Gratenfelser Werben


Übersicht

Inhalt

Ulfried von Argenklamm wendet sich hilfesuchend an Lambrinus von Schweinsfold, einen Freund seiner Familie. Er möchte eine geeignete Partie für sich sowie für seine Schwester finden und erhofft sich Lambrinus' Rat.

Dieser jedoch verfolgt auch eigene Interessen, als es zu einem Treffen verschiedenster Kandidatinnen und Kandidaten in Gratenfels kommt.

Teilnehmer


Die Protagonisten





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Briefwechsel zwischen Ulfried von Argenklamm und Lambrinus von Schweinsfold (Prolog)

1. Brief von Ulfried

Kaltenstein, 12. Ingerimm 1045 BF

Höchst geschätzter Standesgenosse,

zunächst möchte ich dir von ganzem Herzen dazu gratulieren, dass du nun mit einem Junkergut, dem heimischen sogar, belehnt wurdest. Mit einem aufrechten und wackeren Streiter wie dir hat seine Hochwohlgeboren die bestmögliche Wahl getroffen! Wie du weißt, dauert es hier oben in den Bergen immer etwas länger, bis die Nachrichten ankommen, so habe ich erst kürzlich von deinem Glück erfahren. Ich wünsche dir allzeit PRAios Weitblick, PERaines Segen und PHExens Geschick bei deinen Lehenspflichten!

Ich hoffe, dir und deinen Söhnen geht es gut und ihr erfreut euch allesamt bester Gesundheit. Sind die beiden mittlerweile ebenso wackere Streiter wie du oder Elid geworden? Es würde mich freuen, dich wieder zu sehen oder von dir zu hören.

Denn lange ist es her, dass wir uns persönlich sprechen konnten, aber noch immer denke ich daran, wie du mir nach dem Ableben meines Vaters und meiner Schwester Mut zugesprochen hast. Nicht zuletzt deinen aufbauenden Worten habe ich es zu verdanken, das Erbe meines Hauses angetreten zu haben, statt angesichts der Last, welche diese Bürde versprach, aufzustecken.

Mittlerweile habe ich mich mit meiner Aufgabe abgefunden, mehr noch, ich finde Gefallen daran! Wie du einst sagtest, wem der Herr eine Pflicht auferlegt, der muss diese fromm annehmen, sodass er daran wächst. Und du hattest natürlich Recht! Ich finde mich, auch dank der Hilfe von Tante Aureliana, immer besser zurecht und merke, wie ich immer sicherer werde. Auch im Umgang mit unseren Standesgenossen!
Den kleinen Rudhard konnte ich zu dem Ritter von Kranickteich in die Pagenschaft geben. Du wirst dich kaum an ihn erinnern können, aber aus ihm wurde eine rechte Landplage! Vor seinem Holzschwert war in Kaltenstein weder Mensch noch Tier sicher. Ich hoffe, Ritter Fulco, der einst selbst Knappe meines Vaters gewesen ist, wird ihm diese Flausen austreiben und aus ihm einen Streiter PRAiosgefälliger Ordnung machen.

Zu meinen Pflichten als Oberhaupt unseres Hauses und Edler von Kaltenklamm gehört es aber auch, mich um den Fortbestand unserer Linie zu kümmern. Ich zähle mittlerweile fünfundzwanzig Götterläufe und habe mich noch immer nicht verlobt, geschweige denn Nachkommen gezeugt. Ich weiß, dass andere Edle und hohe Herren bereits mit Argwohn nach Kaltenklamm blicken.

Doch nicht nur ich muss mich umschauen, auch Gunhild ist noch nicht versprochen. Sie ist mittlerweile 20 Götterläufe und noch hübscher geworden in den letzten Jahren. Ein freundliches und einnehmendes Wesen hatte sie schon immer, wie du weißt. Sie ist, wenn ich das so offen sagen darf, der Schatz unserer Familie. Und auch wenn der Gedanke, sie nicht mehr in meiner Nähe zu wissen, mein Herz schwer werden lässt, so ist es das Beste für sie und unser Haus, wenn ich einen guten und aufrichtigen Mann für sie finde.
Zudem besteht die nicht unbegründete Möglichkeit, dass ich weder Frau noch Kinder haben werde, denn wer will schon einen Krüppel zum Mann haben, sodass meine Schwester oder ihre Nachkommen dereinst das Lehen erhalten werden.

Du wirst es dir schon denken können, dass dies, neben der Gratulation zu deinem Lehen natürlich, der Grund ist, weswegen ich dich anschreibe. Solch delikate Themen benötigen Vertrauen. Und ich vertraue dir und deinem Urteil. Auch bist du, insbesondere im Vergleich zu mir, schon herumgekommen und hast Kontakte geknüpft. Wenn du für mich oder, noch wichtiger, für meine Schwester eine gute Partie kennst, so würde ich mich über eine Empfehlung freuen.

Falls du in der Nähe weilst, würden wir alle uns natürlich freuen, dich in unseren bescheidenen Zimmern willkommen heißen zu dürfen. Du weißt, dass du jederzeit willkommen bist und, sofern du diese benötigst, allzeit auf unsere Hilfe zählen kannst!

Mit dem Ausdruck ergebenster Hochachtung

Ulfried Tommeldan von Argenklamm

1. Brief von Lambrinus

Gut Schweinsfold, 23. Ingerimm 1045 BF

Die Sonne voran, im Gruße des göttlichen Richters Praios,

welche wohltuenden Worte, die ich in deinem Brief vernahm, die doch zeigen, was für ein loyales Herz in deiner Brust pocht.
Dass der allweise Gott des Lichts dich in die richtige Position gebracht hat, habe ich nie in Frage gestellt. Ein Land im wilden Nordgratenfels ist eine Herausforderung, die nur ein Argenklamm meistern kann.
Ich selbst kämpfe nun eine eigene Schlacht, den die Familie aus der ich stamme, hat seinen rechten Weg verloren. Die Worte des Herrn praios sind hier nur Schall und Rauch und viel Unbill und Aberglauben, haben sich die die schönen Schweinsfolder Lande geschlichen. Doch der Herr der Gerechtigkeit hat mich ins Herz der Baronie gesetzt, auf das sein Wort und Wille wieder gehört werden kann.
Ein mutiger Mann, wie du es bist, hat es verdient, eine treue Gemahlin an seiner Seite zu haben. Tatsächlich fällt mir jemand ein. Das Haus Dachsgrün, alter Adel aus dem Schweinfoldschen, ist mir in Freundschaft ergeben. Reto von Dachsgrün, ein alter Kämpe am gratenfelser Hof, hat eine unversprochende Enkeltochter, Pralinda von Dachsgrün ihr Name, die im rechten Alter ist. Wenn du möchtest, könnte ich eine Verbindung herstellen und um ein Treffen in Gratenfels zu erbeten.

Was deine liebreizende Schwester angeht, so kommt mir da ein Gedanke. Wie du weißt, bin ich seit Jahren Witwer. Nun bin ich Junker von einem reichen Gut und könnte eine treue und götterfromme Seele an meiner Seite gebrauchen.

Sollte es ihr allerdings nach einem jüngeren Herzen dürsten, so kann ich meine Söhne Barnabas und Aldec zum Bunde bitten. Beide sind nun Ritter und voller Tatendrang, auch wenn die Jugend sie noch zu unüberlegten Handeln treibt. So kann ich nicht sagen, welchen der beiden es verdient hat, in meine Fußstapfen zu treten und einst die reiche Junkerei zu erben.

Ich hoffe meine Worte haben dein Herz erreicht, so wie es deine taten.

Mit dem göttlichen Vater im Sinn,

Lambrinus Godemichels von Schweinsfold, Junker von Schweinsfold

2. Brief von Ulfried

Hof Kaltenstein, 29. Ingerimm 1045 BF

Höchst geschätzter Standesgenosse,

aus jeder deiner Zeilen spricht das Vertrauen an den Göttervater, wie könnten diese Worte mein Herz nicht erreicht haben?

Wenn ich hadere und zaudere, so besuche ich immer unseren alten Schrein in den Katakomben unserer Stammburg. Auch wenn diese seit über hundert Götterläufen eine Ruine ist, so wird der Schrein von uns gepflegt und gehegt. In stillen Stunden der Einkehr finde ich dort Trost und Zuversicht. Und ähnlich ergeht es mir bei deinen aufbauenden Worten!

Dein Angebot bezüglich meiner Schwester ist äußerst großzügig und gutmütig. Ich danke dir hierfür von Herzen! Ich habe Gunhild allerdings versprochen, dass ich sie nicht gegen Ihren Willen verheiraten werde. Zumindest nicht, so sie sich denn bis zu ihrem 22. Lebensjahr für einen Gatten entscheiden kann. Und weißt du, was ihre Antwort auf deinen Vorschlag gewesen ist? Gut Schweinsfold sei viel zu weit von Kaltenstein entfernt! Ich war etwas sprachlos, wie du dir vorstellen kannst. Sollte es eine junge Edeldame nicht erfreuen, diesen kargen Tälern entfliehen zu können?

Vielleicht wären deine beiden Söhne, so sie denn nicht fest an ihren Ort gebunden sind, ein guter Kompromiss für sie. Hast du die beiden denn schon über diese Idee in Kenntnis gesetzt? Falls ja, dann könnten wir uns auf ein Stelldichein in Gratenfels verabreden, oder was meinst du?

Im Gegensatz zu Gunhild bin ich von deinen Vorschlägen übrigens sehr angetan und äußerst begierig darauf, mehr über diese Pralinda von Dachsgrün zu erfahren! Wenn du sie als rechte Partie empfindest, so kommt dies einer Bürgschaft für sie gleich. Ich hoffe nur, dass sie keine falschen Hoffnungen hegen würde und ich eine Enttäuschung für sie wäre.

Ich harre ungeduldig Deiner Antwort!

Mit dem Ausdruck ergebenster Hochachtung

Ulfried Tommeldan von Argenklamm

2. Brief von Lambrinus

Gut Schweinsfold, 23. Ingerimm 1045 BF

Die Sonne voran, im Gruße des göttlichen Richters Praios!

