Die Gesuchte

Kapitel 3-1: Die Gesuchte

Ort: Twergenhausen

Zeit: 30.Ingerimm 1042 BF

Personen:

Haus Altenberg - Ministerialen Familie aus Elenvina

Maura von Altenberg- Doctora

Sabea von Altenberg - Heroldin

Doratrava - Gauklerin

Nivard von Tannenfels - Krieger und Geleitschützer (Plötzbogner)

Rondradin von Wasserthal - Geweihter der Rondra, Edler von Wolfstrutz

Raxajida und Alarich - Waffenknechte in Diensten Rondradins

Helswin von Plötzbogen - Magus

Emmeran von Plötzbogen, Anführer der 6-köpfigen Gruppe als Geleitschutz angeheuerter ‘Plötzbogner’ (zu denen auch Nivard gehört)

Und andere.


Eine Briefspielgeschichte von DanSch.

Ankunft in Twergenhausen (Ende Ingerimm 1042 BF)

Sehnsüchtig schaute Gelda aus dem Fenster der Kutsche. Schon eine gute Woche war ihre Familie unterwegs aus der Capitale nach Herzogenfurt. Endlich hatten sie die Hälfte ihrer Reise erreicht und nun standen sie vor einem Gasthaus in dem schönen Städtchen Twergenhausen. Das schöne Fachwerkhaus oder gar das Städtchen selbst war nicht Grund ihrer Sehnsucht. Es war eher die Gruppe von Leuten, die sie seit kurzem ihre Freunde nannte. Doratrava, die Gauklerin, Nivard von Tannenfels, der Krieger und Rondradin von Wasserthal zu Wolfstrutz, den Rondrageweihten. Wie sehr wäre sie jetzt bei ihnen, um zusammen Twergenhausen zu erkunden. Aber die Anweisung der Familie, die Anweisung ihres Vaters war klar: Kein Kontakt zu den Anderen, außer zu der Familie! Sie seufzte auf. Sie wußte das Doratrava etwas wichtiges vorhatte und sie ihre Hilfe gebrauchen könnte. Was kann sie nur tun? Plötzlich hatte sie eine Eingebung. Es gab tatsächliche eine Person in der Familie, die sich keine Vorschriften machen ließe und dem in der Familie keinem widersprechen würde. Gelda von Altenberg schmiedete einen Plan.

Von weiten konnten die Gauklerin, der Krieger und der Rondrageweihte beobachten, wie jeder einzelne Altenberger aus einer der vier Kutschen ausstieg und ziemlich rasch, unterstützt von der lauten Stimme des Traviageweihten Winrich von Altenberg-Sturmfels, in den Traviatempel, der neben dem Gasthaus “Zum Gänsenest” stand, gebeten wurde. Eine Schar von Bediensteten half dabei, das Gepäck der Familie nach zu tragen. Jeden, der diese alte Familie betrachtete, war schnell klar, das eine rote Haarfarbe keine Seltenheit bei den Altenberger war. Ansonsten hielten sie sich eher bedeckt und unauffällig. Man mochte ihnen gar eine gewisse Trägheit nachsagen. Eine jedoch, die so gänzlich nicht in das Allgemeinbild passte, löste sich von der Schar und hielt direkt auf die Gruppe zu. Maura von Altenberg, die Doctora, war meistens fröhlich gestimmt und hatte auch diesmal ein Lächeln im Gesicht. An diesem doch sehr heißen Tag, trug sie nur ein leichtes, hellblaues Reisegewand, das jedoch keine modischen und sehr schöne Verzierungen vermissen ließ. Ihr blondes Haar hatte sie einfach zurückgebunden, doch ihr Gesicht war von dezenter, wenngleich von geschickter Hand aufgetragenen Schminke, betont. Die Fünfzigjährige, die weitaus jünger wirkte, winkte ihnen zu. “Den Göttern zum Gruße!”

