gehen würde. Dass er auch den bequemen Weg wählen würde.

Die Angst zu versagen. Und aus Angst entstanden Wut und Zorn.

Wie konnte eine Menschenfrau ihn nur so tief in die Seele blicken. Und das noch obwohl - oder weil? - sie blind war. Er fühlte sich ertappt und durchschaut. Was soll er ihr nur antworten, ohne vor den anderen Angroschim, die hier in der Höhle saßen, sein Gesicht zu verlieren?

Er war ihr Hirte, ihr Richtungsweiser im Glauben, wenn er zweifelte und den Weg nicht finden würde, wie sollte er sie dann führen und leiten. Er musste ihnen Kraft geben. Nur - wie konnte aus Angst Kraft entstehen? Ja sie hatte natürlich recht, Zorn war der einfache Weg, aber Kraft zu finden, war der schwierige. Und ihre Fragen waren so, dass es einfach war, Zorn zu finden.

Versunken blickte er weiter ins Feuer, dabei spürte er die Augen den blinden Frau auf sich ruhen und bis in sein Innerstes blicken. Sie wartete auf eine Antwort, das spürte er, aber er wusste auch, dass er hier und jetzt ihr nicht die Wahrheit sagen konnte.

Mit einem Ruck blickte er auf und antwortete der Boroni: “Es mag ja sein, dass Zorn ein einfaches Werkzeug ist, aber da wir Zorn fühlen können, ist er auch da um ihn zu zeigen. Und Eure Fragen nach den Brumborim haben mich erzürnt.”

“Zorn, Wut, starke Gefühle im allgemeinen bergen Gefahren durch Kontrollverlust, können aber mit steigender Lebenserfahrung auch mächtige Verbündete werden”, mischte sich nun der Oberst mit ruhiger Stimme ein und versuchte zu vermitteln. “Ein starker Wille vermag diese Emotionen in die richtige Bahn zu lenken, zu kontrollieren und zu einer starken Motivation zu nutzen, die durch kaum etwas gleichzusetzen ist.”

Dwarosch hielt kurz inne und suchte eine andere, bequemere Sitzposition bevor er fortfuhr. “Die Brumborim haben sich sehr weit von unserer Lebensweise entfernt und das bereitet vielen Sorge. Nicht umsonst gibt es die hochkönigliche Wacht im Kosch. Es sind jedoch nicht nur ihre abenteuerlichen Behausungen in Erdhügeln, die Bequemlichkeit, oder die ausgeprägte Vorliebe für Speis und Trank - nein, sie verehren auch Travia über die Maße, die den Zentren des Angroschglaubens Isnatosch und Xorlosch gefällig ist.

Der Kortempel in Senalosch ist meiner Meinung nach etwas anderes. Kor ist Angroschs Sohn in unserer Glaubensvorstellung, dass sollte man nie außer Acht lassen. Die Kinder des Amboss verehren ihn ebenso, wie es inzwischen einige unseres Volkes tun.” Dwarosch sah zum jungen Angroschgeweihten.

“Darüber hinaus mag der Sakralbau unter der Erde liegen, ja - aber er besitzt keinen Zugang aus Isnatosch und ist nur aus dem oberirdischen Stadtteilen zu erreichen. Das wir ihn bauen bzw. einrichten konnten, liegt zum Teil sogar an der Politik unseres Rogmarog. Er nennt Senalosch ‘die letzte Festung’, er hat seine Verteidigungsringe, die Geschützstellungen ausbauen lassen, er hat genehmigt, dass noch mehr Soldaten von ‘Ingerimms Hammer’ dort stationiert werden, er hat die Kasernen innerhalb der Mauern des Berges ausbauen lassen. Der Tempel ist praktisch nur die logische Konsequenz, der Zeitpunkt war gekommen, reif. Albrax' Vision hat all dies ausgelöst. Wir folgen ‘nur’ dem Weg, der uns seiner Ansicht nach beschieden ist.

Ja”, Dwarosch Stimme wurde einen Deut intensiver, “wir weichen mit alledem von den herkömmlichen, meiner Meinung nach starren Glaubenslehren ab. Aber wie Borax sagt - es gibt keine Weiterentwicklung, wo Stillstand in den Köpfen herrscht. Wir Angroschim blicken auf eine zehn Jahrtausende zurückreichende Kulturgeschichte zurück. Wir haben Kriege gegen Drachen, Echsen, Trolle, Elfen und Orks überlebt und dies eben nicht, weil wir immer das gleiche getan haben, sondern weil wir Erfindungsreichtum bewiesen haben. Wir haben uns an die Situation, die Herausforderung angepasst. Eben dies wird die Zukunft auch erfordern, mit der Ausnahme, dass die Bedrohung die uns bevorsteht bedeutend größer sein wird.”

Die Borongeweihte nickte versonnen auf die Worte des Oberst, mehr interessiert als bestätigend. Wenn er sagte, dass die Wohngebäude der ehemaligen Clanshalle keine weitere Verbindung nach Senalosch besaßen, so würde dies so sein. Die blinde Priesterin würde diese Aussage auf gar keinen Fall freiwillig selbst hinterfragen.

“Und so seid Ihr doch zornig, Bruder Grimmgasch, obgleich ihr mir zuvor versichertet, ihr wäret es nicht.” Sie schwieg einige Atemzüge, achtsam darauf lauschend, ob der Angroscho wieder das Feuer schüren würde, so dass die Flammen prasselnden und knackende Funken emporstoben. Es schien seine Art zu sein, seine Gedanken zu sammeln und die passenden Worte zu finden. Mehr denn angemessen für einen Diener des Erschaffers der Zwerge.

“Ich bitte euch, verzeiht mir, euch erzürnt zu haben. Das war nicht meine Absicht.”

Wie sollte sie ihm verdeutlichen, dass sie keine Herabwürdigung seines Glaubens, der laut der Lehre der Zwölfgöttlichen Kirche ein Teilaspekt dieser war, und doch so gänzlich für sich stand, beabsichtigt hatte?

Der Geweihte des Feurigen schien überall einen Angriff, überall Misstrauen zu erwarten. Lag dies an seiner Jugend? Seine Stimme ließ erahnen, dass er noch kein Weiß in Haupthaar und Bart trug - aber mehr noch sein Temperament und die Wahl seiner Worte. Wobei auch große Jugend nach der Zählung der Angroschim bedeutete, dass er mindestens das Doppelte der Zahl ihrer Jahre gesehen hatte - und vermutlich über ein Alter und Weisheit verfügte, in dem sie, würde sie es erreichen, eine alte Frau wäre.

“Euren gerechten Grimm zu zeigen mag dazu führen, dass ihr vieler Dinge nicht gewahr werdet, Bruder Grimmgasch.” lenkte sie ein. “Wer wütet oder hadert, ist mit sich selbst beschäftigt. Und sieht manchesmal nicht, was sein Herr ihm zu zeigen wünscht.”

“Es ist alles nicht so einfach”, murmelte der Angroscho leise, mehr zu sich selbst als zu den Gefährten. “Wie Väterchen Dwarosch schon sagte, ist die Welt im Wandel. Und trotzdem müssen wir die Traditionen und die Ahnen ehren und von ihnen lernen.”

Wieder wurde von dem Geweihten ein Stöckchen in das Feuer gestoßen, wieder blickte er in die Flammen, in der Hoffnung dort die Antwort auf seine Ängste zu finden. Nur ein Wink seines Gottes, ein kleiner Fingerzeig, der ihm zeigte, dass er ein Hüter der Tradition auf dem richtigen Weg war. Und nicht alles, was er gelernt hatte von den Änderungen und Neuerungen weggespült wurde. Wie Dwarosch auch gesagt hatte, die Angroschim blicken auf zehntausend Götterläufe ihrer Tradition zurück und auch dort gibt es noch so viel Wissen zu bergen. Und auch dieses Wissen konnte Veränderung bringen, Veränderung aus dem Wiedererkennen des Wissens und nicht nur aus dem Neuen.

“Es ist niemals einfach, Väterchen Grimmgasch.” kaum hörbar war die Stimme der kleinen Borongeweihten. “Wäre es einfach, würden wir nicht gebraucht.”

Schweigend blieb der Geweihte einige Wimpernschläge am Feuer sitzen und starrte weiter in die Flamme. Die lodernde Flamme über Amboss und Hammer. Die alles verzehrende, die reinigende, die Flamme des Weltenschöpfers, sein heiliges Zeichen. Eine schon fast hypnotische Wirkung ging von dem flackernden, sich hin und her, auf und ab bewegenden Feuer aus. Und je länger Grimmgasch ins Feuer blickte, je ruhiger wurde er. Erst fiel der Zorn von ihm ab und dann auch nach und nach die Angst. Warum sollte er angstvoll in die Zukunft schauen? Angrosch hatte alles gewollt und geplant, Er war es, der die Umsetzung steuerte. Da konnte einer seiner Diener doch gar nicht falsch liegen. Der Weg war bereitet, jeder Schritt entsprang dem großen Plan der Weltenbauers. Sein Weg war bereit, seine Zweifel nur ein Teil der Weltenmechanik. Alles war gut und richtig. Alles würde gut. Angrosch wollte es so!

Mit einem geklärten Blick und strahlenden Augen schaute er vom Feuer auf und sagte dann mit Erleichterung in der Stimme: “Ja, er ist niemals einfach! Und deshalb sind wir hier!” Ob sich das ‘wir’ aber auf die Geweihten der Zwölfe oder auf die Angroschim bezog, war seiner Aussage nicht zu entnehmen.

Die junge Frau schmunzelte auf diese entschiedene Erkenntnis und Wärme stand in ihren Augen - die nicht so ganz zu dem Ruf passen wollte, der den Priestern des Totengottes der Menschen oftmals vorauseilte.

Sie verflocht ihre Finger über ihren Knien und nickte zu den Worten des Angroscho, antwortete darüber hinaus aber nichts darauf.

Der Oberst lächelte. Sie hatten trotz all der Unterschiede, den stark voneinander abweichenden Glaubensauffassungen und dem differierenden kulturellen Hintergrund einen gemeinsamen Nenner gefunden. Er mochte klein sein - natürlich, doch war es immerhin ein Anfang. Wenn Dwarosch an seine Kindheit zurück dachte, so konnte er sich an mehr als eine Delegationen von Menschen erinnern, die nach Isnatosch gekommen waren und bei deren Besuch es zu Streit gekommen war, denn unter ihnen waren manchmal auch Zwölfgöttergeweihte. Kleriker, die wegen ihrem Sendungsbewusstsein und ihrer Ansichten des Hofes des Rogmarog verwiesen worden waren - kleinere, diplomatische Katastrophen, wenn man so ausdrücken wollte. Marbolieb und Grimmgasch aber würden sich 'vertragen', so hoffte Dwarosch zumindest.

Lagorasch hatte sich gleich nach der Ankunft des Lagerplatzes in die Büsche verschlagen. Ein paar Wurzeln, Beeren und Feuerholz waren sicherlich nicht verkehrt zu sammeln. Ein kleines Rinnsal frischen Wassers konnte er auch schnell ausmachen. Pflanzen die gerne in der Nähe von Bächen wuchsen, auch wenn dieser Bach einiges unter der Erde entlang ging. Es war ihm klar das wenn er den unterirdischen Bach ausgraben würde, dann würde er den Pflanzen und Tieren die weiter unter lebten die Grundlage nehmen. Er hatte keine Not, auch sonst hatte niemand von Ihnen Not, also entschied er sich dagegen und begnügte sich einfach nur mit dem Notwendigsten und drehte um zurück zur Gemeinschaft. Er freute sich als er das Feuer in der Höhle vernahm und auch den Duft der Pfeife vernahm. Dann suchte er sich einen einfachen Schlafplatz in der Nähe des Eingangs. Er betrachtete die Boroni mit interessierten Blicken, er wusste nicht wie er sie ansprechen konnte oder wollte. Es war nicht nur ihr Glaube, der ihn interessierte, aber er wusste einfach nicht, wie er seine Fragen formulieren sollte. Sie war zum einen ein Mensch, aber wie war es, die Diener der Göttlichen Gesellen konnten auch auf eine Kraft zugreifen. Aber es war nicht die Erdkraft. Er wollte auch Argmin und Grimmgasch dazu befragen. Was oder wie unterschied sich, und wie war das ganze dann mit den Feenwesen? Wie spürten die Menschen ihre Umgebung? Aber wie sollte sie etwas beschreiben, das er selbst jemanden nicht so wirklich beschreiben könnte? Dwarosch war derweil dabei, die Decken, die zusammengerollt unter seinem schweren Rucksack verschnürt gewesen waren, auszubreiten, um es Marbolieb etwas bequemer zu machen. Danach setzte er sich mit einem zufriedenen Seufzer neben sie und begann die beinerne Pfeife zu stopfen. Er hatte extra jene Tabakmischung eingepackt, die Marbolieb am meisten zusagte.

Dem Treiben der anderen, jüngeren Brüder sah er lächelnd und mit innerer Zufriedenheit zu. Ihm gefiel der ungezwungene Umgang und eine fernab der schützenden Clanhallen verbrachte Nacht hatte für Dwarosch nie ihren besonderen Reiz verloren. Fast bedauerte er es, dass sie nicht unter freiem Himmel schlafen würden. Der Sohn des Dwalin hatte das Sternenzelt und den offenen Himmel im Gegensatz zu vielen seiner Brüdern und Schwestern nie gefürchtet. Es war stets wie an seinem ersten Tag, da er nur wenige Götternamen nach seiner Feuertaufe die Hallen seiner Sippe verlassen hatte, um hinaus in die Welt zu ziehen - er fühlte sich leicht, ungezwungen, frei, auch wenn die Gedanken an die Heimat ihm stets Wärme gespendet hatten in kalten Nächten. Bald schon war die Pfeife entzündet und würziger, ja sogar leicht exotischer Geruch breitete sich aus. Dwarosch tat ein paar Züge, dann reichte er die Pfeife an Marbolieb weiter.

Die zierliche Boroni genoss die weiche, gefaltete Decke unter sich, lehnte sich weiter an den Stein - kühl, hier in der Höhle, nicht sonnenwarm, wie jene draußen gewesen waren - und schnupperte mit geschlossenen Augen den reichhaltigen Tabakduft. Sie besaß schon lange keine eigene Pfeife mehr - über zwei Götterläufe nun. Aber sie liebte es, neben dem Oberst zu sitzen, wenn dieser rauchte, und den Duft der brennenden Kräuter zu genießen. Der Sohn des Dwalin verfügte über eine beachtliche Auswahl an Tabaksorten. Sie hätte auch anderes geraucht.

So aber war sie wohlzufrieden damit, ihre schmerzenden Füße zu entlasten und den Moment wie er war zu genießen - den abendlichen Frieden, die ruhigen Stimmen ihrer Reisegefährten im Lager und die vertraute Nähe des Oberst neben sich.

Als Marbolieb die Pfeife in ihrer Hand und die rauen, vom Waffenhandwerk kündenden Finger des Angroscho auf den ihren fühlte, breitete sich ein warmes Lächeln über ihr ebenmäßiges Gesicht aus und ihre dunklen Augen leuchteten auf. Sie suchte das Mundstück der Pfeife und führte es vorsichtig an ihre warmen Lippen, berührte es dort, wo es bis gerade noch jene des Oberst getan hatten, schloss zufrieden die Augen und tat probehalber einen Zug. Tief atmete sie den würzigen Rauch ein, kostete ihn genussvoll und blies ihn wieder als fast perfekten Kringel wieder in die Luft.

Sie genoss die Pfeife noch einige weitere Herzschläge zwischen ihren Lippen, kostete einen weiteren, tiefen Atemzug und reichte sie dann wieder an ihren rechtmäßigen Besitzer zurück. “Danke dir.” flüsterte sie, als sich ihre Fingerspitzen bei der Übergabe berührten.

Ein dumpfer Schmerz in ihrem Oberarm beendete jäh den aus der Zeit gefallenen Moment. Die Augen der blinden Priesterin zogen sich zusammen, als sie an der pochenden Stelle über den glatten Stoff ihres Ärmels des herrlichen neuen Robe strich. Die durch den heutigen Marsch am Saum dennoch die Farbe der Felsen und des Staubes angenommen hatte, wie es eben die Art von Reisekleidung war.

“Was hast du?”, fragte Dwarosch leicht besorgt, als er bemerkte, wie sich Marbolieb versteifte. “Hast du Schmerzen?” Die junge Boroni schob den Ärmel ihrer Robe nach oben und befühlte ihren Oberarm, an dem sich blau angeschwollen der Abdruck kräftiger Hände abzeichnete, die sie heute mehrmals vor dem Fallen bewahrt hatten. “Es hätte schlimmer ausgehen können.” bemerkte sie mit einem halben Lächeln. “Danke.”

Der Oberst stieß sichtlich erschrocken die Luft aus und sah Marboliebs Arm betreten an. “Es tut mir leid, Räblein. Ich habe wohl etwas zu fest zugepackt, aber in Sachen Sicherheit gehe ich nur ungern ein Risiko ein.” Dwarosch seufzte. “Ich mache dir einen Verband mit Salbe, das wird die Schmerzen zumindest etwas lindern. Eine Lösung für das Problem ist es jedoch nicht. Vielleicht sollten wir uns lieber mit einem Seil verbinden”, dachte er laut nach. “Ich meine wie in einer Seilschaft mit Sicherungsgurt um den Torso. Dabei hättest du aber dennoch bedeutend mehr Bewegungsfreiraum, könntest somit zwar nicht abstürzen, aber hinfallen.” Er schnaubte und schüttelte seinen Kopf. “Ich fürchte das ist keine Lösung.”

Sachte legte Marbolieb ihre Hand auf den Arm des Oberst. “Dwarosch. Du kennst dich in den Bergen aus. Ich vertraue Dir.” Wenn es eine Möglichkeit gäbe, sie einigermaßen unbeschadet über die Berge zu bugsieren, würde der sture Zwerg sie finden. “Es gibt Schlimmeres als einen schmerzenden Arm, Herr Oberst.”

Doch mit einer derart einfachen Schlussfolgerung wollte sich der Zwerg nicht abgeben. Er grübelte über die Möglichkeiten nach, Marbolieb zu sichern, derweil er ein Tiegelchen mit Salbe aus seinem Rucksack hervorkramte und ihren geschundenen Arm vorsichtig damit einrieb.

Derweil machte sich Boindil daran Wasser abzukochen. Als das geschehen war, füllte er zunächst die Becher, so dass Tee zubereitet werden konnte. Schon während er die dampfende Flüssigkeit umgoss fragte er den jungen Geoden, der gerade von einem Streifzug um die Höhle zurückgekehrt war, ob er frische Kräuter habe, denn Boindil hatte gesehen, dass dieser entlang des Weges immer wieder Pflanzen beäugt und eingesammelt hatte. Der Geode bejahte und half Boindil im Folgenden das Essen mit frischen Kräutern zu verfeinern und abzuschmecken. Danach nahm der zumeist gut gelaunte Leibwächter Borax' seinen Drachenzahn und begann Teile des Proviants zu zerkleinern, darunter fielen vor allem Erdäpfel. Hinzu kamen Erbsen, Bohnen und ein großes Stück Fett, aber auch eine ganze, zerstückelte Hartwurst, die er aus dem Steintruhe entnommen und durch eine aus seinem Rucksack ausgetauscht hatte, um so die Notverpflegung in der Truhe zu erneuern.

Nachdem das kleine Streitgespräch mit der Boroni beendet war, spürte Grimmgasch wie sehr ihn doch jetzt nach so einem langen Tag doch der Magen knurrte.

“Kann ich Dir helfen?” frug er den Leibwächter. “Aber ich bin nicht sehr erfahren im Kochen. Ich befürchte, dass mir das Wasser anbrennen könnte. Aber was ich im Moment gut kann ist essen!” Bei diesen Worten stibitzte er dem älteren Zwerg ein Stück Hartwurst, die dieser gerade klein schnitt.

Boindil lachte heiter. “Oh ja, darin bin ich auch kaum zu übertreffen. Im Grunde aber bin ich fertig”, ergänzte der Angroscho dann. “Wir brauchen nur noch Brot aus unserem Proviant. In einer halben Kerze wird die Suppe fertig sein. Sorge doch dafür, dass jeder ein Gefäß und einen Löffel parat hat.” Grimmgasch nickte kurz, stand auf und ging zu der Steinkiste. Dort suchte er für sich und seine Gefährten die passende Anzahl an Schalen und Löffeln zusammen. Dann kam er wieder zurück zu Boindil und setzte sich wieder neben ihn.

Bald schon war es soweit, das Essen war fertig und verbreitete einen würzigen Geruch, welcher hier und da die Mägen knurren ließ. Boindil nahm die Schalen, die der junge Geweihte ihm reichte und füllte sie nacheinander, um sie an Grimmgasch zurückzureichen, der sie verteilte. Der Leibwächter indes schien sichtlich zufrieden zu sein mit der Rolle des Kochs.

Argmin hatte die letzte Stunde und den Sonnenuntergang außerhalb der Höhle verbracht. Die körperliche Anstrengung der heutigen Wanderung hatten gut getan, er genoß die Erschöpfung in seinen müden Muskeln. Das Gespräch mit der Boroni hatte ihn den ganzen Tag über beschäftigt und er war froh, nun etwas Zeit für sich und die Leuin gefunden zu haben. So war er den Berg einige Schritte weiter hinaufgestiegen und hatte sich einen Fleck gesucht, an dem er die letzten Strahlen der Praiosscheibe glimmen sehen konnte, bevor sich diese hinter den Felsen zur Ruhe begab. So hatte er sich niedergelassen und hatte in Gebet und Meditation die Nähe zur Sturmbringerin gesucht, hatte sich fallengelassen in die Mantren und Rezitationen, kniend, den Wellenkamm vor sich, die Stirn gegen die Parierstange gedrückt. Das kühle Metall gab ihm Sicherheit und Zuversicht für den Pfad seiner Berufung.

Als des Praios’ Scheibe letzte Strahlen verglommen waren, erhob er sich, dankte der Leuin für Ihre Geduld, und schritt zurück zum Lager. Fast wäre er am kleinen Tann vorbei geschritten, hätte der Schimmer von Grimmgasch’ Feuer ihn nicht zur rechten Stellen geführt. Er bahnte sich seinen Weg durch die tiefhängenden Zweige und trat in die Höhle, aus der ihm wohlige Wärme entgegenschlug. Er nahm dankend die Schale und den Löffeln entgegen, die Grimmgasch ihm in die Hände drückte und setzte sich an den Rand des Feuers, wo er seine Beine ausstrecken konnte.

Nachdem Grimmgasch Argmin und den anderen ihre Schalen gereicht hatte, nahm er sich auch etwas von der köstlich duftenden Suppe und ließ sich zum Essen auf einem freien Platz in der Höhle nieder. Er wollte jetzt nur essen und keine weiteren Dispute - wie vorhin mit Marbolieb - führen. Insgeheim war er sehr froh darüber, dass Argmin dieses Gespräch nicht mitbekommen hatte, den er war ja ebenfalls ein angehender Geweihter einer der Zwölfe und würde ähnlich verquere Vorstellungen von der Welt und den Göttern oder besser dem Gott haben. So dass er seine Meinung auch noch gegen ihn hätte verteidigen müssen. So schlürfte er genüsslich die Suppe und lauschte den Gesprächen der anderen. Die Boroni schnupperte die Suppe und genoss die vielfältigen Düfte, die ihre Nase kitzelten. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, ehe sie den ersten Löffel kostete und mit geschlossenen Augen in den reichhaltigen Aromen schwelgte. Die Angroschim verstanden gehaltvoll und gut zu kochen - ihre Küche - und nicht nur diese - hatte längst einen Platz in Marboliebs Herzen erobert.

Sie schwieg, vollauf zufrieden mit der Mahlzeit. Heute hatte sie wahrlich genug gesprochen - und wenn sie den Ton des Angroschpriesters bei ihrem letzten Wortwechsel richtig gedeutet hatte, war der Ärmste mehr denn froh, nicht mehr von ihr ins Kreuzverhör genommen zu werden, zumal er sich den ruhigen Abend nach dem langen Marsch wahrlich verdient hatte. Wenn nur seine Kirche und seine Sicht der Dinge auf die zwergischen Aspekte des Schmiedegottes nicht so sehr ihre Neugier gekitzelt hätten! Ein Schlüssel, um viele Eigenheiten der Angroschim zu verstehen, lag in ihrem Glauben - dessen war sie sich gewiss. Und Grimmgasch war nicht nur jung, sondern für einen Vertreter seiner Bruderschaft auch erfreulich auskunftsfreudig. Die Geweihte schluckte einen Bissen Suppe und biss sich auf die Zunge. Nicht jetzt. Morgen vielleicht - wenn sich die Situation ergeben würde.

Argmin hatte Travia gedankt für ihre Gnade und ihre Milde und ihren Segen für dieses Mahl und diese Nacht erbeten, dann tauchte er den Löffel in die dicke Suppe. Das schätzte er so sehr an dieser Gesellschaft - egal wo, egal wann, es gab immer etwas gutes zu essen oder etwas gutes zu trinken. Dieses Beisammensein war etwas besonderes, es stärkte ihre Gemeinschaft auf eine besondere Art und Weise.

“Hab Dank, Boindil, für das gute Abendessen!”, er nickte dem Zwerg auf der anderen Seite des Feuers zu, als er sich vom Brot einen Kanten abbrach. “Der Pfad, dem wir folgen, scheint mir nur selten beschritten zu werden. Was wird uns erwarten, wenn wir Ishna Mur erreichen, Borindarax?” “Ihr habt recht”, entgegnete der Vogt lächelnd. “Die meisten Gäste erreichen die Bergwacht auf dem Weg unter dem Berg. Bei eurer Größe aber wäre dies kaum möglich gewesen, auch wenn die Strecke weniger lang ist. Dennoch hättet ihr über einen Tag auf Knien oder stark vorgebeugt laufen müssen. Glaubt mir, ihr hättet das Kreuz nie wieder durchdrücken können.” Borax schmunzelte, offenbar erinnerte er sich an eine entsprechende, wie von ihm geschilderte Begebenheit.

“Ishna Mur hat Jahrhunderte verlassen im Dämmerschlaf gelegen. Nach der Aufgabe der Eisernen Stadt Isnalosch hat sich unser Volk zerstreut. Viele Bergwachten wurden aufgegeben und durch den damaligen Rogmarog versiegelt. Erst jetzt, wo Senalosch, die letzte Festung, unsere neue Hauptstadt ist und die Kinder des Schmieds vermehrt zurückkommen, um in Isnatosch zu leben, kann es wiederbesiedelt werden. Was uns erwartet?” Der Vogt zuckte mit den Schultern. “Ich weiß es nicht. Es ist einige Monde her, dass ich das letzte Mal dort war. Die Wacht befindet sich im Wiederaufbau. Es gibt viel zu tun, doch Borix weiß was er tut und die Mitglieder seines Clans sind fleißig und packen an.”

In den letzten Monden hatte Argmin viel über die zwergische Kultur, Geschichte und Lebensweise erfahren und dennoch gab es soviel, was sich seinem menschlichen Verständnis entzog. Isnalosch, eine Stadt aus Eisen, aufgegeben und nun nur noch eine rostende Ruine, war eines davon. Ishna Mur, eine für Jahrhunderte versiegelte Wacht und Eisenerzmine, verborgen in den Tiefen des Eisenwaldes, war ein anderes davon. Auch in der Geschichte der Menschen gab es aufgegebene Orte und Burgen, doch diese waren kurzlebig, wie auch das Leben der Menschen, und überdauerten nicht das Nagen von Satinavs Zähnen. “Senalosch und Ishna Mur sind über Stollenwege verbunden?!?” Das Neue Kaiserreich des Greifenthron war so stolz auf seine Reichsstraßen, das Horasreich auf seinem Imperiumsstraßen und der Vogt erzählte ihm so nebenbei, dass die Zwerge Straßen untertage hatten, die ihre Städte miteinander verbanden - dieses Volk erstaunte ihn immer wieder.

“Das sind sie”, bestätigte der Vogt. “Aber die Tunnel sind noch nicht wieder vollständig gesichert. An manchen Stellen müssen sie noch gesäubert und an anderen die Decken besser abgestützt werden, damit die Gefahr von Einstürzen ausgeräumt ist. Außerdem wird es noch länger dauern, bis der Lorenverkehr bis nach Gondrabozrom wieder aufgenommen werden kann. Dies ist das Ziel, denn der Großteil des in Ishna Mur abgebauten Erzes soll in Senalosch verhüttet werden.” Lächelnd und auch stolz ergänzte Borax, dem die unausgesprochene Frage des Novizen nicht entgangen war: “Der Eisenwald ist das erste Gebirge, welches unsere Rasse ‘in Besitz genommen hat’. Hier wurden wir von Angrosch erschaffen. Ihr ahnt nicht wie weit das Tunnelnetz Isnatoschs reicht, nicht einmal wir wissen es in Gänze. Die Angroschim hatten mehr als zehn Jahrtausende Zeit sie in den Fels dieser Berge zu treiben und die Aufzeichnungen sind… mangelhaft. Ihr könnt Monde da unten verbringen ohne je Tageslicht zu sehen. Und wer die alten Runen des Angram nicht kennt, der ist verloren, denn er wird sich hoffnungslos verirren. Wer nicht verhungert oder verdurstet, verendet in uralten Fallen oder erliegt dem Wahnsinn in ewiger Dunkelheit und der ‘tosenden Stille’ unter dem Berg.”

Nachtruhe

(nach oben)


Mit lang anhaltendem Wetterleuchten und einem leichtem Grollen aus dem Rahja, von jenseits des Isenhag, begann die Dunkelheit sich mehr und mehr auszubreiten. Rasch kühlte es sich in dem Maße ab da das Licht des Götterfürsten schwand und die Gefährten hüllten sich in Mäntel und Decken, aber auch das Feuer wurde am Leben erhalten und auch noch etwas geschürt

Es war der Oberst und Boindil, die sich wie selbstverständlich an den Eingang der Höhle setzten, an die Feuerstelle und die erste Wache halten würden, denn die Wildnis barg Gefahren, denen man lieber sehenden Auges begegnete.

Wie zur Bestätigung dieser Überlegungen hörten Zwerge und Menschen alsdann Wölfe aus der Richtung des Hochplateaus des Isenhag Mada anheulen. Der Angroschdiener ging nach dem Abendessen zu der kleinen Quelle und wusch die Teller und das Geschirr der Gefährten ab. Die warme Luft, die vor dem Wetterleuchten herbei geblasen wurde, ließ ihn diese Arbeit leicht von der Hand gehen.

Nachdem er wieder die Höhle betreten hatte, sagte er leise zu den beiden Angroschim, die am Eingang ihren Wachposten bezogen hatten: “Bitte weckt mich, wenn ihr abgelöst werden wollt!”

Marbolieb nutzte die Ruhe nach dem Abendessen für eine stille Andacht. Sie hatte ihre Decke an die Wand der Höhle gezogen, um zu vermeiden, dass jemand in der Nacht über sie stolperte, und setzte sich zu einem stillen Gebet. Sie genoss den Frieden des Abends und die Ruhe, die sich nach dem Abendessen über das Lager gebreitet hatte - eine willkommene, ja notwendige Rast nach dem langen Marsch des Tages, der ihr noch immer in Beinen, Rücken und Armen hing, nach und nach bedeckt von einer weichen Decke aus Zufriedenheit und innerem Frieden, den ihr an diesem Abend ihr Gebet bescherte.

Das Knacken der Scheiter im Feuer und der Geruch nach Asche und Pfeifentabak wehten vom Eingang her und das Heulen der Wölfe war weit draußen, irgendwo auf den Berghängen um sie herum. Sie schlang ihre Arme um ihre Knie, lehnte sich an die Wand der Höhle, und hüllte sich fest in ihre Decke, zu müde, zu behaglich, um jetzt sofort schlafen zu gehen.

Als Grimmgasch mit Dwarosch und Boindil gesprochen hatte, begann er auch seine Decke in einer Nische der Höhle auszubreiten, so dass noch genügend Platz für die anderen bliebe und er niemanden im Weg liegen würde. Dann wünschte er dem Vogt, Argmin und Lagorasch eine gute und erholsame Nacht. Abschließend wandte er sich noch an Marbolieb: “Schwester Marbolieb, möge Euch die Tochter Eures Herrn Boron, deren Namen Ihr tragt, diese Nacht die süßen Träume schenken, die sie verheißt.”

Über die Züge der Boroni huschte ein warmes Lächeln. “Euch ebenso, Bruder Grimmgasch. Möge euch Bishdariel sein freundliches Angesicht zeigen.” Sie schwieg einige Atemzüge lang. “Habt Ihr schon einmal geträumt, Euer Gnaden?”

Grimmgasch lachte auf und antwortete dann schmunzelnd: “Ich glaube Schwester, wir haben schon wieder alle guten Vorsätze unserer kleinen Unterredung über den Haufen geworfen, waren wir nicht über ‘Euer Gnaden’ schon hinweg?”

Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er deutlich nachdenklicher fort: “Wir Angroschim sind da anders als ihr Großlinge. Während es heißt, dass euch euer Herr Boron und seine Alveranier jede Nacht Träume, seien sie nun gut oder schlecht, schicken, so träumen wir nur sehr, sehr selten. Aber dann schickt uns der Weltenbauer eine wichtige Nachricht mit diesem Traum, die ein Angroscho auch am nächsten Morgen nicht vergessen wird. Und ich habe noch keinen Traum gehabt, nein, bisher noch nicht. Aber ich bin auch noch jung.”

Marbolieb senkte beschämt den Kopf. “Ihr habt recht, Bruder Grimmgasch. Bitte entschuldigt.” Den hilfsbereiten und freundlichen jungen Angroscho wollte sie ungern verärgern - insbesondere nicht unabsichtlich.

“Ich will nicht in euch dringen, Bruder, und ihr müsst mir meine Frage nicht beantworten.” tastete sie sich vorsichtig in unbekanntes Gebiet vor. Sie wartete auf ein zustimmendes Schnaufen des Angroschpriesters ihr gegenüber, ehe sie fortfuhr. “Hofft Ihr auf euren ersten Traum - oder fürchtet ihr ihn?”

“Oh, Ihr müsst Euch doch keineswegs entschuldigen”, antwortete der Geweihte. “Es gibt nun mal mehr Unterschiede zwischen den verschiedenen Rassen Aventuriens als nur die Körpergröße.”

Marbolieb vermeinte ein leichtes Schmunzeln in der Stimme des Angroscho zu vernehmen, nach einer kleinen Denkpause fuhr er fort: “Ich weiß es nicht, ein Traum ist für uns so bedeutend und kann so viel verändern. Ich wage es nicht mich auf die gleiche Stufe zu stellen wie Väterchen Albrax, der von einem neuen Zeitalter geträumt hat. Aber wenn der Herr der Erde mich dazu bestimmt hat, dann werde ich träumen. Und dann werde ich stolz darauf sein, dass ich es durfte.”

Die blinde Boroni lauschte den Worten des Angroschgeweihten und lächelte. “Das ist eine weise Herangehensweise, Bruder Grimmgasch.” Auf dass der freundliche junge Mann von Alpträumen verschont bliebe und nicht kennenlernte, wie sehr diese das Sein eines Wesens zu ergreifen und zerschlagen vermochten. Kein Grund, ihn mit solch bloßen Möglichkeiten zu erschrecken.

“Ich kenne nur die Träume eines einzigen Angroscho, Bruder. Ich wünsche Euch schönere.” Sie hing einigen Augenblicken ihren Gedanken nach und fügte dann, etwas lauter und an die Umstehenden gerichtet, hinzu. “Sind die Wachen bereits verteilt? Wann habt ihr die meinige eingeplant?”

Argmin war dem Gespräch der beiden Priester mit einem Schmunzeln auf den Lippen gefolgt. Die Träume, die der Dunkle Vater und seine bleiche Tochter ihm schickten, waren oft wirr und undurchsichtig - er hatte es aufgegeben, in sie etwas hineininterpretieren zu wollen. Als Marbolieb von der Wacheinteilung sprach, sah er zuerst irritiert zu der jungen Boroni hinüber und suchte dann den Blick des Oberst, um sich zu vergewissern, ob die Frau ihre Frage nach ihrer Wache ernst gemeint hatte.

Dwarosch dachte kurz nach, dann schlug er an Argmin gewandt vor: “Ich wecke euch und Marbolieb zur zweiten Wache. Lagorasch und Grimmgasch übernehmen die letzte. Einverstanden?”

“Und was ist mit mir?”, fragte der Vogt leicht irritiert, da sein Name nicht genannt worden war, was den Oberst amüsiert die Augen verdrehen ließ. “Du suchst dir eine Wache aus, oder ersetzt einfach Marbolieb - dann kann sie ruhen. Für sie war es wohl der anstrengendste Tag”, beeilte sich Dwarosch zu ergänzen. Grimmgasch nickte zustimmend. Die Wache mit dem Geoden und seiner Schlange würde sicherlich ruhig werden. Schließlich kannte er die Wesensart Lagoraschs schon aus einigen gemeinsamen Unternehmungen. Und in diesem Fall passten Feuer und Wasser gut zusammen.

Was denn nun? Die Boroni horchte auf das Hin und Her, was aber in einem heftigen Gähnen hinter hastig vorgehaltener Hand endete. Der Marsch war lang und kräftezehrend gewesen und forderte nun seinen Tribut. Ihre Beine und ihr Arm schmerzten noch immer und morgen würde das Stolpern über Stock und Stein ebenso wie heute weitergehen. Die folgenden Tage ebenfalls. Sie wickelte sich in ihre Decke und rückte sich ihr Bündel als Kopfkissen zurecht.

“Wenn Ihr entschieden habt, weckt mich, wenn ich an der Reihe bin. Boron schenke euch eine gesegnete Nacht.” Allein. Aber was hatte sie erwartet. Eine Umarmung? Hier, vor allen?

Sie war viel zu müde für eine Debatte. Über die Wacheinteilung. Und anderes. Wenn der Oberst der Meinung war, dass sie die mittlere Wache mit Argmin übernehmen solle, würde sie dies tun. Und entschlossen versuchen, davor so viel Schlaf wie möglich zu bekommen.

Aus den Worten der Boroni meinte Argmin etwas wie verletzten Stolz herauszuhören. Der jungen Frau war die Erschöpfung des Tages deutlich anzumerken. Dass der Oberst sie zusammen mit ihm eingeteilt hatte, ehrte ihn, aber es wäre ihm lieber, die undankbare mittlere Wache mit einem erfahreneren Kämpen zu teilen. Andererseits war er sich nach dem Gespräch zur Mittagsstunde sicher, dass mit der Priesterin keine Müdigkeit aufkommen würde. Wenn es nach ihm gehen würde, würde er Marbolieb dennoch schlafen lassen, auch wenn er ihre Enttäuschung verstehen konnte.

Er beschloss, es Grimmgasch und Marbolieb gleichzutun. Er suchte sich einen Platz nahe der Feldwand und richtet seine Lagerstadt. “Dann weckt mich zu meiner Wache.”, sagte er in Richtung von Borax und Dwarosch, an beide gerichtet. Er würde überließ es ihnen, zu entscheiden, wen sie noch wecken würden. Er nahm den Wellenkamm in die Hand und stellte die Klinge vor sich. Seine Stirn berührte das kühle Metall und er sprach in Gedanken Dank an die Sturmbringerin und bat sie um Ihren Segen. Dann erst legte er sich nieder, die rechte Hand weiter an seiner Klinge.

Morgengrauen

(nach oben)


Die Nacht war ruhig und verstrich ohne wirklich nennenswerte Geschehnisse. Zwar raschelte es außerhalb der Höhle ab und an im Buschwerk, doch bis auf einen kleinen Nager auf Beutesuche, dem Ruf einer Eule oder eines Käuzchens gab es bei den Wachübergaben nichts zu berichten. Boindil und der Oberst dehnten ihre Wache über das normale Maß aus. Die beiden Zwerge genossen offenbar die gemeinsame Zeit am Feuer und hatten sich viel zu erzählen.

Marbolieb, die Dienerin des Raben schlief hingegen durch, denn der Vogt übernahm ihre Wache gemeinsam mit dem Novizen der Sturmherrin. Borax war ein ausdauernder Gesprächspartner, der immer wieder voller Neugierde Fragen an den Menschen richtete, was Argmin hier und da zum Schmunzeln brachte. Die letzte Wache war infolge der längeren vorangegangenen eine relativ kurze. Als der junge Geode und der Angroschgeweihte geweckt wurden, wich bereits der Nachtrichter seinem himmlischen Bruder, was sich in einem zarten, roten Leuchten am Horizont über den Eisenbergen ausdrückte.

Als Grimmgasch sah wie die Sonne langsam über die Berge aufging, nickte er Lagorasch zu und meinte: “Es ist Zeit unsere Gefährten zu wecken und den schönen Tag zu nutzen.”

Sie hatten die kurze Zeit ihrer Wache genutzt sich ein wenig über ihre gemeinsamen Abenteuer auszutauschen. Es waren so viele wunderliche Dinge passiert und die beiden Angroschim mit ihren gegensätzlichen Weltsichten hatten dieses unterschiedlich wahrgenommen und jetzt ihre Gedanken ausgetauscht. Nun stand der Angroschpriester auf und weckte indem er mit dem Suppenlöffel den Boden des Topfes malträtierte die Gefährten. “Es ist Zeit zum Aufstehen!” Dann überließ er die noch schlaftrunkenen Gefährten sich selbst und ging nach draußen zur der munter sprudelnden Quelle um den Topf mit frischem Wasser für den Morgentee zu füllen. Als er wieder in der Höhle war, schürte er das Feuer an und stellte den Topf auf das Dreibein. “Der Tee ist gleich fertig!” Er war heute Morgen in gelöster Stimmung. Der Disput des Vorabends war vergessen, er und Lagorasch waren sich durch den Austausch über die Ereignisse auch näher gekommen, die Sonne war aufgegangen und es versprach ein wunderschöner Sommertag zu werden.

“Wer zum Henker…” stieß Dwarosch hervor und stemmte seinen fassartigen Torso ruckartig hoch. Irritiert blickte er sich mit leicht gehetztem Blick um, bis seine Augen auf Grimmgasch zum liegen kamen. Dann hellten sich seine Züge auf und er prustete unvermittelt los.

“Ich sollte überlegen dich als Ausbilder einzuspannen”, meinte der Oberst kurz darauf, nachdem er sich beruhigt und Marbolieb aufgeholfen hatte, immer noch amüsiert in Richtung des Geweihten. “Wenn du es schaffst mich mit dem Kochlöffel in Rekordzeit zu wecken, schaffst du es sicher auch mit meinen Soldaten.”

“Es wäre sicherlich eine ehrenvolle Aufgabe”, antwortete Grimmgasch. “Aber ich glaube, dass das Alte Väterchen anderes mit mir vorhat.”

“Ha”, entgegnete der Oberst weiterhin mit einem Lachen. “Als ob es keine ehrenvolle Aufgabe wäre, Soldaten das frühe Aufstehen beizubringen. Das habe selbst ich gehasst ich jungen Jahren.”

Der Vogt von Nilsitz war indes bei den Scherzen von Oberst und Priester bereits auf dem Weg zur Feuerstelle. Borindarax freute sich auf einen starken Tee, dem er auch zuhause jeden Morgen zusprach und der für ihn einem Ritual gleich zu jedem anständigen Morgen gehörte. Boindil hingegen hatte es bis zu diesem Zeitpunkt gerade geschafft sich hochzustemmen und an die Felswand zu lehnen. Herzhaft gähnend rieb er sich die müden Augen. Im Gegensatz zu seinem Schützling schien der Leibwächter eher ein Langschläfer zu sein. Etwas mürrisch blickte er in Borax' Richtung. Boindil jedenfalls ließ sich noch Zeit, als Borax sich bereits zu Lagorasch und Grimmgasch gesellt hatte und auch Dwarosch half Marbolieb sich ans Feuer zu setzen.

Hatte sie nun etwa ihre Wache verschlafen? Beschämt senkte die junge Geweihte den Kopf über den den duftenden Tee und zog die Kapuze ihrer Robe über die Augen. Niemand schien dies ansprechen zu wollen, so würde sie es nicht als erste tun - doch dass der Vogt offensichtlich an ihrer statt gewacht hatte, reute sie - stand er doch im Rang deutlich über ihr und hatte ihr all die vergangenen Monde so großzügig Gastung gewährt. Sie wärmte ihre Hände an dem Becher und huldigte dem Frühstück in tiefes Schweigen versunken.

Schnell war das Frühstück verzehrt und die Gruppe machte sich auf den Weg gen Osten. Es ging wie am Vortag immer weiter leicht bergan über den schmalen und unbefestigten Trampelpfad. Leicht stieg der Pfad an, aber er hielt sich immer noch die meiste Zeit parallel zum Hauptmassiv der Eisenberge. Nur gelegentlich führte er nach oben um das Tal, das ein Bachlauf gegraben hatte zu umgehen.

Grimmgasch war am Vormittag recht schweigsam geblieben und blieb dann irgendwann auf der Höhe von Marbolieb. “Verzeiht, Schwester”, sprach er sie an, “wie ist es, zu träumen?”

Die Boroni hielt sich am Arm des Oberst fest und konzentrierte sich darauf, halbwegs sicheren Boden unter ihre Füße zu bekommen - für sich allein schon eine fordernde Angelegenheit, auch wenn sie damit für das beachtlich langsame Fortkommen der Gruppe verantwortlich war. Der Oberst mühte sich redlich, die malträtierte Stelle an ihrem Arm zu schonen, hatte aber zumindest bislang noch keine bessere Methode gefunden, die blinde Menschenfrau über Stock und Stein zu bugsieren. Seine Führung sprach von einer wahrhaft göttergesegneten Geduld und ausgiebiger, langer Übung, die das seltsame Paar ohne alle Worte bewies.

Auf die Worte Grimmgaschs hin hob Marbolieb den Kopf, stolperte über eine durch den Boden gebrochene Steinkante und fing sich wieder. Eine gute Frage war es, die ihr Bruder im Glauben da stelle. Die beste Antwort wäre es gewesen, ihn zu bitten, den Oberst zu fragen, der sich mit derlei Träumereien selbst als Angroscho auskannte. Doch wäre es diesem ganz sicher nicht recht gewesen, seine ureigensten Erlebnisse so vor aller Ohren ausgebreitet zu wissen. Und so grübelte die Menschenfrau einige Schritte lang über einer Antwort, die auch dem jungen Angroscho gut zupass käme.

“Ein Traum kann unterschiedlich sein. Eindringlich wie ein Erlebnis am Tage - bunt, mit allen Empfindungen, die ihr wach erfahren würdet. Oder nur eine Ahnung, eine Erinnerung an ein halb vergessenes Gefühl - oder der Drang, etwas zu tun, zu wissen.” Sie konzentrierte sich auf ihre Schritte, den starken, wohlvertrauten Arm des Oberst fest um ihren Oberkörper, sicherstellend, dass sie nicht nach einem Fehltritt über den nächsten Abhang davonrutschte - was sie nur einmal - fast - getan hätte.

“Es empfiehlt sich, wenn ihr eure Tage fest im Gedächtnis behaltet. Dies ist der beste Weg, sicherzustellen, was ihr körperlich erlebt habt - und was nicht.” Sie lauschte in die Dunkelheit, wohl wissend, dass sie gerade eben versuchte, einem Blinden Farben zu beschreiben. Auch wenn dieser Blinde vielleicht einmal sehen würde. “Hinterfragt euch.” bot sie an. “Bleibt aufmerksam. Dann mögt ihr es erkennen.”

Grimmgasch hörte der Boroni aufmerksam zu. Nach ein paar Schritten, die er neben ihr und Dwarosch ging, begann er seine Überlegungen darzulegen: “Wenn Ihr sagt, dass ein Traum so etwas wie einen Tag im Gedächtnis zu behalten, dann könnte es doch auch sein, dass die Erinnerung oder vielleicht somit auch die Träume der Angroschim in den Stelen von Xorlosch zu suchen sind. Denn dort sind die Erinnerungen an viele Tage verzeichnet. Was meint Ihr, kann so etwas auch ein Traum sein? Immer wenn ich dort bin, dann spüre ich die Kraft und die Macht, die in diesen Erinnerungen steckt. Und ich hoffe, dass ich vielleicht auch am Ziel unserer Reise etwas ähnliches erleben kann, denn Ishna Mur ist alt, sehr alt und war lange für uns Angroschim verschlossen. Vielleicht gibt es dort auch einen Traum für mich … .”

Marbolieb hob die Schultern, vorsichtig, um nicht aus dem Tritt zu kommen. “Vielleicht haben Eure Brüder und Schwestern ihre Träume aufgezeichnet. Da diese auch Eurem Volk von Wichtigkeit sind, würde es mich verwundern, wäre dies nicht so.”

Eine vorwitzige Wurzel peitschte gegen ihr Schienbein und brachte sie dazu, scharf die Luft einzuziehen, eine deutliche Mahnung, dem Weg mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wie zur Antwort verstärkte sich der Griff ihres Begleiters, bis sie ihr Gleichgewicht wieder gefunden hatte. Dem armen Oberst verlangte sie mit dieser Reise viel ab, was er mit dem stoischen Gleichmut seiner Rasse ertrug.

“Träume sind bedeutsam. Auch wenn ihr dies nicht immer gleich erkennen mögt.” Sie grub ihre Zähne in ihre Unterlippe, ehe sie fortfuhr. “Ich habe, wie alle meine Glaubensgeschwister, die meinigen in einem Tagebuch verzeichnet - ebenso wie jene, die mir mein Beichtkinder berichteten.” Früher. Als sie Letzteres noch besessen hatte und zu Ersterem noch in der Lage gewesen war.

“Sie sind mehr als eine Erinnerung. Sie sind oft die Frage eures Selbst - und der Schlüssel zur Antwort. Sie sind Wegscheiden - und Wegweiser.” Einige schweigende Schritte über unebenen Grund, ohne Straucheln und gut gehalten. “Rat für Euren Weg.”

“Das klingt so als hätten wir Angroschim wirklich unsere Träume in den Heiligen Hallen für die Nachwelt festgehalten.” Die Feststellung ließ ein Lächeln auf dem Gesicht des Priesters entstehen. “Dann ist das eine typisch zwergische Art. Wir haben immer schon eine enge Beziehung zu Stein und Erz. Wir überlassen unsere Träume der Erde aus der wir gekommen sind und geben sie unserem Schöpfer damit zurück.”

Wieder ging er schweigend einige Schritte neben dem ungleichen Paar her. Seine Gedanken drehten sich in alle Richtungen. Das was er da gerade von der Priesterin des Totengottes erfahren hatte, wäre etwas, was er mit seinem Mentor bei seinem nächsten Besuch in Calbrozim bereden müsste.

Dann auf einmal verfinsterte sich sein Gesicht merklich und er hub wieder zu sprechen an: “Wenn wir Angroschim unsere Träume in den Stelen niedergelegt haben - und das ist eine wirklich spannende und interessante Idee finde ich - wieso und warum können diese Träume dann auch zerstören?”

“Euch? Oder Euer Volk?” war die knappe Gegenfrage der jungen Geweihten, die mit höchster Aufmerksamkeit den Worten des Angroschpriesters lauschte - und dabei nun doch bei einen Tritt fehlging, was sie mit voller Wucht in den Armen des Oberst landen ließ.

“Ich weiß nicht, ob man Euch davon erzählt hat”, begann Grimmgasch langsam, “es gibt viele Gelehrte, die nachdem sie sich zu lange mit den Stelen in Xorlosch beschäftigt haben, verwirrt sind. Es scheint so als wenn sich die Inhalte der Stelen - nach unserer Hypothese dann die Träume - dem Lesen und Verstehen durch uns entgegensetzen. Meint Ihr, dass so etwas ein Traum kann? Oder ist vielleicht doch die Idee nicht richtig?”

Die Boroni schüttelte den Kopf auf die erste Frage des zwergischen Priesters. Ob er sich noch so sehr bewusst war, sich mit einer Menschenfrau zu unterhalten? Indes, die zwergische Sicht auf Träume und Erinnerungen faszinierte Marbolieb, so dass sie zu gerne mehr über diese spannende Angelegenheit erfahren wollte. “Träume vermögen äußerst viel.” Berge abzutragen, Meere zu teilen - und Satinavs Nachen selbst anzuhalten. Machtvoll ohne Begrenzung - auf ihre ganz eigene Art und Weise.

“Sie haben schon so manchen Geist erschüttert - und nicht wenige zerrüttet.” Alles, was Macht besaß, war Möglichkeit und Gefahr gleichermaßen. Nur ein Narr würde darüber hinwegsehen - und dies war ihr so fremder Bruder im Glauben gewiss nicht.

“Doch seid ihr sicher, dass die Aufzeichnungen Eures Volkes allein Träume sind?” Sie vermochte sich die Wut in den Augen mancher Angroschim bei dieser These deutlich auszumalen.

“Nein, nein”, antwortete der Angroschpriester, “ich denke nicht, das alle unsere Aufzeichnungen in den Heiligen Hallen nur Träume sind. Es sind viele Geschichten, die sich wirklich abgespielt haben, es ist die Weisheit der Ahnen, die Kraft der Erfahrungen. Träume sind nur ein kleiner Teil, aber wenn man diesen Teil erforscht, seinen Inhalt versteht, dann versteht man auch die Träume der Angroschim. Dieser Gedanke ist doch … nun ich sage es mal so: traumhaft!”

“Nur vielleicht ein Traum.” Die Stimme der Boroni war sanft, und sie konzentrierte sich einige Atemzüge lang auf ihre Schritte. Nicht einfach war es, hier überhaupt voranzukommen, ungleich schwieriger, wenn ihre Aufmerksamkeit doch ganz woanders lag. Sie stieß sich die schmerzhaft die Zehen und ihre Finger gruben sich in die Schulter des bulligen Angroscho neben ihr, um die sie ihren Arm geschlungen hatte. Dieses Gespräch war nicht für eine Wanderung - doch war sie viel zu fasziniert über diese Einblicke in die Gedanken eines zwergischen Priesters, um davon zu lassen.

“Ein jeder Traum trägt einen Alptraum in sich - und umgekehrt ebenso. Und fast jeder Traum ist einzig. Zudem bezieht sich der Traum auf den Träumer - träume ich von einem offenen Nachthimmel, wird dies sehr sicher etwas anderes bedeuten, als wenn ihr dies tut, Bruder Grimmgasch.”

Der Gedanke das es gute und schlechte Träume sowohl bei de Menschen als auch bei den Zwergen gab, war etwas, das Grimmgasch bewegte.

“Es war gut mit Euch gesprochen zu haben, Schwester!” er beendete das Gespräch als er sah, wie sehr es die blinde Priesterin von der Aufmerksamkeit ihrer Schritte ablenkte. Und er wollte nicht Schuld daran haben, dass sie stolperte. Es reihte sich wieder auf dem Weg ein und immer wieder in den nächsten Stunden kreisten seine Gedanken um das Träumen, die guten und bösen Träume, die Macht von Träumen und die - in seinen Augen nicht abwegige, aber sehr ketzerische - These, das die Stelen der Heiligen Hallen der Angroschim nicht nur die Geschichte aufzeichnen, sondern auch die Träume der Angroschim.

Leise vor vor sich hin in seinen Bart brummelnd legte er sich selbst das Für und Wider seiner Gedanken zurecht.

Das Spiel des Neckens, welches Borindarax noch am Vortag über sich hatte ergehen lassen müssen, startete an diesem Morgen unter ganz anderem Vorzeichen. Nun war es Boindil, der sich Spitzen des Vogtes, sowie ab und an auch des Oberst anhören musste. Der Leibwächter war wortkarg und brummelig, ein Zustand, den vor allem Marbolieb ganz und gar nicht von ihm kannte. Dwarosch und Borax hingegen waren nicht darum verlegen Boindil durch blumige Worte mit seiner Unausgeschlafenheit aufzuziehen.

Bis zum Mittag stieg die Praiosscheibe bis an den Zenit und das machte das Wandern auf dem holprigen Pfad nicht einfacher. Und so wurde wie am Vortag im Schatten eines kleinen Gehölzes aus Latschen und Krüppelkiefern eine Rast gemacht. Die Gruppe nutzte die Ruhepause sich ein wenig abzukühlen und die Wasserschläuche kreisen zu lassen. Auch die Boroni hatte das Gespräch nicht losgelassen. Erleichtert über die Rast massierte sie ihre Knöchel und lehnte sich an den borkigen Stamm einer Kiefer, der intensiv nach Harz und Sonne duftete.

“Bruder Grimmgasch?” fragte sie in die Runde, nachdem sie einen tiefen Schluck aus dem Wasserschlauch genommen hatte und ihre Stimme mit einem Mal deutlich weniger rauh und kratzig im Hals wurde.

Erschrocken fuhr der Zwerg aus seinen Gedanken hoch. “Schwester Marbolieb?”

Es klang mehr nach einer Frage als nach einer Antwort, so weit weg von der Gegenwart war Grimmgasch in dem Moment der Frage gewesen. Es erhob sich von seinem Platz auf dem flachen Stein von dem aus er in die Weite der Landschaft geblickt hatte ohne wirklich etwas zu sehen und trat zu der blinden Geweihten.

“Ich bin hier, was kann ich für Euch tun?” Marbolieb wies auf den Platz neben sich. “Mögt ihr euch setzen?”

Sie lächelte in sich gekehrt. “Unser Gespräch beschäftigt mich.” Die Geweihte faltete ihr Hände über ihren Schenkeln und suchte einige Atemzüge lang nach den rechten Worten. Ihre Kapuze hatte sie vom Kopf gezogen und die Wärme rötete ihre Wangen auf schmeichelhafte Weise.

“Erlaubt ihr mir ein paar Fragen?” “Nun”, entgegnete Grimmgasch, “dann geht es uns beiden wohl gleich. Auch ich habe den Weg bis hierher über die Möglichkeiten unseres Gesprächs nachgedacht. Daher fragt bitte, vielleicht bringen uns die Antworten beide Klarheit.” Es setzte sich in Marboliebs Nähe in das Gras, darauf bedacht, im Schatten zu bleiben.

“Ihr sagtet, Euer Volk träume selten, Bruder.” Sie wandte den Kopf in Grimmgaschs Richtung. “Wie aber geht ihr mit Träumen um? Macht diese jeder Angroscho mit sich selbst aus - oder gibt es unter den Angroschim Zwerge, mit denen diese beraten werden, die sie aufzeichnen - und sammeln? Seht ihr sie als Weisung - oder als Gefahr?”

Sie holte Luft, nachdem diese Fragen aus ihr heraus gesprudelt waren, als gäbe es kein Morgen - zu ihrer eigenen Überraschung. Neugier blitzte in ihren Augen und sprach aus ihren Zügen - und eine unbedingte Aufmerksamkeit gegenüber ihrem Bruder im Glauben. Grimmgasch war von dem Ansturm der Fragen kurz überwältigt, dann versuchte er zuerst die Fragen im Geist zu sortieren. Und diese Fragen waren ähnlich der Gedanken, die er auch schon während des Marsches gewälzt hatte.

“Oh, so viele Fragen!” antwortete dann. “Es ist nicht so einfach zu beantworten, denn es ist alles und auch nichts von allem. Wir Angroschim sind ja nicht alle gleich und so geht auch jeder anders mit seinen Gedanken und Träumen um. Einige sehen darin einen Wink des Ewigen Väterchens, wie Väterchen Albrax, der ein neues Zeitalter gesehen hat.

Andere sehen vielleicht nur etwas für sich und behalten es dann auch für sich und reden mit niemandem darüber. Wieder andere erzählen es uns Angroschpriestern. Und wie wir heute früh vermutet haben, gibt es wieder welche, die ihre Träume für die Ewigkeit in Stein festhalten.” Er hielt inne und blickte die Geweihte an. Dann fuhr er schmunzelnd fort: “Damit sind Eure Fragen zwar alle irgendwie beantwortet, aber nun ja, irgendwie ist es nicht klarer geworden, oder?”

Die blinde Geweihte überlegte und schüttelte schließlich leicht den Kopf. Ihre Haare waren nicht mehr als ein dunkler Schatten auf ihrem ebenmäßigen Schädel. “Ihr habt keine Regeln dafür - auch nicht innerhalb der Geweihtenschaft?” Dies verwunderte sie bei einer so altehrwürdigen Gesellschaft, die für so gut wie jede Handlung - sei es innerhalb der Familie, sei es in der Öffentlichkeit - ihre Regeln und Bräuche zu besitzen schien.

Grimmgasch schüttelte den Kopf, dann wurde ihm bewusst, dass die blinde Frau mit dieser Geste alleine nicht viel anfangen konnte und er ergänzte: “Nein, das es nur wenige Angroschim gibt, die überhaupt einmal einen Traum hatten, und noch viel weniger, die mehrmals geträumt haben, haben die Altvorderen zu diesem Thema keine Regeln aufgestellt.” Und wieder musste er schmunzeln, bevor er fortfuhr: “Aber vielleicht kann ich diese Regel ja eines Tages aufstellen, wenn ich dann alt geworden bin und auf mein Lebenswerk zurückblicke und mein Vermächtnis hinterlasse.”

“Dann werdet ihr damit wahrhaft erhaben geworden sein.” sinnierte Marbolieb mit einem warmen Lächeln zu Grimmgasch.

“Wie ist das Ansehen Eurer Brüder, die träumen?”

Grimmgasch musste ob der Vorstellung eines solchen Vermächtnisses laut loslachen. “Das werdet Ihr nicht mehr erleben”, antwortete er nachdem er wieder Luft bekommen hatte. “Es wäre sicherlich schön so etwas zu erreichen, wenn Angrosch es will, dann wird es sogar eines Tages passieren. Aber Ihr wisst doch wie alt so ein Angroscho werden kann und ich bin noch so jung und unerfahren.”

Dann machte er wieder eine Pause und versuchte die letzte Frage der blinden Priesterin mit mehr Ernst zu beantworten. “Das ist auch sehr unterschiedlich, genau wie die Träume. Der Traum eines Hochkönigs hat andere Auswirkungen und Bedeutungen als der Traum einen Sippenschmiedes. Und alles ist insgesamt so selten, dass es für jeden Traum eine eigene und nicht vorhersehbare Entscheidung gibt.”

In den Augen der Boroni stand ein vergnügtes Leuchten. Sie genoss diesen Disput merklich. Natürlich wusste sie, dass die Lebensspanne eines Angroscho das Vielfache der Ihren war - sie faszinierte es, wie sehr sich die Denk- und Handlungsweise dieser Wesen allein durch die sehr viel längere Zeitspanne, die sie auf Dere verweilten, von der ihren unterschied.

Sie nickte. Biss sich auf die Zunge - und stellte dann doch die nächste Frage, die in diesem Zusammenhang sich geradezu aufdrängte. “Träumen in Eurem Volk auch Frauen?” Alles, was ihr Bruder im Glauben bislang erzählt hatte, war über männliche Träumer gewesen.

Grimmgasch war in diesem Moment froh, dass die Boroni blind war, denn sonst wäre ihren Beobachtungen kaum entgangen, dass sich sein Gesicht stark rot färbte. Zum Glück hätte er es aber vielleicht auch auf die strahlende Praiosscheibe schieben können oder das er sich an einem Schluck Wasser verschluckt hätte. Wieder brauchte er ein paar Atemzüge zur Besinnung ehe er der Geweihten antwortete: “Wie gut kennt Ihr Euch mit den Angroschim aus?” Diese Frage war eher rhetorisch gemeint, denn bevor Marbolieb antworten konnte, fuhr der fort: “Bei uns Zwergen, wie Ihr unsere Völker im Allgemeinen nennt, gibt es im Gegensatz zu Euch Menschen, deutlich mehr Männer als Frauen. Man sagt, dass auf vier Angroschim nur eine Angroschna kommt.”

Wieder trat ein kurzen Schweigen ein, bevor er dann wieder fortfuhr: ”Und viele meiner Brüder - so auch ich - beginnen mit der Ausbildung so früh, dass wir uns noch gar keine Gedanken um die Schönheit und die Lieblichkeit der Angroschax machen. Und wenn unsere Ausbildung dann mit der Feuertaufe beendet ist, dann haben wir zwar einen Beruf oder einen Stand, aber um das Herz einer Angroschna zu erobern und auch von ihrer Sippe akzeptiert zu werden, da braucht es mehr, viel mehr. Und so bleiben die meisten der Angroschim alleine.”

Er hoffte, dass diese kausale Kette als ausweichende Erklärung genügte und wartete ab, welche Frage die junge Menschenfrau nun als nächstes stellen würde. Mit wachsender Verwunderung lauschte die junge Frau den Ausführungen des Angroschpriesters. Ganz konnte sie nicht verhindern, dass sich diese Verblüffung auf ihrem Gesicht abzeichnete. Dass ihr Bruder im Glauben hier auch einen Einblick in sein Herz gewährt hatte, ehrte und rührte sie. Doch mit ihrer Frage hatte dies nicht das geringste zu schaffen.

Nicht zum ersten Mal war ihr dies begegnet - auch Dwarosch verstand bestenfalls die Hälfte dessen, was sie ihn fragte. Und beantwortete davon nach bestem und aufrichtigem Bemühen, was er vermochte - und glaubte, gefragt worden zu sein.

Also war es wohl sie, die nicht in der Lage war, eine Frage so zu stellen, dass ein Angroscho sie verstehen konnte.

“Darf ich einen Schluck Wasser haben?” bat sie nicht nur um den Wasserschlauch, sondern auch im die Zeit, ihre Gedanken zu sortieren - und zu überlegen, ob sie nicht bei dem höchst interessanten Einblick bleiben sollte, den ihr Bruder im Glauben ihr soeben geschenkt hatte. Grimmgasch schaute zu dem Oberst hin, denn jetzt war er verwirrt. Was sollte diese Frage, die ihr Gespräch so abrupt unterbrach. Er hoffte, dass Dwarosch wusste, was die Menschenpriesterin jetzt wollte. Wollte sie wirklich nur Wasser … ?

Doch der Oberst war gerade mit etwas anderem beschäftigt. Angestrengt blickte Dwarosch den Gebirgspfad entlang. Er versuchte scheinbar schon im Voraus jeden Schritt möglichst präzise zu planen, um es Marbolieb so einfach wie möglich zu machen. Als der Oberst aber nach ein paar Atemzügen nicht reagierte, nahm er seinen Wasserschlauch vom Gürtel, entkorkte die Öffnung und reichte ihn vorsichtig der Geweihten.

Die nahm ihn achtsam entgegen. Sollte sie wirklich? Wieviel würde der gute Bruder in Angrosch wohl erzählen mögen? Aber es gab genau eine Möglichkeit, das herauszufinden.

“Trinkt ruhig, es ist nur Wasser”, ergänzte der Angroscho als er merkte, wie die Geweihte zögerte. Dankbar nickte die junge Frau und trank in durstigen Schlucken. Etwas warm und abgestanden schmeckte das Wasser, aber das störte sie nicht. Die Hitze und das viele Reden hatten ihre Kehle trocken werden lassen.

“Dürfen Angroschgeweihte den Bund von Feuer und Erz eingehen - oder gehört deren Leben einzig und allein dem Feurigen?” stellte sie schließlich ihre Frage, die - hoffentlich - Antwort erhalten würde.

Die Röte, die gerade wieder aus Grimmgaschs Gesicht gewichen war, erschien wieder. Er musste sich jetzt räuspern, so trocken war auf einmal seine Kehle geworden. Dann versuchte er die Frage Marboliebs zu beantworten: “Es gibt, soweit ich es gelernt habe und weiß, keinen Grund, den Bund auch für einen Priester des Angrosch zu verweigern.”

Ein paar Atemzüge Pause folgten.

“Aber eine Angroschna kann unter vielen Bewerbern wählen und sie wählt in der Regel gut, gut für sie und nicht für die Angroscho, die sie nicht gewählt hat.” Marbolieb verschloss den Wasserschlauch und reichte ihn in die Richtung, aus der sie ihn auch erhalten hatte. Die Pausen und das Zögern in der Stimme Grimmgaschs, diesem selbst vielleicht nicht einmal bewusst, erzählte ungleich mehr als seine Worte. So, wie meist die Dinge jene von größerer Wichtigkeit waren, die nicht gesagt wurden.

“Gab es so eine Angroschna?” fragte sie mit sanfter Stimme. “Für Euch?”

Marbolieb merkte wie die Hand, die ihr den Schlauch abnahm, leicht zitterte. Aber die Stimme, die die Antwort gab, war fest und klar: “Ich weiß es nicht …” Wieder trat eine Pause ein, dann antwortete Grimmgasch.

“Es gab ein junge Angroschna in Senalosch. Wir haben uns vor Jahren einige Male getroffen, dann aber musste ich zu meinem Tutor nach Calbrozim und auch nach Xorlosch. Dazu müsst Ihr wissen, dann wir Angroschpriester während unserer Lehrzeit möglichst viele Tempel besuchen müssen. Und als ich dann zurückkam, war sie einem anderen versprochen.”

Es folgte ein kleiner Seufzer und Stille.

Die junge Borongeweihte tastete nach der Hand ihres Bruders im Glauben und schloss sanft ihre Finger um sie. Still teilte sie das Schweigen mit dem Geweihten, ihre Berührung tröstend und warm, Mitgefühl vermittelnd, das sich nicht aufdrängte und von dem Angroscho leichter abzustreifen war als die Berührung einer Daunenfeder, stände ihm der Sinn danach.

Erschreckt fuhr Grimmgasch zusammen, aber nur kurz, dann ließ er sich die Berührung, die voller Trost war gefallen. Aber er war sich nicht sicher, ob das nicht etwas war, was vielleicht unter den Großlingen üblich war, er empfand diese Berührung aber als ungewohnt und auch irgendwie befremdlich. Daher stand er nach kurzer Zeit abrupt auf und meinte dann laut: “Wollen wir weitergehen?”

Betroffen zog die Boroni ihre Hand zurück, senkte den Kopf und nickte. “Selbstverständlich.”

Lange hatte die Pause bereits gedauert, und sie wollte nicht diejenige sein, welche die ganze Gruppe mehr als nötig aufhielt. Die Rast zur Mittagszeit wurde im allseitigen Einvernehmen ausgedehnt. Die Wärme des Praiosmals in diesen Stunden war zehrend für den Wanderer und so nutzte man eine kleine Schonung von Nadelbäumen, um in deren Schutz Kraft zu schöpfen. Boindil, der sich nur rasch mit Käse und Brot gestärkt hatte, legte sich mit den Kopf auf seinen Rucksack und döste, während der Vogt sein Oberbekleidung ablegte, um sie zum Trocknen in die Sonne zu legen.

Auch an diesem Tag war es sicher Borindarax, der am meisten schwitzte und dies auch immer wieder fluchend kundtat.

Argmin sah den Vogt das erste Mal mit freien Oberkörper. Borax war gut genährt, ja er hatte sogar einen Bauchansatz, der nicht nur bei Menschen von Wohlstand kündete. Was jedoch für den angehenden Diener der Leuin bemerkenswerter war, waren die Hautbilder, die Brust, Nacken und Schultern schmückten. Scharfkantig gestochene, zwergische Ornamentik - geometrische, in sich verwachsene Körper verrieten hohe handwerkliche Kunst. Bei den Floßfahrern am Großen Fluß und den Matrosen am Meer der Sieben Winde war es Brauch, sich die Haut ritzen zu lassen für allerlei Bilder. Argmin hatte von den Hautbildern der Thorwaler und von denen der Maraskani gehört. Diese Kunst auf zwergischer Haut zu sehen war ihm dagegen neu. Sie war ganz anders als die der See- und Flussfahrer.

Dwarosch hingegen nutzte die Zeit für ein ausgedehntes Mittagsmahl und eine Pfeife. Bei ersterem achtete er penibel darauf, dass auch Marbolieb ausreichend aß und trank. Ein Umstand, den Grimmgasch nicht zum ersten Mal wahrnahm.

Die Borongeweihte hatte den Rest der Rast in sich gekehrt verbracht und war irgendwann, eingelullt durch die Wärme, um ein Haar eingedöst. Ihre Gedanken kreisten um Träume - bei den Angroschim, doch ebenso bei den Menschen. Um die Omen, die sie brachten, aber auch um die närrischen Wünsche, um die sie sich so manchesmal spannen, untrennbar verwoben mit den Wegen ihrer Träumer, deren Schritte sie federleicht und doch unentrinnbar vorgaben. Als es Zeit für den Aufbruch war, ergriff sie mit einem geistesabwesenden, doch gleichermaßen dankbaren Lächeln den Arm des Oberst, schwieg aber für den Rest des Nachmittages, ihren Grübeleien nachsinnend.

Efferdstunde

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Es musste um die Efferdstunde gewesen sein, da sich alle auf Nachfrage des Oberst wieder bereit machten, um aufzubrechen.

Die Spitzen der Tannen, Fichten und Föhren hatten zwischenzeitlich begonnen sich in einer leichten Brise hin und her zu wiegen. Der Wind frische von Efferd her auf und brachte zumindest leichte Abkühlung. Mit neuem Elan nahmen die Wanderer den Weg wieder auf.

Grimmgasch war froh, dass es wieder losging. Jede Pause und Diskussion mit der Boroni verwirrte ihn immer mehr. Diese Fragen, die ihn bis in sein Innerstes aufwühlten und seine Gedanken um Dinge kreisen ließen, an die er in seinem bisheriges Leben nicht gedacht hatte. Jetzt konnte er erstmal wieder in Ruhe alles sortieren, denn er hatte die Vermutung, dass sie beide bei der nächsten Rast am Abend unweigerlich wieder auf das Thema Träumen oder sogar auf die Angroschna zurückkommen würde.

Daher genoss er die jetzt am Nachmittag wieder die frische und atembare Luft dieses Sommertages.

Die Luft wurde im Verlaufe des Tages immer drückender, ja schwül. Gleichzeitig wurden die Böen aus Richtung Praios, von jenseits der Eisenberge immer stärker und ihre Häufigkeit nahm zu.

Irgendwann, die Gruppe Wanderer hatte nach Aussage Borindarax noch etwa ein Stundenglas zu marschieren, bis zur nächsten, sicheren Unterkunft entlang ihres Weges, setzte Donnergrollen ein und der Himmel über den Bergen wurde dunkel. Immer wieder zuckten Blitze über den Horizont, in Almada musste ein schweres Sommergewitter niedergehen und nach der Windrichtung nach zu urteilen war es auf dem Weg in den Isenhag.

Die Eisenberge würden ihm einige Wucht und seine Anhöhen vermutlich auch einigen Regen nehmen, aus Erfahrung aber bedeutete dies längst keine Entwarnung. Gewitter, Unwetter im Hochgebirge konnte gefährlich sein, tückisch. Das Anschwellen von kleinen Bächen und Abgänge von Geröllfeldern hatten schon viele Wanderer ins Unglück gestürzt, wenn sie sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.

Lächelnd genoss Argmin das wohltuende Gefühl auf seiner Haut mit dem sich das Gewitter ankündigte, denn in der Luft lag Spannung und Erwartung vor dem Wirken der Sturmbringerin. Das Zucken Ihrer Blitze, die mächtigen Wolkenberge, die sich heranschoben - es war ein gutes Omen! Doch er sah in den Gesichtern seiner Gefährten, dass das Nahen der dunklen Wolken mit gerunzelter Stirn und mit argwöhnischem Blick betrachtet wurde. Die Böen trugen eine ganz feine Staubschicht mit sich, ein Gruß aus dem Yaquirtal - und von noch weiter praioswärts. Noch mehr Hitze brachten sie anstatt der erhofften Abkühlung, und bald standen der Boroni dicke Schweißperlen auf Stirn und Nacken. Sie umklammerte den Arm des Oberst und war froh, nicht allein den Unbilden des Wetters ausgesetzt zu sein.

Noch regnete es nicht, aber die schwüle Hitze drohte mit jeder Menge Wasser, die sich in der heißen Luft sammelte und den Wanderern wie mit nassen, heißen Tüchern ins Gesicht schlug. Marbolieb wischte sich mit dem Ärmel ihres freien Arms über das Gesicht, was aber wenig half und nur für eine gleichmäßigere Schicht aus Staub und Schweiß sorgte. Um den Weg selbst machte sie sich keine Sorgen - mochte passieren was wollte, fallen würde sie nicht, nicht, solange der Oberst noch einigermaßen Stand finden konnte. Dafür aber erhöhte sich die Geschwindigkeit der Wanderer, erst ein Weniges, dann immer deutlicher - wollte doch jeder vor dem Unwetter ihr Ziel für heute, das die wildniserfahrenen Angroschim gewiss kannten, erreichen.

Grimmgasch war noch völlig in seinen Gedanken versunken, so dass er den Wetterwechsel erst so richtig wahrnahm als die Blitze über den Himmel zuckten. Regen, Blitz und Donner das war etwas, was dem Angroscho - und eigentlich keinem Zwerg - gefiel. Je heftiger es anfing zu blitzen umso mehr wünschte der sich mindestens einige Meter festen Felsens über dem Kopf.

Borindarax trieb die Gefährten an sich zu beeilen. Der Vogt wollte vermeiden sich den elementaren Gewalten entgegenzustellen. Das Ziel war klar - den Unterschlupf erreichen, bevor das Gewitter über ihnen war, sie gestellt hatte.

Der junge Zwerg mochte erschöpft sein und seine Kleidung triefen vor Schweiß, doch der sprichwörtliche Dickschädel, den scheinbar einem jeden Angroschim zu eigen war, ließ ihn seine Müdigkeit und seine schmerzenden Muskeln ignorieren. Längst war Boindil dazu übergegangen Dwarosch dabei zu unterstützen, Marbolieb voran zu helfen. Bei kurzen, schwierigen Passagen bildeten die beiden Zwerge einen improvisierten Sitz mit ihren Armen, indem sie sich bei den Händen packten und trugen die Geweihte über Stellen, für die sie sonst lange Zeit gebraucht hätten.

Die Geweihte verbiss sich einen Hinweis, dass nur ihre Augen mangelhaft waren, mit ihren Beinen aber alles stimmte. Wenn der Leibwächter des Vogtes und der Oberst entschieden, dass dies der bessere Weg sei, würde dies stimmen. Dennoch war es ihr merklich unangenehm, wie ein Stück Gepäck getragen zu werden - noch dazu vom direkten Untergebenen des Herrn dieser Lande, der einem Baron der Menschen gleich war. Vermessen genug, dass sogar der Vogt in der vergangenen Nacht Wache für sie gehalten hatte. Sie senkte den Kopf, und ihre Wangen färbten sich dunkel. Alles, was sie gerade tat, bereitete ihren Begleitern nur vermeidbare Mühe - und dennoch war sie sich sicher, dass beide diesen Gedanken aus tiefstem Herzen abgestritten hätten, was sie nur noch mehr beschämte.

Grimmgasch hetzte hinter der Gruppe hinterher. Zwar war es gewohnt viel zu reisen und das auch zu Fuß, aber normalerweise hatte er Zeit diese in angemessenem Schritt und nicht im Dauerlauf zu tun. Aber er bemühte sich den Abstand zu den anderen nicht zu groß werden zu lassen. Es war ein Gemische dort am Himmel, von undurchdringlichem Grau und Weiß, das sich unaufhörlich regte und durcheinandertobte und es krachte in brüllendem Aufruhr, zerrissen vom Getöse des Donners und von den flammenden Blitzen, in deren fahlem Schein man noch Schemen von Bergen und ihren Gipfel sah, die den Anprall der Donnerböen widerhallen ließen. Immer wieder fiel Argmins Blick hinauf, in diese gewaltigen Wolkentürme, die sich ihnen in den Weg schoben. Er spürte das Zerren und das Reißen des Windes, hier oben in den Bergen war Rondras Macht noch viel mehr zu spüren. Seine Augen fanden einen felsigen Vorsprung neben ihrem Weg. Er ließ seinen Rucksack zu Boden gleiten und zog Wellenkamm aus der Scheide und stellte die Waffe vor sich. Er hob seinen Kopf, lachte dem nahenden Unwetter zu.

