Ein Gespräch unter Verwandten

Ein Gespräch unter Verwandten
- Prolog zum Briefspiel "Des Waldes dunkler Schatten" -

25. Rondra 1047 BF, im Gasthaus "Zur schnappenden Forelle" in Weiler Göppelau

Teilnehmer

Die Handlung

Es war Ende Rondra und ein heftiger Sommerregen, der im Vorderkosch sicher ein ausgewachsenes Gewitter war und der Donnernden zur Ehre gereichte, ging über den Schnakenseeer Ländereien nieder. Während es draußen in Strömen goss, sass Calla von Muggenloch, die Leibzofe der Baronin von Schnakensee, in der kleinen Gaststube der ‘Schnappenden Forelle’ und hatte einen Holzbecher mit dampfendem Kräutertee vor sich stehen.
Außer ihr war niemand anwesend. Die Handvoll Tische waren allesamt leer. In einigen Wochen würde der ein oder andere Flößer hier absteigen, wenn er mit gefüllten Taschen aus Ambelmund zurück kommt. Aber heuer gab es nur wenige Reisende und der Ort selbst war ohnehin im wahrsten Wortsinne wie ausgestorben. Die Familie Lerchengruber, die Besitzer des Gasthauses, waren beinahe die Letzten, die noch hier in Göppelau lebten.
Und so war die Gaststube der ‘Schnappenden Forelle’ ein behaglicher Ort, um sich in Ruhe unterhalten zu können.
Calla nahm die kleine Kutsche der Baronin, die eigentlich nicht mehr als ein kleiner Pferdekarren mit einem Bogendach war, welches mit einer geteerten Plane bespannt wurde. Immerhin blieb man so trocken, aber bequem oder gar angenehm war das Reisen in diesem Gefährt nicht. So schmerzte Calla auch ihr Rücken, den sie immer wieder durchdrückte und dabei das Gesicht verzog. Der Kutscher wartete in dem winzigen Stall des Gasthauses im Trockenen. Er musste ohnehin nicht hören, was hier besprochen wurde.
Calla nahm den warmen Becher in die Hand und pustete ein wenig Dampf davon, ehe sie einen tiefen Atemzug von dem würzig riechenden Kräutersud nahm und dabei die Augen schloss, als sich die Tür zur Gaststube öffnete.
Mit zügigem Schritt trat Ilmengart von Muggenloch ein, über die Schulter rief sie noch dem Knecht (auch wenn er beteuerte, keiner zu sein) zu, sich ordentlich um ihre Stute zu kümmern. Kurz blieb sie stehen, um sich im Raum umzuschauen, doch lange brauchte sie nicht, ihre in die Jahre gekommene Tante zu erspähen. Bevor sie sich setzte, legte sie noch ihren Umhang ab. Sie setzte sich und winkte dem Wirt, der auch rasch zu ihr eilte, um sie zu bedienen. Es war selten, dass sie dieser Tage alleine reiste, entweder hatte sie ihren Knappen oder Wilfried dabei, doch beide hatte sie, unter lautem Protest, zuhause in Grützbrühl gelassen. Für diese kurze Reise, braucht sie nun wirklich keine Begleitung und der einsame Ritt hatte ihr gut getan, sie hatte es genossen mal wieder in Trab zu verfallen und sich ganz unbeobachtet auch mal in das feuchte Gras am Ufer des Ambla zu legen, so wie sie es immer in Kindertagen getan hatte. “Was darf ich euch bringen, werte Dame?” fragte sie der Wirt, “Einen guten Obstschnaps, wenn ihr einen habt.” Er nickte und ging davon. “Grüß dich, werte Tante. Ich hoffe du bist hier, um mir mitzuteilen, dass du deinen Dienst am Hof der Schnakensees quittierst und heimkehrst? Mutter würde deine Gesellschaft sicherlich gut tun.”
Calla kniff die Augen zusammen und sah ihre Nichte grimmig an, ehe sich ihre Züge etwas entspannten und ihr ein: “Pah!”, entfuhr. Sie schüttelte den Kopf und fuhr fort: “Du beliebst zu scherzen! Gäbe es mich nicht, dann wären wir am Hofe der Baronin gar nicht mehr vertreten und diese Argenklamms könnten sich dort breit machen wie ihnen beliebt!”.
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass der Wirt mit einem kleinen Becherchen des georderten Brandes an den Tisch zurückkehrte, weswegen sie schwieg.
