Lützeltaler Hochzeit

Hintergrund:

Friedewald von Weissenquell möchte endlich seine Tochter Gwenn in den Traviabund führen.

Hochzeitsvorbereitungen

Das Angebot (1. Rahja 1043 BF)


Personen:

Die Szene spielt am Rande des Pelura Wettbewerbs 1043 BF.

Eine unerwartete Einladung

Rhodan Herrenfels hatte spontan auf einer Handelsreise von dem Pelura-Turnier gehört und sich entschlossen, weil ihm schlicht keine andere Ablenkung zu Füßen fiel, an dem Wettbewerb teilzunehmen. Schließlich war er mit den Händen nicht ganz ungeschickt, da konnte man mal sein Glück wagen. Und tatsächlich - war es seinen eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben oder aber der Unfähigkeit der Wettbewerber - gelang es ihm, aus dem Stand und ohne ernstliche Vorbereitung den zweiten Platz zu machen, direkt hinter einem Herrn von Tannenfels. Dunkel meinte er sich zu erinnern, dass der junge Herr Lares mal von diesem Mann gesprochen hatte, aber wirklich hatte sich Rhodan nicht an diesen Adeligen erinnert. Schließlich konnte man mit ihm kein Geschäft machen und ansonsten wirkte er auch nicht sonderlich erheiternd. Naja: Anlässlich seines Sieges sah er sich gezwungen, mit dem einen oder anderen Gast dieses alles in allem doch ganz erheiternden Wettstreits plaudern zu müssen. Nachdem er die kleine Ehrung entgegengenommen hatte, die die Ausrichter des Wettbewerbs einem jeden der drei Sieger symbolisch überreichten, musste er also erklären, wie es einem doch ersichtlich beleibten, groß gewachsenem Pfeffersack wie ihm gelungen war, so gut abzuschneiden. Feixend und mit einem Quäntchen Selbstironie schilderte er gerade seine ‘Gewinnertechnik’, als ihm zwei Personen auffielen, die etwas hinter der Gruppe der Zuhörer standen und ihn, Rhodan, abwartend anschauten. Es handelte sich um einen Mann fortgeschrittenen Alters und eine deutlich jüngere Frau. Der Mann dürfte die 60 Götterläufe bereits überschritten haben. Er zwar schlicht, aber dennoch vornehm gekleidet. Sein Kleidung, sein kräftiges Aussehen und seine wettergegerbte Haut ließen auf einen Landadligen schließen, der nicht nur in der Stube hockt und sein Vermögen (oder das eines anderen) verwaltet, sondern der auch mit anpackt, wenn es notwendig ist. Die Frau dagegen schien Rhodan bekannt. Gleich erinnerte er sich: hatte sie nicht auch an dem Turnier teilgenommen, allerdings in einer anderen Gruppe. Die Dame, und er war sicher, dass es sich hier um eine höfische Dame handeln musste, war nicht gerade ob ihres Könnens in dem Spiel aufgefallen, vielmehr wegen ihrer deutlichen Ungeschicklichkeit darin. Doch nahm sie ihr Misslingen mit einer gehörigen Portion Humor, was sie sehr sympathisch wirken ließ. Sie war sicherlich etwas jünger als Rhodan, doch auch kein junger Hüpfer mehr. Rhodan fragte sich, ob die beiden Mann und Frau waren, auch wenn dies vom Altersunterschied der beiden durchaus ein Geschmäckle hätte. Doch was geht ihn, Rhodan, das Privatleben der Adligen an?

Als Rhodan seinen Redefluss unterbrach, um die beiden zu mustern, sprach der Edle ihn an: „Herr Herrenfels, wenn ich mich nicht irre? Mein Name ist Friedewald von Weissenquell, Edler von Gut Lützeltal. Und das ist meine Tochter Gwenn.“ Das erklärte dann den Altersunterschied der beiden. „Ich würde Euch gerne in einer…“, er hält kurz inne, „geschäftlichen Angelegenheit sprechen. Darf ich Euch zu einem Krug Ferdoker in die Taverne einladen?“

Rhodan zwinkerte kurz und sah sich unmerklich nach beiden Seiten um. Hatte er etwas ausgefressen? Aber doch nicht in...wo genau? Weissenquell? Sagte ihm nichts, obschon er eigentlich ein profunder Kenner des Nordmärkischen Adels war. Man musste ja schließlich immer genau wissen, mit wem man es zu tun hat. “Sehr wohl, Rhodan Herrenfels, zu Euren Diensten”, erwiderte er und deutete eine knappe Verbeugung an. Der hochgewachsene Mann war aufgrund seiner Leibesfülle nicht unbedingt der Gelenkigste - jedenfalls hatte dies den Anschein - und vermied deshalb ausladende Bewegungen. “Was für ein Begehr mag Euch zu dieser Stunde an einem Tag wie dem heutigen umtreiben? Unsere Warenpalette ist divers, der Wein vorzüglich und das Rosenöl”, er blickte kurz Gwenn an und deutete leicht in ihre Richtung, “bei den Damen sehr beliebt!” Der Händler klopfte seine für seinen bürgerlichen Stand wertvollen, gut gewählten Kleider ab. Das Rot seines Wamses erinnerte an die Rosen, aus denen er zuhause in Rosenhain exquisite Öle zu gewinnen pflegte. Ansonsten hatte er, dem Anlass entsprechend, auf Moosgrün zurückgegriffen; man wollte ja bei Sport und Spiel die Klamotten nicht verdrecken. Erwartungsvoll sah er den Adeligen an, dann trabte er gemächlich fort vom Turnierplatz und achtete darauf, ob der Mann und seine Tochter ihm folgten.

Friedewald und Gwenn folgten Rhodan und führten ihn in eine nahe gelegene Taverne. Es war ein ordentliches Wirtshaus, das einen guten Eindruck machte. Aufgrund des Festtages war das Gasthaus gut gefüllt. Dem Rahjafest entsprechend gut gelaunt, fröhlich und ausgelassen waren die Gäste. Als der Wirt Friedewald und seine Begleitung gewahr wurde, deutete er auf einen abseits in einer ruhigeren Ecke des Gastraums gelegenen Tisch, der scheinbar extra für die Gesellschaft frei gehalten wurde. Das ließ Rhodan aufmerken. Offensichtlich hatte der Landadlige diese Zusammenkunft geplant gehabt. Rhodan vermerkte dies mental. Friedewald deute Rhodan an, Platz zu nehmen, dann setzten er und Gwenn sich dem Rosenhainer gegenüber. “Wirt, dreimal Eintopf und einen großen Krug Ferdoker, aber möglichst heut noch!”, rief Friedewald richtung Theke. Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, da standen drei Schalen eines köstlich duftenden Eintopfs und ein Krug kühlen Gerstenbräus auf dem Tisch. Gwenn goss das Bier sogleich in die bereitgestellten Becher, dem Gast zuerst, dann ihrem Vater und zum Schluss sich selbst.

“So ein frisches Bier ist das Beste, was einem nach einem solchen anstrengenden, heißen Tag die Kehle runter rinnen kann. Stimmt’s, Herr Rhodan?” Friedewald prostete dem Gast zu und nahm einen tiefen Schluck.

“Da sage ich nicht nein”, antwortete dieser sichtlich zufrieden - obschon er auch ein Gläschen Wein nicht ausgeschlagen hätte. Allerdings war Rhodan nicht in dem Sinne wählerisch: Dem Genuss war er in jeder Hinsicht zugetan. Auch der Händler hob seinen Krug und bedankte sich sodann höflich bei der jungen Dame, bevor er sich an dem frisch gezapften Bier erfrischte.

Nachdem Friedewald ein paar Löffel des herzhaften Eintopfs gegessen hatte setzte er an: “Hört, Herr Rhodan, ich will gar nicht lange um den heißen Brei herumreden.” Gwenn schaute unwillkürlich auf die Suppenschüssel. “Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr nicht abgeneigt wärt, den Traviabund einzugehen, wenn sich die richtige Gelegenheit bieten würde. Meine Tochter Gwenn”, er wand seinen Kopf in richtung der jungen Frau, “hat euch heute bei dem Turney beobachtet und wäre nicht abgeneigt, den Bund mit euch einzugehen. Was sagt ihr dazu?” Diplomatie schien wohl nicht die Stärke des Lützeltalers zu sein.

