Rahjas Früchte

Zeit: Praios 1044 BF

Ort: Junkergut Rosenhain

Kurzbeschreibung: Die Wunder auf Gut Rosenhain

Autoren: DanSch, Waldi

Dramatis Personae:


Rahjas Früchte:

Ein Schnipsen ganz dicht an seinem Ohr holte Rahjel wieder zurück. “Hallo Herr Weinmelker, wo waren wir schon wieder?” Der Rahjageweihte schüttelte sich kurz und begegnete seiner Schwester mit einem Lächeln. “Ich … ich habe nur kurz nachgedacht.” Alana verdrehte nur die Augen. “Du denkst ziemlich oft nach. Bist du sicher, dass wir hier richtig sind? So langsam bräuchte ich eine Pause”, stöhnte sie und strich sich über ihren äußerst voluminösen Bauch. Dass die Ritterin kurz davor war, ein Kind auf Dere zu setzen, war offensichtlich. “Keine Sorge, wir müssten bald in Rosenhain sein.” Noch einmal richtete Rahjel seinen Blick auf den Weg, der sich gabelte. Erst vor einigen Tagen hatte er das traumatische Erlebnis seines Lebens. Eine mächtige Zauberin hatte bei der Krönung der Gräfin von Albenhus seinen Leib und Seele mit einem Ritter vertauscht, ausgerechnet einem … traviagefälligen. Götterseidank konnte der Zauber wieder von ihnen genommen werden, doch seit dem … Immer wieder schlichen sich Gedanken und Gefühle des Ritters in die seinen, ganz so, als ob sie noch immer verbunden wären. Genauso wie in diesem Moment. Er war noch nie in Rosenhain, der Heimat des besagten Ritters, Lares von Mersingen, doch kam ihm die Gegend sehr bekannt vor. “Wenn du noch eine halbe Wegstunde aushalten kannst, dann müssten wir da sein. Wir reiten links weiter!” Zufrieden lächelte der Geweihte.

Ankunft in Rosenhain

Die zwei durchritten die Baronie Rodaschquell, sanfte Hügel am Fuße des Isenhags. Die Lande der Elfenbaronin waren weithin bekannt für ihre (vermeintliche) Andersartigkeit, doch hatte die gebürtige Auelfe Liana die Geschicke ihres Territoriums mit Friedfertigkeit und Güte im Griff. Die Straße, die von Albernia kommend ihren Herrschaftsbereich durchschnitt, um sich kurz nach dem beschaulichen Keinen gen Norden zu wenden, war gut ausgebaut und gangbar, obschon die umliegenden Wälder still und zu mancher Stunde unheimlich standen. Rahjel wies Alana den Weg entlang dem Marrenbach, ein beschauliches Wässerchen, jetzt, wo die Schneeschmelze vorbei war. An den großen Felsen im Flussbett konnte man erkennen, dass das Bächlein zu anderen Jahreszeiten anschwellen und Sturzbäche klaren Quellwassers ins Tal tragen konnte. Die Ingrakuppen ragten schroff und abschreckend am Horizont auf, dennoch steuerte der Geweihte zielsicher auf die Berge zu. Die schwangere Ritterin wollte gerade neuerlich überprüfen, ob ihr Bruder schon wieder fern jeder Realität weilte, als sich der schlanke Mann im Sattel aufrichtete und auf ein kaum erkennbares Funkeln am Saum des Gebirges deutete: “Schau, wir sind fast da! Du kannst schon den Sonnengong unseres Wehr…” Rahjel schüttelte den Kopf. “Ähm, also, den Sonnengong auf dem Wehrturm sehen.” Alana runzelte die Stirne. Er verhielt sich in den letzten Tagen schon ausnehmend komisch.

Tatsächlich sollte Rahjel Recht behalten. Nach nur etwa zehn Minuten waren sie von wogenden Weizenfeldern umgeben, die - wohl gepflegt und ordentlich - ein Bauerndorf ankündigten. Kleine Gehöfte oder einzelne Katen drängten sich immer dichter zusammen, bis sich vor der Ritterin ein vergleichsweise imposantes Gebäude erhob. Die Straße führte fast unmittelbar durch den Hof des Lagerhauses, dessen zwei doppelflügelige Tore weit offen standen. Offenbar wurden die ersten Früchte des Sommers eingebracht. Auf dem Hof diskutierte ein groß gewachsener, gut gekleideter Mann imposanten Leibesumfangs mit einem etwa halb so großen Zwerg, dessen Monokel im linken Auge angesichts der hitzigen Debatte immer wieder herausrutschte. Mit nervösen Fingern fummelte er das wertvolle geschliffene Glas seelenruhig wieder hinein, während er mit der Rechten einen Stapel Papiere zerknautschte. Um die beiden herum standen einige ersichtlich desorientierte Bauersleut, die mit vollen Karren auf Anweisungen zu warten schienen. Auffällig war: Einige der (kleineren) Handwägen enthielten Haufen von Rosenblättern, denen die stechende Sonne nicht gut tat.

Überschwänglich lächelte Rahjel und schwang sich vom Pferd. “Bei Rahjas Blütenpracht! Das muss Rosenhain sein, die Heimat des begnadeten Lares von Mersingen!” Mit weit geöffneten Armen ging er auf die beiden Männer zu. Der dicke Mann in guter Klamotte war drauf und dran, auf den Zwerg vor ihm einzuschimpfen, als ihn der lächelnde Geweihte mitten im Satz unterbrach. Auf dem Absatz fuhr er herum und nur das ganz geübte Auge konnte erkennen, wie er ein gewinnendes Lächeln aufsetzte und von einem Moment auf den nächsten seine gesamte Aufmerksamkeit den Neuankömmlingen widmete. „Die Zwölfe und Ihre Herrlichkeit zum Gruß…Euer Gnaden!“, setzte der Mann nach einem Blick auf Rahjels Aufmachung hinterher. Seid in den bescheidenen Landen meines Herrn herzlich willkommen. Was führt Euch den weiten Weg hierjer - jenseits der majestätischen Ingraskuppen? Doch sicherlich unser vorzügliches Rosenöl, nicht wahr? Ihr habt also schon von ihm ver…“ Rhodan Herrenfels unterbrach sich mitten im Satz und legte den Kopf schief. „Sagt, kennen wir uns nicht? Habt Ihr womöglich schon einmal unsere vorzüglichen Produkte gekostet? Ich…hmmm.“ Die Stirn des dicken Mannes schlug sich in Falten. Der Zwerg demgegenüber stand noch immer mit seinem Stapel Papieren reglos an derselben Stelle und wartete stoisch, bis die Kurzlebigen ihre schnelllebigen Dinge erledigt hatten, um zum Wichtigen zurückkehren zu können. Rahjel beendete seinen Begrüßung mit einem Kuß links und rechts auf die Wange des Kontorleiters. “Ihr müsst Meister Herrenfels sein. Ich bin der Lehrer der Leidenschaft, Rahjel von Altenberg. Dort auf dem Pferd ist meine Schwester Alana von Altenberg.” Die Ritterin mit dem großen gewölbten Bauch hatte sich leicht im Sattel nach hinten gelehnt und winkte den Beiden zu. “Ihr kommt mir auch sehr bekannt vor, doch kenne ich euren Namen aus den Erzählungen des guten Lares. Ein herzlicher Freund wage ich zu sagen.” Dann verneigte er sich vor dem Zwerg und wagte eine zarte Berührung auf dessen Schulter. “Auch ihr seid mir herzlichst begrüßt, Meister Monokel! Wir sind auf Einladung Lares gekommen.”