Irgendwie hatte Doratrava sich diese Reise ein wenig anders, lustiger, kurzweiliger vorgestellt. Natürlich war sie dankbar, mit den Altenbergern und Nivard und Rondradin zusammen zur Brautschau nach Herzogenfurt fahren zu dürfen. Aber von ihrer neuen Freundin Gelda von Altenberg hatte sie die ganze bisherige Reise über fast nichts gesehen, nur manchmal ihren roten Haarschopf in der Ferne. Sie hatte den Eindruck, dass seit Elenvina, als das Familienoberhaupt der Altenberger, dieser Travia-Hochgeweihte, Anweisungen ausgab, alles noch strenger zuging als vorhin schon. Aber was konnte man von einem Geweihten der Travia auch anderes erwarten? Nicht nur sie selbst vermisste Geldas Anwesenheit in ihrer Runde, auch Nivard und Rondradin machten diesen Eindruck, wenn sie auch nicht viel darüber sprachen. Das sei “Familienpolitik”, hatte vor allem Rondradin ihr beschieden, als sie einmal nach dem Grund für diese seltsame Maßnahme gefragt hatte. Nicht mal beim Rasten unterwegs oder wie hier in einem Gasthaus durften sie mit Gelda sprechen, auch für Elvan galt dasselbe. Die Gauklerin seufzte zum tausendsten Mal innerlich. Was für ein Unsinn! Aber sie wollte es sich nicht mit der Familie verscherzen, also hielt sie sich an die Gebote, wenn es ihr auch schwerfiel. Und nun hatten sie Twergenhausen erreicht! Gestern und heute erst recht war ihr immer mulmiger zumute geworden, je näher sie der Stadt kamen. Doch trotz all ihrer Befürchtungen hatte es am Stadttor keine Probleme gegeben. Gut, sie hatte sich eng in ihren Kapuzenmantel gehüllt und reiste in adliger Begleitung, das mochte dazu beigetragen haben, dass sie kaum mehr als einen flüchtigen Blick abbekommen hatte, und so war noch nicht sicher, ob man sie nicht vielleicht doch suchte. Nun, sie würde es bald erfahren. Umso dankbarer war sie zum wiederholten Male Rondradin, der versprochen hatte, ihr in der Angelegenheit mit dem Händler und seinen Kopfgeldjägern zu helfen. Da sah sie Maura auf ihre Gruppe zukommen. Freundlich, aber schweigend nickte sie der Doctora auf deren Gruß hin zu und ließ erst einmal den anderen den Vortritt. Um was es wohl ging? Maura hatte in den letzten Tagen auch eher selten den Kontakt zu ihnen gesucht, insofern war Doratrava gespannt, was sie auf dem Herzen hatte.

