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Version vom 19. März 2021, 21:10 Uhr

Wilder Süden

Feen, Zwerge, Räuberbanden: Der „Wilde Süden“ BaronieBollharschens

Aus der herzöglichen Festschrift „Der nordmärkische Eisenwald – Ingerimms Land“, StadtElenvina, 22 Hal.

Nur selten wird der praioswärtige Teil BaronieBollharschens bereist, und wenn, dann beschränkt sich der Verkehr meist auf die rumpelnden Eisenkarren der Händler, welche die Erzeugnisse der Angroschim nach StadtAlborath und StadtElenvina weiterveräußern; ein Großteil der hügeligen Lande südlich der ViaFerra wird zudem von dichten, ausgedehnten Urwäldern bedeckt, die den Räuberbanden, die ihre Übergriffe gleichermaßen auf die ViaFerra und das Almadanische ausüben, ein willkommenes, weil unübersichtliches Hinterland bieten. Weder der Landvogt von BaronieBollharschen noch der Baron der südlich anschließenden, almadanischen Baronie Mesch sehen es als ihre Aufgabe an, diesen Briganten Einhalt zu gewähren, die sich je nach Bedarf auf die jeweils andere Seite der Provinzgrenze zurückziehen, falls es doch einmal zu einer Verfolgung durch die Truppen der Provinzherren kommt. Außer einigen Köhlern lebt nur wenig rechtschaffenes Volk in diesen Wäldern.


Wer vom Ruinendorf DorfAltenpfort aus den TiefenWeiher umringt und dessen Abfluss, dem Fluss[[FlussTiefenbach][FlussTiefenbache]], mittäglich folgt, der gelangt nach zehn oder fünfzehn Meilen durch ein wildes, grasbewachsenes Hügelland, dessen sanft geschwungene Abhänge die Pfiffe zahlreicher Murmeltiere als Echo zurückwerfen, an die Mündung des SchwarztannenBachs, der sich hier in den FlussFluss Tiefenbach ergießt. Der SchwarztannenBach wird von einem Wegelein begleitet, das sich flussaufwärts bedeutend ausgebauter und einladender präsentiert; flussabwärts den FlussTiefenbach entlang ist hier nur noch ein Trampelpfad zu erahnen.


Ein zwergischer Runenstein, moosbedeckt und verwittert, weist auf den breiteren der beiden Wege hin. Wer ihm nordöstlich folgt, gelangt alsbald in eine enge Klamm, die sich zwischen immer höher aufragenden Berggipfeln dem HarschFeld nähert, jedoch auf bedeutend geringerer Höhe. Dunkles Grün wird bald zum beherrschenden Ton des Schwarztannentals, es schlägt dem Wanderer auf vielerlei Weise entgegen. Die dichten, unberührten Mischwälder, in denen Nadelhölzer wie Fichte und Firunföhre den Ton angeben, tragen ebenso dazu bei wie die grünen und grauen Nuancen der Schatten, in die sich die hohen und rauen Basaltzinnen links und rechts des schäumenden Wassers kleiden. Die Berge ragen hier nicht so weit auf, um auch im Sommer schneebedeckt zu bleiben, wirken aber höher durch den Kontrast zum Talgrund: Der Einschnitt des Schwarztannentals liegt bereits wieder durchweg auf der Höhe des Hügellands, das den EisenWald umgibt.


Unter dem dichten Blätterdach des Urwalds, gut verborgen für Augen aus der Luft, jedoch von der Straße aus leicht zu erkennen, stehen bisweilen auffallend niedrige, steinerne Bauten, mörtellos und ohne Fugen errichtet aus meisterlich zugeschnittenen Quadern. Zumeist liegt das einzige Stockwerk halb unter der Erde, einige Stufen führen zur Eingangstür herab.
In diesen Häusern leben in den kalten Monaten diejenigen Angroschim, die den Sommer immer noch mit ihren Ziegenherden (und einer Axt auf der Schulter) am Oberlauf des SchwarztannenBachs oder auf dem HarschFeld verbringen. Zu kalt und zu unwirtlich wird diese Hochebene dann den Hirten, die dann zusammen mit ihren Tieren ins Tal hinabsteigen und sie dort den Winter über hüten.


Wo die Talwände sich nach anfänglicher Breite bis auf einige Dutzend, ja wenige Schritt zueinander nähern, wird die Schlucht insgesamt siebenmal durch gezackte, moosbedeckte Steinbögen überspannt, deren Runeninschriften den Eingang zur TwergenWacht für den willkommenen zwergischen Gast in dessen Heimatsprache ankündigen und im selben Atemzug Wühlschrat, Rotpelz und Drache für den Fall verfluchen und verdammen, dass sie diese Schwelle übertreten und entweihen sollten.
Die Straße endet schließlich, wie es scheint, vor einer lotrechten Felswand, die sich in großer Höhe zum Plateau des HarschFeldes emporhebt. Der SchwarztannenBach sprudelt aus einem undurchdringlich scheinenden Spalt hervor, die Straße scheint an seinem rechten Ufer an einem kleinen Platz zu enden. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich einem das zweiflügelige, steinerne Tor, das nahezu fugenlos an den hellgrauen Kalkstein anschließt. Es heißt, dass sich die sieben Zwergensippen hier in Tropfsteinhöhlen von atemberaubender Schönheit niedergelassen haben, die den Besucher schon in der ersten Halle einfängt.