Rhodan, die Oberlippe noch im Bierschaum getaucht, schmunzelte, sodass sich seine Augenbrauen erheitert kräuselten. Er schluckte und setzte den Krug ab. Statt zu erwidern musterte er sein Gegenüber einen Augenblick - Gwenn verschonte er noch, denn er war sich bewusst, wie unangenehm die Situation für die junge Dame sein musste. Er hatte oft genug Handel abgeschlossen, um zu wissen, wie es sich anfühlte, etwas, jemanden oder gar sich selbst zu verkaufen. “So, eine Hochzeit? Na das hatte ich am heutigen Tag nicht erwartet. Aber heute scheint nicht nur Herr PRAios in seinem prächtigen Scheine auf mich herabzulächeln. Jawohl, hoher Herr, ich bin einer Heirat grundsätzlich nicht abgeneigt.” Die Hofdame würde er später noch befragen.

Friedewald nahm noch ein paar Löffel der Speise. Es war eine deftige Linsen- und Gemüsesuppe, versetzt mit kleinen Kügelchen aus einer Art gekochtem Teig. Ergänzt wurde der Eintopf mit angebratenen Streifen gepökelten Schweinebauchs und geräucherter Rinderrippe. Letztere Zutat machte es deutlich, dass zumindest diese Variante des Gerichts nicht für das einfache Volk zubereitet wurde. Hier bekam man eine wahre Spezialität der Region, und der Koch des ‘blauen Admirals’ verstand sein Handwerk. Friedewald war zufrieden.

“Gut. Ihr müsst wissen, meine Gwenn ist im besten Alter, den Traviabund einzugehen. Als sie noch jünger war, hielten wir es für zu früh, einen Bund zu schließen. Sie sollte sich erst eine Stellung bei Hofe verdienen, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch fand sich kein Mann, der unserer Gwenn zusagte, oder die geeigneten Kandidaten waren bereits vergeben. Ihr müsst wissen, unsere Gwenn ist etwas wählerisch, was ihren Zukünftigen angeht. Sie wollte ihr Herz nie dem erstbesten Dahergelaufenen öffnen. Nun, wie dem auch sei, so langsam finden mein Sohn Kalmann und ich aber, dass es Zeit wird, dass sich Gwenn entscheidet und bindet, solange sie noch im besten gebärfähigen Alter ist. Denn, wenn man sieht, wie liebevoll und sorgsam sie sich stets um die Kinder am gräflichen Hofe kümmert, wäre es doch schade, wenn sie nicht auch eigene Kinder in die Welt setzen sollte. Meint ihr nicht auch?”

Gwenn rutsche bei den Worten ihres Vaters auffallend nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Immer wieder blickte Sie verlegen zu Rhodan, dann wieder senkte sie den Blick und nahm hastig eine Löffelspitze von der Suppe, stets darauf bedacht, nicht zu kleckern.

Der Wirt brachte ein Krüglein mit einer grünen Flüssigkeit und stellte diesen mit drei kleinen Zinnbechern in die Mitte des Tisches. In der Flüssigkeit schwammen einige Kräuter und Gewürze. “Damit den werten Herrschaften die Speis’ nicht so schwer auf den Magen drückt, gelle!” Er deute eine kleine Verbeugung an und entfernte sich wieder vom Tisch.

“Vielen Dank”, entgegnete Rhodan gegenüber dem Wirt. “Für alles haben die Götter eine Zeit vorgesehen. Eine Zeit zum Wachsen, eine Zeit zum Blühen und eine Zeit, um Früchte zu tragen. Eigene Kinder sind auch ein Wunsch, der in mir seit mehreren Monden reift. Ich habe erreicht, was ein Mann aus dem Volke erreichen kann. Mein Leumund ist tadellos. Für mich ist es Zeit, Wurzeln zu schlagen - nicht nur für meine Rosenstöcke. Pardon, die Rosenstöcke der Herrschaften von Mersingen natürlich. Ich muss ja gestehen, ich identifiziere mich sehr mit dem Kontor und seiner Arbeit. Es ist nicht nur irgendein schnödes Handelshaus; Nein, nein, wir verkaufen Schönheit und Genuss.”

“‘Schönheit und Genuss’, so so. Ja, mir wurde schon so ungefähr von den Geschäften von Euch und Eures Herren berichtet.” Friedewald bemerkte den etwas skeptisch fragenden Blick von Rhodan, der ihn kurzzeitig traf. “Ihr fragt Euch sicherlich woher ich so gut über Euch informiert bin und warum ich Euch so frei heraus angesprochen habe, obwohl wir uns bisher nicht bekannt waren, zumindest nicht bewusst. Ihr müsst wissen, mein Sohn Gudekar hat mir von Euch berichtet. Ich weiß, Euch sagt auch sein Name nichts. Gudekar ist ein guter Junge. Ja, mal abgesehen davon, dass er sich den arkanen Künsten verschrieben hat. Aber, wenn man mal darüber hinweg sieht, ist er wahrlich ein feiner Kerl. Vor allem ist er eine treue und barmherzige Seele. Über alles liebt er die Familie, naja, nur seine Frau Merle liebt er noch mehr, die er im Waisenhaus unseres Traviatempels kennengelernt hat, in dem er als Angehöriger des Anconiter-Ordens oft aushilft. Merle ist dort als Waisenkind bei dem Geweihtenpaar aufgewachsen. Kalman war ja gegen die Verbindung mit einem Mädchen unbekannter Herkunft, aber mir hat das nichts ausgemacht, solange die beiden sich lieben und treu bleiben.” Rhodan nickte stumm und beifällig.

“Vater, du schweifst ab!”, warf Gwenn ein. “Die Familiengeschichte all unserer Geschwister langweilen den Herrn sicherlich.”

“Du hast Recht, Kind. Entschuldigt meine ausschweifende Erzählung, mein lieber Herr Rhodan. Jedenfalls vor ein paar Monden war Gudekar als Abgeordneter der gräflich-albenhusener Gesandtschaft auf einer Hochzeitsfeier im Schweinsfoldischen. Ihr müsst wissen, Gudekar hatte zuvor an Ermittlungen im Auftrag der Gräfin und später sogar der Herzoginnenmutter teilgenommen.”

“VATER!” wurde Gwenn energisch.

“Ja, ja. Du hast Recht. Das tut hier ja nichts zur Sache. Also, mein Junge war auf dieser Hochzeit, und während sich all die anderen Gäste amüsierten, konnte mein Junge Gudekar in Anbetracht der traviagefälligen Feierlichkeiten an nichts als die eigene Familie denken, also an seine Merle und an seine Schwester, für die es ja auch an der Zeit wäre, den Bund zu schließen. So verbrachte Gudekar seine gesamte Zeit auf dem Feste damit, sich nach geeigneten Kandidaten für eine Vermählung von Gwenn umzuschauen.” Auch hierzu schwieg Rhodan und lächelte freundlich - obschon er sich nicht vorstellen konnte, dass auch nur eine Person auf dieser aberwitzigen Hochzeitsfeier keusch und unschuldig geblieben war. Jedenfalls wenn nur ein Funken der Erzählungen seines jungen Herrn wahrhaftig war. Und Lares tendierte zwar zu Übertreibungen, aber nicht zu Lügen. “Naja, irgendwann kam er wohl auch mit eurem Herrn Lares von Mersingen ins Gespräch, der ja wohl selbst noch nicht in den Traviabund getreten ist, wenn ich mir das alles richtig gemerkt habe. Jedenfalls hat der Mersinger selbst wohl abgelehnt, aber Euch ins Spiel gebracht.”

“Huch!”, entfuhr es Rhodan. “Der Herr Lares erwähnte, dass ich unvermählt sei? Oh je, er muss wohl den Eindruck gewonnen haben, dass ich mich zu tief in meine Bücher vergrabe.”

Nun schenkte Friedewald endlich von dem Kräuterschnaps ein, reichte Rhodan und dann Gwenn jeweils einen Becher und prostete dem Gast zu. Er kippte den süßlich-bitteren Trank in einem Zug herunter und goss gleich noch einmal nach. Rhodan dementgegen hielt sich beim Trinken zurück, wusste er doch, dass eine Hochzeit in Adelskreisen ein Geschäft war. Verhandlungen führte man am Besten nüchtern, das wusste er aus Erfahrung. Noch besser war es allerdings, wenn das Gegenüber nicht nüchtern blieb. So also trank er, aber in solchen Maßen, dass man ihm seine Zurückhaltung nicht anmerkte.

