Vom Leben in Lützeltal

Das Leben auf Gut Lützeltal

Setting

Personen

Hintergrund

Friedewald und Mika waren mit Knecht Bernhelm Anfang Peraine zur Lehensfeier nach Ishna Mur aufgebrochen. Kalman und Ciala blieben auf Gut Lützeltal zurück.

Nach dem Peluraturnier Anfang Rahja 1043 kehrten die drei endlich zurück. Doch sie kamen nicht allein. Sie brachten Merle und ihre Tochter mit.

Merle kommt nach Lützeltal

Es war ein sonniger, warmer Tag. In der Nacht hatte es kräftig geregnet, doch die Wiesen und Wege waren über den Tag wieder abgetrocknet. Ein ideales Wetter für die Pflanzen und Früchte, um zu wachsen. Die Bauern waren den Tag über hauptsächlich mit der Kirschernte beschäftigt gewesen. Auch Ciala und Kalman hatten mitgeholfen, die süßen Früchte der gutseigenen  Bäume zu pflücken und die Ernte zu überwachen.

Nun saßen sie mit Madalin und einigen Bediensteten im Innenhof des Guts an einem langen Tisch und aßen die Vesper, die die Magd zubereitet hatte. Nach dem Essen würden die Früchte noch sortiert. Die weniger guten gingen an die Brennerei, die besonders guten würden über Nacht im Keller gekühlt und gingen dann morgen auf einem Wagen nach Albenhus auf den Markt. Doch der Geoßteil würde heute noch in der Gutsküche eingekocht, um sie für den Winter haltbar zu machen.

Kalman hatte sich gerade einen Humpen verdünntes Bier eingegossen, als eine junge Reiterin in den Hof preschte, ihr Pferd zum stehen brachte und sich zügig aus dem Sattel gleiten lies. Kalman sprang sofort auf, als er erkannte, wer dort so eilig angekommen war. Er nahm Mika in den Arm, hob sie hoch und wirbelte sie einmal durch die Luft. „Mika, Schwesterherz! Du bist zurück! Wie schön dich zu sehen!” Dann setzte er sie wieder ab. “Lass dich anschauen, du bist erwachsen geworden!“

„Ach Kalman! Red‘ doch keinen Unsinn! Ich war doch nur gut zwei Monde fort. Aber ich freue mich, wieder zu Hause zu sein.“

Nun schaute sich Kalman besorgt um. “Wo sind Vater und Bernhelm? Kommen sie nicht? Es ist doch nichts passiert?”

“Ach Quatsch!”, erwiderte Mika mit einem Lachen. “Die alten Männer sind halt nicht so schnell. Außerdem haben Sie Merle und das Baby im Schlepptau.” Noch bevor Kalman darauf reagieren konnte, lief Mika freudig auf Ciala zu, die für sie stets eher wie eine Mutter war als ihre Schwägerin. Mikas Mutter war bei einem Reitunfall gestorben, als Mika noch ein Baby war, und deshalb kamen Kalman und Ciala zurück nach Lützeltal, um sich um das Gut, den Vater und auch um die kleine Mika zu kümmern. Auch war Mika nur wenig älter als Cialas ältestetes Kind Lukardis. Und so wuchs Mika mit ihren beiden Neffen und ihrer Nichte auf, als wären sieihre Geschwister.

Mika drückte Ciala freudig. “Ciala, wie schön es ist, wieder hier zu sein. Ich habe dir so viel zu erzählen.”

