Ins Vertrauen gezogen


Ort: Grafschaft Isenhag, Pfalzgrafschaft Angroschsgau, nach dem Hoftag der Kaiserin

Zeit: RON 1046 B.F.

Inhalt: Magus Gudekar von Weissenquell, die Ritterin Meta Croy und der Baron von Tälerort Wunnemar Thankmar von Galebfurten sprechen in heikler Sache miteinander.

Eine Briefspielgeschichte von RekkiThorkarson

Ins Vertrauen gezogen

Lange Schatten

Es war spät Abend geworden. Die Mitglieder des kaiserlichen Hofes und die Gäste der Pfalz feierten das Ende der Beratungen und die Belehnungen, die es gegeben hatte. Hier und da war die Stimmung etwas gedämpfter im großen Rittersaal der Feste Angroschsgau. Es war eine Intrige aufgedeckt worden. Kinder waren entführt und beinahe wären Menschen vergiftet worden. Doch dies war bei weitem nicht alles.
Angroschim sah man bis auf den Pfalzgrafen selbst nicht mehr. Die Geschehnisse rund um das Drachenei und die Verweigerung, dass dieses in Xorlosch zeremoniell vernichtet werden konnte, hatte den Großteil von ihnen unmittelbar nach dem Ende des Hoftages abreisen lassen. Sie waren verstimmt gewesen, um es gelinde auszudrücken.
Wunnemar von Galebfurten hingegen hatte durchaus gute Laune. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Sporen-Queste, der Privataudienz bei der Kaiserin, dem Wettkampf der ritterlichen Tugenden und nicht zuletzt der Belehnung von Raul Heldemar von Streitzig ä.H. zum Baron von Orgilsheim, konnten die Ritter des Orgilsbundes zufrieden auf die vergangenen Monde zurückblicken. Mit dem Adoptivsohn Wolfholds, dem sie mit auf den Thron verholfen hatten, lebte die Hoffnung, dass der Orden eigenes Land erhielt in Orgilsheim, doch dies würde die Zeit zeigen.
Der Baron von Tälerort hob gerade seinen Zinnbecher und sprach einen Trinkspruch auf das Haus Rabenmund gegenüber dem jungen Lares von Mersingen aus, als sich zwei Personen dem Rittersmann näherten. In einen durch sein Kettenhemd dunkel gefärbten Gambeson und einen zerschlissenen Wappenrock in den Farben seinen Hauses- gelb und blau gekleidet, passte seine Aufmachung nicht ganz zu den vielen prunkvollen Gewändern um ihn herum. Einzig der Flusskönigsorden, der über dem Herzen Wunnemars befestigt war, hatte viele der Gäste über diese heruntergekommene Aufmachung hinwegsehen lassen. Die Nase gerümpft hatten dennoch viele. Der Baron von Tälerort indes ignorierte all jene mit Bravour und der Gewissheit, dass es aus genannten Gründen ein guter Tag gewesen war.
Mit weingeschwängerter Stimme begrüßte Wunnemar die Neuankömmlinge, als er sich ihnen zuwandte. “Gudekar, es freut mich, euch zu sehen. Ah, und die hohe Dame ist auch dabei. Kommt, setzen wir uns. Trinkt mit mir.”
Gudekar von Weissenquell, seines Zeichens Heilmagier, der seine Ausbildung in Donnerbach absolviert hatte und bis vor einem Götterlauf noch dem Anconiter-Orden in Albenhus diente, war nur bedingt so guter Stimmung wie sein neuer Dienstherr Wunnemar, dem er erst seit wenigen Monden zusammen mit der Ritterin Meta Croy half, die Baronie Tälerort von den Wunden zu heilen, die die dunklen Zeiten hinterlassen hatten. Doch vor zwei Monden hatte Gudekar Tälerort bereits wieder verlassen, um seine Aufgabe bei der Recreation des Herzens der Nordmarken und der Eleminierung des Paktierers Pruch zu erfüllen. Die Geschehnisse rund um diese Mission hatten zur Folge, dass er sich direkt nach dem erfolgreichen Ende der Bemühungen in die Obhut des Rahjageweihten Rahjan Bader begeben hatte, anstatt direkt zu seinem neuen Herren zurückzukehren. Meta Croy hingegen war zunächst in Tälerort geblieben und erst als Bedeckung des Barons in die Nordmarken gereist. Da dieser aber zunächst seine Bundbrüder getroffen hatte, war die Ritterin, in den Nordmarken angekommen, zunächst zu ihrem Schwertvater Thymon vom Traurigenstein nach Linnartstein gereist und von dort aus zum Hoftag gekommen.