Wer hier Einlass sucht, muss ein altes, rituelles Signal auf einem der silbernen Zwergenhörner blasen, die nur in der TwergenWacht angefertigt und auch nur an solche Menschen und Angroschim vergeben werden, die man in den Hallen unter dem Berg als Gäste erwartet oder als Freunde schätzt. Eines dieser Hörner wird seit Jahrhunderten von der Eisenhändlergilde in StadtAlborath als kostbarer Schatz aufbewahrt, die das damit verbundene Monopol eifersüchtig hütet. Seitdem die Zwerge mit dieser Auszeichnung den historischen Machtkampf zwischen Bollharscher Adel und StadtAlborather Bürgertum auf diese Weise empfindlich beeinflussten, sahen die verschiedenen Herrscher auf BurgHarschberg sich immer wieder veranlasst, Ad-hoc-Strafzölle auf die Waffen und Geschmeide zu erheben, welche die Eisenhändler auf den rumpelnden Karren die ViaFerra entlang nach StadtAlborath bringen. Ob die Stellungnahme der Zwerge in diesem alten Streit wirklich so bewusst geplant war, wie sie den Bollharschern erschien, darüber lässt sich spekulieren. Der jahrhundertealte Zwist zwischen Harschberg und TwergenWacht indes ist unleugbar, niemand kann sich an einen gegenseitigen Besuch der menschlichen und zwergischen Würdenträger BaronieBollharschens erinnern.

Aber ob das StadtAlborather Silberhorn, das längst seinen Weg ins Stadtwappen gefunden hat, Ursache oder Wirkung dieser Streitigkeit ist, darüber streiten sich bereits die Historiker. In jedem Fall haben die Barone und Vögte die berühmte Waffensammlung BurgHarschbergs dank der erwähnten Strafzölle um mehr als ein Erzeugnis bester zwergischer Schmiedekunst anwachsen lassen...


Die etwa dreihundert Erzzwerge, die hier leben, sind der westlichste Vorposten der BergfreiheitEisenwald. Ihr Ältester, so heißt‘s, ist Jalosch der Blaue, Sohn des Jabalosch und Enkel des Jubasch. Unter den sieben Sippen, die hier unter dem Berg versammelt sind, kennt man vor allem die Xorex, welche Meister sein sollen im Anfertigen von Duplikaten kostbarer Waffen und Geschmeide.

Neben Ingerimmsschätzen und Schmiedeerzeugnissen handeln die Angroschim vor allem mit Wolle, Ziegenleder und vor allem mit dem begehrten Zwergenfilz. Doch viel mehr als dies weiß das Volk über die Zwerge auch nicht zu berichten, und so ist es nicht verwunderlich, wenn die TwergenWacht und ihre Bewohner zum Thema zahlreicher Märchen und Schwänke der Bollharscher Landbevölkerung geworden ist. Man ist hier nicht im Kosch.

Es weiß zwar ein jeder von der Existenz und Lage der TwergenWacht, aber die Zwerge sind längst nicht zum gewohnten und alltäglichen Bild geworden, wie es im benachbarten Fürstentum der Fall ist. Von den wenigen Bollharscher Angroschim, die nicht ständig in der TwergenWacht leben, hat sich eine Handvoll in StadtAlborath niedergelassen (und diese gelten paradoxerweise nicht als „echt“ im Sinne des allgemein verbreiteten Aberglaubens), die übrigen fristen als Köhler und Ziegenhirten ein einsames Dasein auf entlegenen Almen.

Einzig wenn eine Gruppe von Zwergen eine Pilger- oder Handelsfahrt nach Xorlosch unternimmt, mag man sie auf den Straßen BaronieBollharschens antreffen, sofern sie nicht ohnehin den Weg über Rabenstein, Dohlenfelde und Twergenhausen vorziehen. Auf dem Land erzählt man den Kindern Märchen über Wurzel- und Kristallzwerge, die von unten an den Würzelchen der Pflanzen zupfen, damit die auch fein unter die Erde gelangen; man rückt sie in die Nähe von Feen, Elfen (!) und Kobolden, fasst sie mit diesen unter dem Namen „das stille Volk“ zusammen. Zwerge sind geheimnisvoll, unsichtbar und selten wie die sagenumwobenen Silberadern unter dem Berg.

*Meisterinformationen:*
Der SchwarztannenBach ist nichts anderes als der DrachQuell, jener Bach, der im gleichnamigen Dorf oberhalb des HarschFelds entspringt, um dort rasch zu versickern. In diesem Plateau aus porösem Kalkgestein hat sich ein weitverzweigtes System von Tropfsteinhöhlen gebildet, von dem die dreihundert Zwerge nur einen Bruchteil für ihre Zwecke ausgebaut haben. Der Anblick, der sich den wenigen als würdig befundenen Gästen nach dem Durchschreiten der Pforte bietet, ist überwältigend: Hier schillernd und kristallklar, dort milchig und trüb glitzern über tausend Stalaktiten, Stalagmiten und Stalagmaten im Fackelschein oder Laternenlicht. Ob sich die weitverzweigten Gänge dieses natürlichen Höhlensystems, wie die Bollharscher oft und gerne spekulieren, tatsächlich bis unter den BergHarschberg und bis zu den Gewölben unter der Burg des Landvogts erstrecken, wissen wohl weder Mensch noch Zwerg.


In den Hallen von Dagozim, wie die Zwerge ihre Heimstatt selbst benennen, leben etwa 230 Erzzwerge in sieben Sippen. Etwa 100 weitere mögen oberderisch in BaronieBollharschen verstreut leben, die meisten davon in den niedrigen Steinhütten des Schwarztannentals. Ungeachtet der märchenhaft-verklärenden Menschensicht hat die Siedlung eine höchst weltliche, recht gut organisierte Wirtschaft, die sich auf den Bergbau (Eisen, Kohle und andere Ingerimmsschätze), die Metallverhüttung und –verarbeitung, den Kristallschliff und den Handel mit der StadtAlborather Eisenhändlergilde konzentriert. Aber auch Pilzkulturen und Ziegenherden werden von den Angroschim sorgsam gehütet, auf den Feldern im oberen Schwarztannental werden gar – ganz ungewöhnlich für Erzzwerge – Hopfen und Gerste angebaut, aus dem ein ganz besonderes Bierchen gebraut wird.