So viele Lieder und Gedichte hatte Nivard noch nie in so kurzer Zeit erdacht wie während der letzten Tage, seit sie aus Elenvina aufgebrochen waren. Er litt sehr darunter, gar nicht mit Gelda sprechen zu sollen. Aber er schickte sich, wollte er doch nicht schon auf der Reise sein Ansehen bei den Altenbergern und damit alle Hoffnung verspielen. Wenigstens war ihm das Glück beschieden, mit seinem Ross neben der Kutsche zu reiten, in der neben der Doctora von Altenberg auch sein Freund Elvan und jene junge Frau reisten, für die er mittlerweile sogar gerne nach Herzogenfurt wollte. Auch wenn ungewiss war, ob aus dieser Reise Glück oder doch nur Schmerz und Enttäuschung für ihn erwachsen würden. Jedenfalls konnte er so immer mal wieder unauffällig einen Blick in ihre faszinierenden grünen Augen erhaschen. Und wenn ihm schon verboten war, mit Gelda zu sprechen, so schien sich doch niemand daran zu stören, wenn er während des Ritts gelegentlich leise ein im Texte unverfängliches und immerzu sittsames Liedlein anstimmte, von der Schönheit der Natur, aber auch der Liebe. Und das tat er, wie er es Gelda unmittelbar vor der Abfahrt aus Elenvina in einem unbeobachteten Moment versprochen hatte, jedes Lied ein Zeichen seiner Zuneigung. Von dem er hoffte, dass es Gehör und Gefallen finden möge, auch wenn er keine unmittelbare Antwort darauf erhoffen durfte. Die letzten Tage war ihm Doratrava zusehends nervöser vorgekommen. Was diese wohl umtrieb? Leider hatte sich noch keine passende Gelegenheit ergeben, sie danach zu fragen - auch jetzt nicht, da sie in Twergenhausen angekommen waren, und geschäftig dabei waren, Quartier zu beziehen. Wie immer, wie er es gelernt und tief verinnerlicht hatte, besah er sich, während er mit Doratrava und dem gerade zu ihnen getretenen Rondradin zusammen stand, das “Gänsenest”, prägte sich die Lage von Zu- und Ausgängen, der Fenster und der umliegenden Gebäude ein. Auch wenn er hier nicht der ranghöchste Geleitschützer war, hatte sich doch Emmeran von Plötzbogen selbst es sich nicht nehmen lassen, die hochrangige Reisegruppe gemeinsam mit 4 weiteren Plötzbognern zu begleiten, verhielt der junge Krieger sich so, wie er es auch tat, wenn er für seine Schützlinge völlig alleine verantwortlich war. Dass ihm einige seiner “Kunden” dieses Mal besonders am Herzen lagen und er überdies unter den Augen Emmerans agierte, taten ihr Übriges zu seiner Motivation. Das alles ließ ihn sogar vergessen, dass er wie jeden der letzten Abende wieder in seinem eigenen Safte stand, wurde es im gleißenden Scheine der frühsommerlichen Sonne unter Waffenrock und Kettenhemd doch teils nur schwer erträglich heiß. Wenn alle sicher in der Unterkunft weilten, würde auch er sich leichter wappnen. Während er noch dastand und sich gerade an Doratrava und Rondradin wenden wollte, kam auf einmal Maura von Altenberg auf sie zu. Obgleich er bereits den ganzen zurückliegenden Tag neben ihrer Kutsche geritten war, grüßte er sie erneut mit einer angedeuteten Verbeugung und einem freundlichen Lächeln auf seinem schweißfeuchten Antlitz. “Womit kann ich Euch dienen, Doctora?”

Die letzten beiden Wochen hatten ihre Spuren bei Rondradin hinterlassen. Die Ereignisse, welche zu seiner Verlobung geführt haben, hatten weitere Kreise gezogen, und nun reiste er nicht nur wegen seiner Zusage, als Geleitschutz für die altenberger Geweihten zu dienen, nach Herzogenfurt. Zumindest hatte er sich mit seiner Verlobung arrangiert. Rondradin sah der Hochzeit mit Ravena von Rabenstein aber immer noch mit gemischten Gefühlen entgegen, nicht nur die Begleitumstände, die sture Haltung ihres Vaters und der Umstand, dass sie sich - im Rahmen eines Abendessens - nur einmal gesehen hatten, lagen ihm schwer im Magen, sondern auch, dass er noch immer starke Gefühle für Gelda hegte. Ja, Gelda und er hatten noch einmal miteinander sprechen können, bevor ihr Vater den Kontakt untersagte. Der Geweihte hatte sie nicht nach Elenvina begleitet, sondern war der Einladung Dwaroschs gefolgt und nach Senalosch gereist um an der Einweihung des Denkmals zu Ehren der Gefallenen des Mendena-Feldzugs teilzunehmen, hatte der Oberst ihn doch gebeten, ein paar Worte bei der Einweihung zu sprechen. Erst danach war er mitsamt seinem Gefolge nach Elenvina aufgebrochen. Die Reise von Elenvina aus hatte Rondradin im Sattel hinter sich gebracht, während er vornehmlich neben Doratrava ritt. Ihre Nervosität nahm im gleichen Grade zu, desto näher sie Twergenhausen kamen und auch seine wiederholten Versuche sie zu beruhigen halfen nur bedingt. Die Gesangseinlagen des jungen Nivard waren da eine willkommene Ablenkung. Seine Waffenknechte waren ebenfalls mitgekommen, nur Palinor hatten sie in Elenvina bei seiner Schwertmutter zurückgelassen, nicht ohne ihr zu erzählen, was sich zugetragen hatte. Der niedergeschlagene, verzweifelte Blick, mit dem ihn sein Vetter zuletzt bedachte, hing Rondradin immer noch nach. Allerdings hatte sich sein Vetter diese Suppe selbst eingebrockt. Aber nun hatten sie endlich Twergenhausen erreicht - ohne unliebsamen Begegnungen mit Kopfgeldjägern - und seine Schutzbefohlenen bezogen nun Quartier im Travia-Tempel. Der Rondrageweihte stand zusammen mit Nivard und Doratrava vor dem Tempel und überlegte ob er sich im Gasthaus oder dem Rondra-Tempel einquartieren sollte. Sollte er Doratrava mit in den Tempel nehmen, damit sie zumindest unter dem Schutz seiner Kirche stand? Vielleicht sollte er die anderen fragen. Der Ruf der Doctora riss ihn aus seinen Gedanken. Seit jenem verhängnisvollen Abend, hatte er sie ins Herz geschlossen und sein Lächeln spiegelte dies wider, als er ihren Gruß erwiderte. “Rondra zum Gruß!”