“Tja, irgendwie sind wir dem jedoch bisher nicht weiter nachgegangen. Aber wie es der Zufall so will, führten uns heute unsere Pfade zueinander. Gwenn hatte euch wohl beim heutigen Turney gesehen und war von diesem gestandenen Mannsbild angetan. Als dann bei der Preisverleihung euer Name fiel, erinnerte ich mich an Gudekars Erzählungen und dachte mir so: ‘na gut, wenn das Schicksal uns hier und heute zusammenführt, und wenn auch Gwenn nicht grundsätzlich abgeneigt zu sein scheint, warum dann nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen und euch einmal ansprechen?’ Also habe ich meine Tochter Mika zum Wirtshaus geschickt, wo wir uns eh schon für das Abendmahl angekündigt hatten, um dem Wirt bescheid zu geben, dass wir wohl noch einen Gast erwarten. Ach, sag Gwenn, wo ist eigentlich Mika?”

Die junge Dame druckste zunächst ein wenig rum und antwortete dann: “ Oh, sicherlich ist sie wieder zu dem jungen Rahja-Novizen gelaufen, auf den sie schon beim Turnier einen Blick geworfen hatte.” Friedewald kochte innerlich, versuchte jedoch, sich vor dem Gast nichts anmerken zu lassen. “Dieses Kind. Nur Flausen im Kopf. Hoffentlich macht sie nichts Unbedachtes!”

“Hach ja, manchmal bereiten einem Kinder unnötige Sorgen, doch zum Erwachsen werden gehört es auch, hier und da mal einen Blick über den Tellerrand zu wagen. Dennoch empfiehlt es sich, ein Auge auf den Nachwuchs zu haben. Aber wenn die junge Dame nach Euch gerät, dann wird sie sich kaum in ein unüberlegtes Abenteuer stürzen, sondern beherzt, aber bedacht vorgehen.”

Erneut kam der Wirt an den Tisch, diesmal mit einem Teller voll Käse und etwas Brot. Friedwald fragte seinen Gast, ob er zum Käse eine Wein bevorzugte und bestellte dann beim Wirt eine Karaffe das besten Weins des Hauses. Nach einer Weile brachte dieser dann eine Karaffe eines halbwegs vernüftigen Elenviners. Er war einigermaßen genießbar, aber kein Vergleich zu den Tropfen, die Rhodan sonst gewohnt war.

Friedewald nahm das Gespräch wieder auf. “Ihr sagtet, euer Haus handelt mt edlen Genüssen? Dann mögt Ihr sicherlich über genügend Vermögen zu verfügen, um meiner Gwenn ein abgesichertes Leben zu ermöglichen?”

Wie vermutet: Hier begann das Geschachere. Doch noch war Rhodan nicht gewillt, sich auf die ökonomische Seite zu konzentrieren. Es galt noch ein wenig Zeit zu gewinnen und zugleich wurde der jungen Dame noch kein Gehör gewährt. “Wie bereits erwähnt stehe ich in Diensten des Hauses Mersingen, und zwar eines wohlhabenden Zweiges des Hauses, wenn man das so sagen darf. Die Produkte unserer Ölmühle sind landesweit und über die Grenzen der Nordmarken hinaus begehrt. Eurer Tochter wird es an nichts mangeln”, antwortete er. “Sofern sie das möchte”, setzte er nach und sah Gwenn nunmehr das erste Mal direkt in die Augen. Rhodans blauer, durchdringender Blick traf sie und schien sie zu prüfen - nicht jedoch, wie ein tumber, grobschlächtiger Kerl eine Frau begaffte, sondern vielmehr als würde er ein Rätsel studieren, bedacht, aber bis in die Tiefe.

Als Gwenn seinen Blick bemerkte, schlug sie ihre Augen zunächst nach unten, doch nach einem tiefen Atemzug schaute sie wieder zu Rhodan. Diesmal hielt sie seinem Blick stand und er konnte ihre graugrünen Augen sehen. Diese standen etwas im Gegensatz zu ihrem dunkelblonden, fast bräunlichen Haar. Doch dieser Kontrast verlieh ihr eine fast geheimnisvolle Schönheit. Das schulterlange Haar hatte sie so gebunden, dass zwei Strähnen von rechts und links an ihrem Hinterkopf von einer Spange zusammengehalten wurden. Vor den Ohren hingen zwei schmale, ordentlich geflochtene Zöpfe in ihr Gesicht und verliehen ihm eine einfache, aber fesselnde Anmut. Sicher, die Dame war kein Mädchen mehr. Vermutlich zählte sie zwischen 25 und 30 Götterläufen. Dennoch hatte sie sich ihre Jugendlichkeit bewahren können. Erstaunlicherweise hatten auch die Anstrengungen des heutigen Spiels, bei sommerlicher Hitze und staubigem Boden nur wenige Spuren hinterlassen, die ihr äußeres Erscheinungsbild trübten. Sicher, sie war keine ausgesprochene Schönheit, aber in hohem Maße ansehnlich war Gwenn durchaus. Und eine gelungene (provinzielle) Eleganz konnte man ihr nicht absprechen.

Nach einigen Augenblicken, in denen sich die beiden schweigend ansahen, setzte sie an: “Vater, du setzt den armen Mann ja unter Druck. Er weiß ja gar nicht wie ihm geschieht, wenn du ihn so überfällst. Wie soll der gute Herr sich denn fühlen, wenn du ihn gleich nach solchen Dingen fragst, wo er mich noch gar nicht kennt?” Gwenn gab ihrem Vater unter dem Tisch einen leichten Tritt gegen das Bein. Als er darauf nicht reagierte, wurde sie etwas energischer und knuffte ihn erneut. Diesmal begriff er.

“Oh, entschuldigt! Ich muss kurz nach meiner Tochter Mika sehen, wo sie bleibt. Es wird Zeit für sie, zum Essen zu kommen.” Mit diesen Worten nickte er Rhodan zu, stand auf und ging auf den Ausgang des Gastraums zu. An der Tür drehte sich Friedewald noch einmal zu den beiden prüfend um, dann verließ er das Wirtshaus.

Unter vier Augen

‘Äußerst interessant’, dachte der Herrenfelser. So viel Zutrauen, dass er seine Tochter mit einem weitgehend unbekannten Mann alleine ließ. Dabei ging es ja ganz ersichtlich um schlüpfrige Dinge - da konnte der Ruf einer Frau ganz zügig verloren gehen und der Ruf war schließlich das Einzige, das eine Frau für sich geltend machen konnte. Diese Welt war ungerecht. Aber die Götter hatten es so gefügt. “Ich habe das Gefühl, Ihr seid eine mutige Dame. Ihr sucht die Beute zu erlegen, bevor sie Euch durch die Lappen geht. Das weiß ich zu schätzen. Nachdem Euer Vater nun nicht mehr über Euch wacht, könnt Ihr offen sprechen. Wie ist diese heutige Zusammenkunft zustande gekommen? War es Euer Vater, der Euch zum Jagen trug oder gar Euer Waidmanns’ Heil?”

Ob dieser Worte schaute Gwenn wieder verlegen hinunter auf die Tischplatte. Dann ergriff sie den Weinkelch und nahm einen ordentlichen Schluck, wobei sie jedoch darauf bedacht war, nicht undamenhaft zu wirken. “Nun ja, sagen wir so, mein Vater hat mir auf der Anreise zum Turney deutlich gemacht, dass er und mein Bruder Kalman erwarten, dass ich doch in bälde einen Gatten erwähle, sonst würden sie dies für mich tun. Mein Vater meinte, dass sich auf diesem Feste zu Rahjas Ehrentag sicherlich die besten Gelegenheiten ergeben würden.” Sie nahm erneut eine Schluck. Es war deutlich, dass sie hoffte, sich mit dem Wein auch den nötigen Mut einzuflößen. “Aber dass meine Wahl auf Euch… Verzeiht, dass ich durchaus Gefallen an Euch gefunden habe, auch ohne die Drohung meines Vaters, das ist ist schon die Wahrheit.” Man konnte spüren, wie nervös Gwenn war, aber nicht jene Nervosität, die ein Kind spürt, wenn der Vater es zum Praiosbruder schickte, um seinen neuesten Lausbubenstreich zu beichten. Es war vielmehr solche Nervosität, die ein junges Mädel vor dem ersten Kuss verspürt. Sie nahm noch einen Schluck des Weins. “Wisst ihr…”

Der Wirt kam an den Tisch. “Ist alles recht hier? Darf ich noch etwas bringen?”

