Prolog - Geronsweiher und Hyndanburg

Prolog
der Geschichte der Kinder Mirils

Der Barde Dyderich von Sümpfle singt seinem Zögling Daithi Adlerkralle von Rechklamm anlässlich der Aufnahme der kleinen Koarmin Adlerkralle von Rechklamm als Pagin bei der Ritterin Ira von Plötzbogen am 5. Rondra 1044 BF auf der Hyndanburg folgende uralte Weise:

Tränen sie fließen / in großen Strömen
sammeln sich / in dem alten Weiher
Du Einhändiger / hast du verloren
Herzensbluten / sie liebtest du sehr

Eschen im Wald / die Sterne sind wach
Rostroter Stein / die Ricken am Bach
Blute ist auf die uralten Felsen
geronnen wie ein Gebet

Traumgleich die schöne / Elfenfrau sage
Lebenshauch / gab sie Seele nicht auch
Drache dein Ende / bittere Wende
kein Glück gefunden / Schicksal ist rauh

Eschen im Wald / die Sterne sind wach
Rostroter Stein / die Ricken am Bach
Blute ist auf die uralten Felsen
geronnen wie ein Gebet

Auf diesem Stein / hast du gegründet
Bergfrieden / das Gemäuer ist grau
Schwäne sie kreisen / mondhellen Nächten
Siebenzahl / wissen sie ganz genau

Eschen im Wald / die Sterne sind wach
Rostroter Stein / die Ricken am Bach
Blute ist auf die uralten Felsen
geronnen wie ein Gebet

...

Die Legende vom Geronsweiher und die Gründung der Hyndanburg

Eine Schar Schwäne zog in einem großen Bogen seine Kreise über dem Weiher. Das Madamal stand voll am Nachthimmel. Eine sternenklare Nacht. Hyndan saß auf einem Felsbrocken an der Flanke des Berges, der seit Jahrhunderten Geronsstein genannt wurde. Er schaute praio-efferdwärts über das Land und betrachtete voller Andacht das Geschehen. Hier muss es gewesen sein, dachte er.

Der Legende nach hatte Geron der Einhändige einst hier gesessen. Zu Tode betrübt. Er war mit seinen Gefährten in dieses Land gezogen. Weit gen Firun. Hier in den Ingrakuppen vermuteten sie einen Drachen, der weit praiowärts bis hinein in das Land des Horas sein Unwesen trieb. Gerons Schar verfolgte den Drachen bereits seit Wochen. Auf dem Drakensberg in der heutigen Baronie Eisenstein entdeckten sie seinen Hort. Sie stiegen auf den Berg hinauf, um den Drachen zu stellen.

Mühsam war der Aufstieg. Doch endlich erreichten sie den Eingang zu der Höhle in der das Ungeheuer hauste. Sie hielten ihre Waffen parat, die Griffe der Schwerter fest umklammert, die Speere und Lanzen nach wehrhaft nach vorn gerichtet. Vorsichtig näherten sie sich dem Höhleneingang. Weit klaffte die Öffnung im Felsen. Großzügig weitete sich der Höhleneingang am felsigen Hang des Drakensberges. Gerons Schar kletterte in den Eingang hinein. Schon kam ihnen der Geruch des Drachen entgegen. Ein warmer Schwall nach Schwefel stinkender Luft. So schien das Ungeheuer wohl zu Hause zu sein. Auf dem Höhlenboden lagen Knochen von Tieren und Menschen. Zwischendrin verrostete Waffen. Außerdem verstreut ein paar Münzen und andere wertvolle Gegenstände. All das schien eine Spur hinein in die Höhle zu legen. Die Helden folgten der Spur tiefer in den Höhlenschlund. Vorsichtig schauten sie sich um und versuchten einander nach allen Seiten abzuwehren. Wo war der Drache?