Dennoch hat die TwergenWacht ihre Blütezeit schon vor mehreren Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden überschritten, und so gibt es viele leere Gänge, deren Weg niemand mehr kennt und die sich über Meilen unter dem Eisenwald entlangwinden. Schon seit Arn-Horas kann sich der Patriarch der TwergenWacht nicht mehr „Gebieter über und unter dem Berg“, sondern nur noch „unter dem Berg“ nennen. Auf dem BollHag sind indes heute noch verfallene zwergische Verteidigungsanlagen zu erkennen, die anzeigen, bis wohin sich einst das Siedlungsgebiet der Erzzwerge erstreckte. Gegen wen richteten sich diese Wachposten und Aussichtstürme auf dem ohnehin uneinnehmbaren Höhenzug? Niemand vermag es heute zu sagen, die zwergischen Stelen über die Zeit des großen Feuers sind noch im rätselhaften Angram beschrieben, dessen Lektüre bekanntlich stark von der Interpretation des Lesers abhängt. Allein einige Berghänge und Felsen in der Umgebung dieser Wachtürme zeigen seltsame, doch eindeutige Spuren von Schlacke, als wäre der Felsen hier unter großer Hitzeeinwirkung verformt und verändert worden...

Der Streit zwischen Großem und Kleinen Volk in BaronieBollharschen ist vielschichtig und kompliziert und soll auch an dieser Stelle nicht vollständig aufgelöst werden. Sicherlich ist er aber älter als die Übergabe des Silberhorns an die Bürger von StadtAlborath. Es ist gut möglich, dass der Schlüssel zum Verständnis dieser Zwietracht vielmehr in einem zwergischen Artefakt liegt, das schon seit undenklichen Zeiten von Zwergen- in Menschenbesitz übergegangen ist, auf unredliche Weise noch dazu. Wie genau, davon soll an anderer Stelle die Rede sein. Das Artefakt zu seinen rechtmäßigen Besitzern zurückkehren zu lassen würde sich schwieriger gestalten als man denkt: Die zwergischen Hellebarden hängen nicht nur über dem Thron des Bollharscher Landvogtes, sondern auch sie haben längst ihren Weg in ein Bollharscher Wappen gefunden, das der Vogtei...


Wer von der Mündung des Schwarztannen- in den FlussTiefenbach seine Schritte weiter gen Mittag richtet, muss sich bald durch unwegsames Gelände seinen Weg suchen. Denn so selten wird der Pfad hier benutzt, dass man ihn kaum noch erkennen könnte, wäre sein Verlauf nicht durch den FlussTiefenbach vorgezeichnet. Mit dem Wasserlauf durchquert die Wegstrecke das Wildland in immer tieferen Einschnitten im Felsgestein, immer tiefer in den Mischwald, bis er schließlich an den Punkt angekommen ist, der dem Kundigen den Weg sagt, die Einmündung eines weiteren, namenlosen Gewässers von Westen her in den FlussTiefenbach. Denn kein Wegweiser, kein Richtungsschild tut hier kund, dass sich hier eine Gabelung auftut.

Zum einen verläuft der Karrenweg flussabwärts (obwohl der FlussTiefenbach sich bald unter der Erde verliert und versickert) bis nach Almada, mitten ins herrenlose Grenzgebiet hinein, winters von Firun und sommers von Briganten beherrscht. Wen wundert’s, wenn sich bisher weder Herzog noch Kronverweser entschlossen haben, an dieser Stelle eine Zollfeste aufzubauen. Das heiße und trockene Klima gemahnt hier, an den südlichen Abhängen und Ausläufern des Eisenwaldes, bereits an das sonnendurchglühte Almada, und die Waldbrände im Praios und Rondra sind gefürchtet unter den wenigen Einwohnern des Waldes.


Weniger von der sengenden Macht Praios‘ als vielmehr von den Umtrieben der Räuberbanden zeugen die ausgebrannten Ruinen eines einstmals auf einer Waldrodung unweit der südlichen Grenze gelegenen, heute jedoch bereits von dichtem Gestrüpp umschlossenen Gutshofes. Das Rittergut Dernheim, das kaum mehr umfasste als den Hof selbst und die umliegenden Felder, wurde im Jahre 16 Hal von den Räubern gebrandschatzt, die Bewohner bis auf den letzten Mann niedergemacht. Der einzige Erbe, Ritter Alrik, überlebte nur, weil er zu diesem Zeitpunkt eine Knappschaft beim kinderlosen Ritter Edorian von Drachentrutz ableistete, der ihn zu seinem Erben einsetzte. Heute residiert Alrik auf dem GutDrachentrutz; obwohl er nominell ebenfalls Ritter von Dernheim ist, hat er bislang noch keinen Verwalter über das verlassene Gut eingesetzt – oder keinen gefunden, der diese Aufgabe übernommen hätte.


Einmal im Jahr erlebt jedoch der Almadastieg einen regeren Verkehr. Vom 15. bis zum 30. Travia nutzt ihn die Jugend BaronieBollharschens, um sich in den Dörfern der Nachbarbaronie Mesch zu vergnügen. Es ist nämlich Sitte, dass die jungen Bollharscher Männer und Frauen den Anlass des Almadaner Weinfestes nutzen, um den guten „Heurigen“ zu kosten und bei ihren Nachbarn auf Brautschau zu gehen. Nicht wenige Paare haben sich auf diese Weise für das ganze Leben zusammengefunden. Diesem schönen und sehr alten Brauch tut auch die Bedrohung der Räuber keinen Abbruch.