Der Zwerg in den ordentlichen Klamotten schien die Papier noch etwas fester zu knautschen und brauchte eine halbe Ewigkeit, um sich Rahjel zuzuwenden. Fast meinte man, ein Berg müsste bewegt werden, um den Körper den bärtigen Mannes zu bewegen. Als er endlich Rahjel gegenüberstand, betrachtete er den Rahjani von oben bis unten. Man meinte, das Monokel diente dabei als Lupe, beugte er sich doch leicht und reckte das linke Auge nach vorne, das durch das geschliffene Glas bedrohlich groß aussah. Nach einer Weile rang er sich zu einem Wort durch: „Aha.“ Das lenkte praktischerweise davon ab, dass sich Meister Herrenfels nur gerade noch so beherrschen und einen Lachkrampf unterdrücken konnte. Doch die Röte in seinem Gesicht konnte er nicht verbergen - und er drohte blau anzufangen, weil er die Luft angehalten hatte.

Rahjel gönnte der Situation nur einen Augenblick des Schweigens, drehte sich dann aber wieder dem Kontorleiter zu. “Die Rosenblätter sollten schnellstens aus der Sonne. Mir scheint der Herr Praios gönnt euch Rahjas Aufmerksamkeit nicht.” Dann ging er zum Pferd seiner Schwester. “Komm, mein üppiger Rosenkelch, ich denke die Herren hier werden dir ein gemütliches Plätzchen bieten können.”, sagte er geschwollen und hielt ihr seine Hand entgegen. Alana rollte nur die Augen und versuchte, sich selbst aus dem Sattel zu hieven. Doch schlußendlich war ihr Bemühen vergebens und nahm dann widerwillig seine Hand entgegen. Rhodan Herrenfels blinzelte, dann blickte er auf die Rosenblätter. Die Röte wich ihm schlagartig wieder aus dem Gesicht. „Oh herje! Nein, das…!“, stammelte er und verfiel sofort in Aktion. Trotz seines Gewichts bewegte er sich flink und rief nach einem Knecht, der sich sofort - und ersichtlich in Erwartung eines kräftigen Einlaufs - anschickte, die Karren mit Rosenblättern in das Kontor zu zerren. Erbosch stand weiterhin nahezu reglos da. Seine Lodentracht hing schwer an dem kleinen Körper herunter. Die Sonne musste das schwarze Gewand sicherlich auf unangenehmste Temperaturen aufgeheizt haben. Er betrachtete, wie sich die unübersehbar gerundete Ritterin aus dem Sattel wuchtete und machte keine Anstalten zu helfen. Als Alanas Füße den Boden berührten, rollte die knarzige Stimme des Bärtigen über den Platz: „Wo? Hier?“ Verwundert schaute der Geweihten den Zwerg an. “Nun, guter Mann. Es wäre zu begrüßen, wenn ihr uns zu euren Herrn bringen würdet. Lares von Mersingen. Es sei … wir finden den Weg sicher auch alleine …” Unsicher schaute er nach anderen Dienstboten.

Erbosch legte den Kopf schief, dann rückte er seinen Hut zurecht. Dann zuckte er mit den Schultern. „Na dann“, meinte er und drehte sich zum Eingang des Kontors um. Ohne sich zu verabschieden, stapfte er in Richtung des Kontors. Nach wenigen Schritten kam Rhodan aus dem Tor und gestikulierte wild. „Erbosch, du willst unsere Gäste doch nicht einfach hier stehen lassen! Das ist doch die Höhe!“, empörte er sich. Am Zwerg vorbeieilend entschuldigte sich der Händler wortreich. „Was kann ich für Euch tun? Ach ja…Ihr wolltet ja das Rosenöl probieren! Nicht wahr? Kommt nur herein! Hierlang!“ Mit der Linken wies er zu einem kleinen Portal am Ende des Gebäudes. Rahjel bemerkte ein ungewohntes Gefühl in sich aufsteigen. Sein Hals verengte sich, ganz so, als ob er keine Luft mehr bekommen würde. Sein linkes Augenlid begann an zu zucken, etwas, das er bei Lares beobachtet hatte, immer wenn dieser einen Grund hatte, sich aufzuregen. Doch bevor sich seine Wut bahn brach, war es seine Zwillingsschwester Alana, die den Kontortleiter am Kragen packte. “Hört gut zu, guter Mann. Wie es scheint, sind alle hier ein wenig taub. Wie mein Bruder schon sagte, seiner Gnaden Rahjel und ich, sind wir hier auf Einladung vom Hohen Herrn Lares von Mersingen. Wir wollen kein R-O-S-E-N-Ö-L.” Dann ließ sie den Kragen los. “Und wie ihr sicher sehen könnt, wäre es angenehm, einen schattigen Ort für mich zu finden.” Doch schien der Kontormeister die Dame, die ihm gerade so deutlich die Meinung geigte, gar nicht zu beachten. Gebannt starrte der beleibte Blonde auf das Gesicht des Rahjani. „Also stimmt es wirklich“, versetzte er in ernstem Ton. „Folgt mir - ich bringe Euch zu Herrn Lares. Ha, die Wege des Fuchses sind wahrlich ohne Zahl!“ Ohne weiteres Tamtam führte er die beiden Reisenden zurück auf die Straße. „Seht Ihr das Gut auf dem Hügel? Es ist nicht weit.“, erklärte er, während er kopfschüttelnd voranstapfte.