Auf dem Hoftag hatte Gudekar, der Rahjan Bader hierher begleitete, seine Geliebte zum ersten Mal seit einigen Wochen gesehen. Jede Gelegeneit, die sich ihnen bot, wenn sich Gudekar aus der Beobachtung durch Rahjan oder des Tsageweihten Rionn lösen könnte, hatten die beiden genutzt, um in den Gemächern ihr Wiedersehen zu genießen.
Doch der Hoftag selbst war für Gudekar nicht ganz so erfreulich geendet. Zunächst waren Meta und er zwar gemeinsam in einen Ausschuss berufen worden, der in den Archiven der Fest nach Hinweisen recherchieren sollte, ob das Drachenei als legitimes Zahlungsmittel anerkannt werden konnte. Doch geleitet wurde dieser Ausschuss ausgerechnet von einem Praiospfaffen, was Gudekar die Recherchen mit ständiger Sorge durchführen ließ. Schließlich war es auch noch der Geist eines weiteren, bereits seit Jahrhunderten umherspukenden Praoiten, der ausgerechnet Gudekar um Hilfe bat. Mal wieder ein spukender Praiot! Scheinbar ist selbst der Gerechte nicht daran interessiert, seine Diener zu sich zu holen, dachte Gudekar, dass sie so oft umherspuken. Schließlich konnten sie anhand eines Präzedenzfalls die offene Frage klären, jedoch völlig sinnlos, denn letztlich wurde das Ei von der Kaiserin an dessen Mutter zurückgegeben. Eine weise Entscheidung des Hoftags, urteilte Gudekar. Doch genau diese Tat war es, die Gudekar schließlich reichlich Verdruss brachte, denn seine Gnaden Rahjan nutzte den Akt der drakonischen Familienzusammenführung als Anlass, Gudekar in einen weiteren unerfreulichen Disput über travianische Werte zu verstricken, der ihm immer mehr Unbehagen bereitete, je tiefer Rahjan nachfragte. Schließlich war Gudekar froh, dem Spinnennetz aus Fragen entronnen zu sein und zurück zu Meta kehren zu können. Wunnemar von Galebfurten hier zu treffen, stimmte Gudekar jedoch wieder milde, denn er hatte den Baron in den letzten Monden als sehr angenehmen und anregenden Gesprächspartner kennengelernt. Er freute sich zutiefst auf ein angenehmes Gespräch.
So stand Gudekar nun in seinem feinen Festgewand vor dem Baron. Über seinem weißen Rock und weißem Hemd trug der Heilmagier seine feinste grün-weiße Tunika, darüber der kalten Nachtluft hier oben in den Gipfeln der Berge geschuldet seinen grünen Kaputzenmantel. Obwohl er den Orden der Anconiter verlassen hatte, behielt Gudekar die Angewohnheit bei, sich in grün-weiße Roben zu hüllen, um sich als Heilmagier aus der Weißen Gilde zu erkennen zu geben.
“Euer Hochgeboren, Wunnemar!”, begrüßte der Anconiter seinen neuen Herren. “Die Freude ist ganz auf meiner Seite!”
Der Baron erhob eine Hand, nachdem sie sich gesetzt hatten und winkte einen Bediensteten mit einem Tablett voller Kelche heran, welche sich stetig durch die Menschenmenge im Rittersaal bewegten.
Nachdem er zuerst Meta und dann Gudekar einen gereicht hatte, erhob er seinen Zinnbecher. “Auf die Stärke der Nordmarken und den Bund der Häuser vom Großen Fluss und Rabenmund.”
Der Rabenmärker tat einen tiefen Schluck, dann hielt er inne und senkte den Becher, als er bemerkte, dass die Ritterin zögerte, von dem Wein zu trinken.
Die Ritterin war dem Anlass der Einladung entsprechend mit einem grün-schwarzen, etwas feineren Kleid und Kapuzenmantel, aber wie seit der Zeit in Tälerort gewohnt, bewaffnet erschienen. Bis auf den Kampf mit einer Spinne hatte sie ihre Mission durch die Steuerarchive der Angroschim recht gelangweilt. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit ihren Mann wieder sah, freute sie sich aufgeregt wie ein junges Mädchen. Niemand merkte es. Ihr und Gudekars Verhalten war seit der Flucht aus Lützeltal so eingespielt, dass beide routiniert in Gesellschaft beisammen sein konnten, ohne, dass frevlerische Vermutungen aufkamen. Für rahjagefällige Zärtlichkeit fanden sie Zeit, wenn sie einander brauchten. Eigentlich noch wichtiger war ihnen die Zeit, in der sie ungestört miteinander reden und sich berühren konnten. Meta prostete Wunnemar zu und nippte kurz an dem Wein, runzelte die Stirn und nahm den Becher skeptisch von den Lippen.