Zum anderen ist es an der oben erwähnten Weggabelung möglich, dem anderen Gewässer flussauf- und westwärts zu folgen. Wie uns berichtet wurde, verzweigt dieser Weg nach wenigen Meilen erneut am Zusammenfluss zweier Wasserläufe. Hier soll ein Weg, der freilich kaum noch diese Bezeichnung verdienen dürfte, über zahlreiche Windungen gen Norden in ein Hochtal abzweigen, an dessen höchstem Punkte der Ritter Ingor von Finstermoor über sein gleichnamiges Lehen herrscht – eine unwirtliche und trostlose Gegend, will uns scheinen. Die vielleicht hundert Einwohner von DorfMueckenpfuetz am Grützensee sind einfache Torfstecher und Einödbauern, und ihre einzige Einnahmequelle ist der Verkauf des Torfes, der die Heizungen StadtAlboraths und Harschbergs antreibt. Ihr Herrscher verfügt nicht einmal über eine Burg, sondern lediglich über einen Gutshof, und die Gerüchte wollen nicht verstummen, dass eine Räuberbande die eigentliche Herrschaft über das Rittergut übernommen habe. Es ist ein Rätsel, warum man DorfMueckenpfuetz ausgerechnet am Ufer des kleinen Grützensees errichtet hat, denn im restlichen Finstermoor soll es keine Mücken haben. Doch die Finstermoorer gelten selbst den Bollharschern als rückständig und beschränkt, ihr Lehen ist abgelegen und wildnisreich, kaum einmal ergeben sich Kontakte mit der übrigen Bevölkerung.


[Randbemerkung im Manuskript, Datierung unbekannt, wahrscheinlich nach 29 Hal:
In den StadtAlborather Schänken kommt man heutzutage kaum mehr herum, folgende Anekdote zu Gehör zu bekommen: Im Zuge der Ansprüche des Liebfelder Hauses Garlischgrötz auf vereinzelte Nordmärker Lehnslande wurden vor einigen Jahren in alle Ecken der Nordmarken Fahnder, im Wesentlichen liebfeldische Stutzer eben, ausgesandt. Die einzigen Fahnder, die tatsächlich bis nach BaronieBollharschen fanden und nach dem Weg zum entlegenen Rittergut Finstermoor fragten, weil dieses angeblich auch möglicherweise vor langer Zeit einem Mitglied der Familie Grötz gehört habe, verabschiedeten sich überraschend schon nach wenigen Stunden von BurgHarschberg. Was war passiert? Niemand weiß es genau, aber am häufigsten erzählt man sich, dass der Landvogt nichts anderes getan hatte als ihnen eine ausführliche Wegbeschreibung zu liefern, was allein schon ausreichte, um die feinen Pinkel zum taktischen Rückzug zu bewegen...]


Noch weniger zu empfehlen ist allerdings die Reise den westwärtigen Pfad entlang auf den BollHag zu. An mehreren Stellen abseits des Pfades stehen mehrere Schritt hoch die Koboldskamine, unregelmäßige Säulen aus Geröll, die von einem flachen Stein gekrönt werden – für das einfache Volk eindrucksvolle Vorposten auf dem Weg zum geheimnisumwobenen Edlengut GutMorgentau. Freilich existiert das Gut nur als Name in den Harschberger Urkundenrollen existiert, und der nominelle Vasall, der Edle Quarion von Quakenbrück, wurde seit Menschengedenken ebenso wenig erblickt wie irgendein anderer Bewohner des Gutes. Unter lieblichen Buchenhainen, über deren Wipfeln stets ein leichter Nebel liegt, glaubt der Wanderer sich hier am Ende seiner Reise, ganz gleich, wohin sie ihn eigentlich auch hätte führen sollen. Und wohl bis an sein Lebensende wird er hier verweilen, glaubt man den Märchen der Bollharscher. Denn hier im Grenzland, wie die StadtAlborather diesen in der Tat unwirklich schön erscheinenden Landstrich nennen, befindet sich auf einer sonnenbeschienenen Lichtung ein efeuumranktes Gemäuer, ein jahrhundertealtes Herrenhaus, halbverfallen den einen, den anderen zufolge herrschaftlich geschmückt und von steter Musik erfüllt, als gelte es, ein nie endendes Fest zu zelebrieren. Feen, Elfen, Zwerge und was dergleichen Sagengestalten mehr sind, das sind die wahren Bewohner des verwunschenen Hauses, wenn man den Bollharscher Bauern Glauben schenkt. Hinter diesen Berichten mag der aufgeklärte Leser vermuten, was er will.


*Das Finstermoor*

Aus den Erinnerungen des Finstermoorer Knappen Nalle, DorfMueckenpfuetz 28 Hal, unveröffentl.

„… Mit einemmal stand ich im Finstern, verloren inmitten der Bergriesen, die mich mit ihren turmhohen Zacken umgaben und, wie ich mir in meinem Wahn einbildete, schweigend über mich spotteten. Gewiss, den schlichten Fußpfad, der mich auf diese Hochebene geführt hatte und hoffentlich noch bis zu meinem neuen Herrn geleiten würde, wusste ich noch unter meinen Füßen, das Breitschwert hing nach wie vor an meiner Seite. Doch ach! ich hatte mich nicht genug gesputet oder vielmehr zuviel, war – statt mir meine stets überschätzten Kräfte für den beschwerlichen und einsamen Fußmarsch sorgsam einzuteilen – in altbewährter Manier vom DorfAltenpforter Scheideweg losgestürzt, mit dem festen Vorsatz, Ritter Ingor durch ein unerwartet pünktliches Erscheinen gleich am ersten Tage zu beeindrucken. Das sollte mir zum Verhängnis gereichen.