Dann lass uns nicht lange hadern, getreuer Ulfried. Meine Söhne haben in den Belange der Traviabünde nicht viel zu sagen, zumal ich mich vor dem göttlichen Richter allzu oft bewiesen habe und ich weiß, welchen Platz es anzustreben gilt. Sicherlich kann ich mir deine Schwester an der Seite eines meiner Söhne vorstellen, doch bin ich etwas enttäuscht. Eine Frau, die weiß, was sie möchte, mag ich zu schätzen, dennoch scheint es, als ob sie nicht zu Höheren streben mag. Wenn sie einen Gemahl sucht, der ihr nach Kaltenstein folgen mag, was bleiben den für Optionen? Soweit ich weiß, hat sie kein eigenes Land und mehr als deinen guten Namen (und Haushalt) nichts zu bieten. Da bleibt nur die Zuwendung zu den Gemeinen hin und das, Praios bewahre, möchte ich deinem Hause nicht wünschen. Der Aufstieg zur Sonne und nicht der Abstieg in die Finsternis ist der gerechte Weg.
So wie ich meine Söhne kennen, sehen sie ihre Heimat bei ihren Erben. Zumindest für einen wird das in Schweinsfold sein, der andere wird bemüht sein, sein eigenes Land zu erstreiten oder zumindest einen Platz bei Hofe in Gratenfels.
So bitte ich dich, rede mit ihr noch einmal. Widerspenstigkeit ist eine Eigenart, die sich oft beim Weibsvolk einnistet, dass sich jedoch mit schlagkräftigen Worten des Herrn Praios wieder austreiben lässt. Dass ihr die Seite eines Junkers geboten wird oder dessen Erbe, ist mehr, als sich eine Nachgeborene sich wünschen könnte.

Was der Enkeltochter des Reto von Dachsgrün angeht, kannst du mir vertrauen. Sie ist eine angemessene Partie für einen Edlen aus Nordgratenfels. Ich würde vorschlagen, dass wir uns in den letzten Tagen des Rahja in Gratenfels treffen. Dort können sich alle kennenlernen und gemeinsam im Heiligen Gebeten die unheiligen Tage bis zum Praios verbringen.

Mit dem göttlichen Vater im Sinn,

Lambrinus Godemichels von Schweinsfold, Junker von Schweinsfold

3. Brief von Ulfried

Hof Kaltenstein, 29. Ingerimm 1045 BF

Höchst geschätzter Standesgenosse,

ich wünschte, um meine Autorität wäre es ähnlich bestellt wie um die deine. Sollte ich jemals eigene Kinder haben, werde ich es ähnlich halten wollen. Ich nehme an, unserem Vater hätte sie nicht derart offen widersprochen. Wobei, auch er konnte ihr nur schwerlich einen Wunsch abschlagen.
In der Tat strebt sie nicht nach Höherem. Sie scheint zufrieden in Kaltenklamm, wobei ich natürlich den Traviabund mit einem Gemeinen auf das Schärfste ablehne. So weit geht die Zuneigung zu meiner Schwester nicht, als dass ich die Zukunft unseres Hauses ihrer Heimatliebe opferte.

Aber du hast Recht, wir sollten dessen nicht hadern. Dein ältester Sohn, Barnabas, wird dereinst dein Gut erben, nehme ich an. Insofern könnte Aldec die klügere Wahl von uns beiden sein. Falls ich ohne Erben bliebe, wäre meine Schwester bzw. deren Nachfahren die nächsten zu bedenkenden Personen in der Erblinie unseres Hauses. Wobei du selbstverständlich viel besser einschätzen kannst, ob dein Aldec diesbezüglich überhaupt Ambitionen hegte.

Deinem Vorschlag, im Rahja ein Treffen in Gratenfels anzustreben, bin ich äußerst zugeneigt! Möchtest du diesbezüglich die ehrenwerte Familie von Dachsgrün kontaktieren? Noch mehr als auf das Kennenlernen mit der empfohlenen Pralinda von Dachsgrün freut sich mein Herz auf die Stunden des Gebets und der Einkehr im Tempel des Herrn. Seitdem ich die Tempelschule verlassen musste, bin ich dort nicht mehr gewesen. Ich bin gespannt, was aus den ganzen Personen wurde und wie sie reagieren werden, wenn ich dort als Edler mit einem so weithin geschätzten Ritter wie dir durch das Portal trete.

Ich bin zeitlich jedoch in einer Hinsicht eingeschränkt, so kann ich die finsteren Tage nicht in Gratenfels verbringen, sondern muss zügig nach Kaltenstein zurückkehren. Anfang Praios steht das traditionelle Lechminsfest an und wir erwarten dieses Jahr einige Edelleute als Gäste, sodass ich noch zahlreiche Erledigungen anzugehen habe.

Es wäre mir daher genehm, wenn wir uns alle zwischen dem 24. und 26. Rahja in Gratenfels einfinden könnten, sofern deine Verpflichtungen dies zulassen.

In freudiger Erwartung und ergebenster Hochachtung

Ulfried von Argenklamm


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Traviagefälliges Treffen

25. Rahja 1045 BF, Stadt Gratenfels, Altenberger Rechtsschule

Unter Praios Blick

Der Morgen am 25. Rahja war ein schöner. Frischer Wind wehte den allgemeinen Gestank des Schwefels aus den Schwefelgruben hinfort und einige Vögel zwitschern fröhlich. Lambrinus Godemichels von Schweinsfold war guter Dinge und freute sich auf dieses Treffen. Der ältere Ritter und Praios-Akoluth hatte sich in einen weiß-goldenen Wams gesteckt und trug zu seiner dunklen Lederhose, frisch polierte Stiefel. All seine Auszeichnungen und Orden trug er sorgfältig aufgesteckt und trug auf seinem kahlen Haupt eine Junkerskrone. Gerade auf dieser war er stolz, denn das Junkergut Schweinsfold, Stammland seines Geschlechts, wurde ihm erst seit kurzem zugesprochen. Die Reise in seine alte Heimat, Gratenfels, war eine leichte gewesen, auch wenn seine Söhne, Barnabas und Aldec, dem ganzen mürrisch gegenüber standen. Zweck der Reise war dieses heutige Treffen, die Vorstellung heiratswilliger Damen und Herren und dazu gehörten, erzwungenerweise, auch seine Söhne. Hierzu hatte er sich mit dem jungen Edlen von Kaltenklamm, Ulfried Tommeldan von Argenklamm, verabredet, in der Hoffnung, eine passende Braut aus dessen Haus für seine Söhne zu finden. Gleichzeitig hatte er seinen alten Freund Reto von Dachsgrün hinzugeladen, denn seine Töchter waren allesamt noch ledig. Da der Herr von Kaltenklamm ebenfalls nach einer Braut Ausschau hielt, trafen sich die Interessen. Der alte Ritter und Rondra-Akoluth war mit seinen drei Töchtern, Praiolore, Praiotina und Pralinda erschienen und saß nun den Schweinsfoldern gegenüber an einem Tisch. Das Treffen fand in einem Beratungszimmer der Altenberger Rechtsschule statt. Die Schwägerin Lambrinus, Prianna von Altenberg, war die Rektorin dieser Lehrstätte und stellte diesen zur Verfügung. Der Raum war ordentlich, der Tisch gedeckt mit frischem Brot, Marmeladen, Wein, Milch und Honig. Die hölzerne Statue des Götterfürsten Praios, die an der Wand hing, blickte streng auf die Gäste hinab. An einem Nebentisch saß der junge Talfano von Altenberg, der Neffe der Rektorin, und sortierte einige frische Pergamente. Sollte es zu einer Verlobung kommen, so war er hier, um diese rechtlich und unter Praios Auge zu besiegeln. Noch waren nicht alle Gäste erschienen und keiner wagte ein Wort zu sprechen, bevor nicht alle da waren.

Kurz darauf, noch immer pünktlich, aber als letzte, betraten Ulfried von Argenklamm, der junge Edle von Kaltenklamm, und seine Schwester Gunhild den Raum. Ulfried trug eine kurze Wildlederhose, die unterhalb der Knie geschnürt gewesen ist und in knielange, graue Wollstümpfe überging. Darüber konnte man ein hellgraues Hemd erkennen, das am Torso von einer Lederweste mit bronzenen Nietenverzierungen an den Schultern verdeckt wurde. Er stützte sich mit seiner linken Hand auf einen hölzernen Gehstock mit einer verzierenden Schnitzerei, die man von weitem jedoch nicht genau erkennen konnte. Seine halblangen, dunkelbraunen Locken klebten stellenweise an seinem verschwitzten Kopf, der zudem leicht rot angelaufen war. Selbst für den Rahja war diese Hitze zu solch früher Stunde ungewöhnlich.
Gunhild trug ein einfaches, aber sauberes, dunkelgrünes Kleid mit orangenen Zierborden an Ärmeln und Halsausschnitt. Sie hatte ihre aschblonden Haare zu einem geflochtenen Kranz um den Kopf gesteckt, sodass man ihr hübsches, mit einigen Sommersprossen verziertes Gesicht, bestens erkennen konnte.
Beide blieben kurz überrascht stehen, als sie die Schar der Anwesenden sahen. Dann jedoch erblickte Ulfried Lambrinus und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Man sah ihm an, dass er direkt zu dem ehemaligen Schwertvater seiner bereits verstorbenen, älteren Schwester eilen wollte, dennoch hielt er inne und verneigte sich höflich vor den versammelten Edeldamen:
“Den Sonnenvater zum Gruße an diesem gesegneten Tag! Es ist mir eine Freude, heute zu dieser erlauchten Runde geladen zu sein.”,
sprach er mit beherrschter Stimme, eher er alle versammelten Personen mit einem kurzen Nicken bedachte und dabei auf seine jüngere Schwester wies, die etwas verloren hinter ihm stand und nicht zu wissen schien, wohin sie ihren Blick wenden sollte.
“Dies ist meine werte Schwester Gunhild von Argenklamm, der Schatz meiner Familie!”.
Dann legte er seine rechte Hand auf seine Brust und sprach weiter:
“Ich selbst bin Ulfried von Argenklamm, Edler zu Kaltenklamm und ehemaliger Scholar an dieser ehrwürdigen Institution.”