Als dieser den Becher mit einem freundlichen Lächeln auf dem Tisch abstellte und gerade etwas sagen wollte, schnitt Calla ihm kühl das Wort ab: “Ihr könnt dann gehen. Und wir möchten auch nicht mehr gestört werden.”.
Der Mann verbeugte sich kurz und nachdem er den Schankraum verließ und sich die Türe deutlich hörbar geschlossen hatte, nahm die alte Zofe ihre Nichte wieder streng in den Blick: “Wo bin ich stehengeblieben?”
“Du wolltest mir gerade erzählen, warum ich überhaupt hier bin.” Mit einem Schluck stürzte sie den Trunk hinunter. Auf der Zunge schmeckte sie Kirsche und im Hals breitete sich das wohlbekannte Brennen der hiesigen Schnäpse aus. Etwas wehleidig blickte sie noch zur Tür, hätte sie doch nichts gegen einen weiteren gehabt. Doch schließlich blickte sie wieder Calla an, während sie sprach.
Die Gesichtszüge Callas wurden mit einem Male wieder hart, als sie zu sprechen begann: “Richtig! Aber zuerst muss ich dich für deine Mutter noch tadeln. Das Fernbleiben bei der Amtseinführung der neuen Hofkaplanin ist aufgefallen. Wissen die Götter, was diese Argenklamms uns daraus wieder für einen Strick drehen werden!”. Ihr tadelnder Blick blieb einen Augenblick auf Ilmengart haften, ehe sie fortfuhr: “Ich hoffe, du bist nicht ganz so stur wie deine Mutter. Je älter sie wird…”, Calla schüttelte ihren Kopf, “...ist das Altersstarrsinn?!?”.
Dann kniff sie die Augen zusammen und sah kurz mit wehmütigem Blick auf den leeren Becher Ilmengarts, ehe sie seufzte und fortfuhr: “Sei es wie es sei, aber wir können und müssen uns wieder zeigen. Und ich habe genau die richtige Gelegenheit hierfür!” Sie lächelte triumphierend und machte eine unnötig lange Pause, wohl um ihre Nichte auf die Folter zu spannen.
Als über ihre Mutter gesprochen wurde, wollte sie erst zur Erwiderung ansetzen, hielt sich dann jedoch zurück. Doch ihre Art nicht sofort auf den Punkt zu kommen, mochte Ilmengart gar nicht. Selten musste sie sich so beherrschen wie in Gesprächen mit Calla oder ihrer eigenen Mutter, die eine ähnliche Autorität ausstrahlte und die es gar nicht mochte, unterbrochen zu werden. So blieb ihr auch hier nichts anderes übrig, sich wieder in die Rolle eines kleinen Mädchens zurückversetzt zu sehen und ungeduldig darauf zu warten, dass ihre Tante weiter redet.
Calla kostete die Pause aber auch genüsslich aus, ehe sie ihre Idee endlich ausführte: “Die Baronin von Ambelmund hat ‘Freunde’...”, sie betonte das letzte Wort leicht spöttisch, “...eingeladen um für den Besuch des Herzogs…”, erneut machte sie eine Pause um die Erwähnung des Landesherren der Nordmarken wirken zu lassen, “...alles vorzubereiten. Insbesondere um die Wäldereien zu inspizieren, in welchen der Herzog zu jagen gedenkt.”
Calla lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, beließ ihre Hände aber um den noch immer leicht dampfenden Becher geschlungen.
“Das heißt, irgendetwas dort beunruhigt die Fadersberg zutiefst, sodass sie ihre Nachbarn um Hilfe bittet. Und Schnakensee erhört diesen Hilferuf selbstverständlich!”
Die alte Zofe atmete tief durch und sah kurz zur Decke.
“Die Baronin selbst hat natürlich besseres zu tun, aber ich habe sie auf die Idee gebracht, ihren Bruder Helmbrecht zu schicken. Er stammt aus dem engsten Familienkreis der Baronin, das wird formal mehr als genug sein.”
Erneut atmete sie laut hörbar ein und aus, ehe sie Ilmengard mit stechendem Blick fixierte:
“Und da sie ihren verkommenen Bruder ebensowenig leiden kann wie ich, habe ich vorgeschlagen, ihm einen Aufpasser zur Seite zu stellen. Jemand, der die Herzen der Leute erobern kann. Jemand, der die Scherben hinter ihm aufkehren kann. Und dieser Jemand soll aus dem Hause Muggenloch kommen.”