In den Wind geschlagen hatte ich die Warnungen meiner Eltern, das Finstermoor sei ein Ort, an dem man sich gewisslich leicht verirren könne, bei Dunkelheit zuvörderst. Das kümmert einen mutigen Knappen nicht, dachte ich mir. Rondra würde mir beistehen, falls mir Unbill widerfahren sollte. Rasend schnell war ich aufgebrochen, doch bald musste ich mein Tempo verlangsamen, war völlig außer Puste geraten, in der Ebene wäre mir das nie passiert. Ich bin kein Kind der Berge, vielmehr geboren in Neubawrenhof nahe StadtElenvina, kannte den Eisenwald nur als kaum zu erahnenden Schatten am Horizont. Auf den Ebenen des Fuchsgaues konnte ich jeden meiner Kameraden im Wettrennen schlagen, doch hier – das muss ich zu meiner Schande gestehen – stand ich nun, fröstelnd in meiner verschwitzten Lederkleidung, spähte in die Abenddämmerung und beobachtete die Nebelschwaden, die sich, wie es schien, aus dem Boden erhoben und wellig voreinander schoben.


DorfMueckenpfuetz war mein Ziel, eine Ansiedlung jenseits des Moores, in der Ritter Ingor von Finstermoor, mein zukünftiger Lehrmeister, mich gewisslich schon erwartete. Man riet mir, die Nacht auf dem Wege zu verbringen, noch ehe ich die Hochebene betrat, um selbige dann im Morgen zu überqueren. Doch ich hatte mir in den Kopf gesetzt, Ritter Ingor zu überraschen und schon am Abend zuvor bei ihm anzukommen. Und nun war der Abend bereits angebrochen, und ich stand dort, wo ich von allen Orten am wenigsten sein wollte: mitten im Moor.
Soweit ich sehen konnte – und das war nicht viel – war die Hochebene von tausend torfigen Pfützen und winzigen Weihern bedeckt, wohl auch von einigen größeren Seen; vielerorts jedoch ähnelte sie einfach einer sumpfigen Wiese, unterbrochen von Felsgestein, kahl bis auf einige wuchernde Flechten. In den stillen, klaren Wassern spiegelte sich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr das Bild der schneebedeckt aufragenden Bergdome, die sich firunwärts hinter den dichten Nebeln versteckt hielten. Ja ich hätte nicht sagen können, ob diese Ebene überhaupt in irgendeiner Weise zu einem Ende führte, ziellos bewegte ich mich schon mehrere Stunden auf ihr entlang, den Weg hatte ich schon seit geraumer Zeit aus den Augen verloren. Lief ich im Kreis? Ich hätte es nicht sagen können. Ein Schauer überkam mich, als ich daran dachte, dass man mich auf dem Rittergut erst am nächsten Tag erwartete. Niemand würde nach mir suchen...


Ich weiß nicht, wie lange ich auf diese Weise voran gekommen war, mehr dahintaumelnd als zielstrebig einen Weg verfolgend, den ich ja gar nicht kannte. Schon seit einiger Zeit hatte die Feuchtigkeit nicht nur meine Stiefel durchdrungen, nein, mein ganzer Leib fühlte sich kalt und klamm an. Mehr als einmal verfluchte ich mich ob meiner Voreiligkeit, doch änderte sich dadurch wenig. Ich war am Ende meiner Kräfte, und als die Nacht vollends hereinbrach – eine sternlose Nacht, unmöglich also, die Richtung auch nur annähernd zu bestimmen – da musste ich mir eingestehen, dass ich erst den Morgen würde abwarten müssen, um weiterzuziehen.
Ich raffte mich zusammen. Einschlafen durfte ich nicht, das war mir klar. Unter unsäglichen Mühen gelang es mir, Feuerholz aufzutreiben und zu einem kleinen Kegel zu schichten, doch widersetzte es sich meinem Feuerstein und Stahl, sooft ich es auch zu entflammen versuchte. Nur beißender Qualm war das Ergebnis meiner Bemühungen, der mir in die Augen stieg und sie tränen ließ. Unterdessen war der Nebel so dicht an mich herangekrochen, dass ich die Bedeutung von „die Hand vor Augen nicht sehen“ erst wirklich erkannte. Wirklich, es machte keinen Unterschied mehr, ob man die Augen offen hielt oder nicht. Diese Nacht würde meiner Göttin gehören. Ich betete zu Rondra. Die Nachtwache des Knappen, wie so oft hatte ich davon geträumt. Doch wahrlich, nicht auf diese Weise hatte ich sie mir vorgestellt.


Als ich erwachte (hatte ich geschlafen? Das durfte nicht wahr sein! Ich hatte es nicht geschafft, war meiner Göttin nicht würdig gewesen!), hatten sich die Nebel verzogen. Ich lag auf einer feuchten Wiese, am Rande eines klaren Sees, in dessen kräuselnden Wassern einige hölzerne und torfige Anhöhen lagen, Biberburgen ähnlich, und doch fremdartig. Fahl funkelten die Sterne über mir, gaben spärliches Licht auf die farblose Umgebung, grau in grau. Die Zähne klapperten mir, an Armen und Beinen schüttelte es mich. Fieber! dachte ich sogleich, und so fühlte ich mich auch, schwach an allen Körpergliedern. Ich musste aufstehen, das wusste ich genau, denn die Nebel würden wiederkommen und mich erneut einschließen in dieser torfigen Einöde. In der Ferne glaubte ich funkelnde Irrlichter zu erkennen, die mich in ihren goldgelben Reigen zu locken versuchten. Bilder von Moorleichen drangen in meinen Geist ein. Unfähig war ich, sie abzuschütteln, unfähig auch, mich aufzurichten, ganz so, als hielte mich das Moor mit unsichtbaren Armen fest. Ich musste fort, doch ich blieb liegen. Der faulige Boden hielt mich sanft umschlungen, und die kräuselnden Wellen spielten mir ein Wiegenlied.
Ich weiß nicht, wie lange ich auf diese Weise gelegen hatte. Ebenso wenig weiß ich, wie lange ich auf die reglose Silhouette gestarrt hatte, ehe sie sich ihren Weg in mein mühsam sich regendes Bewusstsein bahnte. Vielleicht war es erst die plötzliche Bewegung, mit der das Wesen schließlich verschwand, die dies vollbrachte. Ich starrte auf dieselbe Szenerie wie zuvor. Die Anhöhen lagen nach wie vor in den Wassern des Sees. Niemand außer mir war zu sehen. Ich war allein, und doch klopfte mein Herz wie wild.