Eine kurze Stille machte sich breit, doch waren die Blicke aller äußerst neugierig.
“Praios zum Gruße, Haus Argenklamm! Da geht wahrlich die Sonne auf, euren Schatz zu begrüßen!”,
sagte Lambrinus überschwänglich und gab ein Zeichen, dass sie sich setzen dürften.
Der junge Mann neben ihm hatte eine stattliche Figur, sein blondes Haar trug er schulterlang und offen, der Blick verriet Stolz. Sein Gesicht war angenehm und nur die Form der Augen verrieten, dass er ein Sohn Lambrinus war. Gekleidet war er ebenfalls in einem weiß-goldenen Wams und die Schärpe mit dem Wappen des Grafenhauses deutete darauf hin, dass diese in dessen Dienste stand.
Der zweite Sohn Lambrinus wirkt etwas jünger, trug das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und glich dem Vater sehr. Die harten Gesichtszüge, sowie der stechende Blick seiner blauen Augen, waren kaum zu ignorieren. Sein Unbehagen konnte man ebenfalls aus seinem Gesicht lesen, doch schien es, dass er dies auch nicht verbergen mochte.
Den Schweinsfoldern gegenüber saß ein älterer Ritter, der eine leichte Rüstung trug mit einer auffälligen Kette mit Löwinnenkopf um den Hals. Sein Haar war weiß und schulterlang, das Gesicht glattrasiert. Neben ihm saßen drei Frauen, die sich alle ähnlich sahen, denn alle hatten die selbe spitze Nase wie der Ritter.
Die ältere der drei wirkte verlebt, hohlwangig und dunkle Augenringe zierten ihr Gesicht. Gekleidet war sie in der üblichen Tracht der Praiosgeweihtenschaft, Weiß-Rot-Gold mit Filzkappe. Ihr Blick war streng und jede weibliche Rundungen waren unter der Robe verborgen.
Die Zweite hatte ein freundliches Gesicht, doch machte ihr Silberblick es schwer zu deuten, ob sie einen anschaute oder nicht. Sie trug ihr braunes Haar zu einem strengen Dutt gesteckt, doch hatte sie sich an etwas Lippenrot und Kohlestift, zum Betonen ihrer Augen, gewagt. Ihr Kleid war in einem dunklen Rot und betonte ihre äußerst üppige Figur.
Neben ihr saß die jüngste der Schwestern. Diese trug ein blau-weißes Kleid, das mit Drôler Spitze an Säumen und Kragen verziert war. Ihr honigblondes Haar war lockig und mit einem blauen Haarband gebändigt worden. Ihr Gesicht wirkte schön, nur eine kleine Narbe am linken Auge fiel ein wenig auf. Ihre grauen Augen schauten gelassen auf die Praiosstatue und sie lächelte selig vor sich hin. Beide Hände hatte sie auf die Tischplatte abgelegt und gaben ihr einen braven Eindruck.
Zu guter Letzt sahen die letzten Ankömmlinge den jungen Mann am Nebentisch. Dieser war recht groß gewachsen und ein leichter Bartschatten auf Oberlippe und Kinn war zu sehen. Er hatte mandelförmige, grüne Augen, die freundlich schauten, und trug sein dunkelbraunes Haar kurz. Die Nase war schmal und wies einen ordentlichen Bogen auf, dennoch hatte er etwas androgynes, filigranes an sich. Die weiße Gelehrtenrobe, deren Kragen und Säume rot waren und mit Goldfäden aufgestickte Sonnen- und Greifensymboliken aufwiesen, und die beiden goldenen Ohrringe, deuteten darauf hin, dass es sich um einen Rechtsgelehrten handelte.
Dann stand der ältere Ritter auf und deutete auf die drei Frauen.
“Seid uns willkommen … sdas hier sind meine Schätze, meine Töchter Praiolore, Praiotina und Pralinda!”
Dann lachte er laut und setzte sich wieder hin.
“Ich bin Barnabas von Schweinsfold und das ist mein jüngerer Bruder Aldec.”,
sagte der junge Ritter mit der Schärpe, lächelte dabei und warf keck eines seiner blonden Strähnen über seine Schulter.
Noch bevor die Argenklamms antworten konnten, machte der Rechtsgelehrte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam.
"Verzeiht. Ich bin Talfano von Altenberg und bin gebeten worden, bei diesem Treffen anwesend zu sein.”
Mit einem ehrlichen Lächeln nickte er die beiden zu.

Die Schwester des jungen Edlen schien von der Situation und den vielen, zumeist unbekannten Gesichtern offensichtlich überfordert. Sie deutete reihum gegenüber allen Anwesenden einen Knicks an und lächelte dabei gezwungen. Selbst den jungen Schreiber bedachte sie mit dieser Geste.
Ulfried von Argenklamm nickte allen vorgestellten Personen kurz zu und betrachtete diese für einen Moment. Nachdem sich auch Talfano eingebracht hatte, wies der junge Edle auf zwei freie Stühle und den gedeckten Tisch.
“Eine solch reichhaltig gedeckte Tafel hatte ich nicht erwartet! Wir sollten uns zu euch gesellen und die Gaben Peraines genießen!”.
Dann wischte er sich mit dem rechten Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn und humpelte zu einem der beiden freien Stühle. Zu jenem, der sich neben Lambrinus befand.
“Komm’, wertes Schwesterherz”,
sprach er über seine Schulter, während der Gehstock jeden seiner Schritte mit einem Klacken auf dem Dielenboden begleitete.
Die Angesprochene schien sich zu besinnen, eilte an ihrem Bruder vorbei und zog ihm den Stuhl zurück, sodass er sich leichter setzen konnte, was Ulfried zunächst mit einen kurzen, aber strafenden Blick quittierte, ehe er freundlich lächelnd hinzufügte:
“Besten Dank, meine Liebe!”.
Dann setzte sich Gunhild selbst ebenfalls an die Tafel und faltete ihre Hände im Schoß, während sie die anwesenden Töchter des Hauses Dachsgrün mit einem Lächeln musterte. Ulfried blickte zu Lambrinus und auf seinen Lippen zeigte sich ein stolzes Lächeln. Er nickte dem Junker aufmunternd zu, als wartete er auf eine Ansprache oder Ähnliches.

“Wie schön.”,
sagte Lambrinus.
“Wir alle wissen ja , warum wir hier sind, die praiosgefällige Ordnung aufrecht zu erhalten und das in Travias Sinne. Meine Söhne hier,”
er blickte beide abwechselnd an,”
sind im besten Alter für eine Braut. Eine Frau, die sie tatkräftig unterstützt. Auch der Edle von Kaltenklamm ist genau aus diesen Gründen hier.”
Sein Blick wanderte zu den Frauen.
“Warum ist unsere Schwester nicht hier?”,
fragte Aldec spitz. Der Blick des Junkers verfinsterte sich ein Augenblick, doch lächelte er ihn fort.
“Sie … sie ist verhindert. Doch haben wir ja genug Weiblichkeit im Raum.”
Dann öffnete sich die Tür und die Rektorin Prianna von Altenberg kam hinein.
“Verzeiht die Störung und das ich so hinein platze, liebster Schwager. Bevor wir es vergessen, mein Neffe hier, der brillante Advocatus Talfano von Altenberg, ist ebenfalls auf der Suche und eine sehr gute Partie.”
Die strenge Frau mit den goldenen Augengläsern lächelte ebenfalls und setzte sich mit an den Tisch. Talfanos Gesicht nahm eine tiefe Röte an und sein Blick wanderte zu den leeren Pergamenten. Lambrinus seufzte.
“Nun gut. Herr Altenberg gehört mit zu der Partie, ihr seht, ihr habt Auswahl, hohe Dame von Argenklamm.”
Nun räusperte sich der Ritter Reto.
“Und nicht nur diese, wir wollen meine Schönheiten nicht vergessen.”
Die Mittle seiner Töchter lachte gluckern auf, die ältere Blickte emotionslos auf die Tischplatte, während die jüngste weiterhin selig die Praiosfigur anlächelte.
Nun verdrehte Lambrinus genervt seine Augen.
“Sicherlich. Nun, wir haben leider nicht viel Zeit, doch sollten wir unsere Zeit gut nutzen. Da ich das Haus Argenklamm geladen habe, so sollten die beiden als erstes ihre Fragen an unsere Heiratskandidaten stellen können.“
Damit forderte er den Edlen von Kaltenklamm auf.

Ulfried von Argenklamm musste kurz schlucken, als Prianna von Altenberg das Zimmer betrat. Unwillkürlich senkte er den Kopf und blickte auf den Tisch, ganz so, wie zu seinen Zeiten als Scholar. Erst als Lambrinus ihn direkt zum Sprechen aufforderte, besann er sich und blickte gezwungen lächelnd in die Runde. Von seiner Stirn rann der Schweiß, als er stotternd zu sprechen begann:
“Ja…ähm…sollen wir uns nicht erst an Peraines gaben laben? Ganz so eilig haben wir es doch hoffentlich nicht, oder? Haha…”.
Das herausgepresste Lachen verstarb schnell wieder, als er in die fragenden Gesichter um sich herum blickte. Er räusperte sich und rutschte auf seinem Stuhl kurz hin und her, bis er ganz aufrecht saß.
“Ja, hmmm…ich möchte meine zukünftige Gattin gerne kennenlernen. Also ich meine, so wirklich kennenlernen. Wie sie ist und wie sie denkt. Was ihr wichtig ist und was ihr Freude schenkt oder Gram bereitet.”
Er suchte einen Punkt an der Wand gegenüber, den er fixierte, als er weitersprach.
“Es…es ist so, dass ich selbst…”,
der junge Edle zuckte zusammen und wandte sich seiner Schwester zu,
“...das wir selbst erfahren mussten,”
dann ging sein Blick wieder zu dem Punkt an der Wand,
“wie das Leben in einer Verbindung, in der nicht…ähm…also…hmmm…”
Ulfried rieb sich sein Kinn.
“Ich möchte es anders ausdrücken.”,
er räusperte sich nochmals, ehe er fortfuhr:
“Das Leben in Kaltenstein ist nicht einfach und recht abgeschieden. Was uns dort - vor allem in den langen, kalten und dunklen Wintertagen - voller Zuversicht und Vorfreude unser Tagewerk und unsere Pflichten verrichten lässt, ist die gegenseitige Zuneigung und Wertschätzung.”
Er lächelte milde, ehe ihm noch etwas einzufallen schien und er schnell mit erhobenem Zeigefinger nachsetzte:
“...und der Glaube an den Herrn Praios selbstverständlich!”
Er wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Schweiß von der Stirn und blickte wieder zu seiner Schwester, die ihn zufrieden anlächelte und knapp nickte. Dies verstand er wohl als Aufforderung, weiter zu sprechen:
“Also…ähm…ebenso wie für mich, gilt dies für meine geliebte Schwester. Wir möchten, dass auch Eure von Euch innig geliebten Töchter und Söhne…”,
er ließ seinen Blick bei diesen Worten über die Runde schweifen,
“...ebenfalls von dieser Zuneigung und Wertschätzung erfüllt sind, wenn sie den Bund mit meiner Schwester oder mir eingehen.”
Sein Blick blieb auf Reto von Dachsgrün haften, als er seine kleine Ansprache beendet hatte.