“Auf die Nordmarken!”, stimmte Gudekar ein und wollte gerade einen kräftigen Schluck Wein nehmen, doch er hatte in den letzten Wochen heimlich dem Genuss des Weines im Tempel der Lieblichen mehr zugesprochen, als es gut für ihn war. Als er Metas skeptischen Blick sah, hielt auch er inne. Immerhin hatte seine Geliebte dies recht schnell realisiert und ihn ermahnt, sich bei diesem Laster zu zügeln. “Stimmt etwas nicht?”, fragte der Baron, während sein Blick von Meta zu Gudekar wanderte. “Es scheint mir, als hätte euch beiden etwas die Stimmung verhagelt. Was ist los?”
Mittlerweile kannte Meta Wunnemar gut genug und wusste, dass er primär an einem Gespräch mit Gudekar interessiert war. Er hatte zwar sie angesehen, aber das Wort an ihren Partner gerichtet. Eindeutig das Zeichen für sie, dass sie, wie würde man es so nett sagen, ihre Goschn halten sollte.
Der Magier winkte ab. “Ach, vielleicht sollte ich mich etwas zurückhalten mit dem Genuss des Weines.” Sein Blick wanderte entschuldigend zu Meta. “Ich war wohl etwas zu leicht dieser Verlockung erlegen in letzter Zeit. Es war eine schwere Zeit, und wohl habe ich die falsche Art von Ablenkung gesucht.”
“Meint ihr mit schwer eure persönliche Situation”, fragte Wonnemar mit einen kurzen Blick auf die Ritterin an der Seite des Magus, “oder meint ihr die Aufgabe, weswegen ihr wieder in die Nordmarken gereist seid? Wir hatten noch keine Zeit, darüber zu sprechen.”
Gudekar stützte den rechten Ellenbogen auf den Tisch und kniff mit Daumen und Zeigefinger die Augen an der Nasenwurzel zusammen. Mit der Linken tastete er unter dem Tisch nach Metas Hand und drückte diese ganz fest, um Halt zu suchen. Sie gab ihm den Halt, den er so oft von ihr brauchte. Unauffällig, so nahm sie den Wein, der ihr nicht besonders gut mundete und trank einen kleinen Schluck. Im Prinzip waren beide Situationen schwer, doch nicht im Augenblick. Denn seiner Liebe und Zugehörigkeit zu Meta war er sich sicher, egal, was der Rahjani ihm einzureden versuchte.
“Die Aufgabe”, antwortete der Magier, “die Aufgabe war schwer. Und die Folgen, die daraus resultieren. Es ist nicht alles so gelaufen, wie es geplant war, und man versucht mir die Schuld dafür zu geben. Man hat sich gegen mich verschworen. Und obwohl wir am Ende erfolgreich waren, gibt es Stimmen, die Konsequenzen für mich fordern.”
Der Baron runzelte sichtlich irritiert die Stirn und sann kurz über das gehörte nach. “Langsam”, forderte er dann rhetorisch, bevor er nachhakte, um den Sachverhalt verstehen zu können. “Wer hat sich gegen euch verschworen? Wer fordert Konsequenzen für euch? Und was beim Götterfürsten sollen das für ‘Konsequenzen’ sein?”, fragte Wunnemar in sachlichem Ton.
Gudekar nahm nun doch seinen Weinkelch noch einmal hoch und trank ihn in einem Zug leer. “Ich weiß nicht, wer von uns der Verräter ist. Doch irgendjemand hat uns sabotiert und versucht den Verdacht auf mich zu lenken. Die Bannzeichen, die ich bei Euch von Meister Gwenlian gelernt und zu unserem Schutz angebracht habe, wurden vor dem Ritual verändert und damit wirkungslos gemacht. Und irgendjemand hat auch die Heiltränke, die ich beschafft habe, vergiftet. Fast wären seine Gnaden Rionn und der Herr von Grundelsee daran gestorben. Und da ich mich für die Tränke verantwortlich zeichnete, fiel der Verdacht zunächst auf mich.” Gudekar winkte eine der Mägde zu sich, um sich noch einmal Wein eingießen zu lassen, was Meta mit einem strengen Blick kommentierte. “Nun, obwohl ich allen versichert habe, dass ich ebenso überrascht von der Wirkung der Tränke wie alle anderen war, sind die Rufe nach einer Seelenprüfung durch meine Gefährten, von denen ich dachte, sie würden mir vertrauen, erneut aufgeflammt. Allen voran die Vögtin Witta von Dürenwald. Sie hat mich erst vor zwei Tagen erneut danach gefragt, ob ich die Prozedur und einen Bußgang bereits über mich habe ergehen lassen.”