Und da überkam mich, sanft und doch unaufhaltsam wie die endlose Bewegung der Wellen im Moorsee, die Erinnerung. Auf der Anhöhe hatte eine Gestalt gestanden, reglos und grau wie das übrige Moor, doch mit einem leuchtend roten Rückenkamm, wie ich dergleichen nie zuvor erblickt. Ein wenig ähnelte sie dem Schemen eines Menschen, doch es hätte ebenso gut ein Tier sein können, das sich, auf seinem langen Schwanz aufgestützt, aufrichtet, um Witterung aufzunehmen. Doch je mehr die Erinnerung in meinem Geiste Kontur annahm, desto sicherer glaubte ich mir zu sein, in der hoch erhobenen Linken des Wesens einen Speer gesehen zu haben, das es eine halbe Nacht lang wie versteinert aufs Wasser gerichtet hatte, ehe es schließlich damit zustieß und meinem fiebrigen Blick entschwand...


Da konnte ich nicht mehr an mich halten, raffte mich auf, eilte, preschte, bis ich zu den goldgelben Lichtern gelangte, die mir drunten in der Senke noch so fern vorgekommen waren, dass ich sie sogar für Irrlichter gehalten hatte in meinem Wahn. Dieser letzte Lauf nun zwang mich wohl, über meine Grenzen hinauszuwachsen, denn am Morgengrauen – an die bis dahin verflossene Zeit erinnere ich mich nicht – fand mich die Magd auf der Schwelle des Gutes wieder, wohin mich wohl die Hand der Götter geführt haben mochte. Während sie meinen schweißnassen und verdreckten Körper – so sehr ich mich auch mit meinen wenigen verbliebenen Kräften sträubte – einer eingehenden und vollständigen Wäsche unterzog, zitterte ich schon vorweg ob der Schelte des Ritters. Doch der lachte nur und sagte, ich hätte wohl meine erste Lektion auf dem Finstermoor hinter mir.
Was ich im Finstermoor zu Gesicht bekommen hatte, mochte ich ihm gleichwohl nicht anvertrauen – wie hätte mich mein künftiger Lehrmeister dann wohl eingeschätzt? Und so schließe ich diesen Bericht, den ich wohl weder den Eltern daheim in StadtElenvina zu lesen geben werde noch sonst irgend jemandem – zu wahrscheinlich wäre es, dass sie mir kein Wort davon abnehmen würden. Hier auf dem Gut kann ich mich kaum einem anvertrauen; außer dem Gesinde des Herrn Ingor gibt es hier nicht allzu viel Leben, nur einige Torfstecher fristen noch in einem winzigen Flecken ein kurzlebiges Dasein, jenseits des Höhenzuges im Westen soll gar ein verwunschenes Herrenhaus von einem einsamen Edlen bewohnt sein. So bin ich also verflucht, allein mit der Erinnerung zu leben, und ich spüre es jetzt schon, sie wird mich nicht mehr aus ihren Fängen entlassen, ehe mir Boron das Vergessen schenkt...“


*Meisterinformationen:*
Das Finstermoor, dieses Plateau der sieben Winde, die nichts auf ihrem Wege zu bremsen vermag, ist eine getreue, wenn auch verkleinerte Replik der nivesischen Tundra. Die große Höhe, die Abwesenheit von Hindernissen, die Wind und Wetter abschirmen könnten, die zahlreichen Senken, in denen sich der Schnee ansammelt, all das hat dazu beigetragen, dass sich hier auf natürlichem Wege eine besondere Pflanzenwelt herausgebildet hat, die der des Hohen Nordens sehr ähnlich ist. Die Höhe des Plateaus macht dann seine sumugraphische südliche Lage wett. Alle Geschöpfe Sumus müssen sich hier der Kälte und dem Schneefall anpassen. So wachsen hier durchaus auch Firunföhren, aber sie erreichen nur einige wenige Schritt Höhe. Des Weidenbaums knotiger Stamm windet sich gar, kaum einen Viertelfinger breit, über den feuchten Boden...
Politisch-wirtschaftlich gibt es im Gut Finstermoor nichts, was irgendwie von Interesse sein könnte. Im Winter müssen die Bewohner von DorfMueckenpfuetz wie die Drachentrutzer mehrere Monate lang ein von der Außenwelt abgeschnittenes Dasein fristen.

Allein schon die Anreise durch die Berge BaronieBollharschens bietet dagegen fast schon Stoff für ein kleines Abenteuer. Was sich hinter der Wesenheit verbirgt, die Nalle in seinem Bericht beschreibt, mag hier ungesagt bleiben. Das heißt, falls der Leser nicht ohnehin eher der These zugeneigt ist, es handle sich hier um einen bloßen Fiebertraum, hervorgerufen durch die Ausdünstungen der Moore und die allzu blühende Fantasie eines kaum dem Knabenalter entwachsenen jungen Mannes. Zweifelsfrei ist die Tatsache, dass sich auf dem Finstermoor schon mehr als ein Vermisstenfall ereignet hat. Der einzige gangbare Pfad wird jedes Jahr neu (und anders) zwischen den sich verschiebenden Seen angelegt und ist oft nur mit Mühe zu erkennen. Und die dichten Nebel können weit schneller heraufziehen, als es der unbedarfte Reisende sich im Traum einfallen ließe...


*Der MorgenWald: Eine Untersuchung*

Aus den privaten Notizen der Magierin Lucardis Nottelheimer, Magistra an der Halle der Herrschaft zu StadtElenvina, StadtElenvina 39 v.H.