Überraschenderweise räusperte sich hier der junge Altenberger.
“Ich denke, ich kann für Klarheit sorgen. Soweit ich informiert bin, nutzt hier jeder die Gelegenheit zu sprechen … miteinander. Sollte es dann ein gegenseitiges Interesse geben, kommen die Verlobungsverträge ins Spiel.”
Ein strenger Blick der Rektorin ließ den jungen Rechtsgelehrten kurz stocken.
“Verzeiht mir den Ausdruck. Dies ist natürlich kein phexgefälliges Spiel. Ich meinte nur, dass dann ein Vertrag aufgesetzt wird.”
Nun straffte er sich und sprach weiter.
“Im Vertrag wird festgelegt, das auf Jahr und Tag die beiden zusammen leben werden, um sich kennenzulernen. Natürlich in traviatischen und züchtigen Verhältnissen.”
Kurz schenkte er seiner Muhme einen prüfenden Blick.
“Dann wird entschieden, ob eine Hochzeit stattfinden wird.”
Die Älteren am Tisch nickten bestätigend und schenkten jedem einen strengen Blick.
“Ich werde auf keinen Fall in die Wildnis ziehen. Turniere rufen nach mir.”,
sagte der jüngere Schweinsfolder.
“Dem kann ich mich nur anschließen.”,
sagte der Ältere und lächelte die junge Argenklamm an.
“Ich bin gewillt euch zu folgen!”,
jauchzte die Mittlere Dachsgrün. Ein trockener Huster folgte von Aldec, dem ein hilfesuchender Blick an seinen Vater folgte.
Dann erhob Lambrinus sich.
“Nun, die Wahl solltet ihr haben, Ulfried und Gunhild. Die Gespräche können hier stattfinden, aber auch ein kurzer Spaziergang wäre denkbar.”
Dann machte er eine dramatische Pause und lächelte dann.
“Ich stehe auch für ein Gespräch zur Verfügung, hohe Dame von Argenklamm.”

Ulfried von Argenklamm nickte anerkennend, als der junge Schreiber seinen Vortrag beendet hatte. Als er den strengen Blick dessen Tante sah, musste er unfreiwillig Schmunzeln. Dieses Schmunzeln verschwand auch nicht, als er dem kurzen Wortwechsel von Lambrinus’ Söhnen und der etwas rundlichen Tochter des Ritters von Dachsgrün folgte.
Gunhild indes lächelte schweigend vor sich hin und sie schien anteilnahmslos. So dauerte es auch einen Augenblick, ehe sie die Worte des Junkers von Schweinsfold auf sich bezog. Es war der fordernde Blick ihres Bruders, der sie aus ihrer Lethargie riss, sodass sie sprach:
“Oh, wie? Ähm, ja, selbstverständlich!”,
verlegen lächelte sie Lambrinus an und erhob sich ebenfalls:
“Was…möchtet ihr?”.
fragte sie sehr vorsichtig.

Ulfried hingegen schien voller Tatendrang. Er griff nach einem Apfel und erhob sich etwas umständlich ebenfalls. An den Ritter von Dachgrün gewandt, frug er mit einer angedeuteten Verbeugung:
“Wenn ihr es gestattet, hoher Herr, dann möchte ich zunächst gerne mit Ihrer Gnaden einen kurzen Spaziergang machen, um mich in den Hallen des Herren einem gemeinsamen Gebet zu widmen. Als ältester Eurer werten Töchter gebührt ihr der Vortritt.”
Er blickte bei seinen Worten zu Praiolore und deutete erneut eine Verbeugung an, ehe er sich wieder dem Ritter zuwandte:
“Ihr erlaubt?”
Dann warf er den Apfel knapp einen Spann in die Luft und fing ihn wieder auf.

Überrascht zog Praiolore die dünnen Augenbrauen hoch und schenkte erst ihrem Vater einen Blick, dann Ulfried. Die hohlwangige Geweihte erhob sich stocksteif.
“Wie ihr wünscht, Wohlgeboren von Argenklamm.”
Dann ging sie direkt zum Ausgang, ohne auf den Edlen zu warten.

Ulfried von Argenklamm wollte gerade in den Apfel beißen, als die Geweihte in Richtung des Ausgangs marschierte. Der junge Edle ließ die Hand mit dem Apfel darin sinken und blickte der Praiotin kurz überrascht nach, ehe er sich besann und überhastet hinter ihr her humpelte. Sein Gehstock machte in schneller Folge klackende Geräusche auf dem Parkett und es gelang ihm nur noch, Praiolore ausser Atem:
“Wartet, euer Gnaden!”, hinterher zu rufen.

Lambrinus konnte kaum sein Lächeln verbergen, als die hübsche Schwester Ulfrieds ihre Zustimmung signalisierte.
“Der Herr Praios weiß, wem die Spitze gebührt. Lasst euch mit einem kurzen Spaziergang im Praiostempel davon überzeugen, dass ein Junker als Gemahl nicht das Schlechteste sein sollte.”
Er erhob sich und ging zu Gunhild rüber.
“Wollen wir, hohe Dame?”
Auffordernd hielt er ihr die Armbeuge entgegen.

Schüchtern lächelnd nahm Gunhild die Einladung des Junkers an und hakte sich ein. Als ihr Bruder der Geweihten hinterher hechtete, musste sie kurz Schmunzeln und nahm diesen Moment der Erheiterung zum Anlass, ihr eigenes Unwohlsein zu überspielen, als sie Lambinus direkt und mit fester Stimme ansprach:
“Wir wollen.”
Auf dem Weg aus dem Zimmer, blickte sie noch kurz in die Gesichter der hier verbliebenen auf der Suche nach einem sympathischen und gütigen Gesicht. Sie fand es dem jungen Schreiber, Talfano von Altenberg, den sie beim Gang nach draußen ein hilfesuchendes Lächeln zuwarf.

Dieser sprang plötzlich auf. “Ich begleite euch … zum protokollieren!”, sagte er schnell, als er den irritierten Blick des Junkers sah.

Die junge Schwester des Edlen blickte mit überraschtem Gesichtsausdruck zu Lambrinus und sprach mit gespielt spöttischem Unterton:
“Hier verliert man wohl keine Zeit!”,
dann wandte sie ihren Kopf zu Talfano und zwinkerte diesem verschwörerisch zu.

Die erste Unterredung - Spaziergang im Praiostempel

Mit einigen Schritten Abstand schlenderten die beiden Paare, Ulfried und Praiolore, sowie Lambrinus, Gunhild und Talfano, durch die große Andachtshalle des gratenfelser Praiostempels.



Die verlebte Geweihte lief stocksteif neben dem jungen Edlen und hatte sich seinem Schritttempo angepasst. Ihre Hände hielt sie gefaltet vor ihrem Bauch.
“Wohlgeboren Ulfried. Ich bin für klare und direkte Worte. Mir fehlt der verspielte Zugang in der Sprache, wie es mein Vater zu pflegen tut.”
Sie machte eine kurze Pause, sprach aber dann weiter.
“Meines Vaters und meines Hauses zur Liebe, würde ich einen Bund im Sinne der Eidgöttin Travia eingehen. Mein Herz gehört dem Göttervater Praios, dennoch sehe ich, dass euer Haus auch in seinem Sinne lebt. Wie ich hörte, währet ihr fast Gelehrter des Rechts geworden. Eine löbliche Berufung. Doch als Edler sind eure Aufgaben noch viel wichtiger.”
Praiolore blieb vor einem Bildnis des Götterfürsten stehen.
“Ihr seid Hüter eines heiligen Ortes. Ich könnte darin meine Aufgabe finden, Praios Herrlichkeit in eure Heimat zu bringen und zu mehren. Aber um ehrlich zu sein, auch hier in Gratenfels, habe ich meinen Platz gefunden.”
Nun wartete sie ab, bis der Edle sprach.

Ulfried folgte der Geweihten schweigend. Als sie vor dem Bildnis des Götterfürsten innehielt, blickte er ebenfalls hinauf und nickte. Dann betrachtete er die Geweihte mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. Als sie auf eine Antwort wartete, gab er zunächst ein kurzes, zustimmendes Brummen von sich und blickte wieder hinauf zur Statue. Man sah ihm an, dass er nachdachte. Schließlich atmete er tief durch und sah der Dienerin des Götterfürsten direkt in ihr Gesicht, wobei seine Augen den Anschein machten, als würden sie versuchen, in den Kopf Praiolores blicken zu wollen.
“Ich verstehe euch, euer Gnaden. Ihr habt euer Leben ganz der Hingabe zu dem Herrn gewidmet, richtig?”
Er nickte dabei und sprach weiter, ohne eine Antwort abzuwarten.
“Eine Geweihte des Herrn wäre eine Zier für den Stammbaum unserer Familie. Aber dieser Grund für eine Verbindung wäre lediglich meiner Eitelkeit geschuldet und nicht recht.”
Der junge Edle atmete tief durch und blickte zu Boden.
“Ich möchte den Traviabund mit jemandem schließen, der Kaltenklamm und die Aufgaben dort lieben lernen kann.”
Er hob seinen Kopf, sodass er der Geweihten in die Augen sehen konnte:
“...und vielleicht auch mich.”

“Nun, meine Aufgabe wäre die Pflege des Heiligtums und die Betreuung der Gläubigen. Und ihr habt recht, mein Leben ist der Hingabe zum Sonnengott gewidmet. Und Liebe? Nun, als liebende Ehefrau habe ich mich nie gesehen.”
Dann schaute sie ihn emotionslos an.
“Ich bin nicht sicher, ob ich die richtige wäre, als Zierde eines Stammbaumes.”
Vorsichtig lenkte sie ihre Schritte zurück zum Ausgang.

Ulfried überlegte einen Moment und sah die Frau fragend an, als er langsam hinter ihr einher schritt.
“Meint ihr…den Schrein des Herrn unter unserem alten Stammsitz? Dieser ist seit vielen Generationen verwaist, nurmehr eine Ruine. Wir…pflegen den Schrein natürlich noch. Man sagt, darin befinde sich eine Greifenfeder.”
Er schüttelte kurz den Kopf.
“Es ist sicher kein Heiligtum aber…dort spüre ich die Gegenwart des Göttervaters. Ich fühle mich ihm dort nah. Aber…”,
er sah wieder zu Praiolore,
“...dort lebt niemand. Und außer meiner Familie weiß auch niemand von dessen Existenz. Naja,”
er musste verlegen lächeln,
“...Lambrinus natürlich noch. Und ihr wisst nun ebenfalls davon.”
Dann räusperte er sich kurz:
“Ich…danke euch für eure offenen Worte und…ich habe verstanden.”
Er blieb einen Augenblick stehen, biss in den Apfel, den er noch immer in Händen hielt und folgte der Geweihten in kurzem Abstand zurück in das Besprechungszimmer der Rechtsschule.