„Ach mei. Kind, was bin I froh, das dir nix passiert is. Jedsmoi hab i Angst, wannst weg bist.“  Im Überschwang der Freude viel Ciala in den Dialekt ihrer Familie zurück, den sie normalerweise in der Albebhuser Gegend nicht benutzte. Mütterlich drückte Ciala Mika an ihre Brust und presste ihr einen dicken Schmatz auf die Backe. Dann richtete sie ihr langes, kastanienbraunes Haar wieder und band sich daraus einen buschigen Schweif. „Aber was sagst du da? Merle und die kleine Liudi kommen? Warum denn das?“ Skeptisch zogen sich ihre Augenbrauen zusammen und sie runzelte die Stirn. Das hatte sicher nichts Gutes zu bedeuten. Sie liebte das kleine Mädchen, als wäre es ihre Enkelin. Bei Merle und Gudekar sah es anders aus. Jeder für sich war in Ordnung, aber den Bund, den sie geschlossen hatten, hielt sie für falsch. Gudekar war aber damals alt genug gewesen und hatte selbst so gedrängt. Und jetzt hatte er eine Affäre mit irgendeinem Weibsstück gehabt, kaum, dass er außer Sichtweite gewesen war. In Gedanken schüttelte sie den Kopf. Er hätte den Bund nie schließen dürfen. Aber er hatte vor Travia geschworen, da gab es kein zurück mehr. Auch Kalman war nicht immer einfach, sie selbst sicher auch. Trotzdem, ach, das konnte man nicht vergleichen. Ihren Kalman kannte sie damals schon lange. Der schusselige Magus hatte die erste Frau genommen, die er gefunden hatte. „Gudi treibt sich wieder rum, oder? Und sie haben gestritten.“

Mika wich einen Schritt zurück. Sie wusste, wenn Ciala einen so anschaute, musste man auf der Hut sein. Und am besten die Wahrheit sagen. Etwas stotternd und unsicher antwortete sie: “Ge..gestritten? Wa… warum sollten die beiden denn streiten?” Dann wurden ihre Worte wieder sicherer. “Naja, schon, Gudekar muss wieder auf Reisen. Vater hat ihn fortgeschickt. Aber es hat einen schönen Grund!” Jetzt strahlte sie bis über beide Ohren und schaute abwechselnd zu Kalman und Ciala. “Stellt euch vor: Gwenn wird heiraten! Sie hat auf dem Pelura-Turnier einen Mann gefunden und Vater hat dem zugestimmt! Endlich! Eine Hochzeit! Wir werden eine Hochzeit feiern! Ist das nicht schön?”

Kalman klappte die Kinnlade hinunter. “Was werden wir? Was macht Gwenn?... Wen?” Er konnte die Neuigkeiten kaum glauben.

Auch Ciala fiel aus allen Wolken. „Bei Travia, hoffentlich hat sie sich das gut überlegt. Wie heißt er, nein besser, hast du ihn schon gesehen und dir einen Eindruck gemacht?“

Mika schaute die beiden an. Dann sprudelte es aus ihr heraus. “Ich weiß nicht genau, Herrendings oder so ist sein Name. Er ist eine Art Kaufmann oder sowas und arbeitet wohl für einen Mersinger. Vater hat den ausgesucht und alles ausgehandelt, ich war nicht die ganze Zeit dabei, das war mir zu langweilig. Im Rahjatempel war ja das Fest.”

“Eine Zweckehe also”, warf Kalman ein. Aber gut, vertrauen wir Vaters Urteil. Es wird ja auch Zeit, dass Gwenn in den Traviabund gesteckt wird. Sie soll ja keine alte Jungfer werden. Aber Moment, wenn sie einen Vasallen der Mersinger heiraten soll, muss sie ihren Posten am Hof aufgeben!”

“Ja, um das alles zu klären hat Vater Gudekar losgeschickt”, erklärte Mika. “Aber Gwenn wirkte ganz glücklich und zufrieden. Er kennt ja sowohl die Vögtin als auch diesen Mersinger ganz gut, meinte Vater.”

“Moment, dann sind das aber nicht die Mersinger aus Weidleth, oder?”, hakte Kalman nach, doch Mika beschwichtigte: “Nein, Kalman, ich glaube der kommt aus Rosengarten oder so.” Kalman atmete erleichtert aus, bevor Mika weitersprach. “Ist das nicht wunderbar? Eine Hochzeit! Meine erste Hochzeitsfeier! Und dann auch noch hier, bei uns!”