Da! Valerian sah, wie im Dunkel ein überdimensionales Auge aufblinkte. Valerian Adlerkralle war einer der Urahnen des Hauses Adlerkralle, welches einst in diesen Landen einmal zu Hause sein würde. Wie gebannt starrte er in das sich öffnende Auge. Die rote Iris wurde geteilt durch eine schlitzartige Pupille, die von unten nach oben verlief, tiefschwarz, dunkel, furchteinflößend. In der Iris spiegelte sich die Heldengruppe. Nur mit großer Mühe gelang es Valerian sich aus dem Banne dieses Anblickes zu lösen und sich an seine Mitstreiter zu wenden. „Dort.“, flüsterte er. Schnell war die Aufmerksamkeit aller auf das fürchterliche Auge gerichtet. Die ganze Gruppe stand wie gebannt da. Sekunden zerrannen wie Stunden. Dann ein Schnauben. Münzen und andere kleine Gegenstände sprangen wie aufgewirbelter Staub durch die Luft. Es roch stickig nach Schwefel.

„Zur Seite!“, rief Geron geistesgegenwärtig. Die Gruppe teilte sich und einige sprangen nach links, andere nach rechts weg. Kaum hatten sie sich hinter Felsbrocken in Sicherheit gebracht spürten sie die Hitze des Feueratems des Ungeheuers. Ein Feuerstoß verbrannte jenen Ort, an dem die Helden nur einen Moment zuvor gestanden hatten. Schnell war das Feuer verglommen, weil kaum etwas Brennbares in der Höhle war, außer den Helden selbst. Geron gab Zeichen, dass die beiden Teile der Gruppe sich an die jeweilige gegenüberliegende Flanke des Drachens vorarbeiten solle. Stets auf Bedeckung durch Felsvorsprünge oder Steinbrocken bedacht, irgendwie im Schutze der Umgebung bleibend, arbeiteten sich die Helden nach vorne weiter an den Drachen heran. Das Ungeheuer wiederrum wälzte sich in die Richtung, wo es die Eindringlinge vermutete. Der Drache breitete seine Flügel weit aus und erhob seinen Hals und Kopf nach oben. Er sog Luft ein. Offensichtlich setzte er zu einem weiteren Feuerstoß an.

Ein breiter Schwall Feuer verbreitete sich über die ganze Höhle. Der Drache schien seinen Kopf zu drehen als er seinen Feueratem in die Luft stieß. Haare und Kleidung der Helden wurden angesengt. Aber alle kamen mit leichten Verbrennungen davon. Als das Feuer verglommen war stürmte Gereon aus seinem Versteck mit seinem Schwert Siebenstreich voran. Seinem Beispiel folgend kamen auch Valerian und die anderen aus ihrer Deckung und griffen den Drachen an.

Aislin blieb jedoch zurück. Die Elfe hatte ihren Bogen gespannt und einen Pfeil an die Sehne gelebt. Der Pfeil schnellte dem Drachen entgegen, stieß gegen die Schuppen und prallte ab. Valerian hatte derweil seinen Speer dem Ungetüm entgegen geworfen. Auch der Speer drang nicht durch. Der Drache schien kurz zu stutzen. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass nun von allen Seiten auf ihn eingedrungen wurde. Da hieb im Geron mit Siebenstreich gegen seine Flanke. Das Schwert drang in die Schuppen ein und verletzte das Ungetüm. Da wandte sich der Drache seinem Peiniger zu und schnappte mit seinem scharfen Gebiss nach ihm. Geron wich aus. Erneut sog der Drache Luft ein. Bald würde er wieder einen Feuerstoß abgeben. Vermutlich dem Einhändigen entgegen. Geron hatte nun aber keine Deckung. Das würde sein Ende sein.

Beherzt rannte Valerian über einen höher liegenden Felsbrocken auf den Drachen zu und sprang ihm an den Hals. Das Ungetüm wandte sich von Geron weg und vergaß den Feueratem zu spucken. Der Drache versuchte Valerian abzuschütteln. Doch der Adlerkralle hielt sich mit allen Kräften an der Schuppenhaut fest. Da flog ein weiterer Pfeil der Elfin. Dieses Mal traf er eine empfindliche Stelle. Der Pfeil drang in das rechte Auge des Drachen ein. Vor Schmerz zuckte das Ungeheuer zurück. Geron nutzte den Moment und stieß Siebenstreich in den Hals des Drachen.

