Auf Feldertrutz

Auf Feldertrutz

Ort: Motte Feldertrutz in der Baronie Witzichenberg

Personen der Handlung:


Motte Feldertrutz, Baronie Witzichenberg, 08. Ingerimm 1045 BF

Es war schon spät am Abend und bereits dunkel. Lara hatte es sich in der Schreibstube des Kommandanten bequem gemacht. Eigentlich wurde die Kammer von ihrem Gefährten Frodebrand Efferdlieb von Harthals-Schwarzklamm genutzt, der als Interimskommandant auf der Motte eingesetzt war, nachdem der letzte Kommandant bereits nach kurzer Zeit seine Demission eingereicht hatte. Die Baronin Melinde hatte versprochen, dass sie bald einen Nachfolger finden würde, der das Kommando auf der Motte übernehmen sollte. Jetzt waren sie schon seit gut acht Monden auf der Motte und Frodebrand hatte den Wiederaufbau überwacht, der nun nach mehreren Götterläufen kurz vor seiner Vollendung stand. Von einem Nachfolger war nicht einmal der Hauch eines Schattens in Sicht. Lara seufzte und vermisste ihr behagliches Haus im Dorf Witzichenberg.

Jetzt saß sie hier auf der Motte und fror, weshalb sie von ihrer Schreibstube in die des Kommandanten umgezogen war, weil es hier einen Kamin gab. Auf ihre Anweisung hin hatte Brumholda Bronnentor, die Burgmeierin, höchst selbst Feuer gemacht. Dabei hatte die Angroschna jedoch die ganze Zeit über die Verschwendung gemurrt. „Feuer im Ingerimm – so eine Verschwendung!“ „Egal“, dachte Lara. „Mir ist kalt und solange Frodebrand noch auf Patrouille ist, gehe ich nicht zu Bett!“ Sie hatte sich ihr Schreibpult und ihre Mappe mit den Unterlagen mitgebracht, um im Schein von mehreren Kerzen noch zu arbeiten. Über die Menge der Kerzen hatte Brumholda auch gebrummt. „Brummige Brumholda“, sang Lara leise vor sich hin. Auf ihren Text konnte sie sich nicht konzentrieren.

Sie stand auf und ging zum Fenster, welches sie trotz der Kälte öffnete und hinausblickte, in der Hoffnung die Patrouille zurückkehren zu sehen. Das Madamal war erst vor wenigen Tagen voll gewesen und so spendete es jetzt noch einiges an Licht. Lara blickte auf die Reichsstraße, wo sich nichts rührte. Lara glaubte, ihren Augen nicht zu trauen, als erste zarte Flocken auf die Fensterbank fielen. „Schnee? So kalt ist es nun auch wieder nicht, oder doch?“, dachte sie bei sich. Sie ging zur Tür und rief nach Frau Bronnentor, doch sie erhielt keine Antwort und nichts rührte sich. „Wahrscheinlich ist sie bereits zu Bett gegangen. Es ist ja schon die nächtliche Praiosstunde.“ Lara ging zurück zum Fenster. Der Schneefall hatte zugenommen. Wo blieb nur die Patrouille? Lara seufzte erneut, schloss den Fensterladen und wickelte sich in eine Decke. An Arbeiten war nicht zu denken, sie starrte ins Feuer. Eine Windböe fegte durch den Schlot und fachte das Feuer an. Ein unheimliches Ächzen erklang. Lara zuckte zusammen und versuchte festzustellen, woher das Geräusch kam. „Von überall her“, dachte sie. „Als ob es aus den Mauern dränge!“ Sie stand auf und öffnete die Tür. Nichts war zu sehen, aber das Ächzen und Knarren ließ nicht nach. Sie rief nach Brumholda, aber erhielt keine Antwort. Sie schloss die Türe und ging nochmal zum Fenster. Als sie den Laden öffnete, riss der Wind ihn ihr aus der Hand. Draußen tobte ein heftiger Schneesturm. „Oh Götter! Die Patrouille ist da draußen!“ Aus Leibeskräften schrie sie: „Frodebrand! Frodebrand!“. Doch der Wind übertönte ihre Rufe, zerfetzte ihre Schreie, und trieb ihr eisige Schneeflocken ins Gesicht. Mühsam zerrte sie an dem Laden und nach einer Weile konnte sie ihn wieder schließen. Sie lief in ihr Schlafgemach, wo sie sich warme Kleidung anlegte. „Da muss etwas Unheiliges am Werk sein!“, dachte sie und lief nach unten, auf der Suche nach Brumholda. Sie fand sie nicht. Auch die Küche war verlassen und das Herdfeuer erloschen.