“Rondra! Leuin! Dieser Sturm trägt Deinen Namen, dieser Donner ist Dein Schlachtruf, gleich den Posaunen von Nebachot. Dir zu Ehren, Herrin, sei mein Leben und mein Kampf! Dies ist mein Los, dies ist meine Ehre, ich bin Dein Schild, Du bist meine Wehr! Oh Heilige Löwin, führe diese meine Klinge, nähre meine Mut und gib mir Kraft. Sei bei mir, Herrin! Nie sollen die Flammen in meinem Herz erlöschen, mich nie die Kraft verlassen, in Deinem Namen zu streiten und zu dienen! Für Dich, Sturmbringern, bei meiner Ehre, durch mein Blut und durch mein Leben!” Ein heller Blitz zuckte durch die Wolken und heftiger Donner folgte ihm rollend über den Himmel. War es Antwort oder Herausforderung, es war einerlei für Argmin. Er kniete sich nieder und murmelte ein leises Gebet, bevor er sich wieder erhob.

Er sah, dass Borindarax der Gruppe den Weg wies und wie Boindil und Dwarosch der Boroni beistanden. Er zählte die Gruppe durch, niemand dürfe zurückbleiben bei diesem Wetter, denn wenn der Regen kommen würde, würde die Sichtweite stark eingeschränkt sein und bei diesem Wetter vom Weg abzukommen, mochte hier oben schnell ein Todesurteil sein. Argmin sah nach Grimmgasch und blieb stehen. Er würde niemanden zurücklassen. Als Grimmgasch aufgeholt hatte, folgte er mit dem Angroschim der Gruppe.

Alle Bemühungen aber sollten am Ende nicht ausreichend sein. Gerade als Borax mit ausgestrecktem Arm auf eine Gruppe von robusten Föhren deutete, die vielleicht fünfzig Schritt vom Trampelpfad entfernt in einer kleinen Senke langen, setzte der Regenfall ein. Erst waren es nur vereinzelte Tropfen von Efferds ‘Segen’, doch blieb es nicht dabei. Rasch wurde der Regenfall intensiver. Ein Blick zuckt über den Himmel über ihnen und schlug in eine Bergspitze einige Meilen weiter im Westen ein, dort wo Senalosch liegen musste. Gleich darauf, nur wenige Herzschläge später donnerte es so laut, dass alle zusammenzuckten. “Schnell, hinunter! Ihr müsst nur in die Mitte der Bäume”, rief der Vogt aus und ermahnte die Anderen nochmal dazu an sich zu eilen. Er selbst blieb auf dem Weg stehen und setzte sich nun an das Ende der Gruppe, wie als wolle er sichergehen, niemanden zu verlieren. Binnen weniger Lidschläge waren sie bis auf die Haut durchnässt. Marbolieb vergaß alle weiteren Gedanken nach einer möglichen Angemessenheit und hielt sich mit aller Kraft fest, mindestens ebenso erpicht wie die hart arbeitenden Männer, schnellstens ein Dach über dem Kopf zu bekommen. In dicken Strömen rann ihr der Regen über ihr geschorenes Haupt und in Rücken und Hals entlang und wusch dabei immerhin Staub und Schweiß davon, eine erfrischende Abkühlung - aber ausgerechnet so?

Laut fluchend folgte Grimmgasch. Warum musste es denn jetzt anfangen, sie hatten doch ihr Tagesziel schon fast vor Augen. Waren es seine Gedanken, die Angrosch erzürnt hatte, dass er die Gruppe etwa strafen wollte? Oder war auch dieser Gedanke schon wieder töricht und eines Priester des Weltenschöpfers unwürdig?

So ließ er sich von dem Vogt den Weg entlang schieben.

Hagel setzte ein und wurde vom einen auf den anderen Augenblick unangenehm, ja schmerzhaft dort, wo er auf ungeschützte Haut traf. Doch bald schon hatten sie die letzte Distanz zu den Bäumen fast schon im Laufschritt überwunden.

Im Näherkommen erkannten die Voranschreitenden durch das Dickicht der Äste ‘etwas’ im Zentrum der Schonung, die einen Durchmesser von vielleicht fünfzig Schritt haben musste. Dicht standen die Bäume hier, kaum zwei Schritt trennten die übermannsdicken Stämme. Der rettende Unterschlupf stellte sich als eine Behausung heraus, die eher abenteuerlich anmutete, gerade weil sie von Zwergen errichtet worden war. Inmitten der Schonung waren wohl fünf oder sechs Bäume gefällt und knapp über dem Boden abgesägt worden. Die Stümpfe verband eine Plattform aus grob zusammengezimmerten Brettern, keine fünfzig Halbfinger über dem Boden. Das Dach war mittels Balken erbaut, die an den noch intakten Bäumen befestigt waren und diese verbanden. Lediglich in der Mitte der Plattform ragte ein Stützpfeiler in Richtung Decke. Das Dach wiederum war aus dicken sich überlappenden Brettern gefertigt.

Ob dieses Konstrukt auf Dauer den beständigen Regen im Herbst standhalten würde, mochte man sich fragen, aber die umliegenden Bäume schützten die Behausung mit ihren überlappenden Ästen und Zweigen zumindest so ausreichend, dass es zusammengenommen einen angemessenen Schutz bot. Immerhin aber war das Schindeldach, eine bewährte Konstruktionsweise in allen Wäldern, dicht - und stabil genug, um auch dem trommelnden Hagelsturm, der sich draußen nun mit Macht sein Recht erkämpfte, gewachsen zu sein.

Die triefnasse Gruppe im Inneren der Hütte konnte aufatmen - auch wenn der nächste Blitz mit einem deutlichen Knallen sein Ziel nicht weit entfernt fand und fast unmittelbar von einem lauten, krachenden Donner gefolgt wurde, dafür sorgte, dass Marbolieb entsetzt zusammenzuckte. Sie schlang ihre Arme um ihre Schultern und zog den Kopf ein, bis das laute Getöse endlich endete. Erleichtert holte sie Luft - wo auch immer der Blitz eingeschlagen war, hier war es nicht gewesen. Mechanisch wischte sie sich mit einer Hand das Wasser aus dem Gesicht, während ihr ihre triefnasse Robe wie eine zweite Haut am Körper klebte. Über mangelnde Abkühlung zumindest konnte sie sich nun nicht mehr beklagen.

Sie brauchte einige Augenblicke, bis sie sich weit gesammelt hatte, griff dann nach ihrer Tasche und suchte dort nach ihrer Ersatzrobe und einem Tuch - was beides dankenswerterweise nur an den Rändern feucht geworden war. Unschlüssig saß sie am Boden, beide Teile in den Händen, und fuhr grübelnd mit ihren Zähne über ihre Unterlippe. Doch einen ungestörten Ort würde sie hier schwerlich finden.

Erleichtert rettet sich Grimmgasch in die Hütte, froh den Inferno des Gewitterregens entgangen zu sein. Er lauschte dem Regen, der laut auf die Bretter des Daches prasselte. Ja, so war es gut, sie alle hier drinnen, der Regen und das Unwetter draußen! Dann blickte er in die Runde und langsam, ganz langsam zuerst, dann immer schneller und breiter überzog ein Grinsen, dann ein ein Lächeln, dann ein lautes Lachen sein Gesicht.

“Ihr müsstet Euch einmal sehen!” gluckste es durch den spontanen Ausbruch. “Ihr seht alle aus wie begossene Eichhörnchen!” Dabei troff ihm selber das Wasser aus dem Bart und spritzte bei seinem Lachanfall durch die ganze Hütte.

Marbolieb schüttelte den Kopf. Der Anblick entging ihr, aber allein das Gedankenbild der patschnassen Gruppe sorgte dafür, dass ihre Mundwinkel vergnügt zuckten.

Dwarosch fiel in das Lachen ein, während er Marbolieb noch zu dem zentral stehenden Stützpfosten führte und sich dort mit ihr niederließ.

"Wie kommst du gerade auf Eichhörnchen?" Der Oberst lachte erneut. "Kennst du 'Bornländer'? Ich meine nicht die Menschen, die in dem Land im Firun leben, sondern die Hunderasse? Die Viecher sind groß, stämmig und haben langes, zotteliges Fell. Wenn die nass werden sieht es so aus, als wenn sie die Hälfte ihrer Masse verlieren und erbärmlich stinken tun sie dann obendrein auch." Schallend und voller Selbstironie lachte Dwarosch abermals.

Borax, der inzwischen schon dazu übergegangen war, sich aus seinen am Körper klebenden Sachen zu schälen, blickte leicht säuerlich in die Runde. Dem Vogt schien der Vergleich mit dem nassen, stinkenden Hund nicht sonderlich zuzusagen. Boindil hingegen grinste über beide Ohren, hatte sich aber zumindest soweit im Griff, um aus Rücksicht vor Borindarax nicht loszuprusten.

“Eichhörnchen?” fragte Grimmgasch, der sich immer noch vor Lachen schüttelte. “Wieso ich auf Eichhörnchen komme? Na, habt ihr sie nicht vorhin als es anfing zu regnen durch die Kiefern am Rand der Schonung flitzen sehen? Die versuchten genauso schnell aus dem Gewitter zu kommen wie wir und waren auch bis auf die Haut durchnässt.” Langsam kriegte sich der Geweihte wieder ein und beruhigte sich.

“Ich bin schon mit vielen verglichen worden”, gestand der Oberst. “Eber, Rindvieh, Hornochse, ... ja da war viel charmantes mit dabei, aber das Eichhörnchen ist sehr originell.” Erneut lachten sie, diesmal beide.

Marboliebs Robe machte klebte spürbar kalt und klamm und wassertriefend an ihren Beinen. Sie seufzte, und zog sich, von den anderen so weit wie möglich abgewandt, das klatschnasse Stück Stoff über den Kopf. Wasserfäden liefen über ihren Schädel und ihren - durchaus wohlgeformten - Rücken. Rasch fuhr sie sich mit dem Tuch über Kopf und Schultern und bedauerte, dass es kein Laken war, in das sie sich hätte einwickeln können.

Als Grimmgasch bemerkte, dass die Geweihte sich umziehen wollte, räusperte er sich so laut, dass die anderen zu ihm hinschauten und er meinte - sich dabei von der Geweihten abwendend: “Ihr tut gut daran, die nassen Sachen zu wechseln. Auch im Sommer kann man sich schnell verkühlen und über Nacht hat einen dann der Dumpfschädel im Griff. Und das ist ohne einen heißen Badezuber und ein dickes Federbett kein Vergnügen. Und ich befürchte wir werden keins von beiden in den nächsten Stunden zu sehen bekommen.”

Das Dumme - wie Grimmgasch nun mit Entsetzen feststellte. als er seinen Tuchbeutel durchsuchte - war, dass er nur seine schwere Brokatrobe als zweites Gewand eingesteckt hatte. Aber besser eine trockene, schwere Robe als die nassen klebenden, schweren Lederhosen und das durchweichte Wams. Also begann auch er sich auszuziehen - die Menschenfrau konnte ihn ja nicht sehen und unter den Zwergen (und Männern) war der Besuch im Badehaus ja auch ohne Kleidung üblich.

Dwarosch hingegen verstand den Wink mit dem Gusseisen und erhob sich, um rasch eine der Decken aus seinem Rucksack vor Marbolieb zu halten, so dass sie sich mehr oder minder ‘ungestört’ entkleiden konnte.

Die Boroni begann, sich energisch mit dem für dieses Manöver so gerade ausreichenden Tuch trockenzurubbeln. Wenn die Männer nun einige ungeplante Ein- und Ausblicke erhielten, vermochte sie es auch nicht zu verhindern. Es würde sicher bei Blicken bleiben, auch wenn sie hoffte, dass die Zwerge sich nicht allzu gestört fühlen würden. Sie tastete nach ihrer Ersatzrobe - ein wunderschönes, nagelneues Stück aus feiner, glatter Wolle, das noch keine einzige Flicknaht aufwies, die sie hier irgendwo gerade vor sich abgelegt haben musste, die sich aber energisch vor ihren suchenden Fingern verbarg.

“Nimm das”, bat Dwarosch mit sanfter Stimme. Er legte Marbolieb die Decke um und klaubte dann selbst das gewünschte Stück vom Boden. Er raffte es so zusammen, dass die Geweihte es nur noch überstreifen musste, dann überreichte er es ihr, um erneut die Decke an sich zu nehmen. “Oh - Danke!” Überrascht und erleichtert strahlte die Frau und griff nach dem Stück Stoff, wobei ihre Fingerspitzen die rauhen Hände des Oberst streiften.

Rasch zog sie sich die herrlich trockene Robe über den Leib und strich die Falten glatt. Wie angegossen saß das Kleid und bot dennoch noch ausreichend Spiel. Kaum einen halben Arm entfernt stand sie von ihm, nah genug, um die Wärme zu spüren, die er abstrahlte. Draußen prasselte der Regen und brachte die ersehnte Abkühlung nach dem schwülen Sommertag.

Hungrig schnupperte Marbolieb wenig später an dem Zwieback mit Schinken und trockenem Käse, der die kalte, der zugigen Hütte angemessene Mahlzeit war. Aber sie war reichhaltig und wohlschmeckend - und eine freundliche Seele hatte sie für sie getragen, nicht sie selbst. Zufrieden beschäftigte sich die Boroni mit einem geräucherten Schinkenstreifen und ließ es sich schmecken.

Irgendwann aber war das Essen beendet, und die Männer setzten sich zu einer Pfeife zusammen. Ihre eigene lag zwei Jahre und viele Meilen zurück. Sie umschlang bequem ihre Knie mit den Händen und lehnte sich an den Mittelbalken, ein bequemer Sitz, den sie so schnell nicht verlassen würde.

“Bruder Grimmgasch” meldete sie sich erstmals seit ihrer Ankunft zu Wort. “Wie geht es euch?” Grimmgasch hatte sich in seine schwere Feiertagsrobe gehüllt und war auf Grund der Wärme der Robe ein wenig eingenickt. Als ihn nun Marbolieb ansprach, fuhr er erschreckt aus seinen Gedanken hoch. “Schwester Marbolieb”, antwortete er mit einer Gegenfrage. “Wie meint Ihr das?” “Ihr klangt heute nachmittag verwirrt.” Eine Feststellung mit sehr sanfter Stimme. “Konntet Ihr Eure Gedanken ordnen?”

“Hmm”, kam es aus der Ecke in die sich Grimmgasch gesetzt hatte. “Das Gespräch mit Euch hat sehr viele Fragen und Gedanken aufgeworfen. Und diese Fragen und Gedanken sind nicht einfach zu beantworten - auch dann nicht, wenn man sie sich nur selber im Kopf hin und her überlegt. Und ja, ich habe einiges ordnen können, aber dann kam der Regen und das Gewitter. Das hat schon für ein wenig Ablenkung gesorgt.”

Marbolieb nickte. “Und nun?” wollte sie wissen. “Nun?” antwortete der Geweihte. “Ich weiß nicht. Es sind so viele Dinge, die es zu bedenken gibt. Und ich denke, dass ich diese Gedanken nicht alleine zu Ende denken kann. Ich werde, wenn wir aus Ishna Mur zurück sind, Meister Torod aufsuchen und ihm meine Gedanken darlegen. Vielleicht sieht er es ja genauso, dass wie Zwerge einige oder vielleicht auch alle unsere Träume auf den Stelen in den Heiligen Hallen festhalten, um den folgenden Generationen diesen Weg zu weisen. Und vielleicht finden wir auch in Ishna Mur weitere Indizien für diese These.”

“Ihr werdet es sehen.” stimmte die Boroni zu, und ein leises Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. “Doch bereitet euch darauf vor, dass eine beantwortete Frage fünf neue aufwerfen wird.”

Dem Irrtum, dass eine Antwort das Ende einer Sache sein würde, war sie nur zu Anfang ihrer Ausbildung angehangen. Reden war nie das Ende - es barg immer einen Anfang. Marbolieb schmunzelte und lauschte, was Bruder Grimmgasch wohl dazu sagen würde.

“Ja”, antwortet der Zwerg und Marbolieb hörte, dass sich auch seine Stimmung entspannt hatte und der vermutlich ebenfalls schmunzelte oder lächelte, “diese Weisheit steht auch auf einer der Stelen der Altvorderen - denn sie ist schon so alt wie das Fragen selbst.

Aber Angrosch hat uns den Geist gegeben, um Fragen zu stellen und zu beantworten und wenn das Fragen immer neue Fragen aufwirft, so werden wir uns auch diesen stellen und sie beantworten. Dann gibt es wieder Fragen und es gibt Antworten. Zum Glück sind wir Angroschim stur und langlebig, so dass wir in unserem Leben viele Fragen stellen und auch die meisten beantworten können.”

“So könnt Ihr wirklich zufrieden sein.” schmunzelte die Boroni. Sie seufzte nachdenklich. Hatte sie heute noch Lust, den Angroschgeweihten nach seiner Angebeteten zu fragen? Wollte sie ihrem gutwilligen Bruder im Glauben den Abend mit derlei düsteren Gedanken verderben?

“Mögt ihr es mich wissen lassen, wenn Euch in Isnha Mur etwas zu diesen Gedanken begegnet?” fragte sie statt dessen. Der Geweihte nickte zufrieden und als ihm klar wurde, dass die blinde Priesterin seine Zustimmung nicht nicht sehen konnte, antwortete er: “Ich denke, Ihr werdet die erste sein mit der ich meine Gedanken teilen würde. Soweit ich es weiß, gibt es im Moment in der Bergwacht keinen Priester. Und der Gedankenaustausch mit Euch hat mich beflügelt, daher werde ich auf Euch zukommen und hoffe, dass Ihr noch da seid, wenn ich etwas Neues herausgefunden habe.”

“Von euch zu hören wird mich sehr freuen, Bruder Grimmgasch.” Sie verstummte nachdenklich und fügte erst nach einer geraumen Weile hinzu. “Ich werde noch etwa sechs bis sieben Wochen in Senalosch sein. Danach findet ihr mich in Calmir, im Rabensteinschen.”

“Nun, ich denke wir werden jetzt erstmal ein paar Tage in Isnha Mur sein”, meinte Grimmgasch, ein wenig erstaunt über die recht genaue Planung der Geweihten. Er war der Aufforderung des Vogts gefolgt mit nach Ishna Mur zu kommen, aber wenn er ehrlich war so wusste er noch nicht, wie lange er dort bleiben würde - und besonders noch nicht, was er danach machen würde. Im Zweifelsfall würde er wohl auch wieder nach Senalosch zurückkehren.

“Danach werden wir mehr wissen.” stimmte die Boroni mit ruhiger Stimme zu, doch Grimmgasch konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas anders war als zuvor - alle Lebendigkeit, die bei ihrem Disput aus ihren Augen und ihrer Miene gesprüht hatte, war mit einem mal verschwunden. Sie senkte die Schultern und wischte sich ihre Finger an einem Tuch sauber, das sie aus ihrem Ärmel zog. Ihr Appetit war ihr vergangen.

Als Grimmgasch bemerkte, dass die Stimmung der Geweihten sank, konnte er nicht umhin nachzufragen: “Es scheint mir, dass Ihr Euch in Ishna Mur nicht wohlfühlen werdet? Ihr wirkt beunruhigt.”

Marbolieb schüttelte den Kopf, merklich noch immer in Gedanken. “Ishna Mur ist gewiss gastfreundlich, Euer Gnaden - das hat damit nichts zu schaffen.” Sie schob ihre Hände in ihre weiten Ärmel und starrte geistesabwesend in die Dunkelheit vor sich.

“Wollt Ihr darüber reden? Vielleicht hilft es die Gedanken neu und besser zu fassen.” meinte Grimmgasch mit optimistischen Unterton. “Unsere Diskussion hat mir auch geholfen meine Gedanken neu zu ordnen.”

Die Borongeweihte schwieg eine Weile, ehe sie schließlich nickte, eine winzige Bewegung nur. “Ich bin traurig darüber, Senalosch verlassen zu müssen. Ich bliebe gerne dort.” berichtete sie schließlich mit ruhiger Stimme, aus der Grimmgasch dennoch eine deutliche Wehmut heraushörte.

“Aber was fällt Euch denn davon ab, nach dem Besuch in Ischna Mur wieder nach Senalosch zurück zu kehren?” war die verwunderte Frage des Angroschgeweihten.

“Ich werde das tun - hoffe ich.” Marbolieb ließ sich einige Atemzüge Zeit, ehe sie eine Erklärung hinterherschob. “Für den Rest des Sommers.” Was hier, im Hochgebirge, eine Handvoll Wochen bedeuten mochte, vier oder fünf, wenn das Wetter hielt.

Jetzt war der Angroscho verwirrt und deshalb bohrte er mit der nächsten Frage nach: “Wenn es Euch traurig macht, dass Ihr Senalosch verlassen müsst, warum bleibt Ihr denn nicht länger?”

Die junge Frau lächelte leise, doch nicht unbedingt fröhlich. “Bruder Grimmgasch, seid ihr immer und jedem Fall derjenige, der bestimmt, was das Ziel Eurer Schritte ist?” “Nein”, antwortete der Priester, “ich bin nie derjenige, der meine Schritte bestimmt. Das hat das Ewige Väterchen für uns alle bereits in seinem Weltenplan hinterlegt.”

“Und woher wisst ihr, wohin er euch schickt?” Die Stimme der Boroni hatte nichts von ihrer Sanftheit verloren.

“Nun”, war die bedächtige Antwort des Geweihten, “Angrosch bestimmt ja nicht nur mein Leben, sondern das Leben aller Lebewesen. Schließlich hat er die ganze Welt erschaffen und den Plan für alle gedacht. Daher kann es ja durchaus sein, dass jemand anders meine Schritte lenkt - wie auf dieser Reise die Bitte Väterchen Borindarax’.”

Was nicht ihre Frage beantwortet hatte - nicht im Ansatz. Marbolieb neigte den Kopf zur Seite und wartete aufmerksam.

Da von der Boroni keine weitere Frage mehr kam, überlegte Grimmgasch ob er etwas vergessen hatte. Oder lag es einfach daran, dass die Menschen mit ihren Zwölfen das Weltgefüge der Angroschim einfach nicht durchschauen. Warum sollte er sich also überlegen wohin sein Weg führen würde, der Weg war und das genügte ihm. Aber wie sollte es das der Geweihten erklären.

“Ich weiß es halt”, war daher die lapidare und vermutlich extrem unbefriedigende Antwort. Aber so war es nun mal.

Die Boroni nickte nur auf dieses einfache Weltbild ihres Bruders im Glauben, das ihr beredt erzählte, dass er kaum einmal vor einer schwierigen Wahl diesbezüglich gestanden hatte - sonst hätte er schwerlich diese einfache Lösung weiter verteidigt.

Doch würde ihm jetzt und hier der Hinweis, dass es der leichte Weg war, sich einfach treiben zu lassen, gewiss nicht weiterhelfen. Sie schob die Hände in ihre Ärmel und neigte den Kopf, als Zeichen, dass sie die Aussage Grimmgaschs wohl vernommen hatte - und für diesen Zeitpunkt als solche stehen lassen würde.

Grimmgasch wirkte ein wenig enttäuscht, dass er der Boroni anscheinend mit dem Gespräch keine Hilfe geben konnte, aber es war auch für ihn nicht immer so einfach die Gedanken der Großlinge zu verstehen. Allein, diese stille Enttäuschung entging der blinden Boroni, die weiterhin vor sich ins Nichts starrte, und rasch wieder in ihre düsteren Gedanken hinüberglitt.

Das Unwetter samt dem Gewitter hielt kaum ein halbes Stundenglas an. Doch selbst in dieser kurzen Zeit kühlte es stark ab, die kühlende Brise blieb und war selbst zwischen den Bäumen zu spüren, denn ihre Behausung besaß keine Wände. War sie noch nicht fertig, oder gehörte sie schlicht so wie sie war? Das Prasseln auf die Holzschindeln verlor an Intensität, aufhören tat es indes nicht und hielt auch noch lange an, als die Sonne bereits vollständig hinter den Bergen verschwunden war. Neben dem Schein der kleinen Blendlaterne, die Borax mit sich führte, vertrieb noch das heilige Flämmchen in Grimmgasch Lampe, das trotz des Gewittersturms nicht erloschen war, ein Stück der Finsternis.

Dwarosch saß nur in einer Wechselhose aus seinem Rucksack unter den Anderen. Der Oberst hatte den leichteren Regen zwischenzeitlich genutzt sich außerhalb des Unterstandes frisch zu machen. Zudem hatte er seine Sachen und die von Marbolieb gewaschen. Die Geweihte trug inzwischen auch Wechselsachen.

Boindil und selbst der Vogt hatten sich zwar anfangs etwas geziert, waren aber schließlich dem Beispiel Dwaroschs gefolgt und hatten sich im Regen gewaschen. Nachdem Grimmgasch erst einmal in der guten, trockenen Robe steckte, wollte er eigentlich nicht wieder in den Regen. Aber da alle seine Gefährten sich einer Reinigung unterzogen, folgte er - nachdem er die schwere metallverzierte Brokatrobe wieder ordentlich zusammengelegt hatte - dem Beispiel der andern Angroschim. Nachdem er sich gewaschen und abgetrocknet hatte, wickelte er sich nur in der Bruche, in seine Wolldecken. Das Feuer hatte nicht gereicht, das nasse Wams und die Hose zu trocknen. Die nassen Sachen hatte Argmin an der Decke ihres Unterschlupfes aufgehängt.

Marbolieb hatte dem Treiben der Männer gelauscht, die draußen irgendetwas veranstalteten, konnte sich aber so recht keinen Reim darauf machen. Sie lehnte sich an den Mittelpfeiler, schlang ihre Arme um die Schultern und hörte wie meist schweigend darauf, was um sie herum vor sich ging. Zumindest trug sie nun eine trockene Robe, nachdem das flüchtige Ding sich wieder eingefunden hatte, und der Regen hatte einen guten Teil von Schweiß und Staub abgewaschen. Hoffentlich würde es in Ishna Mur eine Gelegenheit für ein unbeobachtetes Treffen mit einer Waschschüssel geben - das wäre eine rechte Wohltat nach dieser langen Reise. Langsam wurde es kalt, und die sich ändernden Geräusche des Waldes ließen sie vermuten, dass die Dunkelheit hereingebrochen war. Sie rieb sich über die Oberarme und zog die Knie an den Leib.

“Darf ich die erste Wache übernehmen?” fragte sie in die Runde. Es wäre unverschämt ihrerseits, wenn schon wieder der Vogt für sie einspränge - aber sie war müde nach dem langen Tag und freute sich auf einen möglichst ungestörten Schlaf. Die erste Wache war die einfachste - und entsprechend begehrt.

Gewiss würde der Oberst wieder zusammen mit Boindil wachen. Zwar vermochte sie sich nicht vorzustellen, was die die beiden so dringend zu besprechen hatten - sie sahen sich zuhause bei jedem Abendessen - doch vermutlich genossen sie einfach zusammen die Ruhe und eine gemütliche Pfeife.

Sehr sicher brauchte er, nachdem er sie einen ganzen harten Tag durch die Lande geschleppt hatte, Abstand und Ruhe, die er sich auch wahrlich verdient hatte. Darüber hinaus wollte sie nicht dafür verantwortlich sein, dass sein Ruf durch irgendeine unbedachte Handlung litt und sein Ansehen unter seinen Leuten sank. Wie unschön das werden konnte, hatte sie in Calmir bereits weidlich erfahren. Dies wünschte sie niemandem.

Dennoch … sie seufzte bedrückt und schloss einen Atemzug lang die Augen. “Wer möchte sie mit mir teilen?”

Argmin sah zu Marbolieb hinüber und er meinte mehr in ihren Worten zu hören, als nur eine einfache Frage. Er bewunderte die Kraft und den Ehrgeiz der jungen Frau. Sein Blick suchte kurz den von Borindarax und Dwarosch, dann antworte er der Boroni: “Ja natürlich, Euer Gnaden. Gewährt mir die Ehre, heute mit Euch die erste Wache zu teilen.”

Ein erschöpftes Lächeln huschte über die Lippen der jungen Frau, so schnell wieder verschwunden, wie es aufgetaucht war. “Ich danke Euch, junger Herr.”

Sie umschlang ihre Knie mit ihren Armen und blickte in die Dunkelheit vor sich. “Ich mache Euch sicher keine Schwierigkeiten?”

Betroffen zögerte Argmin mit einer Antwort. Meinte Marbolieb dies als Frage oder als Feststellung? Er spürte die Verunsicherung in ihren Worten. Sie hatte sicher das Gefühl, der Gruppe zur Last zu fallen. Während der Reise hierher war kein Wort des Jammers über ihre Lippen gekommen, sie hatte sich tapfer geschlagen, im Anbetracht ihrer Einschränkung eine Leistung, der er höchste Anerkennung zollte.

“Ich habe zwei Augen für uns - und Ihr habt Ohren wie ein Luchs, Euer Gnaden.” Er legte ein Lächeln in seine Worte. “Wir ergänzen uns wunderbar und zusammen stehen wir den anderen in keiner Weise nach, Frau Marbolieb.”

“So soll es sein.” stimmte die junge Geweihte zu und diesesmal blieb das Lächeln länger auf ihren Lippen haften. Umstände wollte sie dem wackeren jungen Novizen der Leuin nicht bereiten - doch es war ja nur eine Wache, und mit etwas Glück würde sie ruhig verlaufen.

Argmin sah das Lächeln Marboliebs, doch er meinte einen Schmerz in ihren Augen zu sehen. “Dann habe ich Euch zu danken.”

Grimmgasch blickte zu Lagorasch und frug ihn, ob er wieder Lust habe, die Wache mit ihm zu übernehmen. Nachdem der Geode zugestimmt hatte, entschieden sich die beiden die letzte Wache zu übernehmen.

Dwarosch und Boindil hingegen benötigten keine Worte um sich abzustimmen. Der Oberst warf dem Leibwächter lediglich einen fragenden Blick zu. Das Nicken stellte klar, dass die noch freie Wache, die Mittlere, die ihre war.

Wache und Weihe

(nach oben)


Die Stimmung um die kleinen Laternen war gut. Die Nacht würde kalt werden, soviel war klar, denn ein Feuer konnten sie aufgrund des Holzfußbodens und des Daches nicht entfachen. Doch dank der wetterbeständigen Rucksäcke verfügten sie zumindest über einige trockene Decken. Und der Wind würde die nassen Sachen, die längst im Schutze der Schindeln von der Decke hingen, bis zum Morgengrauen sicher auch getrocknet haben.

Argmin hatte sich in die wollene Decke geschlungen, die Mutter ihm mitgegeben hatte. Wann seine Zeit es erlaubte, stattete er seinen Eltern einen Besuch ab. Auch wenn seine Herz und seine Seele ganz und gar der Leuin gehörte, so verband ihn ein warmes Gefühl der Zugehörigkeit mit seiner Familie.

Er ließ seinen Blick über die Zwerge schweifen, die sich zwischen den Rucksäcken windgeschützte Schlafstätten bereitet und sich dort zur Nachtruhe begeben hatten, dann blieb sein Blick auf dem Gesicht von Marbolieb hängen. Er versuchte sich vorzustellen, was die junge Frau, die kaum älter war als er, bereits alles gesehen und erlebt hatte, und was noch alles vor ihr liegen würde. Auf welchen Weg würde der Dunkle Vater sie schicken?

Still wurde es, als die Gruppe sich zur Ruhe legte - mit Ausnahme des tapferen Argmin. Und kalt nach dem Regen. Marbolieb tastete nach ihrer Tasche, die sie am Mittelpfosten abgelegt hatte - die sicherste Möglichkeit, sie wiederzufinden, suchte ihren Mantel heraus und schlug ihn sich um die Schultern. Eine Weile umfasste die beiden Wächter die Stille der Nacht, die doch nicht vollkommen war. Unter dem Boden der Hütte raschelte es, und nicht weit im Wald quiekte hell und schrill ein Tier, Beute eines der nächtlichen Jäger.

Marbolieb rieb sich über die Oberarme, die trotz des Mantels ebenso kalt wurden wie ihre Beine. Der vorletzte Winter hatte das seine dazu beigetragen, dass die Almadanerin die Kälte unmittelbarer spürte, als dies vor ihrer Reise gen Firun der Fall gewesen war. Ein leises Rascheln kündete davon, dass der junge Novize eine bequemere Position suchte.

“Bruder Argmin.” Die weiche Stimme der Priesterin wob sich in die nächtliche Ruhe. “Mögt ihr mir erzählen, wie ihr den Ruf der Sturmherrin vernommen habt?”

Der Angesprochene wendete den Blick ab von der Dunkelheit, die das Lager inzwischen umgeben hatte, und sah zu der Boroni hinüber. Er musterte stumm das Gesicht der jungen Frau, die in seine Richtung blickte und ihn anzusehen schien. Die Schatten war tief und dunkel geworden, der feine Schein von Grimmgasch’ Flamme warf ein wenig warmes Licht in das Lager und auf die Züge der Boroni.

Er zögerte mit der Antwort, wollte er die Priesterin damit nicht langweilen, doch ihre Wacht hatte erst begonnen, sie hatten Zeit. “Die Familie meines Vaters und die Familie meiner Mutter ehrten schon immer der Leuin in besonderer Weise. Als ich sechs Jahre alt war, nahm Vater mich mit nach Gratenfels. In Hlûtharshall wurde die Lanze des Heiligen Orgil an Ihre Exzellenz Eborella Bärenpranke von Wehrheim, Schwertschwester zu Rommilys, übergeben. Wir blieben über Nacht in der Stadt und Vater nahm mich mit zur Abendandacht im Tempel der Rondra und als ich Bodia von Leuenfels hörte, wie sie von Hlûthar sprach und vom Schwert Siebenstreich und vom Ewigen Kampf der Löwin gegen die Dunkelheit, da wusste ich, dass auch ich eines Tages in Ihren Reihen stehen wollen würde, um mit Ihrem Segen mutig voranzuschreiten gegen die Finsternis.”

Argmin griff nach seinem Wasserschlauch. “Wollt ihr einen Schluck Wasser, Euer Gnaden?”

Die Boroni nickte dankbar, nahm den Schlauch entgegen und trank durstig, ehe sie diesen wieder an den Novizen zurückreichte - oder ihn vielmehr in die Richtung streckte, aus der sie ihn erhalten hatte, hoffnungsvoll, dass er ihn auch wieder entgegennehmen würde - was er erfreulicherweise tat. Dann trank auch Argmin einen Schluck. Das Rascheln unter der Hütte hatte aufgehört, das Quieken in der Nacht war verstummt, es war, als würde die Nacht lauschen wollen, was der Novize zu erzählen hatte.

“Mein Vater war Leuenant des Riedenburger Fähnleins im Jahre 31. Ich war damals erst neun Jahre alt, mein Bruder Faldor aber bereits in den Diensten von Ritter Fradrik von Graupen. Es kamen eines Tages keine Briefe mehr von Vater. Mutter wurde krank vor Sorge und aß nichts mehr. Sie sah nur aus dem Fenster zum Hof und wartete auf einen Boten. So war es an mir und ich rief Rondra jeden Abend im Schrein des Hauses an, dass Sie ihn nach dem Zug nach Tobrien sicher nach Hause bringen würde, doch keine Kunde kam. Ich dachte, dass ich mehr erbringen müsse als einfache Gebete in einem Haus-Schrein und so fasste ich den Entschluss, der Göttin dort zu preisen wie es ihr wahrlich gebührte und so machte ich mich auf den Weg. Zu Fuß. Bis nach Gratenfels.

Ich wanderte, viele Tage, aß, wenn ich etwas zum Essen fand und fastete, wenn nicht, und ich betete bei jedem Schritt zu Rondra und ich trotze all der Angst in mir vor der mir großen unbekannten Welt und ich schwor mir, dass nichts mich davon abhalten würde, in Gratenfels vor der Statue der Göttin zu knien...

Doch dann kam ich des Nachts ab vom Weg und verirrte mich. Ein Wolfsrudel hatte meine Spur aufgenommen und ich wusste, dass ich ihnen nicht entkommen würde. Ich rannte und weinte und heulte, weil ich die Leuin enttäuscht hatte und weil Vater wegen mir nicht nach Hause kommen würde. Dann spürte ich den Zorn in mir aufwallen und ich blieb stehen und nahm einen Ast und schwor keinen Schritt vor den Wölfen zu weichen. Ich wäre in dem dunklen Wald gestorben, mit einem Stück Holz in der Hand, wenn mich nicht ein alter Mann gefunden hätte. Die Wölfe wichen vor ihm winselnd zurück und er gab mir zu Essen und zu Trinken und zeigte mir den Weg zurück zur Straße und sagte mir, dass er meinen Mut bewundern würde, dass ich diese Pilgerreise auf mich nehmen würde. Er sagte, dass ich einem guten Weg folgen würde und dass ich voranschreiten solle. Damals dachte ich, er meinte die Straße nach Gratenfels.”

Argmin pausierte und lächelte vor sich hin, sein Blick in die Vergangenheit gerichtet.

“Der Mann führte mich zur Straße, gab mir seinen Mantel und wünschte mir eine gute Reise und wandte sich ab. Noch ehe ich ihn nach seinem Namen fragen konnte, war der alte Mann verschwunden.

Ich erreichte Gratenfels und fiel nieder vor dem Altar der Sturmbringerin und betete zu Rondra und bat Sie um Ihren Segen und Ihren Schutz für meinen Vater. Alle Kräfte verließen mich und so wickelte ich mich in den Mantel des Fremden und schlief vor dem Altar ein, wo Bodia von Leuenfels mich fand und schalt ob meiner Dreistigkeit, doch sie ward stumm, als sie den Mantel sah und das Wappen darauf, denn es waren drei schwarze Leuen auf grünem Grund - das Wappen Hlûthars. Und gemeinsam beteten wir und Bodia hielt meine Hand, als wir beide vor der Statue der Rondra knieten.

Am nächsten Tag erreichte Kunde vom Zug nach Tobrien Gratenfels und Schwertschwester Bodia ließ mich zurück nach Hause bringen. Vater kehrte bald zurück an den Hof und drei Jahre später, als ich zwölf geworden war, trat ich der Tempelschule der Leuin in Gratenfels bei.” Argmin atmete tief aus und blickte zu Marbolieb hinüber.

“Ich hoffe, ich habe Euch nicht gelangweilt, Frau Marbolieb.”

Diese hatte schweigend gelauscht, aufmerksam, den jungen Mann nicht unterbrechend. Hin und wieder nickte sie bei seinem Bericht, als fände sie die Wahrheit in - hinter - seinen Worten.

Auf die Frage Argmins hin schüttelte sie den Kopf. Sie hatte ihre Hände um ihre Knie geschlungen, eine Haltung, in der es sich ganz angenehm sitzen ließ. “Euer Ruf war deutlich.” bot sie schließlich als Antwort an.

Sich diesem zu verweigern hätte der aufrechte junge Mann schwerlich vermocht, so, wie seine Erzählung klag. Jemand, der aufrichtig seinen Weg beschritt - dieser Sachverhalt freute die Geweihte von Herzen. Die Zuversicht spiegelte sich als warmes Lächeln in ihren Zügen und in ihrer sanften Stimme, die sich unaufdringlich in die Stille der Nacht wob.

“Was meint ihr, war der alte Mann? Gibt es einen Orden von Hlûthars Getreuen?”

Noch niemals hatte sie von diesem Wappen gehört - aber sie war auch nicht über Gebühr bewandert in den Heiligen der Kirche der Leuin. War dieser alte Herr ein Ordensmitglied - oder gar eine Erscheinung, welche die Sturmherrin sandte. Spielte das überhaupt eine Rolle angesichts des Weges, auf dem sie den Jungen bestärkt hatte?

Abwartend lauschte sie in die Richtung des Knappen, begierig zu wissen was seine Deutung des Erlebten war.

“Wer oder was der alte Mann war, mag ich mir nicht anmaßen zu deuten, Euer Gnaden. Er fand mich in dunkelster Nacht im Wald und die Wölfe wichen vor ihm zurück, vor Angst oder Respekt, ich kann es nicht sagen. Es war Hlûthars Mantel, in dem Bodia von Leuenfels mich schlafend vor dem Alter der Alveransleuin fand. Doch Hlûthar von den Nordmarken fiel 568 vor Bosparans Fall im Kampf gegen den Blutkaiser und seine Dämonen. Es heißt, dass er vor gut 20 Jahren als Gesandter der Leuin gegen die Schergen des Vielfach Verfluchten erschien, als diese sein Grab schändeten, um das Schmieden von Siebenstreich zu verhindern. Ob der Mann im Wald ein Nachfahre Hlûthars oder ein Ritter eines Ordens oder gar ein Gesandter der Sturmherrin war - ich weiß es nicht. Ich machte mich mehrere Male auf die Suche nach ihm. Auch mein Vater ließ nach ihm fragen, in Riedenburg und Rickenhausen, doch niemand hatte ihn gesehen noch wurde er jemals wieder gesehen. Sein Mantel hängt im Tempel der Leuin zu Gratenfels, Hlûthar zu Ehren und auf den Tag wartend, da ihn der alte Mann zurückhaben will.”

Er starrte in die Dunkelheit, seine Gedanken bei jenen Ereignissen, die sein Leben so geprägt hatten. “Doch egal, wer der alte Mann war, er war ein Erwählter der Leuin. Wäre er nicht gewesen, hätten die Wölfe mich getötet.”

Dann drehte sich Argmin zu Marbolieb zurück und lächelte. Die Konturen der jungen Frau zeichneten sich fein und sanft im Licht der Laterne ab. “Wäre er nicht gewesen, hätte ich nicht die Freundschaft von Borindarax und Grimmgasch und Lagorasch finden können. Und ich hätte Euch nicht kennengelernt, Euer Gnaden. Ich habe dem alten Mann viel zu verdanken und schließe ihn jeden Abend in meine Gebete ein.”

“Das ist meine Geschichte. Ich diene der Leuin mit Herz und Seele und meinem ganzen Leben. Eines Tages werde ich den Schwur von Nebachot vor der Göttin und ihren Dienern ablegen und einer Ihrer Krieger werden.” Er schwieg einen Augenblick und legte seine Finger auf den kühlen Griff von Wellenkamm.

“Die Wege der Götter sind unergründlich. Die Pfade, auf denen Sie uns führen, sind seltsam und fremd für uns … Es steht mir nicht zu, Euch zu fragen, Euer Gnaden, darum verzeiht bereits jetzt, wenn ich Euch damit zu nahe trete … .” Argmin zögerte.

Die Borongeweihte hielt den Kopf geneigt und folgte wachsam Argmins Erzählung. Kurz, aber deutlich vernehmbar, huschte Erstaunen über ihre fein geschnittenen Züge, gefolgt von Unglauben - flüchtig nur, und rasch wieder fortgewischt. Es geschah so gut wie nie, dass eine Frage, die nicht den Befindlichkeiten des Fragers galt, ihren Weg zu ihr fand - und so ganz einig mit sich war sie nicht, wie sie damit umzugehen hatte. Doch schmeichelte sie das Interesse Argmins, und so nickte sie mit einem sehr freundlichen Lächeln. “Sprecht.” bat sie den Novizen.

Argmin zögerte und rang mit den Worten, höfische Gespräche lagen ihm nicht. Die Sätze kamen ihm nur stockend über die Lippen.

“Euer Augenlicht … Ihr seid so nicht geboren worden und doch sehe ich keine Narben. Ihr bewegt Euch mit großer Sicherheit und dennoch ist mir, als ob Ihr hin und wieder unsicher seid, ob Eures nächstes Schrittes oder Eurer nächsten Bewegung. Und ich vermeine, wenn Dwarosch Euch anblickt, in seinen Augen etwas zu sehen, was ihn schmerzt … . Bitte verzeiht mir, Euer Gnaden, ich möchte nicht anmaßend erscheinen.” Der junge Mann hielt die Luft an, als er den letzten Satz gesprochen hatte und suchte im Gesicht der Boroni nach Anzeichen, ob er sie mit seinen Worten verärgert hatte. Die junge Frau wandte ihr Gesicht zu Argmin, und lediglich ihr Blick, der sich daran nicht festzuhalten vermochte, verriet ihre Blindheit. Klar, groß und dunkel waren ihre Augen, wie ein stiller See ohne Grund - und doch haltlos, auf der Suche nach etwas, das der Novize nicht hätte benennen können. Aufmerksam waren ihre Züge, und hellwach, ohne jede Falte zwischen den Augen, ihre Sinne auf ihren Gesprächspartner gerichtet.

“Was ist Eure Frage, Herr Argmin?” Sanft war die Stimme der Geweihte, warm und einladend wie eine Sommernacht.

Nochmals zögerte der junge Mann für einen Augenblick und betrachtet ihr Gesicht, dann fragte er, ermutigt von Worten Marboliebs, leise, direkt und ohne Umschreibung: “Wollt Ihr mir erzählen, wie Euch Euer Augenlicht genommen wurde, Euer Gnaden?”

Die Borongeweihte nickte, und legte ihr Kinn auf die auf ihren Knien verschränkten Hände, während sie ihre Gedanken ordnete. “Es war im vorletzten Winter.”

Die Dunkelheit der Nacht schloss sich um die Erzähler, die in einer kleinen Insel aus dem Licht der Laterne Grimmgaschs in der fast pechschwarzen Finsternis der Berge saßen. Die Regenwolken bedeckten noch immer den Himmel und verhüllten das Licht von Phexens Juwelen. Das Madamal selbst, nur eine magere Sichel, war noch nicht aufgegangen.

Das einzige, was sich davon der jungen Frau offenbarte, war eine mit einemmal zunehmende, lauernde Stille.

“In den Wäldern Rabensteins hatte sich ein Weib der Widersacherin Borons verdingt. Ihre Schergen fingen mich.” Die Finger der jungen Frau krallten sich in ihre Knie, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Ihre Stimme indes war noch immer gemessen und beherrscht.

“Sie brachten mich zu einer Ruine, einige Tagesreisen tief in den Wäldern, sperrten mich ein ein Verlies. Wie lange, weiß ich nicht.” Auf ihren Armen richteten sich die feinen Härchen auf. Sie verstummte und suchte einige Atemzüge lang nach den richtigen Worten. Wie sehr sie seitdem Räume unter der Erde verabscheute! Die Enge, Kälte und klamme Feuchte, die sie ausstrahlten, erdrückte sie - und machte ihr Angst. Ein eisiger Klumpen, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, ergriff von ihr Besitz und kroch ihr als Kribbeln wie von Spinnenbeinen den Rücken empor. “Sie flößte mir einen widerwärtigen Trank ein.” Schier versengt hatte er sie, und war doch gleichsam kalt wie Eis gewesen - beißend; falsch und widernatürlich in einem, wie ein Messer in ihrem Geist, das ihn Stück für Stück auseinanderriß. Etwas, das an ihrem Innersten zerrte und es in feinste Fasern zerteilte.

Marbolieb schüttelte matt den Kopf, vermochte aber die Empfindungen, die sich allein bei der Erinnerung daran ihrer bemächtigen, nicht abzustreifen.

“Ich wurde nach draußen gebracht und auf einem Block fixiert.” Was genau ihre Peiniger damals unterfingen, war noch immer nur eine verschwommene Erinnerung - doch die Schmerzen, die wie Klingen aus Eis in ihrem Leib gewütet hatten, standen ihr noch immer klar und deutlich in Erinnerung. Sie löste eine Hand und fuhr über einen Unterarm, schob bei dieser unbewussten Bewegung ein Stück den dunklen Stoff ihrer Robe zur Seite und rieb über eine fingerlange Narbe, die sich kurz über ihrem Handgelenk erstreckte - und Geschwister an all ihren Extremitäten besaß. Erst nach geraumer Zeit wurde ihr die Geste bewusst, und sie löste verschämt ihre Hand, zog den Stoff wieder zurecht und verknotete ihre Finger wieder um ihre angezogenen Knie.

“Sie sangen seltsame Worte, riefen. Etwas hörte. Zwei Präsenzen. .., Durch meinen Kopf … durch mich … ein Reißen, ein Schlingen …. .” Immer länger wurden die Pausen zwischen den erstickten Worten der jungen Frau. Wie hätte sie den brennenden Schmerz, der nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele zerriss, annähernd beschreiben können?

Sie unterdrückte ein Schluchzen und presste ihre Stirn an ihre Hände, rang das Zittern in ihrem Leib nieder, holte einmal, zweimal tief Luft und klammerte sich verbissen an alles, was ihr lange Götterläufe Übung, Meditation und Schulung an Gemessenheit verschafften. Mit kratziger, kaum vernehmlicher Stimme setzte sie wieder an.

“Mit einem Mal endete es. Ich glaube, ich hörte den Oberst. Als ich wieder erwachte, war er neben mir - mein Augenlicht blieb fort. Ich erinnere mich nur an Fetzen, bis ich viele Tage später in Senalosch zu Sinnen kam.” Argmin konnte erkennen, dass Marboliebs Gesicht während ihrer Erzählung ein gutes Stück blasser geworden war und Schweißperlen auf ihrer Schläfe standen. Die Priesterin tastete mit einer Hand an ihren Hals, wo üblicherweise das Weiheamulett eines Geweihten hing - bei ihr indes war der Platz leer. Sie faltete ihre Hände wieder über den Knien.

Begierig rang die junge Frau nach Luft.

Argmin war den Worten der jungen Frau mit steigendem Entsetzen gefolgt und mit jedem ihrer Sätze spürte er, wie sich sein Magen mehr verkrampfte. Marbolieb endete und die sie umgebende Stille schwappte wie Wasser erdrückend in die entstandene Leere, wo eben noch die Stimme der Boroni zu hören war. Kein Rascheln im Unterholz, kein Knarren von Wind in den Zweigen, kein Tropfen von nassen Ästen, es war, als ob die Welt den Atem angehalten hätte.

Nicht im Ansatz konnte er messen oder erfassen, was Marbolieb dort erlitten hatte. Seine Gedanken drehte sich, schmerzhaft verkrampften sich seine Finger um Wellenkamms Griff. Er wollte aufspringen, zu ihr hinübergehen, niederknien, ihre Hände in die seinen nehmen. Er wollte ihr Worte von Stärke und Zuversicht sagen, er wollte ihr Trost und Sicherheit geben. Doch das stand ihm nicht zu. „Verzeiht mir, Euer Gnaden, es war meine unbedachte Neugier, diese schmerzhaften Erinnerungen in Euch wachgerufen zu haben.“ Die Worte kamen Argmin nur langsam über die Lippen, als wären die Worte selbst sich unsicher ausgesprochen zu werden.

Dann erhob er sich, ging hinüber zum Mittelpfosten und kniete neben die Boroni. „Bitte erlaubt … “ Er hielt seine Decke ausgebreitet in seinen Armen und so, dass Marbolieb den Stoff spüren konnte, als er Anstalten machte, sie ihr umzulegen.

Über Marboliebs Lippen flackerte unsicher ein dankbares Lächeln, als sie den warmen Stoff um die Schultern fühlte. Sie tastete über die Decke und ihre Fingerspitzen berührten die Hände Argmins, als sie sich mit einem erleichterten Aufatmen in die Decke schmiegte. Ihre Hände aber waren eiskalt.

Als er Marboliebs Berührung spürte, hätte er fast die Hand zurückgezogen, mehr aus Gründen des Anstandes denn ihrer Kälte. Aber eben nur fast. Er hielt inne, bewegte sich nicht. Für diesen Moment. Argmin sah ihr Lächeln, betrachtete ihr Profil im schwachen Schein der Lampe und spürte die sanfte Berührung der Boroni. Dann war der Augenblick vorbei. Musste vorbei sein, musste vorübergehen. Durfte nicht sein. Und dennoch war er dagewesen.

Er legte ihr die Decke eng um die Schultern und ließ sich neben der jungen Frau auf den Boden nieder, setzte sich mit dem Rücken zur kühlen Dunkelheit, um der Boroni etwas Schutz vor der kalten Nacht zu geben, die die fehlende Möglichkeit für ein Feuer und die offene Bauweise der Hütte ankündigten.

„Frau Marbolieb, ich danke mit ganzem Herzen allen Zwölfen, dass Sie Oberst Dwarosch rechtzeitig zu Euch führten, bevor diese verfluchten Seelen ihr frevelhaftes Werk vollenden konnten. Ich hoffe, er konnte sie ihrem Richter zuführen! Mögen alle Götter sie strafen für ihre Sünden!“ Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme etwas bebte mit dem Aufkeimen des Zorns, als er an das dachte, was diese bösen Menschen dieser Frau angetan hatten. „Es war Rondras Wille, dass ich Borindarax vor den Toren Calbrozims kennenlernte, und sich nun hier und jetzt unsere Wege kreuzten, Euer Gnaden. Ich nenne den Vogt und Grimmgasch und Lagorasch meine Freunde, und so sage ich Euch, Frau Marbolieb, dass auch Ihr auf meine Hilfe zählen könnt, wenn Ihr sie je brauchen solltet.“ Er sah sie an, betrachtete ihr schönes Gesicht, ihre Augen, die in seine Richtung blickten und ihn dennoch nicht sehen konnten.

„Euer Gnaden, ihr friert.“, stellte er bestimmt fest. „Wollt Ihr mir Eure Hände geben?“

Die zierliche Geweihte nickte, der Hauch einer Bewegung nur, genug, für die großherzigen Worte des jungen Novizen zu danken. Ihre Hände waren schmal, die Nägel kurz und sauber, die Handinnenflächen rau und schwielig, die Hände einer Frau, die körperliche Arbeit verrichtete. Ihre Arme dennoch so dünn, dass Argmin sie mit Daumen und Zeigefinger leicht hätte umschließen können.

Marbolieb schlug die Augen nieder, vergeblich hungernd nach Wärme, die Kälte, die sie in Glieder und Geist biss, zu vertreiben. Nichts gemein hatte diese mit der Kühle einer Sommernacht, hier, hoch oben in den Bergen, den Eisernen Zähnen, Heimat der Zwerge, die ihre Heimat im lieblichen Punin vom kalten, harschen Norden schieden.

Er nahm die Hände der Boroni in die seinen, eiskalt fühlten die ihren sich an. Er wünschte sich eine der Wärmepfannen seiner Mutter mit einem Satz glühender Kohlen für sie hierzuhaben, doch so blieb ihm nur die Hände der Boroni zu halten und sie so notdürftig an seiner Körperwärme teilhaben zu lassen. Er wollte ihr etwas zurückgeben, für den Schmerz und die Qualen, die sie erleiden hatte müssen, für den Verlust ihres Augenlichtes, und wenn es nur dieser eine Augenblick war, an dem er ihre Hände warmhielt und ihr Schutz vor dem kühlen Luftzug der Nacht bot. „Erlaubt Ihr mir ein Gebet zu sprechen, Euer Gnaden?“ Dankbar nickte die junge Frau, ihre Hände geborgen und warm - das einzige, was an ihr gerade nicht fror - in den deutlich größeren Händen des kampfgeübten Novizen. Eine gute Idee.

Argmin hörte, wie die Geweihte tief Luft holte und das Zittern in ihren Gliedern etwas weniger wurde. Ein kühler Wind kam auf, strich ungebremst durch den Unterstand und kündete davon, wer hier, hoch oben in den Bergen, tatsächlich Herr und Meister war.

Und so sprach Argmin: „Alveransleuin und Dunkler Vater und all Ihr Mächte Alverans, hört unsere Worte. Zaghaft ist unser Herz, Grenzen hat unser Mut. Wir sind nicht ohne Furcht und Kühnheit, wir sind sterblich und voller Fehler. Schenkt uns Tapferkeit und Standhaftigkeit im Angesicht von Zweifel. Denn es gibt immer eine Klippe, die noch niemand erstiegen, es gibt immer einen Strom, den noch niemand durchschwommen, es gibt immer einen Feind, den noch niemand bezwungen. Schenkt uns die Kraft, dem zu widerstehen, was uns zaudern lässt. Vor Euch, Ihr Himmlischen, senken wir unser Haupt. Schenkt uns Klarheit, Euren Willen zu erkennen. In Eure Hände geben wir unser Leben. Gebt uns die Kraft, heute und zukünftig soviel Gutes zu verrichten, wie wir können. Denn Euer Wille ist unser Gebot.“ “So sei es.” bestätigte die Geweihte.

Marbolieb seufzte, und Argmin hörte die gewaltige Erleichterung in diesem Laut.

“Ich danke euch, junger Herr. Es ist lange her, seit das letzte Mal jemand mit mir betete.” Er hielt ihre Hände für einen Moment länger als es schicklich gewesen wäre. „Ich habe Euch zu danken, Euer Gnaden. Es sind in erster Linie wir Menschen, die zu dem Dunklen Vater sprechen, denn wir wissen um das Unausweichliche. Die Angroschim sehen den Tod wohl anders entgegen.“ Der schwache Schein von Grimmgasch‘ Laterne spiegelte sich in ihren unergründlichen Augen. „Die Wege der Himmlischen sind unergründlich…“ Er ließ ihre Hände los. „Ich werde Euch für einen Augenblick alleine lassen, doch ich bin in der Nähe. Ich will nur nach dem Rechten sehen, bevor wir die anderen wecken, meine Dame.“

Argmin erhob sich und bückte sich und dem Dachrand hindurch und trat zwischen die Dunkelheit der Föhren. Der schwache Lichtschein reichte nur noch aus, vage Schemen erkennen zu lassen. Während er Kreis um das Lager schritt und immer wieder in die Nacht lauschte, versuchte er seine Gedanken zu ordnen. Er rezitierte in Gedanken das Nachtgebet und ermahnte sich selbst zur Disziplin, dann kehrte er unter die Hütte zurück und setzte sich wieder zu der Boroni. „Es wird Zeit Dwarosch und Boindil zu wecken. Behaltet die Deckel heute Nacht, Euer Gnaden. Mir werden Wams und Mantel reichen.“

Die Geweihte tastete vorsichtig nach dem Arm des Novizen. Sie schüttelte den Kopf, ihre Hand nicht schwerer als das Gewicht einer Feder.

“Ihr würdet frieren. Das möchte ich nicht.” Das wünschte sie dem freundlichen und aufmerksamen Novize auf gar keinen Fall. Mit leisem Bedauern nahm sie die dicke Decke von ihren Schultern und legte sie sanft in die Hände des jungen Mannes. Der Stoff strahlte noch ihre Wärme ab und trug ganz leicht den Duft der jungen Frau in sich. Marboliebs Fingerspitzen berührten die Hand des jungen Mannes. “Danke.”

Argmin zögerte. Er sah in Marboliebs Gesicht, spürte ihre Nähe. Er setzte an, etwas zu sagen, schloß den Mund jedoch wieder. Es verging ein Augenblick und dann ein zweiter und dann verflog der Zauber des Moments. Zögerlich nahm er die Decke entgegen. „Es ist gern geschehen, Euer Ehren.“ Er neigte den Kopf, auch wenn er wusste, dass die junge Frau diese Geste nicht sehen konnte. Er ging hinüber zu Boindil, um ihn zu wecken für seine Wacht, und überließ es der Boroni den Oberst zu wecken.

Willkommen in Ishna Mur

(nach oben)


So waren es dann Grimmgasch und Lagorasch, die die letzte Wache gehalten haben. Die beiden so gegensätzlichen Angroschim hatten sich wieder so sehr in ihre Unterhaltung zur Weltanschauung, die ja auf den gegensätzlichen Polen Feuer und Wasser geruhte, vertieft, dass sie es gar nicht mitbekamen, dass plötzlich hinter ein weiterer Angroscho in der Hütte stand.

“Willkommen in Ishna Mur!” tönte die tiefe Stimme des Ankömmlings. “Ich freue mich, dass Ihr Euch so sicher fühlt”, fügte er mit einem sehr wohlwollenden und freundlichen Unterton hinzu.

Dann ergänzte er lauter auf Garethi: “Guten Morgen, ehrwürdige Dame und hohe Herren!”

Aus seiner Gürteltasche holte er eine Pfeife hervor, die er stopfte und mit einem Span entzündete. Dann setzte er sich paffend auf den Boden und wartete, dass die Gefährten langsam wach werden würden.

Der Angroscho war in unscheinbare Lodenstoffe gekleidet. Die Beine mit den schweren Stiefeln streckte er jetzt gemütlich von sich. Er war ohne Gepäck und ohne Waffen - sah man von einem Drachenzahn im Gürtel ab - unterwegs.

Seine Haare und der geflochtenen Bart schien mit der Röte der aufgehenden Sonne um die Wette leuchten zu wollen. Und er hätte bestimmt gegen die Sonne gewonnen wären nicht die ersten grauen Strähnen in Haar und Bart zu sehen gewesen. Seine lustigen und listigen braunen Augen schauten von einem zum anderen - gut die Hälfte der Gruppe kannte er bereits. Die beiden Angroschim, die zuletzt Wache gehalten hatten und der Großling waren ihm unbekannt. Aber auf die drei mehr oder weniger kam es nicht an, Murla würde sie alle schon satt bekommen. Am Rand der Lichtung waren zwei weitere Angroschim im fahlen Licht der aufgehenden Sonne zu erkennen. Die beiden waren in den dunklen Farben des Waldes gekleidet und mit Armbrüsten und langen Jagdmessern bewaffnet. Sie beobachteten nun das Treiben in der Hütte und tuschelten miteinander.

Grimmgasch blieb der Satz, den er gerade mit Lagorasch diskutieren wollte im Halse stecken und er blickte erstaunt den Ankömmling an.

“Euch auch einen guten Morgen!” war alles was er herausbrachte.

Hinter ihm fing der Oberst an mit tiefen Bass zu lachen. “Na, habt ihr uns aber etwas eingebrockt, Euer Gnaden”, sprach er anklagend, aber hörbar amüsiert über die Situation zu Grimmgasch, nur um sich dann aufzurichten und den Neuankömmlingen freundlich zuzunicken. Was die Umstehenden in diesem Moment erst erkannten war, dass Dwarosch sein Kurzschwert - den Gladius - bereits in Händen hielt.

“Was willst Du denn mit dem Käsemesser?” war Borix Frage an seinen ehemaligen Kommandanten. “Wenn ich mich zu gemütlich zwischen Euch setzen kann, dann hätten wir auch anders über euch kommen können!”

Der Vogt hingegen grunzte und schmatzte noch im Schlaf und musste von Boindil wachgerüttelt werden. Der Leibwächter war es offensichtlich unangenehm so überrumpelt worden zu sein. Seine Miene sprach Bände, er blickte Grimmgasch und Lagorasch leicht angesäuert der Reihe nach an.

“Lasst doch die Kinder!” meinte Borix als er die strafenden Blicke des Vogts sah. “Sie haben sich so angeregt unterhalten.”

War es bereits Morgen? Marbolieb wachte von dem jähen Stimmgewirr auf polterndem Rogolan auf. Eine fremde Stimme mischte sich darunter, die ihr vage bekannt vorkam. Auch ein Angroscho. Aber welcher - von wann? Viele von ihnen hatte sie in den letzten zwei Götterläufen gehört, und ihre brummelnde, in der Kehle grollende Sprache klang immer etwas ähnlich. Auch wenn Dwarosch, der damit aufgewachsen war, das vermutlich energisch abgestritten hätte. Nach einigen Sätzen schwenkte die Stimme - doch bekannt. Von der Jagd? - auf Garethi über. Marbolieb krauste die Stirn und grub überlegend ihre Zähne in die Unterlippe. Sie tastete neben sich, bis ihre suchenden Finger endlich den Mittelpfosten fanden. Ihren Mantel, der ihr als Decke diente, eng um sich geschlagen setzte sie sich auf und lehnte sich an den mächtigen Stamm, einen Arm fest darum geschlungen. Und tat das, was sie in den vergangenen beiden Götterläufen fast bis zur Perfektion geübt hatte: sie lauschte und wartete ab, was wohl geschehen möge - den Arm noch immer sicherheitshalber um den festen Stamm, der ihr zumindest den Anschein von Sicherheit gab.

“Meister Borix?” fragte sie auf’s Geratewohl in die Dunkelheit.

Zwischen zwei tiefen Zügen aus der Pfeife kam ein brummelndes Geräusch, dass wohl eine Bestätigung sein sollte, kurz danach hörte die Geweihte dann auch die Antwort in ihrer Sprache: “Aber natürlich, Euer Gnaden. Da ihr euch seit gestern Abend auf dem Gebiet der Bergwacht befindet, war es doch meine höchste Pflicht die ehrenwerten Gäste zu begrüßen. Kurz bevor ihr gestern die Hütte gefunden habt, seid ihr an den Grenzsteinen vorbei gekommen. Zinman hat gesehen wie ihr euch vor dem Gewitter in Sicherheit gebracht habt und ist sofort zurückgekommen um mich zu holen. Ich hoffe, dass Ihr eine angenehme Nachtruhe hattet?”

“Gewiss - habt Dank!” nickte die Boroni höflich. Das Dach hatte den Regen und ihr Mantel die meiste Kälte abgehalten - sie hatte schon oft deutlich unangenehmer geschlafen.

Sie lächelte leise. “Es ist eine Ehre, dass ihr uns alle abholen kommt. Ist es noch weit bis Ishna Mur?”

“Lasst es mich so sagen”, antwortete der alte Zwerg gemütlich. Man merkte seiner Aussprache und Ausdrucksweise kaum an, dass es sich um einen Angroscho handelte, so gut war sein Garethi. “Es kommt auf den Weg an.”

Es folgte eine kleine Pause. “Ihr müsst verzeihen, aber es gibt in unseren Bingen Geheimnisse, die wir nicht mit jedem teilen können und teilen wollen. Aber soviel kann ich verraten: Euer Weg bis Ishna Mur wird in etwa noch einen halben Tag dauern. Wenn Murla dann das Mittagsmahl servieren lässt, werdet Ihr es auf jeden Fall noch heiß essen.”

Grimmgasch, der aus dem Gespräch mitbekam, dass es sich bei den Angroscho um den Bergvogt handelte, lief rot an, den von dem Lehnsmann bei der Wache überrascht zu werden, war schon ein harter Schlag für den Priester. “Angrosch hat Euch aber das schleichen und die Heimlichkeit gelehrt, Euer Wohlgeboren!”

Ein verächtliches Grunzen und Grummeln war die Antwort Borix. “Euer Gnaden! Das ehrwürdige Väterchen hat mir manche Erfahrung mit auf den Weg gegeben, nicht nur das Schleichen. Und wenn Ihr nicht auch noch meinen Jähzorn zu spüren bekommen wollt, dann nennt mich Borix - und wenn Eure Etikette es nicht zulässt, dann sollte ein Meister alle Male genügen!”

“Ja, Meister Borix”, antwortete der junge Geweihte sichtlich von der Art des Alten eingeschüchtert. “Dann nennt mich bitte Grimmgasch!” “Geht doch!” kam es zufrieden und mit breitem Grinsen hinter der Pfeife hinterher. Nun, da die Begrüßung im vollen Gange war schritt auch der Oberst auf den Bergvogt zu, steckte kurzerhand den Gladius in die Scheide an seinem Stiefel und umarmte Borix herzlich.

“Ich freue mich, dass ich endlich die Zeit gefunden habe dich in deinem neuen Zuhause zu besuchen. Und sei gewiss, auf das Essen Murlas freu' ich mich am meisten.” Dwarosch lachte. Da trat immer noch mit kleinen Augen Borindarax hinzu und musterte die alten Gefährten mit gespieltem Spott. “Am Ende hättet ihr mich einfach schlafen lassen und zurückgelassen. Zum Glück aber habe ich Boindil, der verhindert, dass ihr solchen Unfug mit mir treibt.”

Der Vogt trat an Dwaroschs Seite, der sich inzwischen von Borix gelöst hatte. Respektvoll aber freundlich reichte er dem Bergvogt seine Hand. “Meister Borix, ich freue mich, wieder nach Ishna Mur zu kommen.” “Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Es ist schön, dass Ihr das Versprechen einlöst und ich sehe, dass Ihr auch noch einen kleinen Hofstaat mitgebracht habt”, antwortete der Bergvogt dem Vertreter seines Lehnsherren. “Wenn ihr gefrühstückt habt, sollten wir auch aufbrechen, der Weg außerhalb der Berge ist noch lang.”

Dann wandte er sich direkt an die blinde Priesterin: “Bislang war der Weg beschwerlich, aber jetzt wird der Weg besser, das verspreche ich Euch. Es ist zwar keine Reichsstraße aber es sollte reichen.”

Die atmete ob der Worte des Bergvogtes auf. “Das wird es leichter machen, Wohlgeboren.” Nicht nur für sie - der hauptsächlich Leidtragende des Weges war ein anderer.

“Ich bin bis hierher gekommen, den Rest werde ich gewiss noch bewältigen. Und ich bin sehr neugierig auf die hochgerühmte Küche Eurer Gemahlin.” fügte sie hinzu. Die meisten Erklärungen des Vogtes und des Oberst über Ishna Mur hatten sich um dieses Thema bewegt. “Ich hoffe, es macht ihr nichts aus, zwei Menschen zu beherbergen und zu verköstigen - was denkt Ihr?”

Borix lachte laut auf. “Zwei Menschen mehr oder weniger machen keinen Unterschied zu den fünf Angroschim, die ebenfalls mitkommen.”

Dann fuhr er ein wenig ernster fort: “Murla hat mir aufgetragen Euch zu fragen, ob Ihr den Rest bis zur Bergwacht nicht getragen werden wollt. Ich habe deshalb Zinman und Ubarum mitgebracht. Die beiden würden schnell einen behelfsmäßigen Sitz bauen und Euch dann wie von Dschinnen getragen zum Tor bringen.”

Die Augen der Boroni wurden groß und sie holte erschrocken Luft. “Euer Wohlgeboren, ich bin nur eine einfache Geweihte.” Sie atmete langsam und kontrolliert aus. “Das ist ein viel zu großer Aufwand für mich. Den halben Tag werde ich zu Fuß gehen. Eure tapferen Leute müssen sich nicht meinethalben derart abmühen.”

Ein warmes Lächeln huschte über ihre ebenmäßigen Züge, als sie hinzufügte. “Aber seid herzlich bedankt für dieses großzügige Angebot.”

“Ihr seid vielleicht nur eine einfache Geweihte”, antwortete Borix, “aber - verzeiht wenn ich es so direkt sage - Ihr seid blind und auch wenn das letzte Stück des Weges besser wird, ist es immer noch sehr beschwerlich.” ‘Und wenn Murla sieht, dass die Geweihte laufen musste, dann gibt es bestimmt wieder Mecker’, fügte er in Gedanken noch hinzu.

“Ich bin den ganzen Weg bis hierher gelaufen.” wandte die junge Frau nicht zu unrecht ein. “Ich kann dies auch ohne Schwierigkeiten weiter tun - vorausgesetzt, der Herr Oberst (oder jemand anderes) ist bereit, mich zu führen.”

Auf einem Sitz getragen zu werden wie ein reicher Händler in seiner Sänfte - oder eine Leiche zum Scheiterhaufen auf einer Bahre - war ihr zutiefst unbehaglich. Borix verneigte sich kurz und da das von Marbolieb nicht wahrgenommen werden konnte, ergänzte er: “Wie Ihr wünscht.”

Dann winkte er einen der beiden Jäger herbei und besprach sich kurz mit ihm. Woraufhin dieser nur stumm nickte und von der Lichtung verschwand.

“Danke für das Angebot, Borix. Marbolieb und ich haben uns mittlerweile ganz gut eingespielt und um ehrlich zu sein wäre ich unruhig, wenn ich sie in anderen Händen wüsste, als in den meinen”, wandte nun der Oberst ein, nur um dann schief grinsend mit den Schultern zu zucken. “Du willst dir doch nicht den ganzen Rückweg mein Genörgel anhören nur weil ich mich sorge, oder?”

Borix brauchte nicht lange zu überlegen bis er antwortete: “Ab einem gewissen Alter fällt es einem leicht sich so taub zu stellen, dass es Dir jeder glaubt. Also würde ich Dich nicht hören. Und wenn es euer beider Wunsch ist, dann mische ich mich auch nicht mehr ein. Ubararum nimmt den Weg durch die Berge und wird unsere Ankunft vorbereiten.”

“Gut.” Der Oberst klatschte in die Hände. “Dann lasst uns kräftig frühstücken, um dann rasch aufbrechen zu können”, sprach Dwarosch unternehmungslustig. “Ich kann es kaum erwarten Ishna Mur endlich zu sehen.”

Noch immer klamm war die Gewandung, doch das hatte Argmin ignoriert, als er Hose, Hemd und Gambeson anlegte und den Überwurf mit dem Löwinnenkopf anzog. Die Begrüßung des fremden Angroschim hatte ihn geweckt. Überrascht war er mit der Hand am Dolch aufgesprungen, nur um sich umgehend töricht vorzukommen, als bekannt wurde, dass es sich beim Ankömmling um den Bergvogt persönlich handelte. Wie es sich gehörte, hatte er sich vorgestellt und sich neben Marbolieb gestellt. Es war immer wieder wohltuend, die respektvolle Lockerheit der Zwerge untereinander zu spüren, doch kam er sich gerade etwas vor wie das fünfte Rad am Wagen und so stellte er sich neben ‘den anderen Menschen’ und verfolgte die freundlich-ruppige Begrüßung der Zwerge.

Die Geweihte wickelte sich fester in ihren Mantel, der ihr auch als Decke gedient hatte, und ließ den Mittelpfeiler los, an dem sie sich bislang festgehalten hatte. Ihre Fingerspitzen ruhten noch auf dem grob bearbeiteten Holz, das ihr immerhin Orientierung bot in diesem Durcheinander der Stimmen, das um sie herum aufgewallt war.

“Herr Argmin?” fragte sie auf’s Geratewohl zu der Präsenz neben ihr. “Frau Marbolieb?”, antwortete dieser und drehte sich zu der Boroni um. “Kann ich Euch behilflich sein?”

“Ihr seid es.” Es war nicht immer so einfach, ihre Mitreisenden auf Armeslänge Abstand auseinanderzuhalten. Mit einem Schmunzeln streckte die junge Frau ihre Hand aus, bis ihre Fingerspitzen gerade so eben den Arm des Novizen berührten. “Was passiert da?”

“Verzeiht bitte meine Unachtsamkeit, Schwester.” Er sah in ihr Gesicht, suchte den Blick ihrer Augen. Er spürte einen Anflug von Mitleid mit der Boroni und fragte sich, was die junge Frau gerade sah. War es einfach dunkel und schwarz wie in der Nacht? Oder grau wie wenn er die Augen schloß? Er wusste von Schwertkämpfer, die trotz des Verlustes ihres Augenlichtes herausragende Krieger geworden waren, die auf eine solch ungewöhnliche Art zu kämpfen gelernt hatten, die Gegner mit Augen in arge Bedrängnis bringen konnten. So wie er Frau Marbolieb bisher kennengelernt hatte, brauchte und wollte sie kein Mitleid. Sie war eine stolze Frau.

Er spürte die Finger der Boroni auf seinem Arm. Es war ein seltsames Gefühl. Frau Marbolieb schien durch diese Berührungen zu ‘sehen’, für ihn war es ein Gefühl von Vertrautheit. Die Geste beruhigte ihn, denn für einen Augenblick hatte er sich alleine gefühlt, als Fremder unter alten Freunden.

Mit einem Blick auf die Angroschim schilderte der Novize die Szene. “Dwarosch und Meister Borix sind noch beim Austausch von Freundlichkeiten. Meister Borix hat einen seiner Begleiter vorausgeschickt, um unsere Ankunft in Ishna Mur anzukündigen. Meister Borix scheint mir Eurer Entscheidung, Euch nicht tragen zu lassen, nicht ganz glücklich, doch er akzeptiert Eure Entscheidung - und die unterstützenden Einwände des Oberst.” Argmin sah wieder zu Marbolieb.

“Ihr habt den Weg bisher meisterlich bewältigt, Euer Gnaden. Ich bin mir sicher, dass egal was vor uns liegen mag, auch der Rest des Weges Euch vor keine Probleme stellen wird.”

Er blieb neben der Boroni stehen, als die Angroschim aus ihren Vorräten ein letztes Frühstück herrichten und führte die Frau zu ihrem Sitzplatz. “Erlaubt ihr mir eine persönliche Frage, Euer Gnaden?” “Gewiss, Herr Argmin. Aber nennt mich bitte Marbolieb - das tut jeder so. Oder ‘Schwester’, wenn euch dies lieber ist.” Mit einem erleichterten Lächeln ließ sich die Geweihte führen und ging vorsichtig in die Knie, als ihr Platz erreicht war, mit den Fingerspitzen den Boden um sie herum abtastend. Seit sie einmal versehentlich einen vollen Teebecher umgestoßen hatte, war sie vorsichtiger geworden.

“Dann will ich Euch Marbolieb nennen in dieser Runde, doch muss ich darauf bestehen, dass Ihr mich Argmin nennt.” Er setzte sich neben die Boroni. “Marbolieb … es kam Argmin noch etwas ungewohnt und unbeholfen über die Lippen, als er die Geweihte ansprach.

“Ihr seid vertraut und bekannt mit Vogt Borindarax und Meister Boindil und all den guten Leuten hier. Was führt Euch diesen Weg nach Ishna Mur? Ich kam nicht umhin zu hören, dass Ihr bald aufbrecht, zurück nach Calmir und mir schien, dass Euch dieser Gedanken nicht mit Freude erfüllt.”

Was für eine gute Frage. Hilflos blickte die Boroni in Richtung des jungen Mannes. “Der Bergvogt hat uns auf der Jagd zu Nilsitz eingeladen, seine Gäste zu sein.”

Was der Wahrheit entsprach, auch wenn es nur einen kleinen Teil dieser darstellte. Wieviel schwieriger war der zweite Teil der vermeintlich harmlosen Frage - der zudem ganz sicher kein Thema für das Frühstück mit seinen vielen Ohren war. Was sollte sie dem freundlichen Novizen auch erzählen? Dass es sie schmerzte, zu fühlen wie sehr sich der wackere Oberst tapfer und so entschlossen, wie es nur ein Erzzwerg vermochte, mit ihr abplagte? Die Mühe, die sie den Guten kostete, war deutlich zu spüren.

Dennoch tat es ihr in der Seele weh, wie nahe der Abschied aus Senalosch gerückt war. Sie seufzte bedrückt.

“Es wird Zeit, dass ich wieder meinen Dienst im Tempel in Calmir versehe. Mein Abwesenheit dort war zu lange.” Gemessen und sanft war ihre Stimme, gut geübt darin, gemessen und sanft zu sein und zu verbergen, was nicht zu lesen sein sollte. Sie schwieg einige Atemzüge und setzte leise hinzu:

“Ich habe mein Willkommen in Senalosch nahezu überstrapaziert - zwei Götterläufe erträgt mich Seine Hochgeboren nun schon, trotz all des Aufwands, den wir für seinen Haushalt bedeuten. Ich werde ihm und Oberst Dwarosch immer dankbar sein für ihre Großherzigkeit, uns bei sich aufzunehmen, als wir es am meisten brauchten.”

Das Gemurmel und Gerede der Angroschim und das Geklapper der Teller füllte die Nähe, doch er hörte nur dem warmen Klang ihrer Stimme nach und fand sich wieder hin- und hergerissen zwischen dem Drang, ihr das zu antworten, was er sollte, und dem Drang, ihr das zu antworten, was er fühlte. Er zwang sich zu einem Lächeln und zu einer schnellen Antwort, um die entstandene Stille zwischen ihnen beiden nicht zu tief werden zu lassen. „Ich kann Euch versichern, Marbolieb, dass weder der Vogt noch der Oberst einen noch so kleinen Anschein zeigen würden, dass Eure Gegenwart in irgendeiner Art und Weise eine Belastung für sie wären. Ganz im Gegenteil. Sie schätzen Eure Nähe sehr.“ Er warf einen Blick in die Runde und dachte an ihr Gespräch in der Nacht und wünschte sich für einen Moment zurück. „Ein jeder von uns“, beeilte er sich leise hinzuzufügen. „Und darum der Abschied Ende des Sommers? Damit Ihr Calmir noch erreichen könnt vor dem Schneefall? Werdet Ihr alleine zurückkehren?“

Marbolieb senkte den Kopf und ließ die Schultern hängen. Ihr Nicken mit nach unten gerichtetem Blick besaß keine Fröhlichkeit. Sie flocht ihre Finger auf den Knien, ihre Hände mit viel Mühe locker, und schüttelte sachte den Kopf, als ließen sich die Gedanken an den viel zu nahen Herbst damit vertreiben.