Schwer und tödlich verletzt nahm der Drache noch einmal seine Kraft zusammen. Er starrte die Elfin an. Aislin stand auf einem Felsvorsprung und legte einen weiteren Pfeil an. Der vorhin vorbereitete Feuerstoß drang nun aus dem Rachen des Drachen. Die Elfe sah das und versuchte noch an Seite zu springen. Doch zu spät. Schon war sie vom Feuerball umschlossen. Mit einem Schmerzensschrei stürzte sie zu Boden.

Geron verfolgte das Geschehen voller Entsetzen. Da stieg ihn ihm Wut auf. Er schlug mit Wucht auf den Drachen ein. Den Todesstoß hatte er ihm bereits versetzt. Doch nun gab Geron ihm den Rest. Valerian löste sich vom Hals des Drachen und sprang zur Seite. Gerade noch rechtzeitig bevor das Ungetüm kippte. Es hätte ihn unter sich begraben. Leblos lag der Drache da.

Valerian Adlerkralle rappelte sich auf. Er blickte auf den toten Drachen. Noch wollte er nicht begreifen, dass die Gefahr vorüber war. Dann schaute er weiter. Geron war zu Aislin gelaufen. Er kniete sich neben die am Boden liegende Elfe und nahm sie in den Arm. Geron hielt ihren Kopf fest und sprach mit ihr. Sie antwortete schwach. Valerian vermochte nicht zu verstehen worüber die beiden sprachen.

Aislin `Traumgesicht´ und Geron der Einhändige verband mehr als Freundschaft. Sie hatten sich in den vergangenen Monden ineinander verliebt. Sie waren ein ungleiches Paar. Die zierliche Elfe und der grobe Kriegerheld. Doch ihre Liebe zueinander war tief und innig. Jetzt lag Aislin in seinem Arm. Die letzten Momente ihres Lebens verbrachte sie in intimer Nähe zu ihrem geliebten Menschen. Dann drehte sie ihren Kopf zur Seite. Aislin „Traumgesicht“ verstarb umklammert von Geron. Der schien es nicht zu fassen. Er schüttelte sie und redete auf sie ein. Als Geron endlich begriff, dass sie Tod war brüllte er vor Schmerz ein lautes „Nein!“ in die Drachenhöhle hinein.

Betrüb von dem Verlust zog die Schar ins Tal. Keiner mochte sich freuen über den Sieg über den Drachen. Geron trug seine Geliebte im Arm hinunter bis in die Niederungen. In einem Waldstück zwischen dem Eschenbruch und dem Rickenbach soll die Schar ihre gefallene Gefährtin begraben haben. Der Wald wird heute „Die Aal Bosch“ genannt. Seither soll in diesem Wald eine wundervolle Aura spürbar sein. Vom Grabe der Elfe soll ein Zauber ausgehen. Die Gefährten Gerons gaben Aislin die letzte Ehre und Geron sprach ein Gebet. Nur schwer konnte er sich von ihrem Grab lösen.

Schweren Herzens zog die Schar weiter. Doch nicht weit. Jenseits des Rickenbaches hielt Geron auf einem Berge inne. Der Berg wird heute der Geronsstein genannt. Auf einem Felsen sitzend soll er sein Gesicht in seiner Hand vergraben haben und bitterlich geweint haben. Er habe so arg über seinen Verlust geweint, so die Legende, dass seine Tränen eine Senke am Fuß des Berges gefüllt hätten. Das Gewässer ist heute unter dem Namen Geronsweiher bekannt.

Hyndan Adlerkralle schaute auf diesen Weiher. Er saß auf einem Felsen von dem er glaubte, dass einst auch Geron hier gesessen haben mochte. Und auch sein Vorfahre Valerian mochte hier bei Geron gestanden haben. Hyndan hatte beschlossen, dass er hier seine Burg bauen wollte. Er blickte auf den Geronsweiher. Die sieben Schwäne drehten ab und flogen gen Firun Richtung Breewald. Eine Wolke zog vor das Madamal. Noch viele Generationen später würden hier Menschen leben, die ihren Vorfahren gedenkend den Ehrennamen „Adlerkralle“ führen werden...


Autor: Innozenz m.c.