Mersinger, diese Familie hatte irgendwie einen seltsamen Ruf. Irgendwas war da mal passiert. Wie in jeder Familie, tröstete sie sich. Dann bekam Ciala einen Schreck und das Herz pochte ihr kurz bis zum Hals. „Rosengarten? Aber hoffentlich nicht diesen kleinen, seltsamen, wie heißt er gleich? Über den wird viel geredet, der streitet gerne rum und ist dauernd in Begleitung junger Mädchen. Den wird sie auf keinen Fall heiraten. Lares, ja genau Lares heißt er.“ Ciala hielt regen Kontakt sowohl zu den Frauen im Dorf als auch zu anderen adligen Damen und hatte so ein zwar grobes, aber recht großes Wissen, über wen gerade gelästert wurde.

„Ach, Ciala! Sie soll dich nicht den Mersinger heiraten, sondern seinen… wie heißt das? Ach, ja, seinen Kontormeister“, warf Mika ein und verdrehte dabei die Augen.

„Rosenhain, ihr meint Rosenhain, nicht Rosengarten“, korrigierte Kalman die beiden Frauen. „Das ist ganz schön weit weg. Aber gut, ich glaube, Vater hält viel von dem jungen Mersinger, seiner ritterlichen Tugendhaftigkeit, seiner Praiostreue. Er hat jedenfalls nach seiner Reise nach Liepenstein im Winter viel Gutes von ihm gesprochen. Und der dortige Kontormeister kann sicherlich gut mit der Münze umgehen, so dass sicherlich gut für Gwenn gesorgt sein wird. Aber es ist so weit weg, und Gwenn wird ihren Posten am Hof in Albenhus aufgeben müssen. Ob sich Vater das reiflich überlegt hat? Ich werde heute Abend unter vier Augen mit ihm darüber sprechen. Vielleicht ist es besser, bis dahin keine Bedenken zu äußern, wenn er denn bald kommt.“

Ein erfrischendes Bad

Nachdem das Gepäck vom Wagen geladen war, setzten sich die Reisenden an die Tafel im Hof und genossen die Speisen und Getränke, die Wiltrud aufgetragen hatte. Es wurde nicht viel geredet, denn die Reisenden schienen sehr erschöpft zu sein. So zog sich auch Merle sehr bald mit ihrem Kind zurück in ihre Kammer. Friedewald ließ sich von Kalman über den Hof und durch das Dorf führen, dass dieser dem Edlen über die wichtigsten Ereignisse in Lützeltal unterrichten konnte. Ciala war noch zusammen mit Willtrud am Gange, die Überreste der Vesper zu beseitigen, als Mika mit einem Bündel über der Schulter fröhlich den Wohntrakt verließ und leichten Fußes zielstrebig auf dem Weg in Richtung des Tores schritt, das den Gutshof vom Dorf trennte. Mika pfiff eine Melodie vor sich her, die Ciala nicht kannte, die ihr jedoch eine zwergische Weise zu sein schien.

Ciala freute sich, dass die Wogen etwas geglättet waren. Wie üblich besprach ihr Kalman erst alleine alles mit seinem Vater, um es ihr dann in ihrem Schlafgemach zu erzählen. Seiner Meinung nach sollte seine Gattin über den Stand der Dinge Bescheid wissen und sie lebten immer noch in ehrlicher Liebe und Gleichberechtigung. Auch im Haus herrschte Ordnung und als Ciala Mika so fröhlich sah – sie hatte immer schon starke Muttergefühle ihr gegenüber gehabt – bekam sie Lust, mitzugehen. “Mika, warte kurz. Wenn du nichts dagegen hast, begleite ich dich etwas auf einen Plausch. Und wir finden sicher was hübsches oder Brauchbares für die Jagd”