Rhodan Herrenfels führte die beiden Gäste durch den beschaulichen Ort Rosenhain. Hinter dem Kontor verdichtete sich die Bebauung. Bauernkaten wurden von Bürgerhäusern abgelöst. Im Zentrum des Ortes fanden sich sogar einige Steingebäude. Um den steinernen Brunnen herum herrschte geschäftiges Treiben. Doch der dicke Händler lud nicht zum verweilen ein, sondern wies den Weg die breiteste Straße entlang aus dem Ortskern hinaus in Richtung der aufragenden Berge. Kaum hatten sie die Häuser hinter sich gelassen, stieg der Weg immer steiler an, bis sie die Kuppe eines Hügels erreichten. Hier thronte das Anwesen der Familie von Mersingen in Rosenhain. Ein befestigter Gutshof mit einem zentralen Palasbau wurde von mehreren Verwaltungsgebäuden flankiert. Noch ein wenig weiter Richtung Gebirge linkerhand der Gutes wachte ein einsamer Turm über das Tal. Das Hauptgebäude wies drei Stockwerke auf und war zinnenbewehrt. Unterhalb der schroffen Granitzähne ragte ein hölzerner Vorbau mit gläsernen Fenstern heraus und blickte auf den Ort darunter. Das Haus machte einen geschmackvollen, wenn auch wuchtigen Eindruck. Doch weit beeindruckender war der Rosengarten, der sich unterhalb des Wehrturms in mehreren Terrassen an die Bergflanken schmiegte. Die Rosen standen in voller Blüte und verströmten ihren betörenden Duft.

Rahjel sog die Luft tief ein und strahlte über das ganze Gesicht. Nach der langen Reise waren sie nun endlich angekommen. Noch einmal hatte er seiner Schwester in den Sattel geholfen, um an diesen Ort zu gelangen. Er musste sich eingestehen, dass er seinen Zwilling über alles liebte, doch seitdem sie Rahjas Frucht mit sich trug, wurde sie stetig launiger. “Sie doch Alana, wie herrlich, genauso wie ich es”, er stockte kurz,” … mir aus den Erzählungen Lares vorgestellt hatte! Rahja scheint hier öfter zu weilen!" Die Ritterin schaute sich ebenfalls um. Ihr Bruder hatte recht. Rosenhain war ein schöner Ort. Doch noch immer konnte sie es kaum glauben, dass ausgerechnet Rahjel solch einen Narren an dem spießigen Lares gefressen hatte. Sie selbst kannte den kleingewachsenen Ritter auch. Zweimal waren sie schon im Duell angetreten. Das erste mal war in einem unglaublichen Gleichstand geendet. Beide mit eingeschlagenen Köpfen, auch wenn es Lares damals schlimmer erwischt hatte. Seit dem genoss sie das (unterschwellige) Kräftemessen mit ihm, doch dass sie ihn so mögen konnte, wie ihr Bruder es tat, konnte sie sich nicht vorstellen. Irgendetwas ist bei der Krönung der Gräfin von Albenhus passiert, was die beiden Männer zusammengeschweißt hatte. Etwas, worüber Rahjel nicht sprach, auch wenn es eigentlich keine Geheimnisse zwischen den Geschwistern gab. Innerlich zuckte sie mit den Schultern und strich sich über ihren Bauch. Rahjel lief zu den ersten Rosenbüschen, als jemand aus dem Haus kam. Ein Gesicht, das beide kannten. Lares von Mersingen verließ gerade das Hauptgebäude seines Anwesens mit dem Ziel der Stallungen. Die kleine Basilissa von Keyserring folgte ihm auf dem Fuße. Die beiden waren praktisch angezogen - offenbar wollten sie ausreiten. Als er die Reisenden auf seinem Hof sah, beugte er sich nach unten zu dem Mädchen und deutete auf Rahjel. Das zauberte der jungen Dame ein breites Lächeln auf die Lippen. Ihre gute Erziehung hinderte sich ganz ersichtlich daran, den beiden zu Pferde entgegenzulaufen. Seine Pläne über den Haufen werfend schritt Lares den Gästen entgegen, wobei der junge Mann ungewöhnlich gelöst und zufrieden wirkte. Rhodan Herrenfels rief ihm entgegen: „Euer Wohlgeboren, Ihr habt Gäste! Seine Gnaden…“ „Rahjel von Altenberg und die hohe Dame Alana“, ergänzte Lares. „Hast du sie hoffentlich gebührend empfangen, Herrenfels! Willkommen in Rodaschquell; willkommen in Rosenhain!“

Kurz zögerte der Geweihte der Liebesgöttin, doch dann ging er mit schnellen Schritten auf Lares zu. “Der Liebholden zum Gruße, was für eine schöne Heimat.” Rahjel umarmte den Mersinger und hielt ihn innig. Und wieder wunderte sich Alana. Die Umarmung wie diese war etwas zu lang. Solche bekommen nur vertraute Freunde oder innige Geschwister. Vorsichtig schob sich die hochschwangere Ritterin in das Sichtfeld von Pagin und ihrem Herren. Auf den verurteilenden Blick des Mersingers war sie vorbereitet, dennoch blickte sie schüchtern zu Boden. “Ja, liebster Lares. Ich habe meine Schwester Alana mitgebracht. Ihr kennt euch ja”, sagte Rahjel und wies auf die Ritterin.

Auch Rhodan und Lissa standen irritiert vor der brüderlichen Umarmungsszene, wussten sie doch beide, wie ungerne Lares Berührungen mochte. Doch der kleine Mann herzte sein Gegenüber innig und zeigte keinerlei Scheu. „Ja, natürlich kennen wir uns!“, erwiderte der Mersinger. „Und ich habe großen Respekt vor Euch“, ergänzte er gegenüber der Ritterin. „Ihr seid von TSA gesegnet! Herzlichen Glückwunsch! Euer Gatte ist sicherlich sehr stolz auf Euch.“ Lares zeigte keinerlei Anzeichen von Zorn oder Verachtung, doch schien er davon auszugehen, dass es sich um ein eheliches Kind handelte. Der Herrenfelser hatte dementgegen bereits das Fehlen eines Eherings bemerkt. Bevor Alana was sagen konnte, stellte sich Rahjel wieder ins Sichtfeld seines Freundes. “Du hattest mich ja eingeladen, dich zu besuchen und wir hatten über einen Schrein der Liebholden gesprochen. Meine Schwester musste unbedingt aus der Stadt raus, so kurz vor der Niederkunft. Und da dachte ich mir `Na Rosenhain, warum nicht?´. So ein schöner Ort um ein Leben auf die Welt zu bringen und das auch noch unter Freunden.” Rahjel lachte und schob bedacht und freundlich Lares zum Haus.