Lara ging auf den Hof hinaus. Zwar tobte hier der Wind nicht ganz so heftig, aber der Schnee fiel so stark, dass Lara kaum etwas sehen konnte. Sie versuchte, zu der Wache am Torhaus zu gelangen, aber sie kam durch den Schnee, der schon gut einen Schritt hoch war, kaum durch. Der Wind heulte und jaulte und das Ächzen der Motte – ja, es war die Motte, die dieses Geräusch von sich gab – nahm an Intensität zu. Lara verlor kurzfristig die Orientierung, fand sich in dem kleinen Areal des Hofes nicht mehr zurecht, sie sah nur noch weiß. Ihr schwindelte und sie sank auf die Knie. Plötzlich sah sie Schemen, menschliche Gestalten, die zu den Ställen liefen. „Hilfe! Helft mir doch!“ Doch niemand reagierte auf ihre Rufe. Sie krabbelte durch den Schnee, und versuchte wieder ins Haus zu gelangen, doch ihre Kraft verließ sie und sie sank zu Boden. Mit letzter Kraft wälzte sie sich auf den Rücken. Schnee, Schnee und noch mehr Schnee. Sie schloss die Augen, die von Kälte und Wind brannten. Immer lauter wurde das Stöhnen und Ächzen der Motte. „Gleich ist es soweit! Dann bricht hier alles zusammen! Herr Boron, nimm‘ Dich meiner Seele an!“ Dann hörte sie es Knirschen und die Gebäude um sie herum begannen einzustürzen. Das letzte, was sie hörte, was das Rauschen von mächtigen Schwingen. „Golgari…“, war Laras letzter Gedanke, dann umfing Schwärze sie.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem Hof der Motte. Über ihr funkelten die Sterne an Phexens Firmament. Alles war ruhig und friedlich. Kein Sturm tobte und nirgends war eine Schneeflocke zu sehen. Die Motte stand unversehrt da, ohne Ächzen und Dröhnen. Lara erhob sich mühsam, klopfte sich den Staub von Haaren und Kleidern und ging steifbeinig ins Haus zurück. In der Küche holte sie sich einen Becher Branntwein, denn sie war vollständig durchgefroren. Erschöpft schleppte sie sich an ihr Kaminfeuer zurück. In mehrere Decken gehüllt, trank sie langsam ihren Becher aus, während sie in die Flammen blickte. Langsam überkam sie eine Ahnung, was sie da erlebt hatte. Sie hatte darüber sogar geschrieben. Im strengen Winter 1028 BF, als der Herr Firun Gratenfels in eisigem Griff hielt, war die Motte in einem verheerenden Schneesturm zerstört worden. Ihr Onkel Galan Phexhilf von Siebenstein, Vogt von Kefberg, war damals mit der Verwaltung der Motte beauftragt, denn auch vor 13 Jahren hatte der Motte ein Kommandant gefehlt. Er hatte ihr berichtet, wie er aus Kefberg angeritten kam, im hohen Schnee nicht mehr vorankam, und mit eigenen Augen sehen musste, wie die Motte zerbarst. Einige Bewohner und etwas Vieh konnten gerettet werden, aber nicht alle. Obwohl ihr Onkel sonst zu einer gewissen Oberflächlichkeit neigte und das Leben nicht unbedingt ernst nahm, hatte dieses Erlebnis ihn sehr getroffen und Spuren bei ihm hinterlassen.

Lara musste noch ein Wassermaß warten, bis sie die Hufschläge der zurückkehrenden Patrouille vernahm und Frodebrand wieder wohlbehalten zurückkehrte.


Autorin: Windwanderer SGS

Siehe zum Thema auch: Nordmärker Nachrichten, Ausgabe 24, Seite 15 "Die alte Motte" (Der Artikel stammt noch von meiner Vorgängerin)