„Gerne, Ciala, ich wollte gerade zum oberen Bachlauf gehen und nach dem langen Ritt ein kühles Bad im Lützelbach nehmen. Begleitest du mich?“

“Aber gerne doch.” Der obere Bachlauf war wie geschaffen, um sich abzukühlen. Das Wasser sprudelte munter über Steine, man konnte sich wunderbar wie unter einem kleinen Wasserfall baden oder, wie es Kinder liebten, von Stein zu Stein springen. Zudem waren am Ufer sandige, etwas tiefere Buchten. Ciala erinnerte sich noch gut, wie sehr ihre Söhne es dort geliebt hatten. "Ich komme gleich mit.”

„Prima! Dann warte ich hier, bis du dir trockene Tücher geholt hast.“

Als Ciala ihre Sachen geholt hatte, schlenderten die beiden Frauen durch das Dorf, vorbei am Gasthaus und der Brennerei, aus der es nach vergorener Maische roch. Sie folgten dem kleinen Pfad, der firunwärts abzweigte und sich mehr oder weniger entlang des Baches schlängelte, vorbei erst an der Wassermühle später an der Forellenzucht. Die Geräusche aus dem Sägewerk der kleinen Tischlerei verrieten, dass hier gerade Bretter geschnitten wurden, vermutlich für die neue Scheune des Bauern Zweyfeld. Die alte Scheune war im Frühjahr eines nachts niedergebrannt.

„Ein perfekter Tag, den uns die Götter schenken. Es mag nicht die große Stadt sein, oder das bekannteste Dorf. An solchen Tagen bin ich einfach froh, hier zu sein und dass sich die Armut in Grenzen hält. Trotzdem ist mir mal wieder danach, den Herren Firun zu huldigen.“ Aufmerksam äugte sie zu Mika, die gerade etwas stiller war. „Bedrückt dich etwas? Warum heiratet Gwenn einen Gemeinen? Auf Dauer wird das unsere Familie schwächen. Sie ist hübsch. Ich hatte gehofft, dass sie jemanden findet, der unseren Stand hebt.“

„Ach Ciala“, antwortete Mika fröhlich, „mir ist die Ruhe des Tal viel lieber als die große Stadt. Das Rahja-Fest in Albenhus war ja wirklich schön, und nächstes Jahr sollten Du und Kalman unbedingt auch an dem Pelura-Turnier teilnehmen. Das macht wirklich Spaß! Aber es sind überall so viele Leute, und man hat keine Gelegenheit, ihnen auszuweichen. Hier kann man auch einfach mal durch die Wälder streifen, oder die Stille des Waldes bei der Jagd genießen. Ach ja, die Jagd… Hab ich dir schon von Meister Ubararum und meiner Jagd in Ishna Mur erzählt?“

Natürlich war es Ciala nicht entgangen, auf was nicht geantwortet wurde. Anscheinend konnte Mika den Kerl gut leiden. “Das Tal ist unsere Heimat, unser Rückzug um nach dem, was man oft Schreckliches anderswo erlebt, seine Seele heilen zu lassen. Ich liebe Pelura, natürlich mache ich mit.” So weit sie wusste, fand es in Albenhus statt, man sollte sich also sowieso blicken lassen. Zudem würde es eine Mordsgaudi werden. “Nein. Erzähl’ mir davon. Du hast sicher eine begehrenswerte Beute geschossen.”