„Schau da: Hier soll der Schrein aufgestellt werden. Ich denke, einen besseren Platz wird sich nicht finden lassen.“ Der Mersinger deutete in Richtung des Turms. Unterhalb der Befestigungsanlage, mitten in den Rosen, konnte man eine freie Fläche erahnen. „Was für ein Schrein, Euer Wohlgeboren?“, frug Rhodan neugierig. „Ein Schrein der schönen Göttin selbstverständlich“, antwortete der Mersinger völlig ohne Skrupel, was den Händler überraschte. “Preiset die Herrin der Leidenschaft!”, sagte Rahjel feierlich. “Aber es hat Zeit. Wir haben eine lange Anreise hinter uns. Was sagst du mein Freund, können wir ein paar Tage bleiben?” Diesmal lag ein ernster Unterton in seiner Stimme.

„Nur ein paar Tage? Rahjel, ihr beide seid hier willkommen, solange ihr wollt. Ich hoffe doch, ihr nutzt die Gelegenheit und erkundet die Schönheit der Ingrakuppen.“ Auch eine schwärmerische Ader hatte der kleine Ritter nicht und dennoch schwelgte er im Ausblick. Mit wenigen Schritten hatten sie die Pforte des Anwesens erreicht. Vorbildlich öffnete die Pagin Lissa das Tor. Sie freute sich über die Abwechslung, die der unerwartete Besuch mitbrachte, fast noch mehr als ihr Schwertvater. Sie ließ die Gäste zuerst eintreten, gefolgt von Lares von Mersingen. Dessen Kontormeister wartete an der Schwelle - und wurde hereingebeten. Der sonst mürrische junge Mann führte sie in den zweiten Stock des Gebäudes. Dort hatte die Familie einen großen Saal eingerichtet, der von einer hölzernen Tafel beherrscht wurde. Am Kopfende des Raumes gegenüber der Tür stand ein kleiner Thron, den der Mersinger nutzte, wenn er Gäste niedrigeren Standes empfing. Direkt neben diesem war eine weitere kleine Pforte in die Holzvertäfelung eingelassen. Diese führte in ein Erkerzimmer, das vom Licht des Tages durchflutet war. Drei große Sessel waren den ausladenden Fenstern zugekehrt. Durch die Butzenglasscheiben ließen sich die Marrenbachauen nur erahnen, doch waren sich Alana und Rahjel unmittelbar bewusst: Die Errichtung dieses Raums allein hatte so viel gekostet, wie manches ganze Haus. Lares wies auf einen der Sessel: „Frau Alana, nehmt doch bitte Platz. Der Weg muss für Euch besonders beschwerlich gewesen sein. Auch wenn ich Euer Durchhaltevermögen kenne - in diesen Euren Umständen kann Euch nicht einmal die Euch eigene Zähigkeit in Gänze vor Mühsal bewahren.“ Einen herbeigeeilten Diener wies der Ritter an, frisches Wasser, eine Waschschüssel und Getränke zu bringen, sowie das Gepäck der beiden Gäste in die Räumlichkeiten im Nebengebäude zu transportieren.

Kurz schätzte Alana die Bemerkung ihres vormaligen Kontrahenten ab, doch lachte sie kurz. „Ihr habt Recht, Lares. Ich, wir, haben genug von langen Wegen am heutigen Tag.” Dann setzte sie sich und griff nach dem Wasser. Rahjel drehte sich im Kreis. “Wie schön du es hier hast. Genauso … hatte ich es mir vorgestellt.” Der Blick des Geweihten ruhte auf Lares. Sein Lächeln verschwand. “Fast so, als ob ich schon mal hier war.” „Ich fürchte, mein Lieber, das warst du auch“, konstatierte Lares ohne Umschweife. Kurz blickte er sich um, ob die Bediensteten beschäftigt waren, dann ergänzte er: „Seit einigen Tagen fühle ich mich im Traume immer wieder in deinen Körper zurückversetzt. Darüber hinaus blitzen auch unter Tags Wachträume durch meinen Geist. So…interessant ich dein Leben finde…das muss aufhören. Schon weil ich es gelinge gesagt inadäquat finde, auf diese Weise in deinen Geheimnissen; deinem Privatesten herumzuschnüffeln.“ Rhodan lauschte den Ausführungen seines Herrn mit faszinierter Schweigsamkeit und versuchte, so unauffällig und nicht existent zu sein, wie es seinem massigen Leib möglich war - und das war überraschend effektiv.

Rahjel machte einen Schritt auf Lares zu und ergriff ihn mit seinen Händen an beiden Schultern. “Ach mein lieber Freund. Ich habe nichts vor dir zu verbergen. Es sind Rahjas Früchte, die ich mit dir teilen mag. Doch du hast recht … es ist verwirrend. Wenn du magst, lade ich dich zu einer Meditation ein. Etwas, was ich in einem Kloster in Aranien erlernt habe. Es wird uns hoffentlich helfen, unsere Seelen in Einklang zu bringen.” Alana schaute zu dem beleibten Rhodan hinüber und hob eine Augenbraue. ´Genug der Gefühlsduselei.´, dachte sie sich und erhob sich wieder. “Wunderbar. Vielleicht sollten wir erstmal auf ein Zimmer und uns ausruhen. Hoher Herr Lares, vielleicht könnt ihr mir später ein wenig eure Ländereien zeigen? Mein Bruder hier sollte sich Ruhe gönnen, sonst hört er nicht mehr auf zu reden. Zumindest hat er seit Elenvina nicht mehr aufgehört.” Nun grinste sie. Das brachte auch Lares zum Schmunzeln, konnte er sich den Rahjani doch nicht wirklich schweigsam vorstellen. „Wenn ihr wollt, sei Euch ein stilles Gebet in unserem Schrein des Rabengottes ebenso eröffnet. Vielleicht findet Ihr dort die erwünschte Ruhe? Schließlich sind wir Mersinger - den Wert des Schweigens kennen wir wohl. Trotz unserer schönen Rosen im Garten.“ Er erhob sich und Rhodan eilte unmittelbar herbei, um der schwangeren Ritterin aufzuhelfen. “Gut. Lasst uns ruhen. Und wir sehen uns dann”, sagte Alana nun mit Nachdruck und schenkte Rhodan einen dankbaren Blick. “Rahjel … lass uns gehen.” Dieser zuckte kurz und löste sich von seinem neuen Freund. “Wie immer hat sie Recht”, bestätigte er und folgte seiner Schwester.