Andächtig blickte der Junker von Schweinsfold an der Götterstatue des Götterkönigs empor.
“Praios, der allmächtige Vater. Er setzt jeden an seinen vorherbestimmten Platz.",
sagte Lambrinus und schaute die viel jüngere Frau an.
“Ihr könntet Gemahlin eines Junkers werden und währet Herrin schöner Ländereien. Eine Frau mit eurer Schönheit wäre eine reine Verschwendung im Nordgratenfelser Hinterland zu verblühen, findet ihr nicht?”

Die junge Dame lächelte verlegen und blickte ebenfalls zur großen Statue empor. Ihre Wangen röteten sich leicht.
“Ihr schmeichelt mir.”,
brachte sie verlegen hervor. Ohne den Junker anzusehen, sprach sie nach einer kurzen Pause weiter:
“Ich mag meine Heimat. Die felsigen Täler, die harte Arbeit. Ich mag es sogar, den Bauern zur Hand zu gehen. Ich fühle mich nicht als Herrin schöner Ländereien.”
Ihr Herz ging schneller, als sie sich traute, den älteren Edelmann anzublicken.
“Und ich glaube, dazu hat mich der Götterfürst auch nicht bestimmt.”

“Ehrliche Worte.”,
mischte sich der junge Rechtsgelehrte ein und blickte sie mit seinen schönen Augen an.
“Ihr habt noch nicht beschrieben, wie es in eurer Heimat aussieht, doch so wie eure Worte klingen, bin ich mir sicher, dass es wunderschön ist.”
Ehrlich lächelte er sie an. Der Junker schenkte beiden einen überheblichen Blick.
“Nun, ´glauben´ reicht nicht. Der Herr Praios bestimmt nicht ihre, meine Liebe. Was glaubt ihr denn, was ihr in Kaltenklamm erreichen könntet? Eure Bruder ist der Edle. Für mehr ist ja kein Platz … und wer kommt für euren Unterhalt auf? Soweit ich weiß, springt der Dukate nicht weit im Norden. Im Vergleich zu Schweinsfold aber...”

Gundhild zog die Augenbrauen zusammen und blickte nun etwas verständnislos zu Lambrinus.
“Dukate?”,
frug sie beinahe schon aufgebracht. Dann schüttelte sie sich.
“Weder mein Glaube noch meine Liebe sind käuflich.”

Der Junker rümpfte die Nase.
“Ich hatte gehofft, das ihr weniger naiv seid, gute Gundhild. Glaubt ihr wirklich allein von Luft und Liebe zu leben? Als meine Gemahlin könnt ihr euch zum erstenmal schöne Kleider leisten und musst nie wieder Hunger erleiden. Und ich bin mir sicher, dass die Liebe zu mir in eurem Herzen entflammen wird.”
Nun schenkte er ihr ein überhebliches Lächeln.
Talfano stockte kurz und in seinem Gesicht zeigte sich Unverständnis gegenüber den Worten des Junkers.

Gunhild reckte dem Junker herausfordernd ihr Kinn entgegen und war sichtlich aufgebracht.
“Ihr müsst wissen, dass ich an einem solchen Orte niemals eine Lüge sprechen würde. ‘Der Wahrheit treu verpflichtet!’ Das sollte euch bekannt vorkommen.”
Sie machte eine kleine Pause, so als müsste sie dem Junker von Schweinsfold etwas Zeit geben, um sich an den Wahlspruch des Hauses Argenklamm zu erinnern, bevor sie weitersprach:
“Bevor ich Hunger leide, würde ich lieber die Schweine selbst hüten, als mich in schicke Kleider zu zwängen und so zu tun, als genösse ich das!”
Direkt nachdem sie diese Worte aussprach, zuckte sie zusammen. Sie wusste, dass sie mit diesen Worten nicht nur Lambrinus verärgerte, sondern auch ihren Bruder, wenn er erführe, dass sie den Junker brüskierte.

“Und wie es ausschaut, wird es genau das sein, was ihr tun werdet. Einen Bauern heiraten, um Schweine zu hüten. Wenn ihr genau nachdenkt, dann wisst ihr, dass auch ich die Wahrheit sage.”
Sein Blick wanderte wieder zur Statue.
“Ich gebe euch einen Moment zum nachdenken. Bis dahin steht mein Angebot.”
Sein Lächeln verschwand, drehte sich um und ließ die Beiden stehen.

Als Lambrinus einige Schritte entfernt war, löste sich die Anspannung von Gunhild. Sie stützte sich mit einer Hand an der Statue ab und pustete tief durch.
“Ulfried wird mich schelten!”,
sprach sie zwar zu sich selbst, aber dennoch laut aus.
Dann schien sie sich daran zu erinnern, dass sie nicht alleine war und sie straffte sich wieder. Mit einer schwungvollen Drehung wandte sie sich Talfano von Altenberg zu und lächelte entschuldigend.
“Es tut mir leid, dass ihr das mit anhören musstet.”
Dann wurden ihre Gesichtszüge wieder etwas härter.
“Aber ich habe jedes einzelne Wort genau so gemeint! Ich will nicht eine hübsch angezogene Puppe zum Spielen für einen Junker sein!”
Langsam schien sie sich wieder in Rage zu regen:
“Und außerdem kennt Lambrinus mich schon, da war ich noch ein kleines Kind! Ich saß bei ihm auf dem Schoß und er fütterte mich mit Omas Apfelmus! Und jetzt will er mit mir…”
Sie brach den Satz ab und schüttelte verständnislos den Kopf.
“Nein, Ulfried muss damit leben, dass ich den da”,
sie fuchtelte mit ihrem Zeigefinger in die Richtung, in welche Lambrinus verschwand,
“...niemals heiraten werde!”
Zum Abschluss ihres Vortrags zog sie eine grimmige Schnute.

Talfano stellte sich neben ihr.
“Der Junker hat sich in seinem Ton vergriffen, da kann keiner euch das übel nehmen. Ihr habt eure Frau gestanden. Nichts anderes würde ich von meiner Gemahlin erwarten. Ihr müsst wissen, meine Mutter und meine Schwestern sind vom selben Schlag. Hätte der Junker mit meiner ältesten Schwester Sabea so gesprochen, hätte sie ihn vor den Tempel gebracht und …”
Nun musste der junge Mann verlegen lachen.

“Danke für…euren Zuspruch.”
Gunhild lächelte den Schreiber verschmitzt an. Dann pustete sie erneut durch.
“Jetzt muss ich mich wohl noch mit seinen beiden Söhnen herumschlagen.”
Langsam setzte sie sich in Bewegung, um zu dem Zimmer, in dem sich alle versammelt hatten, zurückzukehren.

Die zweite Unterredung

Kaum hatten Praiolore und Ulfried das Besprechungszimmer der Rechtsschule wieder betreten, erwartet sie ein unerwarteter Anblick. Der Jüngere der schweinsfolder Brüder, Aldec, stürmte genervt aus dem Zimmer, während die korpulente Praiotina weinend am Tisch saß. Ihr Vater Reto tröstete sie und schenkte den Ankömmlingen einen hilfesuchenden Blick. Die Jüngste der Dachsgrün, Pralinda, schaute noch immer selig, doch diesmal schien sie aus dem Fenster zu schauen. Barnabas gähnte und schenkte beiden einen müden Blick.

Ulfried blickte überrascht in die Runde und als er die weinende Praiotina sah, sah man das Unwohlsein in seinem Gesicht. Er wandte sich daher an deren Vater und sprach ganz beiläufig:
“Ähm…scheint ungünstig gerade. Ich…ähm…werde dann zuerst mit…ähm…Pralinda sprechen.”
Ulfried versuchte zuversichtlich zu blicken, doch es gelang ihm nicht recht. Daher wandte er sich schnell um und schritt zur jüngsten Tochter des Ritters. Nach einem kurzen Räuspern sprach er sie an:
“Verzeiht, junge Dame, möchtet ihr mich ebenfalls in den Tempel begleiten?”

Kurz zuckte das hübsche Mädchen zusammen und blickte in Ulfrieds Richtung. Das Lächeln behielt sie, doch schaute sie ihm nicht in die Augen, erst als sie nach dem langen Gehstock neben sich griff, wurde ihm klar, dass sie blind war.
“Oh, sehr gerne…Ulfried. Ein wenig Bewegung wäre mir genehm.”
Dann erhob sie sich und steckte ihre Hand in seine Richtung.

Ulfried schluckte. Das hatte er nicht erwartet. Er schämte sich beinahe dafür, dass er dachte, die junge Dame wäre bei dem vorherigen Gespräch in Gedanken abwesend geblieben oder hätte ihr Desinteresse zur Schau gestellt. Betreten blickte er zu Boden, bevor ihm auffiel, dass Pralinda das nicht sehen konnte. Er kniff die Lippen zusammen und spürte eine Trockenheit in seinem Mund. “Gu…”, ein trockenes Husten kam aus seinem Hals. Er griff nach einem Becher und leerte ihn. Zu seinem Glück war dieser mit Milch gefüllt, die sich wie Balsam über seine Kehle legte.
“Verzeiht, junge Dame. Sehr gerne!”.
Er verbeugte sich, wofür er sich bereits in der nächsten Sekunde ziemlich dumm vorkam, dann griff er zaghaft nach ihrer Hand.

Kaum trafen sich ihre Hände, wurde ihre angenehm warme Hand zu einem sicheren Griff.
“Gehen wir.”,
sagte Pralinda und er konnte spüren, dass sie diesem Raum entkommen wollte.



“Hat euch schon jemand gesagt, dass ihr eine schöne Stimme habt, Ulfried?”
Pralinda lächelte wieder, doch diesmal wirkte es echt.
“Meine arme Schwester redet zu viel, ich wusste schon von Anfang an, dass keiner der Brüder Interesse an uns hat. Die Schweinsfolder haben eine…standesbewußte Art an sich. Um es gelinde auszudrücken.”
Wie natürlich lief sie mit Ulfried in seinem Tempo.

Ulfried errötete leicht ob des Kompliments, ehe er stammelnd hervorbrachte:
“Äh…nein. Das hat noch niemand gesagt…danke!”
Ganz unbewusst drückte er dabei die Hand der jungen Dame etwas fester.
Er sah sich um und suchte einen Weg, der breit genug war, dass er Pralinda nicht ständig würde dirigieren müssen. Er wollte den breiten Gang zwischen den Säulen nehmen.
“Kommt, wir gehen nach links.”
Ganz sacht schob er sie mit seinem Arm in die gewünschte Richtung. Dabei besah er ihr Profil. ‘Einen Moment zu lange’, dachte er, ehe ihm einfiel, dass sie das nicht bemerken würde. Also überwand er seine Zurückhaltung und blickte sie mit zur Seite geneigtem Kopf etwas länger an. Sie war schön, wie er fand, ihre feinen Gesichtszüge gefielen ihm. So gut, dass er für einige Augenblicke sogar vergaß zu sprechen. Und dieses Schweigen würde ihr sicher auffallen.