„5. Rondra: Im MorgenWald der Baronie BaronieBollharschen scheinen die Gesetze der logica und der natura, so wie wir sie kennen, nicht immer zuzutreffen. Märchen wie das von der Glücklichen Praiosmin, die als arme Bauerstochter in den Wald ging und reich beschenkt zurückkam, sollen dies belegen. Item die Steuerrollen der früheren Bollharscher Barone Edelhelm und Heilgard, denen zufolge das einwohnerlose Gut GutMorgentau einen zeitweise höheren Ertrag einbrachte als das Junkergut Züchtelsen. Auch eine Recherche im Burgarchiv, die uns freundlicherweise von Ihrer Wohlgeboren Baronin Alwene von BaronieBollharschen ermöglicht wurde, ergab keine befriedigende Erklärung: Das Gold, so mag es fast scheinen, hat sich wohl von selbst in den Bollharscher Schatzkammern manifestiert, jedoch ohne dass irgend jemand diesen Vorgang beobachtet hätte. Es fällt uns schwer, an solche Dinge zu glauben, zumal diese beiden Barone bis heute beim einfachen Volk zu den gütigsten und gerechtesten gezählt werden. Zu bemerken wäre noch, dass die Lehensrollen als Vasall des Edlengutes bereits seit Jahrhunderten immer denselben Quarion von Quakenbrück nennen. Gerade dieser Quarion ist jedoch zum Helden mehrerer Bollharscher Märchen geworden: In einem von ihnen ist er ein leidenschaftlicher Spieler. Seit Jahrhunderten hat er die Karten des Inrah vor sich auf einem Tisch liegen. Nur einmal in mehreren Monaten entschließt er sich zu einem Zug. Doch wenn das passiert, dann entspricht das Ergebnis immer einem Vorkommnis in BaronieBollharschen, sei es nun der Auszug einer Armee, die Geburt eines Kindes oder auch nur der Flügelschlag eines Schmetterlings. [...]

Item die zahlreichen Berichte, Märchen und Schwänke über Kobolde, Feen, Elfen, Braunchen, Wurzelzwerge, oder auch das Stille Volk, wie der hierorts ehrfürchtig gebrauchte Sammelbegriff für diese Wesenheiten lautet. Diesen Rätseln auf den Grund zu gehen beschäftigt mich schon seit einigen Wochen. Habe darüber mit Quintilian beratschlagt. Er sieht mich ungern fortgehen, die Kinder bekämen mich gar nicht mehr zu Gesicht, sagt er [...]

17. Rondra: Eine Expedition in den MorgenWald ist zunächst schwer zu organisieren, da es unter der Bevölkerung nur schwer möglich ist, Führer und Träger zu rekrutieren. Collega Hohenfels bemüht ihre controllarischen Talente [...]

23. Rondra: Der MorgenWald selbst erscheint uns als ein wilder Laubwald mit erkennbarer Begrenzung im Westen, Norden und Osten, wo er an den BollHag (im Westen) respektive andere Gebirgszüge des Eisenwaldes stößt. Gegen Süden hin schließt er in die ausgedehnten Waldgebiete Nordalmadas an. Ein Übergang ist nicht eindeutig festzustellen [...] Im MorgenWald selbst konnten weder eine erhöhte magische Präsenz noch sonstige Anormalitäten festgestellt werden, mit Ausnahme eines ungewöhnlich erhöhten Wildvorkommens. Die Tiere haben allesamt keine Scheu vor uns Menschen. Laetitia verlor ihren Jägerhut an ein Eichhorn [...]

25. Rondra: Haben auf einer von Spinnweben und Tautropfen bedeckten Lichtung Rast gemacht und beschlossen, von hier aus die weitere Erkundung aufzunehmen. Erstmals Anzeichen von Magie: ein Kupferkessel und einige weitere Gerätschaften, die sich in einem offensichtlich verlassenen Herrenhaus auf der Lichtung befanden. Schwache Spuren von Restmagie, Prägung nicht zu identifizieren. Hohenfels tippt auf nichtkanonisierte Laienmagie oder Naturzauberei. Die Expedition befasst sich mit Fragen der botanischen Klassifizierung, wir treffen auf eine außerordentlich reiche Flora. Heute morgen eine gelbe, unbekannte Blütenart vorgefunden. Erwäge, sie Quintilia zu nennen und meinem Liebsten ein ungewöhnliches Geschenk zu machen. Die Beschaffenheit der Blütenblätter [...]

30. Rondra: Heute morgen mit den Collegae Hohenfels und Altheimer Bilanz gezogen. Fazit: Gerüchte über den MorgenWald entbehren jeglicher Grundlage. Quod erat demonstrandum. Erwägen baldigen Aufbruch nach StadtElenvina. Ein fürderes mal schenkte Hesinde uns Erkenntnis.“


*Meisterinformationen:*

Was die Bollharscher Landbevölkerung aus den – wie noch zu zeigen sein wird – beunruhigenden Eigenschaften des als Gut GutMorgentau bekannten Landstrich gemacht hat, können Sie ja weiter oben nachlesen. Im Kollektivbewusstsein hat sich das Edlengut als Heimstätte für alles eingebrannt, was irgendwie nach Fabelwesen riecht. Dieses Bild, obwohl abschreckend, ist eindeutig romantisch verklärt. Folgende Ursachen sind dafür denkbar: Nach gemachter Erfahrung, dass das Gut GutMorgentau ein nicht ganz ungefährlicher Ort zu sein scheint, hält man sich ihm fern. Weil aber niemand genau und vor allem schlüssig erklären kann, warum man sich diesem Ort nun fernhalten müsse, werden diejenigen Gründe allgemein akzeptiert, die am plausibelsten klingen (und dass dazu in Aventurien durchaus auch Feen und Kobolde gehören können, braucht ja nicht eigens erklärt zu werden).