Der Spaziergang

Das Praiosmal hatte sich langsam von seinem Himmelsthron begeben und tauchte die Landschaft in einen glühenden, goldenen Ton. Die Luft war warm, das Summen von Bienen allgegenwärtig. Alana hatte sich in ein weites, blaues Kleid - manche mögen es eine Decke mit 3 Löchern bezeichnen - geschwungen und genoss die Nachmittagsluft. Sie musste zugeben, dass sie selten solch einen schönen Ort in den Nordmarken gesehen hatte. Irgendetwas war hier besonders. Oder lag es an ihrer Schwangerschaft? Die Vegetation wirkte üppig, die Bienen äußerst fleißig, der Duft der Rosen sehr süß und kräftig. Sie schaute sich um und fand den Brunnen, den Lares ihr beschrieben hatte. Kieselsteine knirschten unter ihren Sandalen und machten das Gehen zu einem überraschenden Spaß. Das Haupthaus lag jetzt schon einige hundert Schritt hinter ihr und es verwunderte sie etwas, keine Menschenseele zu sehen oder zu hören. Bis auf eine. Lares. Dieser stand in leichter Kleidung am Brunnen und schien das Sonnenlicht zu genießen. Das güldene Licht tat ihm gut. Zum ersten Mal dachte die Ritterin bei sich, dass er gar kein unattraktiver Mann war. Sie erhob die Hand zum Gruße. “Lares. Wie schön. Habt ihr das herrliche Licht etwa nur für mich bestellt?”, sagte sie und lächelte.

Zunächst schien der Ritter gar nicht zu reagieren, dann schreckte er auf - wie aus einem Tagtraum. Er blinzelte und wandte sich von der Sonne an, deren kräftige Strahlen auf seiner Haut prickelten. „Hm Frau Alana!“, begrüßte er sie. „Habt Ihr wohl geruht? Ist das nicht herrlich?“ Seine Hand wies einmal rund herum auf die Rosen, das Tal und die Weite des Landes am Fuße der Berge, die das Gut zärtlich zu umarmen schienen. „Diese meine Heimat ist jedes Mühsal wert.“ Hier schien sich der junge Mann wahrlich wohl zu fühlen. Die wenigen Worte sprühten voll Kraft; nicht die Schlagkraft, die die Schwangere bereits kannte, nein: Eine Begeisterung aus tiefstem Herzen. Der Mann schien Rosenhain zu lieben wie manch anderer seine Frau.

Die sonst so blasse Frau wirkte lebendiger, ihre blauen Augen funkelten und ihre Feenküsse schmeichelten ihr. Das rote Haar, das sie sonst raspelkurz hielt, war um einen halben Finger gewachsen und Lares konnte erahnen, wie sanft die sonst so harte Frau wirken konnte. “Da sprecht ihr wahre Worte. Zeigt mir mehr von den Ländereien.” In einen Watschelgang gesellte sie sich zu Lares und atmete tief durch. Ein paar bunt-schillernde Schmetterlinge tanzten um beide herum. “Ist das immer so hier? Man möge meinen, wir wären in einem Traum.”

Der Mersinger sah sich um, atmete tief ein und nickte dann: „Ja, es ist immer so schön hier. Vielleicht nicht ganz so warm, aber sonst…“ Zwar mochte es sich für den stolzen Junker so anfühlen, doch traf diese Aussage nicht zu. Seit den Ereignissen auf dem Hoftag war das Land mit besonderer Fruchtbarkeit gesegnet. Als hätte die Schöne Göttin all ihre Schwestern zusammengerufen, um diesen Flecken Erde am Ende der Nordmarken zu berühren, spross der Weizen schnell und dufteten die Rosen intensiver. TSA hatte den Landstrich in den kräftigsten Farben gezeichnet. Dies würde seinem Herrn erst im Laufe der kommenden Wochen bewusst werden, als man untypisch früh eine vollkommen unerwartet große Getreideernte einfahren würde.

“Was ist das dort drüben? Ein Gedenkstein oder ein Grabstein?”, fragte Alana und wies auf einen dunklen Felsen, der durch eines der Büsche lugte. Ohne auf Lares Antwort zu warten, lief sie los.

„Das ist…wartet! Ihr sollt doch nicht laufen“, rief Lares der Rothaarigen hinterher und folgte ihr auf dem Fuß. Was sie wohl mit dem Felsen wollte? Alana lachte nur und ging weiter. Vorsichtig drückte sie die Büsche auseinander. “ Was ist das hier?” Dabei drehte sie sich wieder zu Lares. „Was denn?“ Er runzelte die Stirn. Machte sie Späße oder fieberte sie? „Das ist ein schwarzer Felsen, wie er hier rund um die Ingrakuppen regelmäßig vorkommt. Egal was wir tun, alle diese Steine lassen sich nicht aus den Wiesen entfernen. Das Gestein ist massiv und schwer. Aber ja, ein wenig wirken diese verlorenen Findlinge wie Grabsteine in der Landschaft. Hoffen wir, dass sie nicht die Grablege einer lang verschollenen Zivilisation markieren - sonst wären wir schon mehrfach lästerlich gegen den Herrn BORon geworden!“ Lares konnte sich gar nicht ausmalen, welche Konsequenz dies zeitigen würde. Nun legte sie den Kopf schief und überlegte. “Hmm, also ich denk …” Mitten im Satz brach sie ab und schaute entsetzt Lares an. Erst jetzt bemerkte er ein plätscherndes Geräusch. Sein Blick wanderte nach unten. Ihre Hand wanderte zu ihrem Bauch.”Ich glaub … es geht los”, sagte Alana und schaute nun auch zu Boden. „Bei den Göttern, mein Glückwunsch!“, erwiderte Lares. „Setzt Euch kurz auf den Stein. Ich sorge für eine Hebamme und einen Stuhl, um Euch in das Damengemach zu bringen. Meine Mutter ist eine ausgewiesene Heilerin. Euch und Eurem Kind wird nichts geschehen!“ Mit diesen Worten eilte Lares davon so schnell er konnte. Ein Schrei. Ein wütendes Grollen von der Ritterin ließ Lares innehalten. “LARES. Ich denke …hmmmm …ich sollte hier nicht alleine bleiben.” Alana hatte nun eine gekrümmte Haltung angenommen. Im gestreckten Lauf machte der Mersinger kehrt. „Ohje, das ist nicht gut. Könnt Ihr laufen? Ich… habe keine Erfahrung mit dem Kinderkriegen. Verletzungen versorgen und Wunden nähen, das kann ich. Wir brauchen Hilfe einer erfahrenen Person! Jetzt lehnt Euch erst einmal an den Stein.“ Lares berührte sie vorsichtig an der Schulter und führte sie zu dem Felsen. Er hatte die Hoffnung, dass die Wehen besser würden, wenn Sie sich erst einmal nicht mehr krümmte.