„Das kannste wohl so sagen!“ Mika fing an, über das ganze Gesicht zu strahlen. Weißt du, eigentlich wollte ich ja nur ganz früh morgens einen Hasen oder so schießen. Da hab ich mich aus der Binge geschlichen. Aber Meister Ubararum hat mich dabei beobachtet. Aber statt mich zu Meister Borix zu führen, hat er mich in die Berge geführt und ich durfte einen Steinbock schießen. Das war aufregend! Vater war hinterher sehr sauer, aber Borix fand das alles gar nicht schlimm. Er ist so lieb und großherzig. Er hat mich dann sogar eingeladen, ein paar Wochen in Ishna Mur zu bleiben. Aber davon erzähle ich dir später in Ruhe.“

„Ach stimmt, du warst ja mit Angroschim unterwegs.“ Sie schürzte anerkennend die Lippen.“Das erzählst du mir am besten beim Baden. Ich habe immer noch ein Faible für die Jagd und will mir einen neuen Bogen kaufen. Was meinst du, wo ich die besten finde? Du machst doch bei unseren Jagden noch mit, wenn du da bist. Ach, die Kolbs haben das sechste Kind bekommen und die Ernte, die sowieso immer schlecht ist, war diesmal besonders übel, ich werde ihnen etwas geben. Die Mutter braucht Kraft.“

Mika blieb überrascht stehen und hielt auch Ciala an, indem sie an ihrem Arm zog. Als sich diese umdrehte, fragte Mika: “Was meinst du damit? ‚Wenn ich da bin‘? Soll ich denn wieder weggehen?“ Das Mädchen blickte misstrauisch.

Völlig emotional nahm Ciala Mika in die Arme. „Nie. Wenn es nach mir geht, sollst du nie gehen. Aber es zieht euch doch weiter, ihr trefft einen Mann. Ach, die Zeit vergeht so schnell.“

Die junge Edlentochter entspannte sich und fing an zu lachen. „Achso! Aber, nein, Ciala, was soll ich denn mit einem Mann? Mein Herz gehört Firun!“

...

Vater und Sohn

Am Abend der Ankunft saßen Friedewald und Kalman noch lange zusammen im Hof. Mit einer Pfeife im Mundwinkel erzählte Friedewald von der Reise nach Ishna Mur, den dortigen Feierlichkeiten, Mikas Aufenthalt in der Binge. Nur eine wichtige Begebenheit ließ er aus. Er erzählte von seiner zwischenzeitlichen Weiterreise nach Elenvina. Er berichtete von seinem Treffen mit Morgan und wie es Kalmans Sohn an der Akademie erging.

Als alle anderen auf dem Hof bereits zur Nachtruhe gegangen waren, forderte Friedewald seinen Sohn auf: „Komm, lass uns in den Keller gehen und noch ein kühles Bier trinken. Die Wände dort haben auch keine neugierigen Ohren.“

Kalman folgte seinem Vater widerspruchslos und wartete darauf, was Friedewald noch zu besprechen hatte.

„Du hast gehört, dass wir endlich einen Mann für Gwenn gefunden haben?“ fragte der Vater.

„Ja, Mika hat es schon erzählt, als sie ankam. Ein Bediensteter der Mersingers aus Rosenhain, richtig?“

„Nun er ist kein einfacher Bediensteter.” Friedewald zog an seiner Pfeife und bließ eine Rauchwölkchen aus. „Rhodan Herrenfels ist der Kontormeister der dortigen Rosenölpresse. Ein Geschäft mit dem Potential für großen Wohlstand.“

“Und doch ist er ein bürgerlicher. Du weißt, was Ciala und ich davon halten. Und du siehst, was bei Gudekar und Merle dabei herausgekommen ist.”

“Sag nichts gegen Merle! Sie ist das Beste, das deinem Bruder passieren konnte.”

“Das mag sein. Aber war er auch das Beste für Merle? Und du siehst, Vater, wie wenig Merle diesen Frevler unter Kontrolle hat. Aber, nun ja, ich vermute, es ist eh keine Liebesheirat und deine Entscheidung ist längst gefallen.”

“Ja, das ist richtig. Auch wenn Gwenn für diesen Mann schwärmt, weiß ich, dass er seinen Vorteil darin sieht. Andererseits ist es gut, Gwenn endlich in sicherem Bund zu sehen.”