Rhodan bedankte sich höflich, verneinte aber so, dass dem Wirt klar werden musste, dass er gerade störte. “Ja?”, sagte er zu Gwenn gewandt.

„Ach, schon gut.“ Gwenn war zu dem Entschluss gekommen, dass es wohl besser sei, diesen Satz nicht zu Ende zu bringen. „Aber sagt, Herr Herrenfels, wie kommt es, dass Ihr noch ungebunden seid? Gab es noch keine Dame, der Ihr Euer Herz schenken wolltet?“

Rhodan wartete einen Moment ab. Dann lehnte er sich vorsichtig mit einem zarten Lächeln auf den Lippen über den Tisch. “Hohe Dame von Weissenquell, mein Herr Lares und sein ehrenwerter Vater Ernbrecht sind honorige, anständige Leute. Wahrheit und Wahrhaftigkeit sind ihnen wichtig. Geheimnisse dagegen sind ihnen verhasst. Wenn Ihr in Rosenhain brillieren wollt, dann müsst ihr Euer Herz auf der Zunge tragen. Dann gibt es kein Zurück. Ein einmal gesprochenes Wort hat Geltung. Keine falsche Scheu.” Rhodan zeigte der jungen Dame damit zugleich auf, wie wichtig es war, seine Worte mit Bedacht zu wählen. Was der Herr nicht wusste, das konnte ihn auch nicht belasten… “Zeigt mir, was Euer Herz bewegt und ich bin gerne bereit, Euch zu offenbaren, was aus mir in den Augen so mancher Brautväter einen unsteten Junggesellen machte. Do ut des.” Der Händler zwinkerte füchsisch.

Gwenn erkannte, das Rhodan ein geschickter Kaufmann sein musste. Zumindest verstand er es zu verhandeln, ohne seine Karten zu schnell zu offenbaren. Doch der Wein zeigte erste Wirkungen und Gwenn fiel es schwer, nicht einfach das zu sagen, was ihr in den Sinn kam. “Ach schön, was soll’s. Wisst Ihr, als ich meinem Vater andeutete, dass Ihr mir gefallen könntet, und als er, nachdem er Euren Namen vernommen hatte, sich an Gudekars Bericht erinnerte, sagte er einfach nur: ’Es hätte schlimmer kommen können!’” Gwenn lachte, ein fröhliches, unbeschwertes Lachen. Sie schien ob der Worte Ihres Vaters sichtlich amüsiert. “Entschuldigt, Ihr müsst meinem Vater verzeihen. Solche Worte über einen Mann, auf den eine seiner Töchter ein Auge geworfen hat, ist fast schon ein großes Lob.” Sie lachte noch einmal kurz, dann erschrak sie. “Oh, bitte, sagt meinem Vater nicht, dass ich Euch das erzählt habe, bitte!” Dann schaute sie Rhodan an. “Nun, nachdem ich meinen Teil geleistet und unsere Familie blamiert habe, seid Ihr aber dran. Erzählt mir von Euch!”

“Ach iwo! Ihr habt Euren Vater nicht blamiert. Im Gegenteil: Er wäre kein liebender Vater, wenn er nicht ‘etwas unzufrieden’ mit jeder Eurer Wahl wäre. Schließlich ist es kein einfacher Schritt, seine geliebte Tochter wegzugeben.” Rhodan lächelte und zuckte mit den Schultern. “Aber natürlich gewähre ich Euch Eure Bitte und schweige wie Herr Boron.” Rhodan blickte einen Moment in Richtung des Fensters des Schankraums und ein schwermütiger Zug glitt über sein großes, kantiges Gesicht. “Ihr müsst wissen”, setzte er an, “dass ich nicht als wohlhabender Mann geboren wurde. Weder Titel noch Privilegien standen mir zu, die mein Auskommen gesichert hätten. Es bedeutete eine Menge Arbeit, bis ich dort angekommen bin, wo ich jetzt bin”, erwähnte Rhodan fast beiläufig, wobei er wie aus Reflex den Kragen seines Wamses richtete. “Den Luxus einer Heimat konnte ich mir über viele Jahre nicht leisten. Genausowenig den Luxus zu lieben und eine schöne Frau und viele lustige Kinder zu haben. Aber ich wusste: Was ich mir wünschte, konnte ich erreichen. Und so ist es nunmehr.” Als Rhodan schloss, blickte er erneut Gwenn in die Augen. Ja: Auch wenn dieses Geschäft überraschend an ihn herangetragen worden war, so konnte er sich mit dessen Verhandlungsverlauf immer besser anfreunden. Und (nur) der Alveransfuchs wusste, dass Rhodan es hätte deutlich schlechter erwischen können!

“Um so beeindruckender ist es, was Ihr bereits in eurem Leben erreicht habt! Seht, ich hatte zwar das Glück einer adligen Geburt in ein alteingesessenes Adelsgeschlecht, wie es die Weissenquells nun einmal sind, auch wenn es sich nur um eine eher unbedeutende Edlenfamilie handelt. Doch ist auch das Leben im Lützeltal nicht leicht. In einem solch abgelegenen Tal bedarf es stets großer Anstrengung, sich zu erhalten, was einem mit der Geburt gegeben ist. Nur mit der harten Arbeit der eigenen Hände, lässt sich der eigene Stand erhalten. Nicht selten ist mein Vater auch noch des Nachts auf, um im Dorf bei der Geburt eines jungen Kalbes zu helfen. Und des Tags packt er mit an, wenn eine neue Scheune zu errichten ist. Denn nur, wenn wir es schaffen, das Lehen vernünftig zu bewirtschaften, bleibt es unserer Familie auch weiterhin erhalten. Bisher waren wir dabei stets erfolgreich. Allerdings ist mein Vater sicherlich eher ein hinterwäldlerischer Gutsherr, dessen Wahlspruch zu sein scheint: ‘Was schert uns die Welt da draußen, wo uns das Lützeltal alles bieten kann, was wir brauchen?’ Mein Bruder hingegen ist da sicherlich ganz anders. Er ist offener, er wird versuchen, Lützeltal in eine große Zukunft zu führen, wenn er einmal das Gut übernimmt.”

Plötzlich wurde Gwenn wehmütig. “Für uns Kinder war es daher nie leicht. Auch wir haben natürlich stets mit angepackt, wenn es etwas anzupacken gab. Und nur ungern hat es unser Vater gesehen, wenn wir Ambitionen hatten, die Welt außerhalb des Lützeltals zu erkunden. Es hat mich vieler Überredungskünste gekostet, bis mein Vater zugestanden hat, dass ich an den gräflichen Hof nach Albenhus gehen darf. Noch mehr hatte es ihn damals geschmerzt, als er seinen Sohn Gudekar weggeben musste, damit er die notwendige akademische Ausbildung wahrnehmen konnte. Doch nun hat sich genau dies ausgezahlt, und Gudekar hat Verbindungen zu vielen wichtigen Persönlichkeiten aufbauen können, bis hin in die herzögliche Familie.” Neidvoll dachte Gwenn an ihren Bruder Gudekar, der schon weit mehr von der Welt gesehen hatte und gerade in den letzten Monaten weit herum gekommen war.

“Ich hingegen habe erst hier am gräflichen Hof gelernt, was das Leben außerhalb des dörflichen Gutshofs alles zu bieten hat. Doch bin ich mir sicher, dass jenseits der Grenzen der Grafschaft auch auf mich noch viele weitere interessante Erfahrungen warten könnten, wenn sich nur die Gelegenheiten dafür ergeben würden.” Sie schaute ihr gegenüber fragend an, als hoffte sie, er könne ihr gleich heute aus ihrer gefühlten Gefangenschaft befreien und ihr die Welt da draußen offenbaren.

“Ihr seht, wir sind eine Familie, die zwar bisher nur wenige Spuren in den Analen der Nordmarken hinterlassen hat, aber ich bin mir sicher, dies wird sich in der nächsten Zeit ändern. Und daher bewundere ich jemanden wie Euch, der es in kürzester Zeit geschafft hat, ein Ansehn und einen Wohlstand zu erreichen, obwohl ihm nicht die Gnade einer adligen Geburt zuteil wurde.”