Argmin blickte zu Oberst Dwarosch hinüber, dann wieder zurück zu Marbolieb. Er dachte an sein Leben und sein Streben nach Taten für die Leuin. Er wusste, dass, wenn er sich bewähren würde vor den Augen der Alveransleuin und ihrer Kirche, er gerufen werden würde nach Greifenfurt, um dort den Schwur von Nebachot abzulegen. Und dann? Auf welchen Pfaden würde Schwertschwester Bodia ihn dann schicken? War es dann an ihm, die Kunde der Leuin zu verbreiten in den Nordmarken? Würde er zu den Baronen und Grafen geschickt werden, um sie an ihren Schwur und ihr Versprechen zu erinnern? Würde er nach Osten gehen dürfen, um mit Schwert und Schild den Feinden Alverans das Fürchten und Zittern zu lehren wie es Hlûthar einst tat? Seiner Göttin in einem Tempel in einem fernen Dorf zu dienen, war ihm bisher nicht in den Sinn gekommen und bei dem Gedanken daran spürte er, dass ihm das zu wenig sein könnte.

„Die Priesterschaft des Unausweichlichen schien mir immer sehr zurückgezogen und verschlossen und nur wenig der Welt der Lebenden zugewandt. Ihr entsprecht nur wenig diesem Bild, Marbolieb. Ist Calmir Eure Heimat?“ Die Boroni schüttelte den Kopf. “Ich komme aus Punin.” Sie wandte sich in Richtung Argmins und setzte hinzu. “Einem Toten kann ich einen Dienst erweisen, Herr Argmin. Einem Lebenden hundert.” Und alles ließ sich nicht schweigend verrichten. Hauptsächlich deshalb, weil den meisten Menschen das Reden so ungeheuer wichtig war - und sie Angst hatten vor der Stille und dem Schweigen.

Sie atmete ergeben aus. Ändern ließ sich nichts - und ihr Tempel bedurfte eines Geweihten. “Seid Ihr enttäuscht?”

„Enttäuscht?“, fragte Argmin und musste lachen. „Nein, im Gegenteil, es ist angenehm zu wissen, dass nicht alle Priester des Unausweichlichen in Stille leben. Um den letzten Weg gehen zu können, brauchen wir alle den Mut, alles derische loszulassen. Und wo wir diesen Mut aus unserem Glauben und unserer Hingabe ziehen können, brauchen andere Ermunterung und Leitung. Es ist unsere Aufgabe, ihnen ihre Angst zu nehmen – und Schweigen kann Ängste nicht lösen.“

Marbolieb schüttelte zustimmend den Kopf. “Trost braucht Worte - manchmal.” Sie seufzte. “Und jemanden, der ihn annimmt.” Was bei den Dörflern in Calmir entschieden nicht der Fall war.

Der junge Mann spürte, dass die Boroni etwas beschäftigte. Ihre Worte klangen nach Enttäuschung und Traurigkeit. Er vermochte nicht zu sagen, ob sie von anderen oder von sich selbst sprach, ob ihre Worte an ihn gerichtet waren oder ob sie ihr selbst galten.

„Das klingt, als wenn diese Aufgabe schwer auf Euch liegen würde, Marbolieb. Ersuchen die Menschen von Calmir nicht Eure Hilfe und Euren Beistand?“ “Sie wenden sich an die Geweihten der gütigen Mutter, wie sie es gewohnt sind.” Die junge Frau seufzte. “Ich erfülle meinen Dienst gerne und werde nicht klagen, Herr Argmin.” sie biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf. “Belassen wir es dabei, junger Herr?” bat sie mit leiser Stimme.

Argmin hörte den Unterton in ihrer Stimme und betrachtete für einen Augenblick stumm das schöne Gesicht der Boroni. Sein Kopf war voller unzusammenhängender Worte und Sätze, die er ihr sagen hätte wollen, doch dies war weder der richtige Ort noch der nicht der richtige Zeitpunkt dafür. „Bitte, Marbolieb, nennt mich Argmin – sonst nenne ich Euch wieder ‚Euer Gnaden‘! Und danken wir den Zwölfen für diesen Augenblick der Ruhe und des Friedens in dieser bunten Runde.“ Er hielt kurz inne und sprach in Gedanken einen kurzes Gebet an die Götter.

„Darf ich Euch etwas reichen, Marbolieb?“ fragte er und beide wandten sich dem geschäftigen Treiben des gemeinsamen Frühstücks zu.

Letzte Schritte

(nach oben)


Nach dem Frühstück brach die Gruppe auf. Das Gewitter der Nacht hatte etwas Abkühlung gebracht, aber durch die Feuchtigkeit waren die Stein rutschiger geworden und in den Löchern im Weg hatten sich Pfützen gebildet. Der Weg war wie Borix angekündigt hatte trotzdem besser als am Vortag. Nach einer guten Stunde des Wegs kam die Gruppe dann an eine Felsnase, hinter der der Weg nach rechts verschwand. Als sie auf der Nase standen bot sich ihnen ein wundervoller Anblick: zur linken Seite konnten sie von den Bergen hinab in die Ebene schauen. In der Ferne war sogar das glitzernde Wasser des Großen Flusses zu sehen, der sich hier in einigen weiten Schleifen dem Engpass zwischen den Ingrakuppen und dem Eisenwald näherte. Geradeaus zog sich ein weites Tal quer zu ihre Wegrichtung. Am Grund des Tals konnten sie so etwas wie eine Straßen erahnen, die sich aus der Ebene nach rechts zum oberen Ende des Tals hochwandt.

Borix deutete nach rechts: “Dort wo das Tal endet liegt Ishna Mur. Wir müssen jetzt nur hinunter zu der Straße und der dann bis zu den Toren der Bergwacht folgen.”

Gesagt, getan. Die Gefährten folgten dem Pfad in Serpentinen den Abhang hinunter bis auf den Grund des Tal. Dort endete der schmale Pfad auf der Straße, die von den schweren Rädern der Erzwagen zerfurcht war. “Die müssen wir noch ausbessern”, entschuldigte sich der Bergvogt. “Aber im Moment ist das die einzige Möglichkeit das Erz aus der Mine fortzubringen. Die Wege durch den Berg zur Via Ferra und nach Senalosch sind noch nicht sicher genug für die Erztransporte.” Obwohl die Straße in ziemlich schlechtem Zustand war, kam die Gruppe und vor allem auch Marbolieb auf ihr besser voran als auf dem schmalen, gewundenen Pfad. Die Straße führte immer weiter nach oben zum Ende des Tals. Erst mehr oder weniger gerade den Berg hinauf, als die Steigung allerdings für die Wagen zu stark wurde, begann sie sich in Serpentinen hinauf zu winden.

Der zweite Jäger begann die Serpentinen auf engen Pfaden zu schneiden und so vor der Gruppe in der Bergwacht anzukommen.

Und wie es Borix am Morgen vorausgesagt hatte, kamen sie kurz vor dem Höchststand der Sonne um eine letzte Biegung und sahen von dort aus nur noch wenige Schritt über sich die Wehrmauer der Bergwacht, die den Rest des Tals abriegelte. Einige Meter unterhalb der Anlage erstreckte sich ein kleiner Bergsee, der von einem Bach, der unter der Mauer durchfloss gespeist wurde. Die Straße führte auf ein Tor zu, dass aufstand. Links hinter dem Tor ragte ein alter Wachturm über die Mauer - Turm und Mauer, das Wappen der Bergwacht. “Wir sind da!” freute sich Borix.

Grimmgasch, der die ganze Zeit immer noch etwas beschämt über seine verpatzte Wache und die Bezeichnung ‘Kind’ war, ging am Ende des Zuges und war etwas enttäuscht vom Anblick der Bergwacht. Eine alte, renovierte Mauer, ein Turm und ein eisernes Tor, das sollte die lange verschlossene Binge sein?

Ähnlich erging es Argmin. Der junge Mann hatte im Lauf der Reise schon viel über Ishna Mur gehört, doch die - zwar zweifellos imposante - Wehrmauer und der Turm konnten nicht das Ishna Mur sein, von dem Borindarax erzählt hatte. Er blickte sich um und ließ seinen Blick über den nahen Bergsee schweifen. Zwerge und Wasser … Seitdem er Borindarax, Grimmgasch und Lagorasch vor den Toren Calbrozims getroffen hatten, schienen ‘Zwerge’ und ‘Wasser’ immer zusammen aufzutauchen. Er berührte andächtig den Edelstein im Griff von Wellenkamm.

Der Vogt hingegen erstrahlte bei dem Anblick des Eingangs zur Wacht. “Alte Hallen von neuem Leben erweckt”, sprach er ehrfürchtig und beschleunigte dann noch einmal seine Schritte, so dass sein Leibwächter kurz überrumpelt war und sich eilte wieder aufzuschließen.

Dwarosch hingegen blieb mit Marbolieb am Arm stehen und musterte Mauer und Turm eingehend. Der Oberst konnte nicht anders, es war wie eine routinierte Gewohnheit - jede Wehranlage, der er ansichtig wurde, musste begutachtet, analysiert werden. Borix würde sich von Dwarosch anhören müssen, was er an den Wehranlagen verbessern würde, ob er nun wollte oder nicht. “Spätestens morgen möchte ich eine kleine Führung, um deine Verteidigungsanlagen eingehend begutachten zu können”, sprach Dwarosch mit sichtlichem Vergnügen und Freude an der Aufgabe einem Freund dabei helfen zu können, für sich und seinem Clan eine sichere Zukunft zu errichten.

“Was siehst Du?” richtete schließlich die Boroni das Wort an den Oberst, an dessen Arm geklammert sie stand. Das Schweigen und der begeisterte Ausruf des Vogtes, als die Gruppe wie auf ein unhörbares Kommando anhielt, erzählte von etwas Einprägsamen. In die eine oder andere Richtung. Detailgetreu gab Dwarosch das Bild wieder, was sich ihm bot, wobei er Mauer und Turm auch mit Zahlen und Einheit, wie Stärke, Höhe kategorisierte und in Halbsätzen ergänzte, welche Sorte Gestein verwendet wurde und welche Technik bei der Fügung der Quader. “Die Anlagen haben auf den ersten Blicke eine Substanz, die diese Wacht in Zukunft schützen können und werden, wenn die notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen abgeschlossen sind.” Damit schloss der Oberst seine ausführliche Beschreibung.

Die Geweihte nickte, dankbar über die Antwort, ein halbes Lächeln auf den Lippen. Nichts anderes hatte sie von dem Zwergen erwartet.

Borix musste grinsen als er die Beschreibung des Oberst hörte. Ihm war klar, dass der gewünschte Rundgang viele Schwächen der äußeren Mauer aufzeigen würde. Aber die Mauer war ja nur die Verteidigung des Turms und der Stallungen. Die innere Anlage würden den Oberst schon zufrieden stellen, da war er sich sicher. Doch jetzt winkte er erst einmal seinen Gästen zu einzutreten.

Als sie sich dem geöffneten Tor näherten, traten zwei wohl gerüstete Angroschim aus dem Schatten des Torbogens und bauten sich rechts und links auf. Respektvoll salutierten sie mit ihren schweren Kriegshämmern als der Vertreter des Lehnsherrn durch den Torbogen schritt. Borix nickte ihnen kurz zu und sie nahmen daraufhin eine bequemere Haltung an. “Na, durch wessen Schule sind die wohl gegangen?” war die Frage an den Oberst. Amüsiert zuckte Dwarosch mit den Schultern. “Na, da sie keine Hammer- Amulette um den Hals tragen, sind es zumindest keine Krieger aus Ârxozim. Ich würde tippen es sind ehemalige Tunneljäger, Clankrieger … oder warte, hast du ausgeschiedene Veteranen überzeugt, sich in Ishna Mur niederzulassen?”

“Nein!” widersprach Borix energisch, “weder noch. Es sind meine Wachen, die ich selbst ausgebildet habe.” Der Oberst hob eine Augenbraue. “So viel Zeit hast du?” Er lachte. “Dann brauch ich mir sie zumindest nicht ansehen. Ich weiß ja, dass du keine halben Sachen machst. “Ich habe ja nur acht Leute zur Verteidigung der Bergwacht und die sollen wenigstens ihr Handwerk verstehen!” Klang es dann mit deutlichem Stolz. “Und das mit den halben Sachen habe ich bei Dir gelernt.”

Dwarosch nickte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Borix und er waren aus dem selben Stein geschlagen.

Als die Gruppe nun das Tor durchschritten hatte, konnte sie eine Blick in das Innere der Anlage werfen. Auch hier war noch nicht viel besonderes zu sehen. Vom Tor gingen rechts und links zwei Treppen auf den Wehrgang. Nach links ging auch ein kurzer Weg zum Eingang des Turms. Der Hauptweg allerdings führte geradeaus weiter und bildete einen großen Platz, der links von einem kleinen Teich eingerahmt wurde und rechts von einem großen Stallgebäude mit Remise. Damit war der kleine Talkessel im Großen und Ganzen ausgefüllt. Doch halt, der Weg führte weiter auf den Berg zu und dort war ein weiteres Tor zu erkennen, das deutlich prächtiger und schwerer aussah als das durch das die Gruppe gerade geschritten war. Ungefähr mit einem Radius von fünf Schritt war vor dem Tor eine Markierung aus Metall im Boden eingelassen. Borix drehte sich zu seinen Gästen um und begann zu erklären: “Der oberderische Teil von Ishna Mur ist sehr klein. Er dient hauptsächlich dazu, die Erzgeschäfte mit menschlichen Händler abzuwicklen. Dazu gibt es im Turm unten eine Schreibstube und darüber ein paar Kammern, falls ein Händler über Nacht bleiben muss.

Der kleine See hier und der große See wird von den Wetterpumpen gespeist, die das Wasser aus dem Berg pumpen. Das Wasser dient im Berg auch noch dazu die Räder für die Aufzüge und Pumpen anzutreiben, aber ansonsten stört es beim Abbau. Auf der anderen Seite sind die Ställe für die Ochsenkarren mit denen wir das Erz bis zum Großen Fluss bringen. Und die Rampen zum Beladen der Karren, sowie die Remisen, wo wir sie unterstellen können. Wir haben vier Karren, mit je vier Ochsen und zwei Angroschim als Fuhrknechte. Im Moment sind sie wohl gerade auf dem Rückweg von Verladeplatz am Großen Fluß und müssten wohl Übermorgen wieder eintreffen. Und dahinten geht es dann in die eigentliche Bergwacht.”

Nach diesen Worten sprach er Argmin direkt an. “Seht Ihr diese Markierung auf dem Boden? Normalerweise darf kein Mensch weiter als bis zu dieser Markierung. Da Ihr und Frau Marbolieb aber Gäste des Vogts seid, dürft ihr natürlich in den Berg. Allerdings müssen wir Euch für die ersten Schritt die Augen verbinden, denn die Verteidigungsanlagen sind geheim. Bei Frau Marbolieb ist das nicht nötig.”

Die Geweihte nickte leicht. Sie hätte kein Problem dadurch empfunden, wenn die Zwerge auf eine Augenbinde bestanden hätten, könnte sie sehen - doch da sie in Wehrtechniken keinesfalls bewandert war, hätte es ihr auch keinen Erkenntnisgewinn gebraucht, die zwergischen Konstruktionen hinter den Toren in Augenschein zu nehmen. So wartete sie ab, was sich ergeben würde - und hoffte, dass es bald voranginge.

Mit einem deutlichen Knurren meldete sich ihr Magen zu Wort und erklärte, dass schon geraume Zeit seit dem Frühstück vergangen war. “Hungrig?”, fragte Dwarosch halblaut. Auf das zögerliche Nickten der Geweihten lächelte der Oberst. “Geht mir ebenso, Räblein. Ich wette Borix lässt uns nicht mehr lange hungern.” Den letzten Satz hatte er etwas lauter gesprochen, so als wolle er, dass die anderen - speziell der Bergvogt ihn vernahmen.

Ein halblautes Brummeln aus Borix’ Richtung war ein klares Zeichen, dass dieser den Vorwurf vernommen hatte. “Selbstverständlich, Meister Borix”, Argmin nickte und kniete sich vor ihm nieder. Wieder einmal war er beeindruckt von der Baukunst der Angroschim. Die Wehrmauer und der Wehrturm waren instand gesetzt worden und boten bereits jetzt mehr Wehrstärke als die meisten Menschenstädte jemals haben würden. Und natürlich lag Ishna Mur unter der Oberfläche - das, was er hier oben gesehen hatte, war nur für die Menschen gedacht. Trotz all der Monate an der Seite der Angroschim geschah es ihm immer wieder, dass er die Zwerge versuchte in menschlichen Maßstäben zu sehen. Der junge Novize hatte bereits von dieser Warnung gehört, die Reisende, denen ihr Leben lieb war, davon abhielt, sich der Bergwacht zu nähern. Er hatte Geschichten gehört von Geistern und Fallen, die in alten Zwergenstollen dem Unvorsichtigen ein schnelles und schmerzhaftes Ende bereiten. Er war sich der Ehre bewusst, die Meister Borix ihm gewährte. Er sah zu Borindarax, Grimmgasch und Lagarosch hinüber, in deren Gesichter sich freudige Erwartung widerspiegeln zu schien. Dann fiel sein Blick zuletzt auf Marbolieb, bevor er die Augen schloß, als sich die Binde auf sein Gesicht legte. Es war ein gutes Gefühl die Angroschim und die Boroni in der Nähe zu wissen.

Borix ließ sich von einer der Wachen eine Augenbinde geben und verband dann dem Novizen die Augen. Anschließend meinte er: “Ihr braucht keine Angst zu haben, ich werde Euch führen. Solange Euch die Sicht genommen ist, werdet Ihr auch genügend Platz über Eurem Kopf finden, so dass Ihr Euch auch nicht stoßen werdet.” Zu dem Rest der Gruppe meinte er nur knapp: “Folgt mir bitte!”

So geleitete Borix die Besucher durch den breiten Gang, der in den dunklen Berg führte. Wenige Schritt hinter dem Tor zweigten mehrere Gänge und Durchgänge ab, die wohl zu den Verteidigungsanlagen der Binge führten. Der breite Weg gabelte sich dann. Die Schienen der Erzloren, die von den Rampen bei der Remise in den Berg führten bogen in den rechten Weg ab. Dort war auch aus der Tiefe das Rumpeln und Stampfen von schweren Pumpen oder anderen mechanischen Geräten zu hören. Borix führte Argmin und die Gruppe aber in den linken Gang, der nach kurzer Zeit sanft und schraubenförmig anstieg.

Gleich hinter dem Bergvogt schritt Borindarax den Weg in die Eingeweide von Ishna Mur. Neugierig blickte er sich ständig zu allein Seiten um, wobei er ununterbrochen in zwergischer Zunge unverständliche Dinge vor sich hin rezitierte. Ein Verhalten, was Boindil nur ein müdes Kopfschütteln abzuringen vermochte. Er kannte die Marotten des Vogtes inzwischen gut und teilte dessen Begeisterung zumindest nicht in dessen Maße. Dwarosch hingegen schien weiterhin gut gelaunt. Der Oberst durfte Marbolieb zwar nicht beschreiben was er sah, waren dies doch wohl gehütete Geheimnisse, doch immerhin konnte ihr erklären was sie hörte.

Als sie vor dem prächtigen Tor in den Berg standen, wurde Grimmgaschs Laune mit jedem Schritt besser. Er erkannte das Alter der Anlage und die von den Vorvätern so sorgfältig gegrabenen Stollen und Gänge, die mit steinernen Säulen und Rippengewölben gestützt waren. Die Säulen waren zum Teil mit Angram Runen bedeckt und mit Ornamenten verziert. Dadurch das er immer zu den Säulen ging und versuchte die Inschriften zu entziffern kam es, dass Grimmgasch immer weiter zurückfiel und plötzlich alleine auf der sich nach oben windenden Spirale stand.

Die Besucher kamen nachdem sie etliche Schritt Höhendifferenz auf der sanft geneigten Bahn überwunden hatten, in einem weiten Korridor an. Dort durfte sich auch Argmin wieder die Binde von den Augen nehmen.

Der Korridor war achteckig und wurde von einer Kuppel überwölbt. Sein Durchmesser lag bei etwas mehr als fünfundzwanzig Schritt (um genau zu sein, er maß 4 Drasch). Neben dem Ende der Spirale führten weitere sechs Gänge in diese Ebene und gegenüber dem Gang durch den sie den Korridor betreten hatten, begann eine weitere sich nach oben windende Spirale. Die Säulen, die diesem Durchgang stützten waren aufwändiger verziert als die übrigen und mit Blattgold und Edelsteinen geschmückt. In der Mitte des Korridors stand eine Angroschna, die kräftigen Hände in die Hüften gestützt und blickte der Gruppe erwartungsvoll entgegen. Links und rechts von ihr, aber ein wenig hinter ihr, standen zwei jüngere Angroschim. Obwohl sie sich in der Barttracht und der Statur ein wenig unterschieden, konnte man als Brüder identifizieren.

“Willkommen in Ishna Mur!” grüßte die Frau erst auf Rogolan, dann mit Rücksicht auf die beiden Menschen den Gruß auch noch auf Garethi wiederholten. “Hat Borix euch jeden Stein erklären wollen oder warum kommt ihr jetzt erst?”

“Darf ich euch meine Frau Murloschtaxa Tochter der Mokloscha und meine Söhne Bengurr und Baschtasch vorstellen”, warf Borix ein ohne auf die Anschuldigungen der Angroschna einzugehen. “Murla, das sind Vogt Borindarax, Ihre Gnaden Marbolieb, Herr Argmin und Dwarosch, Boindil, Lagorasch und Grimm…” Er hielt mitten in seiner Vorstellung inne, denn der Angroschpriester war nicht zu sehen.

“Verdammt, wo ist Grimmgasch? Bengurr, schau bitte nach wo er abgeblieben ist. Wir anderen werden uns in den Speisesaal begeben und schon mal mit dem Mittagessen anfangen.” Bengurr verschwand in den Spiralgang.

“Dann folgt mir!” forderte Murla die Gruppe auf und trat an Marbolieb heran. “Kann ich Euch führen, Euer Gnaden?” „Murloschtaxa, Tochter der Mokloscha, es ist mir eine Ehre Euch kennenzulernen und ich danke Euch im Namen Travias für Eure Gastfreundschaft. Die Herren Bengurr und Baschtasch, ich grüße Euch.“ Argmin neigte den Kopf zur Angroschna und nickte den beiden Angroschim zu. Die Halle von Ishna Mur sah prächtig aus und das Licht brach sich vielfach in den Edelsteinen und dem Blattgold der Verzierungen. Hatte Borindarax nicht gesagt, dass diese Zwergenfeste seit langer Zeit verlassen war? Man könnte meinen, dass selbst Satinavs Zähne Zwergenbauten nichts anzuhaben vermochten.

Die Boroni stutzte und wandte sich mit fragendem Gesichtsausdruck an den Oberst an ihrer Seite, der noch immer energisch, als ginge es über Stock und Stein, einen Arm um ihre Hüfte gelegt und sich ihren freien Arm über die Schultern geschlungen hatte. Auf lange Sicht hatte sich diese Art zu führen als die für beide angenehmste und sicherste herausgestellt. “Seid gegrüßt, edle Dame Murloschtaxa,” brachte sie schließlich verdattert heraus, ihre Finger in die muskulösen Schultern des Oberst gegraben und augenblicklich eindeutig überfordert mit der Situation.

“Nennt mich bloß nicht noch einmal Murloschtaxa!” kam die gespielt ärgerliche Antwort der Zwergin. “Ich bin Murla und dachte, dass Ihr nach der Reise allein als Frau unter diesen ruppigen Gesellen gern einmal wieder die Gesellschaft einer Frau sucht, wenn auch einer, die ein wenig kleiner ist als Ihr,” fügte Murla mit einem leisen Kichern hinzu.

"Ich glaube, werte Murla”, antwortete Dwarosch, der durch Marboliebs energischen Griff sich ihrer Unsicherheit bewusst wurde, “dass Marbolieb sich aufgrund ihrer Blindheit zunächst etwas einfinden finden muss in der neuen Umgebung. Die vielen neuen Eindrücke - Gerüche, vielmehr aber Geräusche irritieren sich noch. Gebt ihr etwas Zeit.”

Der Oberst senkte die Stimme und sprach im leisen Ton gegenüber Marbolieb, wobei er gleichzeitig Blickkontakt zur ‘Herrin des Hauses’ suchte, um ihr zu deuten, noch einen Moment zu warten. “Oder möchtest du mit Murla gehen, Räblein?”

Der Druck von Marboliebs Fingern in Dwaroschs Schultern verstärkte sich merklich. Sie wollte nicht. Absolut nicht, was der Oberst ganz deutlich daran ablesen konnte, wie sich all ihre Muskeln anspannten.

Doch Murloschtaxa war die Herrin des Hauses - und eine Ablehnung ihrer Einladung wäre zumindest ein grob unhöfliches Verhalten, wenn nicht gar ein Tritt mit Füßen gegen den Gastgeber, etwas, das ein Mensch in der Halle eines Zwergen tunlichst nicht ausführen sollte.

Ihre Schultern sackten unglücklich nach unten, als sie ebenso leise mit einem Seufzen antwortete: “Ablehnen wäre unhöflich.” Hoffnungsvoll bat sie: “Suchst du mich, wenn ich zu lange fortbleibe?” Dwarosch schüttelte energisch den Kopf. Marbolieb erkannte es an den ihr bekannten, leisen Geräuschen, die sein Bartschmuck erzeugte, wenn dessen Bestandteile aneinanderstießen.

“Marbolieb bleibt fürs Erste an meiner Seite”, sprach der Oberst mit verständnisvoller Stimme. Er hoffte, dass Murla die Gefühlsregungen der Frau an seiner Seite erkennen würde. Die Art und Weise, wie er den Satz formuliert hatte, verriet gleichzeitig aber, dass er keine Widerrede zulassen würde. Eine Blinde, die verunsichert, in Marboliebs Fall vielleicht sogar verängstigt war, in einer fremden Umgebung einem Fremden anzuvertrauen war ein Akt der Grausamkeit. Dwarosch mochte nicht immer der feinfühligste Angroscho zu sein, wenn man es gelinde ausdrücken wollte, ja, ab und an war er vielleicht auch ein Trampel - ganz sicher aber war er kein plumper Basaltblock.

Er hörte das leise, tiefe und durch und durch erleichterte Ausatmen der Frau an seiner Seite, und Marboliebs Hand lockerte sich um Dwaroschs Schulter. “Danke.” flüsterte sie leise.

Da die Antwort des Oberst eindeutig und klar formuliert war, trat die grauhaarige Angroschna ohne eine weiteres Wort an Borix heran und reichte ihm den Arm, so dass er seine Frau galant führen konnte. Borix bat die Besucher zu folgen, die Sehenden konnten erkennen, dass es sich dabei um den nach links führenden Ausgang handelte.

Nach wenige Schritte durch einen kurzen Korridor spürte Marbolieb wie das bedrückende Gefühl der Enge unter Tage nachließ und das weite Hallen ihrer Schritte zeigte ihr, dass sie eine sehr große Halle betreten hatten. Der Geruch von frischem, warmen Brot und knusprigem Braten zog durch diesen Raum, und der Duft von Sommerblumen. Den anderen bot sich ein überwältigender Anblick. Die Halle, die sie betraten maß gut und gerne mehr als einhundert Rechtschritt und die Decke ruhte in etlichen Schritt über ihnen nur auf sechs recht filigran aussehenden Säulen. Gegenüber dem Eingang war ein zweistufiger Podest auf dem in der Mitte ein reich verzierter, hoher, schwerer Eichenstuhl stand. Rechts daneben ein zweiter, kleiner und weniger verzierter. Weiter außen, aber noch auf dem Podest standen noch zwei einfache Stühle.

Über dem Podest war das Wappen Ishna Murs auf einem achteckigen Eisenschild an der Wand befestigt. An der Wand waren außerdem noch links und rechts vom Podest eine Tür.

Die anderen Wände waren mit Fellen, Waffen und Schilden behängt, so dass vom nackten Fels nicht mehr viel zu sehen war. In der Mitte der linken und rechten Wand befanden sich zwei große Kamine, in denen einige große Holzscheite für eine gemütlich, prasselnde Wärme in der Halle sorgten. Genau in der Mitte der Halle stand ein Esstisch, auf dem die duftenden Köstlichkeiten aufgetürmt waren. Es war für elf Personen gedeckt. Zwei Stühle standen an den kurzen Seiten, je vier an den langen Seiten. Der Tisch, war wie es Argmin auffiel, auf die normale Höhe für Menschen aufgebaut, deshalb waren auch zehn der Stühle etwas höher.

An dem Platz an den Murla Marbolieb geführt hatte, waren um den Teller und das Besteck ein paar geflochtene Girlanden aus frischen Sommerblumen drapiert. Borix bat seine Gäste an den Längsseiten Platz zu nehmen, Murla nahm an seiner rechten Seite an der einen Stirnseite Platz.

Als sich alle gesetzt hatten, fiel auf, dass Grimmgasch und Bengurr noch nicht da waren. “Nun”, begann Borix, “unser Herr Angroschpriester kann sich wohl nicht satt sehen, aber wir hingegen können uns satt essen. Also bitte, fang an, esst und trinkt!”

Die Borongeweihte schnupperte glücklich - die leckeren Düfte ließen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Das Brot duftete, als käme es gerade eben erst aus dem Ofen und versprach ein Fest für den Gaumen. Ihr Magen knurrte abermals vernehmlich und gab seine eigene Meinung zur bevorstehenden Mahlzeit kund. Sogar mit Blumen war der Tisch gedeckt - als befände sie sich an einer hochherrschaftlichen Tafel, wo solcherlei Schmuck gebräuchlich war. Aber schließlich war sie ja an der Tafel eines Edelmannes, immerhin entsprach der Bergvogt ja einem Edlen oder Junker der Menschen! Ihre Fingerspitzen, die vorsichtig und möglichst ohne Ungemach zu verursachen ihr Gedeck erkundeten, trafen auf zarte Blätter und Blüten, die sich als Girlande um ihren ganzen Platz rankten und für den schmeichelnden Blumenduft verantwortlich waren.

“Wie schön!” entfuhr es ihr, ehe sie beschämt ihre Lippen ob dieses unbeherrschten Ausbruchs zusammenpresste und den Kopf senkte. Sie wusste nun, wo Becher, Teller und Messer lagen und würde sie wiederfinden, und so faltete sie bescheiden ihre Hände auf ihren Schenkeln und wartete ab, bis die Tafel eröffnet und die Speisen gebracht wurden.

In diesem Moment kam der Gesuchte begleitet von Bengurr in den Raum gestürmt, verneigte sich vor dem Bergvogt und murmelte als Entschuldigung: “Das ist doch faszinierend! Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel zu entdecken gibt! Und das bereits auf dem Weg bis in Eure Halle. Die Inschriften sind so alt und kaum noch zu lesen. Ich bin so gespannt, was Ihr hier noch so alles habt.”

“Euer Gnaden, nun überstürzt nichts!” antwortet Borix mit breitem Grinsen. “Die Vorväter haben das alles vor vielen Jahrhunderten geschaffen, jetzt wird es auch noch bis nach dem Essen stehen bleiben. Bitte greift zu!” Wie um diese Aufforderung noch zu unterstützen kamen aus der rechten Tür neben dem Podest eine Angroschna und ein Angroscho, sie beladen mit frischem Gebäck, er mit Krügen voller schäumenden Biers.

“Muragosch, schenk dem Vogt ein!” rief Borix. “Ich kann seinen Durst ja schon sehen!”

Murla wandte sich zu Marbolieb und Argmin: “Bei den Speisen braucht ihr keine Angst zu haben, ich habe meine Köche angewiesen die Gewürze an den Gaumen der Großlinge anzupassen, vielleicht schmeckt es den anderen ein wenig fad, aber dafür gibt es ja Salzstreuer”, ergänzte sie mit wohlwollendem Schmunzeln.

Mit Blick auf Marbolieb frug sie dann noch: “Soll ich Euch etwas reichen?” “Was gibt es denn, edle Dame Murloschta … Murla?” fragte die Geweihte leise.

“Nichts Besonderes”, war die Antwort der Bergvogtin, “ich habe ein paar Rezepte aus Albenhus mitgebracht. Wir haben einen Bock geschlachtet, dazu Bohnen, Kraut und Brot - von dem Schwefelschwamm würde ich Euch abraten. Oder mögt Ihr lieber Fisch? Wir haben in dem See vor dem Berg jede Menge Forellen, heute haben wir eine gefangen und in Bier gedünstet und dazu etwas mit Käse überbackenes Gemüse? Wir haben auch ein paar süße Kuchen gebacken, mit Rosinen und Haselnüssen.”

Ein glückliches Strahlen breitete sich auf den Zügen der jungen Frau aus und ihr Blick wurde sehr nach innen gekehrt, als sie sich all die Leckereien vorstellte. Die Forelle war gewiss ein Gedicht - aber eine üble Geschichte mit den vielen Gräten, die sie notwendigerweise mit den Fingern ertasten musste - keine gute Aussicht und vor allem für die anderen keine gute Ansicht an einer herrschaftlichen Tafel.

“Darf ich etwas von dem Bock, dem Brot und dem Gemüse haben?” fragte sie verlegen. Viel zu viel Auswahl - sie hoffte nur, dass es tatsächlich Sitte war, dies alles zusammen zu speisen und sie sich nicht blamierte. “Wäre es möglich, mir das Fleisch zu schneiden?” setzte sie verschämt hinzu. Sie mochte diesen guten Leuten keinen unnötigen Aufwand verursachen, doch hinterließ sie, wie sie aus leidvoller Erfahrung wusste, ein Schlachtfeld, wenn sie dies selbst unterfing.

Nach all diesen Leckereien noch die Aussicht auf süße Kuchen war schon ein weiterer Schritt in Richtung Seligkeit. Der Oberst hatte sie vor kurzem freundschaftlich aufgezogen, dass in ihrer Familie sich gewiss ein Troll versteckt habe, so sehr, wie sie Süßes liebte. Doch die Schmalzkringel, Nusskuchen und Honigfladen, die Topaxandrina in Senalosch zu zaubern verstand, waren ein Gedicht, dem nichts gleichkam, was jemals zuvor den Weg auf ihren Teller gefunden hatte.

“Es ist gar nicht nötig, das Fleisch zu schneiden”, meinte Murla fröhlich. “Der Bock wird vor dem Schmoren schon in kleine Würfel geschnitten, so dass Ihr nur eine Gabel braucht.” Nach diesen erklärenden Worten stand sie auf, um den Teller der Geweihten mit den gewünschten Speisen zu füllen. Fast vergaß sie dabei, dass sie es hier ‘nur’ mit einem Menschen zu tun hatte und hätte den Teller beinahe mit einer Angroscho-Portion gefüllt.

Nachdem sie sorgfältig die Speisen auf dem Teller angerichtet hatte, stellte sie die metallene Platte mit dem Fleisch, das herrlich duftend in einer süffigen Soße schwamm, und dem Gemüse vor Marbolieb ab. “Das Brot lege ich Euch neben den Teller, sonst weicht es nur auf.” fügte sie hinzu als sie sich setzte. Für sich hatte sie ebenfalls eine Portion von dem Bockragout auf den Teller geschaufelt.

“Wohl bekomm’s, Euer Gnaden!” “Habt Dank, Euer Wohlgeboren.” freute sich die menschliche Geweihte und sog tief die Wohlgerüche ein, die von ihrem Teller aufstiegen. Ganz leise fügte sie hinzu. “Sagt, wer wird das Tischgebet sprechen?”

Als Marbolieb die Frage gestellt hatte, wäre Murla fast die Gabel aus der Hand gefallen. Sie hatten nur am Tag als das große Siegel am Tor zu Isnha Mur gebrochen worden war, einen Geweihten des Weltschöpfers in der Bergwacht gehabt. Danach hatten sie ohne einen geistigen Beistand vor Ort auskommen müssen, ein allgemeines und vor allem laut vorgetragenes Tisch- und Dankgebet war daher im letzten Jahr durch stille, persönliche Worte an Angrosch ersetzt worden.

Aber Murla war nicht mehr ein junges Ding, das bei der leichtesten Verwirrung rot wurde. Nein, sie war über die Jahre und dem Umgang mit den Angroschim so gefestigt, dass sie jetzt Borix, der sich gerade mit Argmin über die Reise unterhielt, unter dem Tisch gegen das Schienbein trat und als dieser zu ihr blickte, ihm lautlos die Worte “Tischgebet!” zu hauchte.

Nun war es an dem Bergvogt zu erschrecken, aber dieser hatte sich ebenso schnell gefasst wie seine Frau und fast beiläufig, nachdem er den Satz mit den Novizen Rondras beendet hatte, fragte er direkt an Grimmgasch gewandt: “Euer Gnaden, wollt Ihr den Segen Angroschs erbeten? Oder soll Ihre Gnaden Marbolieb dieses übernehmen?”

Grimmgasch hatte gerade dem neben ihm sitzenden Geoden seine Entdeckungen geschildert, er zuckte zusammen als Borix die Worte an ihn gerichtet hatte. “Wie bitte?” war die erste Reaktion. “Ah, den Segen Angroschs, ja. Wenn Ihr wollt. Oder wollt Ihr, Schwester Marbolieb?” Jetzt war es an der Borongeweihten, verwirrt den Kopf zu heben. Sie versuchte sich auszumalen, wie die Zwerge wohl auf eine Segensbitte an Mutter Travia reagieren würden - die, nach den Worten ihrer Geweihten in Calmir, ganz sicher nicht wohlwollend auf die Boroni blickte. Vielleicht würde ihr Versuch eines Speisesegens gar das Essen verderben. Und den Segen Angroschs vermochte nur Bruder Grimmgasch zu spenden.

“Bitte, Bruder Grimmgasch.” gab sie darum nur mit sanfter Stimme das Ansinnen zurück. Grimmgasch nickte der Geweihten freundlich zu - er vergaß immer wieder, dass die Augen, die ihn anblickten ihn nicht sehen konnten - dann sprach er: “Gut, dann werde ich es versuchen.” Er stand auf und hob die Arme segnend über die Speisen.

“Oh, Großer Vater, Schöpfer allen Seins, segne diese Speisen und lass uns alle an diesem Mahl teilhaben. Lass uns alle satt und gestärkt von dieser Tafel aufstehen. Guten Appetit!” Dann setzte er sich wieder hin.

Derweil bedienten der Diener und die Zofe die anderen Gäste und versorgten sie mit dem Gewünschten. Fast zeitgleich hoben die drei Angroschim, die Borixs Gäste waren, ihre Humpen.

“Auf Meister Borix und darauf, dass Angroschs Kinder diese altehrwürdigen Hallen endlich wieder in Besitz genommen haben”, sprach der Vogt andächtig. “Auf das die Minen der Wacht niemals versiegen mögen”, ergänzte der Oberst.

Alle, Boindil eingeschlossen, leerten den ersten Krug ohne ihn abzusetzen. Stolz waren sie in einer solch geschichtsträchtigen Halle, die über Jahrhunderte leer gestanden, versiegelt im inneren des Berges geschlummert hatte, speisen zu dürfen. Nun endlich, nach so vielen Generationen seit dem Untergang Isnaloschs und dem Auszug so vieler Clans aus dem Zentrum Isnatoschs kehrte der Stamm, der einst im Eisenwald begründet worden war, zu seinen Wurzeln zurück. Mit dem Wachstum Senaloschs, der letzten Festung, ihrer neuen Hauptstadt, wuchs auch dessen Peripherie, Ishna Mur war der beste Beweis dafür. Isnatosch strebte einer neuen Blüte entgegen und sie durften in dieser Zeit leben und Teil davon sein.

Borix hielt mit den drei Angroschim mit und auch er stellte nach einigen kräftigen Zügen den leeren Krug knallend auf den Tisch. Auf seinen Wink hin, füllte Muragosch die leeren Krüge umgehend wieder. Und nun war es an dem Bergvogt einen Toast auszusprechen: “Auf Väterchen Fargol und seine weisen Pläne! Auf Isnatosch!” Kurz angesetzt und kräftig geschluckt, schlug auch der zweite leere Humpen auf der Tischplatte auf.

Argmin hatte sich unterdessen von der Forelle und dem mit Käse überbackenen Gemüse geben lassen. Zwar hatten sie die letzten Tage gut gegessen, dafür hatten die Angroschim gesorgt und Boindils Kochkünste brauchten sich nicht zu verstecken, doch das hier war nochmal etwas anderes. Die Gerichte der Zwerge waren oft deftig und nicht jedes nach seinem Geschmack, doch der Duft, der sich von dem angerichteten Essen im Raum verteilte, war überaus köstlich und er merkte, wie hungrig er war.

Andächtig hatte er Grimmgasch‘ Worte gelauscht. Als dieser mit dem Tischgebet fertig war, murmelte Argmin leise: „Auch Dir, gütige Mutter, gilt unser Dank für Deine Milde.“ Und wünschte dann allen einen guten Appetit, als er sah, dass die Dame des Hauses nach Messer und Gabel griff.

Es schmeckte herrlich, die Forelle war genau richtig. Es erinnerte ihn an daheim. Er nahm einen Schluck aus dem ihn angereichten Krug, das Bier war kühl und malzig. „Ich danke Euch, Meister Borix, für Eure Gastfreundschaft und dieses wunderbare Mahl. Es ist mir eine Ehre, hier in Euren Hallen weilen zu dürfen.“, wandte er sich an den Gastgeber. „Wer immer dieses wunderbaren Essen zubereitet hat, es mundet hervorragend.“

“Dank meiner Murla”, meinte Borix fröhlich, “sie hat den Köchen die Rezepte beigebracht. Und sie ist keine nette Lehrmeisterin. Es hat einigen Böcke und Forellen das Leben gekostet bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war. Es freut mich - und Murla sicherlich auch - wenn wir damit Euren Geschmack getroffen haben!”

‚Diese Zwerge!‘, dachte Argmin amüsiert. ‚Bei uns würde kein Edelmann so über seine Gemahlin offen reden.‘ Ihm gefiel die offene und ehrliche Art der Angroschim. Manchmal etwas sehr direkt, aber so wusste man schnell, woran man bei seinem Gegenüber war. Er wartete einen Augenblick, bis der Blick der Angroschna wieder prüfend über den Tisch schwenkte, dann sprach er sie an: „Frau Murla, ich danke auch Euch für Eure Gastfreundschaft. Und für diesen Fisch. Er schmeckt hervorragend.“

“Das ist das mindeste was wir für unsere Gäste tun können”, war die zufriedene Antwort der Angroschna. “Fühlt Euch wie zuhause und genießt den Aufenthalt hier.” Dwarosch und Boindil luden sich gleich nachdem sie ihre Humpen abgesetzt hatten hungrig die Teller voll. Sie wählten ohne nachzudenken den Braten, wohingegen Borindarax, der die Küche der Gorschafortbrumborim kannte und schätzte, tatsächlich abenteuerlich beim Fisch zugriff, jedoch etwas zurückhaltender war, was die Fülle seines Tellers betraf.

Die Borongeweihte fügte auf den Segen Grimmgaschs ein weiteres, stilles Gebet an, ehe sie mit leuchtenden Augen nach dem Brot tastete und einen ersten Bissen des noch warmen, duftenden Gebäcks kostete und sich dann zuerst vorsichtig, dann rasch begeistert, dem Ragout widmete. Sie hatte inzwischen gelernt, dass es auch bei den verlockendst duftenden zwergischen Gerichten angebracht war, zuerst wenig zu probieren - längst nicht jedes Gewürz, das die Angroschim verwendeten, war auch einem Menschen zuträglich, und es hatte einiges an heftigem, aber letztlich harmlosen Bauchgrimmen erfordert, zu lernen, was ihr gut bekam - und was weniger. Recht ähnlich war es beim Bier - auch dort schienen die Erzzwerge über einige sehr spezielle Rezepte zu verfügen - einige süffig und süß und überaus lecker, einige andere mit dem Versprechen auf sehr langfristige und nicht unbedingt freundliche Erinnerung.

Verhalten tastete sie nach ihrem Becher und fand ihn leer - hatte nicht gerade eben jemand Bierhumpen gereicht? Doch auch das vorsichtige Tasten ihrer Finger zeigte keinen in unmittelbarer Nähe - und mit ausgestrecktem Arm über den Tisch zu suchen, wäre mehr als ungehörig gewesen - abgesehen davon, dass es üblicherweise auch viele Unbeteiligte in Mitleidenschaft zog.

Sie stellte den leeren Becher sorgsam wieder ab, suchte das Brot und genoss erneut das gut gewürzte Kraut und den kräftigen Sud, in dem die Bockstücke schwammen. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus und spiegelte sich als seliges Lächeln auf ihren ebenmäßigen, leicht gebräunten Zügen wieder. Ihre Augen strahlten, als das perfekt abgeschmeckte, butterweiche Ragout ihrem Gaumen schmeichelte und der langen Wanderung ein würdiges Ende bereitete. Die Gastfreundschaft Ishna Murs zeigte sich fürwahr auf seinen Tellern.

“Euer Gnaden Marbolieb”, wandte sich nur wieder Murla an die Geweihte nachdem der Krach der Trinksprüche und der Humpen auf der eichenen Tischplatte verklungen war. “Euer Becher ist leer, verzeiht, aber was möchtet Ihr trinken?” Solcherart aus ihren Gedanken gerissen konnte die Boroni gerade noch ein Zusammenzucken vermeiden. Wie hatte sie auch auch derart erlauben können, abzuschweifen?

Würde sie nun nach einem Wasser fragen, so wären vermutlich ihre freundlichen Gastgeber gekränkt, da sie damit ihr von allen Angroschim hoch geschätztes Bier missachtete. Die Frage nach einem Kräuteraufguss, den sie gewiss nicht am Tische hatten, würde wiederum vermeidbare Mühen für sie bedeuten. Dafür gab es aber ganz gewiss die eine oder andere Sache, auf die ihre Gastgeberin zu Recht stolz war und die sie gerne gewürdigt haben wollte.

“Was empfehlt Ihr, Euer Wohlgeboren?” fragte sie darum mit einem leisen, vorsichtigen Lächeln. “Oh nein!” antwortete die Angesprochene mit einem Lachen in der Stimme. “So geht das Spiel hier nicht. Ihr seid der Gast und ich muss es Euch bringen, das ist bei uns Angroschim nun mal so. Ich denke, dass Euch das Bier vielleicht nicht so schmecken wird, also sagt einfach, was Ihr wollt. Ich vermute, dass wir Eure Wünsche erfüllen können.” Murla kannte schließlich die großen Kammern, in denen all die Vorräte für die über einhundert Zwerge lagerte, die hier in der Binge lebten. Und da war sicher auch etwas für die Boroni dabei.

Marbolieb holte tief Luft und unterdrückte den Impuls, ihre Hände ineinanderzuschlingen. Sie ließ den Kopf um einen Fingerbreit sinken. “Ein Glas Wasser, bitte, Euer Wohlgeboren.” flüsterte sie erschrocken. Murla freute sich. “Das war einfach”, antwortete sie. “Wasser steht auf dem Tisch - ich mache mir nämlich auch nicht so viel aus dem bitteren Bier.”

Marbolieb bemerkte wie die Frau aufstand, um den Tisch herum ging und danach hörte sie wie ihr Becher sich plätschernd füllte. “So, sagt einfach, wenn Ihr mehr - oder etwas anderes - wollt.”

“Ich bin zufrieden.” Noch leiser war die Stimme der Geweihten geworden, und sie hielt eisern den Kopf gesenkt. “Herzlichen Dank, Euer Wohlgeboren.” Es war ihr äußerst peinlich, dass die Herrin des Hauses sie bediente wie eine Magd, und ihre Wangen wurden warm. Sie würde während des Mahles keinesfalls mehr nach etwas fragen - selbst wenn die Portion auf ihrem Teller nicht so überreichlich wäre, wie sie sich darstellte. “Ihr seid einfach zufrieden zu stellen”, meinte Murla, der Klang ihrer Stimme ließ vermuten, dass sie es nicht ganz ernst meinte. “Ich bitte Euch, solange Ihr hier auf Ishna Mur seid, lasst mich Eure Wünsche wissen, ich werde versuchen sie zu erfüllen.”

Die Borongeweihte nickte dankbar, sich insgeheim sehr bewusst, dass sie, wenn es sich irgend vermeiden ließe, ganz sicher keine “Wünsche” an die großzügige Murloschtaxa herantragen würde, die dieser über die Gastbeherbergung hinaus noch Mühe bereiten würden.

Der Vogt von Nilsitz wandte sich indes an den Gastgeber, als er ersten Durst und Hunger gestillt hatte. Sein Teller war zu jenem Zeitpunkt jedoch mitnichten bereits leer, doch trieb Borindarax erneut die Neugierde. “Wie viele Brüder und Schwestern haben sich inzwischen hier angesiedelt und zu welchen Clans gehören sie? Und wo wir dabei sind, wie viel Platz wäre im Notfall in Ishna Mur?”

Argmin horchte bei der Frage Borindarax auf. Der Vogt hatte ihn eingeladen, ihn und die anderen zu begleiten, ein gegebenes Versprechen einzulösen und die wieder eröffneten Hallen der legendären Zwergenstadt zu sehen, und mit Freude hatte er angenommen. ‚Notfall?‘ Gab es noch einen anderen Grund, warum Borindarax hier hergekommen war?

“Wir sind hier gerade einmal einer und zwölf mal acht Angroschim”, kam es in der verklausullierten Rechenmethode der Zwerge zurück. “Davon sind ein Dutzend Angroschax - Murla eingeschlossen. Sie kommen eigentlich aus verschiedenen Clans, ich habe sie nach ihren Fähigkeiten und nicht nach ihren Familien ausgewählt.” Dann überlegte er ein wenig länger.

“Wir haben bislang nur einen kleinen Teil der Stollen erschlossen, aber die Binge bietet noch viel, viel Platz. Wir können nachher vielleicht einen Blick auf die Pläne werfen, die Baschtasch im letzten Jahr neu erstellt hat.”

Bei dem Wort ‘Binge’ schlich sich ein Lächeln auf die Lippen von Argmin. Es erinnerte ihn an das erste Treffen mit Borindarax, Lagorasch, Grimmgasch und Deryala vor den Toren Calbrozims und das Gespräch mit dem dortigen Hauptmann am Tor. “Gut”, beschied der Vogt knapp, ließ sich dann aber doch zu einer Erklärung hinreißen, die auf den Grund seiner Frage schließen ließ. “Dwarosch und ich”, Borax nickte in Richtung des Oberst, “haben Evakuierungspläne für die menschliche Bevölkerung von Nilsitz erdacht. Es geht um Notfälle bei hohem Schneeaufkommen, sollten Höfe über lange Zeit von der Außenwelt abgeschnitten sein, ebenso wie Gefahren bei der Schneeschmelze. Die Gebirgsjäger der Eisenwalder werden in Zukunft auch dazu eingesetzt, die Menschen in Sicherheit zu bringen - unter Tage. In Senalosch werden sie in den Kasernen des Kortempels untergebracht.

Vielleicht”, Borindarax hob fragend die Augenbrauen, “könnten wir Ishna Mur auch in diese Pläne einbeziehen, für den Fall, dass Menschen in der Umgebung in Not geraten?” “Wie ich schon sagte, Platz hätten wir” war Borix’ Antwort. Dann machte er eine Pause bevor er fortfuhr. “Aber was ist mit der Sperrzone? Wollt ihr tatsächlich Menschen hier im Berg haben? Die sich noch frei bewegen können? Der Turm draußen war für die Großlinge gedacht, aber da passen vielleicht zwei Handvoll hinein. Was sagt denn Väterchen Fargol dazu? Er kann das Verbot aufheben, das sein Ahnherr ausgesprochen und mit dem Ring im Boden manifestiert hat.”

Der Urenkel des Rogmarog winkte bei all den Bedenken nur lächelnd ab. “Platz für zwei Dutzend ist wahrscheinlich vollkommen ausreichend. Es gibt hier in der Umgebung keine Dörfer, nur vereinzelte Höfe. Wenn du den Turm im Winter, im gegebenen Fall entsprechend zur Verfügung stellen kannst reicht das meiner Meinung nach aus. Wenn wir eine größere Bedrohungslage haben, werde ich meinen Urgroßvater darum bitten die Sperrzone zeitweilig aufzuheben, um Menschen zu retten.” Borindarax zuckte mit den Schultern. “Also, einverstanden? Dann werde ich Ishna Mur in unsere Notfallpläne aufnehmen.” “Wenn es euer Wunsch ist”, antwortete der Bergvogt, “dann werde ich den Turm vorhalten. Und wenn es nur um die paar Dörfler hier in der Gegend geht, dann wird er auch reichen.”

Borix wollte erst noch etwas sagen, aber da Argmin, Lagorasch und der Angroschgeweihte dabei war, schwieg er. Es wird sich noch die Gelegenheit ergeben den Vogt alleine zu sprechen und ihm dann seine Bedenken und das geplante Verteidigungskonzept nahe legen. Der Bergvogt indes schien zufrieden mit dem Ergebnis des Gesprächs und griff wieder zu Messer und Gabel, um sein Mahl wieder aufzunehmen.

Nach dem Mittagessen

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Nachdem ein Großteil der Speisen, die auf dem Tisch standen, verzehrt waren und auch die kleinen Süßigkeiten ihren Weg in den Magen genommen hatten, war es an Borix die Tafel aufzuheben.

So stand er denn von seinem Stuhl auf und meinte zu seinen Gästen: “Ich weiß nicht wie es euch geht, aber nach dem Essen sollte man ein wenig ruhen. Murla und ich werden euch jetzt zu euren Zimmern geleiten, so dass ihr euch alle ein wenig von der Reise frisch machen könnt und wer es möchte, kann sich auch ausruhen. Ihr solltet euch alle hier wie zuhause fühlen. Wir haben für jeden von euch einen Gästebereich vorbereitet, allerdings hatten wir das Problem für Meister Argmin ein passendes Bett zu finden, so dass uns nicht anderes übrig blieb in seinem Zimmer die Strohmatratzen auf dem Boden auszubreiten.” Borix blickte zu den Novizen: “Ich hoffe, dass es Euch nicht weiter stören wird?”

„Bitte nennt mich einfach ‚Argmin‘. Ich bin einfacher Page in der Kirche der Rondra. Ehre und Titel, wem Ehre und Titel gebührt. Und in keiner Weise stört mich eine Matratze auf dem Boden, Meister Borix. Selbst die einfachste Matratze zwergischer Herkunft ist bequemer als ein Lager im Schlafsaal von Hlûtharshall. Ich danke Euch für Ihre Mühen, die Ihr meinetwegen auf Euch nehmt.“

Sie gingen aus der großen Halle zurück in den achteckigen Korridor und von dort in einen der abgehende Gänge. Nach etlichen Schritt, die sie durch den gut beleuchteten Gang gingen, kam ein Bereich an dem rechts und links in gleichmäßigen Abständen Türen angeordnet waren. “Dies ist der Gästebereich” sagte Borix und deutete auf die ersten vier Türen auf der linken und die ersten drei auf der rechten Seite. “Diese Zimmer sind während Eures Aufenthaltes die Euren. Alle Zimmer in dem Gästebereich sind gleich, daher ist es - fast - egal welches ein jeder von Euch bezieht. Die einzige Ausnahme ist das erste Zimmer hier links, dort haben wir die Schlafstatt für Herr Argmin bereitet. Jedes der Zimmer verfügt über einen Wohn- und Schlafraum.

Wir lassen Euch dann alleine, wenn Ihr Euch frisch gemacht habt, findet Ihr uns hinter der letzten Tür links in diesem Gang, dort sind unsere Arbeitsräume.”

Während Borindarax und Boindil dem Bergvogt nur dankbar zunickten und sich ohne weitere Worte, müde und mit vollen Bäuchen, einem der ihnen zugewiesenen Zimmer zuwandten, stutzte der Oberst. “Mein Weib schläft bei mir”, sprach er etwas amüsiert, dennoch war es eine Klarstellung durch die Art, wie er es sagte. Dwarosch legte den breiten Arm um Marboliebs Hüfte und strebte dann gemeinsam mit ihr einer der weiteren Türen zu.

“Euer W… was?” entgeistert blickte der Angroschpriester den Oberst an. “Beim heiligen Väterchen, Ihr macht einen Scherz, oder?” Der Oberst indes lachte kurz aufgrund der bestürzten Miene des Klerikers. Dann jedoch riss er sich zusammen, dies war wahrlich kein Thema um zu scherzen.

“Mitnichten, Euer Gnaden”, Dwarosch wählte die förmliche Anrede, seine Stimme jedoch hatte einen zwar ernsten, aber keineswegs bissigen Ton. “Bei diesen Dingen mache ich keine Scherze. Marbolieb gehört zu mir.” Dwarosch seufzte, es war ein leidiges Thema. Er hatte es satt, sich zu rechtfertigen.

“Glaubt mir”, fuhr er dennoch unbeirrt fort, “wenn ich sage, dass es viele Brüder und Schwestern gibt, einschließlich meines eigenen Vaters, die den Zorn des Allvaters heraufbeschworen, ja mir sogar an den Hals gewünscht haben - nichts ist geschehen, gar nichts. Außerdem, sollte es euch beruhigen, ich habe eine bedeutende Pflicht schon erfüllt und einen prächtigen Knaben gezeugt. Alles andere geht niemanden außer Marbolieb und mich etwas an. Ich verrichte die Pflicht an unserem Volk auf meine Weise.”

Solcherart von dem älteren Angroscho zurechtgewiesen, zog Grimmgasch es im Moment lieber vor zu schweigen. Marbolieb war dem ganzen Schlagabtausch schweigend gefolgt, doch ein aufmerksamer Beobachter hätte bemerken können, dass sich ihre Finger so fest in den Oberarm Dwaroschs gruben, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie stand während des Streits stocksteif und ließ sich dann von dem Oberst bereitwillig von dannen führen.

Murla, die sich der Gruppe angeschlossen hatte und neben ihrem Mann ging, begann leise zu lächeln. ‘Sieh an, sieh an. So etwas habe ich mir ja schon gedacht, als Borix mir von der Jagd erzählte. Und die beiden waren vorhin ja auch nicht zu trennen. Ich bin auf die Geschichte gespannt.’

Borix nahm die Aussage seines alten Vorgesetzten gelassen hin, solche Dinge konnten ihn nicht so schrecken wie den armen Geweihten, dazu hatte er in seinem langen Leben zu viele Dinge gesehen. Er drehte sich um und pfiff laut durch die Finger. Kurz darauf erschien Muragosch, Borix’ Kammerdiener. “Räumt ein weiteres Bett in das Zimmer von Oberst Dwarosch”, war die pragmatische Anweisung. Muragosch verschwand mit einer knappen Verbeugung, nur um wenige Atemzüge später mit zwei weiteren Angroschim das Gewünschte auszuführen. Sie holten schnell aus einem der unvorbereiteten Räume ein Bett heraus und brachten dieses in das Zimmer von Marbolieb und Dwarosch.

Grimmgasch, immer noch rot vor Aufregung im Gesicht, sah dem Treiben der Diener stumm zu. Auch wenn ihr Gastgeber dieses so einfach und pragmatisch umsetzte, für ihn war dieses Paar nicht mit den göttlichen Gesetzen Angroschs vereinbar. Er suchte sich ein Zimmer aus, dass möglichst weit von den beiden entfernt lag und zog dorthin zurück, nicht ohne seinen Unmut durch eine laut zugeschlagene Tür kenntlich zu machen.

Der Vogt stieß hörbar die Luft aus, als die Tür ins Schloss donnerte und blickte zum Oberst. Die beiden Angroschim tauschten stumme Blicke aus, bis der Oberst schließlich mit den massigen Schultern zuckte und mit Marbolieb am Arm endgültig durch einen der Türrahmen verschwand.

Borindarax aber schien der Streit weit mehr zu beschäftigen als Dwarosch selbst, vielleicht lag es aber auch nur an der Sturheit des Oberst, oder schlicht an seinem ‘dicken Fell’, wer konnte das schon sagen? Boindil jedenfalls grinste nur schief als Borax ihn ernst ansah. “Dwalin hat seinem Sohn wiederholt gedroht ihn zu enterben aufgrund seiner Bindung zu Marbolieb, so erzählt man sich jedenfalls”, berichtete der Leibwächter des Vogts. “Aus Dwarosch selbst habe ich dazu nichts herausbekommen. Er lachte darüber nur und meinte mir gegenüber, dass seine Brüder Dwergar und Duwagar ohnehin seit jeher höher in der Gunst ihres Vaters stehen. Er habe mit dem Thema Erbe abgeschlossen, als er einst als Söldner die Hallen Isnatoschs verlassen hat. Das ist mehr als ein Jahrhundert her.”

Boindil wog den Kopf skeptisch hin und her bevor er fortfuhr. “Ich glaube aber, dass seine Mutter Calderaxscha da auch noch ein Wörtchen mitzureden hat. Sie scheint zu Dwarosch zu stehen.”

Borindarax nickte wissend. Ihm waren Dwaroschs familiären Umstände, seine Stellung im Clan, zu dem auch er selbst gehörte, bekannt, immerhin war der Oberst seit längerer Zeit nicht nur sein bester Freund, sondern sie wohnten auch zumeist unter einem Dach, wenn Dwarosch nicht in Ausübung seines Amtes in der Fremde weilte.

Stille kehrte ein. Da niemand mehr etwas beizutragen hatte, beschloss man in stiller Übereinkunft sich zur Ruhe zu begeben.

Der junge Novize war dem Streitgespräch mit großen Augen gefolgt. In seinem Kopf wirbelten Gedanken durcheinander und es fiel ihm schwer, auch nur einen davon klar zu fassen. Er schalt sich selbst einen Narren. Von den Elfen war es Argmin bekannt, dass sie Beziehungen zu den Menschen hielten und gar den Traviabund eingingen und dass daraus auch Kinder entsprangen. Dass auch Zwerge und Menschen derlei Verbindungen eingingen, hatte er zuvor nicht erfahren, doch die Schöpfung der Götter war wunderbar und Rahja und Travia teilten ihren Segen mit allen Völkern dieser Welt.

‚So war es immer gewesen und so soll es sein‘, dachte Argmin, und schluckte schwer, dann gab er sich innerlich einen Ruck. Er nickte den beiden Angroschim zu und ging hinüber zu seiner Kemenate. ‚Wie fremd unsere Völker sich sind und doch teilen wir so vieles.‘ Marbolieb und Dwarosch, Dwaroschs Familie, Grimmgaschs Unverständnis – er dachte an Zuhause und daran, was sein Vater Rumor sagen würde, wenn er eine Angroschna nach Hause bringen würde, um mit ihr den Traviabund einzugehen. Er war sich sicher, auf gleiches Unverständnis zu stoßen, wie es Oberst Dwarosch widerfahren war.

Die Zimmer, die die Gefährten nun betraten, waren genauso wie Borix angedeutet hatte. Als erstes gab es einen Raum in dem zwei Sessel, ein Tisch, ein kleines Regal und eine Kleidertruhe standen. Die Wände waren mit Fell behängt und an einer Wand brannte im Kamin ein wärmendes Feuerchen. Auf den Tischen standen etwas Tabak und ein neues Pfeifchen in einem hölzernen Ständer. Außerdem ein Krug mit frischem Quellwasser und ein Becher. Eine Tür führte in ein kleine Schlafzimmer in dem ein Bett - oder eine große Strohmatratze - standen, daneben war noch ein kleiner Waschtisch mit einem Bronzespiegel sowie einer Waschschüssel mit Seife und einem Wasserkrug.

Mittagsstunde

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Es wurde ruhig in den Gästeräumen - der arme Bruder Grimmgasch schien an seinem Ärger kräftig zu nagen. Vielleicht würde er später bereit sein, mit ihr zu reden. Allerspätestens morgen.

Dafür aber hatte der Oberst, der sich die ganze Reise über sehr zurückhaltend gezeigt hatte, ein klares Zeichen gesetzt. Nicht unzufrieden mit der Lage der Dinge fasste die Borongeweihte die Schulter des Zwergen fester, bis dieser sie auf eine Sitzgelegenheit verfrachtet hatte - eine Art Stuhl schien es zu sein, groß für einen Zwergen und etwas klein für einen Menschen. Sanft legte Marbolieb ihre Finger auf seine schwielige Hand, ehe er sie zurückziehen konnte. Gänzlich sicher, dass er das nicht justament vorgehabt hatte, war sie sich nicht.

“Dwarosch.” Sanft wie weicher Samt war ihre Stimme, und so leise, dass sie ganz sicher nicht aus dem Raum dränge. “Magst Du Dich setzen?”

Ein zustimmendes Grunzen erklang und Marbolieb wusste nur zu gut es zu deuten. Sie konnte den innere Aufruhr, die Anspannung, die der Vorfall mit Grimmgasch in Dwarosch hinterlassen hatte, fast körperlich spüren. Er nahm den Vorfall nicht so leicht hin, wie er es nach außen gezeigt haben mochte. Der Stuhl ächzte, als ihm das Gewicht des Oberst anvertraut wurde. Sodann atmete Dwarosch hörbar tief ein und aus, als versuche er, zur Ruhe zu kommen. Sanft strichen die warmen Finger der Frau über die raue, breite Hand des Kriegers. “Bruder Grimmgasch war erschreckt.” stellte sie fest. “Er hat Angst.” Bot sie dem Oberst, der auf seine Art ebenso aufgebracht war wie der Angroschgeweihte, an. Sie schob ihre schmale Hand unter die Pranke des Oberst, es ihm überlassend, ob er seine Hand zurückziehen, aufstehen - oder aber bleiben möge. Der Oberst schnaubte unwillig. “Ich weiß, dass ich ihn angefahren habe”, begann Dwarosch. “Aber Angst hat er ganz sicher nicht gehabt Räblein. Er war erschrocken von dem was ich gesagt habe, erbost, vielleicht - ja wahrscheinlich sogar zornig und das kann ich ihm nicht einmal verdenken. Aber er war nicht ängstlich.”

Dwarosch seufzte, mal wieder. Danach jedoch war seine Stimme milde, ja - vielleicht sogar ein wenig schuldbewusst, so dass Marbolieb unweigerlich schmunzeln musste. “Und du kannst dir deine Moralpredigt sparen. Ich weiß, dass ich zu ihm gehen muss. Aber”, der Oberst legte eine bedeutungsschwere Pause ein, “ich werde mich nicht entschuldigen. Ich werde lediglich versuchen ihm meinen Standpunkt näher zu bringen.”

Marbolieb schüttelte den Kopf. “Er war zornig, weil er damit seine Angst versteckt, Dwarosch. In seiner Welt ist kein Platz für uns. Wir passen nicht in die Überlieferungen. Wir sind neu. Und neue Dinge sind oft gefährlich, vor allem für eine Rasse, die so viele Zeiten überdauert hat.” Er hatte seine Hand liegen lassen. Ein ehrliches Lächeln wärmte die schönen Lippen der jungen Frau, als sie mit ihrer freien Hand über seinen Handrücken strich. “Zorn ist einfacher als Angst. Und der Priester des zwergischen Allvaters darf keine Angst haben.” Sie schwieg nachdenklich, ehe sie hinzusetzte. “Er muss stark sein für sein Volk. Und doch verspürt er sie - durch uns.”

Es dauerte bis Dwarosch darauf etwas erwidern konnte. Es schien Marbolieb, als habe sie ihm gehörig zu denken gegeben.

“Es erstaunt mich immer wieder”, begann der Oberst schließlich im Flüsterton, “wie gut du dich in andere hineinversetzen kannst. Und dann auch noch in solche Granitschädel wie mich.” Dwarosch lachte verhalten, dann nickte er zustimmend.

“Er sollte nicht Angst vor uns, sondern vor der Welt da draußen haben. Die wird seinen Glauben nicht nur in Frage stellen, sondern in ihren Grundfesten erschüttern - so war es jedenfalls bei mir.” Die Stimme des Oberst wurde lauter und auch energischer. “Ich bin nicht bereit eine engstirnige, erzkonservative Glaubensauslegung über meine Belange zu stellen Räblein. Das was zwischen uns ist, ist zwischen uns und geht weder ihn, noch einen anderen Priester etwas an.”

Abermals schüttelte die zierliche Geweihte ihren Kopf, sanft, aber entschieden. Ihre schmalen Hände waren warm auf der Pranke des wuchtigen Angroschos.

“Du lebst in deinem Volk, Dwarosch. Die Frage ist nicht, was Du bereit bist, zu tun - sondern, solange Du bei ihnen lebst, was sie bereit sind zu ertragen. Der Priester Angroschs ist ihre geistliche Richtschnur. Er sagt ihnen, was Brauch ist und Recht - und was falsch. Darum ist es wichtig, was er von uns denkt. Weil es die anderen ebenso tun werden. Sie sollen Dich in ihrer Mitte dulden - und das werden sie nur bis zu einer gewissen Schwelle tun.”

“Dessen bin ich mir bewusst”, gab der Oberst trotzig zur Antwort. “Dies wäre unter anderen Umständen wohl auch schon längst geschehen, das heißt, wenn ich keine namhaften Fürsprecher hätte und mir das Regiment nicht bedingungslos treu ergeben wäre.” Etwas weniger energisch fragte er dann: “ Was würdest du denn an meiner Stelle tun?”

“Das hängt davon ab, was Du wirklich willst, Dwarosch. Diese Frage musst Du zuerst beantworten - vor Dir selbst, ohne jemandem, auch nicht mir, darüber Rechenschaft abzulegen.” Das Lächeln war aus der Miene der jungen Geweihten verschwunden.

“Wenn Du beides versuchen magst zu haben, Dein Volk und mich, dann solltest Du Dich mit dem Geweihten gut stellen - nur mit seiner Duldung und der seiner Glaubensbrüder wirst Du die nächsten Dekaden so weiterleben können wie jetzt. Ansonsten könnte es, ginge dies so weiter, irgendwann einen sehr großen Zwist hervorrufen, der Dich vor die Entscheidung für oder gegen Dein Volk stellt.” Sie schwieg einige Augenblicke, ehe sie mit leiser Stimme hinzufügte. “Dies, mein Liebster, würde ich Dir nicht antun.”

Sie senkte den Blick auf ihre Hände, die noch immer die Pranke des Oberst entschlossen. Als sie ihn wieder hob, glitzerte ein verstecktes Lächeln in ihren Mundwinkeln. “Doch dazu wird es nicht kommen - sobald ich wieder in Calmir bin, bin ich verschwunden aus den Augen deines Volkes, und ihre Welt ist wieder, wie sie zu sein hat.”

“Nicht ganz. Mirlaxa bleibt bei mir, Räblein”, gab Dwarosch zu bedenken. “Schon das wird die Erzkonservativen stören, ihnen ein Dorn im Auge sein.

Ich rede mit Grimmgasch, so wie ich es ohnehin vorhatte, aber nicht jetzt - später. Er braucht vermutlich Zeit seine Gefühle in den Griff zu kriegen und ich muss mir überlegen, wie ich es angehe. Wir werden sehen ob und wie weit er für meine Argumentation zugänglich ist. Zur Not muss ich den Sohn des Rambax bitten ihm den Kopf zurechtzurücken. Ramox hat wie ich viele Jahrzehnte an der Oberfläche gelebt, war so etwas wie Angroschs Kriegshammer zur Zeiten der Wildermark. Er kämpfe dort gegen den Schänder der Elemente, vor allem in und um Wehrheim, oder besser dem was davon übrig geblieben ist. Er weiß, dass die Welt komplexer ist, als dass was uns die alten Schriften, auf die sich die Priesterschaft stets beruft, weismachen will.”

“Ein Ziehkind ist kein Weib.” wandte die Boroni nicht ganz unzutreffend ein.

Sie hätte den Kopf schütteln mögen ob der Sturheit des Oberst, der wirklich jedes Problem zuallererst durch die Verbindungen mit seinen Kämpfern zu lösen suchte. Andererseits kannte sie ihren ganz eigenen dickschädeligen Angroscho nun schon seit einigen Götterläufen und hatte gelernt, damit einigermaßen umzugehen.

“Sprich mit Grimmgasch. Ich werde es auch tun - später.” Ob der Herr Oberst so viele Erfolge gegen den ebenfalls stabilen Willen des Angroschpriesters erringen würde, mochte das erste Zusammentreffen zeigen - beides waren Angroschim, und Grimmgaschs Entschlossenheit wurde noch dadurch heftig gestärkt, dass seine Ansichten die dichte Wehrmauer darstellten, hinter der er seine Unerfahrenheit und die daraus resultierende Unsicherheit verbarg. Mit Wucht einen schmetternden Frontalangriff zu führen würde sie kaum brechen. Dahinter zu blicken und zu suchen, wo das grundlegende Problem war und welche Lösung der Geweihte vielleicht sähe - von einem Geweihten zur anderen - deuchte ihr erfolgversprechender.

“Versuche, nicht zu viele Trümmer zu hinterlassen.” bat sie, ein Schmunzeln in ihrer Stimme. “Ich weiß, dass Du recht hast - doch wenn Du Grimmgasch von den Erfahrungen eines langen Lebens erzählst, ist dies, wie einer Blinden Farben zu beschreiben.”

Das Lächeln erreichte ihre Augen. “Er muss es selbst erleben, um zu verstehen.”

Dwarosch lachte bitter auf. “Ich werde mit ihm keinen Disput in Glaubensfragen führen Räblein, den kann ich nur verlieren, denn aus seiner Sicht, aus Sicht der Überlieferungen und der Angroschkirche, hat er nun einmal ohne Zweifel recht.

Wenn, dann kann ich ihn nur packen, indem ich ihm versuche beizubringen, dass die Welt nicht so simpel ist, wie er es zum jetzigen Zeitpunkt glaubt. Welche anderen Argumente sollte es geben?”

Die Borongeweihte lächelte liebevoll. “Er muss sich selbst überzeugen, mein Liebster.” Sie hob eine Hand und strich vorsichtig über die Schläfen des Oberst. “Es wird sich alles weisen.”

Vorsichtig legte sie ihre Hand wieder dorthin zurück, von wo sie gekommen war.

“Doch das ist nicht alles, was dich bedrückt, nicht wahr? Du trägst die Reise über schon schwer. Was ist es?”

Dwarosch sackte ein Stückchen in sich zusammen bei diesen Worten. “Hmmm”, brummte er eine Zustimmung, dann seufzte er schwer. Zeit verstrich, doch Marbolieb wusste, dass sie ihm Zeit geben musste.

“Ich hadere mit deinem baldigen Abschied. Ich …”, setzte er an und stockte sogleich wieder, schüttelte den Kopf. “Die Gefühle; die ich verspüre sind … neu für mich. Es ist schwer; mit ihnen umzugehen, sie zu ertragen. Daran ändert auch mein hohes Alter nichts.”

Mitleidig strich die Borongeweihte abermals über die Wange des Oberst.

“Trauer ist der Preis der Liebe, Dwarosch.” Sie ließ einige Atemzüge verstreichen und der Ruhe Raum, die sie umfasste. “Und darum warst Du auf unserer Reise so sehr darauf bedacht, deinen Abstand zu wahren?”

Resigniert ließ Dwarosch den Kopf sinken. “Es tut mir leid. Ich … “, abermals suchte der Zwerg nach den passenden Worten. “Ich bin ein richtiger Trampel. Vielleicht,” so begann er nach einer kurzen Pause von Neuem ”ist dies meine Art damit umzugehen, Räblein. Bewusst jedenfalls versuche ich nicht Abstand zwischen uns zu bringen. Ich denke, das hat mein kleiner Ausbruch im Flur klargemacht.”

“Du bist ein sehr schlimmer Trampel.” stimmte Marbolieb zu. Ihre Augen leuchteten. “Und stur noch dazu, mein Herr Oberst.” Winzige Grübchen zeigten sich in ihren Wangen. “Du darfst mich trotzdem küssen.”

Erleichtert stieß Dwarosch die Luft aus und atmete einmal tief ein, bevor er Marbolieb auf die Beine und zu sich auf den Schoß zog. Sanft, fast schüchtern küsste der Oberst die zarten Lippen der Geweihten. “Soso, ein schlimmer Trampel also sogar?”, Selbstironie lag in der Stimme des Zwergen. “Na warte.” Sachte glitt Dwaroschs Hand von ihrer Hüfte ausgehend an ihrer Seite empor, nur um Marbolieb dann mit dem Zeigefinger dorthin unter die Achsel zu pieksen, wo Marbolieb empfindlich, kitzlig war. Als die Menschenfrau daraufhin unausweichlich zu glucksen ansetzte, griff die andere, freie Hand des Zwergen an ihren Hals und zog sie zu einem leidenschaftlichen Kuss zu sich herab.

So viel Feuer von ihrem so überaus bedächtigen Liebsten hätte die Geweihte nicht erwartet. Verdattert rang sie nach Luft und überließ sich glücklich dem unerwarteten Kuss. Mit aller Kraft presste sie beide Arme um den Nacken Dwaroschs und wünschte dabei, die könne die unerbittliche Fahrt von Satinavs Nachen ebenso festhalten wie ihren mitunter (schmerzlich oft) unbeholfenen, aber durch und durch ehrlichen und aufrechten Geliebten. Oh ja, Dwarosch war wahrlich kein Mann der vielen Worte, wenn es um seine Gefühle ging. Nein, er war eher ein Mann der Tat und das stellte er Marbolieb einmal mehr unter Beweis.

Eindrücke und Erkundungen

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Am späten Nachmittag kam der Oberst in den Wohnbereich des Bergvogtes von Ishna Mur. Dwarosch hatte sich etwas bequemes angezogen und bat Borix im Folgenden ihm die Wehranlagen der Wacht und die entsprechenden Baupläne zu zeigen, aus denen hervorging, wie der Sohn des Barax sich die Instandsetzung der teilweise baufälligen Anlagen vorstellte.

Dwarosch hatte sich wohlweislich bereits eine Pfeife angesteckt und sah dem Rundgang mit Freude entgegen. Derartige Begutachtungen gehörten zu seinem üblichen Tagwerk und der Oberst liebte dieses, sein Handwerk. “Es freut mich Dir alles zeigen zu können”, war Borix’ freudige Begrüßung des alten Freundes. “Du hast den armen Priester aber ganz schön einen Schrecken eingejagt.”

Dann winkte er, dass er sich in einen der Sessel in dem geräumigen Arbeitszimmer der Bergvogts niederlassen sollte. “Ich weiß”, brummelte der Oberst im näherkommen. “Ich weiß, dass Grimmgasch es nicht bös gemeint hat. Er ist am Ende ja auch keine Ausnahme. Die erdrückende Mehrheit unser Brüder und Schwestern ist gegen diese Bindung.” Er setzte sich. “Ich werde mit ihm reden, allein und versuchen ihm meinen Standpunkt näherzubringen.”

Der Bergvogt nickte und kam sodann zum eigentlichen Thema. “Hier ist alles ein paar Nummern größer als ich es brauche”, meinte Borix, “diese Binge hat einst sehr viel mehr Angroschim eine Heimstatt gegeben als wir es jetzt sind. Baschtasch hat schon einiges an Gängen und Stollen entdeckt. Aber bevor ich Dir etwas aus zweiter Hand erzähle, rufen wir ihn doch hinzu. Er hat schließlich die Pläne gezeichnet und kennt auch die Bereiche, die noch nicht dort verzeichnet sind am Besten.”

Der Oberst zog einmal an seiner Pfeife. “Gute Idee”, befand er. “Ich bin gespannt darauf seine Pläne zu sehen und die Gedankengänge zu erfahren, die sich hinter dem Konzept des Wiederaufbaus verbergen.

“Warte kurz, ich hole ihn”, meinte Borix und verschwand durch eine der Türen in den Nachbarraum und kam kurz darauf mit Baschtasch, die etliche Pergamentrollen unter dem Arm trug, zurück.

“Es ist besser, wenn wir sie hier ansehen”, meinte Baschtasch und breitete sie eine nach der anderen an einem großen Schreibtisch aus. “Was interessiert Euch am meisten, Meister Dwarosch?” “Ich wette”, so begann Dwarosch, “du hast als erstes eine Art Istaufnahme gemacht, als ihr hier angekommen seid. Ich meine, du hast sicher zeichnerisch aufgenommen, was du vorgefunden hast. Diesen Plan oder Pläne würde ich gern neben den legen, der darstellt, was du dir für den Zeitpunkt vorstellst, da alles fertig ist.”