Kalman schnaubte durch die Nase. “Solange wir uns keinen zweiten Gudekar ins Haus holen.”

Friedewald schluckte. “Ich bin mir sicher, der Herr Herrenfels wird sich bei seinen Vergnügungen geschickter anstellen.”

Die Blicke Kalmans zeigten deutlich, was er von der Bemerkung seines Vaters hielt, doch verlor er kein Wort darüber. “Gwenn wird ihre Stellung am Hofe aufgeben müssen. Ist es das wert?”

“Hm, wenn wahr ist, was ich gehört habe, dann sieht die neue Vögtin Gwenn eh eher als Konkurrentin. Insofern ist es fraglich, wie lange Gwenn ihren Posten noch behalten könnte. Ein Abgang in Würde zur rechten Zeit kann die Beziehungen zur Gräfin insofern vielleicht eher stützen als gefährden. Außerdem hat Gudekar scheinbar über seinen Auftrag ein gewisses Vertrauensverhältnis zur Vögtin Witta errungen. Dies könnte die entstehende Lücke schließen. Ach, Kalman, über Gudekars Mission müssen wir heute auch noch ganz dringend reden.”

Kalman schaute seinen Vater fragend an, aber auch hier bohrte er nicht weiter nach. Vater würde von sich aus sagen, was zu sagen war. Stattdessen fragte er: “Wann soll die Hochzeit stattfinden?”

“Eigentlich sobald wie möglich. Doch zur Zeit haben wir andere Sorgen und müssen zunächst für die Sicherheit in Lützeltal sorgen, bevor wir hier ein Fest ausrichten. Wir wollen ja nicht, dass es so endet, wie im Herbst in Herzogenfurt.”

Nun schaute Kalman erschrocken. “Was ist los, Vater? Rück raus, was bedrückt dich?”

Friedewald blieb zunächst stumm. Er nahm die beiden Bierkrüge und füllte sie auf. Dann holte er eine Karaffe aus einem Regal, füllte den blutroten Schnaps in zwei Becherchen und reichte Kalman eines. Die Karaffe stellte er auf den Tisch, an dem die beiden Männer es sich bequem gemacht hatten. “Die erinnerst dich an die Geschichte aus Talwacht? Der Paktierer Pruch, der dort Chaos angerichtet hat?”

Kalman blickte seinen Vater erwartungsvoll an.

“Nun, Gudekar ist seit dem Flussfest auf einer Mission, bei der es auch um das Wirken dieses Frevlers geht.”

“Was? Gudekar jagt den Paktierer?”

Friedewald schluckte den Schnaps hinunter. “Nun, nicht direkt. Vielleicht. Doch, ja, wahrscheinlich. Das ist der Grund, weshalb er in letzter Zeit so oft unterwegs ist.”

Nun brauchte auch Kalman etwas Kräftiges und schluckte den Albenbluth hinunter. “Was weißt du darüber?”

“Nun, nicht viel. Aber ich habe in Albenhus mit Gudekar sprechen können, und er wirkte äußerst besorgt. Weißt du, er hat in Elenvina erfahren, dass der Paktierer vor einigen Monden vermutlich von Unkenau die Straße in südliche Richtung eingeschlagen ist. Das würde ihn dann natürlich nach Lützeltal führen. Wäre es möglich, das er sich hier oder in der Nachbarschaft eingenistet hat, ohne dass wir dies bemerkt haben?”

Kalman dachte nach. “Gudekar hat mir diesbezüglich bereits eine Nachricht zukommen lassen. Diese erreichte uns in den Ingerimmtagen. Doch konnte ich nichts damit anfangen. Wir sollten auf besonders auffällige, traviafrevlerische Vorgänge im Tal acht geben. ‘Noch frevlerischer als das, was Gudekar getan hat?’, dachte ich da. Ich hatte mich im Dorf umgehört, doch hat mir niemand etwas Auffälliges berichtet. Da hab ich das als eines von Gudis wirren Hirngespinsten abgetan.”