“Ich kann helfen.”, sagte eine klare Kinderstimme. Ein Mädchen mit wilden, roten Locken und einem weißen Leibchen stand plötzlich neben den beiden. Sie mochte vielleicht 7, 8 Götterläufe zählen, hatte große, grüne Augen, Feenküsse auf den Wangen und Nase und ein lebensfrohes Lächeln. Lares hätte schwören können, dass er dieses Kind noch nie gesehen hatte.

„Die Götter seien gepriesen!“, freute sich der Mersinger über diese unverhoffte Hilfe. Er zeigte auf das Gesicht des kleinen Mädchens. „Kind, hol Vinja Rankmann - du weißt, wer sie ist? So schnell du kannst; eil dich bitte!“ Lares beugte sich über die Gebärende. „Ihr müsst Euch freimachen, sonst verheddert sich das Kind womöglich in Euren Kleidern. Und atmen“, soviel wusste sogar der unbedarfte junge Ritter.

Diese schüttelte nur ihre Locken. “Das dauert zu lange. Aber folgt mir.” Sie wies zwischen den Büschen … und ein Pfad war zu sehen, an dessen Ende eine Hütte stand. Nun wunderte Lares sich wieder … denn diese war ihm noch nie aufgefallen.

Der kleine Ritter blinzelte. Das Mädchen, die Hütte… war das der Stress der Situation? Hatte er Halluzinationen? Spielte sein Geist oder ein boshafter Hexer ihm einen Streich? Er zwickte sich in den Arm. Als auch dies ihn nicht aus der Situation in eine vermeintliche Realität zurückholte, griff er Alana unter dem Arm und führte sie behutsam in Richtung der ominösen Hütte. „Wer bist du, Kind?“, frug er dabei. Ihm kam es mehr als seltsam vor, dass ein Mädchen diesen Alters so durchsetzungsstark und fokussiert war. “Iri.” Fröhlich sprang die Kleine voran und öffnete die Tür. Die Hütte war eher eine alte Kate, überwuchert von Efeu und durchwachsen von Rosen. “Das ist euer Ernst, Mersinger? Ich soll mein Kind in eurer Werkzeughütte gebären?” Alanas Stimme hatte kaum Nachdruck und schon die nächste Welle eines Schmerz ließ sie sich resigniert von Lares führen. „Wenn ich ehrlich bin: Nein. Das ist nicht mein Ernst. Das ist nicht meine Werkzeughütte. Das ist nicht einmal meine Hütte. Bei PRAios, ich habe diesen Verhau noch nie gesehen - und das ist schließlich mein Land. Seht Euch um: Käme mir so etwas unter die Augen, ich hätte schon lang für Ordnung sorgen lassen. Doch in Eurer Situation können wir nicht wählerisch sein. Ein Dach über dem Kopf, ein … Stuhl? Oder ein Tisch?“ Lares sah sich um, während er sprach. Er hoffte, die Rittsfrau damit beruhigen zu können; so, wie man das mit Verletzten auf dem Schlachtfeld tat. Dabei betrachtete er die blühenden Rosen, die die staubigen Ecken der Kate ausfüllten. Ehrlicherweise: Diese Szenerie hatte eine verdrehte Schönheit.

Die Ritterin verdrehte die Augen. “Du willst mir sagen, dass du dein eigenes ..Ähhm, was auch immer dir und Rahjel zugestoßen ist, dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Es wäre gut, wenn du einen klaren Kopf behalten würdest”, presste sie heraus. Kaum tratten beide über die Türschwelle, wurden sie von einem Schwall Kräuterduft begrüßt. Die Kate war geräumig, sauber und aufgeräumt. Eine Bettstatt mit wollenen Bezug und Kissen dominierte, doch gab es auch eine Küche, die mit Speisen und Getränken eingedeckt war. Das Mädchen nahm auf einem Schemel Platz … doch noch jemand war in der Hütte. Eine Frau in mittlerem Alter, gütigen Augen und in einem schlichten Kleid begrüßte sie. “Kommt, es wird nicht lange dauern.”, sagte sie mit ruhiger Stimme. Wieder erkannte Lares die Frau nicht, obwohl … irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Der Mersinger war sich mittlerweile sicher, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Sein Kopf sagte ihm, dass Magie und Hexenwerk im Spiel waren, doch sein Herz - sein Gefühl - sprachen eine andere Sprache. Die Situation war fremd und doch vertraut. Die Kate verströmte eine außerordentliche Geborgenheit, die ihm alle berechtigten Bedenken raubte. „Die gütigen Götter zum Gruße. Wir wollten nicht in Eure Heimstatt eindringen, aber die Dame hier“, er wies mit offener Hand auf Alana hin, „ist in guter Hoffnung und das Kind kommt. Dürfen wir Euer Bett nutzen?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, führte er Alana auf das breite, ausladende Bett zu. Sie würde ja sagen, das wusste der Ritter instinktiv.