Das schmeichelte Rhodan - und wenn er eine Schwäche hatte, dann war es die Empfänglichkeit für Schmeichelei. Deswegen sprach Zufriedenheit aus ihm, als er sagte: “Ja, unser Dererund hat sehr viel zu bieten. Die Schönheit der Märkte des Landes der aufgehenden Sonne, die wilden Wasser des Siebenwindmeeres, die prachtvollen Bälle im Reich des Horaskaisers, die Härte des hohen Nordens…” Die verrufenen Straßen der Pestbeule des Südens ließ er geflissentlich weg, auch wenn sich dort vortrefflich Geld verdienen ließ, wenn man nur wusste, wie. “Ihr werdet die Gelegenheit haben, mich auf die ein oder andere Handelsreise begleiten zu können”, ergänzte Rhodan, “allerdings fürchte ich, werdet Ihr auch hin und wieder Tage und Wochen ohne mich zubringen müssen, denn der Haushalt will in Ordnung gehalten und die Kinder gehütet werden. Aus Eurer Erzählung schließe ich, dass Ihr zwar in der ‘kleinen Welt’ aufgewachsen seid, jedoch immer Eure Liebsten um Euch hattet. Diese Freuden kann ich Euch nicht garantieren.”

Noch einmal blickte der Wirt in Richtung des Tisches. Als er sah, dass die beiden weiterhin miteinander redeten, wandte er sich jedoch sofort wieder seinen anderen Gästen zu. ‚Wenn der hohe Herr einen Wachhund für sein Töchterchen braucht, dann soll er doch selber auf sie Acht geben. Ich habe noch andere zahlende Gäste, die meine Aufmerksamkeit benötigen‘, dachte er. Falls der Lützeltaler fragte, was alles vorgefallen sei, könnte er ja durchaus mit Fug und Recht sagen, die beiden hätten, soweit ER es gesehen habe nur geschwätzt. „Wenn die beiden noch etwas brauchen, werden die sich schon melden“, sagte er zu seiner Schankmagd. Sollen die sich doch in Ruhe beschnuppern, es ist ja nicht seine Tochter.

Gwenns Augen weiteten sich. „Und Ihr habt all diese Gegenden bereist? Gerne würde ich da auch mitfahren. Aber nicht überall hin. In den Norden möchte ich nicht, da soll das Land so rau und kalt sein. Mich interessiert eher der Süden. Ich habe gehört, gen Praios soll es Land geben, wo die Menschen vollkommen unbekleidet herumlaufen, weil es so warm ist. Stimmt das? Habt Ihr dieses Land auch schon bereist?“ Die Schamesröte stieg Gwenn ins Gesicht, und sie wedelte sich mit einem Tuch wie mit einem Fächer etwas Luft zu. War diese Geste nur gespielt?

“Ja”, schmunzelte Rhodan. “Die Geschichten sind wahr und auch dort war ich bereits - auch wenn es dort neben Hitze und nackten Menschen auch ziemlich vieles Kriechgetier und Stechmücken gibt.” Er erinnerte sich nur zu gut, wie seine wertvolle Kleidung an seinem Leib klebte und er einen Mückenstich nach dem anderen aufkratzte. Nicht die beste Erinnerung. Noch dazu war das Geschäft schlecht - außerhalb Al’Anfas natürlich.

„Ach ja, die Familie um sich zu haben, ist eine Wohltat. Doch seit ich hier am Hofe arbeite, ist mir dieses Glück nur selten zuteil. Hier gibt es aber immer so viel zu tun, da fällt das gar nicht zu sehr auf. Zum Glück kommt mich Gudekar ab und an besuchen, wenn er in der Stadt ist. Dann kommen wir oft einen Trunk hierher und Gudakar erzählt mir von daheim oder Geschichten aus der weiten Welt. Wie damals, nach der Hochzeit im Schweinsfoldischen, auf der er war.“ Sie hielt einen Moment inne. „Macht Euch um meine Einsamkeit keine Sorgen, wenn Ihr auf Reisen gehen müsst. Ich habe mich ja dann um unsere Kinder zu kümmern, die sehnsüchtig auf Eure Rückkehr warten werden. Das wird mir Ablenkung genug sein. Ihr wollt doch eigene Kinder?“

Der massige Händler nickte aus Überzeugung. Von den Waisen, die er auf dem Hof aufgenommen hatte, würde er ihr erst bei Zeiten erzählen, schließlich handelte es sich um besondere Kinder, sofern dieser Begriff überhaupt geeignet war.

„Erzählt mir von Euren Geschäften. Womit handelt Ihr?“ Gwenn schaute Rhodan an. Ihr Blick verriet, dass sie am Inhalt seiner Antwort nicht wirklich interessiert war. Vielmehr wollte sie seiner Stimme lauschen. Das merkte Rhodan und missbilligte es. Fragen, die man nicht stellen musste und nicht stellen wollte, sollte man nicht stellen - zum einen offenbarte man damit ungewollt Information, zum anderen war es ineffizient. Dennoch ließ er sich nichts anmerken. Er würde sie schon noch von der Schönheit seines Geschäfts zu überzeugen wissen. “Ich handle mit den schönen Dingen, mit Genuss und Glanz: Das Haus Mersingen hat in Rosenhain eine groß angelegte Rosenzucht. Aus diesen Rosen wird seit Jahrzehnten in einer eigenen Ölmühle ein öliges Substrat gewonnen. Wenn Ihr so wollt, dann verkaufe ich Rahjas Freuden konzentriert und in ein kleines Fläschchen verpackt.” Rhodan nestelte an der Innentasche seines Wamses. Wie immer, und selbstverständlich an diesem Tag, nachdem er ja eigentlich geschäftlich unterwegs war, trug er eine Probe seiner Ware bei sich. In einer kleinen Glasphiole, kein Viertelschank fassend, befand sich eine klare, ölige Flüssigkeit, die einen leichten Rosa-Schimmer offenbarte, wenn man sie gegen das Licht hielt. Auf der langhalsigen Flasche war ein unscheinbarer Korken aufgesteckt. Ansonsten war die Flasche weder verziert noch mit einem Etikett versehen. Achtsam stellte der große Mann das Gefäß auf den Tisch. Sollte der Wirt denken, er würde hier seinen ‘eigenen Klaren’ auspacken, na und? Rhodan entkorkte das Fläschchen und sofort breitete sich im gesamten Schankraum ein lieblicher, intensiver Rosenduft aus. Er verdrängte die Küchengerüche und den Schweiß der trinkenden und schuftenden Männer und Frauen. “Das, meine Liebe, ist mein Geschäft.” Der Händler lächelte stolz und gewinnend.

„Oh, was für ein betörender Duft. Schon oft habe ich den Geruch von Rosen wahrgenommen, doch noch nie in solcher Intensität. Wie schafft Ihr es, einen solches Aroma in eine Flasche zu bannen?“ Gwenn wirkte aufrichtig erstaunt, überrascht. Ihr Interesse war geweckt. “Als wäre es ein magisches Elixier, von meinem Bruder gebraut, so verzaubert fühlen sich meine Sinne. Ja, wahrlich, es scheint, als hätte Rahja selbst Ihren Atem verströmt.“ Gwenn wurde ganz warm und sie öffnete unbewusst ein wenig ihren Kragen. „Und mit diesem Wunder verdient Ihr Eure Dukaten?“ Rhodan lachte leise. “Die Herstellung ist ein Berufsgeheimnis. Aber im Wesentlichen kann ich verraten, dass wir sehr viel Rosenblüten brauchen. Mit sehr viel meine ich überbordend viel.” Der Händler verkorkte die Flasche umgehend, denn der Duft konnte verfliegen, ließ man die kleinen Flacons zu lange offen. “Das ist unsere Haupteinnahmequelle. Seit einigen Monden versuchen wir jedoch das Portfolio um andere Genussmittel zu erweitern. Wir haben im letzten Jahr eine gute Yaquirtaler-Ernte eingekauft und den Wein mit Rosenblüten versetzt. Das daraus gewonnene Getränk mag vielleicht nicht jederManns Sache sein, jederFrauens Sache jedoch allemal. Ich mag unseren Blütenwein! Als nächstes Projekt plane ich Beerenweine und Spirituose, doch der Ausfuhr von geistigen Getränken bereitet meinem Herrn noch zollrechtliche Kopfschmerzen.”

„Diesen Rosenwein würde ich auch gerne probieren.“ Gwenn nahm einen Schluck des Weins, der vor ihr stand, und versuchte sich vorzustellen, wie dieser mit Rosenduft versetzt schmecken würde. Doch dies wollte ihr bei diesem Gesöff einfach nicht gelingen. „Doch verschont mich mit den monetären Fragen. Davon verstehe ich nicht viel, da kennt sich mein Vater besser aus. Erzählt mir lieber von Eurem Rosenhain. Er muss im Rahjamond wundervoll sein…“ Gwenn seufzte sehnsuchtsvoll.