“Ich bin sicher nicht das, was ihr euch unter einer ´guten´ Braut vorstellt. Aber ich nehme es euch nicht übel.”,
sagte sie, um die Stille zu brechen.

“Äh, was?”,
Ulfried kam sich ertappt vor und er zwang seinen Blick in die Ferne, ehe er erwiderte:
“Also nein…ähm…doch!”
Der junge Edle fluchte innerlich ob seiner Unsicherheit und seines ungeschickten Auftretens. Abrupt blieb er stehen und das Klackern seines Stockes auf dem Steinboden verhallte. Er hielt dabei die Hand Pralindas fest, sodass sie sich nach einem weiteren Schritt automatisch in seine Richtung drehen musste. Als sie dann vor ihm stand, räusperte er sich kurz. Er erinnerte sich daran, wo er sich mit der jungen Dame befand und sprach zu ihr:
“Ich bin lediglich verunsichert. Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Bitte verzeiht mir dies.”

Fast schien es, als ob Pralinda ihn mit ihren grauen Augen direkt ansah.
“Ihr macht das schon ganz gut. Dieses ´Kennenlernen´ ist ja auch etwas ungewöhnlich. Die meisten Menschen unterschätzen mich oder haben Angst überhaupt mit mir zu sprechen, da ich nicht sehen kann. Doch glaubt mir, ich bekomme mehr mit als die meisten. Eine Fähigkeit, die mir am Hofe des Grafen schon sehr geholfen hat. Natürlich habe ich euch auch zugehört. Ich kann sagen, dass ihr ein ehrliches Herz habt.”,
sie drückte ganz fest seine Hand.
“Ulfried, erzähle mir von eurer Heimat Argenklamm.”

Ulfried war überrascht, was man nicht nur in seinem Gesicht sehen, sondern auch an seiner Stimme hören konnte:
“Am…am Grafenhof? Was macht ihr dort?”
Dann besann er sich, dass die junge Dame ihm eine Frage gestellt hatte.
“Achso, ja, meine Heimat. Hmmm…mein Lehen nennt sich Kaltenklamm. Argenklamm ist lediglich der Name meines Hauses, weil in dem Gut zwei Bäche, die Arge und die Kalte, durch zwei Täler fließen.”
Ulfried lächelte etwas verlegen. Er wollte Pralinda nicht gleich mit Kleinigkeiten langweilen. Also straffte er sich und drückte ihre Hand dabei unbewusst etwas fester.
“Ähm, ja, genau. Also diese beiden Täler bilden die Lebensader meines Guts. Es liegt zu guten Teilen im Vorderkosch, daher leben dort auch keine zweihundert Seelen. Das Gutshaus selbst liegt in Kaltenstein, dort, wo die Arge in die Kalte mündet und beide Täler sich vereinen.”
Mit seiner freien Hand zeichnete er Linien in die Luft.
“Rings herum liegen saftige, grüne Wiesen und Bachauen, die von Eichen und Rotbuchen gesäumt sind! Weiter oben sind die Hänge der Berge von Tannen, Fichten und Kiefern bewachsen. Der Duft ihrer Nadeln zieht nach einem kräftigen Schauer bis hinunter zu uns ins Tal!”
In Ulfrieds Stimme hatte ich eine hörbare Begeisterung geschlichen.
“Und wenn am frühen Morgen die Sonne über dem Kosch aufsteigt, dann taucht die Praiosscheibe den felsigen Gipfel des Stenzelkopfs in ein feuriges Rot und er scheint zu glühen!”.
Die letzten Worte wurden immer langsamer und leiser, denn mit einem Male befiel den jungen Edlen eine tiefe Traurigkeit. Ein Gefühl, welches er lange nicht mehr hatte. Beinahe schon flüsternd fügte er hinzu:
“...Ihr müsstet es sehen können, es ist wunderschön.”
Dann ließ er seine Hände langsam sinken.

Verlegen ließ sie ihren Blick senken.
“Das hört sich gut an. Und eure Worte lassen eure Heimat wunderbar erscheinen. Wie sehr würde ich den Duft der Bäume genießen, als diesen ständigen Gestank der Schwefelquellen. Und an die Farbe Rot kann ich mich erinnern … es gab mal eine Zeit, in der ich sehen konnte.”
Ihre Stimme wurde immer leiser.

Ulfried hatte einen Klos im Hals. Es musste sich mehrmals räuspern, ehe er wieder zu seiner Stimme fand, die dennoch belegt klang.
“Wie ist…das passiert? Wollt ihr darüber sprechen?”

Sie machte eine kurze Pause. "Ich bin an einem Baum hochgeklettert, der Ast brach. Als ich wieder aufgewacht bin, konnte ich nichts mehr sehen. Erst Stunden später hatte man mich gefunden. Ich war 5 Götterläufe alt.”
Ihr Blick senkte sich, doch dann lächelte sie.
“Das ist lange her. Ihr könnt mir glauben, dass ich auch ohne mein Augenlicht gut klar komme.”
Zur Unterstützung ihrer Worte machte sie mit ihrem Gehstock ein paar klickende Geräusche.
“Ich würde gerne eure Heimat erleben.”

Ulfried lächelte.
“Da haben wir einiges gemeinsam. Das hier…”, er richtete seinen Blick auf sein rechtes Bein,
“...ist auch beim Klettern passiert, in der Klamm, da war ich acht.”
Dann stockte er kurz, da er sich dessen bewusst wurde, dass Pralinda nicht sehen konnte, wohin er blickte.
“Ähm…also das mit meinem Bein. Das ist nämlich kaputt. Daher benötige ich auch einen Stecken zum Laufen!”
Er lachte kurz auf, sammelte sich schnell aber wieder.
“Verzeiht, ich weiß, dass unser beider Schicksal nicht zum Lachen ist, es sind eher die überraschenden Gemeinsamkeiten, die mich erheitert haben.”
Er atmete durch und betrachtete das Gesicht von Pralinda erneut. Dabei musste er tief seufzen und verspürte wieder eine leichte Schwermut.
“Ach, wie gerne würde ich euch meine Heimat zeigen. Es würde euch wahrscheinlich sogar gefallen. Ich denke nur, dass ihr dort nicht leben könntet.”
Er schloss seine Augen, denn er bedauerte seine Worte in dem Moment, in welchem er sie aussprach.

“Warum denkt ihr, dass ich dort nicht leben könnte?”,
fragte sie mit echter Neugier.

Ulfried dachte einen Moment nach, während seine Glieder erschlafften. Nach einigen Augenblicken sprach er, ohne Pralinda dabei anzublicken:
“Es ist…hmmm…ich will erhlich zu euch sein. Kaltenklamm ist ein armes Gut. Das Land ist karg und dünn besiedelt. Meine Familie konnte sich noch nicht einmal den Unterhalt einer kleinen Burg leisten. Wir leben auf einem kleinen Hof in einem ganz normalen Haus. Tür an Tür mit Bauern und Hirten. Selbst meine Schwester geht diesen zur Hand und kümmert sich sogar ab und an um die Schweine von Bosper. Wahrscheinlich auch, um nicht vor Langeweile zu sterben.”
Er seufzte erneut, dann drückte er ihre Hand wieder etwas fester und wandte ihr seinen Blick zu. Sein Herz schlug schneller und seine Hände zitterten.
“Es ist ein rauhes Land und jeder hat seine Aufgabe. Ich weiß nicht, was eure wäre.”

Überraschenderweise lachte sie.
”Macht bitte nicht denselben Fehler wie so viele. Auch ohne Augenlicht bin ich von Nütze. Ich bin mir sicher, dass es eine Aufgabe für mich gäbe. Und um ehrlich zu sein, wäre ich froh, nicht mehr in den festen Mauern einer Grafenburg festzusitzen und den stinkenden Schwefelquellen zu entkommen.”

Ulfrieds Hände zitterten noch immer. Doch er schien überrascht und neigte seinen Kopf leicht zur Seite.
“Meint ihr das…ernst?”,
frug er und auch seine Stimme schien dabei brüchig zu werden.
“Ich…ich…”,
er hatte einen Klos im Hals und war in diesem Moment froh, dass Pralinda ihn nicht sehen konnte, da sein Gesicht rot anlief und sich wieder Schweiß auf seiner Stirn bildete.
“...ich m…m…mag euch nämlich.”,
brachte er stotternd hervor, als er sich endlich dazu überwinden konnte, seine Gedanken laut auszusprechen.

Nun errötete Pralinda.
“Ich mag euch auch … Ulfried.”,
sagte sie schüchtern.

Ulfried ließ erschrocken die Hand von Pralinda fahren und zuckte kurz zurück. Dabei entfuhr ihm lediglich ein überraschtes:
“Oh…”.
Er humpelte einige Schritte von links nach rechts und wieder zurück und murmelte unverständlich vor sich hin, ehe er stehen blieb und die verloren in der Halle stehende Dame wieder zu beachten schien. Mit einem schnellen Schritt stand er wieder bei ihr und stammelte:
“Ähm…tut mir leid. Ich überlege nur…was macht man da jetzt? …also wir. Hmmm…”.
Er betrachtete ihr Gesicht wieder etwas länger, widerstand jedoch seinem Bedürfnis, dieses vorsichtig zu berühren.
“Hmmm…sollen wir...also, ihr könntet noch mit meiner Schwester sprechen. Sie kann euch viel besser als ich erzählen, wie es sich als Edeldame in Kaltenstein so leben lässt. Ich…muss auch noch überlegen. Und morgen früh zur achten Stund’, wollen wir uns entscheiden. Dann können wir uns sicher sein, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und nicht weil wir…weil ich gerade ein wenig…ähm…überwältigt bin.”
Man hörte an der Überzeugung in seiner Stimme, dass er seinen Vorschlag für eine gute Idee hielt.

“Eure Schwester muss mir das nicht erzählen, ich würde es gerne selbst erfahren … doch sicher freue ich mich darauf auch eure Schwester kennenzulernen. Lasst uns zurückkehren … und morgen früh entscheiden.”
Pralinda lächelte.

Zurück in der Stube

Als Gunhild und Talfano in den Besprechungsraum zurückkehrten, waren dort nur der Junker von Schweinsfold, sein Sohn Barnabas, die Rektorin und der alte Reto von Immergrün-Dachsgrün anwesend. Prianna schenkte beiden einen prüfenden Blick, während Lambrinus überheblich schaute. Reto schien nachdenklich, während Barnabas sich streckte.
“Die stoische Jungfer. Wollen wir?”,
sagte der junge Ritter und erhob sich.