Wunnemar ließ die Worte des Magus sacken und ordnete zunächst seine Gedanken zu dem Thema, bevor er wieder zu sprechen ansetzte.
“Gibt es für die damit einhergehenden Unterstellungen irgendwelche, greifbaren Beweise?”, fragte der Baron.
„Beweise? Nein, Beweise gibt es nicht wirklich, nur Mutmaßungen, Behauptungen, Anschuldigungen, weil einigen Leuten mein Verhalten nicht gefällt.“ Tatsächlich musste der Magier der Baroness von Kaldenberg fast dankbar sein, dass sie den Zettel, den Merle wohl in seinem Mantel gefunden hatte, sogleich verbrannt hatte. „Es wird behauptet, es hätte eine persönliche Nachricht des Paktierers an mich gegeben, doch vorlegen kann diese niemand. So kann ich weder beurteilen, ob es diese jemals wirklich gab, noch nachweisen, dass mir jene angebliche Nachricht absichtlich untergeschoben wurde, um mich zu diskreditieren.“ Gudekar wirkte verzweifelt und schaute hilfesuchend zu Meta. „Ein Hauptvorwurf ist allerdings meine von Rahja gesegnete Liebe zu dieser wundervollen Frau. Und der Fakt, dass ich mich noch nicht einer Seelenprüfung stellen konnte.“
Hastig stürzte diese ihren Becher Wein hinunter und ließ ihn sich nun auch erneut füllen. „Zu den Ereignissen dort mit dem Paktierer kann ich leider nichts sagen. Entgegen dem Vorschlag, mich an der Beseitigung dieses Unholds zu beteiligen - es ist ja nicht so, als wäre ich völlig unerfahren, zweimal bin ich schon in seine unheiligen Taten verwickelt gewesen und habe bei Euch viel lernen können - schickte man mich fort.“
“Ja, ich hatte vorgeschlagen, dass Meta uns in unserem Kampf gegen den Paktierer unterstützen könnte”, erklärte Gudekar. “Doch dies wurde von meinen Gefährten mit einem Hinweis auf die Traviagefälligkeit unserer Mission abgelehtnt. Dabei hätten wir jede Hilfe brauchen können.”
Wunnemars Blick wanderte einmal zwischen Gudekar und Meta hin und her, bevor er wieder zu sprechen ansetzte.
“Ihr wisst, dass ich das, was zwischen euch ist, nicht gut heißen kann, nachdem ihr einer anderen den Bund vor Travia geschworen habt.
Aber”, setzte der Baron schnell nach, bevor der Magus, der schuldbewusst seinen Kopf gesenkt hatte, etwas entgegnen konnte. “Da ist hier nicht die Frage. Es geht um etwas ganz anderes.
Also, nach meinem Verständnis kann diese Seelenprüfung jeder Adlige oder Geweihter fordern, doch durchsetzen nur derjenige, der das Gewaltmonopol besitzt und gewillt ist, es auch umzusetzen. Dafür benötigt man meinem Verständnis nach ein wenig ‘Gewicht’ in den Rängen des Klerus oder des Adels. Witta von Dürenwald besitzt Einfluß und Macht, ohne Frage, doch dies lokal begrenzt.
Ich bin bei weitem kein Rechtsgelehrter, da müsstet ihr zu Lucilla von Galebfurten gehen, doch wäre es nicht der richtige Weg für die Anklagenden, eure Gilde anzurufen und die Vorwürfe gegen euch dort vorzutragen? Ihr unterliegt doch dem Gildenrecht.“ Ein Weg, der für Gudekar zunächst kaum angenehmer wäre, als die Seelenprüfung durch seine Gnaden Rahjan Bader oder Rionn selbst.
„Selbstverständlich, die Praioskirche und ihr starker Arm werden diesen Weg sicher nicht gehen, wenn Gefahr in Verzug ist, aber in diesem Falle… ohne handfeste Fakten.”