“Ja, absolut. Der Garten gehört zu einem der schönsten Fleckchen Deres. Wenn die Rosen blühen und die Bienen von Blüte zu Blüte wandern, dann meint man, man ist in Rahjas Paradies.” Rhodans Blick schweifte tatsächlich ein wenig ab und man sah, dass der feiste Mann in der Schönheit dieses Ortes aufging. “Aber meine Worte werden dem nicht gerecht - eine Beschreibung noch des begabtesten Poeten auf dieser Welt wäre nicht in der Lage, diesen Eindruck einzufangen. Ihr müsst ihn mit eigenen Augen sehen.”

Erneut seufzte Gwenn, diesmal noch tiefer. “Oh ja, sehr gerne würde ich mir die Rosen anschauen und mich von ihrem Duft betören lassen.” Gwenn schwieg.

“Was hält Euch davon ab?”, erwiderte er nonchalant.

“Oh, früher war es mein Vater, der unsere Familie lieber zusammen im Lützeltal gesehen hat, als dass wir in der Welt umher wandeln. Er meint immer, die Heimat sei doch der bester Fleck auf dem Dererund. Und um die Heimat zu erhalten, muss man auch dort bleiben und hart arbeiten. Nur dann gehe es dem Lehen gut und die eigene Zukunft sei gesichert.” Gwenn nahm einen kleinen Schluck Wein, um ihre Lippen zu befeuchten. Dann überlegte sie. “Tja, und nun, als Dame am Hofe gibt es auch wenige Gelegenheiten, Albenhus zu… entkommen. Irgendjemand muss sich ja um all die Dinge kümmern, die am Hofe Ihres Hochgeborenen so anfallen. Da kann man ja nicht so einfach mal auf reisen gehen, wie es einem gefällt.” Gwenn nahm noch einen Schluck, diesmal einen kräftigeren. “Vielleicht kann ich euch ja begleiten? Könntet Ihr nicht meinen Vater davon überzeugen?”

“Ich denke, als meine Verlobte sollte sich das schicken. Meines Erachtens wird Euer Vater - und Eure Lehensherrin - nicht umhinkommen, Euch sodann meiner Verantwortung zu übergeben.”

Bei dem Wort “Verlobte” ging ein Strahlen in Gwenns Augen auf. “Ihr seid ein wunderbarer Mann!” Gwenn lächelte.

“Hui, hui, nicht so schnell!” Rhodan hob beschwichtigend die Hände. “Zwar schmeichelt Ihr mit mit Euren Worten, doch müsst Ihr Euch in Acht nehmen, nicht zu schnell über andere zu urteilen. Manch aufrichtig erscheinender Herr entpuppt sich als Wüstling und manch unscheinbares Wesen zu einem wahren Schatz. In meinem Beruf ist dieses Wissen Mindestausstattung. Vielleicht kann ich Euch da noch den einen oder anderen Kniff lernen.”

“Ich werde gewiss eine gelehrige Schülerin sein! Doch glaubt mir, wenn man hier am Hofe wirkt, bekommt man auch das eine oder andere mit, was man sich bei uns im Tale nicht vorstellen mag.” Rhodan nickte bedächtig - etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Wenn mindestens zwei Nordmärker Adelige aufeinandertrafen...

Hier begann das Geschachere

Die Tür des Schankraums öffnete sich und Friedewald kam herein. er zog eine Mädchen, nein vielmehr eine junge Frau mit sich, die offensichtlich keine Lust darauf hatte. Die Junge Frau protestierte lauthals, doch die genauen Worte waren vom Tisch aus nicht zu vernehmen. Rhodan erkannte das junge Ding wieder, auch sie hatte am Pelura-Turnier teilgenommen. Sie was als rechter Wirbelwind aufgefallen.”... Ich habe aber gar keinen Hunger!” war schließlich trotz des Trubels in der Schankstube zu vernehmen, als die beiden die Tür durchquert hatten.

An die Widerspenstige gerichtet konnte man Friedewalds Entgegnung nun auch vernehmen, obwohl er bemüht war, dies zu vermeiden. “Mika, benimm dich jetzt gefällig vor unserem Gast! Er könnte vielleicht, wenn wir Glück haben, bald schon dein Schwager sein!”

“Ja Vater, ist ja gut!” Mika schüttelte den Griff Ihres Vaters ab, richtete provisorisch ihr Kleid und ihr Haar und ging mit trotzigen Schritten auf den Tisch zu. Gwenn lief peinlich berührt rot an.

“Travia zum Gruße, werter Herr!” sagte Mika betont freundlich zu Rhodan und machte einen übertrieben tiefen Knicks. Dann zog sie einen Stuhl zu sich, wobei sie ihn deutlich poltern ließ, und fläzte sich vollkommen undamenhaft darauf. Sie nahm sich einen Becher, goss sich Wein ein und trank den Becher in einem Zug mit lautem Glucksen bei jedem Schluck aus. “Mika! Wo sind deine Manieren, die ich dir beigebracht habe?” wieß Gwenn das Mädchen zu recht. Dann an Rhodan gewandt: “Meine Schwester Mika. Entschuldigt bitte ihr benehmen!” Friedewald holte tief Luft, um sich zu beruhigen und setzte sich dann wieder auf seinen Platz. Er hatte den Blick eines besorgten aber ein wenig überforderten Vaters. “So, Herr Rhodan, ich hoffe, Ihr habt euch gut mit meiner Tochter unterhalten können? Und, könntet Ihr einen Bund mit unserer Familie,” (er betonte das Wort Familie etwas schärfer als gewollt und schaute dabei Mika böse an, als ob er ihr sagen wollte: ‘Vermassel uns ja nicht das Geschäft!’), “den Traviabund mit Gwenn in Betracht ziehen?”

Rhodan betrachtete das Verhalten der jungen Mika ungerührt. Ein wenig Widerstand konnte jede Adelsfamilie vertragen. Die junge Dame war ersichtlich von der wilden Sorte. Nichts, für das man sich schämen musste. “Auch Euch die Herrin Travia und ihre Geschwister zum Gruße, junge Dame. Habt Dank, Herr von Weissenquell. Eure Tochter Gwenn ist eine vorzügliche Gesellschafterin. Sie kann sich für viele Sujets begeistern. Es wäre mir eine Freude, sie zur Braut nehmen zu dürfen.”

Gwenn schaute ihren Vater, glücklich und hoffnungsvoll an.

Friedewald schaute ebenfalls zufrieden. “Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich bin überzeugt, Ihr habt eine gute Wahl getroffen. Gwenn wird eine wunderbare Ehefrau sein.” Er schaute Gwenn liebevoll-väterlich an. Mit einem nicht ganz so freundlichen Blick zu Mika ergänzte er: “Ich wünschte dies von all meinen Kindern sagen zu können.”

Mika ignorierte die Bemerkung ihres Vaters und nahm sich nun die Schale mit dem Eintopf, die der Wirt auch ihr hingestellt hatte, und begann, sich die Suppe betont undamenhaft in den Mund zu schaufeln. ‘Vielleicht’, dachte sie, ‘ kann ich ja gleich wieder gehen, wenn ich schnell gegessen habe.’ Die nun sicherlich folgenden Verhandlungen wollte sie sich gewiss nicht antun.