Diese Gründe kommen zumindest in einem Aspekt der Wahrheit recht nahe: Wie unschwer zu erkennen ist, liegt beim Gut GutMorgentau tatsächlich ein Übergang ins „Grenzland“ vor, wie die Bollharscher die Feenwelt nennen. Anders als gewöhnlich ist dieser Übergang zwar nicht zeitlich begrenzt, jedoch seinem Wesen nach fließend: Ein Reisender im MorgenWald bewegt sich durch beide Welten zugleich, die hier so nahe zueinander liegen, dass sie sich über weite Strecken berühren und vermengen. Wie wir wissen, bestehen zwischen unserer und der Feenwelt bestimmte Gemeinsamkeiten, vornehmlich im Bereich der unberührten Natur, die ja in dieser Gegend auch im Diesseits das Bild beherrscht. Darum ist der Übergang nicht oder nur sehr schwer an einer bestimmten Stelle auszumachen. Dennoch werden immer wieder Ungewöhnlichkeiten in der Kausalität der Welt bemerkbar, da die starren Naturgesetze Deres in Widerstreit zu den traumbestimmten Wirklichkeiten der Anderwelt treten.

So werden einem im MorgenWald zunächst nur bedingt Blütenfeen, Kobolde, Braunchen und ähnliche Wesenheiten begegnen, dafür aber werden die Gesetze der Welt, wie wir sie kennen, auf unerklärliche und nur sehr schwer festzumachende Weise relativiert. Ein Gegenstand, den man loslässt, fällt vielleicht nicht sofort zu Boden, sondern gleitet dahin wie eine Feder; ein grüner Apfel wird rot, wenn man ihn vom Ast pflückt; eine freundliche Bemerkung erklingt in den Ohren des Angesprochenen wie Verbitterung und Hass – oder umgekehrt; der Stand der Sonne und der Verlauf der Jahreszeiten orientieren sich mehr am kollektiven Willen der Wesen des Waldes als an den Gesetzen der Astronomie. Unberührt von diesen je nach Fall amüsant, beunruhigend oder durchweg bedrohlich erscheinenden Vorfällen bewegt man sich meist durch einen lichten, idyllischen und zunächst einmal sehr natürlich aussehenden Buchenhain, von einigen Linden durchsetzt und Heimstatt für zahlreiche Tiere und seltene Pflanzen. Ja auf unerklärliche Weise wird vielleicht gerade der Forscher, der auszieht, diese seltsamen Vorkommnisse zu beobachten, unverrichteter Dinge zurückkehren müssen, weil sich der Wald ihm nicht anders präsentiert hat als auf diese diesseitige Art. Es scheint, als entschieden die Wesen der Anderwelt selbst, wie sehr sie sich und ihre Umgebung dem menschlichen Gast offenbaren.

Im Zentrum des Waldes residiert der Edle Quarion von Quakenbrück im Haus GutMorgentau – oder tut es nicht, je nachdem, ob man auf seinem Wege das festlich geschmückte Herrenhaus vorfindet oder nur die spinnwebenverhangene, verlassene Ruine, um die sich das Efeu rankt wie die Legenden des Volkes. Doch die Zeit ist ohnehin fließend in dieser Librationszone zwischen Menschen- und Feenwelt, und darin mag auch eine Erklärung für das märchenhafte Alter des Herrn von GutMorgentau liegen. Wenig weiß man über diesen Menschen, falls man es überhaupt mit einem solchen zu tun hat, doch es scheint tatsächlich so, als ob er die Geschicke nicht nur des Waldes mehr beherrscht als irgend jemand sonst es vermochte.

Gerade Quarions Kartenspiel muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, das das Zentrum der Librationszone zu sein scheint. Die Frage nach Ursache und Wirkung stellt sich in der Feenglobule, dieser Welt ohne feste Kausalitäten, ohnehin nicht, und so darf man nicht fragen, ob nun das Kartenspiel das getreue Abbild der derischen Wirklichkeit ist oder die Wirklichkeit das des Kartenspiels. Falls es in einer phantastischen Welt denn überhaupt einen solchen Unterschied gibt...


Die Koboldskamine haben übrigens trotz ihrer seltsam anmutenden Erscheinung einen natürlichen Ursprung. Zur Zeit des großen Kampfes gegen den Namenlosen (vgl. die „Annalen des Götteralters“, GDSA S. 12f.) bedeckte Firun weite Teile Aventuriens mit ewigem Eis. Als der Widersacher besiegt war, befahl der Wintergott den Eismassen, sich zu Tale zu bewegen und dahinzuschmelzen, was sie in vielen Jahrhunderten auch taten, jeder von ihnen eine große Menge Steine, Sand und Geröll vor sich her schiebend. Schließlich bewegte das Schmelzwasser des Gletschers auch diesen Gesteinsschutt dazu, seine Reise ins Tal fortzusetzen. An einigen wenigen Stellen jedoch war ein größerer Felsblock in der Lage, das unter ihm liegende Geröll gleich einem Helm vor Satinavs Hörnern und Firuns Eismassen zu schützen; im Laufe der Zeit wuchsen die Säulen in die Höhe, oder besser gesagt, die Umgebung sank um mehrere Schritt, denn wo sie nicht zufällig unter dem Schutz einer felsigen Haube versammelt waren, konnten Lehm und Kies den Fluten der Schmelzwasser und Niederschläge nichts entgegensetzen. Heute sind die Gletscher aus vielen Teilen des Eisenwalds verschwunden, doch die Koboldskamine, Steinerne Jungfrauen, oder wie ihre zahlreichen Namen sonst lauten, sind an mehreren Orten vorzufinden, sofern sie nicht durch Ingerimms Hammer Malmar zum Einsturz gebracht wurden.


(Von Lucas C.)

-- Main.IseWeine - 11 Feb 2021