Die Augen von Gunhild verengten sich und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie zwang sich jedoch vor den Anwesenden dazu, ihren Zorn zu unterdrücken. Mit kühlem Blick fixierte sie Barnabas und dann Lambrinus für einige Augenblicke.
Dann legte sie ein bezauberndes Lächeln auf und ging zwei Schritte auf den jungen Ritter zu. Sie warf mit ihrer linken Hand ihre Haare über die Schulter und blinzelte Barnabas zu. Mit zuckersüßer Stimme wandte sie sich an den in ihren Augen überheblichen jungen Mann:
“Ach, mein tapferer Ritter, ich muss euch leider sagen, dass ihr euch unnötiger Weise erhoben habt.”
Keck blies sie eine Strähne aus ihrem Gesicht.
“Spart euch eure Kraft und setzt euch wieder. Ich habe meine Wahl nämlich schon getroffen. Ich werde ihn heiraten.”
Sie machte eine halbe Drehung und wies auf Talfano von Altenberg. Doch ohne dessen Reaktion abzuwarten, wandte sie ihren Blick, mit einem breiten Lächeln garniert, wieder zu Barnabas und dann zu Lambrinus.

Nun sprang Rektorin Prianna von Altenberg aus ihrem Stuhl auf und schlug freudig die Hände zusammen.
“Oh, gütige Herrin Travia, was für gute Neuigkeiten!”
Selten zeigte sie solch ein breites Lächeln wie in diesem Moment.
Talfano machte einen Schritt zurück und errötete.
“Oh …”,
brachte er nur heraus.
Der Blick des Junkers verfinsterte sich, während sein Sohn nur mit den Schultern zuckte.
“Ist dem so.”
dann wanderte sein Blick zu dem jungen Altenberger.
“Mein Glückwunsch. Nun …”
Bevor Lambrinus weiter sprechen konnte, ergriff Prianna das Wort.
“Wir danken dir, liebster Schwager.”
Der Junker biss sich auf die Zunge und zeigte ein gestelltes Lächeln.
“Ich denke, wir sind hier fertig. Grüßt mir euren Bruder … wenn er zurückkommt. Die richtige Wahl ist eindeutig in diesem Raum für ihn vorhanden.”
Dann stand er auf und machte sich zum Gehen auf. Barnabas folgte ihm.
Der alte Kämpe Reto zog verärgert seine Augenbrauen zusammen, sagte jedoch nichts. Anscheinend wusste er, dass das nichts bringen würde.

Gunhilds Körper blieb angespannt, sie stand kerzengerade und herausfordernd mitten im Raum. Erst als Lambrinus und sein Sohn das Zimmer verlassen hatten, fiel diese Anspannung von ihr ab und sie schien beinahe in sich zusammenzufallen. Sie hielt sich an einer Stuhllehne fest, zog den Stuhl langsam hervor und setzte sich dann langsam und umständlich darauf. Sie schien überdies sonderbar abwesend. Ohne die noch anwesenden Personen zu beachten, vergrub sie ihr Gesicht in Händen und schluchzte.

Es war Talfanos warme Berührung, die sie auf ihren Schultern spürte.
“Geht es euch gut, Gunhild?”,
fragte er vorsichtig. Die strenge Rektorin atmete tief durch.
“Ich kann eure Freude verstehen, endlich jemanden gefunden zu haben für den Traviabund, kann überwältigend sein. So hatte ich mich bei meiner Verlobung auch gefühlt. Lass ruhig alles heraus. Das Haus Altenberg ist eine gute Partie und vor allem mein Neffe Talfano.”
Dann drehte sie sich zu Reto.
“Was für ein schöner Tag. Schauen wir, ob Travias Segen auch euer Haus beschert.”
Dann setzte sie sich an den Tisch, auf dem die Pergamente lagen.

Gunhild atmete einige Male tief durch, dann rieb sie mit ihren Handballen über ihre Augen. Als sie ihren Kopf in Richtung Talfanos drehte und ihn ansah, konnte man dennoch erkennen, dass ihre Augen noch feucht waren.
“Es…es…es tut mir leid.”,
sprach sie kleinlaut zu ihm, ehe sie zu Boden blickte.
“Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht, dass ihr…dass ich euch da mit hinein ziehe.”
Ihre Miene verfinsterte sich.
“Mein Bruder hat mich noch gewarnt. Aber ich habe mich verhalten wie ein bockiges, kleines Kind.”
Sie erhob ihren Blick in Richtung der Rektorin, dann wischte sie sich nochmals mit dem Handrücken die Augen ab und räusperte sich. Es war offensichtlich, dass sie Prianna von Altenberg etwas Wichtiges mitzuteilen hatte.

Talfano lächelte ihr aufmunternd zu.
“In meinen Augen habt ihr das nicht.”,
sagte er.
Die Rektorin der Rechtsschule schaute auf und betrachtete Gunhild durch ihre Augengläser.
“Geht es wieder? Und macht euch bitte keine Sorge um den Junker. Mir ist klar, dass seine Ansprüche unüberwindbar sind.”,
sagte sie.

Gunhild nickte Talfano dankbar zu, dann nahm sie wieder entschlossen die Rektorin in den Blick.
“Euer Wohlgeboren,”,
es folgte ein kurzes Räuspern und eine kleine Pause, bis sie sich gewiss war, dass sie die Aufmerksamkeit Priannas hatte,
“...es ist nur so, dass wir dies nicht besprochen haben. Also euer Neffe und ich. Es ist…”,
sie verzog ihre Miene und blickte an die Decke, so, als suchte sie nach den richtigen Worten,
“naja, es ist eher so gewesen, dass ich das so dahingesagt hatte, um dem…ähm…Junker zu zeigen, dass er nicht einfach so über mich bestimmen kann!”.
Entschuldigend zog sie die Schultern nach oben.

Nun kniff Prianna die Augen zusammen und eine Zornesfalte machte sich auf ihrer Stirn breit.
“Bestimmen? Nun, ihr solltet eine Entscheidung treffen. Zu jedem Zeitpunkt konntet ihr ablehnen. Doch unter Praiosangesicht habt ihr eine Entscheidung getroffen!”
Nun klang ihr Ton entrüstet.
Beschwichtigend hob Talfano seine Hände.
“Aber, aber, liebste Muhme. Ich denke, die hohe Dame Gunhild meinte ja bestimmt nicht … mich als Notnagel erwählt zu haben. Doch ist es ja auch schwierig eine Entscheidung zu treffen, wenn frau niemanden wirklich kennt. Immerhin haben wir uns alle erst heute kennengelernt …”
Nun stemmte sich die Gelehrte wieder vom Tisch auf.
“Das ist mir schon klar, das hier keine rahjagefälligen Gefühle aufkommen, aber darum geht es ja auch nicht.”
Ihre Stimme nahm wieder einen freundlicheren Ton an.
“Ich möchte euch darauf hinweisen, hohe Dame, dass hierfür die Verlobungszeit da ist. Zwölf Monde lebt das Paar zusammen, lernt sich kennen und entscheidet dann, ob sie zusammenpassen für einen Bund vor Travia. Ich sehe also nichts, was mit einer Verbindung zum Haus Altenberg … dem gelehrten Herr Talfano im Wege stehen würde. Wie sieht ihr das?”
Prüfend schaute sie beide abwechselnd an.

Gunhild zuckte ob der harschen Ansprache der Rektorin erschrocken zurück. Sie folgte dem kurzen Wortwechsel der Dame mit ihrem Neffen schweigend und fügte dann kleinlaut hinzu:
“Also…ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich euren Neffen gar nicht gefragt hatte.”
Entschuldigend blickte sie nun zu Talfano.
“Das…das tut mir sehr leid. Ich wollte ihn nicht in so eine Situation bringen.”

“Nicht doch, ich hatte ja gehofft, dass ihr euch für mich interessiert … ich hatte nur gedacht, dass es nur ein Wunsch von mir bleiben würde.”,
sagte er mit Röte im Gesicht.

Gunhild errötete ebenfalls und es entfuhr ihr ein überraschtes:
“Oh!”.



Dann ging die Tür auf und Gunhilds Bruder kehrte mit Retos Tochter zurück. Gunhild sah überrascht zu den beiden, da ihr erst jetzt bewusst wurde, dass die jüngste Tochter des Hauses Dachsgrün blind war.
“Oh nein!”,
murmelte sie vor sich hin und es klang bedauernd.
Ihr Bruder führte Pralinda an der Hand und sah sehr zufrieden aus. Als er zu seiner Schwester blickte, senkte diese jedoch betreten den Kopf und Ulfrieds Augenbrauen schoben sich zusammen.
Er führte seine Begleiterin hinüber zu Gunhild, die bei Talfano von Altenberg stand, dem Ulfried knapp, jedoch mit einem Lächeln im Gesicht, zunickte.
“Gunhild, ich möchte dir gerne Pralinda von Dachsgrün vorstellen. Sie ist…Hofdame…”,
er sprach das letzte Wort aus, als sei es eine Frage,
“...hier in Gratenfels. Wir…ähm…wollen uns noch beraten und eine Nacht darüber schlafen, um eine etwaige…ähm…Verlobung gut überdacht zu haben.”
Ulfrieds Ohren röteten sich, was seine Schwester als sicheres Zeichen dafür interpretieren konnte, dass diese Pralinda ihrem Bruder gefiel. Zudem musste er zwar verlegen, aber dennoch breit grinsen, als er die Vorstellung der jungen Dame beendet hatte.
Gunhild zwang sich zu einem Lächeln und sprach Pralinda an:
“Es freut mich sehr, dass ihr meinem Bruder das Herz erwärmen konntet! Bevor ich mich jedoch ausgiebig mit euch austauschen möchte, muss ich meinem Bruder ebenfalls jemanden vorstellen.”
Gunhild drehte sich schwungvoll um, machte zwei schnelle Schritte zu Talfano und griff ihn bei der Hand. Noch ehe dieser wusste, wie ihm geschieht, zog sie ihn ruckartig zu ihrem Bruder hinüber und sprach:
“Das ist Talfano von Altenberg, mein Verlobter!”
Sie lächelte ihren Bruder hierbei an, aber man sah in ihren Augen, dass sie das Bedürfnis hatte, sich zu entschuldigen.
Ulfried schluckte und blickte von Gunhild zu Talfano und wieder zurück.
“D…das…das freut mich!”,
stotterte er und zwang sich zu einem Lächeln. Man sah dem jungen Edlen jedoch an, dass ihn die Situation sichtlich überforderte.