Der Oberst sah in Borixs Augen, dann in die seines Sohnes. “Und dann hoffe ich kann ich euch ein paar Verbesserungsvorschläge zur Umsetzung machen.” Baschtasch grinste breit, natürlich hatte er die Pläne gleich nach ihrer Ankunft begonnen und den Fortschritt des ersten Jahres hatte er verzeichnet. Also deutete er auf die entsprechenden Pläne und begann mit der Erklärung: “Als wir ankamen war die Außenmauer in einem jämmerlich Zustand, auf der rechten Seite vom Tor war sie fast vollständig eingestürzt und das Tor selbst in einem jämmerlichen Zustand, der Turm war noch in gutem Zustand. Der Stall und die Remise, naja.”

Borix strahlte während sein Sohn alles erklärte über alle Backen. Baschtasch fuhr fort: “In diesem einen Jahr haben wir alle Außenanlagen auf Vordermann gebracht, die Mauer verstärkt und neben dem Tor die Plattformen vergrößert. Das ist alles, was die Großlinge zu sehen bekommen.”

Er rollte den Plan der Außenanlagen ein und holte die Pläne der Ebenen im Berg hervor. “Im Berg sieht es jetzt schon viel besser aus. Hinter dem großen Tor befindet sich das Arsenal mit den Waffen für alle Angroschim. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Wachstube. Vater erwähnte glaube ich, dass wir hier acht Wachen haben. Wir haben bei der Zusammensetzung der Leute sehr viel auf die heiligen Zahlen geachtet, wir ich Euch später noch erläutern kann.” Hier schaute er zum Oberst, ob ihn das auch interessierte und wandte sich dann wieder den Verteidigungsanlagen zu.

“Direkt hinter dem großen Tor sind auf jeder Seite Wendeltreppen, die hier auf diese Ebene führen - Ihr konntet die beiden Gänge sicherlich sehen. Und sie münden in einem Laufgang, der im Berg das Tal umläuft. Auf jeder Seite bis zur Mauer befinden sich drei Geschütze, so dass wir von hier aus jeden Punkt der Außenanlage unter Beschuss nehmen können. Des weiteren gibt es auf diesem Gang in regelmäßigen Abständen Schießscharten für die Armbruster. Der Turm hat eine eiserne Tür und dahinter ein Fallgitter, so dass er autark verteidigt werden kann. Zudem gibt es einen geheimen Fluchtweg in den Laufgang beim letzten Geschütz auf dieser Seite.” Zufrieden mit der Aufzählung schaute er den Oberst an.

Dieser beugte sich nun tief über die Pläne, während er seine Pfeife mit den Lippen in einen der Mundwinkel bugsierte. Dwarosch nahm einen kleinen Maßstab, den Baschtasch mit auf dem Tisch ausgebreitet hatte und begann nun akribisch sich die Zeichnung vorzunehmen, während er fortwährend Zahlen murmelte und hin und wieder gedankenverloren nickte.

Irgendwann dann, es war sicher ein ganzes Stundenglas vergangen, legte er beide Hände flach auf den Tisch und wuchtete seinen wuchtigen Oberkörper hoch, um Vater und Sohn in die Augen zu sehen. “Gute Arbeit”, kommentierte der Oberst. “Ein, zwei Dinge sind mir aber aufgefallen, die ich mir einmal in der Umsetzung ansehen möchte. Lasst uns einen Rundgang machen.”

Borix hatte das Lob erwartet und selbstverständlich die Einschränkung, schließlich kannte der Dwarosch und seine Art schon lange genug. Er begann zu schmunzeln und dann meinte er zu Baschtasch: “Jetzt!” Dieser nickte und legte ein neues Pergament auf den Tisch.

“Wir haben hier noch eine Notfallplanung eingebaut”, begann er mit der Erläuterung. “Als Ihr vorhin von der Einquartierung spracht, konntet Ihr noch nicht wissen, dass wir für Angreifer eine ganz besondere Überraschung haben.” Er wies auf einige der Skizzen und fuhr dann fort: “Mit diesen Klappen können wir das Abflussloch des Bachs in der Mauer verschließen und hiermit den Zufluss erhöhen - das meiste Wasser wird nämlich für die Antriebe der Künste in der Mine gebraucht.” Er blickte wieder zu Borix, der ihn aufforderte weiter zu machen.

“Dann - nach den Berechnungen, die wir angestellt haben - steht nach gut zwei Stunden die ganze Außenanlage zwölf Drumodim unter Wasser.” “Na was sagst Du dazu?” war die neugierige Frage an den Oberst. In ihr klang sehr viel Stolz auf die Erfindungsgabe seines Jüngsten mit. Die Antwort Dwaroschs war zunächst nur ein genüssliches Schmatzen, was die Pfeife in seinem Mundwinkel tanzen ließ. “Interessant!”, kommentierte er dann, nachdem er den neuen Plan studiert hatte mit einem wölfischen Grinsen. “Das ist fast so unangenehm, wie die Möglichkeit die Zwinger Isnatoschs hinter dem Widdertor aus den Regenauffangbecken zu fluten, beziehungsweise die Angreifer über den abfallenden Tunnel einfach … hinauszuspülen.” Wiederholt nickte der Oberst zufrieden, dann klatschte er in die Hände. “Ich will es sehen!”, forderte er abermals.

“Gerne”, antwortete Borix nun lachend und zeigte zusammen mit Baschtasch Dwarosch wie sich die Pläne in der Realität anfühlten.

Rundgang

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Als die drei Angroschim fast drei Stundengläser später wieder zum Wohntrakt zurückkamen, wartete Borindarax bereits auf den Bergvogt. Auch er war neugierig darauf, die Wacht zu begutachten. Der Oberst hatte während der Besichtigung der Wehranlagen lediglich einige praktische Hinweise gegeben, wie zum Beispiel die Möglichkeit weitere Stützmauern anzubringen und vorgeschlagen die Winkelmaße der Schießscharten mit Vermessungswerkzeug, wie er es von der Anfertigung einer militärischen Karte des Isenhag her kannte, einzusetzen. Dwarosch versprach ein paar Gebirgsjäger, die im Umgang mit den Gerätschaften geschult waren, nach Ishna Mur zu schicken, sobald sie zurück wären.

Besonders angetan war der Oberst tatsächlich von der Nutzung des Wassers als Schutz gewesen. Dies sei so seine Meinung ein kleiner Geniestreich, solle aber einmal praktisch erprobt werden, um den Zeitraum bis zur vollständigen Flutung zu messen und um auszuschließen, dass sich das tückischte aller Elemente ‘einen eigenen Weg’ in die Tiefe suchte.

“Zeigst du mir nun die Minen?”, fragte der Vogt von Nilsitz, als die Männer in Reichweite kamen. “Natürlich!” freute sich der Bergvogt seinem Lehnsherrn, die für den Rogmarog wichtigsten Teile der Anlage zu zeigen. “Kommst Du auch mit?” wollte er noch von Dwarosch wissen. Dieser nickte bestätigend.

Dann sagte Borix zu Borindarax. “Hier in dieser Ebene sind eigentlich nur die Wohnhallen, vom großen Korridor geht es in die Halle des Bergvogts, in die Gästebereiche, zur Mauer in die Schreibstuben und Archive und natürlich in die Wohnstollen. Daher müssen wir jetzt wieder nach unten auf die Eingangsebene.”

Er ging vor seinen Gästen die lange gewunden Rampe hinunter, bis sie wieder im Gang zum großen Tor kamen, dort bog er in die andere Abzweigung an und nach etlichen Schritten hörten sie wie das Stampfen und Rollen der Rädern und Hämmer immer lauter wurde. “Wir haben die Förderung des Erzes erst vor einigen Monaten aufgenommen bis dahin hatten wir mit dem Erschließen und Sichern der alten Anlagen genug zu tun.” Er wandte sich direkt an den Vogt: “Wenn du die genauen Abrechnungen sehen willst, dann musst du dich nachher mit Bengurr die Zahlen durchgehen, jetzt zeige ich Dir erst einmal alles.” “Gern”, bestätigte daraufhin Borax knapp.

So kamen sie dann als erstes in eine Halle, in der die Loren mit dem geschiedenen Erz beladen wurden und dann in Richtung Großes Tor abgingen. Dort waren schwere durch Kunsträder angetriebene Hämmer dabei die Erzbrocken zu verkleinern. Zwischen den Loren und den Hämmern schleppten gut ein Dutzend Angroschim die Gesteinsbrocken hin und her, während andere die Loren in alle Richtungen hin und her fuhren. “Hier wird mit der Kraft des Wassers geschieden”, erklärte der Bergvogt. “Über Einlassstollen leiten wir das Wasser auf die Räder, die hier die Hämmer antreiben. Das geförderte Erz wird vom tauben Gestein geschieden, gepocht und - im Moment nur - zum Großen Fluss gebracht. Das taube Gestein wird wieder eingefahren und in die abgetäuften Stollen verbracht.”

Borix deutete in die Richtung eines Schienenstrangs, der nicht befahren wurde. “Dort hinten stehen die Erzschmelzen,” begann er, um dann mit Bedauern fortzufahren. “Aber um diese in Betrieb zu nehmen, brauchen wir zum einen die Erlaubnis des Rogmarog und auch die Leute, die mit dieser Technik umgehen können.” Der Urenkel des Rogmarog nickte. “Wenn die Tunnel nach Senalosch erst einmal gesichert sind und es eine schriftlich fixierte Menge Eisen gibt, die ins Herz von Isnatosch fließt, wird mein Urgroßvater auch diesem Unterfangen seine Zustimmung geben. Ich selbst habe genug fähige Männer und Frauen in meinen Gießereien, die Handwerker hier anlernen können.” Borindarax nickte. “Auch darüber können wir beizeiten sprechen.”

“Er würde sicherlich weniger Erz nach Senalosch kommen, aber dafür mehr reines Eisen und Stahl.” bestätigte Borix. “Und die Zahlen sehen wir später.” “Aber lasst uns in die Schächte fahren”, meinte er zu seinen Gästen. “Wollt ihr mit den Loren im Förderkorb fahren oder lieber auf der Fahrkunst?”

Dabei deutete er auf zwei gegeneinander sich auf und ab bewegende Baumstämme, an denen Griffe und Plattformen zum Aufsteigen angebracht waren. Baschtasch sprang behende auf eine der Plattformen als diese die höchste Position erreicht hatte, sank mit ihr einige Schritte hinab und sprang als sie auf dem niedrigsten Punkt ihrer Reise angelangt war mit einem großen Schritt auf die benachbarte Plattform, die gerade den höchsten Punkt erreicht hatte. Und schon war er aus dem Blickfeld verschwunden.

“Es geht rasch”, meinte Borix grinsend und sowohl Borindarax, wie auch Dwarosch erwiderten den heiteren Ausdruck, kannten sie doch diese Art der Fortbewegung schon seit frühester Jugend aus den Minen von Isnatosch, wo inzwischen sogar teilweise Abwärme der Hochöfen genutzt wurde, um mittels Wasserdampf Bewegungsenergie zu erzeugen. Dies jedoch war ein wohlgehütetes Geheimnis der Groscharoroximangrasch von Isnatosch. Gemeinsam wählte man die Fahrkunst, um weiter in die Tiefe zu gelangen. Gut fünfzig Schritt tiefer erreichten sie die erste Sohle. Hier wartete Baschtasch auf die Gäste.

“Auf dieser Sohle gibt es kein Erz mehr.” begann er. “Alles Fundstätten sind ausgebeutet. Deshalb nutzten wir diese Sohle für den Anbau von Pilzen und Verfüllen einen Teil der toten Stollen wieder mit dem tauben Gestein.” Er wies auf die Ver- und Umladeeinrichtungen hin, die hier einen großen Teil der Halle ausnahmen.

“Die Anlagen dienten dazu das Erz - oder das Eisen - in die Lorenbahnen nach Senalosch und zur Via Ferra zu verladen. Die Anlage haben wir bereits wieder instandgesetzt und sie ist einsatzbereit.” Dann blickte er den Vogt an. Dieser Nickte und machte einen zufriedenen Gesichtsausdruck.

“Allerdings haben wir die Strecke nach Senalosch noch nicht über die gesamte Länge sichern können”, schränkte Borix ein. “Er ist zwar Botenläufern schon möglich die Strecke zu passieren, aber für die schweren Bahnen ist es noch zu gefährlich. Aber wir arbeiten daran.” “Das würde uns viel Arbeit ersparen alles zum Großen Fluß zu karren”, ergänzte sein Vater.

“Und es gibt noch einen weiteren Transporttunnel. Der aber in einem noch schlechteren Zustand ist. Wir vermuten, dass er irgendwo an der Via Ferra mündet. Es wäre sicherlich auch eine gute Idee diesen wieder in Betrieb zu nehmen.” “Aber dort regieren keine Angroschim, sondern Großlinge”, wandte Borix ein. “Und ich habe noch keinen Kontakt zu Baron Rabenstein aufgenommen.” Dwarosch verzog das Gesicht. “Kein sehr gesprächiger und auch wenig zugänglicher Zeitgenosse, wenn du mich fragst”, kommentiert der Oberst. Der Vogt von Nilsitz jedoch hatte ein anderes Anliegen und kam auf das zuvor gehörte zurück. “Wenn ihr Hilfe benötigt bei dem Tunnel nach Senalosch, dann trage ich gern ein Hilfeersuchen an meinen Großvater heran. Es ist auch in seinem Interesse, dass es voran geht.”

Ohne in diesem Moment eine Antwort einzufordern wechselte Borax das Thema. “Hältst du es nicht für wahrscheinlicher, dass der andere Tunnel nach Makamesch beziehungsweise zu einem der Verbindungstunnel dorthin führt?”

Baschtasch schüttelte den Kopf. “Der Tunnel führt anscheinend direkt nach Süden. Nach Makamesch müsste er weiter nach Osten abgehen. Aber es gibt noch drei Sohlen, vielleicht gibt es von dort einen Tunnel, den wir noch nicht entdeckt haben. Aber wollen wir uns die Sohlen nicht ansehen?”

“Aber natürlich, ich bin noch lange nicht müde”, entgegnete Borindarax und wies in die entsprechende Richtung. “Nach euch.” So gelangen sie über die Fahrkunst auf die nächste Sohle. “Hier sind nur tote Stollen”, meinte Baschtasch. “Aber da die Stollen als tot von den Vorvätern gekennzeichnet waren, haben wir auch noch nicht so viel Zeit in die Suche nach einem möglichen weiteren Lorentunnel gemacht. Die Schienen gehen zumindest in alle Richtungen.” Er deutete auf die verschiedenen Gleise, die sich von dem Förderkorb vereinten.

“Dann bitte weiter!” forderte er dann die Gäste auf. Wieder gut fünfzig Schritt tiefer kamen sie auf die dritte Sohle des Bergwerks. Hier hörten sie schon aus der Ferne das Hämmern der Bergleute und das Quietschen der Loren auf den Schienen. “Diese Sohle ist unsere Abbausohle.” stellte Baschtasch vor. “Wir beuten hier das Erz an vier Förderstellen aus. Und bringen es ganz nach oben.” Dann deutete er in den Schacht. “Eine Sohle gibt es noch die unsere Vorväter erschlossen haben. Aber um auch doch gleichzeitig Erz abzubauen fehlen uns die Leute.” Fragend blickte er den Vogt an.

“Wenn Ihr da runter wollt, dann müssen wir uns mit Licht und Helmen ausrüsten.” Der Angesprochene zuckte mit den Achseln und sah fragend zum Oberst. Dwarosch schien zunächst ebenfalls unschlüssig, sagte dann aber nach kurzer Zeit schmunzelnd: “Wenn wir schon einmal da sind, warum nicht?” Borindarax nickte daraufhin und so war es beschlossen. Also legte die Gruppe die notwendige Ausrüstung an und steckten sich die Blendlaternen an den Gürtel. Dann ging es wie bisher über die Fahrkunst abwärts.

“Hier sind wir jetzt gut zweihundert Schritt unter dem Großen Tor,” erklärte Baschtasch und deutete in den Schacht. “Hier endet dann auch die Fahrkunst und der Förderschacht.” Dann leuchtete er in der Halle herum.

“Wie ihr seht, wurden hier auch keine Schienen mehr verlegt. Das heißt auch die Väterchen waren mit den Sohlen über uns und deren Erträgen durchaus zufrieden. Einige Stollen dienen der Entwässerung. Aber wie ich sagte, wir waren hier noch nicht weiter als ein paar Dumad in die Gänge hinein gegangen. Die meisten gehen auch nicht mehr so weit, die Stützen sind vielfach gebrochen und die Gänge verschüttet. Das hier alles zu kartographieren wird mich sicherlich noch einige Jahre beschäftigen, zumal es für die Binge auch wichtiger ist, die ertragreichen Sohlen zu erkunden.”

Während der Vogt von Nilsitz noch angestrengt in das weite Dunkel vor ihnen starrte und ein sehr angestrengt nachdenkliches Gesicht zur Schau stellte, war der Oberst mit seinem Einwurf schnell bei der Hand.

“Ihr solltet schnell herausfinden, ob das alles ‘tote Enden’ sind, oder ob einige der Tunnel weiter in den Berg hinein reichen. Du weißt”, sprach Dwarosch in die Richtung des Bergvogts, “dass es hier unten vielerlei Viecher gibt, denen man nicht unbewaffnet begegnen möchte. Mehr noch aber will man ganz sicher nicht, dass sie einem von hinten anfallen, während wann seiner Arbeit nachgeht.” Angewidert schüttelte der Oberst den Kopf und spie aus. “Du kannst dir kaum vorstellen, was wir alles auf dem langen Weg nach Tolshidur entdeckt haben - von Höhlenspinnen und Riesenasseln einmal abgesehen.”

“Aus diesem Grund sind wir hier auch noch nicht weiter vorgedrungen”, meinte Borix. “Ich habe nicht genug kampffähige Leute für eine gründliche Erkundung. Deshalb möchte ich ja mehr Angroschim nach Ishna Mur locken. Und das geht meiner Meinung nur, wenn wir die Schmelzöfen und die Schmieden wieder in Betrieb nehmen.” Dann machte er eine Pause bevor er leicht verlegen fortfuhr.

“Nur dazu müssten wir investieren. Aber soviel hat die Binge bisher für mich nicht abgeworfen. Könntest Du das Väterchen bitten uns die Abgaben für ein Jahr zu stunden oder uns einen Kredit zu gewähren?” Der Urenkel des Rogmarog wollte gerade etwas erwidern, als ihm der Oberst erneut zuvor kam. “Das wird nicht nötig sein Borix. Das Väterchen hat mir die Erlaubnis gegeben mit ‘Ingerimms Hammer’ auch in Isnatosch zu operieren. Das Reich ist viel zu groß für seine Tunneljäger, das heißt um es nur mit seinen Soldaten von all dem Unrat und Ungeziefer zu befreien. Normalerweise hatte ich diese Art Manöver erst für den Winter vorgesehen, hier mach ich aber gern eine Ausnahme.

Im kommenden Rondramond steht ein kleines Manöver in Nilsitz an. Danach schick ich dir eines der Albenhuser Banner. Die können ihre Ärsche auch ruhig mal durch die Tunnel quetschen. Die sitzen sie sich sonst in den Kasernen eh nur platt.” Dwarosch grinste, Borax jedoch hatte dazu auch noch etwas zu sagen. “Trotz dieser Tatsache”, der Vogt warf dem Oberst einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu, “werde ich meinen Großvater bitten deinem Ersuchen nachzukommen Borix.”

“Das wäre gut”, freute sich der Bergvogt, “und wenn wir den Ertrag der Binge steigern können, dann soll es ja auch nicht der Schaden des Rogmarog sein und seine Schatullen auch füllen.” Ein Feststellung, die der Vogt mit einem zustimmenden Nicken quittierte. Baschtasch blickte jetzt die Gäste an und fragte: “Wollen wir wieder nach oben fahren oder habt ihr noch ein besonderes Interesse?” Eine Frage die sowohl der Vogt, wie auch der Oberst mit einem Kopfschütteln beantworteten. Alsdann machte man sich wieder an den Aufstieg. Der Aufstieg in der Fahrkunst gestaltete sich in umgekehrter Reihenfolge wie der Abstieg: wenn eine Seite ihren tiefsten Punkt erreicht hatte, aufspringen, am höchsten Punkt wechseln und so weiter. Nach einigen Minuten war dann die Gruppe wieder in der Ebene des großen Tores und machte sich auf den Rückmarsch in die große Halle des Bergvogts.

“Und entsprach es Deinen Erwartungen?” wollte Borix von dem Vogt wissen.

“Es ist alles etwas größer als ich erwartet habe”, gab Borindarax zu. “Von der Geschichte der alten Wacht zu lesen ist die eine Sache, es mit eigenen Augen zu sehen eine ganz andere. Darüber hinaus gab es ja keine Karten oder wirklich konkretes in den Archiven, weder in Senalosch, noch in Xorlosch. Jedenfalls hat die Besichtigung meine Hoffnung genährt, dass von hier aus bald Erz in Richtung Senalosch gefördert wird. Gut, es gibt noch ein paar Hindernisse auszuräumen, doch da ist nichts für das es keinen Lösungsansatz gäbe, oder das nicht mit viel Fleiß und Arbeit zu bewältigen wäre. Ishna Mur wird ein gutes Beispiel für das Wachstum Isnatoschs, davon bin ich überzeugt und das wird auch meine Botschaft an meinen Urgroßvater sein.”

“Das wäre schön und würde das Wachstum dieser alten Binge sehr fördern”, bedankte sich Borix. “Ich würde dann sagen, dass wir uns den Staub aus den Sachen und den Bärten bürsten sollten und dann ist sicherlich auch schon Zeit für das Abendbrot und ein paar Krügen frischen Bieres.”

Marbolieb und Murla

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Als Murla hörte wie sich der Oberst nebenan in Borix Arbeitszimmer mit ihrem Gemahl und Baschtasch laut über die Bergwacht unterhielten, erhob sie sich von ihrem Sessel in dem sie jetzt am Nachmittag ein wenig gedöst hatte und rief nach Marmana, ihrer Zofe.

“Bitte Ihre Gnaden Marbolieb zu mit zu kommen”, befahl sie dieser.

Die junge Zofe ging durch die große Halle zu Tür des Gästezimmers in dem die Boroni und der Oberst Quartier bezogen hatten. Leise klopfte sie an die Tür: “Euer Gnaden, Mütterchen Murloschtaxa wünscht Euch zu sprechen”, sagte sie halblaut in etwas unbeholfenem Garethi durch die Tür. Dann wartete sie bis Marbolieb die Tür geöffnet hatte und ihr folgte. Sie führte sie, die Blinde leicht mit der Hand am Arm dirigierend, durch die große Halle zum Zimmer Murlas und verließ dann den Raum leise.

“Bitte setzt Euch hier zu mir”, begrüßte sie Marbolieb und führte sie zu einem der bequemen Sessel.

Vorsichtig setzte sich die Geweihte auf den Sessel, zu dem sie Murloschtaxa geführt hatte. Marbolieb schwieg - sich der Lage nicht wirklich sicher, und vorsichtig abschätzend, was ihre gute Gastgeberin denn nun zu tun - und von ihr - wünschte. Ruhig hatte sie ihre Hände auf dem Schoß übereinandergelegt, den Saum ihrer Ärmel bis zu den Handgelenken gezogen, und saß aufmerksam da und versuchte, aus den leisen Geräuschen, dem Knacken des Feuers im Kamin und dem Hall der schweren Schritte der Zwergin, auf ihre Umgebung zu schließen. Marbolieb hörte, als die Schritte Murlas verstummten, das Rascheln des schweren Lodenstoffes als sich die Angroschna in einen Sessel in ihrer Nähe niederließ.

“Ihr führt ein ungewöhnliches Leben, Euer Gnaden”, begann die Ältere das Gespräch zu eröffnen. “Und Ihr seht dabei nicht wirklich glücklich aus. Dabei sollte doch in jeder Liebe das Glück der Verliebten das höchste Gut sein.” Die Borongeweihte senkte den Kopf und ließ die Feststellung Murloschtaxas nachklingen.

Da war keine Frage gewesen. Und auch wenn die Ältere auf eine Antwort dennoch zu warten schien, so blieb die Frage offen, auf was genau sie diese wünschte.

“Ihr meint, ich sei nicht glücklich genug.” Beantwortete sie mit ruhiger Stimme Feststellung mit Feststellung und wartete die Meinung der Zwergin zu diesem gesamten, eigenartigen Konstrukt in augenscheinlicher Ruhe und Frieden ab.

Murla merkte, dass die Boroni nicht einfach von sich aus anfangen würde zu erzählen, daher bohrte sie vorsichtig nach: “Ihr wirkt nicht so glücklich, wie ein junges Paar sein sollte. Auch der Oberst strahlt nicht vor Glück. Es scheinen einige Wolken über Eurer Liebe zu liegen. Gibt es eine Möglichkeit, dass ich Euch vielleicht helfen kann?”

Marbolieb presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Sie atmete tief ein und aus, ihre Emotionen fest am Zügel. “Ich möchte nicht, dass er unglücklich ist.” flüsterte sie, biss sich auf die Lippen und schüttelte abermals den Kopf. “Merkt man es so deutlich?”

Die Angroschna begann halblaut vor sich hin zu kichern.”Ich merke es, manch andere Frau mag es auch merken, aber ob es einer dieser Angroschim - dem Oberst eingeschlossen - merken würde, wenn man sie nicht direkt mit der Nase drauf stößt, das bezweifle ich sehr.”

Marbolieb hörte, wie sich Murla zurücklehnte, dann eine kleine Pause, das Schlagen von Feuerstein auf Stahl und nach ein paar Atemzügen füllte der würzige Rauch von Pfeifentabak das Zimmer.

“Soll ich Euch auch eine stopfen?” Die Borongeweihte schnupperte, und einen Lidschlag lang huschte Wehmut über ihre Züge, rasch wieder fortgewischt von einer freundlichen Aufmerksamkeit, die wie eine Decke ihre Gedanken verbarg. Leicht schüttelte sie den Kopf.

“Ich habe meine Pfeife nicht dabei, Euer Wohlgeboren, doch seid herzlich bedankt.” Sie verflocht die Finger ihrer Hände, die locker in ihrem Schoß lagen, miteinander.

“Bitte seid dem Oberst nicht gram. Er kann wenig dafür.”

“Und? Wir haben für jeden Gast eine neue Pfeife auf Euren Zimmern und ich habe auch noch genügend neue hier.” Murla stand auf, entfernte sich etwas von der Sitzecke und begann in einem Schränkchen zu kramen. Dann kam sie zurück und drückte der Geweihten eine gestopfte Pfeife in die Hand. “Nehmt diese als Gastgeschenk. Allein raucht es sich nicht so gut wie in Gesellschaft.” Dann setzte sie sich wieder in ihren Sessel.

“Oh.” Bloßes Erstaunen zeichnete sich auf dem Gesicht der Boroni ab, das schließlich in Fassungslosigkeit und dann einem strahlenden Lächeln endete. Sie hatte die Pfeife im Gästezimmer bemerkt, war aber davon ausgegangen, dass einer der Vorbewohner diese zusammen mit seinem Tabak vergessen hatte. Sie hielt die Pfeife in der Hand, strahlte Murla an und war merklich um die passenden Worte verlegen. “Habt vielen Dank.” brachte sie schließlich schüchtern heraus, schnupperte mit leuchtenden Augen an dem Tabak und befühlte die Pfeife von allen Seiten, ehe sie sich die Pfeife an einem Kienspan, den ihr Murla reichte, entzündete und mit vor Wonne geschlossenen Augen den ersten Zug tat.

“Was sollte ich mir anmaßen, Euch oder den Oberst gram zu sein? Ich habe zusammen mit Borix gesehen und gelernt, dass es viele Möglichkeiten gibt zu lieben und glücklich zu werden. Nur sollte man es auch werden. Wenn es nur Kummer bereitet, dann ist es falsch.” Marbolieb nahm die Pfeife aus dem Mund und nickte nachdenklich.

“Ich bin nicht unglücklich, dass ich bei Dwarosch bin.” Sie schnupperte an der Pfeife und tat einen neuen Zug, um zu verhindern, dass der Tabak erlosch. Nachdenklich blies sie einen fast perfekten Rauchring und sann dem herben Geschmack auf ihrem Gaumen nach. “Ich sollte euch ein Gastgeschenk machen, Euer Wohlgeboren - nicht ihr mir.”

Dennoch - eine eigene Pfeife hatte sie sich die vergangenen beiden Götterläufe herbeigewünscht, und sie freute sich von Herzen über das unerwartete und gemeinhin unverdiente Geschenk. Marbolieb konnte einen leicht zornigen Unterton vernehmen als Murla jetzt sprach: “Ich habe es vorhin schon gesagt, ich bin Murla und so solltest Du mich auch nennen und nicht Euer Wohlgeboren - denn das bin ich nicht.” “Höchstens Wohlbelehnt”, fügt sie mit deutlich fröhlichem Ton hinzu.

“Ich bin traurig, weil ich es bald nicht mehr sein werde.” “Wieso? Will der alte Brummbär von einem Angroscho Dich etwa verlassen?”

“Was?” erschrocken ruckte der Kopf der Boroni hoch. “Nein!” kam es entschieden zurück. Sie biss sich wieder auf die Lippen und senkte erneut den Blick. “Ich muss wieder zurück zu meinem Tempel nach Calmir.” Kratzig war ihr Stimme geworden und leise.

“Und was sagt Dwarosch dazu?” war die Gegenfrage der alten Zwergin. “Er ist Oberst und sollte in der Lage sein seine Frau - und ihr Kind - zu unterhalten. Lass Dich von Deinen Aufgaben freisprechen und bleib bei ihm.”

Marbolieb stutze. Doch natürlich hatte ihr Gemahl Murla von Mirla erzählt, so dass deren Existenz der Zwergin bekannt war. Sie dachte an die Episode mit dem Erbstein zurück und lächelte versonnen, als ihre Gedanken ihre Tochter berührten.

“Ich bin dem Herrn Boron geweiht.” Das beredte Schweigen, das ihre Antwort war, erzählte mehr als alle Worte von keinem wirklichen Verständnis Murlas. “Das kann ich nicht beiseite schieben. Ich muss mich um meinen Tempel kümmern.” Ob das die wackere Bergvögtin besser nachzuvollziehen mochte?

“Das verstehe ich doch, mein Kind”, Murla lehnte sich in ihren Sessel zurück und nahm ein paar tiefe Züge aus der Pfeife. “Aber Du bist eurem Herrn der Nacht geweiht und dem kannst Du doch überall dienen. Es gibt doch auch Menschen in Senalosch, die die Gaben des Totengottes brauchen, warum ist es Dir nicht möglich Dein Amt in der Nähe Deines Gemahls auszuüben?”

“Mein Tempel steht in Calmir. Ich kann ihn nicht allein lassen. Der Baron wünscht, dass ich im Herbst zurückkomme.” Die Boroni hatte noch immer den Blick auf ihre Hände gesenkt, die wie vergessene Spielzeuge auf ihrem Schoß lagen.

‘Aha, da liegt doch der Rotpüschel im Pfeffer begraben’, dachte Murla und nickte bedächtig mit dem Kopf ehe sie die nächste Frage stellte. “Dieser Baron weiß nichts von Dir und Dwarosch?” “Doch, natürlich.” kam vollkommen selbstverständlich und in gemessener Stimme die Antwort. Was hatte das auch miteinander zu tun? Das eine war die Pflicht - und das andere die Liebe. Was für ein seltsames Wort. Klein - und doch so gewaltig. Sie hatte zuerst in ihre Macht geraten müssen, um sie wirklich zu verstehen - und um zu begreifen, warum ihre Kraft reichte, selbst Steine einzureißen.

“Oh”, entfuhr es der Angroschna verwundert, “warum müsst ihr Großlinge es euch denn immer gegenseitig so schwer machen. Wenn der Baron doch weiß, dass ihr ein Paar seid, warum lässt er Dich dann nicht zu Deinem Gatten ziehen. Es gibt doch auch andere Priester, die in diesem Calmir eurem Totengott dienen können. Und alle Welt behauptet wir Angroschim seien stur und unbeweglich.” Sie machte eine Pause und schaute forschend zu Marbolieb.

“Oder hast Du den Baron von was auch immer verärgert, dass er Dich nicht gehen lassen wird?” Marbolieb schüttelte den Kopf, den Blick noch immer gesenkt. Zumindest war sie ihrem Landherrn nicht wissentlich auf die Füße getreten - und sie war sich sicher, dass sie es spüren würde, wenn sie seinen Groll auf sich geladen hätte.

“Dwarosch sprach mit ihm.” Und seitdem hing der Herbst wie ein Schwert über ihrem Haupt und erzählte vom nahenden Ende.

Nicht, dass dies ein unbekanntes Konzept für die Priesterin des Totengottes gewesen wäre. Sie schnaufte belustigt und freundlos gleichermaßen.

“Hmm”, lachte Murla leise. “Das kann vielleicht schon das Problem sein. Dwarosch ist nicht immer voller Etikette, so wie ich mich erinnnern kann.” Sie nahm wieder einen tiefen Zug aus der Pfeife.

“Meinst Du, dass Du es noch einmal selber versuchen solltest. Er kann doch kein solcher Unmensch sein, dass er nicht für die Liebe Verständnis hat.” “Warum sollte es ihn scheren?” So, wie sie den Rabensteiner kannte, berührte ihn eine Liebelei nicht. Und wenig mehr war sie in seinen Augen. “Wir sind vor keinem Gott verbunden.” Sie seufzte. “Ich kann nicht allein nach Rabenstein reisen. Es sind zwei Wochen von Senalosch bis zu seiner Burg.”

Sie holte tief Luft, ihren Blick noch immer gen Boden gesenkt. Dunkel blieb dunkel. “Es muss Euch nicht kümmern, edle Dame. Wir sind nicht meinetwegen hier.”

“Pfff!” Ein ärgerlicher Laut kam von Murla. “Wenn Du noch einmal Edle Dame oder so etwas sagst, dann könntest Du recht bekommen.” Murla saugte noch ein paar Mal an ihrer Pfeife. “Rabenstein, sagst Du?”

Die Boroni nickte nur. Dass der Baron selbst ein Geweihter des Unergründlichen war, war gewiss auch den Nachbarn bekannt. “Wir waren noch nicht auf der anderen Seite des Eisenwaldes, aber seine Baronie grenzt jenseits des Kamms an unsere Bergwacht. Du meinst, dass er nicht sehr umgänglich ist?”

Marbolieb hob die Schultern. Umgänglich aus wessen Sicht? “Er weiß genau, was er möchte, und er hat klare Vorstellung, wie es geschehen wird.” versuchte sie die Aussage ‘Stur wie ein Angroscho’ so zu übersetzen, dass die Bergvögtin dies verstehen konnte. “Klingt wie ein sturer Angroscho!” entfuhr es Murla. “Ich glaube, ich würde mich auf eine Begegnung mit ihm freuen.” Das klang durchaus so, als wenn es Murla ernst meinte mit ihrer Aussage.

“Er ist sehr beeindruckend.” Die kleine Geweihte verknotete ihre Hände. “Und klug.” Ihre Schultern sanken nach unten. “Auf dem Feldzug habe ich ihn kennengelernt. Er sorgt sich um seine Leute.” Und bis auf den Ritter, der ihren Schutz mit seinem Leben bezahlt hatte, hatte er auch die Mehrzahl nach Hause gebracht, nicht ohne, dass sie geblutet hätten, er am meisten.

“Und er hat Gründe für das, was er tut.”

Was ihr in ihrem Fall das Herz zerriss. In ihren Augenwinkeln sammelte sich die Feuchtigkeit, als sie an das gütige, liebevolle Lachen des Oberst dachte, und hängte sich als einzelne Träne in ihre langen, schwarzen Wimpern. Sie schluchzte tief in ihrer Kehle.

Marbolieb hörte wie Murla aufsprang und zu ihr rüber kam, dann spürte sie wie sich die kurzen, kräftigen Arme der Angroschna um sie schlossen. “Lass es einfach raus!” forderte sie die bebende Boroni in ihren Armen auf. “Glaube mir, dann siehst Du nicht mehr so hübsch aus, aber es geht Dir besser!” Marbolieb schüttelte abwehrend den Kopf, schlang die Arme um die Schultern der breiten Zwergin, stutzte ob des ungewohnten Geruchs der fremden Frau und schluckte, was aber rein gar nichts helfen wollte.

Weil sechs, acht Wochen einfach zu wenig waren.

Viel zu wenig, wo ein ganzes Menschenleben nicht gereicht hätte.

Sie drückte Murla an sich, vergrub ihren Kopf an ihrem Kragen und ihre Schultern zuckten, als sie, kläglich, tonlos und voller Verzweiflung das Wams der Zwergin mit ihren Tränen durchtränkte. Beruhigend strich ihr die Zwergin mit ihren rauhen, warmen Händen über den Rücken.

“Alles wird gut, mein Kind!” beruhigte sie Marbolieb. “Euch bleibt noch viel Zeit für eure Liebe. Du bist noch jung, vielleicht braucht es nur ein wenig Geduld.”

Doch es dauerte geraume Zeit, bis die Worte der alten Zwergin es schafften, die Tränen der Menschenfrau zum Versiegen zu bringen. Die ganze Zeit sprach diese kein Wort und weinte still und leise in die Schultern der Älteren. Irgendwann holte sie tief und schniefend Luft, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, schniefte erneut und hob den Kopf. Sie setzte zu sprechen an, schluckte, als kein Wort kommen wollte, und versuchte es erneut. “Euer Wams.” krächzte sie. “Es tut mir so leid!”

“Das trocknet wieder”, meinte Murla lachend. “Du bist nicht die erste und auch nicht die letzte die sich an meiner Schulter ausgeweint hat. Mach Dir deswegen keine Sorgen. Lass uns einfach überlegen, ob wir nicht doch noch eine Möglichkeit finden euch eine gemeinsame Zukunft zu schenken.”

Sie drückte Marbolieb sanft in den Sessel zurück und holte aus einer der Taschen ihres Kleides ein Schnupftuch, das sie der Boroni reichte. “Aber wir sollten uns den Tag nicht mit diesen trüben Gedanken verdunkeln. Erzähl mir doch ein wenig von Deiner Tochter. Borix war ganz begeistert von der Kleinen. Wo ist sie jetzt?”

Marbolieb putzte sich die verquollenen Augen und schneuzte sich kräftig. Auf ihrem Gesicht zeichneten sich rote und weiße Flecke ab. Was war ihr nur eingefallen, so alle Beherrschung fahren zu lassen - noch dazu vor einer Fremden? Zu ihrer Zeit in Punin wäre ihr so etwas niemals passiert … doch damals hatte sie sich auch nicht vorstellen können, jemals einen Liebsten - und gar noch ein Kind - ihr Eigen zu nennen.

Die Schamesröte kroch über ihren Nacken, als sie den Kopf hob und mit noch immer rauer, leiser Stimme in Richtung ihrer Gastgeberin antwortete. “In Senalosch - bei Topaxandrina, der Haushälterin Seiner Hochgeboren.” Sie räusperte sich.

“Bitte verzeiht meinen Ausbruch, edle Dame.” Sie faltete das feuchte Schnupftuch ordentlich und legte es neben sich, griff nach der Pfeife und schnupperte daran. Natürlich war sie ausgegangen. Vorsichtig legte sie diese wieder beiseite. Es war beschämend, bei so vielen Dingen auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein und diesen dadurch zur Last zu fallen. Sie versuchte dies nach bester Möglichkeit zu vermeiden, stieß dabei aber immer wieder an ihre Grenzen.

Und dies hatte alles nichts mit dem Grund zu tun, warum sie hier waren.

Der führte aber ausschließlich über das Wohlwollen der Hausherrin. Die kleine Geweihte holte tief Luft und stürzte sich nach vorn.

“Was möchtet Ihr wissen?” bot sie der so viel Älteren an. Ein ärgerliches Schnaufen kam aus dem Sessel Murlas. “Jetzt sage ich es aber zum letzten Mal, nenn’ mich Murla - und nur Murla. Du bist hier unter Angroschim, unter Freunden, da lässt man diese unsinnige Etikette weg!”

Marbolieb spürte wie Murla ihr die Pfeife in die Hand drückte und wie sich dann ein heißer Span ihrem Gesicht näherte um diese zu entzünden.

“Was magst Du denn über die Kleine erzählen, sie scheint ein sehr kluges und fröhliches Kind zu sein.” “Sie ist aufgeweckt - und ein sehr liebes Ding. An dem Oberst hat sie einen Narren gefressen.” Ein liebevolles Lächeln huschte über die verweinten Augen der jungen Almadanerin.

“Sie nennt ihn ‘Dado’.” Versonnen schwieg sie einen Augenblick. “Auf der Jagd ist sie mir einigemale davongelaufen, sie hat einige der Männer mit ihrer Suche nach ihm sehr verschreckt.” Ein Schmunzeln wärmte ihre Stimme - die anwesenden Herren hatten unterschiedlich auf das begeisterte Juchzen des Kindes auf der Suche nach ‘Dado!’ reagiert und samt und sonders schleunigst sämtliche Verwandtschaft verneint.

“Dwarosch hat erlaubt, dass sie bei ihm in Senalosch bleiben darf. Er wird gut für sie sorgen.” Eine Feststellung, keine Hoffnung.

Murla merkte, dass die Boroni - wie sie es von ihren Begegnungen mit anderen Priestern des Totengottes kannte - sehr verschlossen war, aber gerade das machte sie neugierig. Die Beziehung zum Rabensteiner schien auch mehr zu sein als nur die eines Dienstherrn zu einer Untergebenen. Warum sollte sich da sonst keine Lösung finden lassen? Aber das würde sich nicht in diesem ersten Gespräch klären lassen und jetzt weiter in diesen Wunden zu bohren, erschien ihr nicht richtig.

“Wird die Kleine - wie war doch gleich der Name? - unter den Angroschim aufgezogen oder bei den Menschen in Senalosch?” “Mirla wird bei Dwarosch aufwachsen - er wird für sie sorgen.”

Die Geweihte lauschte einige Augenblicken den Worten Murlas nach. Ihre Nase und ihre Augen waren geschwollen, ihre Kehle trocken. Sorgsam nahm sie einen weiteren Zug aus der Pfeife und genoss den Geschmack des Tabaks auf ihrem Gaumen.

“Ich weiß wenig von Euch, Frau Murla. Euer Gemahl indes hat mir erzählt, dass er große Stücke auf Euch hält. Ihr habt mitgeholfen, diese Gemeinschaft hier aufzubauen, nicht wahr?”

“Borix ist Soldat”, antwortete Murla, “das war er sein Leben lang, das kann er und das wird er auch bleiben. Für alles andere hat er seine Kinder und mich.” Marbolieb nickte. Ähnliches hatte sie erwartet. “Ihr habt fünf, nicht wahr? Vierlinge. Und ein Einzelnes.”

“Ja”, meinte Murla mit einem versonnen Lächeln. “Vierlinge, die unterschiedlicher nicht sein können. Zwei hast Du heute schon gesehen - oh, gehört. Benngurr, hat sich dem Handel und den Geschäften verschrieben. Als er hörte, dass wir dieses Lehen bekommen, war er Feuer und Flamme mitzukommen und hier als Haushofmeister zu arbeiten. Wenn es hier vorangeht, dann steht er hinter den Gelddingen und Borix vertraut ihm in diesen Dingen voll. Und Baschtasch, der jüngste, ist auch mitgekommen, er ist ein Gelehrter und da es hier in den alten Stollen und Schächten soviel zu entdecken gibt, kümmert es sich mit zwei Prospektoren um die Erschließung der alten Gänge und deren Vermessung und Kartierung. Ich glaube ihr nennt es Markscheider.”

Dann zog sie wieder andächtig ein paar Züge an ihrer Pfeife.

“Borix ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und ist Hauptmann in Senalosch. Er hatte gerade seine erste Bewährung in der Rabenmark. Aber sonst ist er in Senalosch, vermutlich ist er Dir schon einmal über den Weg gelaufen.

Und Boram ist auch noch in Senalosch. Er ist Schmied und das Haus, das Borix zu seinem Abschied in Senalosch erhalten hatte, hat eine Schmiede. Warum sollte es also mit in diese Berge ziehen.”

Ein bißchen Wehmut schwang in ihrer Stimme mit. Aber der verschwand als sie weiter erzählte: “Und dann ist da natürlich noch Murixe, unser Nesthäkchen. Sie ist vielleicht nur ein paar Jahre älter als Du. Aber damit ist sie bei den Angroschim noch ein Kind. Sie lebt in Xorlosch oder besser sie lernt dort.

Und sie trägt auch ihren Anteil an der Zusammenstellung der Bewohner Ishna Murs. Sie hat alle diese Zahlen berechnet und Borix hat sie umgesetzt. Du müsstest die Briefe zwischen ihr und Baschtasch lesen, Dir würde der Kopf von diesen Zahlenspielen brummen. Aber anscheinend haben die Vorväter bei der Errichtung Ishna Murs sehr sorgfältig geplant und gerechnet und nur sehr wenig dem Zufall überlassen.”

Kichernd und mit der verstellten Stimme Grimmgaschs fuhr sie fort: “Der Allmächtige Weltenschöpfer hat es genauso geplant!” “Sehr wohlgeratene Kinder nennt Ihr die Euren.” “... die Deinen!” verbesserte Murla sofort.

Nachdenklich blies die Geweihte den Rauch aus. Diesesmal war der Kringel perfekt geraten und tanzte einige Atemzüge lang bebend und immer dünner werdend über ihrer Stirn. “Es muss ungeheuer anstrengend sein, vier Kinder zugleich auszutragen. Und sie aufzuziehen.” zollte sie Murla den gebührenden Respekt. “Ja”, erwiderte die Angroschna, “aber das ist nichts gegen die Jahre danach. Andererseits sind bei uns im Gegensatz zu euch Mehrlingsgeburten üblich und Vierlinge nicht außergewöhnlich. Man sagt uns Angroschax ja auch nach, dass wir ziemlich zäh sind.” ergänzte sie lachend.

“Dennoch. Vier kleine Kinder zugleich zu versorgen ist eine große Leistung.”

Marbolieb nahm sich die Zeit für einen neuen Zug. Fast heruntergebrannt war der Tabak - doch hatte diese Pfeife ihr wirklich gutgetan. “Was habt Ihr gemacht, bevor ihr Borix kennenlerntet?” fragte sie interessiert.

“Zweimal DU!” schnaubte Murla “Ja, edle Dame.” stimmte die Menschenfrau eingeschüchtert zu.

“Ach, Kind!” stieß Murla verzweifelt aus. “Wie oft soll ich es Dir denn noch sagen, das Du mich mit Murla anreden sollst!” Nach einer rhetorischen Kunstpause fuhr sie dann fort: “Das ist lange her, sehr lange.”

Wieder machte die Angroschna eine Pause um sich zu besinnen. “Ich war noch sehr jung, vielleicht so alt wie Du es jetzt bist. Ich stamme aus Albenhus und bin auch dort früh mit euch Großlingen zusammengetroffen. Denn in der Stadt gibt es ein reges Nebeneinander der unterschiedliche Rassen. Und ich habe dort die guten Taten der Priester der Gütigen kennen und schätzen gelernt. So habe ich mich dann entschieden meinem Volk und vor allem den Angroschax zu helfen. Ich ließ mich also zur Hebamme ausbilden.

Und noch während ich lernte wie man kleine Zwergenkinder auf die Welt bringt, lernte ich Borix kennen. Es war bei seiner Feuertaufe - Du weißt doch, dass das das wichtigste Ereignis im Leben eines jungen Angroschim ist?” Die Boroni nickte, ohne jedoch die Angroschna zu unterbrechen.

“Wie jedes Jahr versammelten sich die Burschen, deren Feuertaufe anstand, im Tempel der Weltenschöpfers. Ein großes Fest bei dem alle Groscharoroximangrasch Albenhus zusammenkommen. Und da war dieser stattliche Soldat, stark und mutig. Der ohne zu zögern als erster durch das Feuer sprang und so die Herzen der meisten Angroschax brach. Aber ich war dann diejenige die auch sein Herz gewann. Wir mussten uns dann noch viele Jahre heimlich treffen, denn solange nicht meine Lehrzeit mit der Feuertaufe nicht ebenfalls abgeschlossen war, ist es uns nicht gestattet zu heiraten. Aber unsere Liebe wuchs auch in der Heimlichkeit. Uns so kam es dann, dass wir am Jahrestag meiner Feuertaufe heirateten. Und das ist jetzt schon 55 Jahre her.” Ein ganzes Menschenleben.

Dass die Angroscho ein anderes Verständnis von ‘Zeit’ besaßen als die Menschen, war angesichts ihre Lebensspanne, die ein Vielfaches betrug, begreiflich - und sich manchesmal doch schwer vorzustellen. Die Borongeweihte senkte den Kopf und atmete tief durch. Zeit. Nur ein Tropfen unter Satinavs Kiel. Ein Sandkorn in den Plänen der Unsterblichen.

Und doch alles, was ein Sterblicher besaß. Marbolieb nickte nachdenklich.

“Vermisst Ihr es nicht manchmal? Eure Zeit in Albenhus?” Gab es so etwas wie immerwährende Zufriedenheit in einem Leben? Sie hegte Zweifel.

“DU, mein Kind! DU!” war die wiederholte Zurechtweisung an Marbolieb. ‘Sie ist stur und eigenwillig wie ihr Oberst!’ Murla musste über das Beharren der formellen Anrede innerlich lachen, warte aber nach außen den Schein der Empörung. “Nein!” lautete die energische Antwort auf die Frage der Geweihten. “In unserer Zeit in Albenhus brach für euch Großlinge die Welt zusammen und immer wieder musste Borix mit seinen Kameraden in den Krieg ziehen. Natürlich muss ein Soldat dieses tun, aber wenn Du mit fünf Kinder zuhause sitzt und nicht weiß, was draußen in der Welt mit Deinem Liebsten passiert, die Nachrichten aber von Krieg zu Krieg bedrohlicher werden, dann bin ich froh, dass die Zeit in Albenhus vorbei ist.

Senalosch versprach ein Ort der Ruhe zu werden, aber dann kam Ishna Mur.”

“Euer Wohlgeboren, das geht nicht. Ihr steht im Rang weit über mir.” beharrte die Boroni, nahm einen allerletzten Zug aus der ausgebrannten Pfeife, tastete nach dem Tisch und legte sie bedauernd ab. “Papperlapapp!” fuhr ihr Murla dazwischen. “Was bin ich denn schon? Ein Hebamme und Mutter, die hier sitzt weil ihr Mann solange lebt. Das ist nicht mein Verdienst!” “Ich kann verstehen, dass ihr Senalosch schätzt. Es ist ein beschauliches Städtchen, gut, um Frieden zu finden.” Sie seufzte. Murla nickte zustimmend. “Habt Ihr die Hebammerei vollständig aufgegeben, oder helft ihr noch in Ishna Mur aus?”

Ein leises Lachen kam von der alten Frau. “Was heißt ich helfe aus?” war wieder eine Frage auf die Murla keine Antwort erwartete. “Du musst wissen, dass es hier im Ishna Mur keinen Heiler oder so etwas gibt. Also kommen sie mit ihren Prellungen, Quetschungen und anderen Dingen alle zu Mutter Murla.” Wieder musste die Angroschna lachen.

“Ich bin froh, dass es in dem Jahr hier in der Binge noch nichts schlimmeres als ein paar Brüche gab. Und die Angroschim arbeiten hart im Bergwerk.” “Willst Du noch ein Pfeifchen? Soll ich es Dir stopfen?”

Die Menschenfrau nickte vorsichtig. “Bitte. Wenn es nicht zu viele Umstände macht, edle Dame.” Ein sehr unwirscher Laut war aus dem gegenüberstehende Sessel zu hören, dann ein Knarren der Sitzfläche und das Geräusch des Stopfens einer Pfeife. Wenige Augenblicke später drückte Murla Marbolieb die Pfeife in die Hand. Als diese sie in den Mund gesteckt hatte, gab ihr Murla Feuer. Sie wartete, bis die Pfeife gestopft und angezündet war, tat einen tiefen Zug und fuhr dann fort.

“Vielen Dank. Habt ihr damals auch menschliche Kinder geholfen zur Welt zu bringen - oder euch eher um Angroschim gekümmert?” Sie grübelte. “Ich habe alles entbunden, was diesen Dienst brauchte”, antwortete Murla. “Ob Mensch, ob Angroscho ist egal, wenn ein neues Leben auf Dere erscheinen will, dann helfe ich. Und gelegentlich war auch mal eine Katze oder eine Kuh dabei. Angrosch hat alle das gleich Prinzip gegeben die Welt zu erblicken, nur die Größe ist anders.” Wieder kam ein kicherndes Glucksen von Gegenüber.

“Die Leute hier haben Glück, jemand zu haben, der sich mit der Heilkunst auskennt.” “Ja”, war Murlas knappe Antwort. “Das hat sich auch schon zu den paar Weilern hier in der Nähe herumgesprochen. ‘Bitte holt die alte Zwergenhexe, meinem Alrik geht es nicht gut!’” Wieder ein Kichern.

“Es ist großzügig von Euch, dass Ihr Ihnen allen helft.” Sehr nachdenklich war die Stimme der Geweihten, und auf ihrer Stirn hatten sich einige sehr nachdenkliche Falten eingegraben. Sie zog an der Pfeife, als wolle sie Zeit gewinnen - oder ihre Gedanken sammeln.

“Es hat nichts mit Großzügigkeit zu tun.” Ein tiefer Zug aus der Pfeife war zu hören. “Es ist das, was ich Edle Dame kann. Väterchen Angrosch hat mir fühlende, heilende Hände und das Wissen gegeben allen helfen zu können.” ‘Und das zeigt mir, dass Dir noch was auf der Seele brennt!’ fügte sie in Gedanken hinzu.

“Hm.” stimmte Marbolieb zu und saugte an der Pfeife, nur um kurz darauf einen doppelten Rauchkringel in die Luft zu blasen. “Sagt, Frau Murla … .” Ein neuer Zug aus der Pfeife, und ein äußerst verunglückter Rauchkringel … “gibt es eine Möglichkeit, dass ein Zwerg und ein Mensch gemeinsam Kinder haben können?” Tief und erleichtert atmete sie aus, die Frage aller Fragen gestellt.

‘Oh daher weht der Wind’, Murla musste ihre Beherrschung zusammennehmen um nicht laut zu lachen. Stattdessen stieß sie ein paar Ringe in die Luft. Dann wurde sie wieder Ernst: “Nein, mein Kind, davon ist mir nichts bekannt. Ich kenne ein paar Paare wie euch, aber dort gab es nirgendwo gemeinsame Nachfahren. Mensch und Elf ja, aber Mensch und Angroscho nein.” ‘Das unschöne Thema Mensch und Ork von dem ich gehört habe, werde ich lieber nicht anschneiden.’

Die Schultern der jungen Frau sanken nach unten, und sie verfiel in Schweigen. Die Pfeife in ihrer Hand begann, auszuglühen, lange, zu lange unbeachtet. ‘Dieses Mal in diese Richtung’, stellte Murla fest. ‘Das ist mal was anderes. Von den meisten anderen Frauen, die mir diese Frage gestellt haben, war immer Erleichterung zu hören als ich das erklärte. Armes Ding! Dich haben Deine Götter aber auch gebeutelt!’

Sanft beugte sich Murla vor und strich tröstend über Marboliebs Hände. “Es tut mir leid, mein Kind, aber da wird sich nichts machen lassen.”

Die Geweihte seufzte tief. “Danke dennoch.” flüsterte sie tonlos. “Aber ihr habt doch Deine Tochter, sie ist noch jung und wenn ihr sie beide erzieht, dann kann sie für euch beide ein Kind eurer Liebe werden”, als Murla das sprach, spürte sie, dass die Worte schal und hohl klangen, aber mehr gab es da nicht zu sagen. Es würde kein Kind aus der Liebe zwischen Zwergen und Menschen entstehen. Und den Sermon der Kirchen, dass doch ein Wunder geschehen könnte, wollte sie der Boroni nicht zumuten. Die nickte mit gesenktem Kopf. Natürlich hatte die Bergvögtin recht.

Sie beschäftigte sich einige Atemzüge lang mit der Pfeife, die lange erloschen war und längst nicht mehr schmeckte, und holte dann tief und bewusst Luft.

“Wie alt ist Deine kleine Tochter eigentlich?” wollte Murla wissen. Sie hatte zwar über Marboliebs Tochter gesprochen, aber irgendwie war das nicht zum Thema geworden. “Mirla.” erklärte die Geweihte. “Das ist ihr zweiter Sommer.” Sie schüttelte den Kopf. “Wenn ihr einmal wieder in Senalosch seid, wird sie euch Dwarosch ganz sicher vorstellen.”

Die ausgegangene Pfeife fand ihren Platz auf dem Tisch - die Lust darauf hatte sie verloren. “Hat Euch Euer Gemahl erzählt, weshalb wir hier sind?”

“Nein!” antwortet Murla und fügte fröhlich hinzu. “Wenn es ihm Borindarax gesagt hat, dann hat es es vermutlich bei seinem Kater vergessen.”

“Ich hatte mich mit Eurem Gemahl auf der Jagd unterhalten. Daraufhin hat er mich eingeladen - und Dwarosch war so nett, mich zu begleiten.” Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Züge. “Ich hörte ihn und Seine Hochgeboren ausgiebig von Euren Kochkünsten schwärmen … . “ Ein Prusten und Kichern kam von Murla. “Wenn es nur meine Kochkunst ist, dann hoffe ich, dass ich diese Aufgabe bisher zu Deiner Zufriedenheit erledigen konnte?”

“Ihr seid eine wundervolle Köchin!” erklärte die Boroni mit dem Unterton absoluter Aufrichtigkeit. Ebensogut wie Topaxandrina, die Herrin über Küche und Keller des Vogtes zu Nilsitz, und keinesfalls schlechter. So gut wie in den Haushalten beider Angroschax hatte sie zuvor nur äußerst selten einmal gespeist. Sie ließ die Aussage einen Augenblick lang stehen, ehe sie hinzufügte.

“Euer Gemahl trägt schwer an seinen Erlebnissen im Feld. Doch die Feier ist kein Ort, darüber zu sprechen.” Murla nickte stumm und als sie dann sprach, war alle Fröhlichkeit aus ihrer Stimme verschwunden: “Ja, das tut er. Aber er wird sich doch nie von seiner Profession lösen können. In Senalosch hat er mit Dwarosch Rekruten ausgebildet und hier in Ishna Mur ist er es, der mit den Wachen exerziert. Das macht ihn stolz.”

“Aber doch nagen seine Erlebnisse an seiner Seele. Und er tut sich schwer, sich dies einzugestehen, obgleich er weiß, dass diese ihn seiner Kraft berauben, Stück um Stück.” Marbolieb hob den Kopf, ihre zuvor gezeigte Unsicherheit vergangen wie ein Schatten, wenn die Sonne über die Bergkämme steigt. “Er hält sehr viel auf Euch. Und ich glaube, er wollte zuerst mit Euch darüber reden, ob es ratsam sei, mir … mehr zu erzählen, als er es in Nilsitz tat. Und doch war es ihm wichtig genug, mich zu bitten, zu euch zu kommen.”

“Ja”, stimmte Murla zu, “es lastet auf seiner Seele und es schwer diese Last zu nehmen. Du musst verstehen, dass er fast 70 Jahre - also mehr als zwei euer Generationen - als Soldat gedient hat. Das er mit seiner Einheit an jedem Kampf gegen das Reich teilgenommen hat, das er die Untaten Galottas und seiner Oger, den Aufstieg und Fall des Dämonenmeisters, die Kämpfe gegen die Heptarchen mitgemacht hat. Und das er noch lebt.

Die meisten seiner Freund und Weggefährten sind in den Schlachten gefallen, in seinen Armen gestorben. Die Schreie der Sterbenden, die verzerrten Gesichter seiner toten Freunde und auch die Wunden und Narben, die seinen Körper zieren. All das soll seine Seele nicht belasten?”

“Gewiss tut es das.” stimmte Marbolieb mit sanfter Stimme zu. “Doch diese Schmerzen lassen sich lindern.” Gewissheit, kein vages Versprechen, besagte ihre sanfte, doch äußerst überzeugte Stimme.

“Oh, mein Kind”, nickte Murla, “seitdem wir nicht mehr in Albenhus leben, geht es ihm schon viel besser. Und ich weiß, dass ich auch die letzten seiner Schattenbilder vertreiben kann. Aber diese Menge an Grauen lässt sich nicht von heute auf Morgen verdrängen. Frag Deinen Oberst, dem wird es ähnlich gehen.”

Ganz offensichtlich sah der Bergvogt dies etwas anders. Die Boroni neigte ihren Kopf. “Ihr wünscht nicht, dass ich mich mit Eurem Gemahl unterhalte?” Sie würde dies respektieren - doch zugleich auch Dwarosch bitten, unter vier Ohren mit seinem ehemaligen Untergebenen zu sprechen, was dieser nun wirklich wünschte. Vermutlich würde er sich nicht gegen seine Gemahlin stellen, zeigte die gute Murloschtaxa doch recht deutlich, wer hier in der Binge das Regiment führte.

“Warum sollte ich es nicht wünschen?” war die erstaunte Gegenfrage.”Wenn er Dich gebeten hat, dann ist es sein Wunsch. Er hat es mir nur nicht gesagt.” “Dann werde ich dies tun.” Marbolieb lehnte sich in ihrem Sessel zurück, ihrer Aufgabe gewiss. Wenn sie eine Möglichkeit fände, dem armen Meister Borix etwas Erleichterung zu verschaffen, würde sie es unternehmen - und Mittel dazu besaß sie so einige.

“Mögt ihr mir etwas mehr über euren Gemahl erzählen, Meisterin Murla?” fragte sie mit aufgeräumter, aufmerksamer Stimme. “Das Wichtigste weißt Du doch schon”, antwortet Murla. “Was möchtest Du denn genau wissen?”

Die Boroni sann einen Augenblick nach. “Gibt es eine Schlacht oder ein Ereignis, das ihn besonders berührt?” “Es waren deren so viele”, überlegte Murla, “ich denke, dass es nicht eine einzige war, sondern die Summe aller. Wie man so sagt, es bedarf vieler Tropfen bis ein Fass überläuft, aber irgendwann ist es voll und läuft über. Deshalb hat er spätestens nach dem Haffaxfeldzug genug von all dem Morden gehabt.”

Marbolieb nickte. “Dann werde ich heute Abend einmal mit ihm sprechen - meint ihr, das lässt sich im kleinen Kreis einrichten?” “Wie klein soll denn der Kreis sein?” wollte Murla noch wissen.

“Meint Ihr, er wird ohne Euch mit mir sprechen?” kam die Gegenfrage. “Sicher”, bestätigte Murla, “warum sollte er nicht? Er hat doch auf der Jagd auch mit Dir gesprochen - und da war ich auch nicht dabei! Ich habe keine Angst davor, ob Borix sie hat, das kann ich Dir nicht sagen. Wann möchtest Du denn mit ihm sprechen?”

“Heute Abend. Nach dem Abendessen, wenn es ruhiger wird. Ich denke nicht, dass er viel Ruhe für seine Gäste hat, wenn er weiß, dass dies noch aussteht.” “Ich werde es ihm nachher sagen, dass Du mit ihm sprechen möchtest”, meinte Murla zuversichtlich.“ Dann wartete sie einen Augenblick und stellte noch eine Frage: “Kann ich noch irgendetwas bis dahin für Dich tun?”

“Ihr habt bereits mehr getan, als ich gehofft hätte, Euer Wohlgeboren.” schmunzelte die kleine Geweihte. “Habt Dank für alles - vor allem für Eure Unterstützung. Ich hoffe, dass ich Euch einen Teil Eurer Güte als Dienst an Eurem Gemahl vergelten kann.” Murla erhob sich langsam aus dem Sessel und meinte zur Boroni: “Soll ich Dich jetzt wieder in eure Kammer bringen oder möchtest Du noch ein Bad nehmen? Die Wanderung war sicherlich schweißtreibend.”

Einen Augenblick stand blanke Sehnsucht in den Augen der Blinden. Sie seufzte. “Eine Schüssel und eine Kanne warmes Wasser wären wundervoll, Edle Dame. Von Herzen gerne!”

“Ich meinte schon ein Bad, nicht nur eine Wasserschüssel”, wiederholte die Angroschna ihr Angebot, “Für mich allein?” Ungläubig staunte die Menschfrau Murla an. “Das ist viel zu viel des Aufwands, Wohlgeboren!” Sie schlug die Augen nieder. “Und ich würde mich allein nicht zurechtfinden.” bekannte sie mit leiser Stimme. Zu deutlich stand ihr die erfolglose Jagd nach dem Leintuch in der Jagdhütte noch vor Augen - und da war sie nicht einmal allein im Bottich gewesen.

“Natürlich für Dich alleine”, antwortete Murla. “Wir haben hier immer heißes Wasser, da wir einen tiefen Schacht zu Angroschs Schmiede haben und die ist heiß, sehr heiß. Daher macht es keine Umstände. Ich könnte Dich führen oder wenn es Dir lieber ist dann auch Dwarosch - falls er im Moment Zeit für Dich hat.”

Die schlagartige Röte, in die das Gesicht der Menschenfrau getaucht wurde, zeigte der Zwergin, dass deren Ratschlag zum einen ins Schwarze getroffen, zum anderen aber des Pudels Kern lediglich gestreift hatte.

“Ich bin mit allem zufrieden, Edle Dame. Ich müsste schließlich auch wieder zurückkommen. Der Wasserkrug wird vollkommen ausreichen.” “Wenn Du Dir nicht helfen lassen willst, gut, den Krug mit heißem Wasser kannst Du natürlich auch bekommen,” meinte Murla schulterzuckend. Mehr als anbieten und sagen, das es kaum Aufwand machte, konnte sie nicht. Obwohl sie schon gemerkt hatte, wie sehr die junge Boroni ein Bad genießen würde. Nun denn, sie würde ja noch ein paar Tage in Ishna Mur bleiben und aufgeschoben war nicht aufgehoben.

“Soll ich Dich noch zu eurem Zimmer begleiten?” fragte Murla vorsichtig. Nicht, dass dieses Angebot auch zuviel des Guten wäre. “Sehr gerne, Euer Wohlgeboren - habt herzlichen Dank.” stimmte die Boroni zu, der die Aussicht, allein hier zurückgelassen zu werden, merkliches Unbehagen bereitete. In einer Zwergenbinge verlorenzugehen war keine Situation, in die sie geraten wollte. So hakte Murla die so zerbrechlich wirkende Geweihte unter und führte sie dirigierend zurück in die Räume, die sie sich mit Dwarosch teilte. “Ich lasse Dir noch warmes Wasser bringen”, verabschiedete sich Murla.

Einige Atemzüge später klopfte Marmana, Murlas Zofe, an die Tür und brachte einen großen Krug mit heißem Wasser und ein Stück Kernseife. “Soll ich Euch beim waschen zur Hand gehen, Euer Gnaden?” fragte sie nachdem sie beides auf dem Waschtisch abgestellt hatte.

Marbolieb spürte, wie ihre Ohren brannten, als sie abermals wie eine Adelsfrau behandelt wurde. Als wüssten ihre Gastgeber nicht, dass sie nicht mehr als eine einfache Geweihte war. Energisch schüttelte sie den Kopf. “Vielen Dank. Das kann ich alleine.” Mit einer leichten Verbeugung zog sich die junge Zofe wieder zurück.

Marbolieb und Borix

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Nach dem Abendessen zog sich der größte Teil der Gäste noch gemeinsam in das Wohnzimmer des Bergvogtpaares zurück, um gemeinsam noch ein letztes Bier (oder deren mehrere) und ein Pfeifchen zu genießen. Nicht besonders glücklich schien der Hausherr, als er sich stattdessen mit der blinden Boroni in sein Arbeitszimmer zurückzog - und doch war er es, der die Frau an der Hand führte und vorsichtig dirigierte.

“Bitte setzt Euch, Euer Gnaden!” forderte Borix die Geweihte auf und geleitete sie zu einem Sessel. “Murla sagte, dass wir miteinander sprechen sollten.” Er ließ sich gegenüber ebenfalls mit einem Seufzen in einen der bequemen Sessel fallen.

“Ihr habt mich auf der Jagd eingeladen, Euch für ein Gespräch zu besuchen.” Die Boroni faltete ihre Hände auf ihrem Schoß, saß aufrecht und wandte sich in die Richtung Ihres Gastgebers. “Wie Ihr seht, sind wir gekommen.” “Ich freue mich Euch sobald wiederzusehen”, war die galante Antwort des Angroscho. “Schade, dass Ihr Eure kleine Tochter nicht mit dabei habt. Sie war ein Lichtblick auf der Jagd.”

“Ich vermisse sie sehr.” nickte die junge Frau. “Doch eine Reise über Stock und Stein ist nichts für ein kleines Kind. Ich danke Euch für die gastliche Aufnahme in Eurem Haus, Wohlgeboren.”

“Es ist mir eine Freude Freunde meiner Freunde hier begrüßen zu dürfen.” Die Galanterie des Bergvogts war anscheinend uferlos. “Ihr müsst wissen, dass wir hier sehr selten Besuch haben. Wenn einmal ein Händler vorbeikommt, dann bleibt er selten über Nacht und habt wenig Zeit für ein Schwätzchen.” Er lehnte sich zurück und Marbolieb hörte wie sich der Angroscho suchend bewegte. “Ich bin ein schlechter Gastgeber”, fuhr er dann fort. “Ich habe Euch noch nichts zu trinken angeboten oder möchtet Ihr ein Pfeife?”

“Einem Becher Wasser gerne, Wohlgeboren.” Die Boroni wartete ruhig, bis sich der Hausherr einigermaßen behaglich eingerichtet hatte. Sie hatte keine Eile. Und sie war sich gewiss, dass Dwarosch auf sie warten würde - ganz egal, wann sie sich zur Ruhe begeben würde.

Zudem war die Stille der Nacht ein angemessener Rahmen für ein Gespräch, das keine Lauscher benötigte.

Wenige Zeit später hatte sie das gewünschte Getränk auf einem Tisch in Reichweite ihrer Hand, und der Bergvogt hatte ohrenscheinlich wieder Platz genommen. “Wie geht es Euch, Meister Borix?”

“Oh, es ist mir schon schlechter gegangen”, antwortete Borix nachdem er sich eine Pfeife angesteckt hatte und die ersten Kringel geblasen hatte. “Ishna Mur ist ein guter Ort die Gedanken zu befreien und Murla hilft mir dabei.” “Sie ist eine freundliche Frau.” Und eine energische. “Es ist gut, jemanden zu haben, mit dem man seine Gedanken teilen kann.” Nur - reichte dies aus? Nicht so ganz - nicht nach dem, was der alte Zwerg in Nilsitz berichtet hatte. “Ja, das ist sie”, freute sich der Angroscho, “und sie ist weise. Und talentiert.”

Wieder kamen ein paar Kringel aus dem Sessel des Bergvogts. “Könnt Ihr alle Eure Gedanken auch mit Dwarosch teilen?”

Die Geweihte nickte. Nur, dass Dwarosch gewiss bereitwillig zuhören und nach bestem Vermögen unterstützen, aber manches davon schwerlich verstehen würde, da er nun einmal weder ein Mensch noch ein Geweihter war, musste den Bergvogt nicht interessieren. Gewiss war aber, dass er sie aus jeder Situation heraushieven würde, wenn sie Hilfe brauchte - und säße sie auch noch so tief im Schlamassel.

“Es geht aber nicht um Dwarosch und mich.” Setzte sie mit sanfter Stimme an. “Wir sind hier wegen Euch. Und Euren Erlebnissen.” “Ja, so etwas sagte Murla schon”, nickte Borix. “Aber wir könnt Ihr mir da helfen?”

“Ich kann vielen Erinnerungen ihren Schmerz nehmen.” Ruhig und selbstsicher die Stimme der blinden Geweihten. “Und verhindern, dass sie euch weiterhin peinigen.” “Und wie wollt Ihr das machen? Ohne dass sie Euch dann peinigen?”

“Ich finde meine Ruhe im Gebet an den Unergründlichen.” war die gemessene Antwort der jungen Frau. Genau für solche Dinge war sie ausgebildet - und kannte die Wege und Mittel, Liturgien und Gebete, um damit umzugehen.

“Doch dazu müsst Ihr bereit sein, sie mit mir zu teilen.” Sie schwieg einige Augenblicke, lauschte in die aufmerksame Dunkelheit. “Wollt Ihr dies tun?”

“Aber ich teile doch alle meine Sorgen schon mit Murla”, war die zögerliche Antwort Borix. “Sie hilft mir. Und ich weiß nicht, ob ich Euch auch noch damit belasten kann.” “Dafür bin ich hier, Euer Wohlgeboren.” schmunzelte die jungen Boroni. “Dann sagt mir bitte, was ich machen soll.”

“Sprecht mit mir.” Die Stimme der Menschenfrau war warm, ihr Amüsement aber bestenfalls eine entspannte Note, die sehr unterschwellig mitklang. “Erzählt mir von euch. Wie wurdet ihr der, der ihr seid?”

“Wo soll ich denn anfangen?” Borix wirkte gegenüber der Priesterin des so fremden Gottes sehr nervös.”Ich stamme aus Xorlosch, bin dann als Junge nach Albenhus zu Ingerimms Hammer gegangen. Und da bin ich mein Leben lang geblieben. Habe mich vom einfachen Soldat bis zum Hauptmann hochgedient. Obwohl das ja nicht nur mein Verdienst war, wenn alle anderen um einen weg sterben und man übrig bleibt. So steigt man mit der Zeit einfach auf.” Marbolieb nickte mitfühlend. Das Unbehagen des Zwerges sprach deutlich aus seiner Stimme - und seinen Worten. Was aber tun, um den armen Bergvogt sich etwas wohler in ihrer Gegenwart fühlen zu lassen? Zum Glück gab es den tapferen Oberst!

“Und wo habt ihr dann Dwarosch kennengelernt?” “So genau weiß ich das gar nicht mehr”, musste der alte Angroscho verlegen zugeben. “Ich glaube aber, dass es an den Trollpforte war - dort haben wir uns ja oft den Gegner stellen müssen. Und meistens auch gesiegt. Aber es war vermutlich als wir gegen die 1000 Oger zogen. Vermutlich waren Eure Eltern noch nicht geboren.

Ich war bei den Soldaten des Kaisers und er war ein Söldner, der für Gold gegen die Bedrohung zog. Und so habe ich ihn immer wieder gesehen, wenn es große Schlachten zu schlagen gab. Und letztendlich verloren wir uns wieder an der Trollpforte für einige Zeit aus den Augen - aber das war viele Jahre später als wir gegen den Dämonenmeister kämpften. Wenn wir uns sahen, war er immer wie ein großer, älterer Bruder für mich und nicht wie zuletzt gegen Haffax sogar mein Vorgesetzter.”

Marbolieb schwieg daraufhin. Ein Heerzug war ein ungeheures Durcheinander. Man traf viele Menschen. Sehr viele. In ihrem Fall indes die allermeisten nur einmal. “Ihr habt sicher nicht zu jedem Kampfgefährten eine solche Bindung. Weshalb ausgerechnet zu ihm?” Was ihr vielleicht einen Schritt darin weiterhelfen würde, ihr Gegenüber zu verstehen.

Traurig kam langsam die Antwort: “Weil er einer der wenigen ist, der diese ganzen Gemetzel überlebt hat. Fast alle anderen sind nicht zurückgekommen. Und es waren mehr, viel mehr als die die wiederkamen.”

Die kleine Geweihte nickte nachdenklich. “Ihr hadert damit, so viele Freunde verloren zu haben?” Um so mehr zumindest klammerte er sich an den Verbliebenen.

“Ich hadere mit dem Unsinn des Krieges”, antwortete der alte Hauptmann. “Ich habe gelernt zu töten. Ich habe getötet. Aber die Jahre haben mir gezeigt, dass das Morden nicht nur das Böse besiegt, sondern auch Lücken in das Gute schlägt. Lücken, die niemand wieder schließen kann. Irgendwann habe ich erkannt, dass es nicht richtig sein kann zu töten.”

Eine Pause, ein paar hektische Züge an der Pfeife, dann fuhr er mit einem Seufzen fort: “Aber ich habe nichts anderes gelernt.”

“Dennoch habt ihr es jetzt aufgegeben und macht etwas anderes.” Eine Feststellung, keine Frage. “Wenn Ihr jede Nacht das Blut und die Gesichter der Toten - egal ob Freund ob Feind - vor Euch gesehen hättet und ihre Schreie gehört hättet, dann hättet Ihr auch nach einem Ausweg gesucht.” Wieder ein paar heftige Züge der Pfeife Borix’. Dann kurz Stille.

“Und doch mache ich noch das gleiche. Ich bilde für Dwarosch seine Gebirgsjäger aus, ich habe meine Wachen gedrillt.”

“Und ihr seht die Gesichter der Toten noch?” Wenig störten diese neue Tätigkeiten - und gleich war es ihnen, ob ein Krieger sich nun als Bergvogt versuchte - oder auf sonst eine Art und Weise versuchte, ihnen zu entfliehen. “Weniger oft als früher”, nachdenklich und zögerlich kam die Antwort des Bergvogtes,”aber sie sind noch da. Nicht mehr jedes Mal, wenn ich die Augen schließe. Nicht mehr jede Nacht.”

“Wie oft denn noch?” Gespannte Aufmerksamkeit stand in der Miene der jungen Frau, als sie die Informationen Borix aufsaugte, die sich nur nach und nach zu einem Bild zusammenfanden.

Wieder waren eine zeitlang nur die Atemzüge des Angrosch und die Geräusche der Pfeife zu hören, dann sprach er langsam und bedächtig. “Es kommt darauf an wie ich mich fühle,” begann Borix. “manchmal bleiben sie eine ganze Woche weg, dann kommen sie manchmal jede Nacht wieder. Aber länger als zwei Wochen bleiben sie nicht aus.”

“Das ist nicht wenig.” Die Boroni neigte nachdenklich den Kopf.

“Wie steht ihr zu den Zwölfgöttern?” setzte sie scheinbar zusammenhanglos hinterher.

“Die Zwölfe sind Eure Götter, nicht meine”, war die konservative Antwort des Erzzwergs.

“Wärt ihr damit einverstanden, dass ich die Kraft meines Gottes einsetze, um euch Erleichterung zu verschaffen?” “Wenn es Euch nicht stört, dass ich nicht an Euren Gott glaube”, war die Antwort des Angroscho. “Ich habe schon viel mit Menschen während meines Lebens zu tun gehabt und ich weiß, dass sie an Ihre Götter glauben und dass dieser Glauben auch etwas bewirken kann.”

“Die Frage ist: macht es euch etwas aus, wenn ich für euch bete?” Sehr sanft war die Stimme der jungen Frau, gewürzt mit nur einer Prise Neugier. “Würdet ihr mit mir beten?” “Es macht mir nichts aus, wenn Ihr betet”, antwortet Borix vorsichtig. “Wenn Ihr glaubt, dass es Euch unterstützt, dass ich mitbete - auch wenn ich nicht an Euren Gott glaube - dann werde ich Euch helfen.”

Marbolieb nickte zufrieden. Wenn der Bergvogt damit einverstanden war, den Segen ihres Gottes anzunehmen, würde sie wiederum für ihn bitten können. Mehr verlangte - und benötigte - sie nicht.

“Wenn ihr mir noch mehr zu euren Heimsuchungen erzählen könnt, so tut dies bitte. Danach werde ich mit euch zusammen meinen Herrn um eine ruhige Nacht und einen friedvollen Geist für euch bitten. Heute - ebenso wie in den nächsten Nächten.”

Das sollte reichen, die Traumgesichter für eine Weile zu bannen. Und sobald der Zwerg etwas mehr Vertrauen zu ihr gefasst, und seinen Frieden in ihrer Gegenwart gefunden hatte, würde sie daran gehen, an den Grundlagen seiner Heimsuchung zu arbeiten, diese zu mildern und ihm Werkzeuge zu geben, die Kontrolle über sie zu erlangen.