Sie lässt sich die Worte kurz durch den Kopf gehen und lehnt sich dabei mit ihren Unterarmen auf den Tisch, um ihren schmerzenden Rücken zu entlasten. “Das klingt… abenteuerlich.” sie spricht das letzte Wort mit leichter Verachtung aus. “Und ihr wisst nichts genaueres über, was auch immer die Fadersbergs beunruhigt? Also wirklich… ich kann doch nicht einfach jemanden in ein ungewisses Unheil schicken. Mutter wird das auch nicht gut heißen. Wisst ihr, wer sonst noch alles dieser ‘Jagd’ beiwohnt?”
“Bei Travina, Ilmengart!”, Calla wirkte sichtlich aufgebracht, “Das ist DIE Gelegenheit uns nicht nur hier in Schnakensee wieder in ein rechtes Licht zu rücken, sondern den Namen unserer Familie auch in den anderen Baronien bekannter zu machen. Vielleicht schuldet die Baronin von Ambelmund uns am Ende noch einen Gefallen!” Die Stimme der Zofe wurde immer lauter und spitzer. “Und du sorgst dich ernsthaft darum, ob diese Sache zu abenteuerlich werden könnte?” Am Ende schrie sie ihre Nichte beinahe schon an: “Das kann nicht dein Ernst sein! Alle warten nur darauf, uns loswerden zu können!”
Die alte Zofe war auf Burg Schnakensee berüchtigt und gefürchtet für ihre Zornesausbrüche, die sie nur in Gegenwart der Baronin zügelte. Und dies schien nun einer davon zu sein, denn mit einem schnellen Handstreich fegte sie den noch immer mit dampfendem Tee gefüllten Holzbecher vom Tisch, sodass dieser polternd an die Wand geschleudert wurde und die Flüssigkeit an der Holzvertäfelung herunter rann.
Dann fixierte sie Ilmengart wieder und sprach mit kühler Stimme, die sonderbarer Weise noch bedrohlicher klang als das Geschrei zuvor: “Ich präsentiere dir diese Gelegenheit auf dem Silbertablett und du wirst sie ergreifen. Es ist mir völlig gleich, wen du schickst. Aber wenn diese Sache schiefgeht oder wir uns blamieren, dann…”, sie ließ den Satz unausgesprochen. Illmengart setzte sich auf und beobachtete die Tropfen des Kräutertees, die die Wand herunter rannen. Sie spürte wie ihre Schläfe pulsierte. Es ärgerte sie, dass ihre Tante sie nach wie vor wie das kleine Mädchen behandelte, dabei war sie nun schon quasi die Junkerin von Grützenbrühl!
Sie atmete seufzend aus und schaute Calla ernst an.
“Gut. Ich bin noch immer nicht gänzlich davon überzeugt, bestimmt gibt es auch andere Wege…” Sie baute eine kurze Pause ein, solche Machtspielchen nervten sie, jedoch wollte sie sich ihrer Tante nicht einfach ergeben. “Jedoch weiß ich natürlich auch deinen Rat zu schätzen.” Etwas Honig, um ihren Mund zu schmieren, sollte sie hoffentlich etwas beruhigen. “Ich bin mir sicher, dass Wilfried der richtige Mann dafür wäre. Er ist nicht nur ein erfahrener Jäger, sondern auch ein sehr charismatischer Mann. Er hat noch nie Probleme gehabt, sich selbst mit den arrogantesten Ministerialen Kindern anzufreunden, das weißt du sicher auch noch von früher.” Vor ihrem geistigen Auge erschien ihr sein herzhaftes Lachen und sie musste unweigerlich schmunzeln. “Ja, er wird es sein und bei ihm bin ich mir auch sicher, dass eine Blamage ausgeschlossen sein wird.”
Calla schloss ihre Augen und beruhigte ihre Atmung. Dann begann sie langsam zu nicken. “Gut.”, war das einzige Wort, welches sie erwiderte, ehe sie aufstand, einen Silberling aus dem Ärmel zog, legte diesen auf dem Tisch ab und machte sich dann auf den Weg in Richtung der Eingangstüre. Bevor sie diese öffnete, wandte sie sich noch einmal kurz um und fügte tonlos hinzu: “Er soll am Morgen des Achtundzwanzigsten auf der Burg sein.”, ehe sie, ohne eine Antwort abzuwarten, die Tür öffnete, ob des laut prasselnden Regens kurz innehielt, einen stummen Fluch ausstieß und dann nach draußen trat.