“Die Freude ist ganz auf meiner Seite!”,
sagte Talfano mit sicherer Stimme.
“Nun, ich denke, dass dieser Moment für uns alle … überwältigend ist. Ich denke, es ist für uns alle gut, eine Nacht über unsere Entscheidungen zu schlafen.”
Nun blickte er alle ermutigend an.
“Ein guter Vorschlag.”,
sagte Prianna von Altenberg.
“Ich werde die Verträge aufsetzen, so dass sie morgen eine praiosgefällige Ordnung haben.”
Dann setzte sich der großgewachsene, alte Rondra-Akoluth auf und ging auf seine Tochter Pralinda zu.
“Ein gute Wahl, mein Pralinchen.”
Dann umarmte er sie. Mit feuchten Augen drehte er sich dann zu Ulfried.
“Das ihr mir gut auf sie aufpasst.”,
versuchte er einen strengen Ton anzuschlagen. Doch dann grinste er und umarmte auch ihn.
“Willkommen in der Familie, Ulfi!”
Ulfried war von der Umarmung sichtlich überrascht und sie schien ihm auch unangenehm. Es gelang ihm jedoch, sich dazu durchringen, dem großen, stämmigen Mann mit der flachen Hand auf den Rücken zu klopfen und dabei:
“Danke!”,
hervorzupressen, wobei er klang, als würde er ob der Umarmung nur schwerlich zu Luft kommen.
Nachdem der alte Kämpe ihn wieder losgelassen hatte, zog Ulfried seine Weste wieder zurecht und sah fragend von Prianna zu Reto:
“W…wann treffen wir und morgen hier? Gleich zur Tsastunde?”
Prianna nickte zufrieden.
“Die richtige Stunde für einen Neubeginn!”
Dann erhob sie sich und begleitete alle nach draußen.

Der nächste Morgen

Der Raum der Rektorin war stickig, wurde hier wegen dem konstanten Schwefelgeruch in den Gassen Gratenfels nur selten das Fenster geöffnet. Hinter einem schweren Schreibtisch saß Prianna von Altenberg, vor ihr vorbereitete Pergamente. Als Reto von Immergrün-Dachsgrün, seine Tochter Pralinda von Dachsgrün, sowie der junge Rechtsgelehrte Talfano von Altenberg das Zimmer betraten, waren die beiden Argenklamms bereits anwesend, Ulfried von Argenklamm sogar bereits ein halbes Stundenglas vor der Zeit, wie die Rektorin anmerkte.
Besonders der junge Edle schien fest entschlossen und beinahe schon ungeduldig. Seinen Augen sah man an, dass er kaum geschlafen hatte, so zeichneten sich dunkle Ringe unter ihnen ab. Unbewusst tippte er mit seinem Gehstock immer wieder auf den Boden, was ob des enervierenden Geräuschs die Rektorin zu einem mahnen Blick veranlasste, woraufhin Ulfried sich dazu zwang, still zu stehen.
Seine Schwester hingehen wirkte gelassen, ja beinahe schon schicksalsergeben. Neugierig musterte sie Pralinda von Dachsgrün, als diese eintrat. Gestern hatte sie sich mit der jungen Dame noch kurz ausgetauscht und sie musste sich eingestehen, dass diese ihr überaus sympathisch war. Gunhild hoffte, dass dies nicht nur einem guten Schauspiel zu verdanken war, welches man sich hier in der Grafenstadt wohl besser aneignete. Wenn die junge Dame gestern offen und authentisch war, dann wäre sie eine gute Wahl für ihren Bruder. Gunhild beschlichen jedoch leise Zweifel aufgrund der Blindheit von Pralinda. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese Einschränkung das Leben auf Kaltenstein angenehm werden ließ. Aber das würde das kommende Jahr schon noch früh genug zeigen.
Als Talfano von Altenberg hinter den beiden von Dachsgrüns die Stube betrat, wurde der Schwester des Edlen schlagartig bewusst, dass auch sie in wenigen Augenblicken eine Entscheidung zu treffen hatte, die über den Rest ihres Lebens entscheiden würde. Insgeheim hoffte sie, dass Talfano selbst ablehnte. Aber falls nicht? Sie hätte nach dem Versprechen, welches sie ihrem Bruder abgerungen hatte, noch einen guten Götterlauf Zeit, sich einen geeigneten Gatten zu suchen, ehe er sie ohne ihr Einverständnis verheiraten würde. Aber wen sollte sie in den nächsten Monden erwählen?
Als Talfano sie anlächelte, beschloss sie, es zu versuchen. Er war zwar nicht gerade das, was man stattlich nennen würde, aber immerhin war er nett und zuvorkommend. Etwas zu schüchtern vielleicht, aber lieber das, als zu forsch!
Gunhild seufzte. Ja, sie würde der Verlobung zustimmen. Das schuldete sie nicht nur ihrem Bruder, sondern auch Talfano.
Gunhild wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ihr Bruder neben ihr vorbei schritt und vor Pralinda von Dachsgrün stehen blieb, die beinahe in ihn hinein gelaufen wäre, wenn ihr Vater sie nicht abrupt am Arm zurückgehalten hätte. Sie quittierte den plötzlichen Halt mit einem kurzen Ausruf.
Ihr Bruder reichte dem alten Ritter seinen Gehstock, welchen dieser mit einem verwunderten und überraschten Blick entgegennahm. Dann fasste Ulfried Pralindas Hände und drückte sie gegen seine Brust. Aufgeregt, beinahe schon übereifrig begann er zu sprechen:
“Werte Edeldame, ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich möchte euch an meiner Seite wissen. Für den kommenden Götterlauf und vielleicht auch den Rest meines Lebens auf Dere. Es wäre mir eine Freude, wenn auch ihr einer Verlobung zustimmen würdet!”
Dann gab er seiner Erwählten einen sachten Kuss auf die Wange.

Überrascht zuckte Pralinda kurz zusammen, doch ihr Lächeln war ein schönes.
“Werter Edelmann, es wäre mir eine Freude, euch zu begleiten und kennenzulernen. Travia wird fügen, was zu fügen ist.”,
sagte sie selbstsicher.
Nun schien Talfano aufgefordert zu reagieren. Vorsichtig machte er einen Schritt auf Gunhild zu und ergriff ihre Hand.
“Auch ich würde eine Verlobung mit euch eingehen wollen. Da meine Heimat in Elenvina liegt, so würde ich auch euch nach Kaltenklamm begleiten. Meine Zukunft wird hier im Norden sein, somit ist es mir ein leichtes euch zu folgen, so ihr denn wollt.”
Abwartend schaute er sie aus seinen grünen, mandelförmigen Augen an.

Gunhild lächelte zurück und deutete einen kleinen Knicks an:
“Ja, das würde mich freuen!”,
entgegnete sie und blickte nach einem Moment zu Ihrem Bruder.
Diese nickte Gunhild zufrieden zu und drehte sich dann zur Rektorin um:
“Euer Ehren, ihr habt es vernommen. Tragt die Inhalte der Verträge vor, sodass wir unterzeichnen können!”
Er sprach mit einer solchen Sicherheit zu Prianna von Altenberg, der “Alten”, wie er es sich selbst in seinen kühnsten Träumen als Scholar nicht hätte vorstellen können.

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Reise nach Kaltenklamm (Epilog)

Die ersten beiden Tage nach der Abreise aus Gratenfels schien Ulfried recht verschlossen, so als müsste er über wichtige Entscheidungen nachdenken. Während der weiteren Reise hatte sich seine Laune jedoch stetig gebessert und am Morgen des vierten Tages saß er bereits plaudernd und Späße treibend mit den anderen beim Frühstück.
Da Pralinda die vorbeiziehenden Landschaften nicht mit eigenen Augen sehen und erleben konnte, kam der junge Edle auf die Idee, ihr markante Wegmarken einfach mit dem Finger auf Pralindas Rücken nachzuzeichnen, sodass diese sich die Umgebung vor ihrem inneren Auge vorstellen konnte.
Die kleine Reiseschar ritt gerade durch das Wirselbachtal und hatte vor gut einer Stunde Goldeich hinter sich gelassen, als hinter den Bergen im Norden am Horizont die ersten Gipfel des Firunspfeiler-Massivs im Morgennebel zu erkennen waren. Ulfried drückte seine Schenkel leicht zusammen, sodass sein Pferd etwas schneller ritt, bis er dieses direkt neben Pralinda gelenkt hatte. Er bedeutete der Bedeckung, die das Pferd seiner Verlobten am Zügel führte, anzuhalten. Pralinda drehte ihren Kopf nach links, da sie hörte, dass Ulfried neben ihr ebenfalls zum Stehen gekommen war.
“Darf ich raten? Du möchtest mir wieder etwas zeigen.”,
sprach sie ihn freundlich lächelnd an.
Ulfried rutschte auf seinem Sattel so weit er konnte in ihre Richtung und neigte seinen Oberkörper hinüber.
“Oh, es ist ein Anblick, den du nie vergessen wirst!”,
raunte er ihr zu. Dann begann er, mit seinem Zeigefinger Zacken auf ihren Rücken zu zeichnen.
“Hier, das erste, das ist der Stenzelkopf mit seinem zerklüfteten Gipfel. Und hier folgt dann ein steiles Tal, in dem es nur Geröll gibt. Im Winter gehen dort häufig Lawinen ab! Und dann folgt die Schwarzspitze. Spürst du das? Sie ist noch höher und da der Gipfel etwas zur Seite geneigt wirkt, so in etwa,”...,
Ulfried zeichnete einen kleinen Knick auf der Höhe von Pralindas Wirbelsäule, was diese mit einem Kichern quittierte,
“...liegt die dem Tal der Kalte zugeneigte Seite oft im Schatten. Daher kommt der Name des Bergs. Doch hier ganz außen,...”,
sein Finger zeichnete eine Linie bis hinauf zu Pralindas Schulterblatt,
“...das ist der Firunspfeiler, der höchste Berg des Massivs, das sogar seinen Namen trägt.”



Talfano beobachtete den Edlen mit seiner Verlobten, während er auf seinem Pferd ritt. Neben ihm ritt die Schwester … nunmehr seine Verlobte. Der junge Altenberger schmunzelte vor sich hin. ´Wie schnell das alles ging … und dann auch noch so eine schöne Frau.´ Was ihn wohl erwarten würde? Bis jetzt kannte er nur die Städte der Nordmarken … doch die Wildnis? Neugierig blickte er nach vorne … in eine ungewisse Zukunft.