“Hoffentlich war das kein Fehler! Ich denke, wir sollten Vorsicht walten lassen. Vielleicht warst du nicht derjenige, dem die Dörfler freizügig über solche Dinge berichten. Wir sollten nochmals jemanden anderen losschicken, um die Leute zu befragen, unauffällig, vielleicht im Gespräch bei einem Bier im Rodenbachs.”

“Und an wen hast du dabei gedacht, Vater?”

“Hm, ich möchte nicht zu viele einweihen, auch wenn dies die Chance erhöhen würde, eine Information zu bekommen. Ich dachte an Bernhelm.”

“Bernhelm? Meinst du, er ist der richtige dafür? Traust du ihm diese Aufgabe zu?”

“Oh es gibt kaum jemanden auf dem Gut, dem ich diesbezüglich mehr vertrauen würde. Außerdem war er die letzten beiden Monde mit mir zusammen unterwegs. Damit ist es unwahrscheinlich, dass der Frevler heimlich seine Identität angenommen hat.”

“Seine Identität?”

“Ja, genau. Dies hat der Paktierer wohl in Herzogenfurt getan, um unerkannt wirken zu können, sagt  Gudekar. Er hat dort einen Travianovizen ausgeschaltet und dessen Gestalt angenommen, um Vater Winnrich zu… entführen.”

“Einen Travianovizen? Ausgerechnet einen Travianovizen, sagst du?” Kalman war erschrocken. “Dann können wir also niemanden im Dorf mehr trauen?”

“Nein, im Prinzip nicht. Außer uns natürlich. Ich bin mir sicher, dass wir in einem solchen Fall etwas bemerkt hätten, wenn sich plötzlich das Verhalten von einem der unseren geändert hätte. Und genau nach solchen Änderungen möchte ich Bernhelm suchen lassen.”

“Vater, ist denn sicher, dass der - wie heißt er? – Pruch bereits im Tal ist?”

“Das wissen wir nicht. Er könnte sich auch in Hart oder Holdereck eingenistet haben, oder er ist längst durchgereist und dann die Ambrocebra weiter gezogen.”

“Dann wäre alles falscher Alarm…”

“Das sehe ich noch nicht so optimistisch, Kalman. Gudekar berichtete mir, nach den Ermittlungen in Talwacht wurde dort eine Liste mit den Namen der dortigen Ermittler gefunden. Diese hatten durchaus mit Angriffen auf sich und ihre Familien zu rechnen. Es ist deshalb zu vermuten, dass eine solche Liste auch mit Gudekars Namen darauf existiert. Immerhin hat er im Efferd mit seinen Helfern in Elenvina ein Nest der Anhänger des Paktierers ausgeräuchert – im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn der Pruch sich nun an Gudekar für seine Taten rächen möchte, dann könnte Lützeltal sehr wohl eine Zielscheibe sein.”

“Gut.” Kalman stand voller Tatendrang auf und stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte. “Dann sollte die Wache verstärkt werden. Lass uns einige Mann in Dienst nehmen. Und lass die Straße überwachen, alle Reisenden, egal ob lediglich auf der Durchreise oder mit Ziel Lützeltal, sollten überprüft werden.”

“Ja, das ist eine gute Idee, mein Sohn. Gudekar wird auf seiner Reise nach Rosenhain in Elenvina zwei Wachen der Plötzbogener anwerben. Er hofft, dass Ihre Hoheit Grimberta die Kosten dafür übernimmt. Ansonsten müssten wir sehen, dass wir den Sold bezahlen können.”

“Das wird nicht billig!”

“Gudekar versucht da etwas herauszuhandeln. Der Herrenfelser begleitet ihn. Der ist ein geschickter Verhandler, ich hoffe, die beiden können einen Freundschaftspreis heraushandeln.”