Der Baron schüttelte den Kopf. “Wer ist der Rädelsführer jener, die die Anschuldigungen gegen euch vorbringen? Ist dies die gräfliche Vögtin?”
„Gewiss“, bestätigte der Albenhuser. „Die Vögtin ist diejenige, die am vehementesten nach einer Seelenprüfung schreit und meine Gefährten gegen mich aufhetzt. Doch will ich nicht ausschließen, dass mein Eheweib hinter all diesen Anschuldigungen steckt, vermutlich aus blanker Eifersucht und daraus entstandenem Hass auf mich. So hat sie immer wieder damit gedroht, mich vor das hohe Tempelpaar der gütigen Mutter in Albenhus zu zerren. Auch hat sie auf der Hochzeitsfeier meiner Schwester behauptet, ich hätte sie heimtückisch mit perfider Magie willig gemacht, um mein Unwesen ungestört treiben zu können, sogar mehrere Geweihte der Zwölfe hat sie von ihren Anschuldigungen zu überzeugen versucht, erfolgreich, wie ich leider feststellen musste. Auch hat sie angeblich jenen Zettel in meinem Mantel gefunden, der mich belasten sollte, mit dem Paktierer gemeinsame Sache zu machen. Sie behauptet sogar, die Handschrift des Pruch zu erkennen. Doch frage ich, wie sollte sie das vermögen, wenn sie nicht selbst mit ihm in Kontakt steht? Nur weil sie einmal kurz auf einer Kiste einen mit Blut dahin geschmierten Namen gesehen hat, den angeblich Pruch selbst darauf geschrieben haben sollte?“ Der Magier war in Rage geraten, als ihm der Verrat, den Merle begangen hatte, immer deutlicher wurde. Er trank seinen Kelch leer, wonach er sich wieder etwas beruhigte. „Wisst Ihr, Hochgeboren, das Schlimmste ist, ich hatte Merle vertraut. Ich habe ihr alles beigebracht, was sie weiß, all ihre Kenntnisse über Heilkräuter aber auch über Gifte, sogar, wie man Magie erkennt, hat sie von mir. Ich habe sie zur Heilerin ausgebildet. Und nun wendet sie dieses Wissen gegen mich. Ich halte es nicht einmal für unmöglich, dass sie es war, die heimlich meine Vorbereitungen für das Ritual sabotiert hat und mir die Gifte in meine Heiltränke gemischt hat. Über das Kloster könnte sie an die notwendigen Ingredenzien gelangt sein.“ Eine tiefe Traurigkeit erfasste den Anconiter. Er winkte die Magd mit dem Weinkrug erneut zu sich.
Meta konnte dem nur zustimmen und strich beruhigend über Gudekars Hand. Sie war innerlich zornig, immerhin hatte sie Merle angeboten, sie und natürlich auch ihre Tochter, in Sicherheit zu bringen, was diese ihr mit wüsten Beschimpfungen gedankt hatte und die Situation so hatte eskalieren lassen, dass es zu diesem unsäglichen Zauber gekommen war. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und sie konzentrierte sich darauf, aus den Weintropfen auf den Tisch ein Muster mit einem Finger zu ziehen.
Wunnemar nickte nachdenklich. “Durchaus möglich. Eifersucht ist ein scharfes Schwert, dessen Heimtücke man nicht unterschätzen sollte. Aber dies sind auch nur Vermutungen, diesmal von eurer Seite. Auch ihr habt keine Beweise. So kommt ihr nicht weiter. Nein.“
„Das mag sein“, gab Gudekar zu, „doch einen Verräter gab es, der uns sabotiert hat und den Verdacht auf mich gelenkt hat. Das ist nicht abzustreiten.“
Der Baron nickte, beließ es aber dabei.
„Ich könnte einen oder mehrere Briefe schreiben”, eröffnete der Baron nach einer kurzen Pause.
“Ihr geht zurück nach Tälerort und wir sehen, ob jene, die die Anschuldigungen gegen euch vorbringen, gewillt sind, die Gilde anzurufen bzw. den Weg in die Rabenmark auf sich zu nehmen.”
Wunnemar hob demonstrativ gelassen seinen Becher und setzte ein aufmunterndes Lächeln auf. “Ich höre mir gerne an, was sie zu sagen haben. Und wenn niemand kommt, dann wird Gras drüber wachsen.”