“Ich sehe Bilder, Gesichter der Toten, meiner Kameraden und der Gegner, ich höre ihre Schreie. Und wate durch das Blut bis zu den Knien.” “Und es sind immer die gleichen Träume? Oder erfahrt ihr Abweichungen?”

“Es sind immer diese Gesichter, nicht immer die gleichen. Dazu waren es in den langen Jahren zu viele.” “Wir werden uns von ihnen allen verabschieden müssen, damit sie gehen können - und nicht mehr in Euren Träumen verharren. Das werden wir gemeinsam tun.” Sie erhob sich ungelenk aus ihrem Stuhl. “Gebt mir Eure Hände und lasst uns gemeinsam beten.” Die Geweihte überlegte einen Augenblick, und ergänzte dann um die Erläuterung für den in derlei Dingen gewiss unerfahrenen Zwergen: “Ihr mögt gerne sitzen bleiben.”

“Wenn Ihr steht, dann stehe ich auch und bleibe nicht sitzen!” erwiderte Borix, stellte sich ebenfalls hin und reichte Marbolieb seine Hände. Die fühlten sich fest, hart, schwellig und im Moment leicht verschwitzt an.

Die schüttelte leicht den Kopf, ein leises Lächeln auf ihren hübschen Zügen. “Setzt euch, bitte - oder kniet nieder, wenn euch dies lieber ist.” “Wie Ihr es am besten braucht”, antwortet der Angroscho und kniete sich vor der Geweihten hin.

Diese nahm seine Hände in ihre und betrachtete ihn lange und nachdenklich aus ihren blinden Augen. Auch wenn ihr Fokus irgendwo über Borix Scheitel lag.

Es wurde still. Unheimlich still.

Bis selbst das Knacken der Scheiter im Kamin einen Atemzug oder zwei verstummte und die Schatten in den Ecken länger wurden.

“Bishdariel, in deiner Obhut sei sein Geist in dieser Nacht. Behüte ihn vor schlechten Träumen und den Gespenstern der Vergangenheit.” Die Flammen im Kamin selbst schienen innezuhalten und sprachen von der Kühle und dem Schweigen der Nacht, irgendwo draußen, außerhalb des Berges, das nichtsdestotrotz seine Flügel um Dere geschlungen hatte, in einem Griff aus Schatten und Flaum, leicht - und doch ebenso unentrinnbar wie die Zeit, die einem jeden der Geschöpfe zugemessen war, manchen mehr, manchen geringer, und doch ein jedes Mal endlich. “Es sei.”

Borix hörte nur das kurze Gebet der Geweihten, dann die Stille, die hörbar über sie fiel. Dann nichts mehr. War die Geweihte schon fertig? Musste er jetzt etwas tun oder sagen? Borix wusste nicht, was von ihm erwartet wurde als blieb er stumm knien. Marbolieb würde ihm schon sagen, wenn er etwas tun müsste.

Die Geweihte ließ sich Zeit, einige Dutzend Herzschläge, ehe sie nickte und mit einer Stimme, die nicht lauter war als das Rascheln von Federn, flüsterte. “Steht auf.”

Auf ihren Zügen lag ein abwesendes Lächeln, ihr Blick irgendwohin gerichtet, wo Borix ihr beim allerbesten Willen nicht zu folgen vermochte. “Diese Nacht werdet Ihr tief und erholsam schlafen.” versprach sie.

“Ich danke Euch, Euer Gnaden”, sagte Borix während er sich erhob. “Das war sehr nett von Euch. Wie kann ich es Euch vergelten?” Die Geweihte schüttelte sanft den Kopf. “Das ist meine Aufgabe, Herr Bergvogt. Und ich bin Euch zu Dank verpflichtet für Eure Großmut.” Was ein Stichwort war. “Könntet Ihr mich bitte zu Dwarosch zurückbringen?

“Ich werde Euch wenn Ihr uns verlasst etwas für den Herrn der Nacht mitgeben.” meinte Borix ein wenig betroffen davon, dass die Geweihte für ihre Arbeit keine Gegenleistung verlangte. “Selbstverständlich geleite ich Euch zu Euren Zimmern. Wenn Ihr mir Eure Hand reichen wollt.”

Vorsichtig führte der Bergvogt die Boroni aus dem großen Arbeitszimmer durch die leeren, hallenden Flure zurück zu den Gästezimmer. “Ich wünsche Euch auch eine gute Nacht, Euer Gnaden!” verabschiedete er sich von Marbolieb.

Nachtruhe unter dem Berg

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Stille war eingekehrt im Gästetrakt der Bergwacht. Menschen und Angroschim hatten sich inzwischen zur Ruhe begeben, um die erste Nacht in Ishna Mur zu begehen, als ein leises, aber dennoch nachdrückliches Klopfen die Ruhe auf dem Gang zerriss.

Es war der Oberst, der an der massiven Holztür des jungen Angroschgeweihten Grimmgasch klopfte. Grimmgasch hatte sich am Nachmittag in seinen Zimmern aufgehalten und war auch bei Abendessen eher mürrisch und abweisend gewesen. Marbolieb hatte er höflich aber distanziert gegrüßt, den Oberst aber gemieden. Nach dem Essen war er auch sofort wieder verschwunden.

Ein zögerliches “Ja, herein!” war die Antwort auf das Klopfen. Ohne zu Zögern trat Dwarosch ein und suchte Augenkontakt zum jungen Priester, der sichtlich überrascht war über diesen Besucher. Die Tür hinter sich zog der Oberst ohne hinzusehen ins Schloss. Seine Miene war ernst, ja verriet sogar ein gewisses Maß an Anspannung.

“Ich denke wir sollten versuchen, die Differenzen zwischen uns auszuräumen.” Der Oberst zögerte. “Das heißt wenn Ihr bereit seid meine Entscheidung mit einem Menschen zusammenzuleben in irgendeiner Weise akzeptieren könnt.” Beschwichtigend hob Dwarosch die Hände, noch bevor Grimmgasch etwas entgegnen konnte. “Ich fordere nicht Euren Segen, das würde ich mir niemals Anmaßen. Ich möchte nur, dass Ihr versteht - begreift, dass das Leben abseits der uns schützenden Berge nicht so einfach ist, dass man es auf schwarz und weiß herunterbrechen kann.”

Dass der nach außen so stark und unanfechtbar auftretende Oberst jetzt in der Nacht zu ihm käme und um etwas bitten würde, damit hatte Grimmgasch nicht gerechnet und war auch sehr überrascht. Um etwas Zeit zu gewinnen und sich eine passende Antwort zu überlegen, bot er dem Älteren erst einmal mit einer beiläufigen Geste an in einem der Sessel Platz zu nehmen. Langsam und mit der Würde die sein langes Nachtgewand zuließ, setzte er sich in den anderen.

“Ich war gerade dabei die Ereignisse des Tages niederzuschreiben”, begann der junge Angroscho und wies auf das kleine Büchlein in das er auch schon auf der Reise gelegentlich Notizen gemacht hatte. Nachdenklich blickte er auf die Rogolan-Runen mit denen er die letzten Seiten vollgeschrieben hatte, dann straffte er sich in seinem Sessel und blickte mit seinen schwarzen Augen Dwarosch ernst an.

“Überall in Aventurien leben Angroschim und Gigrim zusammen”, begann er. “Zusammen in einer Stadt, einem Ort oder sie arbeiten auch zusammen. Das ist ein Leben des Austauschs von Wissen und Werten und dieses Leben ist dem Weltenschöpfer wohlgefällig. Aber das Zusammenleben, dass Ihr mit Schwester Marbolieb meint, ist etwas anderes. Etwas …”

Grimmgasch machte eine Pause in der Rede, um die Worte die er sagen wollte wohl abzuwägen. “... anderes.

Während der Reise konnte ich mit Schwester Marbolieb einige Gedanken austauschen und habe festgestellt, dass sie weise und sicherlich auch freundlich ist, aber es ist nicht nur das Wesen und ihren Geist, den Ihr wollt.

Und da lehrt uns die Geschichte, dass es noch nie Kinder in einer Verbindung zwischen den Gigrim und den Angroschim gab. Es gibt auch keine Nachkommen zwischen den Bunferatosch und den Angroschim, wohl aber zwischen diesen und den Gigrim.” Wieder machte er eine Pause um seine Gedanken ins Lot zu bringen. “Sollte das nicht ein Zeichen Angroschs sein, dass er diese Art von Verbindungen nicht gerne sieht?”

Dwarosch nickte sachte bevor er zu einer Antwort ansetzte. “Ja, da mögt ihr recht haben. In diesem Punkt kann und will ich euch nicht widersprechen.”

Der Oberst holte tief Luft. “Ich bin über einhundertsechzig Jahre alt und habe mehr als die Hälfte dieser Zeit als Söldner in der Fremde verbracht. Fünf Jahrzehnte diente ich Albrax, unseren amtierenden Hochkönig. Ich habe mein Leben dutzende Male im Kampf riskiert und irgendwann dachte ich mich könnte nichts mehr schockieren, ich habe alles gesehen, erlebt und niemand könnte mich besiegen. Dann aber kehrte Borbarad zurück.”

Dwaroschs Stimme wurde plötzlich leise und tonlos, die Leidenschaft wich abrupt. Er senkte den Kopf und blickte zu Boden. “Ich habe an der Trollpforte gekämpft, Grimmgasch. Ich sah Horden von Untoten, Chimären und Dämonen, sah den verfluchten Kaiserdrachen Rhazzazzor. Ich habe langjährige Kameraden links und rechts von mir sterben und sich wieder erheben sehen. Ich musste ihnen die Köpfe abhacken, weil sie mich mit leeren Augen anstarrten und angriffen.

Der Sieg in jener Schlacht war für keinen derjenigen ein Triumph der dort gefochten hat. Niemand der dort war wird es je vergessen. Doch eines habe ich gelernt. Zumindest kann ich euch eine klare Antwort auf die Meinung Angroschs zu mir und Marbolieb geben.” Dwarosch hob den Kopf und blickte Grimmgasch aus blutunterlaufenen Augen an. “Götter, die etwas derartiges zulassen, müssen auch ertragen, dass ein Angroscho mit einem Menschen zusammenlebt.”

“Der Plan des Weltschöpfers ist geschrieben und auch wenn er nicht für uns erkennbar ist, so passiert nichts ohne Grund”, war die Antwort Grimmgaschs, er selbst kannte Borbarad und die Folgen seiner Wiedererweckung nur aus Geschichten - aber nichts desto Trotz konnte er das Grauen, das Dwarosch und viele andere miterlebt hatten, nachvollziehen. “Wenn das allmächtige Väterchen diesen Plan aufgestellt hat uns zu prüfen, dann müssen wir nur noch fester zusammenstehen. Denn wenn wir die Prüfung bestehen, dann wir er uns dafür belohnen. Und denkt an die Worte Väterchen Albrax, der uns eine neue glorreiche Zeit verheißen hat!” Dann kam er wieder auf das eigentliche Anliegen des Oberst zurück.

“Ich bin nur ein einfacher Diener des Allmächtigen, mir steht es nicht zu ein Urteil über Euch und Schwester Marbolieb zu sprechen, das wäre doch zu sehr anmaßend. Aber es ist wie ich dargelegt habe, sehr befremdlich. Und ich bin bestimmt nicht der einzige, der so denkt!”

Wieder trat eine dieser für Grimmgasch typischen Pausen ein, dann fuhr er in versöhnlichem Ton fort: “Vielleicht gehört auch dieses zu den Plänen Angrosch für die neue Zeit. Und da er diese Welt in ihrer Vollendung geplant hat, seid Ihr und Schwester Marbolieb ein Teil dieses Plans.”

Wieder nickte Dwarosch. “Marbolieb schenkte mir wieder einen Lebenswillen.” Seine Stimme war jetzt ruhig, fast sanft. Auch er wollte versöhnlich klingen. “Nach der Dämonenschlacht ließ ich mich von Albrax ehrenvoll aus den Korknaben entlassen und kehrte ich als gebrochener Mann zurück nach Senalosch. Ich trug die Saat eines der Widersacher der Götter in mir. Ich hatte jedweden Antrieb verloren, war mir selbst fremd, hatte Todessehnsucht.

Ich schloss mich als freier Mann, als einfacher Soldat dem Heerzug gen Mendena an weil ich im inneren das Verlangen hatte zu sterben, Grimmgasch. Es sollte endlich enden. Das was aber anstelle dessen geschah war die Befreiung. Sie - Marbolieb und ihr Gott - erlösten mich. Sie gab mir Hoffnung, inneren Frieden und damit meine Stärke zurück. Wenn es einen Plan gibt, der mich mit einschließt, so ist es nicht nur der Allvater, der hier seine Finger im Spiel hat.

Mehr noch, und du wirst mich für verrückt erklären. Ich verlor meine Schildhand an einen Dämon, der das Lazarett an der Tesralschlaufe angriff. Ich lag im Fieber nach dem Kampf und sah mich schon in den Hallen meiner Väter. Ich war an der Schwelle des Todes. Ich bat den Allvater mich zurückzuschicken, weil meine Aufgabe noch nicht erfüllt sei, ich wusste, dass all das, mein bisheriges Leben einen Grund haben musste.

Eine hohe Priesterin der Peraine, Ivetta von Leihenhof, rettete nicht nur mein Leben, ihre Göttin, aber wohl auch ihre Magie retteten darüber hinaus sogar meine Hand.” Dwarosch schob das einfache Wollhemd am Ärmel seiner Linken hoch und präsentierte die intakte Hand.

“Grimmgasch - das Leben da draußen ist so viel mehr als das, was man uns als Kinder erzählt. Ich sage nicht, dass es falsch ist. Oh nein, ich sage öffne deine Augen und versuche zu verstehen, bevor du etwas ablehnst, nur weil es vermeintlich deinem Glauben widerspricht.”

“Es gibt nur einen Weltenschöpfer”, begann er die Lehren der Kirche zu rezitieren, “dieser hat alles erschaffen und geplant. Alles was seine Schöpfung in Frage stellt ist die Versuchung des Drachen! Und die Zwölf, die die Großlinge als ihre Götter anbeten sind nur für sie da. Sie kamen mit ihnen und werden auch mit ihnen gehen. Das Allmächtige Väterchen hingegeben wird bleiben und mit uns und an uns seinen Plan erfüllen!”

Dwarosch seufzte schwer. Die sture Wiedergabe der Lehren der Angroschkirche hatte er nicht als Antwort erhofft. Dennoch nickte und lächelte der Oberst, als er sich erhob und zur Tür schritt.

“In meinem Innersten hoffe ich, dass du recht behältst, Grimmgasch. Allein Vertrauen darin habe ich nach all dem, dessen ich ansichtig wurde, nicht mehr. Für mich ist die Welt da draußen bedeutend komplexer. Das schließt die Götter mit ein.”

Dwarosch öffnete die Tür. “Möge der Allvater dich stets in deinem Glauben bestärken. Gute Nacht.”

“Euch auch eine gute Nacht!” antwortet Grimmgasch. “Und möget auch Ihr den Glauben Eurer Ahnen wiederfinden!” Der Oberst brummelte noch etwas in seinen Bart, bevor die Tür von außen geschlossen wurde, dies aber konnte der Geweihte nicht mehr verstehen.

Der nächste Morgen

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Beim Frühstück versammelten sich alle wieder in der großen Halle. Erneut war in der Mitte der Halle ein Tisch für elf Personen gedeckt, doch einer fehlte.

Lagorasch hatte die Bergwacht bereits bei Nacht verlassen. Der junge Geode konnte die ihn beengenden Hallen unter dem Berg nicht ertragen und war unter den freien Himmel zurückgekehrt, freilich nicht ohne sich bei dem Wachen am Tor zu verabschieden und seinem Gastgeber einen Dank auszusprechen. Die Anderen empfing der Geruch von frischem, warmen Brot. Auf dem Tisch dampften noch einige Kannen mit warmem Tee, daneben standen auch Krüge mit Schafsmilch und Bier. In den Schalen waren gekochte Eier, Käse und Wurst zu finden.

Argmin hatte wunderbar geschlafen. Eine Nacht unter Tage war immer wieder etwas besonderes. Auch wenn die Essen und Schmieden in den Tiefen der Berge nicht stillstanden, so herrschte doch des Nachts eine einzigartige Stille. Diese war anfangs gewöhnungsbedürftig, doch war als Gast bei den Angroschim schlafen durfte, konnte lernen, hier so tief zu schlafen, wie es sonst nur die Kinder können, behütet im Schoße ihrer Mutter. Und vor allem hier, in diesen alten Stollen und Kavernen von Ishna Mur, deren Geschichte weit in die Vergangenheit zurückreichte, war es von einer fast greifbaren Besonderheit.

Er freute sich auf dieses auf das Frühstück mit den anderen und hoffte, dass die getrübte Stimmung von gestern sich wieder gelegt hatte. Beim Einschlafen hatte er viel über ihre Reise nachgedacht. Der Disput über die Auslegung der göttlichen Prinzipien und dem Folgen der himmlischen Gebote schien sie von Anfang an zu begleiten. Und dann Borindarax‘ Plan, die Binge den Menschen für Notfälle zugänglich zu machen und Borix‘ Worte über eine Sperrzone für Menschen. Die Angroschim verwunderten ihn immer wieder aufs Neue.

“Meister Borix, Frau Murla - ich wünsche Euch einen guten Morgen.” Der junge Novize nickte seinen Gastgebern zu. “Auch Euch einen guten Morgen”, wandte er sich an die Gefährten.

Grimmgasch erwiderte den fröhlichen Gruß seines Reisegefährten nur mit einem mürrischen Brummen und wurde damit der elfischen Bezeichnung für die Angroschim nur mehr als gerecht.

Auch der Vogt und sein ständiger Begleiter erschienen früh am Morgen in der großen Halle. Borindarax war gut gelaunt wie zumeist und erwiderte den Gruß der Götterdiener mit einem, “auf das uns Simia auch heute neue Ideen eingeben möge, um sie und uns zu erfreuen.” Der notorische Frühaufsteher genoss die der ersten Stunden des Tages daheim entweder an seinem Schreibtisch, oder bei einem Rundgang durch seine Gießereien. Boindil hingegen bekam die Zähne noch nicht auseinander und nickte nur in alle Richtungen zur Begrüßung. Ein Charakterzug, der denjenigen, die ihn bereits auf der Reise nach Ishna Mur kennengelernt hatte wenig überraschte. Der Leibwächter schien zwar nicht unausgeschlafen, aber durchaus maulfaul.

Marbolieb und der Sohn des Dwalin erschienen einige Zeit später. Die Geweihte kam wie nicht anders zu erwarten am Arm des Oberst in die Halle. Dwarosch lächelte und begrüßte jeden einzelnen, wobei er etwas steif und förmlich klang, als er sich Grimmgasch zuwandte. Der Moment jedoch war rasch verflogen, als der Oberst Marbolieb half ihren Platz einzunehmen.

Die Boroni lächelte dankbar und wandte sich mit einem “Guten Morgen werte Herrschaften.” etwas vage an die Versammelten. Kurz strichen ihre Finger über die Pranke des Oberst, ehe sie neugierig nach Geschirr und Becher tastete und hungrig schnupperte, aus was das Morgenmahl wohl bestände. Ein gewisses Element der Überraschung war in einem zwergischen Haushalt immer vorhanden - einmal hatte ihr Topaxandrina eine würzige Pilzsuppe mit gebackenem irgendwas serviert, dessen genaue Natur sie bis heute nicht entziffert hatte. Auf ihre Nachfrage war ihr verlegenes Lachen und eine ausweichende Antwort begegnet - nicht, dass es nicht lecker geschmeckt hatte … .

Borix und Murla, sowie die beiden Söhne, hatten neben dem Tisch gewartet, dass die Gäste erschienen und sich erst nach der Begrüßung gesetzt. Jetzt winkte der Bergvogt und der Kammerdiener und die Zofe kamen mit weiteren Schalen voller dampfendem Rührei und knusprig gebratenem Speck herbei geeilt. “Vielen Dank für den Wunsch, Meister Argmin”, grüßte Murla. “Euch und allen anderen einen schönen Morgen. Bitte langt zu sonst wird es nur kalt.”

Borix meinte nur lakonisch: “Sie hat schon alles gesagt! Guten Morgen und guten Appetit!” Als alle sich die Teller aufgefüllt hatten, fragte Murla. die neben ihr sitzende Marbolieb: “Was kann ich Dir heute früh servieren?” Da Murla sich höchstselbst um die Frau an seiner Seite kümmerte, langte Dwarosch beherzt zu. Er schien einen Bärenhunger zu haben, was man der Portion auf seinem Teller deutlich entnehmen konnte. Dabei störte den Oberst auch der amüsiert tadelnde Blick Borindaraxs nicht, der zunächst zum dampfendem Tee griff, bevor er sich langsam dem Essen zuwandte. Ja, fast konnte man meinen Dwarosch ignorierte den Vogt von Nilsitz in jenem Moment, wie zwei langjährige Freunde - oder ein altes Ehepaar, die schon sehr lange unter einem Dach hausten.

“Könnte ich einen Tee haben?” fragte die Boroni ihre Gastgeberin vorsichtig. “Was habt Ihr zu Essen hier, Frau Murla?” Wirklich wohl war ihr angesichts der Aufmerksamkeit merklich nicht, auch wenn ihr vernehmlich der Magen knurrte. Murla füllte Marboliebs Tasse mit der warmen nach Kräuter duftenden Flüssigkeit und stellte es neben ihre Hand. Dann zählte sie die Speisen auf dem Tisch auf: “Brot, gekochte Eier, Rührei, gebratenen Speck. Wurst, ein paar verschiedene Sorten, von denen ich Dir ein oder zwei nicht empfehlen würde. Dann noch gekochte Früchte, Schafskäse, Quark. Ich hoffe, es ist etwas passendes für Dich dabei.”

“Oh.” Begeistert leuchteten die Augen der jungen Frau auf. Sie grub überlegend ihre Zähne in die Unterlippe. “Darf ich ein gekochtes Ei und Brot haben?” Marbolieb fügte mit vorsichtiger Stimme hinzu: “Und vielleicht Quark und Früchte?” Die Hoffnung, nicht allzu unverschämt zu erscheinen, schwang merklich in ihrer Stimme mit. Nachdem Marbolieb ihre Wünsche geäußert hatte, begann Murla den Teller der Geweihten mit den gewünschten Speisen zu beladen und das tat sie ordentlich. “Ich glaube, ich habe alles auf den Teller, was Du Dir gewünscht hast”, sagt sie und stellte ihr den Teller auf den Platz. “Guten Appetit!” “Ich danke Euch.” Erwartungsvoll schnupperte die junge Frau an den Teller, tastete nach dem Essen und begann, dem Berg energisch und mit strahlendem Gesicht, das äußerst deutlich erzählte, wie schmackhaft das Mahl war, zu Leibe zu rücken.

Der Teller gefüllt mit frischen Rührei und drei Scheiben gebratenem Speck, die Butter, die auf dem noch warmen Brot zerfloss, einen Krug gefüllt mit würzigem Tee, Käse und Hartwurst – ein Frühstück eines Fürsten würdig. Argmin war es gewohnt seinen Magen morgens nicht zu sehr zu füllen, machte das doch träge und schwerfällig für den Tag, doch es wäre unhöflich seinen Gastgebern gegenüber gewesen. So zumindest redete er es sich ein, denn in Wahrheit schmeckte es einfach vorzüglich.

Er blickte zu Marbolieb. Das Gesicht der jungen Frau erschien ihm heute von wie von einem fernen Glühen erfüllt und ein dezentes Lächeln schien um ihre Mundwinkel zu spielen, wie der Nachhall an eine schöne Erinnerung. So hatte er sie ihre ganze Reise bisher nicht gesehen. Sein Blick wanderte von Oberst Dwarosch zu dem gefüllten Teller und wieder zurück zu dem Zwerg. Einer von beiden – oder beide – machte die Boroni gerade glücklich.

Nachdem der erste Hunger des Tages gestillt war und er die wunderbare Melange der Mahlzeit mit einem Schluck des Kräutertees hinunterschluckte, suchte er den Blick von Borindarax und wandte sich an den Vogt. „Ich kam gestern nicht umhin, Dein Gespräch mit Meister Borix zu hören. Oberst Dwarosch und du planen Ishna Mur für Menschen zu öffnen in Notzeiten?“

Der Vogt nickte und zeigte ein erfreutes Lächeln, kaute aber noch zu Ende und setzte erst zu einer Erwiderung an, als er seinen Mund geleert hatte. “Das ist richtig Argmin.” Borindarax blickte kurz zum Oberst, dann fuhr er fort.

“Dwarosch und ich haben einige Pläne für die Zukunft. Dinge, die wir gemeinsam anstoßen und umsetzen wollen. Beide sind wir der Ansicht, dass mit unseren Ämter auch eine große Verantwortung einhergeht, eine Verantwortung die uns gegebenen Kompetenzen zum positiven zu nutzen. Zusätzlich eint uns der Wunsch nach Sicherheit für unser Volk, aber wir streben auch nach neuer Größe - Senalosch wächst und floriert, der Eisenwald tut es. Doch wir wollen auch Teil eurer Welt sein, denn eines ist klar - die Angroschim von von Isnatosch haben nicht vor sich dauerhaft in ihre Berge zu verkriechen.” Borax lachte verhalten.

“Nein, wir wollen teilhaben. Ich habe deswegen schon vor längerem ein Diskussionsforum einberufen, dass mittlerweile unter dem Namen ‘Eiserner Bund vom Isenhag’ regelmäßig zusammenfindet, um über die Zukunft unserer Heimat zu philosophieren. Darin geht es auch um Politik, Außenpolitik.

Die Große Jagd von Nilsitz war eine Art erste Offensive, Bekanntschaften wurden geschlossen, Kontakte geknüpft. Man hat uns wahrgenommen, nicht mehr nur als außenstehende Bartmurmler, sondern als eine eigenständige, geschlossene Partei, die mitreden möchte - so hoffe ich zumindest. Und jetzt”, der Vogt hob den Zeigefinger- eine Geste, die ihn selbst zu amüsieren schien. “Jetzt schließe ich den Kreis.

Ja Argmin, mir geht es um die Menschen, die jeden Winter drohen zu verhungern, oder zu erfrieren, obwohl wir Angroschim ihn Unterschlupf bieten könnten in den Zeiten der Not, es aber bisher nicht getan haben, weil wir lieber Gründe gesucht haben es nicht zu tun - abseits von allen Sicherheitsbedenken versteht sich. Eine Alternative gibt es meiner Meinung nach immer, der Wachturm von Ishna Mur ist ein gutes Beispiel dafür, die Kasernen des Kortempels von Senalosch ein anderes.

Du solltest dabei aber auch das größere Ganze sehen, wie angedeutet. Ich bin ein Anhänger einer offeneren Politik, weniger Protektionismus, mehr Zusammenarbeit, mehr Mitsprache für uns in Elenvina. Das gehört alles zusammen. Nicht umsonst vertrete ich unseren Grafen ab und an bei Konsultationen.” Borindarax sah wieder zum Oberst, der dem Monolog des Vogts gefolgt war, sich aber aufgrund seines vollen Tellers mit einem Kommentar zurückgehalten hatte. “Dwarosch”, setzte Borax neu an, “war … ist ein Mann des Kriegshandwerks, jedoch ist ihm auf dem vergangenen Feldzug mehr als ein göttliches Wunder widerfahren. Ihm stehen sowohl die Aspekte des Schweigsamen, wie die der Hüterin des Lebens näher, als dies bei einem Angroscho für gewöhnlich der Fall ist. Ich selbst zähle mich zu den Anhängern Simias, die in unserem Glauben die Tochter von Angrosch und Tsa ist und für Erfindungsreichtum, aber auch Erneuerung steht.”

Der Vogt seufzte plötzlich unvermittelt und schüttelte den Kopf über sich selbst. “Aber jetzt habe ich schon wieder viel zu viel geredet und viel zu weit ausgeholt, dabei hast du eine ganz simple Frage gestellt.

Eine Feststellung, die Dwarosch mit vollem Mund auflachen ließ. Ganz offensichtlich teilte der Oberst diese Meinung.

Als Grimmgasch hörte, dass auch der Vogt in der Zwischenzeit andere Götter respektive Halbgötter anbetete, wollte er fast schon wieder seinen Protest kundtun. Da er aber noch den Mund mit einigen Stücken des warmen Rühreis voll hatte, konnte er ohne unschicklich zu wirken nichts sagen. Und als er dann runtergeschluckt hatte, hatte er auch mit dem Ei seine Empörung geschluckt. Er musste unbedingt mit seinem Mentor sprechen.

“Habt Ihr wohl geschlafen, Herr Borix?” erkundigte sich Marbolieb, als einen Augenblick lang so etwas wie Ruhe am Frühstückstisch eingekehrt war und sie sich sicher war, ihre Frage stellen zu können, ohne die Stimme erheben zu müssen. “Oh, ja, tief und fest”, war die erlöste Antwort des Bergvogts. “Wie es sich für einen Angroscho gehört.” “Und geschnarcht hat er als wolle er alle Drachen aus Dere verjagen”, fügt Murla mit einem Schmunzeln hinzu.

“Sehr schön.” Die Borongeweihte hob den Kopf in Richtung ihres Gastgebers. “Unterhalten wir uns heute Abend.” Sie schmunzelte in ihren Teller. “Ich freue mich darauf”, meinte Borix erfreut. “Wenn Ihr die Zeit erübrigen könnt, dann bin ich bereit.”

Marbolieb nickte erfreut, ehe sie mit einem Lächeln in den Mundwinkeln sich wieder dem überaus leckeren Frühstück widmete.

Nach dem Frühstück

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“Bruder Grimmgasch.” Irgendwo im Raum musste er sein - seine Unzufriedenheit beim Frühstück war deutlich zu spüren gewesen, auch wenn ihr Bruder im Glauben kein Wort dazu sprach. “Auf ein Wort?”

Aus der Marbolieb gegenüberliegenden Ecke des Tisches kam erst ein unwirsches Brummen, gefolgt von einem: “Wenn Ihr es wünscht, Schwester Marbolieb.”

“Gehen wir einige Schritte?” fragte die Boroni sanft. Es war nicht ihre Absicht, den bedauernswerten Geweihten noch mehr aufzubringen - gestern Nacht schienen die Gemüter sehr blank gelegen zu haben, wenn sie den Zustand, in dem der Oberst zurückkam, einigermaßen richtig einzuschätzen wusste.

“Wenn es der Oberst erlaubt!” Scheinbar war der Angroschpriester immer noch über diese Beziehung erzürnt, am Vortag hätte er sicherlich niemanden um Erlaubnis gefragt, wenn die Boroni ihn zu einem Gespräch gebeten hätte.

“Ich erlaube es, Bruder Grimmgasch.” Ein sanftes Lächeln wärmte die Stimme der Menschenfrau, als sie geduldig antwortete. Marbolieb hörte wie einer der Stühle mit einem leisen Stöhnen beiseite geschoben wurde, dann vernahm sie die Schritte, die sich ihr näherten.

“Soll ich Euch führen?” hörte sie die Stimme des Geweihten nahe an ihrem Ohr. “Bitte.” Mehr sagte die Priesterin nicht, aber das freundliche, etwas gedankenverlorene Lächeln lag immer noch als Abglanz auf ihren schön geschwungenen Lippen.

So nahm Grimmgasch vorsichtig das Handgelenk der Boroni in seine Hand und führte sie hinaus in die weiten Korridore von Ishna Mur. Sorgfältig darauf bedacht, dass die blinde Frau, die einen guten Kopf größer war, nicht stolperte oder sich den Kopf stieß.

“Was möchtet Ihr von mir?” war seine Frage als sie unterwegs waren. “Es stört euch sehr, dass ich bei Dwarosch bin.” Eine Feststellung, keine Frage. “Weshalb, Bruder Grimmgasch?”

“Es stört mich nicht, was Ihr macht”, war Grimmgasch ausweichende Antwort. “Ihr seid eine Menschenfrau. Es ist nicht Angrosch gefällig, was Väterchen Dwarosch macht.”

Stumm gingen die beiden einige Schritte nebeneinander her bis Grimmgasch wieder ansetzte. “Aber Meister Dwarosch hat viel von seinem Glauben verloren.” Eine weitere einige Schritt dauernde Pause. “Und ich glaube nicht, dass er mit Euch an seiner Seite den Glauben seiner Vorväter wiedergewinnt. Er scheint mir genauso verwirrt wie die Brumborim, über die wir uns auf der Hinreise unterhalten haben.”

Die Boroni schwieg eine Weile und bedachte die Worte ihres Fast-Glaubensbruders. “Es widerstrebt euch, was ich mit ihm tue?” forschte sie schließlich nach, und bedachte die Worte einige Schritte lang, ihre Hand in der des Angroschgeweihten warm und ruhig. “Und was ist das genau in Euren Augen, Bruder?”

“Es ist nicht der Wunsch des Allvaters!” stieß der Priester mit leichter Empörung aus. “Es ist eine Verbindung, die nicht gewollt ist! Wäre es Angroschs Wunsch, dass sich sein Volk mit den anderen Völkern Deres verbindet, so wären diese Verbindungen von ihm gesegnet!” Grimmgasch hatte sich wieder schnell in Rage geredet. Nun aber wusste er nicht, wie er einer Frau - zumal noch einer Menschin - dieses Thema direkter sagen konnte.

“Hm.” nickte die Frau. “Wenn Dwarosch mit mir ein Kind zeugen kann, genießt unsere Verbindung Euren Segen? Ansonsten nicht?” “Es ist nicht mein Segen, der Euch verwehrt bleibt”, war die Antwort des Angroschim. “Es ist der Segen des Allvaters, der nicht will, dass sich sein Volk vermischt.”

Allein die Vorstellung auf Zwergelfen oder Menschzwerge löste bei Grimmgasch einen Schauder aus.

“Ich habe Euch auf dieser Reise ein wenig kennengelernt und Ihr seid ein … netter … Vertreter Eurer Rasse.” Grimmgasch versuchte verzweifelt der Boroni seine Beweggründe darzulegen. “Aber Ihr seid keine Angroschna!”

“Das bin ich nicht.” stimmte Marbolieb zu. “Dwarosch und ich werden wohl niemals gemeinsame Kinder haben. Und ihr wünscht nicht, dass sich die Völker mischen. Also gibt es doch nichts, was ihr diesbezüglich befürchten müsst?”

“Wie ich sagte, ich habe nichts gegen Euch und auch nicht gegen Meister Dwarosch”, Grimmgasch merkte, dass Marbolieb ihn nicht verstand oder verstehen wollte. “Aber es ist nicht Angrosch gefällig. Deshalb konnte ich auch Meister Dwarosch als er gestern bei mir war nicht den Segen zu dieser Beziehung geben. Er entfernt sich damit von seinen Wurzeln, er wird … er ist vom rechten Pfad der Angroschglaubens abgekommen. Es ist ein Zweifler und glaubt an Eure Götter. Und er pflegt Umgang mit Euch. Das kann ich als Priester nicht gutheißen.”

“Also stört es euch nicht, dass wir ein Bett teilen - sondern Ihr befürchtet, ich würde den Oberst weiter von Angrosch entfernen?” Grimmgasch nickte stumm. Ihm war für den Moment entgangen, dass die Boroni diese Bewegung nicht sehen konnte.

Sie schwieg einige Augenblicke, darauf bedacht, nicht über ihre eigenen Füße zu stolpern. “Ich beneide Euch, Bruder Grimmgasch.”

Erstaunt blickte Grimmgasch zu der größeren Frau hinauf und fragte dann: “Wie meint Ihr das, Schwester Marbolieb?” “Ihr besitzt ein klares Wissen, was dem Herrn Angrosch wohlgefällig ist - und was nicht. Selbst in solch … raren … Angelegenheiten wie Dwaroschs und meiner.” Sie schwieg einen Augenblick, lauschte in die Stille der Binge und ordnete ihr Gedanken - und Worte.

“Ich kenne die Dinge, die meine Kirche verdammt - und jene, die mein Kult ablehnt, aber ein anderer Kult derselben Kirche akzeptiert. Und ich weiß, was dem Herrn Boron wohlgefällig ist. Doch das schwarze Buch unserer Kirche ist alt - und die Welt ist im Wandel. Es bietet nicht auf alles eine Antwort. Diese werde ich erst erfahren, wenn ich meinem Herrn gegenüberstehe.”

Sie holte tief Luft. “Zuvor werde ich ihm dienen, so gut ich es aus ganzem Herzen vermag. Doch ohne zu wissen, ob dies in letzter Konsequenz genau das ist, was Er wünscht. Wissend, dass ich sterblich bin und fehlgehen kann.”

“Aber auch ich bin sterblich!” antwortete der Geweihte. “Und auch ich kann fehlgehen, aber der Allvater hat diese Welt gebaut und für alles einen Plan erstellt. Daher mag etwas, was uns dummen Sterblichen für einen Fehltritt erscheint in Wahrheit nur ein Teil des Plans des Weltenschöpfers sein. Ihr müsst einfach Vertrauen in Euer Handeln haben!” Er versuchte die Boroni mit diesen Worten, an deren Sinngehalt er von ganzem Herzen und unverrückbar glaubte, zu ermutigen und zu trösten.

Marbolieb seufzte leise und ließ den Kopf hängen. “Ich möchte Euch eine Geschichte erzählen, Bruder.” meinte sie schließlich mit leiser Stimme. Ihre Schritte wurden immer langsamer, bis sie schließlich stehenblieb.

“Ihr kennt das Wirken der Siebtsphärigen und wisst, welchen Einfluss sie auf Menschen und Angroschim ausüben können, nicht wahr?” Grimmgasch nickte wieder, unbewusst, dass er der blinden Geweihten gegenüberstand. Dann besann er sich: “Ja, das ist mir bekannt. Bitte fahrt fort.”

“Auf dem Feldzug gegen Haffax lernte ich einen Angroscho kennen. Dieser trug deutlich das Mal des jenseitigen Mordbrenners. Ein Geschwür auf seinem Geist, das von diesem zehrte und Besitz ergriff - seit vielen Götterläufen schon.” Marbolieb verstummte und wandte sich dem Angroschgeweihten zu, der noch immer stur und zäh und zuverlässig ihr Handgelenk in seinen breiten Fingern hielt - und ihr schon durch den Druck seiner Hand viel von dem erzählte, was ihm soeben durch den Kopf schoss.

“Ja, auch von solchen Entartungen habe ich schon gehört”, entgegnete Grimmgasch und Marbolieb spürte, dass sich nicht nur der Druck seiner Hände unbewusst leicht erhöhte, sondern auch das sich diese vor Erregung wärmten.

“Ob ein Angroscho ein Mitglied der zwölfgöttlichen Gemeinschaft ist oder alleinig ein Kind Angroschs … wie seht ihr das? Hätte ich ihm helfen sollen, wie es meine Aufgabe - und mein Vermögen - für die Gläubigen der Zwölfe ist? Oder sind die Unterschiede zwischen Angrosch und Ingerimm so groß, dass der Angroscho nicht zu schaffen hat mit meiner Kirche, mit dem Segen, den ich spenden kann? Was denkt Ihr, Bruder Grimmgasch?”

“Ich bin nicht so derefremd, wie Ihr zu glauben scheint”, war der Beginn der Antwort des Angroscho. “Ich habe in den Jahre als Novize vieles gesehen und auch die unterschiedlichen Formen unseres Gottes in den verschiedenen Städten beobachtet.” Wieder überlegte der Geweihte die folgenden Worte sehr genau bevor er weitersprach. Marbolieb spürte an dem leichten Kneten seiner Hände, dass er sich nicht leicht damit tat.

“Es gibt in den Tempeln und auch unter der Geweihtenschaft des Allvaters und Ingerimms viele Gemeinsamkeiten, aber auch große Differenzen. Die Priester des Ingerimm sehen ihren Gott als Teil der Zwölfe an, während es aus der Sicht der Angroschim nur einen Gott gibt. Daher sind und können beide nicht eins sein. Denn der Allvater ist nicht ein Teil einer göttlichen Gemeinschaft.”

Damit hatte der Priester den theologischen Standpunkt seiner Kirche klar abgegrenzt. Aber er fuhr versöhnlicher fort: “Was aber die Kräfte die uns Angrosch oder Euch die Zwölfe gegeben haben betrifft, so bestehen in diesen Kräften viele Ähnlichkeiten. Ich habe mit unterschiedlichen Geweihten auch mit anderen der Zwölfe außer Angrosch gesprochen. Ja sogar mit den Priestern des Drax.

Und wir haben festgestellt, dass die Kräfte, die wir erhalten haben, gleich sind. Warum sollte wir die göttliche Kraft, die uns von anderen Lebewesen unterscheidet, daher nur für uns behalten?

Ein Krieger oder Söldner kämpft auch gegen das Böse in jeglicher Gestalt, egal ob Mensch, Zwerg oder Elf. Ein Magier oder Geode setzt seine Kraft auch ein. Warum sollte ich jemanden, dem ich mit meinem von Angrosch gegebenen Fähigkeiten helfen kann, meine Hilfe versagen, nur weil er einer anderen Rasse angehört?” “Ihr solltet die Macht Eures Herrn nicht mit Magie vergleichen, Bruder Grimmgasch.” tadelte die Geweihte sanft. “Und nein, gleich ist die Macht nicht, die euch Euer Gott und mir der Meine verleiht. Um eine Segnung zu empfangen, muss deren Ziel der Kirche der Zwölfe angehören - initiiert sein. Ein Heide hat keinen Nutz und Frommen von meinem Segen.” Sie ordnete ihre Gedanken, irritiert und nicht wahrhaft glücklich darüber, mit einem Magier, Elfen und Söldner gleichgesetzt zu werden.

“Ihr sagt, Angrosch und Ingerimm sind zwei. Und eine Feuertaufe somit keine Initiation in die Gemeinschaft der Zwölfe. Wie aber erklärt ihr euch dann, dass der Segen meines Herrn den Angehörigen Eures Volkes erreichte, und nicht nur das, ihn berührte und durchdrang?” “Weil die Kräfte, die uns Angrosch und Euch die Zwölfe gaben, nicht nur von dem Glauben desjenigen abhängen, der diese Segnungen empfängt, sondern von der Glaubensstärke desjenigen, der sie gibt! Wenn also Eure Stärke und Kraft ausreicht einen Angroscho zu segnen, dann ist es Euer Glaube!”

“Und doch, Bruder Grimmgasch, hätte dasselbe bei einem Novadi keinerlei Wirkung gezeigt. Oder bei einem anderen Ungläubigen. Somit sind es immer zwei, die einen Segen gelingen lassen - der Geweihte und der Gesegnete. Ist dies bei den Liturgien des Herrn Angrosch anders?”

“Eine Liturgie ist einfacher, wenn das Umfeld eins mit dem Priester ist. Das ist ohne Zweifel so. Es ist auch schon ein Unterschied ob ich die Liturgie in einem Angroschtempel oder in den Schwarzen Landen bete. Und das kann jedes Mal der gleiche Gesegnete sein. Ich bin sogar der Meinung, dass Ihr auch einem Novadi die Segnungen Eurer Gottes zuteil werden lassen könnt, wenn auch unter deutlich schwierigeren Randbedingungen als bei einem Zwölfgöttergläubigen.”

“Wenn ihr einen Segen spendet, so spürt auch ihr, wie leicht oder schwer er fällt - und wie empfänglich der Gesegnete ist - ist dem nicht so?” “Ja”, bestätigte der Geweihte, “das ist so.” “Und ihr spürt ebenfalls, ob derjenige, den ihr segnet, ein Initiierter ist?” “Das ist nicht so einfach zu erahnen, aber auch hier würde ich Euch zustimmen.”

“Habt ihr schon einmal einen Segen auf einen zwölfgöttergläubigen Menschen gewirkt?” “Nein, Schwester,” antwortete Grimmgasch. “Aber ich habe die Gaben der Götter auch erst von zwei Monden erhalten.”

Marbolieb atmete tief ein und aus. Wirklich, wirklich jung war ihr Bruder im Glauben - wenn auch nicht an Jahren. “Ich habe Liturgien auf Angroschim und Menschen gewirkt. Es fühlte sich fast identisch an - was Eure Aussage unterstützt, dass die Kraft, die Angrosch Euch und der Schweigsame mir geschenkt hat, gleich sind.

Doch wenn die Kraft gleich ist, Bruder Grimmgasch - wie wahrscheinlich ist es dann, dass jene, die sie geben, grundverschieden sind?” Grundverschieden, wie in Götter und ihr Gegenspieler. Grundverschieden, wie in Götter und Dämonen. Ob der junge Priester willens war, ihr zu folgen?

“Aber ich sprach doch nicht von grundverschieden, Schwester!” ereiferte sich Grimmgasch. “Sie sind nicht gleich, so wie zwei Kämpfer auch nicht gleich sind, aber trotzdem die gleichen Fähigkeiten haben können. Der Allvater ist nicht Ingerimm und umgekehrt. Aber sie sind sich ähnlich.”

“Wie ähnlich, Bruder?” “So ähnlich wie wir uns sind, Schwester Marbolieb”, war die logische Antwort. “Aus der Distanz betrachtet besteht große Ähnlichkeit, kommt man aber nahe heran so treten die Unterschiede zu Tage.” “Und was zählt mehr, Bruder Grimmgasch? Die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten?”

“Ich denke, es kommt auf den Fall an, Schwester!” meinte der Angroscho. “Geht es gegen das Übel dieser Welt, dann zählen die Gemeinsamkeiten. Geht es um die Auslegung der spezifischen Glaubenssätze dann zählen die Unterschiede.”

“Aha.” Die Boroni betrachtete den Angroscho aus ihren blinden Augen, und Grimmgasch konnte sich des überaus unangenehmen Gefühls nicht erwehren, dass sie ihn in diesem Moment tiefergehender musterte als einem Sehenden dies möglich gewesen wäre.

“So ist es also vollkommen recht und angemessen, wenn ich mit der Kraft meines Herrn einen Angroscho von einem dämonischen Einfluss befreie. Aber wenn ich selbst an seiner Seite lebe, verderbe ich dadurch seine Seele. Und dies ist wirklich Eure Meinung, Bruder?” Enttäuschung und merkliche Trauer lagen in ihren Worten, und etwas, das der Zwerg erst nach einiger Zeit zu entziffern vermochte - Mitleid.

“Ich glaube nicht, dass Ihr bewusst seine Seele verderbt”, widersprach Grimmgasch. “Aber dadurch, dass er sich vom Pfad der Vorväter entfernt hat und nicht die Tradition und den Angroschglauben im Herzen hat, ist er es selbst, der sich die Seele verdirbt.”

“Doch nur, weil es mich gibt, nicht wahr?” Gnadenlos setzte die Boroni nach. “Nein!” Energisch schüttelte der Angroscho den Kopf. “Es ist nicht weil es Euch gibt, es ist weil er den Weg des rechten Glaubens verlassen hat.” ‘Und es könnte genauso jede andere sein’, fügte er in Gedanken hinzu. “Aber den hat er in Euren Augen verlassen, weil er mit einer Frau, die keine Angroschna ist, zusammenlebt. Das reicht dafür aus?” Egal, ob es sie war oder eine andere.

“Es war für mich erschreckend, ja, das gebe ich zu.” Grimmgasch wurde langsam unsicher, da die Geweihte immer weiter auf ihn eindrang.

“Und dieses Zusammenleben reicht aus, dass Ihr am Glauben des Oberst zweifelt?” Die Stimme der Boroni war noch immer sanft und leise - aber dem Angroschgeweihten wurde langsam bewusst, weshalb man den Rabengott den ‘Unerbittlichen’ nannte. “Ich heiße dieses Zusammenleben nicht gut!” langsam fühlte sich der Angroscho ausmanövriert. “Es ist wider die Tradition und kann - wie Ihr selber wisst - keine Früchte tragen. Aber den Glauben hat Meister Dwarosch schon vorher verloren. Das hat er mir gestern Abend gesagt.”

“Messt ihr eine Lebensgemeinschaft nur an ihren Früchten? Bruder Grimmgasch, auch zwei männliche Angroscho, die zusammen leben, arbeiten und wohnen, werden keine Nachkommen haben - und dennoch schätzt Euer Volk diese nicht gering.” Sie lächelte sanft in Richtung ihres Fast-Bruders im Glauben. “Nein! Auch das gibt einen Unterschied zwischen zusammen Leben und Zusammenleben”, argumentierte der Angroscho. “Und auch das letztere ist nicht im Sinne Angroschs.”

“Und doch sagtet ihr gerade noch, dass es euch nicht störte, dass ich das Bett des Oberst teile.” Sehr ruhig und gelassen war die leise Stimme der jungen Frau, bar jeder Wertung - aber nicht gänzlich ohne Mitleid. “Doch ist es gerade er, der jemanden an seiner Seite braucht, der ihn wappnet gegen die Einflüsse der Verderbten.” Sie verharrte und musterte den Angroscho abermals, mit einer Aufmerksamkeit, die tiefer ging als nur die äußere Hülle. “Habt ihr es schon einmal erlebt, dass ihr bei einer großen Liturgie auch ein Stück von Euch mit hineingabt? Dass ihr sie mit einem Stück eurer Selbst wirktet?”

Grimmgasch schüttelte den Kopf, dann sagte er traurig: “Nein, ich hatte noch nicht die Gelegenheit. Als Novize konnte ich einen Geweihten unterstützen, aber selber habe ich noch keine Möglichkeit gehabt. Ein paar Segnungen, das ist alles.”

“Das werdet ihr gewiss noch erleben.” Sanft tastete Marbolieb nach der Schulter des Angroscho und legte ihre Hand tröstend darauf. “Vielleicht mögt ihr mir für jetzt glauben, dass dies so ist.” Sie verstummte abermals und schien nach innen zu lauschen. “Es war keine leichte Sache, den Oberst von dem Schatten, den der Widerwärtige auf ihn gelegt hatte, zu befreien. Es gelang - doch hinterher waren weder er noch ich die gleichen wie zuvor.” Ein warmes Lächeln legte sich auf ihre hübschen Züge.

“Vielleicht ist das ein Teil meines Preises, den ich zahlte. Doch habe ich in diesen Tagen auch ein Geschenk erhalten, das ich nicht erwartet hätte. Ich werde auch weiterhin darauf achten, dass sich keiner der Siebtspährigen mehr Oberst Dwaroschs bemächtigt.” Sanft schüttelt sie den Kopf, doch ihre Gestik machte deutlich, dass der einzige Weg in das Wesen des starrsinnigen Oberst über sie führen würde. “Ich bitte Euch, zürnt mir nicht, dass ich diesen Dienst versehe, Bruder Grimmgasch.”

“Aber ich zürne Euch doch nicht!” mehr konnte er nicht entgegnen, die Geschichte und die Fragen hatten - wie die Gespräche an den Vortagen - viel in dem jungen Geweihten losgetreten und er brauchte Zeit und einen Mentor, der ihm alles erklären könnte. Solange würde er an der ehernen Regel des Angroschglaubens festhalten: Es gibt nur Angrosch, den Einen, den Allvater, der die Welt nach seinem Plan geschaffen hat.

Traurig schüttelte die Borongeweihte abermals ihren sauber rasierten Kopf. “Insbesondere nicht dem Oberst, mein Bruder. Er hat mehr Verletzungen an seinem Sein, an seiner Seele, davongetragen, als ihr sie jemals, so die Götter euch gnädig sind, erleben werdet. Neidet ihm nicht den Frieden, den er jetzt gefunden hat. Ihr wisst und ich weiß, dass er nicht ewig dauern kann, doch jetzt ist nicht die rechte Zeit, von ihm die Zeche zu fordern, die er lange schon gezahlt hat.”

“Ich zürne auch dem Oberst nicht”, versuchte Grimmgasch zu erklären. “Es ist Angrosch, der zürnt.”

“Euer Herr würde also lieber ein Seele den Dämonen opfern, als Gnade zu zeigen, wenn diese von den Wegen eurer Tradition abweicht?” Die leise, sanfte Stimme der Geweihten besaß eine Eindringlichkeit, die den armen Zwergen nun wirklich vor Herausforderungen stellte. ”Bruder Grimmgasch - wirklich?”

Grimmgasch seufzte vernehmlich. “Ich weiß es nicht. Eure vielen Fragen haben mich verwirrt. Nein! Angrosch ist … er ist der Schöpfer. Er ist unser Herr, der seine Hände über uns hält und uns schützt! Jeden der Angroschim! Ja! Auch wenn diese nicht seinem Weg und dem der Vorväter folgen!”

Die Sätze stieß der Priester stoßweise aus. Und Marbolieb konnte merken, dass in Ihnen Zweifel und Angst mitschwangen. Die Boroni nickte leicht.

“Vielleicht solltet Ihr einige Worte mit Oberst Dwarosch sprechen - es wird seine Seele erleichtern.” Ihre Hand, die leicht wie eine Feder auf der Schulter des Geweihten gelegen hatte, erhöhte ihren Druck um eine Winzigkeit. “Ihr werdet in Eurem Leben noch viele Kämpfe führen müssen, Bruder. Für Euren Glauben - und gegen Euch selbst. Doch ein jeder davon, so bitter sie auch schmecken, ist ein Schritt auf dem Weg zu Verstehen und Weisheit. Mögen eure Erfahrungen euch reiche Frucht tragen, ehe Euer Weg sich erfüllt und Euer Gott Euch aufnimmt als seinen Getreuen.” Ihre Hand löste sich, glitt wieder leicht wie ein Nebelstreif auf sein Handgelenk. “Danke, Bruder Grimmgasch.”

“Ich kann versuchen noch einmal mit ihm zu sprechen, aber ich befürchte er wird mich nicht anhören wollen.” “Ich bin sicher, er wird es tun.” entgegnete Marbolieb mit dem Brustton der Überzeugung, in dem auch ein winziges bißchen Stolz mitschwang - doch auf welchen Zwergen dieser gemünzt war - oder vielleicht gar auf beide - das blieb offen.

“Vermutlich aber nur, wenn Ihr ihn dazu auffordert”, in seiner Stimme klang so etwas wie ein Lachen mit. “Ich denke, dass sich damit Eure Sorgen ein wenig gemildert haben.”

Das Schmunzeln fand seinen sachten Widerhall auf der Miene der Borongeweihten. “Und die Euren?”

Grimmgaschs Seufzer ließ vermuten, dass er dieses Gespräch noch ein wenig verarbeiten müsste.

Das Lächeln Marboliebs vertiefte sich noch und lockte kleine Grübchen auf ihren Wangen hervor. Aufmunternd tätschelten ihre schmalen Finger das klobige Handgelenk des Geweihten. “Möchtet Ihr, dass ich Euch zurückgeleite oder wollt Ihr noch ein Stück gehen?”

“Wenn ihr Letzteres wünscht, Bruder, gerne.” entgegnete sie mit warmer Stimme. Die Verwirrung ihres bedauernswerten Bruders würde sich gewiss mit der Zeit legen - doch wenn er dazu Gesellschaft wünschte, so war sie ihm dies schuldig und würde mit Freuden mit ihm noch eine Weile wandern. Viel hatte der Geweihte in dem noch nicht vollen Tag von Ishna Mur gesehen, so dass der Weg die beiden Geweihten schließlich wieder auf die gewendelte Rampe, die von der Wohnebene hinunter zum großen Tor entlangzog, führte. Vor einigen der Säulen, die den Aufgang stützten, war der Priester ja schon am Vortag stehen geblieben und auch jetzt begannen seine Augen vor Freude zu glänzen als er die mit alten Runen beschrifteten Stützen sah.

“Schaut Euch das hier an!” frohlockte er. Dann bemerkte er seine Fauxpas. “Tut mir leid, fühlt diese Linien. Es sind Sätze, die uns unsere Vorväter hinterlassen haben. Sinnsprüche, Jahrhunderte alt!”

Vorsichtig führte er die Hand der blinden Boroni über die eingravierten Linien. Neugierig folgte die Boroni mit ihren Fingerspitzen den geraden, in sich verschachtelten Kerben. “Könnt Ihr dies übersetzen?” fragte sie, fasziniert von den fremdartigen Formen. “Leider nicht auf die Schnelle”, antwortete der Angroscho. “Die Zeichen sind sehr alt, einige sind daher schon zerstört oder von den vielen Händen, die sie berührt haben ausgewischt.” Er tastete selber noch einige der Säulen ab.

“Und die Zeichen sind nicht immer eindeutig, sie können je nach Zusammenhang unterschiedliche Bedeutungen haben.” Er ging weiter zur nächsten Stütze. Auch dort fuhr er sanft, fast zärtlich über die eingeschlagenen Striche, die für die meisten willkürlich aussehen mussten, aber das bei weitem nicht waren.” “Es sind Wünsche … über den Segen Angroschs auf dieser Binge. Soviel kann ich erahnen. Aber um sie vollständig zu übersetzen, müsste ich sie abmalen und in Ruhe versuchen aus den fehlenden Stücken den genauen Wortlaut zu rekonstruieren.” Wieder ein Tasten über die Runen. “Hier taucht immer wieder der Name Angrosch auf …”

Nachdenklich drehte er sich zu Marbolieb um, die er an der letzten Säule einfach hatte stehen lassen. “Ich glaube ich werde Meister Borix bitten, dass ich länger hier bleiben darf und die Inschriften entziffern kann. Wenn Ihr wünscht, lasse ich Euch dann eine Abschrift zukommen.”

Die Frau hatte locker eine Hand auf der Säule liegen. Ihre Augen funkelten vergnügt. “Sehr gerne - falls es euch nichts ausmacht, dass der Oberst sie mir vorlesen wird?” Wieder hatte der Geweihte vergessen, dass die Boroni trotz ihrer sehend scheinenden Augen nichts von den Schönheiten der Steine und der Inschriften sehen konnte. “Wenn er das für Euch machen würde. Aber ich glaube, ich habe Euch nun lange genug mit meinem Geschwätz über alte Steine gelangweilt. Wollen wir zurück zu den anderen gehen?”

Marbolieb nickte mit einem Lächeln. Auch wenn sie dem Geweihten absolut nicht zustimmte - sie hatte es genossen, zu erleben, wie begeistert er von diesen alten Texten war, und schon allein dieser Elan für sein ureigenstes Thema hatte sie erfreut. So machten sich die beiden Geweihten wieder auf zurück in die große Halle, in der die Gefährten immer noch beim zweiten oder dritten Frühstück saßen.

Die Heilige Halle Ishna Murs

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Nachdem die beiden Geweihten wieder in der Halle erschienen waren, wandte sich Borix an seine Gäste: “Einige von uns haben gestern ja schon einiges von Ishna Mur gesehen.”

Er blickte seine Gäste der Reihe nach an und fuhr dann fort: “Aber wir waren noch nicht in der Heiligen Halle, die immer noch verwaist ist. Ich würde mich freuen, wenn ihr alle uns dorthin begleiten würdet.”

„Meister Borix, es ist mir als Mensch eine außerordentliche Ehre. Sehr gerne begleite ich Euch.“ Argmin verbeugte sich vor dem Bergvogt von Ishna Mur. Ein paar Schritte zu gehen würde ihm gut tun. Er spürte, den Gürtel spannen und bereute etwas, die letzten beiden Scheiben Speck von der Platte genommen zu haben, bevor sie davongetragen worden war. Er nahm sich vor, sich die Zeit zu nehmen vor dem nächsten Mahl ‚Thalionmels Waffentanz‘ zweimal durchzuführen, um die Schwere aus seinen Gliedern zu vertreiben. Er würde den Bergvogt bei Gelegenheit nach einem Ort fragen, wo er sich dem Schattentanz hingeben könne. Die Boroni nickte, Neugier auf ihren ebenmäßigen Zügen. Ein kleiner Spaziergang nach diesem wundervollen Mahl wäre genau das Richtige. Noch schöner wäre es, jetzt draußen an der Sonne zu sein … vorausgesetzt, dass draußen Tag war. Doch in den Hallen der Zwerge blieben solche Wünsche meist nur bloße Hirngespinste. Grimmgasch war nach der Aufforderung des Bergvogtes auf einmal bewusst geworden, dass er schon fast einen Tag in Ishna Mur, aber er hatte die Heilige Halle noch nicht gesehen. Daher war er sofort Feuer und Flamme die Halle zu besichtigen. Auch der Vogt von Nilsitz und sein ständiger Begleiter Boindil waren rasch bereit, sich auf den Weg zu machen, während sich der Oberst nicht aus der Ruhe bringen lassen wollte, noch seine Pfeife zu Ende stopfte und sich erst erhob, als diese qualmte. Nachdem er daraufhin Marbolieb geholfen hatte sich zu erheben war man soweit.

Marbolieb roch den Tabak, und ein Lächeln tanzte um ihre Mundwinkel. “Darf ich?” wollte sie wissen. “Hm”, brummte der Oberst bestätigend und reichte die Pfeife an Marbolieb weiter, während die beiden den anderen gemächlich folgten. Als alle beschlossen hatten, dem Bergvogt zu folgen, ging dieser zurück in den großen Korridor. Dort bog er nach links ab. Dort führte er die Gruppe durch den mit vergoldeten Angram-Runen verzierten Durchgang in eine bogenförmigen Gang, der leicht nach oben verlief. Am Ende des Bogens standen sie in einem weiteren aufwändig verzierten und vergoldeten Durchgang, der in den großen Raum führte, den sie bisher in der Bergwacht gesehen hatten.

Die Heilige Halle, denn das war dieser Raum, war wie ein riesiger liegender Hammer geformt. Sie standen jetzt in dem grob achteckigem Kopf, am Übergang zum kurzen Stiel stand ein großer Altar in Form eines schweren, eisernen Amboss. Der Stiel endete in einem kreisförmigen Raum in dessen Mitte ein tiefer, rot leuchtender, heiß glühender Schacht mündete. Vom Eingang, in dem die Gefährten jetzt standen, bis zur gegenüberliegenden Wand hinter dem Vulkanschacht mochte die Entfernung über 40 Drumodim betragen, das tonnenförmige Gewölbe überspannte 16 Drumodim und hatte seinen Zenit 12 Drumodim über dem Boden. Durch Lichtschächte zur Oberfläche war der Raum diffus beleuchtet. An den Seitenwänden der Heiligen Halle standen unzählige runenübersäte Stelen, geweihte Werkzeuge und Waffen. Eine Tür, die zu den Gemächern des Priesters führte, sah in dieser Halle klein und verloren aus. Der Boden und die Wände waren mit schwarzen, polierten Steinplatten verkleidet.

"Wunderschön", flüsterte Borindarax andächtig, während er sich um seine eigene Achse drehte, um jeden Eindruck begierig in sich aufzunehmen. Ja, es schien, als sei der Urenkel des Rogmarog den Tränen nahe, so sehr rührte ihn der Anblick des Heiligtums. Der Oberst indes versuchte die Abmessungen der Halle in menschlichen Maßeinheiten abzuschätzen, sowie ihren Inhalt für Marbolieb wiederzugeben. Ein Unterfangen, das scheitern musste, denn für einen stolzen Angroscho gab es keine wirklich passenden Worte in der menschlichen Zunge, um derartige Pracht, eine solche Schönheit zu beschreiben.

Erhaben. Beeindruckend. Eine gewaltige Halle, mit Tonnengewölbe, einen offenen Feuerschacht auf der einen und einen eisernen Altar auf der anderen Seite. Und an den Seitenwänden Waffen, Werkzeuge, deren genaue Verwendung ihr in bestenfalls der Hälfte der Fälle klar war, und gravierte Stelen, vermutlich ähnlich denen, die sie gestern bereits berührt hatte. Das war das, was die Geweihte der glücklichen und ausführlichen Beschreibung des Oberst entnahm. Der Hall der Schritte und Stimmen allein erzählte von ihrer Größe.

Marbolieb nickte schweigend auf Dwaroschs Erklärung und hielt seinen muskelbepackten Unterarm mit beiden Händen sanft, aber dennoch entschieden umfasst. Die anderen Gäste jedenfalls schienen die Begeisterung des Oberst uneingeschränkt zu teilen. Ein leises Lächeln umspielte die Lippen der jungen Frau, als sie dieser Faszination lauschte.

Als Grimmgasch den Tempel betrat, blieb ihm der Mund offen stehen. Gut, er wusste das Ishna Mur alt war, dass hier viele Generationen gelebt und gearbeitet hatten und gestorben waren, dass das Erz die Angroschim reich gemacht hatte, aber mit soviel Größe hatte er nicht gerechnet. Diese Heilige Halle war sicherlich nicht so groß wie die Hallen in den Städten der Rogmarog, aber trotz allem war sie riesig. Nachdem er sich wieder ein wenig gefangen hatte, ging er zu Borix und fragte ihn: “Der Tempel ist wunderschön, aber wo ist Euer Priester?” Kopfschüttelnd betrachtete ihn der Bergvogt: “Wir haben bisher noch keinen Priester hier in Ishna Mur. Hatte ich das gestern nicht erwähnt?” Borindarax, der den kurzen Wortwechsel zwischen Borix und Grimmgasch vernommen hatte, blickte mit erhobenen Augenbrauen betont langsam vom Bergvogt zum Geweihten. “Na, wenn das kein Zufall ist”, brachte er daraufhin sichtlich amüsiert vor.

“Wie meint Ihr das?” “Wie meinst Du das?” Kam es zeitgleich von Borix und Grimmgasch. Beide blickten erst den Vogt, dann sich gegenseitig an und begannen zu lachen. Der Enkel des Rogmarog räusperte sich gedehnt. “Nun, wie mir bekannt ist, hat Grimmgasch erst jüngst seine Weihe erhalten und ist derzeit noch auf der Suche nach seiner … Bestimmung.” Borindarax blickte zu Grimmgasch. “Ist das treffend ausgedrückt?”

Grimmgasch nickte. “Ja, das ist mehr oder weniger richtig. Herr Angrosch wird mir schon den richtigen Weg weisen.” Diesmal lachte der Vogt von Nilsitz ungeniert. “Ich denke, dass ist gerade geschehen.” Grimmgasch überlegte kurz, dann verstand er was der Vogt meinte. “Ja!” rief er aus. “Das ist eine wunderbare Idee!” Er drehte sich zu Borix um: “Was meint Ihr, ist das eine gute Idee?”

Borix lachte auf. “Nun, wenn Angrosch es so will, dann sollten wir uns seinem Willen fügen.” Er blickte zu Borindarax und zu Grimmgasch, dann fragte er: “Müssen wir irgendeine Genehmigung einholen? Oder kannst Du das alleine entscheiden, Grimmgasch?”

Grimmgasch zuckte mit den Schulter: “Ich entscheide es für mich, aber ich muss natürlich in Senalosch Bescheid geben - und dann meine Sachen holen.” Er ergriff Borix an den beiden Unterarmen und schüttelte sie.

Borix erwiderte den Griff, dann zog er den jungen Angroscho an sich und umarmte ihn: “Willkommen in Ishna Mur!” Borindarax indes verschränkte die Hände im Rücken und stellte ein zutiefst zufriedenes Lächeln zur Schau. Murla stellt sich neben den Vogt und flüstert ihm ins Ohr: “Das hast Du aber wieder geschickt eingefädelt!” Nachdem Borix den Priester willkommen geheißen hatte, meinte er: “Nun, dann zeige ich Dir noch Deine zukünftigen Gemächer.” Er führte die Gruppe mit Grimmgasch quer durch die Heilige Halle und steuerte dann auf eine kleine Zimmerflucht zu. Es war ein kurzer Gang und von da gingen einige Türen ab. “Dort ist die Sakristei, ein Arbeitszimmer, ein Wohn- und ein Schlafzimmer.” Grimmgasch war noch zu sehr in den Gedanken zu seiner neuen Heimstatt gefangen als dass er sich die Räume, die ihm gerade gezeigt wurden waren, genau angesehen hätte.

So standen sie ein wenig später wieder in der Heiligen Halle als der Geweihte sich an das Versprechen erinnerte, dass er noch mit dem Oberst sprechen sollte. Während Borix noch die anderen Besucher durch die Halle geführt hatte und ihnen dies und jenes in der Halle zeigte und erklärt hatte, zupfte Grimmgasch den Oberst sanft am Ärmel: “Meister Dwarosch, habt Ihr ein Ohr für mich?”

“Ja”, antwortete der Angesprochene ohne zu zögern, fügte dann aber noch an: “Dwarosch oder schlicht Oberst. Ein ‘Meister’ ist nicht notwendig.” Grimmgasch räusperte sich verlegen, dann fuhr der fort. “Ja, äh… Dwarosch.”

Dann begann er nach einer kurzen Weile. “Ich weiß nicht, ob ich mich gestern Abend richtig verständlich gemacht habe.” Er blickte den Oberst an, bevor er fortfuhr. “Ich habe nichts gegen Euch und auch nicht gegen Schwester Marbolieb.” Wieder folgte eine Pause, die die Verlegenheit des Priesters überspielen sollte.

“Ich habe unser Gespräch nicht als verbalen Angriff auf Marbolieb oder mich empfunden”, erwiderte der Oberst nüchtern, aber durchaus nicht unfreundlich.

Erst schien es, als wolle Dwarosch nichts weiter darauf entgegnen, aber dann zuckte er doch mit den massigen Schultern und ergänzte: “Noch einmal. Mir ist klar, dass mein Lebenswandel gelinde gesagt ‘ungewöhnlich’ ist, aber ich kenne auch kein Mitglied unseres Volkes, dass über einhundert Jahre außerhalb der Berge gelebt hat, ohne dass dieser Umstand eine Veränderung seines Charakters verursacht hätte.

Und noch etwas. Die üble Nachrede, die mich in Senalosch zum Teil verfolgt ist für mich zu ertragen, ich habe ein dickes Fell, was sowas betrifft.” Der Oberst grinste etwas schief, dann jedoch wurde er sehr ernst. “Für Marbolieb jedoch ist dies ein unhaltbarer Zustand und ich schäme mich meiner Brüder und Schwestern, die ihr so offen ablehnend gegenüberstehen.”

“Mögt ihr euch nicht zu zweit unterhalten?” wandte die Boroni ein, die noch immer am Arm des Oberst stand und dem Gespräch mit zunehmender Verblüffung folgte. Sie freute sich für beide, dass die beiden Männer zu einem Austausch gefunden hatten - würde ihnen die Aussprache aber durchaus auch glauben, ohne Ohrenzeugin dessen zu werden.

Etwas verwundert sah der Oberst zu der Frau, die er wie stets am Arm führte. “Nicht meinetwegen, Räblein. Ich habe keine Geheimnisse vor dir und was ich vorbrachte, sagte ich, weil ich möchte, dass man dich mit Respekt behandelt.” Dwaroschs Stimme war sanft, verständnisvoll, verriet Marbolieb aber gleichzeitig auch, dass er ihre Frage nicht verstand.

“Auch ich habe nichts zu verbergen”, meinte Grimmgasch. “Ich werde mich nicht in ein Gespräch zwischen Priester und Gläubigem mischen, Dwarosch, Bruder Grimmgasch.” Ein leises Lächeln lang in der Stimme der Borongeweihten. “Vielleicht mögt ihr zu zweit einige Schritte gehen? Ich warte hier.”

Was sie schon ganz zwangsläufig tun würde - ihren Stock hatte sie ob der Aussicht auf Dwaroschs Arm in ihrem Zimmer gelassen, und sie hegte nicht die Absicht, selbst zu prüfen, ob der Feuerschacht irgendwo in dieser Halle nun durch ein Geländer gesichert oder frei zugänglich war.

“Aber Schwester!” rief Grimmgasch. “Bleibt bitte, schließlich seid ihr ja auch ‘betroffen’.”

Während Borix mit den anderen immer weiter durch die Halle ging, näherten sich Grimmgasch und das Paar dem riesigen Amboss, der den Raum teilte. “Hier ist der Altar Angroschs. Der Amboss als sein Zeichen.” begann er erst über die äußeren Eindrücke, die auf ihn in dieser Umgebung einwirkten, zu sprechen. “Hier spürt man die Kraft des Allvaters. Hier spüre ich die Kraft des Allvaters. Wie ist das mit Euch, äh … Dwarosch?”

Der Oberst benötigte einige Momente, um auf diese sehr persönliche Frage zu antworten. Indes gab es keine leichte Erwiderung auf diese Frage. “Ich vermag seine Gegenwart zu spüren, doch fühle ich mich ihm in einem Tempel längst nicht so verbunden, wie an Orten, da er durch seine Elemente seine Macht demonstriert, dort wo man seinen Blut pulsieren, sein Herzschlag vernehmen kann, wie im Heiligtum am Schlund oder die Malmarzrom in Hammerschlag.” Dwarosch seufzte. “Grimmgasch, ich bin in keinster Weise durch die Gabe der Handwerkskunst gesegnet. Schon in jüngsten Jahren galt ich deswegen als ‘Sonderling’ und wurde mit Argwohn betrachtet. Meine Verehrung für den Allvater basiert auf dem Willen, der Kraft, der Leidenschaft, die er mir in die Wiege legte.

Orte wie dieser, die ihm zu Ehren von begabten Steinmetzen geschafften wurden, vermögen mir Respekt einzuflößen wegen der immensen Arbeit, die verrichtet wurde, um sie zu erschaffen, doch sind es andere Aspekte Angroschs, die für mich entscheidend sind. Meine Bindung zu IHM ist …” Dwarosch brach ab, schüttelte in einer fast schon hilfesuchenden Geste den Kopf und zuckte mit den Schultern. Er wusste nicht, wie er sie passend benennen sollte. Schließlich versuchte er es noch einmal mit einem neuen Ansatz: “Sie basiert mehr auf etwas ... Ursprünglichem … da sind Gefühle, Emotionen, Dinge die man tief in sich spürt, aber nicht greifen, kaum benennen kann. Meine Verbindung zu IHM ist nicht an einen Ort gebunden, Grimmgasch, und sie hat nichts mit irgendeinem Handwerk zu tun. Nein!” Das Wort kam energisch. Die Stimme des Oberst war nun überzeugter. “Feuer und Erz sind Teil dieser, unserer Welt. Es sind die IHM heiligen Elemente, die wir erst zu nutzen gelernt haben, um sie als Werkzeug zu benutzen. Sie sind aber gleichzeitig viel mehr als das. Sie sind der Ursprung von allem, denn unsere Urväter sind vom Allvater aus ihnen geformt worden. Sie stehen für Wesenszüge, die Angrosch uns damit, jedem einzelnen von uns, zum Geschenk machte. Dieses Erbe ist meine Verbindung zum Allvater.”

Marbolieb lauschte, ohne ihren Liebsten indes auch nur mit einer Regung zu unterbrechen. Um so genauer wog sie jedes Wort und vermerkte es wohl - doch war dies für jetzt eine Sache allein zwischen beiden Zwergen, von großem Gewicht für deren beiderseitigen Seelenfrieden.

Und für sie ein Einblick mehr in die Seele ihre Begleiters, die er ihr so vollkommen selbstverständlich gewährte. Ein warmes, wohliges Gefühl breitete sich in ihrem Inneren aus, als sie mit einem liebevollen Blick ihre Fingerspitzen über den Unterarm Dwaroschs führte, während sie selbst, still und weit im Hintergrund, dem Wortwechsel der beiden mit größtem Interesse folgte.

“Ihr versteht meine Intention nicht”, Grimmgasch schüttelte den Kopf - aber dabei schien er nicht etwa verärgert, sondern im Gegenteil sehr erfreut zu sein. “Ich sehe den Weltenschöpfer auch nicht als ausschließlich dem Handwerk verbunden. Diese Sichtweise ist eine Einschränkung wie sie die Gigrim in ihrer Darstellung des Ingerimms machen - verzeiht, Schwester - ich sehe auch Angrosch als Schöpfer allen Seins, der in seinen Werken überall zu finden ist. Aber ich verspüre an den Heiligen Stätten seine Präsenz viel deutlicher. Und da Ihr die Präsenz auch wahrnehmt, zeigt dass der Allvater ein gütiger Beschützer all seiner Kinder ist, mögen sie auch Dinge tun, die auf den ersten Blick nicht mit den Traditionen der Vorväter übereinstimmen.”

Dwarosch nickte zustimmend, die Worte Grimmgaschs gingen mit seiner Glaubensauffassung konform. Dann aber kam er auf den ersten Satz des Geweihten zurück. “Bitte erklär mir, wie ich die Frage verstehen sollte und ich werde versuchen, sie zu beantworten.”

“Ich wollte Euch nur zeigen, dass Ihr - auch wenn Euer Lebenswandel nicht den Traditionen der Vorväter entspricht - noch unter dem Schutz des Allvaters steht. Auch wenn ich Euch gestern Vorwürfe gemacht habe, so ist Euch der Schutz der Allvaters immer gegeben.”

“Es hat einen Grund, dass ich noch am Leben bin Grimmgasch”, sprach Dwarosch vollkommen ruhig, aber mit enormer innerer Überzeugung. “Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, ebenso wie du. Du wirst das Wort bewahren, unsere Geschichte und Traditionen. Ich hingegen leiste meinen Beitrag dazu, unser Überleben zu sichern. Ich habe großen Respekt vor deiner Aufgabe, deiner Berufung und in dieser Geisteshaltung begegne ich jedem Diener des Allvaters.”

Der Oberst grinste und legte den Kopf leicht schräg. “Gut”, gestand er, “es gibt da ein paar Granitköpfe in Senalosch, denen ich nicht ganz so aufgeschlossen gegenüberstehe, von Xorlosch einmal ganz zu schweigen.” Dann hielt Dwarosch dem noch jungen Priester seine fleischige Pranke entgegen, “Fortombla?”

Grimmgasch schlug sofort kräftig ein. “Gerne! Es war nicht beabsichtigt, zwischen uns einen Unfrieden aufkommen zu lassen. Es freut mich, dass wir uns wieder verstehen!”

Marbolieb nickte zufrieden auf den Friedensschluss der beiden Zwerge, und aus ihren Augen leuchtete Bewunderung und ein ganz kleines bißchen Stolz, als sie ihren Kopf zu ihrem Bruder im Glauben wandte und ihm anerkennend zulächelte.

Da alle Worte gewechselt waren, führte Grimmgasch die beiden fröhlich ausschreitend wieder zu den anderen deren Borix gerade den Schacht zeigt, aus dem die wabernde Hitze zu den Gästen heraufschlug.

Borix blickte Grimmgasch an und fragte ihn: “Nun, wie gefällt Euch Eure neue Heimat?” Grimmgasch, der nicht nur von der Heiligen Halle, deren Ausmaßen und vor allem den vielen Zeugnissen der Vorväter angetan, sondern auch glücklich war, dass der schwebende Streit zwischen ihm und dem Oberst beigelegt war, meint nur: “Wenn Ihr nichts dagegen habt, dann werde ich heute noch hierher umziehen und die Räume neben der Heiligen Halle beziehen. Es gibt hier so viel Altes zu entdecken. Und natürlich auch Euch und Ishna Mur als Seelsorger zur Seite zu stehen, ist eine Herausforderung für mich. Aber der Allvater hat mich hierher geführt und mir gezeigt, an welchen Platz er mich zu stellen wünscht.”

Ein Angroscho zieht um

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Nachdem die Gruppe aus der Heiligen Halle zurück war und sich dem Mittagessen in der Halle des Bergvogtes gewidmet hatte, bat Grimmgasch sich zurückziehen zu dürfen.

Der Geweihte zog sich in sein Gästezimmer zurück und zückte aus seiner Gürteltasche einen Kohlestift und begann zwei Briefe zu schreiben. Als er damit fertig war, versiegelte er die beiden Schreiben und läutete nach dem Kammerdiener. Muragosch kam nach wenige Atemzügen in das Zimmer geeilt: “Euer Gnaden wünschen?”

“Ich möchte, dass diese beiden Schreiben so schnell wie möglich zugestellt werden. Dieses hier” - er drückte ihm das erste Pergament in die Hand - “soll nach Senalosch an den Angroschtempel. Und das hier” - Pergament zwei wechselt den Besitzer - “zu Seine Ehrwürden Torod Sohn des Tambodosch nach Calbrozim.”

“Wie Ihr wünscht”, mit einer knappen, aber respektvollen Verbeugung ging der ältliche Kammerdiener mit den Schreiben davon.