Dann setzte Friedewald mit einer ernsteren Mine an. “Doch nun sagt, werter Herr Rhodan, was ist euch eine Verbindung mit unserem Hause wert? Was habt ihr Gwenn zu bieten?” Der ältere Edle deutete mit einer ausholenden Geste auf die Reste der Speisen und Getränke, die noch auf dem Tisch standen. “Seht, hier auf der Tafel vereinigen sich all die Dinge, die unser gutes Lützeltal zu bieten hat: Getreide für das Bier und Brot, Linsen und Gemüse für den Eintopf, Fleisch von unserem Vieh, um ein Mannsbild ordentlich bei Kräften zu halten. Die Rinder geben uns die Milch, die unsere Bauern in vorzüglichen Käse zu verwandeln wissen.” Er griff nach dem Krüglein mit dem grünen Kräuterschnaps und goss noch einmal ein. “Der Wald liefert ebenfalls seinen Teil: Das Holz zum Bauen, Wildbret für die Tafel und natürlich die Kräuter, die wir brauchen, um dieses wohltuende Albenbluth zu brennen.” Friedewald hob den Becher, prostete Rhodan zu und kippte den Schnaps in einem Zug herunter. “Also, ihr seht, unser Tal schenkt uns alles, was der Mensch zum Leben braucht. Und davon sicherlich zur Genüge. Aber das war es auch. Die wahrlich schönen Dinge, von denen viele hier in der Stadt behaupten, sie machten das Leben erst lebenswert, die findet man bei uns wohl nicht.” Friedewald schaute nicht so, als ob er persönlich wert auf all dieses unnütze Zeug legte, aber er wusste auch, dass genau solche Waren den Unterschied zwischen ‘gut über die Runden kommen’ und ‘aufsteigendem Wohlstand’ bedeuteten. “Ich sorge mich, dass meine Kinder mehr von Ihrer Zukunft erwarten. Zu oft haben sie die Luft der weiten Welt geschnuppert, um mit dem zufrieden zu sein, was wir bisher erreicht haben. Dies ist wohl die Kehrseite des Talers, wenn man seine Kontakte bis in den Herzogenhof aufbaut. Aber so ist das nun. Deshalb frage ich noch einmal: Welchen Nutzen kann das Haus Weissenquell aus einer Liaison mit Euch ziehen?”

Rhodan lauschte den Ausführungen des Vaters seiner zukünftigen Braut zufrieden. Der Mann führte aus, was seine Familie an Schätzen bewahrte und schließlich stand es zunächst einem Brautvater an, eine Mitgift für seine Tochter zu löhnen - schließlich wollte die Frau im Regelfall versorgt werden, was zulasten des Säckels des Bräutigams ging. Offensichtlich hatte das Haus Weissenquell, wenn auch ländlich gelegen, einträgliche Ländereien. “Eure Sorge um Euer Haus, Euer Lehen und vor allem um Eure Kinder ehrt Euch!” Der Händler prostete seinem Gegenüber darauf aufrichtig zu. “Deshalb sei Euch eines versichert: Eurer Tochter wird es in meinem Hause an nichts mangeln. Mein Beruf bringt die Notwendigkeit vieler und manchmal weiter Reisen mit sich. Zwar sehe ich den Hintergrund Eurer Befürchtung, Eure Kinder mögen vielleicht in die Ferne schweifen, wo sie doch alles Gute und Schöne vor den Füßen liegen haben. Allerdings kann ich Euch beruhigen: Man lernt eine Heimat gerade dann besonders zu schätzen, wenn man den Luxus von Heim und Herd gerade nicht genießen kann. Ein Ausflug ins Ungewisse hier und da mag spannend und bereichernd sein. Doch wenn wir ehrlich sind, sehnt sich jeder und jede von uns auf einer Reise danach, wohlbehalten zuhause anzukommen.” Dabei blickte er kurz Gwenn an und man konnte für einen Moment den Eindruck gewinnen, dass auch Rhodan gerade ‘zuhause ankam’. “Nun ist zwischen dem Albenhuser Land und dem Isenhag, wo das Gut meiner Herren beheimatet ist, zwar ein gutes Stück des Weges, doch muss man nicht einmal den Dererund durchqueren, um Rosenhain zu erreichen. Ich will damit sagen: Eure Tochter wäre nicht aus der Welt und zugleich hätten Eure Söhne”, daraufhin bedachte er die junge Mika mit einem Seitenblick, “und nach Eurem Wunsch und Willen auch Eure jüngste Tochter einen Anlaufpunkt, wenn sie ‘mal raus müssen’ aus Eurem wunderschönen Tal. Ach ja: In Rosenhain geht es auch nicht gar so rund wie am Herzogenhof. Die Herren von Mersingen achten auf Ordnung und Anstand.” Man konnte dem Händler ansehen, dass er selbst geruhsame, geordnete Verhältnisse vorzog, auch wenn er seinem Gegenüber gestattete, zu bemerken, dass die Familie von Mersingen in seinen Augen Zucht und Ordnung schon etwas sehr genau nahm. Er verschränkte die Hände und wartete eine Erwiderung des Adeligen ab.

Die Worte des Händlers klangen wie Musik in Friedewalds Ohren. Wenn sich dieser Mann nicht vollkommen zu verstellen wusste, dann hatte es Friedewald wohl kaum besser für seine Gwenn treffen können. Ein Mann, der den heimischen Herd verehrt und das Reisen lediglich als notwendiges Übel sieht, das wäre ein Schwiegersohn nach seinem Geschmack. Und einen Fuß in der Tür des Hauses Mersingen zu haben, wäre ja durchaus nicht zu verachten. Auch wenn dieser Mann nur ein Handlanger der Mersinger sein sollte, so würde es Gwenn sicherlich verstehen, von dort aus mit den wirklich wichtigen Leuten ins Gespräch zu kommen, wenn dies von Vorteil wäre.

“Wohl denn. Ich denke, mein Edelstein”, er schaute Gwenn an, “ist bei euch in guten Händen. Ihr werdet merken, dass meine Gwenn wie ein roher Diamant ist. Zunächst unscheinbar, doch wenn ihr erst der richtige Schliff verpasst wird, sicherlich ein unschätzbarer Juwel!”

Gwenn erschrak bei diesen unerwarteten Worten Ihres Vater und verschluckte sich dabei ein wenig an einem Schlucken Wein, den sie gerade nehmen wollte. Sie musste notgedrungen Husten und rang kurz nach Luft, konnte sich aber schnell wieder beherrschen. “Ach Vater! Was du immer sagst!”

Der Edle schaute seien Gast an und neigte den Kopf etwas zur Seite. “Nun, Herr Rhodan, sicherlich habt auch Ihr das eine oder andere Begehr. Was erwartet Ihr von einer Verbindung?”

Der Händler wirkte ausnehmend zufrieden. “Ich hoffe, Euren Erwartungen und Euren besten Wünschen für Eure Tochter gerecht werden zu können. Schließlich haben wir hier das gleiche Ziel. Aber so ganz teile ich Eure Einschätzung Eurer Tochter nicht: Als ungeschliffen würde ich sie nicht bezeichnen - hier und da mag es das ein oder andere geben, das sie im Leben noch zu lernen bedarf, aber darüber hinaus zeigt sie ein vorbildliches, ausnehmend respektables Betragen. Aber selbstverständlich möchte ich nicht, dass sie in meinem Hause die Vorzüge ihrer Heimat missen muss. Ich könnte mir deshalb vorstellen, dass es auch in ihrem Interesse ist, ihr einiges Geschmeide und ans Herz gewachsene Kleider mitzugeben, um ihr die Eingewöhnung zu erleichtern.”

Friedewald verstand. War dies alles, was der Herrenfelser verlangte? Oder hielt er als geschickter Kaufmann seine Forderungen erst zurück? Andererseits stand es einem bürgerlichen auch nicht an, eine zu hohe Mitgift zu verlangen. “Selbstverständlich bringt Gwenn eine angemessene Aussteuer mit nach Rosenhain. Ihre Garderobe, Bett- und Tischwäsche, all dies hat sie schon lange bewahrt und gepflegt, auf dass es einst ein gemütliches Zuhause richten kann. Auch ein Gedeck von Valluser Veilchen nennt sie ihr eigen, um in eurem Heim Gäste empfangen zu können. An Geschmeide hat Gwenn sicherlich nicht so viel zu bieten, wie die Damen aus dem Hause Mersingen es sicherlich vorführen. Aber ein schönes Erbstück von Ihrer Mutter ziert durchaus Gwenns Hals zu entsprechenden Anlässen, selbstredend mit passenden Accessoires abgerundet. Was meint Ihr?”