Auch Gudekar hob seinen Becher und prostete seinem Baron dankend zu. Er war ein guter Lehnsherr, dachte Gudekar, der zu seinen Mannen stand.
Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, ergänzte der Rabenmärker wieder sachlicher: “Ihr solltet euch aber gewiss sein, dass es euer Reputation in jedem Falle schaden würde, der Aufforderung nicht nachzukommen.
Deswegen: Ihr seid in dieser Sache der Getriebene und habt nicht das Heft des Handelns in der Hand. Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, in die Offensive zu gehen? Könnt ihr eure Gilde anrufen, eine Aussage niederschreiben, die die Anschuldigungen sachlich von euch weist und diese durch eine magische Befragung bestätigen? Die beglaubigte Abschrift einer solchen Aussage an eine offizielle Stelle zu schicken kann die Wogen glätten und ich bin mir sicher, diese Prozedur würde euch weniger… strapazieren, als eine Prüfung eurer Seele.”
Meta, deren Hand der Magier unter dem Tisch noch immer hielt, spürte, wie sehr Gudekar bei Wunnemars Frage verkrampfte. Seine Hand zerquetsche die ihre, so dass es ihr nicht wenig weh tat. Sie ließ es geschehen, ohne eine Miene zu verziehen. Er stand unter Druck und Anspannung und brauchte ein Ventil. Auch schien sein Atem flacher und schneller zu werden. Die Nervosität war ihm in jeder Faser seines Körpers anzumerken. Dennoch versuchte er, sich in seiner Antwort nichts anmerken zu lassen. “Wenn Ihr denkt, ein solches Schreiben sei zielführend und könnte einen Einfluss auf eine Entscheidung haben, so will ich diese alsbald verfassen.” Den Vorschlag einer magischen Befragung ignorierte Gudekar geflissentlich.
Wunnemar nahm einen weiteren Schluck Wein, verhalten diesmal. Er registrierte die Anspannung seines Gegenübers und nahm dessen Zurückhaltung unkommentiert zur Kenntnis.
“Ich denke, ihr braucht etwas Bedenkzeit, wie ihr mit dieser Situation umgehen wollt”, sprach der Baron verständnisvoll. “Ich würde es nicht anders halten. Wägt die sich euch bietenden Optionen sorgsam ab Gudekar. Wenn ihr mögt, so sprechen wir morgen früh noch einmal miteinander. Mehr kann ich euch nicht anbieten.”
Der Baron beugte sich vor und senkte die Stimme, was aufgrund des feiernden Hofes um sie kaum notwendig war. Doch legte Wunnemar auch eine Hand so über seinen Mund, so dass man seine Lippen nicht würde lesen können, als er sprach: “Wenn es etwas gibt, dass ihr mir im Vertrauen offenbaren wollt, so treffen wir uns zur Phexstunde im Kräutergarten der Pfalz. Sendet mir einfach einen Boten.”
Nach diesen Worten lehnte sich der Baron wieder zurück und leerte seinen Becher.
“Habt Dank, Euer Hochgeboren!” Gudekar, der ebenfalls seinen Kelch ein weiteres Mal geleert hatte, deutete im Sitzen eine Verbeugung an. “Ihr habt bereits viel für mich getan und ich stehe tief in Eurer Schuld. Habt Dank, für das Verständnis, das Ihr mir entgegen bringt!” Gudekar dachte über die heimliche Einladung nach, die Wunnemar ihm ausgesprochen hatte. Er konnte sich gerade nicht vorstellen, was der Baron gemeint haben könnte. Was sollte Gudekar ihm im Vertrauen zu berichten haben, was Wunnemar nicht eh bereits wusste? Es war dem Magier ein Rätsel, was Wunnemar vermutete. Doch die Heimlichkeit der Einladung hatte die Neugier des Anconiters angesprochen, und so nahm er sich vor, der Einladung zu folgen. “Ihr werdet von mir hören, Baron.”
„Hochgeboren, die Götter seien mit Euch.“ Sie fuhr sich durch ihre kinnlangen, lockigen Haare und zog keck die Augenbrauen hoch. „Ich werde auf weitere Anweisungen warten.“ Abermals nickte Wunnemar. "Gut, dann entschuldigt mich nun bitte. Der Orgilsbund trifft sich zur Konklave."
Der Baron erhob sich. "Hochgelehrter Herr, hohe Dame. Die Weisheit der Allweisen mit euch." Mit diesen Worten verabschiedete sich der Rabenmärker und ging.

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Lange Schatten

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Gefangen

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