Dann begann Grimmgasch seine Sachen, die er im Zimmer verteilt hatte, zusammen zupacken und wieder in seinem Tuchbeutel zu verstauen. Natürlich nahm er die Pfeife und den Tabak, den alle Besucher als Gastgeschenk erhalten hatten, mit.

Nachdem er wenige Zeit später damit fertig war, verließ er sein Zimmer und machte sich auf den Weg in sein neues Heim. Als er an der Tür zu Marboliebs und Dwaroschs Zimmer vorbeikam, klopfte er vorsichtig. “Herein”, erklang Dwaroschs tiefe Stimme einladend von drinnen zur Antwort. Die Geweihte fuhr auf und hob neugierig den Kopf. Sie hatte es sich auf dem Stuhl bequem gemacht, die Füße unter den Leib gezogen, und war ihren Gedanken nachgehangen, während der Oberst irgendwelche Dinge mit seiner Rüstung getan hatte - oder mit seiner Ausrüstung allgemein, zumindest hatte es nach Metall geklungen.

Grimmgasch öffnete vorsichtig die Tür und grüßte die beiden. “Meister Dwarosch, ich würde gerne ein paar Worte mit Schwester Marbolieb wechseln, wenn Ihr gestattet.” Der Oberst, der die Tür geöffnet hatte, trat einen Schritt auf Seite und wies einladend in den Raum. “Bitte, so komm doch herein. Und Grimmgasch?” Dwarosch lächelte. “Lass das mit dem ‘Meister’.”

Grimmgasch trat verlegen von einem Bein auf das andere. “Ich würde gerne alleine mit Schwester Marbolieb sprechen”, wiederholte er seinen Wunsch.

Dwarosch hob überrascht eine Braue und blickte fragend zu der Geweihten. Die hob angesichts der langen, erwartungsvollen Pause die Schultern, konnte aber nicht verhindern, dass Neugier in ihren Augen aufflackerte.

“Gut”, beschied Dwarosch, als Marbolieb nicht selbst das Wort ergriff. “Ich werde hier mit meiner Rüstung und den Waffen ohnehin noch eine Weile zu tun haben. Geleite Grimmgasch doch ein Stück, dann seid ihr ungestört.”

Die blinde Geweihte nickte und erhob sich. Sie tastete nach dem Oberst, fand Rüstung, Putzzeug, nicht einen hastig beiseite geräumten Dolch und einen muskulösen Arm, der in einer Schulter endete. Mit einem leisen Lächeln auf ihren vollen, schön geschwungenen Lippen beugte sie sich vor und küsste Dwarosch auf die Schläfe, ehe sie sich bedächtig in Richtung Tür wandte, zumindest dorthin, wo sie diese vermutete. Ihre Treffsicherheit wuchs mit jedem Tag in Ishna Mur - und fand sich bestätigt, als sie ein ungeduldiges Rascheln von ihrem jungen Bruder im Glauben fast direkt vor sich hörte.

Als Grimmgasch mit der Boroni alleine war, begann er zu sprechen: “Schwester Marbolieb, ich möchte mich für all die Dinge, die Ihr mir in den letzten Tagen gezeigt habt bedanken!

Durch Eure Worte habe ich erst wieder einen weiteren Schritt zu meiner Bestimmung, so wie sie mir der Allvater zugedacht hat, getan. Ich habe nicht zuletzt durch die Ideen, die Ihr in unseren Gesprächen vorgebracht habt, diesen Ort als neue Heimat gefunden.” Marbolieb hatte ihre Hände in ihrem Schoß gefaltet und lauschte mit leicht schräg gelegtem Kopf den Worten ihres Fast-Bruders im Glauben.

“Ich habe euch zu danken, Bruder Grimmgasch. Ihr wart bereit, mit mir zu sprechen - das sind nicht viele eurer Brüder und Schwestern.” Ein leises Schmunzeln wärmte ihr hübsches Gesicht.

“Ich gratuliere Euch aus ganzem Herzen zu eurem eigenen Tempel. Mögt ihr hier immer willkommen sein.” Nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Grimmgasch musste die Worte ‘euer eigener Tempel’ erst einmal verdauen. Ja, es stimmte, er hatte seinen eigenen Tempel. Er, der frisch geweihte Priester.

“Vielen Dank!” waren seine ersten Worte nach den Glückwünschen. “Ich glaube, ich habe es noch gar nicht ganz begriffen, dass ich diese Heilige Halle jetzt als meine ansehen kann - und auch muss!

Aber ich glaube es ist ein Tempel nach meinem Geschmack und nach meinen Fähigkeiten, die ich hier in dieser alten Halle anwenden kann. Zu Erkennen wie unsere Vorväter gedacht - und vielleicht auch geträumt - haben, von ihrem Wissen, dass sie in den Stelen der Ewigkeit anvertraut haben, zu lernen. Ja, das ist etwas worauf mich meine Jahre als Novize vorbereitet haben.”

Das Gesicht des Angroscho glühte vor Vorfreude und Aufregung unter dem roten Bart. “Ich würde mich freuen, wenn ich Euch auch von Zeit zu Zeit in meinem - ich fasse es immer noch nicht ganz - Tempel willkommen heißen könnte.”

Auf Marboliebs Zügen lag ein offenes und glückliches Lächeln. “Ich freue mich für euch.” bekannte sie, und fügte dann mit einem kleinen, kaum merklichen Nicken hinzu. “Habt Dank.”. während sich das Lächeln davonstahl und sich ihre Brauen umwölken.

Es war mehr als unwahrscheinlich, dass sie jemals wieder nach Ishna Mur gelangen würde - zu weit und beschwerlich war der Weg von Calmir, als dass sie ihn allein hätte bewältigen können. Doch mit ihrem Bruder im Glauben, den sie in den vergangenen Tagen kennen und schätzen gelernt hatte, würde sie sich gerne austauschen.

“Vielleicht mögt ihr mich auch einmal in Calmir besuchen?” setzte sie vorsichtig hinzu. Doch für den Angroscho war der Weg gleichfalls nicht kürzer.

Grimmgasch war sehr erfreut über die Einladung und meinte: “Das wird sich sicherlich einrichten lassen. Ich habe gehört, dass es alte Tunnel geben soll, die in Richtung der Via Ferra führen sollen. Und dann wäre es nur ein kleines Stück bis nach Calmir.” Er nickte sich selbst zu, da ihm der Plan recht gut gefiel.

“Aber bis dahin werde ich Euch - wie ich es versprach - über den Stand meiner Forschungen unterrichten.” Die Boroni nickte zufrieden. “Schickt eure Briefe nach Senalosch.” bat sie. Sie wandte sich in Richtung ihres Glaubensbruders und streckte vorsichtig eine Hand nach ihm aus.

“Euer Gespräch mit Dwarosch … es war gut für den Oberst.” kam sie zum Kern ihres Anliegens. “Er benötigt Halt.”

“Aber er bekommt doch sehr viel Halt bereits von Euch”, war die verwirrte Feststellung Grimmgaschs. “Ich werde nur noch zwei Monde bei ihm sein.” schüttelte Marbolieb den Kopf.

Grimmgasch nickte. “Das hattet Ihr bereits erwähnt, aber auch wenn Ihr nicht direkt bei ihm seid, geht Ihr seinem Leben doch Halt. Und außerdem hat er doch Eure Tochter.” “Ich werde ihn gewiss noch ein- oder zweimal im Götterlauf treffen, Bruder Grimmgasch.” stimmte die Borongeweihte zu. “Doch bin ich zu weit, um zu bemerken, wenn er geistigen Beistand benötigt.” Bedauernd zog sie ihre ausgestreckte Hand wieder zurück.

“Ich habe ihm gegeben, was ich kann.” Unter anderem ihr Weiheamlulett, auf dem alles an Segnungen lag, zu dessen sie fähig war. Sie holte tief Luft. “Würdet ihr gelegentlich nach ihm schauen, Bruder?” Hoffnung lag in ihrem Blick und eine einzige, große Bitte.

Wieder nickte der Geweihte. “Ich denke, dass wir uns in Senalosch sehen werden. Auf jeden Fall werde ich ihn besuchen, wenn ich in der Stadt bin.” Dann meinte er ein wenig verlegen. “Nur werde ich nicht so oft in der Stadt sein wie bisher. Denn schließlich habe ich hier ja einen Tempel, meinen Tempel.”

Grimmgasch dachte nach und dann machte er noch einen Vorschlag: “Der Oberst ist doch schon in einem guten Alter. Vielleicht könnt Ihr ihn überreden seinen Dienst zu quittieren.” Er blickte die Boroni an, ob sie seinen Vorschlag überhaupt mitgehen könnte. “Dann lebt ihr so wie ihr es wollt - gemeinsam in Calmir!”

Marbolieb senkte den Kopf. “Ich denke nicht, dass er das tun würde, Bruder. Sein Dienst bedeutet ihm viel - und mein Tempel ist bescheiden, kein Adelshaus wie das des Vogtes.”

Grimmgasch schüttelte mit leichter Verzweiflung den Kopf. Die Frau war schon zu lange mit Dwarosch zusammen und obwohl sie noch so jung war, war sie ja schon fast so stur wie ein alter Angroscho. “Verzeiht mir, wenn die Worte, die ich jetzt sage Euch vielleicht verletzen könnten. Aber wenn ihr beide nicht von euren Gewohnheiten und Professionen lassen könnt, wie wollt ihr dann eine Zukunft haben? Entweder Ihr oder der Oberst müsst auf etwas verzichten!”

Die junge Frau seufzte und schlang ihre Finger ineinander. “Könntet ihr auf eure Berufung und euren Tempel verzichten, Bruder?” Sie schüttelte den Kopf. “Meine Kirche weist uns unsere Tempel zu - es liegt nicht in meinem Ermessen, ihn aufzugeben - auch wenn ich dies wollte.”

Der Geweihte verdrehte die Augen, sollte er jetzt noch die beiden solange bereden, dass sie zusammenziehen sollen? Das war doch noch etwas, was er gestern vehement als nicht der Tradition entsprechend verurteilt hatte.

Aber so wie die Boroni in ihrer Verzweiflung nun vor ihm stand, wusste er auch nicht, was er sonst hätte tun können, als die beiden Sturköpfe zusammenzubringen.

“Ich weiß nicht, ob ich auf meine Berufung verzichten könnte. Aber ich habe auch keine Frau, mit der ich zusammenleben will.”

Ein aus tiefstem Herzen kommender Seufzer der Geweihten antwortete ihm. Sie schlug die Augen nieder, grub ihre Zähne in ihre Unterlippe und schwieg, in der vergeblichen Hoffnung, dass ihr Bruder im Glauben das verräterische Glitzern in ihren Augenwinkeln nicht wahrnehmen würde.

“Ihr klingt so als würde da nichts zu machen sein?” versuchte der junge Angroscho die Boroni zu verstehen. Die junge Frau schüttelte den Kopf und Grimmgasch hörte ein deutliches Schniefen, ehe sie sich mit dem Ärmel über ihr Gesicht wischte. “Auf meinen Tempel würde ich für ihn verzichten - wenn die Kirche es erlauben würde.” Sie schluckte.

Grimmgasch suchte tief in den Taschen seiner Robe nach einem Sacktuch, dass er der Geweihten wortlos in die Hand drückte. “Seid nicht verzweifelt!” sagte er dabei. “Es gibt bestimmt eine Lösung für dieses Problem. Was sagen denn Eure Oberen dazu?” Dankbar nahm Marbolieb das Tuch entgegen und wischte sich verstohlen die Augen ab, ehe sie sich hingebungsvoll die Nase putzte. Verlegen hielt sie das Tuch in Grimmgaschs generelle Richtung.

“Der Baron befahl, ich solle im Herbst wieder nach Calmir.” Sie schnüffelte. “Dwarosch hat mit ihm gesprochen. Mein Tempel ist schon sehr lange verwaist.” “Der Baron ist ein Großling, so wie Ihr?”

Die Boroni nickte stumm. “Ha! Na dann ist doch klar, dass er nach einem Gespräch mit Meister Dwarosch nicht zustimmt, dass Ihr Euren Tempel verlassen könnt.” Grimmgasch schüttelte den Kopf - ein Sturschädel wie der Oberst sollte freundlich um etwas bitten. ‘Na, da wäre ich gerne dabei gewesen!’

Marbolieb hob die Schultern. Warum auch immer die Entscheidungen so waren, sie waren gefallen und sie musste sehen, wie sie mit ihnen lebte. “Er hat erreicht, dass ich erst im Herbst zurück muss.” murmelte sie leise.

Plötzlich kam Grimmgasch eine Idee: “Sagt, Schwester, gibt es einen Tempel des Totengottes in Senalosch?” Die Boroni schüttelte den Kopf. “Nur einen Schrein - habe ich gehört.” “Könnte sich nicht die menschliche Bürgerschaft einen Tempel wünschen?” ihm kam die Idee gar nicht so schlecht vor. “Dann kann der Vogt eine offizielle Anfrage stellen … Was meint Ihr?”

“Es ist selten, dass ein neuer Tempel geweiht wird - und das kostet ein Vermögen.” Sie sprach mit ihren Händen, nicht fähig, den Kopf in Richtung ihres so hilfsbereiten Bruders im Glauben zu heben. “Ich kenne niemanden in der Stadt - selbst wenn es einen Tempel gäbe, ist nicht sicher, dass ich dort Priesterin würde.”

Oft genug war sie - immer nur hinter vorgehaltener Hand - als Zwergenmetze, oder, von den Angroschim, als Menschenhure des Oberst tituliert worden. Sie selbst schwieg dazu - gut war ihr Ruf weder unter den einen noch den anderen, auch wenn die Senaloscher, verglichen mit den Dörflern in Calmir, sehr zurückhaltend waren. Vermutlich fürchteten sie, vollkommen zurecht, den Zorn des Oberst.

"Es war eine Idee”, die Resignation der Boroni machte sich nun auch bei Grimmgasch bemerkbar, denn jetzt waren auch seine Ideen aufgebraucht - vielleicht könnte er aber die Zeit des Besuchs noch nutzen, um mit dem Vogt zu reden. Mit Dwarosch würde er wahrscheinlich nicht über dieses Thema reden, denn er befürchtete, dass der Oberst stur und abgeneigt reagieren würde.

“Ich danke euch sehr, Bruder. Für eure Unterstützung. Und für eure Freundlichkeit.” Erstickt klang die Stimme der Geweihten, nicht so sanft und gelassen, wie ansonsten Sie schluckte. “Es erleichtert mich, dass ihr auf Dwarosch aufpasst.” Hoffentlich würde sie mit diesem Ansinnen ihren jungen Glaubensbruder nicht überfordern - der Oberst war kein Leichtgewicht - in keiner Beziehung.

Grimmgasch ergriff sanft die Hand der Boroni. “Ich verspreche Euch ihn in Senalosch aufzusuchen, wenn immer es mich in die Stadt verschlägt. Wie oft das allerdings sein wird, kann ich nicht sagen.”

“Es ist gut.” erleichtert holte die Boroni Luft. “Ich bin froh, Euch an seiner Seite zu wissen, Bruder.” Da nach diesen Worten eigentlich ihr Gespräch zu Ende war und die Runde, die sie durch die Bergwacht gegangen waren auch sich wieder ihrem Ausgangspunkt näherte, führte Grimmgasch die Geweihte wieder zurück zu der gemeinsamen Zimmerflucht, die sie mit Dwarosch bewohnte. “Ich ziehe jetzt in die Priesterräume an der Heiligen Halle”, sagte er noch bevor er anklopfte. “Wenn Ihr etwas von mir möchtet so schickt nach mir oder lasst Euch vom Oberst geleiten, der Weg ist nicht einfach zu finden.”

Als sich mit einiger Verzögerung dann die Tür öffnete und der Oberst auf die Schwelle trat, zog Grimmgasch mit seinem Gepäck, dass er vorher vor der Tür abgestellt hatte, von dannen. Dwarosch sah ihm nach und ergriff dabei sanft den Arm Marboliebs, um sie hereinzuführen. Zunächst schwieg Dwarosch, doch als die Tür geschlossen, die Geweihte wieder auf ihrem Stuhl saß und er sich wieder seiner Arbeit, dem Polieren von Rüstungsteilen und seiner Waffen widmete, konnte er sich eine neugierige Frage doch nicht verkneifen?

“Was habt ihr zwei für Geheimnisse vor mir?” Die Stimme des Oberst klang amüsiert und keineswegs misstrauisch oder gar erbost.

Marbolieb hob den Kopf, und um ihre Mundwinkel spielte ein entschieden schelmisches Lächeln. Ihr Oberst war neugierig.

“Wir haben über dich gesprochen.” erzählte sie ihm mit einem vergnügten Schmunzeln in der Stimme. Ein undeutbares Grunzen folgte von Seiten des Oberst und Marbolieb meinte tatsächlich eine Spur Überraschung darin herauszuhören, wenn dies denn überhaupt möglich war. Andererseits grunzte er recht häufig auf diese oder zumindest ähnliche Weise und sie glaubte, dass kaum jemand anderes die ‘verbalen Regungen’ Dwaroschs besser zu deuten vermochte als sie selbst. Jedenfalls schien der Oberst über diese Antwort kurz nachdenken zu müssen, es dauerte einige Momente, bis er zu einer weiteren Frage ansetzte.

“Wie darf ich das verstehen?” hakte er schließlich nach und da er dabei sogar in seiner Arbeit innehielt - jedwede anderen Geräusche erstarben - wusste Marbolieb, dass sie nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit besaß. Deren Lächeln vertiefte sich und ließ Grübchen auf ihren Wangen entstehen.

“Was erwartest Du, mein Liebster?”

Dwarosch stieß leicht verächtlich die Luft aus. “Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum ihr zwei euch ausgerechnet über mich unterhalten haben könntet, Räblein. Deswegen frage ich ja.” Die Augen der jungen Frau blitzten vergnügt.

“Du bist interessant, Herr Oberst - und hast den armen Meister Grimmgasch sehr erschreckt.” Deutlich war ihrer Stimme das Vergnügen über dieses kleine Geplänkel anzuhören - selbst wenn Dwarosch keinen Blick für das schelmische Lachen in ihren Augen gehabt hätte.

“Das ist eine sehr vage Antwort Räblein”, stellte der Oberst fest. Er war ein wenig enttäuscht, dass seine Neugierde nicht bedient wurde, wollte der Geweihten aber auch nicht weiter auf den Leib gehen. Dwarosch wusste, dass sie es genoss, ihn im Unklaren zu lassen.

Marbolieb seufzte. Dwarosch war … eben Dwarosch. Und nicht Willens, auf ihr vorsichtiges Anbandeln einzugehen. Vermutlich verstand er einfach nicht, was sie so unbeholfen angeboten hatte. Das Lachen in ihren Augen erlosch und machte einer ernsthaften Miene Platz.

“Ich habe mich für sein Gespräch gestern Abend mit Dir bedankt.” gab sie mit sanfter Stimme die gewünschte Auskunft, schlug ihre Beine wieder unter den Leib und suchte erneut die bequeme Sitzposition, den sie vor Bruder Grimmgaschs Ankunft gefunden hatte. Die Sessel hier waren sehr angenehm weich, und ein fauler Nachmittag vor dem Feuer kein schlechter Zeitvertreib. Sie fädelte ihre Hände in die weiten Ärmel ihrer warmen, neuen Robe, lehnte den Kopf an die gepolsterte Rückenlehne und schloss die Augen.

Dwarosch nickte. Marbolieb erkannte es an der Art, wie sein Bart über Brust und Bauch raschelte. “Aber er ist nicht zu dir gekommen, damit du dich bei ihm bedankst”, folgerte der Oberst, dass dies noch nicht alles war.

“Er hatte noch einige Sätze zu unserem Gespräch gestern auf dem Herzen.” seufzte die Boroni ergeben und sann einige Atemzüge über ihre nächsten Worte nach. “Ich würde mich freuen, wenn ihr hin und wieder miteinander reden würdet. Er ist ein guter Priester.”

Erneut erscholl ein Grunzen und wiederum bemerkte die Geweihte einen gewissen Unwillen darin, doch kein weiteres Wort folgte. Nein, Dwarosch erhob sich, die Kettenglieder seines Rüsthemdes, welches er sich zwischenzeitlich angezogen hatte, wohl um die Funktion aller Schnallen für die Befestigung von Kettenkragen, -haube und -hose zu prüfen, machten die für sie so charakteristischen Geräusche.

Mit einem schweren Seufzer ließ sich der Oberst vor dem Stuhl, auf dem Marbolieb saß auf die Knie und ergriff ihre Hände. “Sorgst du dich um mich, Räblein?”, fragte Dwarosch mit leiser, rauer Stimme. Er hatte verstanden. Marbolieb nickte, die Lippen zusammengepresst. Sie flocht ihre Finger durch die ungleich breiteren des Mannes und drückte sie fest.

“Hmmm”, brummte Dwarosch langgezogen, da er seine Annahme bestätigt wusste. “Es geht mir mit dir aber ebenso, Räblein”, fügte er an und streichelte ihre Handrücken mit seinen Daumen.

“Das gehört wohl dazu, wenn man einander so nahe steht. Meint du nicht?” Die kleine Borongeweihte hob die Schultern, zögerte und nickte. Die Hände Dwaroschs ließ sie dennoch nicht los - sicherheitshalber. Stille kehrte ein, in der Dwarosch Marbolieb aufmerksam betrachtete. Er überlegte, das wusste sie.

“Da ist noch etwas, oder?”, tastete er sich schließlich vorsichtig vor. “Du wirkst bekümmert, Räblein. Ist es wegen deinem bevorstehenden Abschied, wegen Mirlaxa?” Er schüttelte sacht den Kopf. “Warum gerade jetzt?”

Marbolieb schüttelte den Kopf, ein unbewusstes Echo von Dwaroschs Geste. “Ich hätte dich vorhin nicht necken sollen, mein Liebster. Ich wusste nicht, dass du keine Freude daran hast. Entschuldige bitte. Es tut mir leid.”

Der Oberst stieß hörbar die Luft aus. Nun verstand er gar nichts mehr. Aber er wusste, er spürte, dass etwas ‘nicht stimmte’.

“Da ist nichts was dir leid tun und für das du dich entschuldigen müsstest, Räblein”, korrigierte er ihre Worte. “Wie mir scheint habe ich dich entweder nicht richtig verstanden, oder deine Worte falsch gedeutet.” Er seufzte. “Ich weiß es nicht ... Was ich aber glaube, ist, dass ich noch viel zu lernen habe, wie ich deine Worte, deine Stimmlage und deine Mimik zu deuten habe, Räblein.”

Abermals schüttelte die Geweihte den Kopf, energischer diesmal. “Ich werde mich künftig bemühen, eindeutiger zu sein, Dwarosch. Ich möchte nicht, dass du auf die letzten Wochen noch an mir verzweifelst.” Entschieden hielt sie seine Hände fest.

Sie wusste doch, dass der Zwerg sich nach seinen besten Möglichkeiten bemühte - es war nicht seine Schuld, dass sie ihm oft so unverständlich war. Auch wenn sie bezweifelte, dass ihm das Zusammenleben mit einer Angroschna sehr viel leichter gefallen wäre - doch diese würde vermutlich eher auf eine Weise mit ihm umgehen, die er selbst und sein Umfeld besser verstehen könnte.

“Oh nein Räblein.” Der Oberst lachte kurz auf. “Solange du nicht an mir Klotz aus sprödem Gusseisen verzweifelst, werde ich ganz sicher nicht die Waffen strecken.” Dwarosch stand auf, ohne die Hände der Geweihten loszulassen. Dann beugte er sich vor und küsste sie.

Es dauerte, bis Marbolieb wieder Luft bekam. Ihre Finger fest in die des Oberst verflochten hob sie mit leuchtenden Augen und roten Wangen den Kopf zu ihm. “Du bist doch kein Stück Gusseisen, Dwarosch.” Sie seufzte leise, ohne dass das Leuchten ihr Gesicht verlassen hätte, und holte tief Luft. “Aber manchmal habe ich den Eindruck, als würdest Du mich gar nicht bemerken.” Sie lehnte ihre Wange an das nächste Stück Oberst, das sie erreichen konnte. “Es ist doch nicht mehr lange, mein Liebster. Lass uns diese Zeit noch gut verbringen, ja?”

“Ja”, war die entschiedene Antwort. Eine andere konnte es nicht geben. Und selbst wenn dies den Schmerz des Abschieds und die darauffolgende Sehnsucht nur noch vergrößern würde, dies waren Sorgen von Morgen, heute aber galt das Leben zu feiern, denn jedem Sterblichen war nur eines davon vergönnt.

~*~

In der Zwischenzeit hatte Grimmgasch den Weg in die Heilige Halle und die angrenzenden Wohnräume hinter sich gebracht seine Sachen in der leeren Wohnung verstaut. Ein Beobachter, der sich zu diesem Zeitpunkt in der Halle aufgehalten hätte, hätte den jungen Priester laut singen und jubeln hören.

Kaffeeklatsch unter Frauen

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Da sich am Nachmittag die Gespräche zwischen Borindarax, Borix und auch Dwarosch immer mehr um die rein geschäftlichen Themen drehten, hatte Murla Marbolieb in ihr Zimmer eingeladen. Da sie in den letzten Tagen festgestellt hatte, dass Marbolieb gerne Kuchen und andere Süßigkeiten mochte, hatte sie ein paar kleine Kuchen backen lassen.

In dem Raum hing daher der Duft von frischem Kuchen, von Zuckerguss und frischem Obst. Murla führte die Boroni zu einem Stuhl und fragte sie: “Na, riecht das nicht gut? Was kann ich Dir anbieten?”

Hingerissen schnupperte die kleine Geweihte die herrlichen Düfte. “Wie komme ich zu der Ehre Eurer Einladung, edle Dame?” Ihr lief das Wasser im Mund zusammen angesichts all dieser vermuteten Leckereien - doch ganz ohne Grund hatte die Herrin dieses Gutes sie sicher nicht zu sich bestellt.

“Wieso?” fragte Murla zurück. “Na, weil ich mir dachte, dass Du nicht viel Interesse an den Zahlen und Plänen der Männer hast. Und alleine hier zu sitzen, ist doch auch kein Spaß, oder?”

“Ich habe einen warmen Platz am Feuer in Eurem gastlichen Heim.” Die Boroni schmunzelte sacht. “Mir macht das Warten nichts aus.” Erneut sog sie tief die Luft ein. Die Naschereien rochen verheißungsvoll. “Darf ich irgend etwas für Euch tun, Frau Murla?”

Murla verdrehte stumm die Augen. ‘Wann wird dieses Kind denn nur aufhören mich zu siezen?’

“Ja, Du kannst etwas für mich tun. Nämlich mit mir zusammen eine Tasse Tee trinken und ein paar dieser leckeren Küchlein verzehren.” Sie goß der Boroni eine Tasse frischen Kräutertees ein und stellte ihr ein Stück Nusskuchen auf den Teller. Dann führte sie die Hände der blinden Frau zu Tasse und Teller.

“So, jetzt langt zu!” “Seid bedankt.” Gänzlich konnte sie ihre Verwunderung ob der Einladung nicht verbergen, doch roch der frische, gewiss noch warme Kuchen so unwiderstehlich, dass sie diese Gedanken für’s Erste von sich schob. Vorsichtig fasste sie die Tasse und führte sie zum Mund - heiß und reichhaltig kitzelte der Duft nach Kräutern ihre Nase und ließ diese kribbeln. Andächtig und mit dem notwendigen Respekt vor der heißen Flüssigkeit trank sie die ersten Schlucke, ehe sie den ersten Bissen des Kuchens kostete. Der Duft hatte untertrieben. Sie schloss vor Wohlbehagen einen Atemzug lang die Augen und kostete die Süße und den feinen Anklang nach verschiedensten Gewürzen aus, den die Leckerei verströmte, ehe sie wohlig seufzte.

“Habt ihr ihn selbst gebacken, edle Dame?” erkundigte sie sich einen Bissen später. “Er ist köstlich.”

“Ja, heute habe ich den Kuchen mal wieder selber gebacken”, antwortete Murla schmunzelnd. “Es sollte ja auch gelingen. Und Metathag kann vielleicht gut Brote backen, aber bei einem guten Kuchen versagt er.” Marbolieb hörte, wie auch die Angroschna von dem Kuchen aß.

“Ja, er ist ganz gut geworden. Willst Du noch ein Stück? Oder von dem Apfelkuchen?” “Apfelkuchen? Sehr gerne.” Die Augen der blinden Frau leuchteten auf. “Habt ihr Apfelbäume in Ishna Mur?” fragte sie neugierig.

Murla musste grinsen. “Naja, natürlich nicht in der Binge”, antwortete sie fröhlich. “Aber es gibt über uns ein paar unzugängliche kleine Täler und Mulden, die wir hauptsächlich als Weiden für die Schafe und Ziegen nutzen. Und auf einigen von diesen wachsen auch an gut vor dem Wind und der Kälte geschützten Stellen ein paar Obstbäume. Aber ansonsten kaufen wir das Obst auch in den Weilern, die hier um die Bergwacht verstreut sind.” “In Calmir habe ich einen alten Nussbaum auf dem Anger - und um das Dorf stehen einige Obstbäume.” Die aber den Bauern gehörten. Ähnlich hoch musste die Siedlung liegen.

“Gibt es Feldfrüchte, die ihr hier in der Nähe anbaut?” Wieder kicherte die Angroschna. “Nun Feldfrüchte würde ich es nicht gerade nennen. Wir ziehen aber sehr viele Pilze hier im Berg. Alles andere kaufen wir von den Bauern. Die Fläche von Ishna Mur ist zu steil für Ackerbau. Aber bei Dir in Calmir leben demnach viele Bauern?” “Drei Dutzend Familien. Und einige Holzfäller und Köhler. Es sind sehr viele Kleinbauern darunter - viel wirft das Land nicht ab. Die besseren Ackerbaugebiete sind die Täler praioswärts der Via Ferra, habe ich gehört.”

“Das klingt ja nach einer furchtbar langweiligen Einöde”, meinte Murla. “Kein Wunder, dass es Dich da nicht mehr hinzieht. Oder musst Du dort auch noch die Aufgaben der Priester der anderen elf Götter übernehmen?”

“Es gibt noch einen Tempel der Travia dort. Dessen Priesterpaar hat sich bisher um alles gekümmert.” Sie genoss einen Bissen des hervorragenden Apfelkuchens, der ihrem Gaumen schmeichelte und nach Herbstsonne, reifen Früchten und einem behaglichen, warmen Nachmittag schmeckte.

“Ich habe keine Auswahl bei meinem Tempel.” sagte sie mit ruhiger Stimme. “Ja, das hattest Du schon mal erwähnt”, nickte Murla. “Du wirkst aber so als wenn Dich in Calmir keiner so recht mag, oder täusche ich mich?” “Ich bin fremd für sie.” stimmte die Boroni zu. “Ich passe nicht in ihre Ordnung - bin ich eine Geweihte, aber auch eine unverheiratete Mutter.”

“Ja, und mit einem Angroscho liiert”, ergänzte Murla noch. “Und wir haben ja gesehen, was das für Reaktionen unter den trägen Angroschim hervorrufen kann - das kann ich mir die Bemerkungen hinter Deinem Rücken in Calmir gut vorstellen.” ‘Armes Ding!’ ergänzte Murla noch ohne es auszusprechen.

“Sie werden sich irgendwann an mich gewöhnen.” murmelte die Geweihte, der bei diesem Thema der letzte Bissen Apfelkuchen im Mund schal geworden war. “Zumindest, wenn jemand stirbt.” Was in diesem Kontext keine gute Voraussetzung für freundliche Aufnahme war. “Darf ich noch Tee haben?” setzte die Boroni hinterher, offensichtlich in der Hoffnung, sich damit den Geschmack aus dem Mund spülen zu können. “Aber gewiss doch”, antwortete Murla und goß der Boroni noch ein weiteres Mal den Becher voll. “Ich hoffe, dass Euch die Kräuter nicht zu stark sind. Meine Männer mögen immer ein starkes Gebräu.”

“Er ist lecker.” Die Kräuter waren kräftig, aber auch angenehm am Gaumen und auf der Zunge. “Verwendet ihr hierfür auch zwergische Besonderheiten?” stupste die Geweihte das Gespräch in eine andere Richtung. Murla kicherte. “Was meinst Du mit ‘Besonderheiten’?”

“Pilze oder Mineralien?” Schmunzelte die Geweihte. “Ja”, lachte Murla. “Aber nur ein paar.

Aber im Ernst, wir Angroschim nutzen alles, was wir unter der Erde finden. Sei es Erz, Mineral oder Pilz.” “Im Tee?” Marboliebs Stimme verriet ihren Unglauben. Andererseits … warum nicht. Sie vertraute darauf, dass die Bergvögtin nicht darauf aus war, ihren Gästen wirklich Ungemach zu bereiten - mehr als ein Bauchgrummeln würde sie sicher nicht davontragen. “Ja, im Tee, im Essen, wo immer man Gewürze hinein tun kann.” erwiderte Murla. “Aber ich kenne die Wirkung der Mineralien auf euch Menschen und weiß daher, was ich in den Kuchen für Dich hinein streuen kann. So schmeckt er nur gut, hat aber keine Nachwirkungen.”

Marbolieb nickte dankbar. “Ich hoffe, dafür ist er für euch nicht zu fad. Dwarosch mag kein Brot - wenn es Menschen backen. Er sagt, es schmeckt nach nichts.” “Ach, das ist nicht schlimm.” meinte Murla fröhlich. “Ich bin in Albenhus aufgewachsen und habe dort fast mein ganzen Leben verbracht, dort gibt er viel mehr Großlinge als Angroschim. Da lernt man was schmeckt und nicht schmeckt. Aber ich glaube für eine Xorloscher, der nie in seinem Leben aus der Stadt herausgekommen ist, koche ich viel zu fad.”

“Glücklicherweise ist Dwarosch das nicht.” schmunzelte Marbolieb. “Die Küche hier im Norden ist auch eine andere als in Punin. Aber jede kennt schmackhafte Gerichte.” “Ja”, stimmte ihr der Angroschna zu. “Überall wird anders gekocht, aber alle kochen nur mit Wasser. Von Punin nach Calmir, das ist aber schon ein gewaltiger Unterschied. Vermisst Du die große Stadt? Oder ist Dir das Leben in so einem kleinen Dorf wie Calmir lieber?”

“Ich mag den Tempel in Punin.” bekannte die junge Geweihte. “Und ich vermisse meine Brüder und Schwestern.” “Das kann ich mir gut vorstellen”, nickte Murla versonnen. “Mir fehlt auch manchmal die Stadt. Hier in Ishna Mur gibt es wenig Frauen und die, die es gibt sind alle viel jünger als ich. Deshalb freue ich mich, dass Du mir Gesellschaft leistest.”

“Gerne” nickte die Boroni, der die Situation merklich noch immer nicht geheuer war. In Senalosch trank sie hin und wieder Tee mit Topaxandrina, der Haushälterin, doch Bekannte darüber hinaus besaß sie dort nicht. In Calmir wäre es niemand eingefallen, sich mit ihr sehen zu lassen, geschweige denn, sie in sein Haus zu laden. “Doch ich möchte euch nicht eure Zeit rauben, edle Dame, wenn ihr etwas anderes zu tun habt.”

“Was habe ich denn hier schon groß zu tun?” war die rhetorische Gegenfrage Murlas. “Borix ist hier, die Jungs kümmern sich um den Rest. Es ist keiner verletzt oder krank. Somit führe ich das gelangweilte Leben einer Landadligen. Ich könnte die Diener antreiben oder die Köche und Bäcker ärgern, aber wirklich was zu tun ist nicht. Daher plaudere ich gerne.”

“Ihr habt die Kuchen gebacken.” wandte die junge Frau ein. “Und ihr seid für die Verwaltung des gesamten Haushalts zuständig.” Was auch keine kleine Aufgabe war. Zeit zu plaudern war nicht das, was eine Dame in dieser Position üblicherweise im Überfluss besaß. “Oh ja!” Murla kicherte in sich hinein. “Du hättest Metathag sehen sollen, wie er in seiner Backstube stand und Angst hatte, dass ich ihm irgendetwas kaputt mache oder in Unordnung bringe.” Wieder ein leises Kichern. “Ich hatte Spaß dabei.”

Nach einer Pause, in der Marbolieb hörte wie die Angroschna ein paar Bissen von dem Kuchen aß und anschließend noch einmal Tee in ihren Becher goß. “Und was die Verwaltung angeht, da ist Bengurr in seinem Element. Alles was mit Zahlen und Konten zu tun hat, wird von ihm umgehend erledigt. Und er teilt auch in der Regel die Arbeit ein. Wobei es ja ausschließlich Angroschim hier in der Bergwacht sind - die kennen ihre Arbeit und machen diese auch ohne das man es ihnen mehrmals am Tag sagen muss. Du siehst, dass das für mich keine große Aufgabe ist.”

Marbolieb suchte verlegen die letzten Krümel auf ihrem Teller, übersah einen großzügigen Kuchenrest, der sich am Rand versteckte, und legte vorsichtig ihre Gabel auf der irdenen Platte ab. Sie nickte, nur halb überzeugt. “Ich bewundere eure Kunstfertigkeit.” zollte sie der Zwergin ihre Bewunderung. “Wärt ihr keine Adelsfrau und Hebamme, so würdet ihr als Zuckerbäckerin sehr gerühmt. Wo habt ihr das Backen erlernt?”

“Ich sagte ja, dass wir in Albenhus mit den Großlingen zusammen leben”, erklärte Murla fröhlich. “Und ich war als junges Ding immer neugierig. So habe ich immer gefragt, wenn mir etwas gut geschmeckt hat. Und die meisten Menschen waren so nett, dass sie mir ihre Rezepte verraten haben. Und eine Angroschna hat viel Zeit im Leben, diese Rezepte auszuprobieren und zu verfeinern. Und jetzt bin ich schon über 90 Jahre alt - noch in einem guten Alter für eine Angroschna, aber schon mehrere Generationen für euch Menschen.”

“Es muss spannend sein, mehrere Generationen an Menschen kommen und gehen zu sehen.” Die Geweihte faltete ihre Hände auf ihrem Schoß. “Ein ganz eindringlicher Blick auf die Sterblichkeit der Menschen, mit denen ihr bekannt seid. Sagt, was macht das mit euch?”

Murla lächelte als sie antwortete. “Es ist schwierig, wenn man aufwächst und dabei merkt, dass die Menschen aus seinem Umfeld schon dahinsiechen und sterben. Aber je älter Du wirst, umso einfacher ist es mit dieser Trauer umzugehen. Und mit der Zeit bindest Du Dich nicht mehr so weit an die Menschen.”

“Das ist verständlich.” nickte die Boroni. “Doch hat es in Albenhus niemanden gegeben, der euch etwas bedeutet hat?” “Ich hatte Dir doch erzählt, dass ich Borix kennengelernt habe als ich noch sehr jung war. Und er war dann mein Fixstern im Leben. Und er wird mit mir alt werden - jetzt da er nicht mehr in den Krieg zieht, wird das auch sicherer als früher.” “Ich freue mich für euch.” Ein kleines Lächeln tanzte wie eine Flamme über die Lippen der jungen Frau und erlosch wieder. “Und ich wünsche euch, dass ihr eure gemeinsame Zeit noch lange genießen könnt.” Was wenig entgegenstand, wenn ihr Gemahl es schaffte, seine üblen Erlebnisse hinter sich zu lassen.

“Ich würde Dir das gleiche wünschen wollen”, meinte Murla ein wenig traurig. “aber Dwarosch wird Dich vermutlich überleben, wenn er sich nicht vorher in einem Kampf selber umbringt.” Murla nahm noch einen Schluck Tee bevor sie fortfuhr.

“Das ist aber kein Thema für eine gemütliche Teestunde, oder?” Marbolieb knetete ihre Finger und grübelte, ehe sie nickte und den einfachsten Ausweg nahm. “Über welches Thema möchtet ihr gerne sprechen, edle Dame?” Die Angroschna betrachtete den Becher in ihren Händen, dann stellte sie die nächste Frage: “Deine Augen, sie sehen gesund aus, aber Du kannst nicht sehen. Magst Du mir erzählen, wie so etwas passiert ist?”

Marbolieb wurde bleich und krampfte ihre Hände zusammen, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Auf ihrer Schläfe glitzerten einige Schweißtropfen und ihre Lippen bewegten sich tonlos. Sie schluckte, und nahm erneut Anlauf.

“Ich wurde von einer Paktiererin entführt. Dabei habe ich ein giftiges Gebräu getrunken, das mich blind werden ließ.” Ihre Stimme war nur ein kratziges Flüstern.

“Bei Angrosch!” entfuhr es Murla. “Du armes Ding, das ist ja schrecklich. Und es ist nicht möglich, dass Du wieder sehen kannst? Kann ich Dir helfen?” “Der Gebirgsbock hat es sich angesehen - er sagte, das kommt irgendwann wieder von allein.” Die Boroni hatte den Kopf gesenkt und sprach zu ihren Händen. “Der wer?” fragte Murla verdutzt. “Der Gebirgsbock, wer oder was ist das denn?” “Seinen wirklichen Namen kann ich mir nicht merken.” bekannte die Boroni. “Ein zwergischer Druide, der bei Seiner Hochgeboren Borindarax in hohem Ansehen steht.”

“Hmm”, überlegte Murla. “Nun ja, in Senalosch haben wir ja nur eine kurze Zeit gewohnt. Da habe ich ihn nicht kennengelernt. Schade, wäre sicherlich interessant gewesen. Aber egal, dürfte ich es mir einmal ansehen?” Kaum merklich zuckte die Boroni mit den Schultern. “Gewiss.”

“Aber wirklich nur, wenn es Dir nichts ausmacht!” meinte Murla noch vorsichtig. Marbolieb schüttelte den Kopf. Und selbst wenn - sie war hier zu Gast und ihrer Gastgeberin viel für deren Freundlichkeit und die Zeit, die sie ihr schenkte, schuldig. Allein, dass sie ihr hätte helfen können, bezweifelte sie - weder die Kräfte des seltsamen Zwergen, der sie von ihrer nicht nur derischen Vergiftung befreit hatte, noch die Macht ihres Herrn, des größten und letzten Heilers, hatten bislang irgendeinen Unterschied bewirkt. Sie hörte wie Murla sich erhob und zu ihr hinüber kam.

“Nicht erschrecken, wenn ich Dich jetzt anfasse.” Dann legten sich vorsichtig die schwieligen, aber angenehm warmen Finger auf Marboliebs schweißfeuchte Stirn und führte sie dann langsam um ihre Augen. Dann lösten sich die Hände und Marbolieb hörte nur ein paar leise, ärgerliche Worte auf Rogolan. Marbolieb spürte, wie etwas vor ihren Augen hin und her geführt wurde. Da auch da die Boroni keine Reaktion zeigte, setzte sich Murla wieder.

“Deine Augen sind nicht eigentlich krank. Sie sehen heile und gesund aus, aber sie sehen anscheinend nicht. Ohne mehr über Deinen Fall zu wissen, kann ich Dir nicht helfen.”

Das klang sehr enttäuscht, aber Murla musste sich auch eingestehen, dass sie wohl nicht die erste war, die der armen Boroni helfen wollte. Gut, sie war keine schlechte Medica, aber hier waren mehr und intensivere Untersuchungen nötig, wenn es die Geweihte wollte - und davon war Murla nicht überzeugt.

“Was müsst ihr wissen?” kam die verzagte Gegenfrage. “Oh, eigentlich alles was Du weißt”, meinte Murla. “Das was Dir auch der Geode gesagt hat.” Dann besann sich Murla.

“Ich glaube, ich werde erst mit dem Geoden sprechen. Dann sehen wir weiter.” Murla schenkte sich noch Tee nach. “Möchtest Du auch noch eine Tasse?” Marbolieb nickte, dankbar, dass ihr im Augenblick weitere Worte erspart blieben.

Murla konnte das erleichterte Aufleuchten ihrer Miene ausmachen, als sie der blinden Geweihten die Tasse in die Hand gab. “Meinst Du es passt noch ein wenig Kuchen in den Bauch?” fragte die Angroschna nach - die Boroni könnte das gut vertragen. Die nickte, teils, weil sie den Kuchen sehr genoss, teils, weil es ihren Händen etwas zu tun gab - und der volle Mund zumindest für einige Augenblicke das weitere Gespräch verhinderte.

So saßen die Frauen eine Zeit still kauend in ihre Gedanken versunken auf den Sesseln. Nach einer Weile war es dann Murla, die den Gesprächsfaden wieder aufnahm: “Wie gefällt es Dir hier in Ishna Mur?” “Ihr habt mich sehr gastfreundlich hier aufgenommen, Frau Murla. Dafür danke ich euch.”

Sie stocherte auf ihrem Teller nach dem Kuchen und genoss ein Stück. “Ihr habt sehr große und großzügig eingerichtete Gästeräume.” Kein Vergleich zu den Zimmern in Senalosch - der Raum, den Dwarosch und sie sich teilten, war nicht ein Viertel so groß. Aber dafür war es einfach, sich dort zurechtzufinden - und sie hatte dort die gute Stube des Vogtes zur Verfügung, wenn sie sich dort aufhalten wollte - und die Küche mit Topaxandrina.

“Es muss viel Arbeit sein, sie instandzuhalten.” “Es ist viel anstrengender die Binge auszubeuten als die paar Zimmer herzurichten.” antwortete die alte Zwergin fröhlich. “Wir wussten doch einen Tag vorher wieviele Gäste kommen. Borix hatte seine Jäger in den letzten Wochen immer den Weg nach Senalosch überwachen lassen.” “Weise.” nickte die Geweihte. “Habt ihr hier häufig Gäste?”

“Nein”, meinte Murla etwas traurig. “In der Regel kommen ein paar Händler vorbei, die uns Erz abkaufen wollen. Aber da das in der Regel Menschen sind, bleiben sie draußen im Turm. Wie Du von Borix gehört hast, dürfen keine Menschen in die Bergwacht. Du und Meister Argmin seid die ersten. Aber die meisten Menschen wollen auch gar nicht unter dem Berg wohnen, sondern lieber draußen wo sie den Himmel sehen können. Aber Du magst die Wohnstätten der Angroschim?”

Marbolieb biss sich auf die Lippen und Murla bemerkte, wie sie zögerte. “Sie sind sehr großzügig eingerichtet und wärmer, als ich gedacht hätte.” bemerkte sie diplomatisch, ohne indes die Frage der Zwergin zu beantworten. Das Zögern ließ Murla darauf schließen, dass die Geweihte diesen letzten Satz aus Höflichkeit gesagt hatte, damit hätte sie vielleicht eine unerfahrenere Angroschna täuschen können.

“Ob Dwarosch nicht auch ein luftiges Turmzimmer für euren Aufenthalt vorziehen würde?” brachte ihre Vermutung auf den Punkt. “Warum sollte er das?” kam prompt die verwunderte Gegenfrage, die Murla verriet, dass die Menschenfrau sie gerade absolut nicht verstand.

“Weil er Dich damit glücklicher machen würde als hier unter dem Berg”, war das knappe Fazit. Die Wangen der Geweihten röteten sich dezent. “Aber er weiß doch gar nicht … “ begann die junge Frau. “Und es muss doch kein Turmzimmer sein.” setzte sie leise hinzu. Irgend etwas mit einem Fenster und frischer Luft hätte vollkommen ausgereicht.

“Hier in Ishna Mur gibt es außerhalb des Bergs nur noch Zimmer im Turm”, erwiderte Murla. “Und das sind sehr schöne Zimmer. Kannst Du denn wegen der dauernden Hämmerei, die Du in eurem Zimmer hörst, nicht gut schlafen?” fügte sie mit einem Zwinkern - das man auch ihrer Stimme entnahm - hinzu. “Ich kann fast überall schlafen.” schüttelte Marbolieb den Kopf. “Aber unter der Erde … “ die Frau schauderte es “... es fühlt sich an, als würden die Wände mich erdrücken.” “Ja!” meinte Murla und verdrehte ihre Augen. “Aber wenn Du es Dwarosch sagst, dass Dich das Hämmern stört, dann nimmt er vielleicht Rücksicht und ihr könnt im Turm schlafen. Das wäre doch etwas, was Dir gut tun würde.”

“Aber das Hämmern stört mich doch nicht.” wandte die Menschenfrau ein, “Warum sollte ich ihn anlügen?” “Weil Du ihm nicht die Wahrheit gesagt hast!” war die lapidare Antwort der Angroschna. “Er hat mich nie gefragt.” “Aber die Räume der Angroschim unter der Erde erdrücken Dich!” “Ich werde es aushalten.” Müssen. Und können.

“Warum?” fragte Murla. “Es quält Dich! Hat er was mit Deiner Erblindung zu tun? Oder war es Dir vorher schon unheimlich?” Marbolieb schüttelte den Kopf. “Ich wurde in ein unterderisches Verlies eingesperrt.” Sie biss sich auf die Lippen und senkte den Kopf. “Ein paar Tage - wie lange genau weiß ich nicht.”

“Und Du hast das noch niemanden, der Dir helfen könnte, erzählt?” Stumm schüttelte die Geweihte den Kopf. “Möchtest Du mir die Geschichte erzählen, das befreit Deine Seele!” “Ich kenne euch kaum, Wohlgeboren.”

“Borix kennst Du auch kaum und trotzdem hat er sich Dir anvertraut. Du musst nun einfach mir vertrauen. Und alles was Du sagst, bleibt zwischen uns.” “Dennoch, edle Dame … .” Die Boroni hielt den Kopf gesenkt und schluckte. “Ich kann euch meine Geschichte erzählen. Doch ändern wird dies nichts.”

“Doch es wird sicherlich etwas ändern, denn wenn Du Dir über die Ursachen Deines Traumas klar wirst, erwächst daraus Stärke. Und diese Stärke brauchst Du um mit Deinem Leben und Deiner Liebe fertig zu werden. Und durch diese Stärke kannst Du Dwarosch stützen und ihm sicher zur Seite stehen. Und er braucht Dich! Vertraue mir einfach, Du bist nicht die erste die ihren Kummer und ihr Leid los wird.”

“Ich weiß sehr wohl, was ein Gespräch bewirkt.” Marbolieb bemerkte, wie ihr das persistente Bohren der Zwergin die Haare sträubte. Die Frau war der einzige Gesprächspartner hier - dennoch, sie war ihr weder angenehm, noch fühlte sie sich wirklich wohl in ihrer Nähe. “Euer Wohlgeboren, bitte versprecht mir, dass ihr meine Meinung zu den Kellern weder Dwarosch noch irgend jemand, der es an Dwarosch weitertragen kann, zu Wissen kommen lasst.” bat sie statt dessen.

“Ich habe Dir doch gesagt, dass der Inhalt des Gesprächs hier im Raum bleibt.” wiederholte Murla. “Aber wenn Du mir nicht vertraust, dann musst Du es mir auch nicht erzählen. Ich handele nicht aus Neugier, sondern ich möchte Dir helfen.” “Gebt ihr mir euer Wort?” “Ich gebe Dir mein Wort, bei Angrosch!” Sie lehnte sich ein ihrem Sessel zurück: “Und jetzt erzähl mir bitte alles.”

Die Boroni faltete - mühevoll locker - ihre Hände ineinander, setzte sich aufrecht und überlegte sich sorgfältig ihre nächsten Worte. “Es war im vorletzten Winter.” Lange. Und doch nicht lange genug. Doch hatte das Geschehen ihr Zeit in Senalosch erkauft. Zeit zusammen mit Dwarosch. Und mit ihrer Tochter.

“Es gab eine Widersacherin Borons in den rabensteiner Wäldern. Schon viele Götterläufe; sie schaffte es immer wieder, sich ihren Häschern zu entziehen.” Die junge Frau holte tief und konzentriert Luft. “Ihre Handlanger überwältigten mich.” Die Lippen der Geweihten wurden schmal und die Knöchel an ihren Händen traten hell hervor, auch wenn ihre Stimme noch immer ruhig, kontrolliert und anscheinend gelassen klang. Vorsichtig legte Murla ihre Hand auf die der Geweihten.

“Sie sperrten mich einige Tagesreisen entfernt in den Keller einer Ruine.” Marboliebs Stimme widersetzte sich, wurde heißer und dünn. Sie schluckte, einmal, mehrmals, ohne dem Kratzen in ihrem mit einem Mal staubtrockenen Hals Herr zu werden. Überdeutlich erinnerte sich sich an die nassen, glitschigen Wände, den Geruch von Moder und feuchtem Stein, die Bedrückung und Enge tief unter der Erde, die auf sie einzustürzen schienen und ihr das letzte bißchen Wärme und Leben aus dem Leib pressten. Hunger, Durst, Angst und wachsende Verzweiflung waren in diesen Tagen - wie viele es waren, wusste sie nicht - ihre Begleiter geworden.

Sie holte tief Luft und rieb sich mit eiskalten Händen über die Oberarme, auf denen sich eine dicke Gänsehaut gebildet hatte. Murla sah, wie die gebräunte Haut der Menschenfrau die Farbe von fahlem Quark angenommen hatte. Sanft begann sie den Handrücken der Priesterin zu streicheln. Die warmen Finger versuchten der Boroni Trost und Beistand zu geben.

“Sie flößten mir eine widerwärtige Brühe ein - bitter, beißend, und wie flüssiges Eis.” Widernatürlich, im tiefsten Sinne falsch, einem Messer gleich, dass ihren Geist und ihr Innerstes Stück für Stück zerteilte, in so feine Fetzen, dass der Wind sie davontrug. Die Erzählung war nicht mehr als ein heiseres Flüstern, mit dem sich die kleine Geweihte jedes Wort entrang.

“Ich wurde nach draußen gebracht und auf einem Block fixiert.” Was genau ihre Peiniger damals unterfingen, war noch immer nur eine verschwommene Erinnerung - doch die Schmerzen, die wie Klingen aus Eis in ihrem Leib gewütet hatten, standen ihr noch immer klar und deutlich in Erinnerung. Sie fror am ganzen Leib und ihre Hände begannen zu zittern. Einer ihrer weiten Ärmel rutschte zurück und offenbarte knapp hinter dem Handgelenk eine zwei Finger breite, rote und deutlich hervortretende Narbe auf der Armober- und unterseite. Hastig zog die junge Frau das dunkle Stück Stoff wieder über ihren Handrücken und rieb gedankenverloren über dem Ärmel darüber, bis ihr die Geste auffiel und sie verschämt abermals ihre Hände faltete.

“Sie sagen - riefen. Etwas. Jemanden.” Sie verstummte, schluckte, versuchte sich abermals. “Etwas kam. Zwei Präsenzen.” Schmerzhaft fest krallten sich ihre Finger ineinander. “In mich … durch meinen Kopf … .” Ein brennendes Reißen, ein Schmerz, wie sie ihn nie zuvor erlebt hatte - und selbst die Erzählung reichte vollkommen aus, dass er sich ihres Leibs gänzlich bemächtigte. “... ein Schlingen und Reißen … “ in ihrem Leib, stärker noch in ihrem Geist.

Ein kleiner Rest ihres Geistes notierte interessiert, dass die wiederholte Erzählung die Geschichte mitnichten erleichterte - im Gegenteil. Erstaunlich, wie stark die körperliche Reaktion war, die sie noch immer hervorzurufen imstande war. Die Worte der Geweihten erstarben, und der Rest Marboliebs war damit beschäftigt, die bittere Galle, die sich ungeladen in ihrem Hals sammelte, zu schlucken, während ihr Leib zu Eis erstarrte und der Kuchen in ihrem Magen zu einem Steinblock gefror.

Sie unterdrückte ein Schluchzen und presste ihre Stirn an ihre Hände, rang das Zittern in ihrem Leib nieder, holte einmal, zweimal tief Luft und klammerte sich verbissen an alles, was ihr lange Götterläufe Übung, Meditation und Schulung an Gemessenheit verschafften - und geriet dennoch an ihre Grenzen damit, die Bitternis und das Würgen in ihrem Hals zu bändigen, die sich immer ungestümer Bahn brach und gegen die auch wiederholtes Schlucken nicht half. Ein sanfter, grüner Farbton kroch um ihre Lippen, und Schweißperlen rannen über ihre blassen Schläfen.

Murla war bei den letzten Worten aufgesprungen und versuchte die Boroni, die verkrampft in dem Sessel saß, zu beruhigen. “Kommt mit!” forderte sie die Boroni auf. “Es ist nicht weit nur ein paar Schritte, dann könnt Ihr Euch erleichtern.”

Die Erzählung der Geschichte hat Murla tief bewegt, aber die körperliche Not der Boroni ließ sie schnell handeln und so führte sie die zitternde Marbolieb schnell zur nahegelegenen Latrine. “Hier!” sagte sie noch und half der Geweihten die richtige Richtung zu finden. Über ihre eigenen Füße stolpernd taumelte die Geweihte in die Richtung, in die sie die Zwergin bugsierte, schluckte den bitteren Speichel, er sich ergiebig in ihrem Mund sammelte, und schaffte es gerade noch so, den gewiesenen Ort zu erreichen, ehe sie sie geräuschvoll mit heftigen Krämpfen von all dem Kuchen und Tee verabschiedete.

Erschöpft sank sie mit schweißnasser Stirn zu Boden, rang nach Luft und wischte sich verschämt mit ihrem Ärmel über ihren Mund. Murla hatte draußen vor der Latrine gewartet bis die Geweihte sich wieder gefangen hatte. “Ihr habt noch etwas am Kinn”, bemerkte sie als Marbolieb wieder heraustrat. “Oh.” Mit zitternden Knien lehnte Marbolieb sich an die Wand und wischte mit ihrem Ärmel verlegen abermals über ihr Gesicht. Schön wäre es gewesen, wenn diese Latrine auch über einen Krug mit Wasser und eine Schüssel verfügt hätte - doch hatte ihr erstes vorsichtiges Tasten nichts dergleichen ergeben. “Hier nebenan ist ein Raum, wo Ihr Euch waschen könnt!” erklärte Murla. “Habt Ihr eine weitere Robe? Dann würde ich die reinigen lassen.”

Marbolieb nickte. Ihr war eiskalt, und sie war am ganzen Körper schweißbedeckt. Dankbar ließ sie sich von der älteren Zwergin zu der Waschgelegenheit führen. Das eisige Wasser tat gut und half ihr, ihre wirbelnden Gedanken wieder zu bändigen. “Ich kann meine Robe selbst waschen.” bot sie mit leiser Stimme an, als sie mit unsicheren Schritten wieder auf den Gang heraustrat. “Könnt ihr mich zu unserem Zimmer bringen?” Welch für ein Glück, dass Dwarosch so großzügig gewesen war und ihr gleich zwei Sommerroben geschenkt hatte.

“Es ist kein Problem”, meinte Murla. “In den Zimmer gibt es doch nichts Vernünftiges, mit dem Ihr waschen könnt.” Sie führte die Geweihte langsam in ihr Zimmer. “Wollt Ihr mir bei einer der nächsten Möglichkeiten das Ende der Geschichte erzählen?” Aufmerksam stöberte Marbolieb in ihrer schmalen Reisetasche und zog ihre zweite Robe hervor, die sie sorgfältig auf dem Bett ausbreitete.

“Viel gibt es nicht mehr, Wohlgeboren.” Kurz entschlossen zog sie sich ihre besudelte Robe über den Kopf und offenbarte dabei sehr ähnliche Narben an sämtlichen Armen und Beinen. Um den Hals trug die Geweihte eine silberne Kette aus ineinander verschlungenen oktagonalen Kettengliedern, an der ein ebenfalls achteckiger Anhänger mit zwergischen Runen hin. Ein Amulett mit einem Boronsrad aber fehlte.

Sie zog sich die saubere Kutte über das dünne Untergewand und befestigte den Gürtel, an dem eine kleine Tasche und ein nicht sehr großer Beutel hing. Verschämt faltete sie die beschmutzte Robe.

“Mit einem Mal endete es. Ich glaube, ich hörte dabei Dwaroschs Stimme. Als ich wieder zu mir kam, war er bei mir - mein Augenlicht blieb fort. Vollständig zu Sinnen kam ich erst viele Tage später wieder in Senalosch.”

Marbolieb atmete tief durch und hielt die Hand um einen der stabilen Bettpfosten geklammert, der ihr Halt und Schutz gleichermaßen bot. Noch immer war sie äußerst bleich im Gesicht. Ihre Knie zitterten. “Das Ganze was Ihr durchgemacht habt ist schrecklich, das stimmt.” Murla nahm der Geweihten die verschmutzte Robe ab. “Morgen ist sie wieder sauber.” “Es ist vorbei, edle Dame.” beschwichtigte die Boroni und nickte dankbar, als sie die Robe übergab.

“Soll ich noch ein wenig bleiben bis Ihr Euch wieder beruhigt habt?” fragte Murla, die die erregte Boroni jetzt nicht alleine lassen wollte. Die schüttelte erschlagen den Kopf. “Danke nein.” flüsterte sie mit erschöpfter Stimme. Ihr warmes Bett rief sie mit sehr verführerischer Stimme - die Aussicht, sich jetzt einfach die Decke über den Kopf ziehen zu dürfen, war mehr als verlockend. Ihr war immer noch kalt, und erschöpft war sie obendrein. Das Bett war eine wirklich gute Idee - aber ganz sicher nicht vor den Augen der Bergvögtin.

Bis zu dem Gespräch mit dem Bergvogt heute Abend musste sie wieder ruhig erscheinen - irgendwie. Wo Dwarosch wohl gerade war?

“Dann lasse ich Euch alleine”, mit diesen Worten verabschiedete sich Murla. “Klingelt bitte, wenn Ihr etwas braucht!” Klingeln? Verwirrt lauschte die Boroni der ins Schloss fallenden Tür, trat sich die Schuhe von den Füßen und vergrub sich mit einem dankbaren Seufzen unter der warmen Bettdecke.

Borix zweite Hilfe

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Am Abend schickte Murla ihren Borix zu dem gemeinsamen Zimmer von Dwarosch und Marbolieb. Borix stapfte durch die Gänge und klopfte an die Tür der kleinen Zimmerflucht. Es dauerte etwas bis von drinnen ein leises “herein” erklang. Es war unzweifelhaft die Stimme des Oberst die sprach und er schien leicht überrascht über die späte Störung.

Borix öffnete die Tür und steckte den Kopf hinein. “Euer Gnaden? Wir wollten uns doch heute Abend noch einmal unterhalten.” Die Geweihte indes schlief seit dem Nachmittag noch immer tief und fest unter der Decke, nur ein Berg aus Stoff und Kissen war von ihr zu sehen. Der Oberst saß am Tisch und hob den Kopf. Er war offenkundig gerade dabei sein Kettenhemd zu ölen, dass ausgebreitet auf der Holzplatte lag. “Ist es wichtig? Ich würde sie nur ungern wecken.”, fragte Dwarosch mit gedämpfter Stimme.

“Hmm”, meinte der Angesprochene, “ich denke schon. Sie hatte gestern gesagt, dass sie solange ihr hier seid jeden Abend mit mir sprechen wollte. Nun weiß ich nicht, ob es ihr recht ist, wenn ich jetzt einfach so wieder gehe.” Dwarosch stieß hörbar unwillig die Luft raus, schüttelte fast unmerklich den Kopf ob der vagen Worte und erhob sich dann, um gemächlichen Schrittes zur schlafenden Geweihten hinüberzugehen.

“Räblein”, fasste er sie sanft an den Schultern, als er neben dem Bett stand. “Du hast Besuch.” Leise brummend bewegte sich der Berg aus Stoff und der Kopf der jungen Frau kam zum Vorschein. Sie rieb sich die Augen und hielt sich die Hand vor den Mund, als sie ausgiebig gähnte. “Was ist?” murmelte sie verschlafen.

Dwarosch räusperte sich. “Meister Borix ist gekommen, um mit dir zu sprechen.” “Hallo, Euer Gnaden”, grüßt der Bergvogt höflich. “Wir hatten uns gestern für heute Abend verabredet. Ich hoffe, dass es Euch genehm ist. Sonst verzeiht meine Störung und ich gehe wieder.”

“Meister Borix!” Erschrocken fuhr die Geweihte auf, zog ihre Robe zurecht und suchte nach Gürtel und Schuhen. “Ich komme!”

Wie hatte sie nur das Gespräch verschlafen können! Sie musste nach dem Gespräch mit Murla deutlich tiefer in Borons Arme geraten sein, als sie erwartet hätte. Sie zog den zweiten Schuh an, hakte ihren Gürtel verkehrt herum zu und zog sich die Kapuze gerade. “Meister Borix? Wo seid Ihr?”

“Ich bin hier, Euer Gnaden!” der Bergvogt betrat jetzt die Räume und trat zu der Geweihten. “Soll ich Euch führen?” Die Boroni nickte dankbar und richtete die letzten Teile an ihrer Ausrüstung, bis sie sich einigermaßen präsentabel wähnte. Borix reichte daraufhin Marbolieb die Hand und verabschiedete sich mit einem “Bis später!” vom Oberst. Marbolieb folgte, verlegen und diensteifrig und mit einem schlaftrunkenen halben Gähnen, dem Bergvogt. Der Bergvogt geleitete die Boroni wie am Vorabend in sein Arbeitszimmer, führte sie zu einem der bequemen Sessel und setzte sich ihr gegenüber.

“Wie wollen wir heute weitermachen?” fragte er sie dann. “Erzählt mir von Euch.” bat die Boroni. “Was erfreut euch? Was wollt ihr in diesem Götterlauf noch unbedingt tun?”

“Es erfreut mich, dass ich Euch zu Besuch habe”, war die Antwort die ehrlich gemeint war, aber auch die Höflichkeit gegenüber den Gästen gebot. “Was will ich noch machen … das ist schon eine deutlich schwierigere Frage. Nach dem ersten Jahr in Ishna Mur haben wir vieles festgestellt, dass verbessert werden kann und sollte, damit das Lehen auch mal etwas für den Bergkönig und für uns abwirft. Das ist das Vordringliche, was zu tun ist.” “Und was wollt ihr tun?” fragte die Boroni. “Nicht, was ihr tun müsst.”

“Was ich tun will?” Borix überlegte ein wenig, dann antwortete er glücklich strahlend: “Ich will mit meiner Murla ein glückliche Zeit haben.” Die junge Geweihte schmunzelte. “Und was ist es, was euch davon abhält? Wenn ihr es wollt, bedeutet dies, dass ihr es noch nicht habt.” “Ha!” lachte der Zwerg laut auf. “Jetzt habt Ihr mir aber eine Falle gestellt. Ich habe schon eine gute und glückliche Zeit mit meinem Mädchen gehabt, aber es soll halt auch nicht zu Ende gehen.” “Und warum sollte es das nun, eurer Meinung nach?”

Marbolieb hatte mittlerweile leidlich Erfahrung mit der Argumentationsweise von Zwergen - Dwarosch damals hatten seine Erinnerungen deutlich mehr geplagt als den guten Borix, darum war er auch bereitwilliger gewesen, mit ihr zu sprechen. Doch auch der Bergvogt hatte seine Last zu tragen - sie verstand nur nicht so ganz, warum er einerseits sie eingeladen hatte, jetzt aber so sehr dagegen mauerte, ihr irgend etwas von seinen Problemen zu erzählen. Sie lauschte dem verlegen lachenden Bergvogt.

“Euer Wohlgeboren, ich bin hier, weil ihr mich eingeladen habt. Wenn ihr keinerlei Schwierigkeiten mehr habt, die ihr gerne überwunden hättet, werde ich nicht weiter in euch dringen.”

“Oh! Verzeiht, ich wollte Euch nicht erzürnen,” Borix machte eine abwehrende Bewegung. “Ich denke, ich habe Eure Frage einfach falsch gedeutet. Nach unserem letzten Gespräch habe ich wunderbar geschlafen und nicht mehr an diese Bilder gedacht. Meint Ihr denn, dass sie wieder kommen?”

“Das werden sie gewiss. Bis sie endgültig verschwinden wird es viele Gebete und viele Gespräche benötigen.” “Dann wünsche ich mir, dass wir beide zusammen sprechen und beten solange Ihr hier in Ishna Mur seid. Und bitte verzeiht mir noch einmal, dass ich Eure Frage falsch gedeutet habe.”

“Es ist nichts zu verzeihen, Euer Wohlgeboren. Ich werde euch helfen, so ihr dies wünscht - und ich es kann.” “Ich freue mich darauf. Und ja, ich wünsche es.” entgegnete der Bergvogt. “Wie machen wir jetzt weiter?” “Wenn ihr außer euren gelegentlichen Nachtmaren nichts habt, was euch plagt, beten wir zusammen. Falls euch aber etwas auf der Seele liegt, sagt es mir.” lächelte die Boroni.

Und da hatten Leute behauptet, Zwerge träumten nicht - dafür, dass dies die absolute Ausnahme sein sollte … gab es viele Ausnahmen. Vor allem unter den Kriegern und Veteranen der Feldzüge. “Gerne”, antwortete der alte Hauptmann. “Soll ich mich wieder hinknien, so wie gestern?” “So ihr dies wünscht.” schmunzelte die kleine Geweihte und erhob sich ihrerseits, um nach der Schulter ihres Gesprächspartners mit sanften Fingern zu tasten.

So kniete sich der Angroscho wieder vor den Stuhl der Geweihten. “Ich bin bereit, Euer Gnaden!” Die Geweihte nickte und legte eine Hand auf den Scheitel des Bergvogtes, während sie ihre andere auf seiner Schulter ruhen ließ. Mehrmals holte sie Luft, ließ ihren Atem gleichförmig und regelmäßig werden, fühlte, sie eine tiefe, friedliche Ruhe sie ausfüllte und die Stille, die sich wartend in die Ecken des Raumes zurückgezogen hatte, zum Vorschein kam und über den Boden kroch, alle Geräusche verschlang und ich sich erstickte.

“Herr.” Nicht mehr als ein Atmen, laut genug, um über die tiefen Atemzüge des Angroscho zu dringen, nicht mehr. “Bittsteller sind wir und Suchende. Zeige Borix, der hier vor dir kniet, die Bilder, die ihn plagen - und nimm’ ihnen ihren Schrecken.” Aufmerksam spitzte die Stille ihre Ohren, fast spürbar, als sei etwas aufmerksam geworden, lauschte. Warm war es, und der Zwerg fühlte, wie seine Glieder schwer wurden. Der Drang zu gähnen wurde schier übermächtig. “Bishdariel, führe und behüte seinen Geist heute Nacht auf seiner Reise, und trage ihn wohlbehalten an die Gestade des Morgens.” Vier, fünf Atemzüge, in denen die Stille tiefer und die Wärme einlullender wurde, ehe ihre Stimme sich wieder in das Schweigen wob. “So sei es.”

Die kleine Geweihte löste ihre Hände, und Borix hörte das Geräusch eines Korkens, das von einem Fläschchen gezogen wird. Der Duft nach Gewürzen, Holz und Weihrauch drang an seine Nase.

“Ich werde eure Stirn mit Salböl benetzen, Euer Wohlgeboren. Und dann solltet ihr euch zur Ruhe begeben.” erklärte sie mit leiser Stimme, ehe er ihre sanften, warmen Fingerspitzen auf seiner Stirn fühlte, die eine warme, glatte Flüssigkeit zerrieben - nicht viel, ein, oder zwei Tropfen nur. Genug, dass der würzige und doch fremdartige Duft ihn einhüllte, in seine Nase drang und seine Sinne umschmeichelte. Der Duft der Kräuter kitzelte erst in seiner Nase und er musste ein Niesen unterdrücken. Dann sagte: “Habt vielen Dank, Euer Gnaden. Dann werde ich Euch am besten schnell in Eure Kammer geleiten und mich dann zu Bett begeben.” Er stand langsam auf, die Knie durchdrückend und reichte dann Marbolieb die Hand.

“Wenn Ihr wollt …” “Gern.” nickte diese, ein inniges Lächeln auf ihren hübschen Zügen, die fast von innen heraus zu leuchten schienen. Aber vielleicht war es auch nur der Abglanz des zurückliegenden Gebetes, der aus ihrer Miene sprach.

Vorsichtig führte der Bergvogt die blinde Priesterin wieder zu den Zimmern, die diese sich mit Dwarosch teilte. “Ihr seid wieder vor Euren Räumen”, verabschiedete er sich und klopfte an die Tür. “Habt Dank für Eure Hilfe!”

“Gerne.” nickte die Geweihte. “Möge Bishdariel euch eine gute Nacht gewähren.” Sie legte die Hand auf den Türrahmen und wartete, bis Dwarosch sie einließ.

Die Müdigkeit kroch durch ihre Knochen und mahnte sie daran, dass der Besuch Borix’ sie aus den besten Frühabendschlaf gerissen hatte, in den sie nach dem Teekränzchen mit der Bergvögtin gesunken war. Ihr Magen grummelte unwirsch, als wiederum diese Erinnerung sich Raum verschaffte. Ein warmes Kissen wäre jetzt genau das Richtige. Borix wartete vor der Tür, bis Marbolieb diese geöffnet wurde, und begab sich dann wieder zurück in sein Schlafzimmer zu Murla. Dort legte er sich schnell ins Bett, küsste seine Gattin und war fast umgehend eingeschlafen.

Der Oberst führte Marbolieb ins Zimmer, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Es roch nach würzigem Tabak und der Geruch war frisch, Dwarosch hatte ganz offensichtlich noch keinen Versuch unternommen, sich zur Ruhe zu betten. “Möchtest du ins Bett, oder trinken wir noch einen Tee zusammen, ich habe mir erst vor kurzem einen aufgebrüht?” fragte Dwarosch, als er ihre Hand auf die Lehne eines Stuhles abgelegt hatte. “Einen Tee, bitte.” Fest umfassten ihre Hände die Lehne des Stuhls.

Ein warmer Tee. Wärme.

Gegen den eiskalten Knoten in ihrem Leib. Marbolieb hörte, wie Dwarosch einen Becher holte und ihr eingoss. Als sie sich gesetzt hatte, kam er zu ihr zurück und schloss ihre Rechte ganz vorsichtig um den Henkel des Gefäßes. Sie spürte die Wärme die von ihm ausging an ihren Fingern. Danach setzte auch der Oberst sich wieder. Marbolieb hörte, wie infolge etwas über Pergament kratzte. Dwarosch schrieb offenbar.

Sie legte ihre freie Hand um den Bauch des Gefäßes und erfreute sich an der Hitze, die über den Ton in ihre Finger kroch. Andächtig schnupperte sie und genoss den Duft nach Kräutern und Gewürzen, ehe die den ersten Schluck kostete. Heiß. Lecker. Ihr Magen brummte.

Das Kratzen des Federkiels fuhr verbissen fort - mehr energisch als flüssig, aber stur und durch nichts zu stoppen. Typisch Dwarosch. Ein leises Lächeln huschte über ihre Mundwinkel und fing sich in ihren Augen.

“Was schreibst Du?” “Ich ordne meine Gedanken was Ishna Mur betrifft und notiere sie, damit ich später einen umfassenden Bericht verfassen kann”, antwortete der Oberst leicht abwesend. Die Arbeit des Federkiel hielt an. “Hast du Borix helfen können?”, fragte Dwarosch beiläufig. Marbolieb nickte über dem Tee. “Ja.”

Herrlich warm waren ihre Finger, und der würzige Sud tat das Seinige, das hungrige Brummeln in ihrem Bauch zu besänftigen. Leise knackte das Holz im Kamin und das Knistern der Flammen wärmte ihre Haut. Marbolieb zog sich die Schuhe von den Füßen und faltete mit einem erleichterten Seufzer ihre Beine unter ihren Leib, schloss die Augen und genoss einen weiteren Schluck Tee. Weiter kratzte die Feder auf dem Papier, emsig, leise. Friedlich. Welch ein behaglicher Abend. Und warm. Vor allem warm.

Relikte einer anderen Zeit

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Es war Mittag. Die Besucher genossen das Mahl an ihrem bereits dritten Tag in der Bergwacht, als ein Angroscho in der Kluft eines Minenarbeiters, mit seinem Helm unter dem Arm in die Halle trat, in der gespeist wurde. Borix, der zu jenem Zeitpunkt gerade angeregt mit Borindarax über die Preisschwankungen für Roheisen diskutierte, registrierte sein Eintreten zunächst nicht, doch als der Arbeiter näher trat, sich räusperte und ihn mit “Meister” ansprach, drehte sich der Kopf des Bergvogts und er erkannte den Vorarbeiter der ersten Gruppe Cadrim.

“Cadrim!” rief er überrascht aus. “Was gibt es, dass Du nicht auf der Sohle bist?” “Wir haben etwas gefunden”, platzte es aus dem Bergmann, so zu zum Sprechen aufgefordert heraus. Er schien leicht erregt zu sein. “Wir schafften Geröll aus einem der kleineren Seitenstollen auf der zweiten Sole. Es sah wie ein Einsturz aus. Wir waren der Meinung, dass der dort liegende Flöz unmöglich erschöpft sein kann. Doch das ist es nicht. Nein, wir haben einen zugemauerten Abschnitt entdeckt.” Noch bevor Borix die Frage stellen konnte, antwortete Cadrim. “Es gibt weder Siegel noch Runen.” Er schüttelte den Kopf. “Ich versteh das nicht.”

“Dann sollten wir mal nachschauen!” meinte er schnell. “Borax, kommst Du mit?” Der Angesprochene war sofort Feuer und Flamme. Der Bergvogt konnte die Neugierde in den Augen des jungen Angroschos aufblitzen sehen. Borindarax nickte energisch und blickte kurz zu Dwarosch. Dieser nickte leicht, auch er und Marbolieb würden die Gruppe begleiten. Das Begeisterung über die Entdeckung in den Stollen sprang wie ein Funke zwischen den Anwesenden, Augen begannen vor Neugier zu lodern und auch Argmin konnte sich der merklichen, wohligen Spannung nicht verwehren, die sich im Raum ausbreitete. „Meister Borix, wenn es mir gestattet ist, würde auch ich Euch gerne begleiten.“

“Ich freue mich, wenn Ihr mitkommt”, antwortet der Bergvogt. “Es wird sicherlich interessant!” Borix, in dieser Weise motiviert, drehte sich schnell um und rief: “Bengurr, Baschtasch, macht euch fertig, wir müssen auf die Sohle zwei! Und nehmt zur Sicherheit die Kettenhemden und die Äxte mit.” Die beiden Söhne kamen schnell aus ihren nebenan liegenden Arbeitszimmern herbei geeilt und blickten fragend zu ihrem Vater und dem Bergmann. “Er hat eine Mauer auf der zweiten Sohle gefunden, das müssen wir uns ansehen!”

“Wollen wir den Priester mitnehmen?” fragte Bengurr. “Ja, wir sollten ihn holen”, meinte Borix zu seinem Sohn und dieser verschwand und kam einige Atemzüge mit dem Angroschpriester wieder. “Dann sollten wir jetzt los!” meinte Borix. “Cadrim, los zeig uns wo wir hin müssen!” So eilte die Gruppe aus dem Arbeitszimmer durch die Korridore zur Fahrkunst und fuhren so schnell es eben ging auf die zweite Sohle. Und tatsächlich, als man nur wenig später geschlossen jenen Ort, dort wo Erz abgebaut wurde, erreichte, stand man vor einem ordentlich zugemauerten Tunnelabschnitt.

Der Stollen mochte hier eine Höhe von knapp unter zwei Schritt besitzen, war aber deutlich breiter und leicht abfallend. Ein Kenner erkannte, dass man hier dem ‘gewachsenen’ Verlauf des Flözes im Gestein gefolgt war. Mitten im Stollen jedoch war ohne erkennbaren Grund besagte Mauer gezogen worden. Borix blickte die Mauer an, dann tastete er mit den Fingern über die Steine. Fuhr nach und nach über die einzelnen Fugen und drehte sich dann zu den anderen um. “Das sind die gleichen alten Steine, wie wir sie schon in anderen Gängen gefunden haben”, erklärte er dem Vogt und seinen Begleitern.” Auch Borindarax betastete die Steine, kam aber zu keinem nennenswerten Ergebnis, er schwieg und nickte nur kurz auf die Worte Borixs hin. Grimmgasch drängte sich derweil neben den Vogt und begann ebenfalls die Steine zu untersuchen. Vorsichtig fast andächtig fuhr er über die Oberfläche der Jahrhunderte alten Steine. “Ihr habt hier jeden Tag etwas Neues zu bieten”, meinte er zu Borix. “Aber das hier ist nur alt, aber nicht so kunstfertig wie ich es in den Hallen gesehen habe.”