“Das klingt wohlfeil”, antwortete Rhodan und war ausnehmend froh, selbst um eine Zahlung herumgekommen zu sein - denn dies wäre zum Problem geworden. “Glaubt mir, Eure Tochter wird auch ohne entsprechender Klunker strahlen. Im Hause Mersingen trägt man im Übrigen mit Vorliebe schwarz und kaum Schmuck auf - dies sei nicht borongefällig heißt es immer. Losgelöst von der Eheschließung würde ich mich natürlich sehr freuen, wenn wir anderweitig ins Geschäft kommen könnten. Vielleicht habt Ihr Interesse am Bezug unseres jungen Weines versetzt mit Rosenblättern. Ein vorzügliches Getränk! Gerne bin ich bereit, im Gegenzug bei der Herrschaft vorzusprechen, wenn Ihr ein Gut habt, dessen Absatz Ihr andenkt. Der Transport von Bauholz mag vielleicht etwas mühsam sein, doch das eine oder andere Stück Vieh könnte angekauft werden.” Friedewald musste herzhaft lachen, dass Ihm die Tränen in die Augen stiegen. Verständnislos schaute Gwenn ihn an. “Oh entschuldigt, aber bei der Erwähnung des Viehs kam mir ein Gedanke, den mir nur ein Schelm ins Ohr geflüstert haben kann.” Er rieb sich die Tränen aus den Augen und nahm einen Schluck Bier, um sich zu beruhigen. Schließlich wischte er sich den Schaum aus dem Bart. “Ihr müsst wissen, einen Teil der Aussteuer meiner Tochter hatte ich noch nicht erwähnt. Sie sollte nämlich zwei Jungsäue und fünf Ziegen erhalten, um gut versorgt zu sein.”

“Was Vater? Und was soll ich damit tun?” Gwenn war aufrichtig empört.

“Naja, jedenfalls kam mir gerade die Vorstellung in den Sinn, wie das Vieh bei Euch in den Rosengärten weidet, wie die Ziegen die Rosensträucher nieder fressen und die Schweine mit den Rosenblüten um die Gunst der Nasen der Besucher im Garten buhlen.” Erneut konnte Friedewald vor lachen nicht an sich halten und prustete los.

Rhodan stimmte in das Lachen seines zukünftigen Schwiegervaters ein. “Oh je, oh je, das wäre mein Ruin! Das werde ich auf jeden Fall zu verhindern wissen. Aber ja, die Vorstellung ist sehr belustigend!”, japste Rhodan außer Atem. “Ansonsten ist gegen Schweine und Ziegen nichts, aber auch gar nichts einzuwenden!”

Nun fielen auch Gwenn und Mika in das Gelächter mit ein, so dass sich die anderen Gäste im Wirtshaus nach dem Tisch des Edlen umsahen. Gwenn fiel ein Stein vom Herzen, dass ihr - jetzt konnte man ihn wohl zu Recht so nennen - Zukünftiger auch Humor verstand, sogar den herben Humor ihres Vaters. Und der war nun wahrlich nicht stets gesellschaftsfähig.

Man ist sich einig

“Kommt her, mein Sohn!” Friedewald stand auf, beugte sich zu Rhodan und zog ihn an seine Brust. Dann ließ er ihn wieder los. “Ich bin mir sicher, Ihr findet auch andere Verwendung für das Vieh. Lasst uns alle gemeinsam anstoßen. Wirt! Bringe er noch eine Kanne Wein, aber diesmal bitte wirklich euren Besten! Und eine Runde Bier für das Volk!” Dann sprach er er wieder zu Rhodan, während er auf den Wein wartete: “Gut, ich denke, wir werden uns einig. Über Handel zu reden, mag der der richtige Zeitpunkt mit Sicherheit kommen. Heut ist er nicht. Auch den richtigen Termin für den Traviabund festzulegen, muss wohlbedacht sein, damit eine solche Feier weder die Arbeit auf dem Gut noch eure Geschäfte stört. Ihr müsst dies sicherlich erst mit eurem Herrn abklären. Heute ist der Tag der Rahja. Lasst sie uns ehren, indem wir den Abend mit dem richtigen Tropfen genießen!”

“Vater, darf ich dann wieder in den Tempel zurück, um mir die dortigen Feierlichkeiten anzusehen?” Mika wusste die Gunst der Stunde zu nutzen.

“Na gut, Mika mein Schatz. Aber bleib schön brav! Und sei spätestens bei Sonnenuntergang wieder zurück im Gasthaus!” “Ja, sehr wohl, Herr Vater! Macht’s gut, lieber Schwager!” Mit einem - diesmal gehörigen - Knicks verabschiedete sich Mika von Rhodan und verließ vergnügt und glücklich hüpfend das Gasthaus. Gwenn schaute ihr schmunzelnd nach und dachte: ‘Na, ob sie wohl wirklich brav bleibt? Aber soll sie doch an diesem Festtage Rahja ehren. Alt genug ist sie ja, auch diesen Göttinnendienst zu erlernen.’ Der gedrückte und geherzte Rhodan, überraschend, aber zufrieden zukünftiger Ehemann und Schwiegersohn, stieß mit seinem Schwiegervater in spe freudig auf den glücklichen Tag an. “Mögen die Götter - insbesondere die lieblichen Göttinnen - es so fügen, wie Ihr es prophezeit.” So bot der große Mann seinem Gegenüber die Hand zum Handschlag an, mit dem es gute Tradition war, eine jede Abmachung zu besiegeln, zur Freude des Herrn Phex und aller Zwölfe.

Friedewald schlug ein und ergriff auch mit der Linken den Unterarm des Bräutigams. Kräftig, aber nicht zu kräftig drückte Friedewald zu und sah seinem Gegenüber dabei freundlich, aber prüfend in die Augen. Gwenn ergriff mit Ihren Händen den Handschlag der beiden Männer, als wollte sie verhindern, dass einer von beiden im letzten Moment doch noch einen Rückzieher macht. “Ich danke euch beiden. Ihr macht mich gerade zur glücklichsten Frau auf Dere! – Wann darf ich mein neues Zuhause sehen?”

“Moment, moment, junge Dame. Zunächst müssen wir beim gräflichen Hof vorsprechen und um die Freistellung von deinem Dienst bitten.”

“Allerdings.” Rhodan nickte, das hatte er vergessen. “Dennoch wird dies eine reine Formalie sein. Wenn Ihr gestattet, Herr von Weissenquell, würde ich Eure Tochter sodann unmittelbar nach Rosenhain geleiten, damit sie Gelegenheit bekommt, sich ihr neues Heim anzusehen, bevor sie förmlich den Hausstand des Vaters verlässt. Es ist ihr gutes Recht, sich einen solch gravierenden Schritt noch einmal zu überlegen. Ich stehe zu meinem Wort: Ein gegebenes Versprechen ist mir heilig. Doch bin nicht ich es, der sein Zuhause verlassen muss.”

“Nun ja, ähm, schon.” Nun war es dem Edlen doch ein wenig mulmig. Sollte er seine Tochter einfach so mit einem ihm doch weitestgehend unbekannten Mann mitgehen lassen? Also, vor der Hochzeit?

“Ach bitte Vater! Rhodan hat doch Recht. Ich muss mir Rosenhain ansehen.” Der Tonfall in ihrer Stimme machte deutlich, dass sie hier keinen Widerspruch duldete. “Du könntest mich doch begleiten, Vater?”

“Oh nein, mein Kind! Ich kann Lützeltal jetzt nicht verlassen. Nicht zu dieser Zeit. Zuviel ist gerade zu tun auf dem Gut. Und Kalman kann ich auch gerade nicht ziehen lassen. Aber eigentlich ist das gar keine so schlechte Idee. Gudekar könnte mit dir gehen. Er hat doch den Herrn Lares von Mersingen bereits kennengelernt. Dann könnte er doch alles notwendige mit dem Herrn besprechen.” Der Edle wandte sich wieder an seinen zukünftigen Schwiegersohn. “Was haltet ihr davon?” Friedewald hielt das für eine gute Idee. Ihm war schon klar, dass er Gwenn nun ziehen lassen musste. Doch wenn Gudekar sie begleitete, wäre jemand aus der Familie dabei, der ein wachendes Auge auf sie werfen konnte. Und Gudekar war in seinen Augen dafür durchaus abkömmlich. So konnte der endlich auch etwas für die Familie tun, anstatt immer nur hinter den Klostermauern zu hocken.

“Vortreffliche Idee. Herr Lares und sein Vater, Herr Ernbrecht, werden nichts dagegen haben. So ist dies beschlossene Sache.”

“So sei es!” Friedewald schaue zufrieden, während er Gwenns Hand drückte, beinahe schon wie zum Abschied. Er würde seine Tochter vermissen, auch, wenn er sie schon seit langen nur noch selten gesehen hat, seit sie am gräflichen Hof wirkte.

Zutiefst lächelnd rutschte Gwenn ein Stück näher an ihren zukünftigen Gatten heran. der Traviabund würde kommen. Das war gut! Sie würde endlich ihren Platz auf dem Dererund finden. Doch heute war heute. Und war heute nicht der Tag, an dem man der göttlichen Rahja huldigen sollte?