“Sicher.”, sagte diese. “Ich bin Odrud. Der ´Grüne´ hat mich gebeten zu helfen.” Mehr sagte sie nicht und ging zu einem Kessel, aus dem Dampf aufstieg. Alana wand sich und schenkte Lares einen misstrauischen Blick.” Bist du sicher … das wir hier sicher sind?” „Jetzt ja“, bestätigte der Mersinger mit neugewonnener Sicherheit in der Stimme. „Jetzt ja.“ Lares setzte sie auf dem Bett ab. „Du musst atmen. Wir ziehen dich jetzt aus, damit du gewaschen werden kannst. Mit dem Kopf deutete er in Richtung des Kessels mit warmem Wasser. Die Wesenheit, die sich Odrud nannte, hatte alles hergerichtet, was es brauchte, um für eine sterile Umgebung zu sorgen. „Danach solltest du jedenfalls den Oberkörper wieder bedecken, damit du nicht frierst. Du wirst schwitzen; so eine Geburt soll eine schweißtreibende Angelegenheit sein. Also durchschnauben. Hilf mir, dann geht es leichter.“ Diese Iri musste eine Helferin des Grünen und dieser Odrud sein. Wahrscheinlich waren sie gar nicht in Rosenhain, sondern in einer Globule oder Feenwelt. So hatte die Magistra Circe diese Paralleldimensionen genannt. Alana nickte verständig und zum ersten Mal sah er etwas in ihren Augen, das er noch nie zuvor gesehen hatte: Angst. Die selbstbewußte, oft harte Frau wirkte verletzlich. “Solang du bei mir bleibst?” „Wie könnte ich eine Freundin im Stich lassen?“ Dabei hatte der junge Mann ein ehrliches, schiefes Lächeln auf den Lippen. „Zieh das aus. Gut.“ Lares bat Odrud um ein in warmes Wasser getränktes Tuch und reinigte Alanas Gesicht, dann die Schultern, die Brüste und ihren Bauch. „Kannst du dich… ja genau“, er deutete auf ihre Scham. Nachdem sie selbst diese intime Stelle gereinigt hatte, setzte er die Prozedur mit ihren Beinen, ihren Füßen und schließlich ihrem Rücken fort. Das Tuch landete im Kessel mit dem warmen Wasser. „So, jetzt nimm meine Hand. Ja, so, wie zum Kriegerschwur. Und atmen. Gut so. Wenn du Schmerzen hast, dann drück zu. Ich drück dagegen. Solange bis es da ist. Los geht‘s!“ Lares ließ sich von seiner Intuition leiten, war sich aber sicher, dass der Naturgeist eingreifen würde, läge er falsch. “So ist es gut”, sagte Odrud und schob Lares ein wenig zur Seite. “Sobald du wieder den Schmerz spürst, versuche zu pressen. Kaum hatte sie das ausgesprochen, schien Alana auf und drückte Lares Hand so kräftig, dass es ihm schmerzte. Da sah er Blut und er spürte, wie es ihm schummrig wurde. „Drück fester“, presste Lares zwischen den Zähnen hervor. Er würde das zusammen mit der Ritterin durchstehen. Er hielt sein Wort. Immer.

Ein ständiges Poltern und Kindergeschreie hatten Rhodans Alarmglocken schrillen lassen. Geschwind wie sein beleibter Körper es ließ, rannte er zu seiner Stube. Wie vermutet, waren die Quelle der Unruhe die ´Sternenkinder´. Seit er im letzten Ingerimm aus dem Rickenhauser Wald zurückgekehrt war, hatten sich diese kaum blicken lassen … bis auf eines. Der Junge Ansuz, nunmehr Anselmo ya Vendoras, hatte eine Trägerin gefunden, die Mutter des Herr Lares von Mersingen. Noch immer waren die Geschehnisse um diese ´ Kinder´ kaum zu begreifen gewesen. Vom Himmel gefallen, sozusagen ein Geschenk der Götter, waren sie hier, nur um von ihm, Rhodan Herrenfels, behütet zu werden … und neue Träger zu finden. Das ausgerechnet Gezelda von Mersingen eine sein würde, damit hätte er nie gerechnet. Nun, um ganz ehrlich zu sein, dass sie eine Behüterin eines göttlichen Avatars war, hatte er ihr nicht gesagt. Mit der Baronin von Rickenhausen verband ihn dieses Geheimnis und ein Versprechen und somit gab er den mitgebrachten Jungen als ihren entfernten Verwandten aus. Ganz natürlich nahm sich die ältere Frau dem Kind an und beide verbanden nun ein inniges Verhältnis.

Kurz atmete Rhodan durch und zählte die spielend tobenden Kinder. ´Mem, Jerat, Nyx, Isaz. Hmmm, wo war Iri?” Noch einmal schaute er nach dem rothaarigen Mädchen. „Oh bei allen Alveraniaren. Wie oft habe ich euch gesagt, dass herumtoben keine Option ist, eure überschüssige Energie loszuwerden! Ihr wisst doch selbst, dass das nicht funktioniert - so viel, wie ihr in euch tragt. Wer von euch hat Iri zuletzt gesehen? Und jetzt lügt mich ja nicht an!“, donnerte der dicke Händler, doch die Besorgnis auf seinem Gesicht strafte alle Härte Lügen. Diese Racker hielten ihn schon eine Weile wirklich auf Trapp - so sehr, dass er immer häufiger Knoten in die Papiere bekam. Die Erbosch natürlich sooooofort fand und ihm genüsslich unter die Nase rieb. Anuz, der Vernünftigste von allen, weilte mittlerweile im Haupthaus bei der Junkersmutter. Das war dem Jungen zwar recht und billig, doch seiner Situation kaum zuträglich. Seitdem waren die Verbliebenen umso umtriebiger… “Der Tod ist unumgänglich! Der dunkelhäutige Junge mit pechschwarzem Haar stand auf einem Tisch, schlug die Hände über Kreuz und ließ sich rückwärts in Rhodans Bett fallen. „Das ist gerade nicht hilfreich Nyx“, erwiderte Rhodan leicht entnervt. Er hatte kaum etwas anderes erwartet. „Trag doch bitte etwas zu meiner Frage bei.“ Aus dem Badezuber heraus plantschte die grünhaarige Mem mit ihrem Nixenschwanz, während Isaz mit einem Bogen auf Rhodan zielte. Der Pfeil flog nur haarscharf an dem Kontorleiter vorbei. “Iri hilft der Frau im Garten”, sagte der Junge, Jerat, dessen Haarschopf echte Flammen waren. „Welcher Frau im Garten? Dem Fräulein Vinja?“, fasste der dicke Mann nach. Jerat zuckte mit den Schultern und blies eine Rußwolke in die Luft. „Sonst jemand? Isaz, deine guten Augen haben doch schon lang festgestellt, wer da durch den Garten streift. Wenn Iri mit der lieben Vinja unterwegs ist, dann muss ich mir keine Sorgen machen. Aber ihr wisst doch, wir haben gerade wichtigen Besuch und wenn der junge Herr Lares…“ Da klopfte es wild an der Türe.