“Ja”, mischte sich nun auch Baschtasch ein. “Das scheint hier in Eile errichtet worden zu sein. Es ist stabil ausgeführt, als sollte es etwas aus der Binge fernhalten.” “Nun”, meint Borix und schaute sich seine Begleiter an. “Ich sehe, dass wir Manns genug sind um die Mauer zu durchbrechen.” Kurz blickte er sich noch zum dem Vogt und dem Oberst um: “Oder habt ihr Einwände?” “Nein”, sagte der Urenkel des Rogmarog entschieden. “Keine Runen, kein Siegel - keine Einwände. Dies ist deine Wacht, du entscheidest.” Der Oberst indes schüttelte nur sacht den Kopf, dies war wahrlich nicht sein Bier. “Bengurr, Baschtasch, Cadrim, macht ein Loch, so das wir hindurch sehen können!” forderte Borix seine Söhne und den Vorarbeiter auf. “Und der Rest bereitet sich auf einen möglichen Angriff vor!” Die drei Angesprochenen griffen zu ihren Hämmern und begannen auf die Wand einzuschlagen bis soviel Steine herausgeschlagen waren, dass sie hinter die Wand schauen konnten.

“Gib mir Deine Lampe”, fordert Borix den Vorarbeiter auf. Nachdem er die Blendlaterne des Bergmanns erhalten hatte, leuchtete er durch das Loch in den dahinter liegenden Gang.

Muffige, feuchtwarme und abgestandene Luft schlug Zwergen und Menschen von hinter der Mauer entgegen. Im Lichte von Sturmlaternen erkannte man, dass der Stollen nach der Barriere noch weiterreichte, der Schein der Lichtquellen verlor sich aber rasch in der Dunkelheit. “Puh!” meinte Borix und hielt sich mit der Linken die Nase zu, während er sich aus dem Loch zurückzog. “Da hat lange keiner mehr gelüftet.” Cadrim nickte, ergänzte aber sofort: “Das sollte bald wegziehen, wir haben auf dieser Sohle eine gute Bewetterung.”

“Eine heiße Quelle?”, mutmaßte Borindarax zweifelnd nachdem er seinen Kopf aus dem Loch zurückzog. Dwarosch hingegen schüttelte den Kopf. “Glaube ich nicht, in Kashdarlosch riecht das ganz anders. Außerdem wäre das wohl kein Grund den Stollen zuzumauern.”

‘Schade’ dachte sich Marbolieb, die schon viel über die heißen Quellen von Kashdarlosch gehört hatte - und zu gerne selbst einmal so etwas erlebt hätte. “Im Tempel in Punin gibt es heiße Quellen.” flüsterte sie, an Dwarosch gewandt. “Das riecht anders.” Auf andere Weise seltsam. “Genau”, bestätigte der Oberst. “Wir sollten vorsichtig sein. Es könnte sich auch um Gase handeln.” Dwarosch wandte den Kopf zu Borix. “Habt ihr einen Piepmatz hier oder wie geht ihr sicher, dass die Luft genießbar ist?” Wieder war es Cadrim, der sofort antwortete: “Natürlich, ich hole sofort einen Käfig!” Nach diesen Worte verschwand der Steiger und kam nach einigen Minuten mit einem kleinen Holzkäfig zurück in dem zwei trillernde Rotkelchen saßen. Die Vögel, einmal auf den Boden auf der anderen Seite des Durchbruches gestellt, zwitscherten beständig weiter. Indes konnte man eine gesteigerte Nervosität am Verhalten, wie auch dem hektischen Gesang der Tiere entnehmen. Irgendetwas war anders, doch dies schien die Gesundheit der Vögel nicht unmittelbar zu beeinflussen.

Borix bemerkte das mit leichtem Aufatmen. “Also scheint die Luft nicht giftig zu sein”, fasste er das Verhalten der Vögel zusammen. “Aber wie es scheint, sind sie trotzdem nicht zufrieden. Anscheinend nehmen sie trotz allem eine Gefahr war.

Wir sollten die Waffen bereit halten und vorsichtig sein. Los, meine Söhne, macht uns den Weg frei!” Bengurr und Baschtasch hämmerten weiter auf die Mauer ein, bis der Durchgang groß genug war, um bequem durchschlüpfen zu können. Beide gingen, mit dem schweren Kriegshämmern in den Händen voraus, dahinter folgte als nächstes Borix mit dem Steiger.

“Dwarosch, meinst du, das ist klug?” fragte die Geweihte indes leise. “Dahinter kann alles stecken.” Der Oberst zuckte mit den Schultern. “Du magst recht haben Räblein, doch selbst wenn dort Gefahr drohen sollte ist es besser zu wissen was es ist, als darüber im Ungewissen zu bleiben.” ‘Halte Deine Freunde nahe bei Dir, aber Deine Feinde noch näher’- ein Leitsatz seines Hochkönigs, den Dwarosch niemals vergessen würde.

“Solange sie aber, wie seit Jahrhunderten, hinter der Mauer bleibt, muss man diese nicht öffnen.” flüsterte die Boroni, die ihrem Oberst nur halb zustimmte. Dwarosch spürte, wie sich ihre Hände um seinen Arm fester schlossen.

“Wir bleiben hinter den anderen Räblein, keine Sorge”, murmelte der Oberst. Unterdessen holte auch Boindil seine Waffen, zwei blitzende senaloscher Sehnenschneider, aus den Eisenringen am Gürtel und postierte sich demonstrativ vor Borindarax, während Dwarosch nach dem Gladius in der Scheide in seinem Stiefel griff. Mit einem Kopfnicken bedeutete er den anderen voranzugehen, er würde mit Marbolieb nachkommen. So folgte man den Söhnen des Bergvogts. Das Überraschende erwartete sie nach etwa zwanzig Schritt, die man dem Tunnel weiter folgte. Dort löste, den im Zuge des Erzabbaus erschaffene, grob behauene Stollen einen penibel bearbeiteten Gang mit glatten Oberflächen ab. Doch weit reichte dieser nicht mehr, denn nach wenige Schritten klaffte ein Spalt von zwei Handbreit durch Boden, Wände und Decke. Der Fels selbst hatte hier eine Verwerfung geschaffen und möglicherweise auch den Einsturz, der unmittelbar nach dem Spalt den kompletten Gang versperrte. Ein Erdbeben?

Kleine schwarze, krümelige Stücke lagen hier überall auf dem feuchten, rutschigen Boden herum - unzweifelhaft Bruchstücke von Kohle. Die Wände waren bedeckt von verschmiertem Ruß. Irgendetwas lag darunter, waren das Schriftzeichen, Runen? Wasser tropfte stetig von der Decke. Es musste eine kleine Wasserader geben, eine Sedimentschicht im Gestein oder das Wasser verlief schlicht entlang der Verwerfung durch den Berg.

Borix ging bis an die Verwerfung und schaute sich das Ganze im Detail an. “Bruder Grimmgasch, kommt bitte mal her und seht Euch das an. Sind das nicht Runen?” Der Geweihte trat neben den Bergvogt und begann die Wände mit einem Stück seiner Robe zu säubern. Argmin fühlte sich unwohl. Ein Gefühl der Enge hatte sich um seinen Brustkorb gelegt, etwas, was er bisher nicht ablegen hatte können, wenn er tief unter der Erde war und viele Schritt Stein ihn von der Oberfläche trennten. Er spürte nach dem beruhigende Gewicht von Wellenbrecher auf seinem Rücken, dann war er neben Grimmgasch an die Wände getreten und betrachte den Ruß. Seine Finger fuhren über den geschwärzten Stein. Borix hatte recht, etwas war in den Fels geschnitten worden. Argmins zuckte zurück und er sah auf seine geschwärzten Fingerkuppen. „Hat dies jemand mit Vorsatz übermalt?”, fragte er den Angroschgeweihten.

“Hmm”, brummte es aus dem bärtigen Gesicht des jungen Geweihten. “Ich glaube nicht, seht Ihr es ist überall eine dicke Rußschicht auch hier hinter den Steinen. Hätte nur jemand die Schrift unleserlich gemacht, dann wäre hier wohl kaum etwas Ruß!” Immer weiter wischte und putzte Grimmgasch an der Wand. Nur äußerst mühsam ließen sich die Runen nach und nach von der Rußschicht befreien. Sie waren alt- so alt, dass selbst Grimmgasch Probleme hatte, sie zu entziffern. Immer wieder warf Borindarax Wörter ein, wenn der Geweihte nicht weiterkam, auch der Vogt von Nilsitz war ein Kenner des Angram. Gemeinsam übersetzten sie stockend einzelne Wörter, wobei sie immer erst den Wortstamm suchten, um dann auf die wahre Bedeutung zurückzuschließen. Dies ging scheinbar nahezu nur im Kontext.

Dort stand in Stein gemeißelt: Der Anweisung des Rogmarog folgend, wird dieser Teil von Ishna Mur stillgelegt. Großer Frevel ...

Weiter kam Grimmgasch nicht. Ein Donnern ertönte, dann ein tiefes, beunruhigendes Grollen. Plötzlich, ohne das irgendjemand hätte reagieren können, brach der Boden auf mehreren Rechtschritt ein und Menschen und Zwerge verloren den Halt unter ihren Füssen. Stein schlug laut tönend auf Stein, ein vielfaches Bersten und Krachen war zu vernehmen und für jeden der Fallenden erfolgte ein harter Aufprall, der ihnen die Luft aus den Lungen presste. Doch es ging noch weiter in die Tiefe, viel weiter. Menschen und Zwerge rutschten eine schräge Rampe hinunter, deren Oberfläche eben und glitschig war. Festhalten und so die weitere Rutschpartie aufhalten war unmöglich, die Rampe schien von einem wasserdurchtränktem Moos oder einer Art Flechte besetzt zu sein. Es gab keinen Halt.

Kurz darauf, es mochten nur wenige Herzschläge später gewesen sein, in der sie aber sicher etliche Schritt zurückgelegt hatten, erfolgte ein weiterer, freier Fall. Genau in diesem Moment aber wurde es ohrenbetäubend laut, Wasser schoss ihnen von unten entgegen und dann … schlugen sie kurz nacheinander, nach der Gesteins- und Gerölllawine, die die Folge des Einsturzes war, auf die Wasseroberfläche, tauchten ein und nahezu jedwedes Geräusch wurde dumpf. Unsanft, aber längst nicht so schmerzhaft wie erwartet, wurde ihr Fall durch Wasser und schließlich am Boden des … ja was … gebremst.

Sie waren in einer Art Bassin gelandet und standen nun darin, so zumindest vermuteten die in Not geratenen, sehen konnten sie ja nichts. Die Luft war warm, nein heiß. Heißer Dunst brannte in den Lungen.

Nun, wo langsam Ruhe einkehrte, vernahmen sie ein leises, beständiges Wummern, wie als hörten sie das Herz des Berges oder eines Giganten langsam schlagen. Es kam von weiter weg und drang durch den Fels. Wo um der Götter willen waren sie hier?

Marbolieb schrie auf, als ihr auf einmal der Boden unter den Füßen davonglitt, griff in die Dunkelheit und versuchte, irgendetwas zu haschen, an dem sie sich festhalten konnte, während sie in einem Hagel aus Leibern und Steinen zu rutschte, fiel und in Wasser untertauchte. Panisch rang sie nach Luft, holte einen tiefen Atemzug Wasser und versuchte um sich schlagend an die Oberfläche zu gelangen oder zumindest den Grund zu finden, was aber in ihrer Hektik nur dazu führte, dass sie sich eine Hand an einem Stein prellte, und ihre wilden Bewegungen langsam schwächer wurden, als ihr Blut mehr und mehr in ihren Ohren rauschte und der Drang nach Luft betäubend wurde.

Mit einem Schrei, der von unbändigem Lebenswillen sprach, stieß Dwarosch durch die Wasseroberfläche und riss die um sich schlagende Marbolieb dabei mit sich. Er hatte sie leider nicht am Arm gehabt, als der Boden eingestürzt war, denn er hatte gerade seinen Gladius in die Stiefelscheide zurückgesteckt. Doch bereits im Fallen hinab auf die Schräge hatte er den Stoff in ihrem Nacken greifen können und sie von da an festgehalten.

Neben dem ungewöhnlichen Pärchen kam Boindil stöhnend hoch. Der Leibwächter wusste, dass er bei dem Sturz zwar Glück gehabt hatte, dennoch aber hatte er gespürt, dass in ihm etwas geborsten war - sein Torso schmerzte, als gösse jemand flüssiges Metall über ihn. Mit einem Arm hielt sich der Leibwächter den Brustkorb, mit dem anderen suchte der er fast panisch das Wasser um sich herum ab, auch unter dessen Oberfläche. Dann bekam er etwas zu fassen, einen erschlafften Körper. Ruckartig riss er ihn so gut es ging hoch und presste ihn an sich. Boindil tastete verzweifelt nach dem Gesicht jener Person in seinem Arm, dann bekam er den Bart zu fassen und erkannte an dem Schmuck darin, dass er Borax zu fassen bekommen hatte. Etwas Warmes lief ihm über die Hand, es roch nach Eisen, nach Blut. Aber Borindarax lebte, langsam kam Leben in seinen Schützling. Dann plötzlich hustete er, spuckte einen Schwall Wasser und griff nach Boindils Hand in der Dunkelheit. Die Boroni rang nach Luft, hustete anhaltend und spie eine ordentliche Menge Wasser aus. Ihr Gewand wies am Rücken, wo sie während des Rutschens an irgend etwas oder jemand hängen geblieben war, einen langen Riss auf, in ihrer Hand, Hüfte und Schädel hämmerten Schmerzen, während ihr warme Flüssigkeit über Ohr und Nacken rann. Ihr Kopf brummte wie ein Tempelgong, aber abgesehen davon hatte sie das Abenteuer gut überstanden. Der Angroschpriester stand so nahe an der Einbruchstelle, dass er die ganze Zeit ein wenig vor den anderen fiel, schrie, rutschte, fiel, schrie und unsanft landete. Etwas knackte laut - dann eine Welle aus Schmerz die in seinem linken Unterarm begann und dann den ganzen Körper durchzog. Das Knacken war vermutlich seine Elle gewesen die dem Druck auf sie nicht länger standgehalten hatte. Mit einem Schmerzensschrei drehte sich so gut es eben ging zur Seite, denn da kamen auch die anderen herbei gestürzt.

Ärgerlich seinen überstürzten Aufbruch verfluchend - denn er hatte sein geweihtes ewiges Licht oben im Tempel stehen gelassen als ihn Bengurr gerufen hatte - stand er nun im Dunkeln.

Bengurr und Baschtasch waren die nächsten die sich während dem Sturz an Händen, Armen und Beinen derbe gestoßen hatten und vermutlich am nächsten Tag sehr ‘blauhäutig’ sein würden, wenn es für sie noch einen nächsten Tag geben würde. Sie hatten sich kaum im Wasser aufgerichtet als mit einem lauten Platsch gefolgt von einem ebenso lauten Fluch ihr Vater ins Wasser platschte. Der Bergvogt war wie fast immer in feste Ledersachen gekleidet gewesen, deshalb hatte er die Rutschpartie relativ unbeschadet überstanden, hatte sich aber bei der abrupten Landung den Steiß geprellt und hatte jetzt Mühe hoch zu kommen.

Der Steiger Cadrim war der nächste der fluchend wie ein Rohrspatz in das Bassin plumpste. Er hatte einen Lederhelm getragen, der ihn bei dem ersten Fall den Kopf noch gestützt hatte, dann aber bei der Rutschpartie hatte er ihn verloren und nun hatte auch er an fast allen Körperteilen Beulen und auch ein paar Abschürfungen davon getragen. Prustend stand er aus dem Wasser auf. Borix fand als erster die Sprache wieder und fragte in die Dunkelheit: “Sind alle hier? Bengurr? Baschtasch? Schwester Marbolieb? Grimmgasch? Meister Argmin? Borindarax? Boindil? Dwarosch?”

Die Söhne des Bergvogts bestätigten als sie aufgerufen worden. “Ich bin hier!” antwortete der Geweihte - seine Stimme klang aber schmerzverzerrt. “Marbolieb und ich sind hier”, grollte der Oberst in der Dunkelheit. “Borindarax und ich auch”, fügte Boindil rasch hinzu, seine Stimme aber klang sichtlich besorgt.

Nur ein Ächzen, gefolgt von einem Stöhnen, zeigte der Gruppe, dass auch der Rondranovize den Sturz überlebt hatte. Als der Boden unter ihnen weggebrochen war, hatte Argmin keine Zeit gehabt zu reagieren. Er hatte noch versucht, Halt an der Wand zu finden, doch das Gewicht seines Körpers hatte ihn noch unten gezogen. Zusammen mit Geröll war er auf den Sims geprallt, schmerzhaft hatte der Stein seinen Fall gebremst. Er hatte jemanden schreien gehört, dann war er weitergerissen worden, in die Tiefe hinab. Für einen Augenblick war ihm gewesen, ins Nirgendmeer zu stürzen, als das Wasser über ihm zusammenschlug, in das er gefallen war. Die Wucht des Falles hatte ausgereicht, ihn auf den Grund des Bassins zu drücken. Prustend hatte er die Wasseroberfläche durchbrochen und gierig nach Luft geschnappt, was er augenblicklich bereut hatte, als die heiße Luft in seiner Kehle brannte. Argmin spürte den Boden unter den Füßen, sein Gesicht war nass, die Feuchtigkeit auf seinen Lippen schmeckte metallisch, jeder Atemzug brannte in seinen Lungen, von der Luft und den stechenden Schmerzen in seinem Brustkorb, Arme und Beine pochten und brannten und Panik erfüllte ihn, als er bemerkte, dass er nichts mehr sehen konnte.

„ich bin hier, Meister Borix.“, rief er in die Dunkelheit, rau und krächzend, gefolgt von Husten. Er tastete nach Wellenkamm und seine Hände griffen ins Leere – der Sturz hatte ihm die Waffe vom Rücken gerissen!

Die Panik wurde größer, er durchpflügte mit seinen Armen das Wasser, tastete mit den Füßen über den unebenen Boden. ‚Nein, nein, nein, nein… Bitte. Nein…‘ In Gedanken ermahnte er sich zur Ruhe, zur Disziplin, versuchte die aufkeimende Angst niederzukämpfen.

“Bestandsaufnahme”, bellte der Oberst, als alle sich gemeldet hatten und Borindarax begriff als erster, war er doch die militärische Sprache seines Freundes gewohnt, wohnte dieser doch unter seinem Dach. “Ich hab wohl eine Platzwunde am Kopf”, meldete sich der Vogt. “Und ich mindestens eine gebrochene Rippe”, ergänzte Boindil. “Mein linker Unterarm ist gebrochen”, kam es mit zusammengebissenen Zähnen von Grimmgasch. “Blaue Flecken und Prellungen”, war Bengurrs Antwort. “Bei mir auch!” das klang nach Baschtasch.

“Einsatzfähig...” und etwas leiser “... unter den gegebenen Umständen”, rief Argmin in die Richtung des Oberst. „Den Zwölfen sei Dank“, fügte er murmelnd hinzu. Er vermochte nicht zu sagen, welchen Tribut der Sturz von ihm verlangt hatte. Es tat alles weh und alles brannte und alles pochte, doch es schien kein Knochen gebrochen zu sein. Er ermahnte sich zu Mäßigung und zwang seinen Atem ruhiger zu werden.

“Hab’ mir’n Arsch geprellt!” vermeldete der Bergvogt.

“Aber wenigstens sind wir alle hier und leben!” fasste er nach den Meldungen zusammen. “Hat noch jemand eine Lampe oder wenigstens Stahl und trockenen Zunder?” „Nein, weder Lampe noch Zunder.“ Argmin tastete sich weiter mit den Füßen voran. „Könnt ihr etwas sehen?“ fragte er und lauschte ein die Dunkelheit, bange um die Antwort, die kommen mochte. Das Wummern erfüllte seinen Schädel und er merkte, dass es nicht sein Herz war, sondern dass das Geräusch von außen an seine Ohren drang. ‚Oh Heilige Rondragabund, wo sind wir hier gelandet?‘

“Räblein?”, fragte Dwarosch unterdessen leise die Frau an seiner Seite. “Bist du verletzt?” Marbolieb schüttelte schweigend den Kopf - eine Geste, die der Oberst im Dunkeln freilich nicht sehen konnte.

“Rede mit mir”, forderte der Zwerg nun mit Nachdruck und eine Spur lauter. Die Situation erlaubte aus seiner Sicht keinerlei Nachlässigkeit.

“Es ist nichts.” hustete die Geweihte, der das Wasser noch in der Kehle hing und die von dem Wummern in ihrem Schädel gebeutelt wurde. Ein Grunzen folgte von Seiten des Oberst. Das ‘es ist nichts’ kannte er inzwischen, Marbolieb lief ja aufgrund ihrer Blindheit öfter Mal wo gegen und mochte dann nicht damit rausrücken, wie sehr sie sich nun wehgetan hatte oder nicht. Ihre Stimme verriet ihm aber zumindest, dass sie keine großen Schmerzen haben konnte.

Nachdem Borix festgestellt hatte, dass alle Gefährten am Leben und bei relativ guter Gesundheit waren, konnte er sich jetzt mit der Umgebung beschäftigen. Die heiße Luft war ihm gar nicht so aufgefallen, denn jeder Angroscho liebt es an der Esse zu stehen. Aber das Wummern machte ihn nervös. Daher kam seine nächste Frage recht umgehend: “Wie steht’s mit Eurer Ausrüstung und den Waffen?”

“Meine Sehnenschneider liegen irgendwo hier unter Wasser vermute ich”, sagte Boindil durch vor Schmerz zusammengepressten Zähnen. Er versuchte sich mit Borindarax im Schlepptau langsam im Dunkeln vorzutasten, die Bewegung aber bereitete ihm Pein. Dwarosch kontrollierte derweil kurz seinen Stiefel und bestätigte dann knapp mit “Gladius”, dass er seine Waffe noch besaß. Borix hatte seinen Drachenzahn, den er immer am Gürtel trug, und Bengurr und Baschtasch verneinten - sie hatten nur die Hämmer dabei, die sie aber irgendwann unterwegs losgelassen hatten.

Grimmgasch hatte auch noch seinen Drachenzahn im Gürtel, mehr hatte er nicht mitgebracht.

Über Argmins Lippen kam ein leiser Fluch, als er sich weiter durch das Wasser vorantastete, weiterhin erfolglos auf der Suche nach seinem Schwert. Er hörte das Patschen und Platschen der anderen, die ihre Ausrüstung kontrollierten oder einfach versuchten, einen sicheren Stand zu finden. Hier in der Dunkelheit zu bleiben und ewig weiterzusuchen, würde keine Option sein - sie wussten nicht, wo sie waren und was das tiefe Klopfen bedeutete, dass die Kaverne erfüllte. ‚Efferd und Flussvater, hört mein Flehen‘, flüsterte er. ‚Geschworen habe ich, das neue Bündnis zu ehren und Euer Geschenk zu achten. Oh Sturmbringerin, steht mir bei, wir sind Deine Waffe, wir sind Dein. Heiliger Hlûthar, Rondra mit Dir, hilf mir!‘. Da stieß sein Fuß gegen einen beweglichen Gegenstand unter Wasser und als Argmin seinen Blick senkte, war ihm, als ob ein schwaches Glimmen sich in die Dunkelheit zu erkennen gab. Er holte Luft und kniete sich unter Wasser auf den Fels, seine Hände tastete nachdem, was sein Fuß erspürt hatte und als seine Hand sich um das Schwertgehänge des Wellenkammes schloß und er das vertraute Gewicht des Rondrakamms spürte, als er auftauchte, fiel dem jungen Mann ein Stein vom Herzen und er dankte den Zwölfen und dem Flussvater für ihre Hilfe. „Ich habe Wellenkamm“, rief er freudig in die Dunkelheit. Borix überlegte kurz, dann machte er den Vorschlag: “Wir müssen hier zusammenbleiben, wer weiß wo wir bleiben, wenn wir uns verlieren.Eigentlich müssten wir hier irgendwo zwischen der zweiten und dritten Sohle sein, da der Weg nach oben schwieriger wird, sollten wir schauen, ob wir weiter nach unten kommen. Welche Richtung ist die sinnvollste?”

Bengurr überlegte kurz und drehte sich einmal um die eigene Achse um meinte dann: “Wir müssen hier in diese Richtung!” “Also dann jeder hakt sich im Gürtel des Vordermanns an, Bengurr, Du gehst voraus!”

Die Boroni hörte sich den Austausch der Männer schweigend an und ließ ihre unversehrte Hand auf der Schulter des Oberst. Sie war gerade ganz zufrieden, sich nicht über Gebühr bewegen zu müssen. Einer der Zwerge schien zu wissen, wohin es zu gehen hatte.

Langsam tastete man sich vorwärts, ein Unterfangen, dass aufgrund der Steine und des Gerölls am Boden nicht ganz einfach war. Das Wasser aber, dass zumindest den Angroschim bis mindestens zur Brust reichte, gab ihnen auch zusätzliche ‘Stabilität’, so dass ein Sturz fast nicht möglich gewesen wäre, selbst dann nicht, wenn sich die Gruppe nicht aneinander festgehalten hätte. Schon nach wenigen Schritt, genau war das aufgrund der Finsternis nicht zu sagen, stieg der Boden langsam an und wurde zu einer ebenen Rampe, ohne Stolperfallen. Und in dem Maße, indem es aufwärts ging, nahm auch der sie umfangende Wasserstand ab. Sie stiegen auf dem Bassin heraus, einer nach dem anderen. Ja, so musste es sein.

Boindil und Borindarax, die ganz am Ende der Kolonne gegangen waren, ließen sich langsam und tastend am Boden nieder, als sie ihre ersten Schritte auf dem Steinboden hatten hören können und daraus geschlossen hatten, dass sie dem nassen Element vollständig entkommen waren. “Der Boden ist bearbeitet aber nicht glatt”, kommentierte der Vogt von Nilsitz kurz das, was er mit seinen Händen wahrnahm. “Und es ist nicht die Richtung zum Schacht zurück!” ergänzte Bengurr. “Wo immer dieser Gang hinführen mag, wir entfernen uns immer weiter von unserem Ausgangspunkt.”

Borix wischte sich den Schweiß von der Stirn. “Das ist ja hier fast wie am Hochofen. Ob wir uns einem Feuerschacht nähern?” Grimmgasch schüttelte den Kopf, dann fiel ihm ein, dass diese Bewegung von keinem gesehen werden konnte und er erklärte laut: “Nein, Meister Borix, das wird es nicht sein. Die Inschrift erwähnte einen großen Frevel, wenn also der Weg zu einem Feuerschacht führen würde, dann wäre es ja eigentlich das Gegenteil von einem Frevel, oder etwa nicht?”

“Ihr habt recht”, stimmte Borix dem Geweihten zu. “Daher sollten wir auf der Hut sein!” “Das solltet ihr”, bestätigte auch Boindil. “Ich bleibe bei Borindarax. Wir werden warten und horchen, ob von oben Hilfe kommt. Irgendwann wird man uns vermissen und später sicher auch den Einsturz finden.”

Sie gingen weiter, dicht beieinander, stets die Hand unverlierbar am Vordermann, um die Hoffnung zu bewahren, gemeinsam durch die Dunkelheit zu gelangen. Schritt um Schritt tasteten sich Zwerge und Menschen weiter vor. Zu hören waren nur ihre eigenen Schritte, die unendlich vielen Wassertropfen, die sich aus ihrer Kleidung lösten und zu Boden fielen und das stetig lauter werdende Wummern. Sie näherten sich seiner Quelle.

Argmin hatte Wellenkamms Gehänge nicht wieder angetan, sondern hielt die Waffe in seiner Linken. Die Hitze war unangenehm, das Atmen tat weh. Er hatte sich an Grimmgasch gehalten und folgte dem Zwerg stolpernd durch die Schwärze. ’Frevel? Von welchem Frevel mag die Inschrift wohl berichtet haben?‘ Er erinnerte sich an die gemeinsamen Erlebnisse mit Borindarax und Grimmgasch und Lagorasch am Heiligtum zu Sturzenstein und den Erzählungen des Vogtes von Nilsitz über das dortige Höhlensystem. Während sie vorangingen, rezitierte er in Gedanken: ‚Himmelsleuin, Dir zu Ehren kämpfe und streite ich. Dir zu Ehren, nur in Deinem Namen. Dir zu Ehren will ich leben, Dir zu Ehren will ich sterben, Dir zu ehren bis in alle Ewigkeit! Deinem Wort zu gehorchen nur leb‘ ich. Deiner Ehre widme ich mein Streben, Deinem Willen bald geweiht, Dir zu dienen bereit, Herrin Rondra, bis in alle Ewigkeit!‘ Der Choral der Heiligen Ardare gab ihm Kraft und Zuversicht in dieser befremdlichen Dunkelheit, dem gegenüber zu treten, was sie auch immer erwarten möge.

Und dann geschah das, was eigentlich unmöglich war - oder zumindest sein sollte. In der vollkommenen, allumfassenden Dunkelheit erhaschte ausgerechnet diejenige, der die Finsternis längst nicht mehr fremd, ja schon so etwas wie eine gewohnte Umgebung geworden war, einen Umriss. Es war, als... sehe Marbolieb dünne, weiße Linien in der Richtung in der sie voranschritten.

Erst glaubte Marbolieb es sei ein Hirngespinst, als bilde sie sich nur ein etwas zu sehen, doch dann drängte sich ihr ein Eindruck ein, den sie nicht so einfach abtun konnte. Die Linien immer heller werdenden Lichtscheins bildeten ein hochkant stehendes Rechteck- wie eine Tür, die nicht perfekt im Rahmen saß und hinter der die Sonne schien.

Die Geweihte hielt abrupt inne und sann den seltsamen Empfindungen, die doch nicht sein konnten, nach. Dass ihr unvermitteltes Stehenbleiben den Schleichgang der gesamten Gruppe in Unordnung brachte, schien sie in diesem Moment nicht zu bemerken. Verwirrt schüttelte sie den Kopf.

“Dwarosch, da ist etwas.” Sie deutete nach vorn, noch immer stocksteif stehen bleibend. Mit ihrer Blindheit waren die Bilder gekommen, die nicht ganz aus dieser Sphäre stammten - aber doch zu ihrem Bedauern hier verankert warten - Schatten ehemals Lebender, die es nicht vermocht hatten, einen Platz auf Golgaris Rücken zu erlangen.

Nur zu gut erinnerte sie sich an den Schrecken des Vogtes und seiner Begleiter, als sie so einmal in den Keller von Burg Nilsitz geraten war - mittlerweile war dieser spezielle Keller ein deutlich ruhigerer und friedlicherer Ort denn zuvor, so wie es ein guter Boronsanger sein sollte. Doch kein Geist war ihr bislang in dieser Form begegnet. Das hier war eine Tür. Was nur einen Schluss zuließ. Sie schüttelte den Kopf.

“Eine Tür - in die Geisterwelt.” Sie schluckte und setzte ein stilles Gebet an den Herrn des Schweigens hinzu, mit der inständigen Bitte, ihrer aller Schritte zu behüten.

“Was sagst du da?”, flüsterte der Oberst mit unverhohlenen Unglauben in der Stimme. Kein anderer erhob indes das Wort, alle lauschten, die Spannung wuchs. Marbolieb erkannte am Rascheln von Dwaroschs Bart, dass er den Kopf hin und her wandte. Er trachtete danach ihre Worte bestätigt zu wissen, doch das war ihm nicht möglich. “Ich sehe nichts, rein gar nichts”, gestand er daher leicht gereizt. Da er so nicht weiterkam fragte Dwarosch dann etwas lauter in Richtung der anderen. “Ihr etwa? Seht ihr was?” Doch dem war nicht so. Nacheinander verneinte jeder der in der Finsternis gestrandeten. Dwarosch schnaubte.

“Nun Räblein, dann scheint mir bist du die Sehende und wir die Blinden”, bemerkte er nicht ohne eine Spur von Selbstironie. “Was immer es ist, wir haben nur diesen einen Anhaltspunkt. Sehen wir ‘es’ uns an?”

“Auch wenn wir es nicht sehen, sollten wir es uns ansehen”, stimmte Borix zu. “Dwarosch willst Du mit Ihrer Gnaden die Führung übernehmen?” Der Oberst aber beantwortete nicht die mehr oder minder rhetorische Frage seines alten Freundes, sondern wandte sich mit sanfter Stimme an Marbolieb.

“Räblein, schaffst du das?” Die kleine Geweihte nickte, in seliger Unkenntnis ob der alles umfassenden Dunkelheit. “Ihr werdet hinter mir bleiben.” sanft war ihre Stimme, nicht mehr als ein Wispern in der nässetropfenden, ewigen Nacht. “Und bitte - niemand wird durch Türen schreiten oder Wände zertrümmern, bevor ich nicht sage, dass ich genug gesehen habe - ja?” bat sie.

Alle nickten. Dwarosch ergänzte unterdessen ein “dafür werden ich Sorge tragen”, bevor er sich mit Marbolieb am Arm an den Schultern der anderen vorwärts hangelnd an die Spitze der Gruppe setzte.

Langsam führte die Geweihte sie daraufhin auf das seltsam anmutende Rechteck aus leuchtenden Linien zu. Was Marbolieb immer besser zu erkennen vermochte war, dass die vertikale Linie auf der rechten Seite breiter war, als die zur Linken und das letztere zwei Lücken aus Schwärze aufwies. Hinzu kam, dass das Licht der Linien mitnichten konstant oder gleichmäßig war, nein, es fluktuierte leicht. Und das Wummern nahm erneut an Intensität zu. Dann, kaum das sie geschätzte zehn Schritt gelaufen waren, meinte die Geweihte vor ‘der Tür’ zu stehen. Sie war der Überzeugung sie bräuchte nur die Hand auszustrecken, um ihre Oberfläche zu berühren.

‚Herrin, Dir diene ich, die Angst zu besiegen, das Zaudern zu enden, jedem Frevel zu trotzen. Herrn, für Dich erhebe ich mich, in Deinem Namen, nach Deinem Willen, zu Deiner Ehre alleine…‘ Flüsternd kamen die Worte Argmins Lippen. ‚Geisterwelt‘ hat Marbolieb gesagt – er spürte trotz der Hitze ein Frösteln in seinem Nacken, wie von einem kühlen Luftzug.

So folgte der junge Mann Grimmgasch blind durch die warme Dunkelheit, seine linke Hand fest um das Schwertgehänge von Wellenkamm gekrallt. Marbolieb blieb eine Armeslänge vor der Tür stehen und sinnierte über das seltsame Bild, das sich ihr bot. Eine Tür, halb offen - doch wohin genau? Es gab verschiedene Geisterreiche, die sich an Randbereichen überlappten - so zumindest lehrten es einige der nicht so verbreiteten Bücher ihrer Kirche. Einfach hindurchzuschreiten, um genau dies herauszufinden, hätte eine bleibende, einmalige und vor allem endgültige Erfahrung bedeuten mögen. Nichts, dem sie ihre Begleiter unvorbereitet aussetzen wollte.

“Wer möchte mit mir beten?” fragte sie stattdessen mit sanfter Stimme. “Ich würde es tun, Schwester!” kam die Stimme des Angroschpriesters von weiter hinten. Borix brummte nur kurz. “Wir werden Euch alle sicherlich unterstützen, wenn es uns bei der Aufgabe hier wieder herauszukommen hilft.” Das Dunkel um ihn herum machte den Rondranovizen unruhig und hilflos, und er musste immer wieder an Marbolieb denken, für die diese Hilflosigkeit unveränderbarer Bestandteil ihres Lebens geworden war. Argmin hielt sich fest an dem, was ihm in der Finsternis blieb – Wellenkamm und sein Glaube an Rondra und die anderen Elf.

Ein gemeinsames Gebet – er vertraute darauf, dass die Götter ihnen zuhören würde und legte seine Zuversicht in seine Stimme. „Es ist mir eine Ehre!“ rief Argmin, in Marboliebs Richtung. Auch der Oberst brummte am Ende seine Zustimmung, auch wenn sich Marbolieb dessen immer sicher war. Dwarosch und sie beteten schließlich oft gemeinsam zum ewig Schweigsamen.

Still nahm die Geweihte die Hand des Oberst und legte sie auf ihre Schulter. Der Stoff war feucht und klebrig unter den Fingern des Angroscho. Dies erledigt, wandte sich Marbolieb an die Umstehenden “Bruder Grimmgasch, Herr Argmin, wollt ihr mir Eure Hand geben?” bat sie. Grimmgasch tastete sich an der Schlange entlang bis er bei der Geweihten angekommen war und gab ihr sanft seine verschwitzte Hand.

Argmin folgte dem Angroschpriester an den anderen vorbei. Er musste sich auf seine Hände verlassen, denn die Berührung der anderen Gefährten war die einzig mögliche Orientierung. Als Grimmgasch stehen bliebt, tastete sich Argmin an seinem Arm weiter, bis er Marboliebs Hand erspüren konnte. Er konnte nur schätzen und bewegte seine Hand in der Dunkelheit, bis er den nassen Robenärmel der Boroni berührte und nach ihrer Hand tastete. Ein beruhigendes Gefühl machte sich in ihm breit, als er ihre Finger ergriff.

Als alles zu ihrer Zufriedenheit geregelt war, ließ sich die Boroni mit einem erleichterten Seufzen auf die Knie nieder. Immerhin war der Boden hier trocken. Sie lauschte auf ihre Atemzüge und die ihrer Begleiter, ließ ihnen Zeit, einen gemeinsamen Takt zu finden (nicht so einfach mit dem Wummern, das immer stärker in ihrem Schädel klang - sei musste sich den Kopf ganz ordentlich angestoßen haben). Irgendwann jedoch siegten Übung und Gewohnheit, sie fasste alle Empfindungen zu einem großen Bündel und schob sie beiseite.

“Unergründlicher.” bat sie mit ruhiger Stimme, so leise, dass die Mitbeter sie über dem Wummern kaum verstanden. “Gib uns die Kraft, in dem zu bestehen, was von uns liegt. Nimm unseren Geist unter Deine Fittiche, schenke ihm Klarheit und birg ihn vor allen Täuschungen.” Die beiden Geweihten spürten, wie die Hände der Boroni immer kälter wurden, bis sie fast glaubten, ein Stück Eis in Händen zu halten. Immer langsamer wurde ihr Atem, als wäre sie kurz davor, einzuschlafen. Dwarosch spürte, wie ihr Nacken, klebrig-feucht unter seinen Händen, immer kühler wurde und ihr Kopf nach vorn sackte.

“Und nimm’ uns in Gnaden auf, wenn wir vor Dich treten, oh Herr.” flüsterte die junge Frau. “So sei es!”

“So sei es!” fügte Grimmgasch hinzu, der mit seiner Hand versuchte ein wenig Wärme in die eisigen Hände der Boroni zu übertragen. Er drückte und knetete die zarten, kalten Finger Marboliebs sanft zwischen den schwieligen, harten Fingern seiner Rechten.

„So sei es“, wiederholte auch Argmin und fasste Marboliebs und Grimmgasch‘ Hand mit festem Griff, um fortzufahren: „Große Göttin, siegesreich, unfehlbares Schwert Alverans, starker Schild Melliadors – Rondra! Heil und Ruhm sei Dir und Deinem mächtigen Walkür, Mythrael, Tigerhäuptiger, Helfer in der Not! Erfüllt unsere Herzen mit Unbeirrbarkeit und Mut, für was uns vorherbestimmt. Deinem Schwerte nach, Sturmbringerin, sei unser aller Zeugnis – rein und unaufhaltsam. Lass uns nicht zagen, sondern streiten und wagen zum Ruhm unserer aller Götter. Leitet uns durch Dunkelheit und das Unbekannte! Rondra, sei uns Schild und Zuversicht, wir wollen Klinge und Fackel in Deinem Namen sein! So sei es!“ Auch hier fügte Grimmgasch sein “So sei es!” zu dem Gebet des Rondranovizen hinzu.

Dann begann auch er zu beten: “Oh Allvater, der Du unsere Wege und unser Schicksal kennst und lenkst. Lass uns in Deinen Bingen nicht in die Irre und Dunkelheit gehen, sondern unterstützte uns in unseren Bemühungen das vor uns liegende zu überwinden! So sei es!” “So sei es!”, sprach auch Argmin, Grimmgasch und seinem Gott zu Ehren.

Der Oberst indes fügte ebenfalls nur ein “so sei es”, an. Seine Worte jedoch waren sehr leise gesprochen und zeugten von innerer Anspannung. Im Geiste, in stiller Zwiesprache bat er Kor um Mut und Kälte im Herzen, sollten sie wirklich vor einem Tor ins Reich der Toten stehen und sich dort beweisen müssen.

Die schmale Geweihte ließ sich einige Atemzüge lang Zeit, versuchte das Wummern in ihrem Kopf niederzuringen und holte schließlich tief Luft. “Werdet ihr folgen?” fragte sie.

“Da es wohl keinen anderen Weg gibt und wir ihn auch nicht sehen, werden wir Euch folgen, Euer Gnaden!” antwortete Borix als erster auf die Frage der Boroni. Eine andere Möglichkeit sah er im Moment nicht.

„Wir folgen Euch, Marbolieb – führt uns“, unterstrich Argmin Borix‘ Antwort. Die Hitze war nahezu unerträglich geworden. Er vertraute auf den Schutz der Götter, doch er konnte die Unruhe in sich nicht leugnen. Dwarosch drückte bekräftigend Marboliebs Schulter. Er würde an ihrer Seite bleiben, komme was da wolle und das wusste sie. Warm war die Oberfläche gegen die Marboliebs Hand stieß und uneben. Kleinere Stückchen bröselten unter ihren Fingern ab und rieselten zu Boden. Sie kannte dieses Gefühl. Es musste sich um Rost handeln.

Als die Geweihte dann gegen die Tür drückte, gab sie ein ächzendes Knarren von sich, dass davon kündete, dass sie Jahrzehnte, nein Jahrhunderte nicht mehr bewegt worden war und das ihre Scharniere sich trotzig weigerten ihren Dienst zu tun. Nur zwei Fingerbreit hatte Marbolieb die Tür bewegen können und doch fiel nun bedeutend mehr Licht hindurch, Licht das immer noch nur sie wahrnehmen konnte. Die junge Frau verharrte und versuchte, durch den Spalt zu spähen. Das Wummern in ihrem Kopf war mittlerweile so stark, dass sie es fast durch die Tür zu spüren vermeinte.

Wie konnte diese warm sein? So weit unter der Erde? Sie schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz davon kündete, dass dies kein guter Einfall war.

“Eine Tür. Könnt ihr sie öffnen?” Fragte sie, besann sich, mit wem sie hier war und fügte eindringlich hinzu. “Nicht hindurchgehen!” Borix tastete sich nach vorne bis er mit den Fingern den Türrahmen spürte. Er versuchte eine Stelle zu finden an der er mit den Händen einen festen Griff hatte, dann zog er vorsichtig.

“Hmm, da brauchen wir wohl ein bisschen mehr”, murmelte er. “Bengurr, Baschtasch kommt her und helft eurem Vater.” Die beiden gerufenen kamen an der Schlange entlang nach vorne und positionierten sich ebenfalls an der Tür. “Bei drei!” kommandierte Borix. “Eins! Zwei! Drei!”

Die Angroschim strengten sich zu dritt an und stemmten sich gegen die Eisentür. Zunächst gaben die Scharniere erneut nur ein protestierendes Quietschen von sich, doch als ihr Anfangswiderstand einmal überwunden war, vermochten die Zwerge sie mit gemeinsamer Kraftanstrengung Finger um Finger langsam weiter aufzuschieben. Das Ächzen, was dabei ertönte, verriet ihnen indes, dass die Aufhängung der Tür irreparablen Schaden nahm. Dann ertönte ein Knacken und jedweder Widerstand erstarb. Fast wären Vater und Söhne in das was an die Türzarge grenzte gestolpert, doch das beherzte Zugreifen von Argmin und Dwarosch verhinderte dies. Die massive Eisentür krachte donnernd auf den Felsboden.

Zwerge und Argmin sahen ein rötliches, pulsierendes Glühen, dass aus ‘Etwas’ hindurchzuscheinen schien. Dann, mit jedem Moment indem sich die Augen besser an das Licht gewöhnen konnte, schälten sich mehr und mehr Konturen aus der Dunkelheit heraus. Vor ihnen stand in etwa zehn Schritt Entfernung ein riesiges Ding aus Eisen. Da waren genietete Platten, Stangen, Rohre und dieses Etwas schien zu dampfen. Das Glühen jedoch drang aus dem Zentrum des sicher vier Schritt großen Ungetüms. Dort wo Nieten fehlten oder Metall durchgerostet war, drang das rötliche Pulsieren aus … der Maschine.

Das Bild welches sich Marbolieb unterdessen bot war ein gänzlich anderes. Sie sah eine Vielzahl von durchscheinenden Gestalten, von denen das Leuchten ausging, welches durch die Ritzen um die Tür gedrungen war. Die Geweihte hatte keinen Zweifel, dass es sich um Geister handelte.

Da waren Zwerge. Sie trugen die Kleidung von Handwerkern und Minenarbeitern. Die Angroschim aber waren in der Minderzahl. Andere, ähnlich ‘kleine’ Gestalten waren deutlich in der Überzahl. Sie waren allesamt schmächtig, besaßen die Statur von Kindern, die vielleicht fünf oder sechs Götterläufe gesehen haben mochten und schienen von den Zwergen geknechtet worden zu sein. An ihren Leibern klebten zerrissene Kleider und große, metallische Ringe, an denen sie teilweise mit Ketten verbunden waren, lagen um ihre Hälse.

Die Grolme, denn nur um solche konnte es sich hier handeln, auch wenn Marbolieb sie nur aus Geschichten kannte und noch nie einen zu sehen bekommen hatte, schaufelten ununterbrochen Kohle von einem riesigen Haufen zur Linken der Tür in ein komplexes Gebilde aus Eisen, dass sich im Zentrum der riesigen Halle von bestimmt zweihundert Rechtschritt und einer enormen Höhe stand. Auf der anderen Seite der Halle kam eine Bahn aus gewalztem Metall aus der Maschine und wurde von Zwergen wohl noch glühend, auch wenn Marbolieb das aufgrund des fast eintönigen Weiß der Szenerie nicht ausmachen konnte, zurechtgeschnitten und mit langen Zangen in Wasserbecken zum Abkühlen gezogen.

Eine Handlung jedoch, das Beschicken dieses seltsamen Ofens inmitten der Konstruktion schien etwas zu bewirken. Jedesmal, wenn eine bestimmte Anzahl an Schaufelladungen im ‘Bauch’ der Maschine gelandet war, pulsierte das Licht, dass auch von ihr ausging und alles begann von vorne. Ja, Marbolieb hatte den Eindruck, als wiederhole sich das was sie sah stets auf die exakte Art und Weise. Die Geister schienen gefangen in diesem Ablauf und ihrer eigenen Umgebung - bislang hatten sie die Eindringlinge nicht beachtet. Das würde sich vermutlich ändern, wenn die Gruppe durch die Tür schritt oder auf eine andere Weise in den Aufmerksamkeitsbereich der Geisterwesen geriet - die Auslöser würden sich noch zeigen. Dadurch besaß sie denn nun genug Zeit, sich die Sache in Ruhe zu betrachten.

Die Gruppe bemerkte nur ein leichtes Rascheln, als die Boroni sich am Türrahmen festhielt und scheinbar regungslos auf das rote, pulsierende Glühen starrte - das sich ihr als mal helleres, dann wieder dunkler werdendes weißes Gleißen zeigte. Und dabei die Geister zählte - 14 Zwerge, zwei Dutzend der kleinen, verschrumpelten Kindergestalten mit Greisengesichtern. Seltsame Wesen. Bedauernswerte Geschöpfe.

Marbolieb versuchte, die Vorgänge noch genauer zu kategorisieren, herauszufinden, wer der Anführer dieses Ablaufs war - und wo sich dieser befand. Er wäre derjenige, auf den sie zuerst zugehen würde - mit einem gehörigen Sicherheitsabstand zu allem, was besonders hell leuchtete. Je nach der Intensität der Berührung von dritter und vierter Sphäre vermochten die Erlebnisse dort sehr … nachhaltige … Eindrücke zu hinterlassen.

“Geister.” flüsterte sie leise, kaum zu hören über dem Wummern. “Zwerge. Und Grolme. Sie beladen diesen … Ofen, der Platten ausspuckt.” Sie schwieg einige Atemzüge, lauschte auf das schmerzhafte Wummern in ihrem Schädel und schloss die Augen. Das Wummern wurde nicht weniger.

“Aber da ist doch nur eine riesige Maschine aus Stahl, keine Geister”, bemerkte Borix, der fasziniert diese Ding, diese Maschine ansah. Die beiden Söhne nickten bestätigend. Grimmgasch versuchte an den drei anderen Angroschim und der Geweihten vorbei zu schauen, konnte aber nichts erkennen außer dem roten Glühen, das den Raum füllte.

Der junge Novize konnte nicht die Augen von dem fremdartigen Gebilde vor ihnen nehmen. Das rötliche Pulsieren hatte etwas Hypnotisches… Argmin wusste um die Eigenart der Zwerge, mechanische Dinge zu erfinden und zu nutzen und er hatte in den Schmieden der Angroschim schon vielerlei gesehen, aber das hier vor ihm… war anders - es war soviel mehr als nur ein Blasebalg, der mit Wasser angetrieben wurde. Das hier war… fremd, wie ein gigantischen Schmelzofen, ein großes Gebilde aus Metall, in dem etwas glühte, ein rotes, klopfendes Licht, wie das Schlagen eines großen Herzens.

“Marbolieb mag blind sein, aber sie vermag seither durch den Schleier zu sehen”, raunte der Oberst gerade so laut, dass alle es hören konnten. “Wir sehen eine große Maschine mit einem rot glühenden, pulsierendem Zentrum Räblein. Sie steht etwa zehn Schritt vor uns. Mehr können wir nicht erkennen”, sprach Dwarosch ernst zu der Geweihten an seiner Seite. “Was siehst du?” Irritiert schüttelte die Geweihte den Kopf und bereute die Regung sofort wieder.

“Geister.” wiederholte sie ihre Aussage von gerade eben. “Vierzehn Zwerge, zwei Dutzend gefesselte … Grolme? Sie beladen diesen … Ofen.” Sie schwieg einige Augenblicke. “Dann glüht er noch immer.” wunderte sie sich mit leiser Stimme. “Befeuert ihn jemand?”. “Ihr seht die Geister, wir sehen eine riesige glühende Maschine, diese Maschine atmet oder macht etwas ähnliches. Aber es ist irgendwie kein einfacher Ofen, es ist mehr als das!”

Die Borongeweihte hob die Schultern. Sie hatte gesagt, was sie sah, alles zu wiederholen war nicht notwendig. Auch wenn sie inzwischen bemerkt hatte, dass Männer frühestens bei der ersten Wiederholung zuhörten, meist später. “Ich frage den Vorarbeiter. Bruder Grimmgasch, Herr Argmin, kommt ihr mit?”

Mit diesen Worten, ihre Hände noch immer um die ihrer Glaubensgeschwister geschlossen, stieß sie sich vom Türrahmen ab und tat einen vorsichtigen Schritt in den Raum.

Grimmgasch hielt weiterhin die Hand der Boroni fest und schritt ebenfalls in den Raum. Er ließ dabei diese seltsame Maschine, die von Marbolieb als Ofen bezeichnet wurde, nicht aus den Augen. Was sollte er auch sonst in diesem Raum fixieren, da er ja weder die Geister der Zwerge noch der Grolme sah. Mehr gezogen denn aus freien Stücken folgte Argmin Marbolieb. Er spürte, wie sich sein Griff leicht verkrampfte, als er durch die Öffnung trat. Wellenkamm schenkte ihm ihr vertrautes Gewicht und der Name der Sturmherrin lag lautlos auf seinen Lippen.

Das erste was Menschen und Zwergen im Raum auffiel, war die rasch ansteigende Luftfeuchtigkeit, welche die Hitze noch besser auf jede freie Stelle Haut übertrug. Der Dampf, der aus der Maschine aufstieg verteilte sich anscheinend in der gesamten, unterirdisch liegenden Halle. Man atmete förmlich Feuchtigkeit. Vorsichtig schritten die drei Geweihten mitsamt Dwarosch, der nicht von Marboliebs Seite wich, voran. Alsbald hatten sie die ersten der geisterhaften Erscheinungen erreicht, die sie auf ihrem Weg zu demjenigen passieren mussten, den die Priesterin des Boron glaubte als eine Art Aufseher ausgemacht zu haben. “Nichts anfassen.” flüsterte die Boroni, als sie einem der Geister gerade noch auswich und einen eiskalten Hauch auf ihrer Haut fühlte, als das ‘gerade noch’ sich als ‘doch zu knapp’ erwies. Immerhin schienen diese hier nicht feindselig gestimmt und hatten - bislang - noch keinen Angriff als Kontaktaufnahme versucht. Was sich rasch ändern konnte.

Die Luftfeuchtigkeit - wie in einem Dampfbad - bildete einen feinen Film auf ihrer Haut, schwüle Wärme, die den Nachhall des Gespenstes rasch vergessen ließ, doch angenehm war diese Kombination keinesfalls. Auch dem Feuer und Hitze gewohnten Angroschpriester trat nun auch der Schweiß aus allen Poren, die Hitze, das Wummern, Marboliebs Beschreibung der Geister, alles zusammen war die Summe des Unwohlseins, dass ihn hier überkam. “Aber Schwester, wir sehen nicht das gleiche wie Ihr, daher wissen wir doch gar nicht, was wir nicht anfassen sollen.” Während die Geweihten sich in diesem Raum bewegt hatten, blieb Borix und die beiden Söhne erst einmal weiter an der Tür und beobachten was sich ergeben würde. Die Boroni indessen schritt vorsichtig auf den Vorarbeiter zu und manövrierte sich und ihre Begleiter nach bestem Wissen und Gewissen durch die sich plagenden Geister.

“Meister Vorarbeiter.” sprach sie ihn direkt an, als sie vor ihm stand. Entweder er würde sie wahrnehmen - oder nicht. Für letzteres gab es eine Liturgie, die ihre Geschwister in Punin gewiss beherrschten - von der sie aber nur wusste.

Grimmgasch starrte nun in die Richtung in die Marbolieb sprach, aber dort war nichts - jedenfalls nichts, was er mit seinen Augen wahrnahm. Aber es musste wohl etwas sein, die Geister, die die Boroni sah, vermutlich. Gespannt wartete er darauf, was nun passieren würde.

Marbolieb aber registrierte, wie sich der Zwerg, den sie angesprochen hatte, plötzlich irritiert umsah. Sein Kopf schwenkte mehrfach hin und her und doch schien er nichts zu sehen, was er mit der Stimme, die er womöglich gehört hatte, in Verbindung bringen konnte. Seine Gestalt indes schien mit jeder Bewegung zu verwischen, um dann im Innehalten wieder deutlicher zu werden, wie als schärften sich dann die Konturen von neuem, die sich zuvor aufzulösen schienen. Die anderen, die die Geister nicht zu sehen vermochten, vernahmen kurz darauf ein leises, fernes Wispern, dass nur Grimmgasch mühsam deuten konnte, denn es war ein harter Dialekt des Angram, in dem die einfachen Worte “Was… wer?”, gesprochen wurden. Die Geweihte des Totengottes hörte jene Silben, die die Worte bildeten unterdessen klar und deutlich, nur konnte sie die fremde, uralte Sprache nicht verstehen.

“Ich höre eine Stimme”, murmelte der Angroschpriester, “sie wispert ganz leise in einem sehr alten Dialekt unserer Vorfahren. Sie fragt ‘Was … wer?’. Bitte versucht weiter mit dem Geist zu reden. Falls er Euch nicht versteht, dann werde ich Euch die Worte in der Sprache der Ahnen einsagen.” Marbolieb nickte, entschied sich aber zuerst für einen anderen Ansatz.

“Versteht ihr mich?” fragte sie auf gepflegtem Bosparano. “Ich bin Marbolieb. Wer seid ihr?” Der Zwerg fixierte Marbolieb nach ihren erneuten Worten, so dass sie den Eindruck gewann, er würde sie nun ebenfalls wahrnehmen können. Das Unverständnis in seinem Gesicht jedoch und das Ausbleiben einer Reaktion auf ihre Frage hin, ließ die Geweihte zu dem Schluss kommen, dass er sie nicht verstehen konnte. Marbolieb hob die Schultern. Ein Zwerg durch und durch. “Bruder Grimmgasch, eine Begrüßung?” Langsam und deutlich sprach ihr Grimmgasch auf Rogolan Silbe für Silbe der brüderlichen Begrüßung vor: “Ga-Ro-Schem, Ga-Ra-Scho Ga-Rasch-Mox! For-Tom-Bla Hor-To-Mosch! ”

Hm - gewiss war sie nicht besonders bewandert im Rogolan, doch klang dies nach einer Begrüßung, wie sie diese schon einige Male gehört hatte - aber was war in der Zwergensprache auch schon der Unterschied zwischen Alt und Neu?

Sie neigte den Kopf und gab die Ansprache des Angroschpriesters nach bestem Wissen und Gewissen weiter. Der Geist wandte sich Marbolieb nun vollends zu, auch wenn die Geweihte dies anhand der durchscheinenden Gestalt mehr erahnte als mit Bestimmtheit sagen konnte. Mit harter, kratziger Stimme erwiderte er dann die Begrüßung. Die Worte die daraufhin von ihm folgten sollten, übersetzte der Angroschpriester nach einigem Grübeln mit “Wer seid ihr und was macht ihr hier? Ihr habt hier nichts zu suchen.”

Marbolieb war sicher, dass die geisterhafte Gestalt noch mehr gesagt hatte, doch Grimmgasch schien einiges davon nicht übersetzen zu können … oder zu wollen. Marblieb stutze. Nicht die Wahrheit sprach ihr Bruder im Glauben. Nicht die gesamte. Sie fühlte, wie er beim Sprechen stutze, nachdachte und dann stockend fortfuhr.

“Ihr solltet mir sagen, was von Wichtigkeit für uns ist, Bruder Grimmgasch.” wisperte sie. Grimmgasch schüttelte den Kopf, wieder vergessend, dass ihn seine Glaubensschwester nicht sehen konnte. Dann antwortete er leise: “Er hat Worte gesagt, die schon für meine Ohren nicht schön zu hören waren, die ich hier aber nicht wiedergeben möchte. Sie sind auch für den weiteren Verlauf vermutlich nicht von Belang. Der Geist scheint mir doch ein alter Grantler zu sein.”

Dann überlegt er was er Marbolieb übersetzten könnte und formulierte wieder die Sätze ganz langsam auf Rogolan, so dass sie die Boroni dem Geist mitteilen konnte: “Wir sind der Bergvogt von Ishna Mur und sein Gefolge. Daher haben wir alles Recht hier vor Ort zu sein. Drum seid auch ihr es die euch erklären müsst!” “So geht das nicht, Bruder Grimmgasch.” flüsterte die Geweihte zurück. “Dann schimpft er nur wieder.” Das Granteln vermerkte sie, packte es aber vorerst beiseite - es war die übliche Reaktion fremder Zwerge, und ein freundliches Willkommen hätte sie mehr misstrauisch gemacht.

“Sagt ihm, dass sein Hantieren unsere Ruhe stört und fragt ihn, warum er noch hier ist.” Sie holte kurz Luft. “Könnt ihr das übersetzen?”

Grimmgasch nickte. “Wie Ihr wünscht.” Dann wiederholte er gewissenhaft die Worte der Geweihten in der Sprache der Angroschim, die sich über die vielen Jahrhunderte kaum geändert hatte. Fast ebenso, wie der Angroschgeweihte es ihr vorgesagt hatte, wiederholte die Boroni die Ansprache - und kam sich dabei vor, als lehre sie ein Kind die ersten Worte. Umso gespannter lauschte sie auf die Antwort des grummeligen Zwergen.

Die Antwort des Geistes war erbost, ja es schien der Geweihten, als spie er ihr die Worte entgegen. Um dies zu erkennen bedurfte es keiner Kenntnis der alten Sprache. Marbolieb fröstelte, sie hatte plötzlich den Eindruck, als fiele die Temperatur, je länger sie in der unmittelbaren Nähe der Geistergestalt verharrte. Das was Grimmgasch daraufhin mit stockender Stimme übersetzte, waren keine zusammenhängenden Sätze, mehr Fragmente dessen, was der Geist wütend entgegnet hatte. Zu schnell, zu zornig war seine Stimme gewesen, um alle Wörter korrekt von ihrem Stamm ableiten und übersetzen zu können. “Weil dieser … Grolm … Rache … Verschmelzung …”, stammelte der Geweihte des Angrosch und schüttelte dabei fast fortwährend den Kopf aus lauter Unsicherheit richtig zu liegen mit seiner Wiedergabe. “Maschine… fesselt ihn… uns.” Wieder übersetzte er die Worte ins Garethi, damit Marbolieb sie auch verstehen konnte. Entschuldigend fügte er dann hinzu: “Ich habe alles übersetzt, er ist nur sehr wütend und spricht in Fragmenten.”

Zur Antwort drückte die Geweihte die ungleich breitere Hand des zwergischen Geweihten. “Der Grolm hat euch an die Maschine gebunden?” hakte die Boroni nach. “Beruhigt euch, guter Mann. Wir versuchen, euch zu helfen.”

Wenn wenigstens das Dröhnen in ihrem Schädel nachlassen würde! Fast als körperliche Empfindung fühlte sie die Wut des Geistes, der mit all seinem über Jahrhunderte aufgestautem Zorn über sie hereinbrach und mit jeder Äußerung etwas mehr von der Kälte aus dem Limbus zwischen dritter und vierter Sphäre mit sich brachte - etwas, das die anderen beiden Götterdiener ebenfalls spürten.

Grimmgasch übersetzte die Worte der Boroni sinngemäß, dass sie den toten und gebundenen Angroschim helfen wollen. Und dann fragte er noch, ob er noch irgendeinen Hinweis geben könnte, wie Schwester Marbolieb helfen könnte.

Die Geweihte, die in Treu und Glauben die Rogolanworte des Angroschgeweihten weitergab, wunderte sich zwar etwas, wie lang die beiden Sätze mit einemmal geworden waren, beäugte aber nichtsdestotrotz sehr gespannt die Reaktion des weiß schimmernden Angroschos. Die Hitze und das Wummern in ihrem Schädel trieben Schweißperlen auf ihre Schläfe, und sie hielt sich mehr an den Händen ihrer beiden Gefährten fest, als dass sie diese stützte. Der Geist indes schüttelte energisch den Kopf und fuhr wutschnaubend fort. “Nein! Er… sich an… Maschine gefesselt… Ganze Grolmensippe … Drachenwerk … unsterblich … Maschine … uns … verdammt.”

Argmin lauschte gespannt dem Dialog zwischen Grimmgasch, Marbolieb und ihrem unsichtbaren Gegenüber. Die Hitze hatte sein Unterhemd schweißnass werden lassen, es klebte unangenehm an seiner Haut. Er wagte es nicht, die Hand Marboliebs loszulassen und nestelte mit der anderen Hand an den Verschlüssen seines Wams. Argwöhnisch versuchte er in der schemenhaften Umgebung etwas auszumachen, doch seine Augen verweigerten ihm den Dienst. Dieser Schmelzofen vor ihm war das einzige, was sein Blick klar erfassen mochte, alles darum herum, war unscharf und verschwommen. Das rote Pulsieren zog den Blick auf sich, auch wenn seine Quelle nicht auszumachen war. Grimmgasch hatte die Worte von Marboliebs Gesprächspartner übersetzt, auch wenn sie keinen zusammenhängenden Satz bildeten - ihr Sinn erschloss sich ihm nicht. ‘Grolme?’, dachte er, denn er wagte es nicht zu sprechen, wagte es nicht das Gespräch zu stören. Sein Wams hatte er halb aufgeknöpft, doch die erhoffte Linderung blieb aus. Schweiß rann ihm in die Augen und er fühlte sich unwohl. Er sehnte sich danach, nach Wellenkamm greifen zu können, doch das könnte missverstanden werden - von wem auch immer. Er spürte Marboliebs Griff in seiner Hand, ihr Gesicht wirkte angespannt. Er blickte zu Grimmgasch hinunter, dessen Augen ebenfalls unruhig nach dem nicht sichtbaren Gegenüber der Boroni zu suchen schienen.

Leise flüsterte er: “Meint es damit, dass ein Fluch auf ihm liegt, Grimmgasch?”

Grimmgasch, der gerade fertig war, die letzten Worte des Geistes in die menschliche Sprache zu übersetzten - was sehr schwierig war, da die einzelnen Worte und Wortfetzen des Geistes nicht sofort auf einen logischen Zusammenhang schließen ließen, wandte sich jetzt dem Novizen zu und antwortete ihm ebenso leise: “Er, seine Sippe und auch die Grolmensippe scheinen an diese Maschine gebunden zu sein. Aber ich bin im Umgang mit Geistern nicht sehr erfahren …” Marbolieb ignorierte das Flüstern der Männer untereinander. Sie hatte mehr als genug zu tun damit, das Pochen in ihrem Kopf zu bekämpfen und das Gebrummel des Zwergen zu verstehen und zu übersetzen - was nur dank der Mühen Bruder Grimmgaschs einigermaßen klappte.

“Wie hat die Sippe euch gefesselt? Ist ein ein Ding, dass euch daran bindet, ein Ritual - oder ein Fluch?” konzentrierte sie sich auf den armen, gierigen Tropf ihr gegenüber. Schweißtropfen rollten über ihren kurz geschorenen Kopf, rannen hinter ihre Ohren und sammelten sich an ihrer Nasenspitze. Die Hitze ließ ihren Atem schwer werden und sie fühlte, wie ihre Knie zu zittern begannen.

Erneut übersetzte der Angroschgeweihte die Worte der Boroni. Dabei legte er besonders wert darauf, die drei von Marbolieb genannten unterschiedlichen Bindungen der Geister - Ding, Ritual und Fluch - dem für ihn unsichtbaren Zwerg deutlich zu machen. Denn dieses würde, so vermutete Grimmgasch, den Verlauf des weiteren Vorgehens signifikant beeinflussen.

Der Geist schien unschlüssig, als die Priesterin ihre Frage vorgebracht hatte. Verstand er sie nicht, oder wusste er schlicht keine Antwort? “Großes Drachenwerk der gesamtem Grolmensippe …“ Seine Stimme verlor seinen Biss, ja sie wurde ehrfürchtig … angsterfüllt? “Sie wussten … sie würden … sterben. Wir können nicht … Maschine … entfernen.”

Marbolieb überlegte einige Augenblicke, als Grimmgasch die Worte, die ihr der Geist sagte, übersetzt hatte. “Ein Ritual,” grübelte sie halblaut, gerade noch verständlich für die umstehenden Priester. “Das an den Ofen gebunden ist. Und ehe dieser nicht entfernt ist, was die Geister nicht vermögen, kann es auch nicht gebrochen werden.” Sie schwieg einige Augenblicke, und ihre Begleiter merkten, wie sich der Griff ihrer Hände verstärkte und sie sich mehr denn zuvor auf sie stützte. “Solange er mit der Geisterwelt verbunden ist, können wir das auch nicht. Also müssen wir zuerst die Verbindung lösen - und ihn dann in unserer Sphäre vernichten, was Auswirkungen auf die ihre haben wird.”

“Aber wie soll das gehen, Schwester Marbolieb?” fragte Grimmgasch. “Hier können wir diese Maschine, diesen Ofen, oder was immer es ist, mit Werkzeugen und Kraft zerschlagen, aber wir lösen wir diese Verbindung?”

“Wir bitten die Zwölfe darum.” Mit welcher Macht sonst sollte dies geschehen? “Mein Herr versteht sich darauf, Bande zu lösen. Er wird mir von seiner Kraft leihen.”

“Dann müsst Ihr uns anleiten”, nickte der Angroschpriester. “Mir ist diese Gabe nicht gegeben.”

Für einen Augenblick spürte Argmin, wie Zweifel sich in ihm regten. Er sah nicht, mit wem Marbolieb da sprach, sah nicht, für wen Grimmgasch übersetzte. Er sah nur das Flackern, spürte das Klopfen und die Hitze. Er spürte die Disharmonie, die in der Luft war, doch so sehr er sich anstrengte, er konnte nicht erkennen, von welchen Geistern Marbolieb sprach – und das beunruhigte ihn, dass er selbst nicht einschätzen konnte, in welcher Lage sie sich befanden, dass er vertrauen musste auf Marbolieb. Er spürte den Druck ihrer Finger in seiner Hand, er sah ihr angespanntes, schweißnasses Gesicht und sah ihre Augen, die durch den Schleier zu sehen schienen, fokussiert waren – so anders als in all den letzten Tagen, da er in ihrer Nähe gewesen war.

Und die Zweifel fielen von ihm ab. „Rondra, heil Dir, Himmelsflamme! Dir zu Ehren, für Deine ewige Wacht, kämpfe ich!“, sprach er. Beherzt drückte er Marboliebs Hand und stellte sich direkt neben sie, während seine andere Hand Wellenkamm aus dem Gehänge zog.

“Ich möchte euch mit einem Boronsrad aus Asche zeichnen. Dann wollen wir gemeinsam beten. Danach zerschlagt diesen Ofen.” erläuterte die Marbolieb ihren Plan, löste notgedrungen ihre Hände und nestelte einen kleinen Beutel von ihrem Gürtel. Sehr viel mehr hatte sie auch nicht dabei, das Fläschchen Salböl, das sie einige Zeit mit sich getragen hatte, war vor wenigen Wochen bei einem Sturz von einer Treppe zu Bruch gegangen. Doch ob Asche oder Öl - dies würde dem Uralten gleich sein. Asche war es, zu dem alles wurde, später oder früher. Niemand entrann Golgaris Krallen. Sie tastete sich nach ihrem ersten Begleiter. Grimmgasch. Sie stippte ihren Zeigefinger in die feuchte Asche. Feucht. Das hätte sie eigentlich nicht sein sollen. Sie war schmierig wie Seife und kribbelte auf ihrer Haut. Nicht zu ändern.

Sanft legte sie eine Hand auf den Scheitel des Zwergen und zeichnete mit der anderen mit einer ruhigen Geste ein Boronsrad auf seine Stirn. Er war deutlich kleiner als Dwarosch - und ging ihr nicht einmal an die Schulter.

Grimmgasch zuckte leicht bei der Berührung der heißen, klebrigen Hand der Boroni auf seiner Stirn zusammen. Er war noch am Überlegen ob er das Zeichen den Totengottes auf seiner Stirn überhaupt tragen wollte - schließlich gab es für einen Angroschim nur den einen Gott und das war der Allvater. Aber da war es auch schon zu spät. Er spürte wie das gebrochene Rad aus Asche auf seiner Stirn leicht prickelte. Sollte sich so die Abneigung Angroschs zeigen? Aber jetzt war es die Boroni die das Szepter in die Hand genommen hatte, also fügte er sich. Vielleicht kam diese leichte Gefühl der Unwohlseins aber auch einfach nur von dieser Umgebung und den Geistern.

Ebenso verfuhr sie bei Argmin - der indes um so vieles größer war als sie, dass sie sich dabei auf die Zehenspitzen stellen musste. Zum Schluss wandte sie sich zu Dwarosch, dessen Nähe sie dicht an ihrem Rücken fühlte. Allein die Präsenz ihres Gottes gab ihr Kraft. Sie wusste, dass er ihr Handeln nicht hinterfragte. Vertraut war seine Berührung, seine Gegenwart. Sein Geruch. Das Gefühl seiner Haare unter ihren Fingern und seine Stirn, rauh unter ihren Fingerspitzen. Erneut tastete sie nach den Händen ihrer Begleiter.

“Bruder Grimmgasch?” Das festere Zufassen seiner Finger mochte bedeuten, dass er zuhörte. “Ich möchte dem Geist sagen, dass wir versuchen, seine und seiner Begleiter Verbindung zu dem Ofen zu trennen. Gelingt dies, steht ihnen der Weg in Angroschs Reich offen. Sie sollten sich aber an einem Platz versammeln. Könnt ihr das übersetzen?”

Die Zwergengeister an einem Platz bedeutete mehr Übersicht … und möglicherweise ein einfacheres Umgehen, wenn sie doch dabei Hilfe benötigen würden, den richtigen Weg zu finden. Die Grolme mochten davon ebenfalls profitieren - doch als Rädelsführer dieser unheilvollen Verbindung würden diese sich möglicherweise einem Gang über’s Nirgendmeer widersetzen. Der Angroschgeweihte begann langsam die Sätze der Boroni zu übersetzen und hoffte, dass sich gebundenen Geister wie gewünscht versammeln würden. Aber er konnte sie bislang nicht sehen und war daher auch nicht sicher, ob sie sich seinen - oder besser Marboliebs - Anweisungen fügen. Die Geweihte des Rabengottes konnte derweil beobachten, dass der Zwerg vor ihr anscheinend angestrengt überlegte, wie er mit ihren Worten umzugehen hatte - ob er ihren Worten vertrauen sollte oder nicht. Die Zeit zog sich zäh in die Länge und trotz der sie umgebenden Hitze fröstelte es Marbolieb weiter, dem Geweihte des Angrosch erging es nicht anders, auch er bewegte sich nun willentlich zwischen den Welten - den Sphären. Dann plötzlich nickte der vermeintliche Vorarbeiter unter den Angroschim und schritt von dannen, um mit seinen Brüdern und Schwestern zu sprechen. Deutlich konnte die Geweihte im Folgenden erkennen, wie sich die weiß scheinenden Gestalten etwas entfernt von der Maschine sammelten.

Die Geister der Grolme jedoch zogen sich hektisch zu dieser zurück und versuchten anscheinend einen Ring um sie zu ziehen.

“Könnt ihr einen Schutzkreis um uns wirken, Bruder? Ich helfe euch gern.”

“Oh, Schwester, ich könnte sicher einen Schutzkreis ziehen”, antwortete der Geweihte, “aber ich bin vorhin so schnell aufgebrochen, dass ich alles für so ein Vorhaben vergessen habe. Ich habe meine Lampe mit dem ewigen Licht und dem geweihten Öl und auch die Kohlenstücke vom Altar nicht mehr eingepackt. Vermutlich wäre das aber auch durch das Wasser nicht mehr so gut zu gebrauchen. Argmin, kannst Du uns helfen? Hast Du vielleicht etwas dabei, was wird für einen Schutzkreis nutzen könnten?”

“Leider nein, mein Freund!” Argmin versuchte sich an die Unterrichtsstunden bei Schwester Bodia über die Vertreibung und Bannung übernatürlichen Schreckens zu erinnern, an das, was sie über den Schutz vor unheiligen Wesen gesagt hatte, doch er wusste, dass er diese Macht erst erhalten würde, wenn er sich in den Augen der Sturmbringerin als würdig erweisen würde und wenn die Kirche der Rondra ihn akzeptieren würde in ihren Reihen.

“Ich werde Euer Schild sein, um Euch Zeit zu verschaffen - doch ihr müsst meine Augen sein!” Argmin packte Wellenkamm mit beiden Händen und trat einen Schritt vor Marbolieb und Grimmgasch und suchte festen Stand. “Leuin, Herrin - steh mir bei!”. Er atmete tief ein, seine Augen auf der Suche nach einem Feind, den er nicht sehen konnte. Grimmgasch überlegte kurz, dann sprach er zu der Geweihten, die jetzt wieder neben ihm stand: “Schwester Marbolieb, ist vielleicht noch etwas von der Asche übrig, das ich für den Schutzkreis benutzen könnte?”

Marbolieb nickte, und fügte, als nach einigen Atemzügen keine Reaktion kam, hinzu: “Gewiss."

Sie nestelte den Beutel mit der nassen Asche von ihrem Gürtel und drückte ihn dem Angroschgeweihten in die Hand. Es war nicht viel, und die Masse war zu einem matschigen Schlamm zusammengesunken. Es war alles, was sie hatten.

“Danke, Schwester!” Grimmgasch nahm ihr den Beutel ab und wog ihn vorsichtig in der Hand. Viel war nicht drin, er würde daher den Kreis sehr vorsichtig und eng ziehen müssen.

Dann tauchte er die Hand in die klumpige, feuchte Asche und begann langsam diese vor sich hin streuend rückwärts einen Kreis um die Gefährten abzugehen, dabei betete er auf Rogolan mit erhobener Stimme: “Oh, Allvater, in diesem Zirkel gewähre uns Deinen Schutz vor diesen Geistern, deren Lebensfunken schön längst wieder hätte seinen Weg in Deine Hallen finden sollen. Lass sie nicht durch diesen Ring aus Asche treten! Verwehre Ihnen den Zutritt!” Vorsichtig schloß er den Kreis und trat dann nach einer letzten Prüfung in ihn hinein zu den beiden Gefährten. “Es ist vollbracht, Schwester! Wir stehen hier unter dem Schutz des Allvaters!”

Die Boroni nickte und sie tastete nach den Händen ihrer Begleiter. “Lasst uns beten.”

Sie schloss die Augen - nicht, dass es einen großen Unterschied machen würde - und lauschte auf ihren Atem, gleichförmig und verlässlich wie der Schlag ihres Herzens. “Herr Boron.” Leise waren ihre Worte, kaum zu hören über dem Dröhnen, das ihren Kopf noch immer erfüllte. “Diese Seelen hier haben ihren Weg verloren und sind an dieses … Ding … hier gekettet, so dass sie nicht fort können von der Welt der Sterblichen.”

Tiefer wurde die Dunkelheit, aufmerksam, abwartend. Still.

“Wir bitten Dich, Beender aller Dinge: Löse ihre Fesseln, lass sie eingehen in das Reich deines feurigen Bruders.” Eine Kälte floss durch die Adern der Geweihten, die viel zu tun hatte mit der vierten Sphäre, dem Ort, der Zwergen und Grolmen vorenthalten war. Und dennoch brachte sie auch Ruhe mit sich, Gelassenheit, das Versprechen auf Frieden.

“Es sei.” “Da asch!” brummte der Angroscho als die Geweihte ihr Gebet abgeschlossen hatte.

In diese Worte legte die Geweihte ihren gesamten Willen, ihr gesamtes Hoffen - und alle Kraft.

Sie fühlte, wie sie beobachtet wurde, gewogen. Angenommen. Mit einem Mal verließ sie alle Wärme und Geisteskraft, sie spürte, wie ihr warme Flüssigkeit aus der Nase rann und in ihren Ohren erklang lautes Rauschen wie von schwarzen Schwingen. Ihre Beine knickten ein. Wie eine achtlos weggeworfene Puppe fiel sie zu einem Haufen schwarzen Stoffes und kraftloser Glieder zusammen.

Als Grimmgasch merkte wie die Hand, die er fest hielt schlaff wurde, drehte er sich schnell zu Marbolieb um, aber deren Erschöpfung war für den jungen Zwerg zu plötzlich gekommen, so dass seine Arme einen Wimpernschlag zu spät zugriffen. Es waren die Reflexe des Kriegers, die den harten Aufschlag verhinderten. Dwarosch registrierte gerade noch rechtzeitig anhand des schwankenden Schemens vor sich, dass etwas nicht stimmte, griff ihr geistesgegenwärtig unter ihre Achseln und legte sie dann sanft auf dem Boden ab.

Die Veränderungen an ihrer Umgebung, die sich derweil abspielte, erkannte so nur Argmin auf Anhieb. Grimmgasch nahm davon nur am Rande seines Geistes Notiz. Der Diener der Leuin sah, wie im leeren Raum nahe der Maschine ein Leuchten anschwoll und kurz darauf wieder verblasste. Dabei wusste der Geweihte nicht, ob er sich den langgezogenen Klagelaut, der damit einherging und scheinbar seinen Ursprung in einer Vielzahl von Kehlen hatte nur eingebildet hatte oder nicht. Grimmgasch indes wusste, dass es ein erleichtertes Seufzen war, denn klar und deutlich vernahm er ein ‘Danke’ in altzwergischer Sprache. Sie hatten die gefesselten Seelen erlöst. Aber dies war nicht alles, mehr als dies geschah.

Das Pulsieren aus dem Inneren der Maschine nahm schlagartig zu, an Intensität und Tempo, wie als würde ein Herz unter Belastung schneller schlagen. Gerade, als die beiden Angroschim und Argmin ihre Augen auf das rötliche Glühen im Zentrum der Konstruktion gerichtet hatten, knallte es ohrenbetäubend und eine Platte aus massiven Eisen flog nur knapp an ihnen vorbei quer durch das unterirdische Gewölbe. Krachend ging es hinter ihnen nieder. Was das Fehlen der Platte freilegte, war ein rotglühende Kugel aus Feuer, die so heiß war, dass sie in ihrem Zentrum fast weißlich erschien. Das erschreckende dabei jedoch war, dass an ihrer Oberfläche die Konturen einer von Hass verzerrten Fratze zu erkennen war. Der Geweihte des Allvaters glaubte in dem... Ding so etwas wie ein Elementar des Feuers zu erkennen, doch zweifelte er daran, dass es ‘rein’ war. Ein grässliches Kreischen erscholl, wie von übereinanderschabendem Metall und ungläubig mussten die Gefährten mit ansehen, wie sich das Ding, die Maschine vom Boden löste. Mit Gelenken versehene Metallarme und Rohre bewegten sich, wie sie es nicht hätten dürfen, folgte man den Naturgesetzen des Allvaters, doch sie taten es. Langsam und bedrohlich bewegte sich die Maschine auf sie zu.

„Mythrael – steh uns bei!“ Groß wurden Argmins Augen, als er ungläubig auf die Feuerkugel starrte, die inmitten der sich bewegenden Maschine loderte. Die Hitze wurde nahezu unerträglich, er spürte, wie sich Wellenkamm in seinen Händen zu erwärmen begann. Er trat einen Schritt nach vorne, spürte das Klopfen seines Herzens, spürte die Unruhe in sich, in seinen Händen, in seinem Stand, doch seine Stimme zitterte nicht, als er rief: „Im Namen der Herrin Rondra – dieser Weg ist Dir verwehrt! Verschwinde!“

Unbeeindruckt setzte das Monstrum aber seinen Weg fort. Argmins Augen folgten nun den Bewegungen der Rohre, auf denen das verfluchte Ding wie auf Arme und Beine staksig, aber bedrohlich näher kam, das Kreischen und schrille Quietschen wurde ohrenbetäubend. Da war kein Hals, kein Herz, keine fleischliche Schwachstelle zu sehen, das ganze Ding war ein Hohn an die Götter, eine einzige Verachtung der Schöpfung, selbst der Kunst Ingerimms. Einzig die Feuerkugel schien das Zentrum der unheiligen Macht zu sein, die das Ding zu beseelen zu schien. Dann war es heran, ragte vor ihm empor, ein Koloss aus Metall und eines der Rohre zuckte empor und sauste hernieder. Argmin wich aus, ohne den Schlag parieren, versuchte sich eine bessere Position zu bringen, doch das Ding war schneller als seine Masse erwarten lassen würde, und nur knapp verfehlte ihn ein zweites Rohr. Die innere Unruhe fiel ab von Argmin. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen.

Grimmgasch warnte den Novizen noch: “Pass auf, dass du den Schutzkreis nicht zerstörst! Schwester Marbolieb muss geschützt bleiben!” ‘Und ich eigentlich auch …’ Dann wandte er sich an die Angroschim, die noch in der Tür stehen geblieben waren. “Es wird Zeit, dass ihr herkommt und dieses Ding zerlegt!” rief er ihnen mit leicht panisch werdendem Unterton. Das ließ sich Borix nicht zweimal sagen: “Los, Jungs wir werden gebraucht!” Mit allem was sie an Waffen noch bei sich hatten, ging es jetzt in Richtung des beseelten Ofens. Mit einem lauten “Gortoscha mortomosch!” folgten Baschtasch und Benngurr ihrem Vater.

Auf den Fersen folgte nun auch Cadrim seinem Bergvogt. Je näher die kleine Schar der Maschine kam umso heißer wurde Luft um sie. Den durch das Schmiedefeuer seit Jahrtausend abgehärteten Angroschim ran der Schweiß schon in breiten Bächen über den Körper, aber das Ziel hatten sie weiterhin von Augen und als sie dann in Reichweite waren, droschen sie mit allem was sie noch nach dem Sturz bei sich hatten und was als Waffe irgendwie geeignet erschien von mehreren Seiten gleichzeitig auf dieses Ding ein. Grimmgasch war innerhalb des Schutzkreises geblieben, hatte seinen Drachenzahn gezogen und versuchte damit der am Boden liegenden Geweihten ein wenig Schutz zu gewähren.

“Die Beine. Haut die Beine zu Klump!”, brüllte der Oberst breitbeinig vor der am Boden liegenden Marbolieb stehend. Das Ungetüm indes schien von dem Schutzkreis zumindest halt zu machen. Es schien, als könne es ihn nicht einfach überrennen. Das hieß jedoch nicht, dass die Teile, die man als Vorderbeine bezeichnen konnte, davon abgehalten werden konnten, ihn zu verletzen. Sie zuckten wieder und wieder aggressiv vor und Dwarosch hatte große Mühe sie mit dem Gladius in Händen in der Art abzulenken, dass sie Marbolieb nicht treffen konnten. Anscheinend hatte es die Maschine oder das was sie antrieb auf die Geweihte abgesehen. Das rote Leuchten des Feuers schimmerte auf den schweißnassen Gesichtern der Gefährten, die nicht bereit waren, dem Monster auch nur einen schrittbreit Boden zu schenken.

Oberst Dwarosch war ein unüberwindbarer Wall zwischen dem Monstrum und dem Schutzkreis, in der Marbolieb lag, und ebenfalls von Grimmgasch grimmig verteidigt wurde. Der Bergvogt und seine Söhne bedrängten zusammen mit dem Novizen der Leuin die unheilige Maschine. Es war ein Hauen und ein Stechen, ein Ausweichen und ein Stampfen und es krachte und es dröhnte. Metall traf auf Metall, Hämmer und Schwerter zuckte und stachen und hieben und schmetterten. Wie ein unförmiges Insektenwesen hatte sich der Leib des metallenen Wesens aufgerichtet, zwei große Rohrleitungen peitschten durch die Luft, vier Bein-Rohre hielten den Leib in der Luft – wie eine pervertierte Gottesanbeterin.

Argmin spürte die Gefahr mehr, als dass er sie sah. Eine der Leitungen, auf denen die Maschine zu stehen schien, zuckte plötzlich vor, als er einem der Hauptarme auswich. Er riss Wellenkamm hoch, parierte das niedersausende Rohr und der Druck brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er konnte sich halten, drehte sich, ließ das Rohr funkenschlagend über die Klinge Wellenkamms schlittern und nutzte dessen Gewicht, um sich zu drehen. Mit dem Schwung ließ er Wellenkamm gegen die hintere Rohr-Extremität der Maschine krachen und zufrieden hörte und spürte er, wie Wellenkamm durch das Metall schnitt und das Rohr aufriss. Das hohle Rohr-Bein verlor seine Stabilität und der gesamte Torso des Wesens kippte ein Stück nach hinten, als das Bein schließlich abknickte und unter dem Gewicht der Maschine mit einem lauten Krachen barst. „Für Rondra!“ schrie Argmin triumphierend dem Monster entgegen.

Diesen Moment nutzen Borix und seine Söhne aus und versuchen mit ihren Hieben der Maschine den Rest zu geben, indem sie auf eins der anderen Beine eindroschen und auch diese mit aller Kraft zerschmetterten. Jetzt waren nur noch zwei Beine übrig und die Maschine schwankte und wankte.

Ein schrilles Kreischen ertönte aus der Maschine, die vorderen Rohre zuckten und fuhren durch die Luft, als das Monstrum schlingerte und sich verzweifelt versuchte aufrecht zu halten. Borix und seine Söhne von der einen Seite und Argmin von der anderen Seite bedrängten es, hielten es in der Zange. Dwarosch und Grimmgasch versperrten ihm den Weg nach vorne. Das Blut rauschte durch Argmins Adern, er spürte das heilige Feuer der Löwin in sich, den Zorn Hlûthars und die gnadenlose Schnelligkeit Mythrael – er fühlte sich frei und losgelöst, als die jahrelange Übung die Kontrolle über seinen Körper übernahm, als sein Bewusstsein einen Schritt zurücktrat und er zum Zuschauer seiner selbst wurde.

Er tauchte unter einem Hieb der Maschine hinweg, das Rohr zischte um Haaresbreite über seinem Kopf vorbei, sprang nach vorne mit einem Satz und hieb Wellenkamm gegen das Rohr vor ihm. Die Wucht reichte nicht aus, um das Rohr zu beschädigen, dass wurde es durch den Aufprall nach hinten abgelenkt und Bengurr konnte es auf den Boden drücken, während Baschtasch so heftig auf das Metall drosch, dass Funken stoben, als es aufriss.

Letztlich waren zwei Beine aber zu wenig für eine Konstruktion dieser Ausmaße. Die Gesetze des Weltenerbauers waren in vielerlei Hinsicht Missachtet worden, nun aber setzten sie sich durch. Die belebte Maschine brach ein und knallte krachend auf den Boden, wo weitere Teile abbrachen. Schon dachten die Gefährten sie hätten den Sieg errungen, da verließ der Feuerball mit einem kreischenden Fauchen seine metallische Behausung. Die Fratze, die sich erneut an der rotglühenden Oberfläche zeigte sprühte vor Hass und Grimmgasch spürte die Verderbtheit in ihr derart intensiv, dass es ihm fast körperliche Schmerzen bereitete.

Der Feuerball jedoch hatte ein anderes Ziel. Es war der Diener der Leuin, der ihm am schwersten hatte zugesetzt - ihm galt all seine Niedertracht. Mit der allesversengenden Hitze seines inneren Feuers schoss er auf Argmin zu. Dem jungen Mann blieb keine Zeit, seine Göttin anzurufen. Mit aufgerissen Augen blickte er in das wirbelnde feurige Chaos und die unheilige Fratze, die ihn anstarrte. Er spürte den uralten Hass, der ihm nahezu stofflich entgegenschlug, und er wusste, dass es keine Flucht davor geben würde und somit gab es nur einen Weg: ihm entgegen!

Wie von selbst bewegten sich seine Hände, drehte sich sein Körper, suchten seine Füße nach dem neuen Stand. Wellenkamm vibrierte unter seinen Finger, in freudiger Erwartung, dann war der Feuerball heran! Argmin spürte die extreme Hitze, roch verbranntes Horn, als das nahende Feuer seine Haare verschmorte. Sein Blick trübte sich, als die gleißende Grelligkeit sein Blickfeld ausfüllte und seine Augen zu tränen begannen, doch er zuckte nicht, wich nicht zurück. Er riss Wellenkamm herum. Beide Hände fest um den Griff geschlungen führte er die Klinge in einem Halbkreis, wusste, dass er nur diesen einen Schlag würde haben. Die Flammen des Balls spiegelten sich auf Wellenkamm, dann umgaben sie ihn, hüllten die Klinge ein und Argmin befürchtete schon, dass seine Waffe den Ball nicht würde aufhalten können, da traf das Schwert auf Widerstand. Ein tiefer Schlag, wie der auf einer gewaltigen Glocke, erklang, der Aufprall schmerzte, riss ihm fast die Klinge aus den Händen. Er legte all seine Kraft in den Hieb hinein, und etwas brach und riss, der Glockenton wurde zum Bersten und Knirschen, das Feuer loderte auf, weiß und grell, die Fratze hatte ihr Maul weit aufgerissen, um den Novizen der Rondra zu verschlingen, dann begannen die Flammen zu flackern und ein unheiliges Heulen ertönte, dann zuckte die Fratze, ein letztes Mal, wie eine sterbende Kerze, löste sich auf, ein einzelner Rauchschwaden, der verblasste und verging. Ein metallenes Scheppern erklang, und etwas schweres fiel zu Boden. Argmin stolperte vorwärts, vom Schwung getragen. Er sah kaum noch etwas, spürte nur das Brennen auf seinen Armen und auf seinem Schädel und den Schmerz in seinen Händen, doch es war vorbei. Endgültig. Der Fluch war gebrochen, die unheilige Maschine zerstört und keines ihrer Leben war verlorengegangen.

Argmin ließ sich sich auf die Knie sinken, die Hände immer noch am heißen Griff von Wellenkamm, außer Atem. Erschöpft. Nur noch wenig Kraft, aber reichend für wenige Worte. “Dank Dir, Himmelsleuin!”

Nun, da die Gefahr endgültig gebannt war, hätte eigentlich Ruhe einkehren müssen, in dem dunklen Gewölbe, dass das Gefängnis für so viele gefesselte Seelen gewesen war. Doch als das tosende Kreischen des unheiligen Feuerballs verklungen war, hörten die Gefährten Geräusche in ihrem Rücken, von der Tür her. Schritte mehrerer Personen kamen hastig näher.

Es war eine Handvoll Arbeiter, die der Bergvogt sogleich erkannte, die mit Fackeln und Äxten in den Händen zu ihnen stürmten, während bedeutend hinter ihnen wenig später auch Borindarax und Boindil im Durchgang erschienen.

Es war die restlichen sieben Angroschim aus Cadrims Schicht, die nachdem sie den Donner aus dem vermauertem Gang gehört hatten, sich umgehend mit ausreichend Seilen und schwerem Werkzeug auf die Suche nach ihrem Steiger gemacht hatten und nun - wenn auch etwas spät - hier angekommen waren. Und nun standen Dorgrom, Aurulne, Ebtosch, Bragtox, Ebmar, Ingerux und Isergo um ihren Bergvogt und den Steiger und sofort wurde Borix mit Fragen bestürmt was geschehen war.

Dieser versuchte erst einmal die Schicht zu beruhigen und bat dann die Angroschim sich um die Verletzten zu kümmern und für diese eine Seilrettung vorzubereiten. Gesagt, getan, begann die eingespielte Truppe der Bergleute sich aufzuteilen und aus den Seilen Tragegeschirre zu bauen.

Und während Borax humpelnd und von seinem Leibwächter gestützt näher kam, und der Bergvogt seine Untergebenen informierte und zugleich beruhigte, war Grimmgasch wie weggetreten.

Der schwach pulsierende Klumpen Gesteins, der übrig geblieben war vom Feuerball, der in seinem Inneren den Kern gebildet haben musste, widerte ihn an. Nein, bedeutend mehr als das. Es war dem jungen Angroschpriester, als müsse er sich übergeben, sein Kopf schmerzte, ihm war schwindlig und gleichzeitig hatte er sich dem Allvater noch nie so fern gewähnt. Das was vor ihm lag war kein Erz - es war Unerz, Hölleneisen.

Grimmgasch war erst erleichtert, dass dieses Tohuwabohu vorbei war, die Geister waren befreit, die Grolme weg und letztendlich auch diese Höllenmaschine bezwungen. Aber das Wummern in seinem Kopf war noch nicht verschwunden, im Gegenteil die Schmerzen verdichteten sich zu einem dauerhaften Dröhnen in seinem Schädel. Ihm wurde von Augenblick zu Augenblick immer schlechter und es kostete alle seine Kraft sich nicht hier auf der Stelle mit seinem Mittagessen zu besudeln.

Ihm schmerzten die Augen und sein Blick trübte sich. Da es immer schlimmer wurde, drückte er sich die Hände an die Schläfen und presste so stark er konnte. Aber selbst durch die geschlossenen Augen konnte er immer noch das Pulsieren des Brockens sehen, der von dem Feuerball übrig geblieben war. Das musste die Quelle all seines Übels sein, etwas was nicht in die Mine der Angroschim gehörte, etwas was eigentlich nicht einmal auf Dere seinen Platz hatte. Er musste es hier wegbringen, er musste es zerstören, er musste Angroschs Wille durchführen und es wieder der richtigen Welt zuführen.

Aber um dieses Unding zu transportieren fehlte ihm die Kraft, die würde er aber im Tempel haben - da ist Angrosch bei ihm und diese Kraft musste ausreichen. “Meister Borix!” rief er daher nach dem Bergvogt. “Bitte lasst diesen Stein in den Tempel bringen - mir fehlt im Moment die Kraft dazu. Aber dieses von Angrosch verlassene Stück Stein muss wieder gereinigt werden.” Der Bergvogt nickte und forderte Dorgrom und Ebtosch auf, dass unheilige Stück Erz in den Angroschtempel zu bringen.

Dwarosch aber hob Marbolieb sanft auf seine Arme und schmiegte ihren zarten Kopf sanft an seine Schulter. Er sah besorgt aus, aber er spürte, dass sie lebte, sie atmete. Argmin aber begann nun, da das Feuer in seinen Adern zur Ruhe kam, die Auswirkungen des realen Feuers zu spüren, dem er sich in den Weg gestellt hatte. Sein Gesicht brannte, die Haut spannte sich, ebenso an den Händen und zudem roch es unangenehm nach verbrannten Haaren.

Die Angroschim halfen den Verwundeten wieder zurück auf die zweite Sohle zu gelangen und dann ging es diesmal durch den Förderkorb nach oben. Grimmgasch bekam den pulsierenden Erzklumpen in den Tempel gebracht. Borix meinte zu den Gästen, seinen Söhnen und natürlich zu allen Mitgliedern von Cadrims Schicht, dass die Vertreibung der Geister und die Errettung der Gruppe aus dem Einsturz doch ein Grund wäre ein wenig zu feiern.

Und so trafen sich dann alle die wollten eine Stundenkerze später in großen Halle der Bergwacht. Die Tafel war mit reichlich deftigen Speisen und allerhand Krügen voller schäumendem Bier gedeckt.

Und als alle Platz genommen hatten, begann ein Festmahl.

Dwarosch und Marbolieb aber kamen nicht mit, denn auch wenn die Geweihte noch vor dem beschwerlichen Aufstieg durch den rutschigen Schacht wieder zu Bewusstsein gekommen war und dieser dank gemeinsamer Anstrengungen geglückt war, so fühlte sie sich schwach und ausgelaugt. Der Oberst blieb an ihrer Seite, flößte ihr heißen Tee ein und sorgte auch dafür, dass sie etwas aß, denn sie musste zu Kräften kommen.

Die blinde Boroni genoss die Ruhe. Bei dem Sturz in die Grube hatte sie eine ordentliche Platzwunde am Hinterkopf abbekommen, und ihr Schädel brummte noch immer. Nachdem ihr aber der Oberst ein paar feuchte - und warme! - Tücher gebracht hatte, fühlte sie sich nach besten Möglichkeiten wieder sauber, erfrischt und wiederhergestellt, auch wenn ihre arme Robe mehr abbekommen hatte als sie.

So saß sie, in eine dicke Decke gekuschelt, auf dem bequemen Bett, in die Arme Dwaroschs gelehnt, die Hände um eine Tasse mit heißem Tee, und kostete diesen ruhigen, behaglichen, friedvollen und dadurch so kostbaren Moment aus. Das Feuer prasselte im Kamin, ihre zweite Robe, die sie trug, war bequem und sauber (während die andere in einem Eimer mit Wasser einweichte) und sie war zusammen mit dem Mann, den sie liebte.

Ein perfekter Abend.

Der durch ein energisches Hämmern an der Tür jäh gestört wurde.

“Dwarosch!” hörten sie nach dem Ende des Klopfens die Stimme des Bergvogts. Dwarosch grunzte unwillig. “Ja, was gibt es?” Anstalten aufzustehen und den Moment der Zweisamkeit zu unterbrechen machte er indes nicht. Nach all der Aufregung und der Angst, die ihn schmerzlich bewusst gemacht hatte, wie sehr er die Frau, die nun an seiner Seite saß, liebte und wie sehr ihn die Trennung von ihr treffen würde, genoss er ihre Nähe mehr denn je.

“Dürfen wir eintreten?” fragte die Stimme weiter ohne die Tür zu öffnen, denn sie wurden ja nicht gebeten einzutreten. Leiser fuhr der Bergvogt fort: “Ich habe Murla von den Verletzungen von Ihro Gnaden Marbolieb berichtet. Sie ist mit mir hier ihre Hilfe anzubieten.

Und ich wollte Dich fragen, ob Du nicht mit uns kommen willst. Schließlich haben wir die Geister vertrieben und die Grolme besiegt. Das ist doch ein Grund zum Feiern!”

Von Murla war ein leises “Männer … .” zu hören. Dwarosch spürte, wie sich Marbolieb in seinen Armen versteifte.

“Warum jetzt?” flüsterte sie unglücklich und lehnte ihren Kopf mit einer unbewussten schutzsuchenden Geste an die Schulter des bulligen Kriegsmanns. Der Oberst aber seufzte schwer. “Brauchst du Murlas Hilfe jetzt, Räblein?”, sprach er leise zu Marbolieb. Marbolieb setzte zu einem Kopfschütteln an und stockte sofort wieder. Das hämmernde Pochen in ihrem Schädel wurde zu einem Fluss aus Feuer, der sie nach Luft schnappen ließ.

“Nein.” flüsterte sie stattdessen und schmiegte ihren Kopf wieder an Dwaroschs Schulter, voller Bedauern, dass dieser ruhige Abend gerade im Begriff war, sein Ende zu finden. Wenn die Pflicht rief, würde Dwarosch folgen. Sie seufzte bedrückt. Was sie jetzt brauchte, war ihr Mann an ihrer Seite, sein Arm um ihre Schultern, eine warme Decke und eine Tasse heißen Tees. Der Oberst indes nickte auf diese Antwort hin.

“Ich komme sobald Marbolieb schläft”, sagte Dwarosch dann energisch und in einem befehlsgewohntem Ton. “Wir benötigen nichts außer Ruhe.”

“Komm, Murla” meinte Borix mit einem Schulterzucken. “Sie wollen unsere Hilfe nicht.” Murla brummelt etwas in den nicht vorhandenen Bart, was aber die beiden im Raum nicht verstehen können. Dann entfernten sich die Schritte.

“Stört es dich, wenn ich noch ein wenig mit dir hier sitzen möchte?” Die Geweihte schloss erleichtert die Augen, ohne die Teetasse loszulassen. So durfte der Abend gerne noch eine geraume Weile andauern. Der friedliche Abend am Feuer machte sie glücklich.

“Wir sind nur knapp dem Tod entronnen, Räblein”, brummte Dwarosch in seinem tiefen Bass, der trotz des ernsten Themas von der nahezu vollkommenen Ruhe des Momentes geprägt war. “Was gäbe es also Sinnvolleres, als dem Leben gemeinsam auf diese Weise zu huldigen?”

Der Oberst drückte die zierliche Geweihte noch einmal etwas fester an sich und küsste ihren Scheitel. Die Mundwinkel der kleinen Geweihten zuckten nach oben und sie lehnte sich mit einem glücklichen Seufzer an die breite Brust Dwaroschs, fand aber erst nach etwas Hin und Her einen bequemen Platz zwischen den dichten Bartflechten und den harten, kantigen Perlen darin. Sie schnurrte behaglich, streckte ihre Beine unter der warmen Decke aus und schloss zufrieden die Augen. Der Oberst war warm wie ein Schmiedeofen. “Wenn ich könnte, würde ich jetzt die Zeit anhalten. Wenigstens ein bißchen.” “Die Kostbarkeit des Momentes, ebenso wie die des Lebens ist leider auch in seiner Vergänglichkeit begründet”, flüsterte der Oberst schwermütig und schlang seufzend die Arme um sie, denn hochgestochene Worte und Träumereien konnten seine Sehnsüchte nicht stillen, dass vermochte nur das Diesseits und Marbolieb.

Die Kraft des Erzes

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Die beiden Bergleute hatten den Klumpen des unheiligen Erzes in einem festen Beutel aus der Höhle in die große Halle des Angroschtempels gebracht und ihn dort in der Mitte der Halle auf den Boden abgelegt. Danach hatten sie sich wieder aus dem Tempel zurückgezogen.

Nach einer Weile kam auch Grimmgasch immer noch mit leichter Übelkeit und starken Kopfschmerzen in seine neue Heimat. Kaum hatte er die riesige Halle des Tempels betreten, da spürte er die starke Präsenz des Klumpens. Er spürte wie es in dem Beutel immer noch pulsierte und mit jedem Puls einen weiteren Stich in seinem Kopf. Zu sehen war von diesen Pulsen aber nichts und so wie es aussah schienen sich auch die beiden Träger von diesem Grauen beeinflussen lassen. Aber er wurde von diesem Ding beeinflusst und das musste beendet werden!

Daher nahm der Angroscho alle seinen Mut zusammen und versuchte seinen Kopfschmerz zu unterdrücken. Er biss die Zähne zusammen und ging Schritt für Schritt auf den Beutel zu. Die Schritte wurden immer kleiner und für den Geweihten schwieriger, es kam ihm vor als würde er gegen eine starke Strömung angehen müssen. Der Wunsch sich umzudrehen und wegzulaufen wurde immer stärker. Aber er musste weiter, er konnte nicht aufgeben, das hier war sein Tempel! Er war hier derjenige, der hier die Macht hatte!

Jetzt erreichte er den Beutel und griff ihn. Der Beutel war überraschend leicht. Wie konnte solche starke finstere Kraft nur von so einem leichten Stück Erz ausströmen. Die Pervertierung musste nun schon viele Jahrhunderte auf das Stück Fels eingewirkt sein, damit so etwas entstehen konnte. So schleppte er sich Schritt für Schritt mit dem Beutel in den Händen langsam weiter in Richtung Altar. Es kam ihm vor als würde er Stunden brauchen bis er durch die achteckige Halle des Tempels bis zum “Stiel” gegangen war. Dort an der Stelle wo die Halle in den Stiel des Hammers überging stand der Altar. Der heilige Tisch in Form eines riesigen Amboss war das Ziel. Dort legte er dann den Beutel ab.

Die Schmerzen in seinem Kopf drängten sich wieder in den Vordergrund und so ging er wieder zurück vom Altar und suchte in seinem Zimmer nach dem geweihten Schmiedehammer, der er sich an den Gürtel hängte, dann griff er eben noch schnell nach dem Beutel mit den geweihten Kohlestücken. Ein paar mal tief durchgeatmet und mit den Fingerkuppen mit Schläfen massiert, um das Hämmern im Schädel einigermaßen in normale Bahnen zu lenken und dann ging er wieder zurück in die Halle zum Altar.

Dieses Mal war es ihm als ginge es leichter, also schien die Kraft aus Angroschs Altar ihrer Wirkung auf das verderbte Metall nicht zu verfehlen. Trotzdem war der Druck im Kopf immer noch da und stieg am Altar wieder an. Grimmgasch atmete tief durch und begann dann auf die Knie zu fallen und zu beten: “Oh, Allvater, bitte gib mir die Kraft dieses unheilige Staubkorn, diesen Fehler in Deinem Weltenplan zu vernichten. Führe mir die Hand, dass dieser Klumpen vernichtet und getilgt wird. Dann, oh Vater der Erzes und des Feuers, wir Dein Weltenplan wieder lückenlos sein und nicht die Zahnräder der Weltenmaschine mehr stören. So sei es! - Da asch!” Er verneigte sich noch einmal, nahm den Hammer von seinem Gürtel und trat ganz nah an den Altar. Mit einem tiefen Atemzug versuchte er die letzten Schmerzen zu verscheuchen, dann holte er weit aus und ließ den geweihten Schmiedehammer auf den Beutel fallen.

Ein Dröhnen wie von einem übergroßem Gong erfüllte die Halle, der Schlag mit dem Hammer wirkte auf den Arm des Geweihten zurück und schleuderte ihm den Hammer aus der Hand.

Dann begann das Pulsieren des Klumpen wieder mit voller Gewalt auf Grimmgasch Kopf einzuwirken und der Kopfschmerz kam mit ungeahnter Stärke zurück. Grimmgasch schrie vor Schmerz auf und fiel wimmernd auf die Knie.

Die Anstrengungen des Nachmittags in der Höhle und nun auch noch diese dämonischen Schmerzen ließen den Geweihten von dem Altar ohnmächtig zusammenbrechen.

Die Kraft der Götter

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Der Morgen des vierten Tages ihres Aufenthalts war hereingebrochen und Grimmgasch war noch ganz gerädert von seinem Misserfolg beim Zerstören des Unmetalls und den Ereignissen des Tages davor, als er in mitten im Angroschtempel vor dem Altar aufwachte. Durch die Lichtschächte in der Tempelhalle fiel nur Dunkelheit und es war draußen noch Nacht und es somit Zeit wäre zu schlafen, doch wanderte der Geweihte im Tempel unruhig hin und her.

Nein, so würde er nicht weiterkommen mit diesem unheiligen Klumpen, er musste sich mit seinen Mitgeweihten austauschen und diese um Hilfe bitten. Aber konnte er um diese Zeit Schwester Marbolieb oder Argmin stören?

Wieder ging er ruhelos durch den großen Saal des Angroschtempels, aber dann fasste es sich ein Herz und ging hinab zu den Gästezimmern. Als er vor der Tür des Novizen stand klopfte er sanft: “Argmin, bist Du wach?”

Ein leises, unterdrücktes Stöhnen klang aus der Kammer des Novizen der Leuin, dann folgten tapsende Schritte und Argmin öffnete seinem Freund die Türe. Sein Gesicht und sein rasierter Schädel glänzten von der Salbe Murloschtaxas , die sie ihm gegen die Verbrennung gegeben hatte. Die dazugehörigen Bandagen hielt der junge Mann in den Händen – er hatte sie sich wohl vom Gesicht gezogen, als er zur Türe gegangen war, um Grimmgasch zu öffnen. Auch wenn sein Kopf noch immer die Spuren des Kampfes gegen den Feuerelementar trug, war die Lebensfreude Argmins nicht gebrochen, als er den Zwerg mit einem schlaftrunkenen, aber freudigen „Herein mit Dir, werter Grimmgasch. Sag, was führt Dich zu so früher Stunde her zu mir?“ Grimmgasch berichtete ihm von seinen Sorgen und Gedanken über das Unmetall und zu seiner angedachten Zerstörung und Argmin stimmte ihm zu, dass ein Konzil unter ihnen drei Götter-Gesegneten vielleicht weiterhelfen könne, auch wenn er insgeheim befürchtete, dass sein Wissen über derlei den beiden anderen nicht von großem Nutzen sein würde.

Gemeinsam gingen die beiden dann zu der der Tür von Dwarosch und Marbolieb und Grimmgasch klopfte zaghaft an. Nach einigen Augenblicken ertönten leise Schritte und die Tür öffnete sich. Die Boroni stand, in einem knöchellangen weißen Leinenhemd mit langen Ärmeln, eine Decke über den Schultern, in der Tür und lauschte auf den Gang. “Wer ist da?” flüsterte sie.

Im Raum war es bis auf einige im Herd glimmende Kohlen dunkel. “Schwester Marbolieb, ich bin es Grimmgasch”, antwortete der Angroscho leise. “Ich brauche Eure und Argmins Hilfe bei der Zerstörung des unheiligen Erzklumpens.”

“Habt ihr Bruder Argmin dabei?” Marbolieb trat zur Seite, um ihre Brüder im Glauben eintreten zu lassen. Auf dem Tisch vor dem Kamin lag ein Stück schwarzen Stoffes, darauf konnten Grimmgaschs scharfe Augen Nadel und Faden ausmachen.

“Ja”, bestätigte der Geweihte, “ich habe ihn schon abgeholt. Dürfen wir uns setzen?”

Marbolieb nickte, tastete sich an der Wand entlang zur Feuerstelle, rückte die beiden Stühle zurecht und nahm ihr Nähzeug vom Tisch. Eine ihrer Roben war es, frisch gewaschen und noch nass - und an den Schultern mit einem großen Winkel abgerissenen Stoffes verunstaltet. Sie lächelte in die grobe Richtung ihrer Gäste und ließ sich vorsichtig im Schneidersitz vor dem Feuer nieder. “Setzt euch.” bot sie beiden Platz.

“Danke Schwester Marbolieb”, mit einem lauten Seufzen ließ sich der Angroscho auf den Sessel fallen und verfiel dann in Schweigen um seine Gedanken erst einmal zu sammeln.

Der Rondranovize setzte sich in den zweiten Stuhl. Ihm war unbehaglich, Marbolieb auf dem harten Boden sitzen zu sehen, doch er wähnte es unhöflich, ihr Angebot nicht anzunehmen. Für einen Augenblick betrachtete er Marboliebs Schattenriss vor dem Feuer. Sie hatten nur wenig gesprochen in den letzten Tagen, jeder von ihnen hatte auf seine Art mit den Ereignissen in jener Geisterhöhle abgeschlossen. Marbolieb hatte ‚gesehen‘ dort unten, doch nun schien alles wieder wie vorher zu sein. So oder so.

Die Geweihte nahm ihre Näharbeit wieder auf, lauschte in Richtung des Nebenraums, wo vom Bette ein abgehacktes Schnarchen erklang, und suchte mit den Fingern nach dem Riss in ihrer zweiten Robe, die bei der Rutschpartie gestern böse in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sie gab ihren Gästen Zeit, sich zu sammeln.

“Was führt euch beide hierher?” fragte sie mit leiser Stimme. “Wie ich es eben schon sagte”, wiederholte Grimmgasch mit belegter Stimme. “Ich habe versagt. Und nun brauche ich die Hilfe von Euch, Schwester Marbolieb, und Argmin um dieses unheilige Stück Erz aus der Welt zu schaffen.

Dieses pervertierte Symbol der Weltenschöpfers hat mich gestern Abend einfach nieder geschmettert und liegt immer noch auf dem Altar des Tempels.” Er schluckte, dieses Geständnis war nicht einfach für ihn, aber ohne seine Mitschwester und -bruder würde dieser unheilige Klumpen noch lange seine zerstörenden Pulse aussenden.

Ein kalter Schauer lief Argmin über den Rücken. Jenes Stück Erz war so etwas wie das Herz des Feuerelementars gewesen. Er hatte es nur noch einmal kurz gesehen, als Dorgrom und Ebtosch es eingepackt hatten, und da hatte es noch immer unheimlich auf ihn gewirkt.

Argmin spürte, dass es seinem Freund seine Worte schwer gefallen waren. „Nein, Grimmgasch, Du hast nicht versagt – vielleicht hast Du nur noch nicht den richtigen Weg gefunden?“, versuchte er den Zwerg aufzumuntern.

„Mein Wissen über die Zerstörung solch unheiligen Metalls ist gering. Wellenkamm vermochte den finsteren Geist, der darin wohnte zu besiegen und zu vertreiben, doch bezweifle ich, ob es das Erz an sich vernichten kann. Können wir das Erz einschmelzen und damit reinigen?“

“Habt ihr dies bereits versucht, Bruder Grimmgasch?” Aufmerksam hatte die Boroni dem Gespräch gelauscht. “Ja”, kam es gequält aus der Ecke in der Grimmgasch saß. “Ich habe den Stein auf den Altar gelegt und wollte ihn zerschlagen. Dann wurde ich ohnmächtig.”

“Es zu schmelzen.” präzisierte die Geweihte und trieb energisch die Nadel durch den Stoff in ihren Finger, den sie ohne einen Laut ruckartig zurückzog, kräftig schüttelte und ihn in Gedanken an ihrem Ärmel abwischte, dabei einen roten Striemen auf dem hellen Stoff hinterlassend. Sie griff wieder nach ihrem Nähzeug und suchte die verlorengegangene Nadel, die glücklicherweise noch am Ende des Fadens hing.

“Nein”, der Geweihte schüttelte den Kopf, “das konnte ich nicht. Ich habe es kaum geschafft den Brocken bis zum Altar zu tragen, so stark nagt dieses unheilige Ding an meinen Kräften. Und als ich ihn zerschlagen wollte, ging ich zu Boden und bin gerade erst erwacht.”

Das Dröhnen in seinem Kopf war durch die Entfernung zum Tempel etwas erträglicher geworden, aber immer noch nicht vollständig abgeebbt. “Merkt Ihr denn gar nichts von dieser Macht, die in dem Klumpen inne wohnt und seine peinigenden Wellen ausstrahlt?” Argmin schaut fasziniert der Behändigkeit der Boroni zu, die nun mit kühler Präzision die Nadel führte, um ihre Robe zu flicken.

„Ich spüre wohl den Widerhall der bösen Präsenz, die in dem Erz wohnte, doch ist es mehr eine verblassende Ahnung als wirkliche Pein. Grimmgasch, mein Freund, vielleicht zerrt das Ding an Euren Kräften, weil Ihr dem Erz nähersteht als Marbolieb und ich? Wenn Du es erlaubst, dann lass mich für Dich den Hammer schwingen oder das Ding zur Schmelze tragen.“

“Deshalb bin ich ja gekommen”, freute sich der Geweihte, “ich alleine schaffe es nicht, deshalb wollte ich euren Rat. Und wenn es Dich, Freund Argmin, nicht so belastet, dann sollten wir dieses elendige Ding gemeinsam auf dieser Welt schaffen. Vielleicht ist es die beste Idee es einfach in Angroschs Flammen zu werfen, um es dem Weltschöpfer selbst zur Vernichtung zu überlassen. Was meint Ihr, Schwester?”

“Ich will dieses Unmetall nicht leiden.” Ihre Nadel blitzte auf und fand erneut ihr Ziel. Die Stimme der zierlichen Geweihten war leise, und dennoch transportierte sie bei diesen Worten eine entschiedene Kälte.

“Ein einfaches Feuer wird es kaum zerstören. Wenn es mächtig genug ist, könnte es Euren Tempel verderben, Bruder Grimmgasch.” Sie verfiel wieder in Schweigen, mit einer besonders kniffligen Stelle an dem ausgefransten Stoff beschäftigt. Es war zu schade um das gute Stück - erst vor einem Mond hatte es ihr Dwarosch geschenkt, nachdem er so lange darauf hatte sparen müssen. Vergänglich war alles, und dieses feine Stück Stoff, das weichste, das sie jemals besessen hatte, allem voran.

Sie seufzte. “Ich denke, wir müssen seinen unheiligen Einfluss dämpfen, ehe ihr es vernichten könnt, Bruder.”

Neugierig blickte der junge Angroschpriester die Boroni an. “Aber wie?” fragt er. “Ihr müsst uns mit Eurer Erfahrung helfen. Meine Weihe liegt erst ein paar Monde zurück und Argmin ist noch Novize. Wir wissen noch nicht, wie man etwas mit solcher Macht und Einfluss zerstören kann.” Dann eine Pause und ein tiefer Seufzer.

“Ich konnte es zumindest nicht, mir war Angroschs Kraft gestern nicht gegeben.”

“Wie handhabt dies eure Kirche, Herr Argmin?” fragte Marbolieb, die Augen irgendwohin in die glimmenden Kohlen - oder daneben - gerichtet, während ihre Hände weiter an an dem Stoff arbeiteten. Vielleicht hatte die Kirche der Rondra ja eine Lösung, ansonsten würde sie das tun müssen, was ihre Schwester im Glauben Richild zum großen Grimm ihre Ordensoberen mit Begeisterung - und manchmal überraschendem Erfolg - praktizierte: improvisieren.

„Sind wir wieder beim ‚Herrn‘, Euer Gnaden?“ antwortete Argmin mit einem Lächeln, zögerte und redete schnell unsicher weiter. „Zu wenig weiß ich über derlei Dinge, wie die Profanisierung solcher unheiligen Artefakte. Einen Tempel des Widersachers würde man schleifen und den Boden anschließen weihen im Namen aller Zwölfe. Den Dolch eines Kultisten würde man mit dem Hammer bearbeiten, bis er bricht. Ein unheiliges Buch würde man verbrennen, oder es wegschließen und auf heiligem Boden verwahren…“ Er hielt inne und dachte nach. „Wenn das Erz stärker ist, als der Segen in Deinem Tempel, Grimmgasch, dann sollten wir versuchen es zu zerstören. Wie tief führen die Gänge von Ishna Mur? Führen sie hinab bis zum flüssigen Felsen? Wenn wir es dort dem flüssigen Stein und damit Eurem Gott direkt übergeben?“

“Verzeiht, Argmin.” schmunzelte die Boroni. “Um es zu zerstören, sollten wir es soweit bändigen, dass seine Kraft uns nicht beeinträchtigen kann. Eine Art Schutzkreis. Ich würde gerne einen Beutel weihen, in den wir es stecken - was denkt ihr beide?”

„Euer Schutzkreis half uns bereits die Maschine auf Abstand zu halten. Ich habe noch zu wenig Erfahrung mit derlei Dingen, aber wenn es bei Maschine und dem Erz funktionierte, dann sollte es uns beim Erz alleine auch helfen. Ich helfe und assistiere gerne, doch auch hier muss ich zu meinem Leidwesen gestehen, dass mein Wissen rein theoretischer Natur ist.“

“Dann ist es Zeit, es zu üben, meint ihr nicht?” Sie lächelte aufmunternd. “Zuerst brauchen wir einen Beutel. Und ich habe keine Asche mehr. Aber auch eine andere den Zwölfen geweihte Substanz wäre dafür von Nutzen.” Sie überlegte kurz.

“Habt ihr schon einmal einen Schutzsegen gesprochen? Seid ihr mit den Worten vertraut?” „Natürlich kenne ich die Worte! Schwester Bodia brachte mir bereits die Anrufungen aller kleinen Segnungen der Zwölfe bei“, Argmins Stimme war lauter als beabsichtigt.

Marbolieb nickte lediglich als Bestätigung. Sie lauschte auf das Schnarchen aus dem Nebenzimmer, ob der erboste junge Novize den Oberst geweckt hatte - doch nach einer kurzen Unterbrechung ging das energische Sägen von dort unvermindert weiter. Was gut war. Dwarosch brauchte seinen Schlaf - trotz vieler gegenteiliger Beteuerungen, dass er im Feld diesen auch nicht bekäme. Doch ohne den Segen des Schweigsamen war er reizbar und kurz angebunden - wie alle Wesen, denen diese Gnade verwehrt war.

Sie trieb erneut die Nadel durch den klammen Stoff und wartete, ob ihr Bruder in Ingerimm noch etwas zu dieser Sache zu Sagen hatte. Immerhin hatte er noch nicht vor allzulanger Zeit die Weihe erhalten und würde sich gut in den Novizen einfühlen können. Hoffte sie. Grimmgasch war immer noch die starken Kopfschmerzen abgelenkt und hielt sich während die beiden anderen Götterfürchtigen diskutieren die Hände an den Kopf. “Der Klumpen ist bereits in einem Beutel.” meinte er nun gequält. “Die beiden Bergleute haben ihn damit in den Tempel getragen.” Ein Klagelaut entfuhr seinen Lippen.

“Ich habe ihn mitsamt dem Beutel auf den Altar gelegt.” Und ein erneutes Stöhnen.

“Und ich habe Kohlestücke, geweihte Kohlestücke … für einen Schutzkreis.” “Oh, mein Kopf! Ich denke, wir können Dich anleiten, Argmin, aber meine Kraft ist aufgebraucht.” “Argh! Ihr merkt nicht von diesem Pulsen?”

Marbolieb schüttelte den Kopf - oder eher: setzte zu der Bewegung an und stoppte dann abrupt, während eine Hand zu ihrer Stirn fuhr. “Ich habe seit dem Bergwerk Kopfschmerzen.” bekannte sie. “Es hämmert und dröhnt. Doch das Eisen spüre ich nicht.” “Schwester, dröhnt es nur oder kommt es in Schüben oder Wellen?” stöhnte der Angroschgeweihte. “Es ist die üble Macht dieses unheiligen Erzklumpens!”

“Es drückt.” Die Geweihte fuhr sich über ihren rasierten Schädel, bemüht, die verkrustete Platzwunde auf ihrem Hinterkopf auszusparen, berührte ihre Stirn und ihre Schläfen. “Hier. Und hier.” Sie machte einen zweifelnden Gesichtsausdruck. “Vielleicht habt ihr recht, Bruder.”

Argmin blickte von Marbolieb zu Grimmgasch und wieder zu Marbolieb. Ihre Gesichter wirkten im flackernden Schein des Feuers nun so ausgelaugt und erschöpft, dass er begann, sich Sorgen zu machen.

“Ich spüre kein Pulsen und kein Klopfen”, sagte er hilflos. Er tastete kurz nach seinem kahlen Schädel, wo die Haut brannte und spannte, doch Dank der Hilfe von des Bergvogts Frau war es nur noch ein Echo der Schmerzen. “Mag es daran liegen, dass ich noch keine Weihe erhielt und noch nicht einberufen wurde in den heiligen Bund mit Kirche und Göttin?”

“So denn, sagt an, was soll ich tun?” Argmin stand auf, bereit und voller Eifer, seinen beiden Freunden zu helfen. “Bringt ihr uns in den Tempel? Dort schauen wir uns das Erz an.” Ächzend und unsicher rappelte sich die Boroni auf, die Nähnadel verzweifelt fest in der Hand, und raffte ihrer freien Hand den feuchten Stoff der Robe zusammen, ehe sie fahrig nach dem Tisch tastete, um ihre Schätze dort in Sicherheit zu bringen. Einige Atemzüge lang hielt sie sich an der Tischkante fest, bis die Welt aufhörte, sich um sie zu drehen. Auch Grimmgasch erhob sich stöhnend, dann fragte er Marbolieb: “Soll ich Euch führen?” Die zierliche Frau nickte, hielt aber sicherheitshalber die Tischkante weiterhin in festem Griff.

Grimmgasch nahm vorsichtig die Geweihte am Arm und führte sie über die große Rampe in den Tempel. “Ich spüre es hier noch viel stärker”, meinte der Angroscho. “Wie ist es bei Euch?” “Kaum stärker.” Ihr Kopf drückte und stach - das waren nur graduelle Unterschiede zwischen hier und dem Gästezimmer. “Wo habt ihr das Metall?”

“Ich führe Euch, es liegt auf dem Altar”, stöhnte Grimmgasch und geleitete Marbolieb und Argmin weiter durch die Heilige Halle bis zu dem Altar. “Und wenn wir es in den Feuerschlund werfen?” kam die gequälte Frage.

Er führte Marboliebs Hand zu dem Beutel mit dem unheiligen Erzklumpen. “Das wollen wir ja.” Marbolieb fühlte den Beutel - heiß war er, und unter ihren Fingern pochte es wie ein lebendiges, wütendes Wesen. Und gleichzeitig so falsch, dass es kein lebendes Wesen sein konnte. Die feinen Haare auf ihrem Arm stellten sich auf und sie zog rasch die Hand wieder zurück. Ihre Fingerspitzen brannten, und zugleich stachen sie, als hätte sie in Eiswasser gefasst. Grimmgasch sah wie Marbolieb zurück zuckte und nickte grimmig. “Dieses Kraft, dieses Böse war es, was mich gestern Abend mit einem Schlag zu Boden geschickt hat. Auf meinem Schlag mit dem Hammer kam es mir so vor, als würde der Stein mich vernichten wollen und nicht umgekehrt. Vermutlich und glücklicherweise hat wohl der geweihte Altar dieses verhindert.”

“Deshalb müssen wir das Metall von uns trennen, ehe wir es vernichten können.” Erklärte die Boroni mit sanfter Stimme zum zweiten Mal. “Ihr habt Kohle?” “Ja, Schwester!” ist die knappe Antwort Grimmgaschs mit schmerzverzerrter Stimme. “Holt sie.” bat die Boroni. “Habt ihr sie geweiht?”

Grimmgasch griff in seine Gürteltasche. “Hier ist die Kohle, geweiht im Tempel von Senalosch.” “Argmin, verreibt sie bitte auf dem Beutel.” Er war der einzige, der gerade sowohl das Ziel sehen konnte als auch nicht davon in Mitleidenschaft gezogen war. Grimmgasch gab dem Novizen die geweihten Kohlestücke. “Ich glaube Schwester Marbolieb weiß am besten, was zu tun ist.” Der Page der Leuin nahm die Kohlestücke entgegen und tat wie ihm Marbolieb geheißen hatte. Den Gesichtern seiner Freunde sah er die Schmerzen an, die das unheilige Stück Erz ihnen verursachte. Er gab sich große Mühe, Marboliebs Anweisungen zu folgen, in Gedanken rief er dabei seine Göttin an, und bat sie um Schutz und ruhige Finger. Er verrieb die Kohle auf dem schweren Leder, in das das Erz geschlagen worden war, und ihm war, als spüre er das leise Klopfen eines schwachen Herzens. Die Erinnerungen an den Kampf gegen das Feuerelementar drängen in seinen Kopf, und er spürte, wie seine Handinnenflächen feucht wurden.

„Kein Zagen soll mein Herz kennen, keine Grenzen mein Mut. So wie Du will ich sein, Herrin, gänzlich ohne Furcht und in allem voller Entschlossenheit. Oh Himmlische, gib mir Kraft…“ murmelte er leise, als er über den Beutel strich. “Dann sprecht bitte den Schutzsegen über den Beutel, Argmin. Bruder Grimmgasch und ich werden mitbeten und unsere Kraft beisteuern.” Wenn nur ihre Kopfschmerzen nicht so wuterfüllt hämmern würden! Marbolieb schloss die Augen - nicht, dass es einen Unterschied machen würde - und tastete nach ihren beiden Glaubensbrüdern, in der Hoffnung, ein harmloses Stück Geweihter oder Novize zu erwischen.

Als Grimmgasch die Hände Marboliebs umher tasten sah, ergriff er sie und deutete zu Argmin: “Nimmst Du bitte die andere Hand, Argmin! Dann kann die Kraft der Götter zwischen uns fließen.”

Argmin ergriff die Hand Marboliebs, feingliedrig und zart, und die Hand seines Weggefährten Grimmgasch, fest und kräftig, und schloss damit den Kreis. Erst zögerlich und leise, dann lauter werdend sprach Argmin: „Große Göttin, unfehlbares Schwert Alverans, starker Schild Melliadors – Rondra! Gewähre mir Deine Gunst! Heil und Ruhm dem mächtigen Walkür, Eisengeflügelter, Helfer der Not – Mythrael! Leite mich! Im Namen der Herrin und ihrer göttlichen Geschwister! Im Namen der Göttlichen Leuin und im Namen aller Zwölfe! Hier und jetzt stehe ich, bin Schwert und Schild! Hier und jetzt ist der Weg weiter versperrt! Weiche und vergehe!“

Marbolieb holte tief Luft, schloss ihre Hände fest um die ungleich breiteren ihrer Mitbeter und hielt sich mehr daran fest, als dass sie die Zeremonie leitete. “So sei es, Herr.” fügte sie flüsternd hinzu und gab ihren Segen und ihre Kraft in die aufrichtigen Worte des jungen Novizen. Sie spürte, wie eine vertraute, willkommene Ruhe sie durchströmte und die hämmernden Kopfschmerzen dämpfte. Wie eine dünne Schicht aus Dämmerlicht fühlte sie die Mischung aus Glaube, Segen und Kohle in den Lederbeutel sinken, der das Unmetall bedeckte. allein der Gedanke reichte, um ihre Härchen auf den Armen aufzustellen und sie spürte ein Würgen in ihrer Kehle.

Fester umfasste sie die Hände ihrer Freunde und nickte vorsichtig. “Jetzt könnt ihr es einschmelzen, Bruder.” Zumindest würde jetzt - hoffentlich - die bösartige Essenz, die dem Erzklumpen innewohnte, lange genug gebändigt sein.

“Argmin, kannst Du den Klumpen bitte tragen?” fragte der Angroschgeweihte, dem immer noch der Schädel brummte. Flau war ihm der Magen, als Argmin seine Hände aus dem Griff der beiden Geweihten löste und zum Altar trat, wo der kohlenstaubbehaftete Beutel lag, unscheinbar, nebensächlich und doch wohnte ihm ein Kraft inne, die den jungen Mann schaudern ließ. Er packte mit einer Hand den Beutel und hob die andere Hand darunter, um das unheilige Erz anzuheben.

“Dann bring es bitte zum Schlund!” forderte der Angroscho den Novizen stöhnend auf. “Immer den Gang hinter dem Altar entlang bis zu der runden Öffnung im Boden. Da wirfst Du es hinein, aber Vorsicht! Nicht das Du hinterher fällst!” Er folgte dem Novizen mit schleppendem Schritt und zog die ebenfalls noch benommene Marbolieb mit sich. Die folgte stolpernd und klammerte sich an dem deutlich kleineren Zwergen fest.

“Ihr werft es einfach hinein? Ohne Gebet?” wollte sie wissen. “Erst werfen wir es rein, dann beten wir!” schlug der Angroscho vor. “Dann wird Herr Angrosch uns schon ein Zeichen geben, ob unser Vorgehen richtig oder falsch ist.”

Auch eine Möglichkeit. Nicht die schlechteste. Was hatte sie erwartet? Zwerge schätzten direktes Vorgehen und Heimlichkeit war ihnen fremd. Neugierig ließ sie sich von Grimmgasch mitschleppen - auch wenn ihr Kopf hämmerte und dröhnte im Takt ihrer Schritte. Argmin hatte den Beutel angehoben und war erstaunt über das hohe Gewicht desselben. Er spürte das Ziehen in den Muskeln seiner Arme, als er das Erz mit beiden Händen vom Altar hieven wollte und wäre fast nach vorne gekippt. Mit einem Ruck hob er den kleinen Sack empor und begann, um den Altar herumzuwanken und auf den Gang dahinter zuzugehen. Einen Schritt nach dem anderen, ein Schreiten unter der großen Last. Der Novize spürte ein Ziehen und ein Wehren in dem Metall, als ob es ahnen würde, was sein Ziel wäre, doch Argmin ließ sich nicht beirren und stapfte weiter.

Dann begann die Luft wärmer zu werden und er konnte weiter vorne an der Decke des Ganges den Widerschein von rot-gelben Glanz erkennen. Jetzt spürte auch er ein Brummen in seinem Schädel, erst fern, doch es wurde nun mit jedem Schritte lauter, bis es zu einem Hämmern angeschwollen war. 'Rondra, Herrin, Sturmbringerin - hier und jetzt gib mir die Kraft, diesem Pfad zu folgen.' Er biss die Zähne zusammen und näherte sich dem Schlund, der hinunter ins feurige Blut der Erde führte. Argmin spürte die Nähe Grimmgasch' und Marboliebs hinter sich, als er stehen blieb am freien Rand der Grube und mühsam das Bündel emporhob.

Soweit sind wir jetzt gekommen, freute sich der Angroschpriester, jetzt schaffen wir den Rest auch! “Oh, Allvater!” begann Grimmgasch nun laut zu beten als er mit Marbolieb im Schlepp bis dicht hinter Argmin und so an den Rand des Schlunds getreten war. “Dieser Klumpen unheiliges Erz hat hier in dieser Welt keinen Platz. Da unsere Macht als Sterbliche zu gering ist, es zu vernichten, bitten wir Dich, Vater von Feuer und Erz, nimm diesen Brocken entgegen und tilge ihn von dieser Welt. Reinige die Störung Deiner Weltenschöpfung und bringe Deine Schöpfung wieder in Ordnung, dass sich Dein Bauplan erfülle! So sei es!”

Nach einem Atemzug Pause, fuhr er fort: “Argmin, jetzt werf ihn hinein!”

Warmer Wind stieg aus dem Schlund empor, ein schwarzer Abgrund aus dessen Tiefe ein feuriges Glimmen wie ein rotes Auge zu ihnen empor sah.Dem jungen Mann war es, als ob er ein Ziehen und ein Wehren aus dem Bündel spürte, ein Brummen und ein Klopfen, als ob sich das Erz in seinem Griff zu wehren versuchte, vor dem Unausweichlichen, das ihm nun drohte, als Argmin es über die Grube zu stemmten versuchte. “Sturmbringerin! Schwert Alverans, schick des Famerlors Flammen, um dies unheilige Metall zu bannen!"

Er ließ das Bündel los.

Zumindest wollte er das.

Als hätte sich das Gewicht mit einem Male ins Unermessliche gesteigert, riss es den Pagen der Leuin vorneweg zu Boden und mit einer lauten Krachen schlug der Sack auf dem steinernen Boden direkt neben der Grube auf, gefolgt von einem Knirschen, als Knochen in Argmins Hand zwischen Erz und Stein brachen. Er schrie auf, versuchte die Hand unter dem Beutel hervorzuziehen, doch dieser presste seine Hand unnachgiebig auf den Stein und rührte sich keinen Halbfinger mehr. “Oh nein!” rief Grimmgasch aus als er sah, das Argmin nicht das Unerz geworfen hatte, sondern das Unerz den Novizen zu Boden geschickt hatte. Durch den hämmernden Schmerz in seinen Schläfe hindurch berichtete er Marbolieb von der aktuellen Situation. “Wir müssen ihm helfen, Schwester!” schloss er seinen Bericht. “Aber wir können mit unseren normalen Kräften wohl nichts ausrichten … und meine karmale Macht habe ich gestern am Altar geopfert!”

Vor lauter Trauer schlug er sich die Hände vor die Schläfen. “Oh Allvater Angrosch, was haben wir bisher nur falsch gemacht? Wie können wir dieses unheilige Metall aus dieser Welt schaffen, wenn wir es nicht Dir geben können?”

Er versuchte in seiner Verzweiflung den Erzklumpen von Argmins Hand anzuheben. “Halte aus, Freund! Wir werden einen Weg finden Dich zu befreien!” Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft stemmte er sich gegen den Boden und versucht es … einmal … zweimal … dreimal riss er an dem Beutel, aber nichts bewegte sich.

Tränen vor Schmerz, Wut und Erschöpfung rannen über seine Wangen aber dann ließ er den Beutel los. “Ich schaffe es nicht! Schwester, habt Ihr eine Idee?”

Bedrückt tastete die blinde Boroni über den am Boden liegenden Beutel, unter dem die Finger des Novizen eingeklemmt waren. Er rührte sich keinen Fingerbreit, als sie daran drückte und schob. Doch sie hatte ihre karmale Kraft gestern gänzlich in den Schutzkreis gegeben - und die Nacht war, durch ihre infernalischen Kopfschmerzen, auch nicht dergestalt lang und schlaffördernd gewesen, dass sie sich wieder erquickt gefühlt hätte.

“Allein geht es nicht.” stimmte sie Grimmgasch zu. “Lasst uns gemeinsam beten.”

Damit lag die Entscheidung über Wohl und Wehe in der alleinigen Hand der Götter. Mochten sie sich gnädig zeigen gegenüber den kleinen Nöten und Sorgen der Menschen - denen sie doch von ihrer Macht liehen, um Wege in ihrem Sinne zu beschreiten.

Sie umschloss die Finger des gebeutelten Geweihten, die bleich und kalt unter dem Beutel hervorragten, und griff mit ihrer freien Hand nach der haarigen Pranke des Zwergen. Nicht ganz so breit , nicht ganz so haarig wie jene des Oberst. Schloss die Augen. Und lauschte auf die Stille, die sie nach und nach, mit jedem Atemzug mehr, ausfüllte. Als Grimmgasch die kleine Hand in der seinen fühlte, drückte er sie sanft und tastete mit der der freien Hand nach gesunden Hand Argmins.

“Ja, Schwester, Bruder, lasst uns beten und hoffen, dass unser Gebet die Götter erreicht!” Die blinde Boroni lauschte mit schräg gelegtem Kopf ihrem Bruder im Glauben, atmete einige Male tief ein und aus und nickte schließlich.

“Unergründlicher.” Ihre Stimme war leise, aber fest. “Dieses verderbte Metall verdirbt die Seelen und spricht dem Willen Deiner Geschwister Hohn. Gib’ uns die Kraft, es in Deines Bruders feurigen Schlund zu schleudern, auf dass er es reinige.” Sie schwieg einige Augenblicke lang und setzte dann entschieden hinzu.

“Dafür wollen wir Dir und Deinen Geschwistern mit einer Pilgerreise zu den Euch heiligen Orten danken, oh Herr. So sei es!”

Grimmgasch überlegte kurz, ob er bereit war diese soeben ausgesprochene Verpflichtung einzugeben, aber ihm fiel keine bessere Lösung ein und die Kopfschmerzen ließen auch keine Idee zu.

Er drückte zustimmend Marboliebs Hand.

“Oh, Allvater, höre unser Versprechen: wir werden wenn Du diesen unheiligen Klumpen in Dein Reich aufnimmst und wieder der Ordnung zuführst, eine gemeinsame Pilgerreise unternehmen um Dir und den Göttern der Menschen zu danken!” Das Brummen und Klopfen hatten so an Intensität zugenommen, dass es Argmins Kopf erfüllte. Der Schmerz aus seinen gebrochenen Fingern ließ Blitze vor seinen Augen tanzten. Wie durch dicken Stoff hörte er die Gebete und Worte seiner Gefährten. ‘Leuin, hilf uns in unserer Not!’ formte er träge in Gedanken flehend an seine Göttin. Ein fernes Geräusch drang an seine Ohren, ein gedämpftes Grollen, wie in einem sich anbahnenden Sturm, wie das Brüllen eines Raubtieres. Warmes Kribbeln legte sich in seine Hände, in seine Arme, dann brannte neue Kraft in seinen Muskeln. Er biss die Zähne zusammen und spannte sich. Schmerzen schossen in seine Finger, doch er gab ihm nicht nach, ließ nicht zu, dass dieser gewann. Er stemmte seine Füße fest gegen den Boden und zog mit aller Kraft, ignorierte das Knirschen der gesplitterter Knochen. Der Stoffsack bewegte sich, ruckte ein Stück, das Brummen in seinem Schädel schwoll an, drohte seinen Schädel zu sprengen, doch Argmin gab nicht nach. Er zog und schob und drückte den Sack weiter zum Rand der Grube. Seine Arme begannen unter der Anstrengung zu zittern, er spürte das Ende seiner Kräfte nahen, da hörte er erneut das Brüllen der Löwin und mit einem letzten Ruck schob er den Beutel über den Rand.

Für einen Augenblick hing der Beutel dort, wie eingefroren, befremdlich schräg auf der Kippe, wie als wolle er nicht fallen, sondern als habe er es sich anders überlegt, doch dann sackte er nach hinten weg, in die Tiefe.

Argmin fiel nach vorne auf die Knie, seine Unterarme fingen ihn am Grubenrand auf, seine Hände zitternd wie nutzlose Krallen verkrampft, sah er dem dunklen Punkt nach wie er hinab in den rötlichen Schein des glühenden Blutes der Erde stürzte. Die Boroni holte gierig Luft und fühlte sich, als wäre sie nach langer Zeit unter Wasser endlich wieder an die Oberfläche gelangt. Ihre Hände und ihre gesamter Leib waren eiskalt und gefühllos, und die gesamte Sorge, Angst und das Hochgefühl nach dem Entsorgen des Erzes waren wie durch einen dichten Schleier von ihr getrennt, fern, vorhanden zwar, aber unwirklich und sie nicht direkt berührend. Sie fasste Grimmgaschs Hand fester und tastete nach dem Novizen. Auch er war noch hier. Gut.

“Argmin, wie geht es Dir?” wollte sie wissen und berührte ihn an der Schulter. Der Klumpen fiel lange Zeit in das tiefe Loch, das dem Allvater geweiht war, dann endlich ertönte das leise, entfernte Geräusch des Aufschlags. Und wenige Atemzüge später ging ein Beben und Rumpeln durch den Berg, der sie erzittern ließ. Als das Beben vorbei war spürte Grimmgasch wie der Schmerz und der Druck in seinem Kopf langsam nachließ.

Der Klumpen war vernichtet, ihre Mühen und Gebete waren nicht umsonst gewesen! “Dem Allvater und Euren Göttern sei Dank!” stöhnte Grimmgasch. “Es ist vollbracht, der unheilige Klumpen wurde aus dieser Welt entfernt! Wir konnten mit unseren Gebeten letztlich obsiegen!” Er drückte Marboliebs Hand kurz. “Bleibt vorsichtig stehen, Schwester! Oder besser tretet lieber ein paar Schritte zurück, ich bin gleich wieder bei Euch!” Dann blickte er hinunter zu Argmin, der am Boden lag. “Argmin, Freund! Kannst Du aufstehen?”

Die Stimmen seiner Freunde hatten das Brummen und Hämmern in Argmins Kopf verdrängt. Für einen Augenblick hatte er befürchtet, dass der verfluchte Beutel ihn mit dem Beben in die Tiefe reißen wollte, doch es war Ingerimms triumphierendes Beben, als das unheilige Metall in Lava vernichtet wurde.

Argmin robbte ein Stück vom Rand der Grube weg und erhob sich mühsam auf die Knie, seine Hände immer noch verkrampft und starr, die Haut zerrissen, blutig und aufgeplatzt und der unnatürliche Winkel zweier Finger deutete zumindest in der linken Hand auf gebrochene Knochen hin. Und doch trotz der pochenden Schmerzen musste Argmin lächeln, als er in Marboliebs und Grimmgasch Gesichter blickte, denn sie hatten gemeinsam dem Bösen widerstanden, hatten gemeinsam dem bösen Erz getrotzt, hatten gemeinsam gebetet und mit der Macht ihrer Götter das finstere Artefakt vernichtet können. Er ließ sich von Grimmgasch auf die Beine helfen.

“Ich danke Dir, Grimmgasch. Und ich danke Dir, Marbolieb.” Er drehte den Kopf und blickte zur Grube zurück. “So ist es vorbei? Dann lasst uns gemeinsam den Herren Boron und Angrosch und der Frau Rondra danken!” Und fügte mit einem unterdrückten Stöhnen leiser hinzu: “Und dann bringe mich bitte zu einem euren Heiler, mein Freund.”

Gemeinsam mit Marbolieb brachte Grimmgasch den Novizen zum Altar. Dort knieten die die drei kurz nieder und dankten in einem stillen Gebet ihren Göttern.

Ein Moment der Ruhe, mehr als wohl verdient nach der vorangegangenen Mühe, innere Einkehr zu einer Stille, die sie vollständig ausfüllte, ihren Atem ruhig werden ließ und ihre Glieder schwer. Und ihr einen intensiven, deutlichen Duft von Schwefel in die Nase schickte, beißend und bitter zugleich. Verwirrt schüttelte sie den Kopf, was sich als enorm schlechte Idee erwies, als sie unter einem stechenden Kopfschmerz wie einem Hieb zusammenzuckte, das Klirren von Metall auf Metall, ein stürmisches Spiel der Klingen, vernahm, und erst viele Atemzüge später wieder zurück fand ins Hier und Jetzt, nicht ohne immer noch den Geruch von Schwefel in der Nase zu haben. Wie sie ihn erst einige Male gerochen hatte, aber am deutlichsten auf dem Feldzug, in der Stadt am Greifenpass.

Gratenfels.

Ihr nächstes Ziel. Von dem sie wenig später auch ihre Brüder im Glauben unterrichtete.

Gratenfels - Argmins Herz schlug etwas schneller, als er den Namen der Stadt der Türme und Mauern von Marbolieb hörte. Es war nun schon einige Monde her, dass er in die Stadt am Greifenpass verlassen hatte. Er würde Schwertschwester Bodia aufsuchen und ihr von seinen Erlebnissen berichten müssen, auch wenn er wusste, dass die Geweihte zornig und ungeduldig mit ihm sein würde, da er nicht umgehend seiner Reise nach Calbrozim zurückgekehrt war, um ihr vom Flussvater, dem Edelstein, der Nixe und der Herzogenmutter zu berichten. Sie hatte ihn ausgeschickt, sein Namensschwert, von seiner Tante aus Reue in Auftrag gegeben, von Meister Raraxim in Empfang in Empfang zu nehmen, um seine Weihe zum Knappen der Leuin zu erhalten. Dass ihm das aufgrund der Ereignisse um die Nixe und dem Herrn der Muscheln nicht möglich gewesen war, und er deshalb sich selbständig weiter auf die Suche nach einem Namensschwert und nach dem Ruf der Göttin gemacht hatte, würde ihr missfallen haben. Nicht weil er damit selbständig gehandelt hatte und seinem eigenen Weg der Göttin gefolgt war, sondern weil Schwester Bodia es als seine Pflicht angesehen hätte, dass er ihr über die das Anliegen der Herzogenmutter und über den Bund mit Herrn der Muscheln persönlich zu berichten habe. Sie würde toben und ihn in die Schranken weisen und ihn ermahnen, aufbrausend wie der Sturm, doch Argmin wusste, dass sie dann innehalten und ihn in die Arme nehmen und der Leuin danke würde, für seine heile Rückkehr. Er lächelte bei dem Gedanken an Schwertschwester Bodia und nickte Marbolieb zu. “Gratenfels - so soll es sein, Schwester.”

Nicht viel später meinte Grimmgasch: “Ich glaube Frau Murla ist sehr geschickt im Heilen!”

Fragend blickte er Argmin an, ob er etwas dagegen hätte und brachte, da Argmin nichts sagte, den Novizen zur Bergvögtin. Der junge Mann ließ sich von seinem Freund durch die Gänge und Hallen zur Frau Murla bringen. Er spürte das Pochen und Klopfen in seinen geschundenen Händen und die Erschöpfung, die sich wie ein metallener Mantel über seine Schulter legte. Murla schaute sich die Hand an und fragte vorsichtig: “Meister Argmin, was habt Ihr gemacht, das sieht nicht gut aus. Aber habt keine Angst, in ein paar Wochen ist das wieder gut und Eure Hand wieder wie neu. Das ist nicht die erste gebrochene Hand hier in der Binge.” Sie hieß den Novizen sich zu setzen und schickte die anderen beiden hinaus. Dann holte sie aus einem Kästchen ein paar fingerlange Holzschienen, mit denen sie paarweise die beiden Finger fixierte. Dann strich sie ein grünliche Salbe vorsichtig auf die gebrochenen Finger und die Abschürfungen und verband abschließend beide Hände mit Leinenverbänden.

Argmin überließ sich müde den kundigen Händen der Zwergin und biss die Zähne zusammen, als sie seine Finger streckte, um die Schienen anzulegen, doch er zuckte nicht zurück. Als sie fertig war, und er seine bandagierten Hände betrachtete, kam er sich vor wie ein geschlagener Boxer. Manche Tätigkeiten des alltäglichen Lebens würden sich in den nächsten Tage wohl komplizierter darstellen. “Frau Murla, bitte nennt mich einfach Argmin.” Er hob seine Hände. “Ich danke Euch für Eure Hilfe. Ich werde mich damit schonen, so gut ich es vermag.” Während sie bestimmt, aber sanft nach seinen Kopf-Verbrennungen sah und auch dort einen neuen Verband anlegte, entnahm Argmin ihrem unwirschen Gemurmel, dass sie an seinen letzten Worten ihre ernsthaften Zweifel hätte - und sie mussten beide lächeln.

Epilog

(nach oben)


Argmin saß in seiner Kammer und blickte auf das leere Pergament das vor ihm lag. Wellenkamm lag darüber quer über dem Schreibtisch und funkelte im Licht der Laterne, die seine Kammer erhellte. Er ließ die Erlebnisse der letzten Tage in seinen Gedanken noch einmal vorüberziehen.

Soviel war passiert, soviel hatte er erleben dürfen. Seine linke Hand war immer noch dick bandagiert und geschient, doch die Finger waren noch immer taub. Seine Rechte trug auch Verbände, doch er konnte die Finger schon wieder bewegen. Die Heilkunst der Zwerge zeigte ihre Wirkung und er hoffte bald schon mit dieser Hand wieder mit seinen Schwertübungen beginnen zu können. Jetzt aber hatte er damit das Amulett der Sturmbringerin in der Hand und spürte die vertraute Formen des Metalls unter seinen Fingerkuppen. Dann griff er zum Federkiel und begann unbeholfen und in krakeliger Schrift an Schwertschwester Bodia zu schreiben. Er berichtete von seiner Reise und den Vorkommnissen in den Tiefen von Ishna Mur und der verfluchten Kammer, von dem Feuerelementar und der Vernichtung des unheiligen Erzes. Er schrieb von Marbolieb und Grimmgasch und von Dwarosch, von ihrer Gemeinschaft und dem Segen der drei Götter, die ihre Reise beschützt hatte, und auch von Kor, dem Göttersohn.

Er zögerte, als er von Marbolieb schrieb. Sollte er Schwester Bodia von ihrer beider Gespräche berichten? Von den Gefühlen, die ihn verwirrt und durcheinander gebracht hatten? Er entschied sich dagegen. Dies wollte er nur mit sich und seiner Göttin bewahren, ein kleines Juwel in seinen Gedanken, das ihm ein angenehmes Gefühl in seinem Herzen gab.

Er beendete den Brief, rollte ihn zusammen, als die Tinte getrocknet war und versiegelte ihn mit Wachs und drückte in Ermangelung eines Siegelrings sein Amulett in das weiche Wachs, bevor er den Brief in seiner Briefrolle verstaute. Er würde den Brief alsbald möglich einem Beilunker Reiter übergeben, um ihn voraus nach Gratenfels zu schicken. Schwester Bodia würde nicht erfreut sein, dass er nicht umgehend persönlich zum Rapport erscheinen würde, doch sie werde sich nun gedulden müssen, bis er zurückkehren würde mit Marbolieb und Grimmgasch.

Dann nahm er Wellenbrecher auf. Seine Finger umfasste den Griff und er betrachtete das Glänzen und Funkeln auf der Schneide. “Du bist wahrlich mein und ich bin wahrlich dein, geliebte Gefährtin.” Er küsste die Parierstange, liebevoll und angemessen, dann ließ er sie in die lederne Scheide gleiten. Sein Rucksack stand schon gepackt neben der Türe. Ein letzter Blick durch das Zimmer. Ein bisschen Wehmut sank in seine Gedanken, als er sich anschickte, die Kammer zu verlassen. Jetzt hieß es Abschied nehmen, doch es war eine wunderbare Zeit gewesen, hier bei den Zwergen von Ishna Mur und er würde ihre Geselligkeit und das gute Essen vermissen. Doch er wusste, dass er auch hier Freunde gefunden hatte und er nahm sich vor, zurückzukehren, um den Bergvogt und seiner Familie einen Besuch abzustatten. Dann schob er diesen Wehmut beiseite und dachte mit Freude an das, was vor ihm lag. Eine Reise mit jenen, die er ins Herz geschlossen hatte, seine Göttin zu ehren und zu danken - was könnte das Herz eines Pagen der Leuin mehr mit Freude erfüllen?

An der Oberfläche graute der neuen Morgen mit einem fahlen, unsicheren Licht - eine frühe Dämmerung, die jetzt im Hochsommer über die Eisenberge glitt. Tief unter dem Berg war nichts davon zu spüren, dass die immerwährende Nacht ein Ende fände. Marboliebs tastende Finger fanden den Türrahmen zu jenem der Räume, den sie sich mit Dwarosch teilte.

Ihrem höchstpersönlichen Zwergenoberst.

Ihre Mundwinkel zuckten nach oben bei diesem Gedanken und ein liebevolles Lächeln legte sich über ihre müden Züge. Sie spürte die Anstrengungen des vergangenen Tages und der darauffolgenden Nacht in ihrem Leib, der sich anfühlte, als habe man ihn wie einen schmutzigen Lumpen durchgewalkt, durch’s Wasser gezogen, ausgewrungen und zum Trocken aufgehängt.

Sie hätte im Stehen einschlafen mögen - und würde dies vermutlich auch, sobald sie innehielte.

So sehr hatte sie ihre Rückkehr nach Senalosch herbeigesehnt - die Aussicht auf die wenigen letzten Wochen zusammen mit Mirla, ihrer kleinen Tochter, und mit Dwarosch, dem sie so lange schon ihr Herz geschenkt hatte, auch wenn der poltrige Zwerg so manchesmal zu überlegen schien, wie er nun damit umzugehen habe. Ehe sie wieder nach Calmir zu ihrem Tempel zurück musste. So wie es der Baron auf der Jagd zu Nilsitz gegenüber dem Oberst befohlen hatte.

Allein.

Die schmale Geweihte schluckte und ihr Kopf sank einen Fingerbreit tiefer.

Sie war Dwarosch überaus dankbar, dass er sich bereit erklärt hatte, die kleine Mirla bei sich zu behalten. In Calmir hätte sie das Kind unmöglich versorgen können, während es in Senalosch eine liebevolle Familie, ein Feuer im Herd und jeden Tag eine warme Mahlzeit erwartete. Vermutlich würde sie der Oberst sogar Lesen und Schreiben lehren.

Und dennoch zerriss ihr der drohende Abschied fast das Herz und sie hatte sich danach gesehnt, die wenigen verbliebenen Wochen gemeinsam mit beiden zu verbringen.

Und nun trieb sie ihr Gelübde auf eine Pilgerfahrt. Nach Gratenfels.

Sie erinnerte sich vage an die Stadt, in der die Heerschau zum Feldzug gegen Haffax stattgefunden hatte. Zweimal war sie durchgereist - auf der Hin- und auf der Rückreise. Von der Stadt selbst kannte sie nahezu nichts - und von ihr aus hätte das so bleiben dürfen.

Die drei letzten Wochen mit ihren Liebsten. Ein rechter Preis, um den Novizen nicht gegen das Unmetall unterliegen zu sehen? Ihr Kopf dröhnte und wusste keine rechte Antwort, und ihre Augen brannten.

“Räblein?” klang von drinnen der tiefe Bass des Angroscho - in dem eine deutliche Besorgnis mitschwang. Hatte er auf sie gewartet? Marbolieb holte tief Luft, streckte beide Arme aus und schritt der Stimme entgegen. “Dwarosch.” flüsterte sie erleichtert. Hoffnungsvoll. “Begleitest Du mich auf einer Pilgerfahrt?”

Kurzzeitig herrschte Stille. Dwarosch war überrascht von dieser Frage, wollte er sich doch selbst auf Pilgerfahrt begeben, auch wenn die Reise nach Tobrien, um dort beim Aufbau eines Ordenshaus des Dreischwesternordens zu helfen, noch einige Monde in der Zukunft lag.

Marbolieb vernahm, wie ein Stuhl verrückt wurde. Dwarosch erhob sich. Schritte näherten sich ihr. Dann war ihr Oberst bei ihr und nahm sie in die starken Arme. “Mich deucht ihr hattet einige Schwierigkeiten bei der Reinigung des verfluchten Metalls. Komm.” Die Tür zu ihrer Kammer, die zuvor offen gestanden hatte, weil Dwarosch offensichtlich auf sie gewartet hatte, schloss sich und der Oberst führte die Geweihte behutsam zum Tisch.

“Setz dich”, forderte er sie mit sanfter, tiefer Stimme auf. “Ich mache uns einen starken, beruhigenden Tee und dann erzählst du mir, wohin uns unsere Füße als nächstes tragen werden.”

In einem kurzen Gespräch mit dem Bergvogt hatte sich Grimmgasch erklärt, dass er bevor er sein Amt als Priester vor Ort annehmen könnte, er noch seine Sachen aus Senalosch herschicken müsste und dann - auf Grund des Schwurs, den er mit Marbolieb und Argmin geleistet hatte - noch die Pilgerreise antreten müsste. Die erste Station wäre Gratenfels und ob und wie es weiter gehen würde, würden ihnen sicherlich die Götter weisen.

Da sich für Ishna Mur und somit auch für den Bergvogt das Eintreffen eines Angroschpriesters als Glücksgriff für die Binge und den Tempel gezeigt hatte, war Borix natürlich damit einverstanden, dass Grimmgasch seine Verpflichtungen gegenüber dem Allvater erfüllen musste. Da Grimmgasch dann nun der Hochgeweihte seines eigenen Tempels sein würde, verfasste Borix noch ein beglaubigtes Schreiben, dass die Bergvogtei Ishna Mur den Angroschgeweihten als Priester für den Tempel bestellte. Diesen würde Grimmgasch im Tempel von Senalosch vorlegen.

Er umarmte den Geweihten brüderlich und wünschte ihm für die Reise alles Gute und freute sich auf die Rückkehr.

So standen nach dem ausgiebigen Frühstück in der Großen Halle Ishna Murs die Besucher wieder im Freien vor dem großen Tor der alten wieder erstarkten Binge. Borix und seine Familie begleiteten die Gäste noch bis zur Mauer. Am Tor waren die acht Wachen zum Spalier angetreten, ein Großteil der Angroschim, die nicht gerade zur Arbeit eingeteilt waren, hatten sich ebenfalls im Hof oder auf der Mauer eingefunden und winkten den Gästen zum Abschied zu.

~* Ende *~