„Auch das noch.“ Der Händler machte auf dem Absatz kehrt und stürzte zur Türe. „Ja?“, sagte er in dem Moment, in dem er sie geöffnet hatte. Hinter ihm wurde es schlagartig still. Er wußte, dass die Kinder wieder verschwunden waren. Vor der Türe stand Iftrud, die Magd. “Meister Rhodan, ihr müßt sofort kommen. Die Hausherrin hat mich geschickt … ein Wunder!” „Noch eines?“, entfuhr es dem konsternierten Kontormeister. „Äh, ja, ein Wunder! Welche Freude!“ Er schlüpfte in Straßenschuhe und folgte Iftrud aus dem Kontor auf die Straße. „Was für ein Wunder?“ “Nun kommt schon, ihr werdet es mit eigenen Augen sehen müssen!”. Damit rannte sie in Richtung Hof. Frauen, immer so geheimniskrämerisch!, schoss es dem Verlobten durch den Kopf. Bald würde er seine und manch andere Geheimnisse mit Gwen teilen. Daran musste sich der Händler noch gewöhnen. Trotz der schweifenden Gedanken konnte er mit der zehn Jahre jüngeren Magd ohne Probleme Schritt halten. Unter dem massigen Äußeren arbeiteten gestählte Muskeln.

Die Wunder des Lebens

Lares hatte den Sinn für die Zeit verloren. Er hielt Alanas Hand, feuerte sie an, ermutigte sie nicht aufzugeben. Und dann war es soweit. Der erste Schrei, das Wunder des Lebens, trieben dem Ritter die Tränen in die Augen. Selbst schweißnass, hielt er den kleinen Jungen, den Odrud gewaschen und in sauberen Leinen gewickelt hatte, in seinen Armen. Wie lange hatte es gedauert? Eine Stunde? Einen Tag? Mehrere? Er wusste es nicht. Sein Arm pochte, das Blut fing bereits an zu verkrusten - aber nichts war ihm weniger wichtig als dieser Moment. Stolz als wäre er selbst der Vater hob er den kleinen Racker hoch und präsentierte ihm seiner Mutter. „Alana, darf ich vorstellen: Das ist dein Sohn. Herzlichen Glückwunsch. Mögen die Zwölfe, die Junge allen voran, immer ein Auge auf den kleinen Mann haben.“ Das Gefühl, dieses kleine Kind in seinen Armen zu spüren, war unvergleichlich. Erschöpft, doch mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht, nahm sie den Jungen. Vorsichtig und misstrauisch schaute sie ihn an. “Wer hätte das gedacht, solch eine Rahjas Frucht. Wie sollst du heißen?” Die Ritterin schloss kurz ihre Augen. “Lilian. Lilian Lares. So sollst du heißen.” Dann schenkte sie Lares einen anerkennenden Blick. „Das ist zu viel der Ehre“, winkte der Mersinger ab, doch konnte man ihm den Stolz ansehen, die damit verbunden war. „Lilian Lares. Ein Name, mit dem man so stark werden kann wie die Mutter!“ Dann stellte sich Odrud wieder zu ihnen. “Es ist eine Weile her, das das Haus Mersingen ein Kinderschrei gehört hat. Ich werde hier sein, wenn es wieder so weit ist.” Dann schaute sie Lares an. “Ich werde mich um die Beiden kümmern und sie zum Haus bringen. Ich glaube, ihr werdet gerade bei eurer Familie gebraucht. Hört ihr die Glocke?” Nun konnte auch Lares die Glocke läuten hören, die auf dem Gutshof läutete. „Ja ich…bis gleich!“, meinte er beiläufig, streichelte dem kleinen Mann noch einmal über den Kopf und erhob sich. Die Glocke wurde nur in Notfällen geläutet. Lares schritt durch die Tür der Kate ins Freie und richtete seinen Blick auf das Haupthaus seines Anwesens.

Lares rannte so schnell er konnte, doch das Haus stand leer. Auch der Hof und das Gesindehaus. Erst als er vor die Tore des Gutshofes trat, fand er alle wieder: die Bediensteten, Rhodan und seine Familie. Selbst sein Vater hatte seine Kammer verlassen. Rahjel war der erste der ihn bemerkte. “Lares! Was für ein Wunder des Lebens! So schau doch Rahjas Früchte!” Er jetzt bemerkte der Ritter es. Die Rosen waren in voller Blüte, doch hatten sich die Felder sicherlich verdoppelt. Auch die anderen Felder, die Büsche, Blumen und Bäume standen in Blüte und vollen Früchten. Sogar eine Quelle mit klarem Wasser sprudelte aus einem nahegelegenen Felsen. In der Ferne sah er eine Gestalt, gänzlich aus Erde und Blätter bestehend, die sich verbeugte und verging. Milde lächelte der junge Ritter und sah die Familie versammelt. Sogar der Kontormeister war heraufgeeilt - offensichtlich im Schlepptau der fahrigen Magd. Sein Blick schweifte über das Tal und die reiche Ernte, die sie erwarten würde. „Rhodan, mein Bester. Morgen werdet Ihr wohl eine Extraschicht einlegen müssen. Aber heute, heute wird gefeiert! Wir lassen die Götter hochleben und preisen ihre Großzügigkeit. Schnell, schafft eine lange Tafel herbei, was ihr finden könnt aus der Speisekammer und ruft die Bauern von den Feldern. Heute soll jeder an unserer Freude teilhaben - nicht wahr, Rahjel?“ Der Geweihte der Rahja lachte aus vollem Herzen. ”Und wie wir feiern werden, bei der Liebholden, das werden wir!”

In der Ferne stand Odrud zwischen einigen Büschen. Ihre Hütte war längst wieder verschwunden und nur ein aufmerksamer Betrachter würde die Stelle im Gestrauch erkennen, wo sie einst stand. Ihr Blick fiel auf den schwarzen Stein, die einzige Erinnerung, die an ihr geblieben war. “Seid sicher, dass ich ein wachsames Auge habe. Für immer.”, hauchte sie und niemand hörte es. Dann verschwand sie und alles was blieb war die verwitterte Inschrift auf dem Stein:” Odrud von Mersingen”