Die Doctora nickte nur kurz. “Momentan habt ihr genug gedient, Herr von Tannenfels. Ich bin eigentlich nur gekommen, um euch etwas zu geben. Die Familie wird jetzt im Traviatempel willkommen geheißen und bis morgen zur Abreise dort verbleiben. Ich hoffe ihr nutzt die Zeit euch ein wenig auszuruhen.” Sie griff nach einer Geldkatze und gab sie dem Krieger. “Das ist für euch Zwei. Ein paar Silberstücke, damit ihr euch eine Schlafstätte im Gasthaus nehmen könnt und ein Abendessen dazu. Und keine Sorge, euer Vorgesetzter muss das nicht wissen. Es ist ein Geschenk von Elvan und mir.” Maura zwinkerte den beiden zu. Dann drehte sie sich zu Rondradin. “Euer Gnaden, ihr seit natürlich herzlichst eingeladen im Tempel zu verweilen und uns beim Abendmahl mit eurer Anwesenheit zu beehren. Seiner Hochwürden würde sich sichtlich darüber freuen. Und noch etwas,” sie deutete die Gasse hinunter,” ich kann euch allen den ´Possenreisser´ empfehlen. Da schmecken das Bier und der Wein am besten. Ihr müsst wissen, Twergenhausen ist mein Geburtsort. Mein verstorbener Vater ist dort immer gerne eingekehrt.” Eine leichte Traurigkeit schlich sich in ihren Blick, den sie dann aber mit einem Seufzen verschwinden ließ. “Wir sehen uns dann später oder morgen früh wieder. Ich wünsche euch eine gute Zeit.” Die Doctora drehte sich um und ging zum Tempel.

Nivard war im ersten Moment leicht perplex - eigentlich stand es ihm nicht zu, vom Auftraggeber direkt Geld anzunehmen, andererseits, wenn es ein privates Geschenk an Doratrava und ihn war… wenn Berufliches und Privates sich überschnitten wie hier, entstand eine Gemengelage, mit der er noch nicht souverän umzugehen wusste. “Habt vielen Dank! Aber…” stammelte er noch hinterher, da war Elvans Mutter, die er bereits seit seiner ersten Begegnung in Nilsitz sehr mochte und auch als eine der wenigen ansprechbaren Altenberger auf dieser Reise noch mehr zu schätzen gelernt hatte, bereits abgerauscht. Unschlüssig sah er Doratrava an, da ergriff Rondradin das Wort:

“Das war ein sehr rascher Auftritt der Doctora, findet ihr nicht? Aber es bleibt uns noch genügend Zeit bis zum Abendessen”, wandte sich Rondradin an Nivard und Doratrava “Sollen wir uns dann deinem Problem widmen?” wollte er von Doratrava wissen. Raxajida führte gerade ihre Pferde in die Stallungen des Gasthauses, während Alarich sich um die Zimmer kümmerte. Doratrava sah der Doctora leicht verwundert hinterher, dann schüttelte sie den Kopf, allerdings nicht als Antwort auf Rondradins Frage. “Wo bringen die denn die ganze Familie im Tempel unter? Dort steht mein Pferd, ich habe den Tempel gesehen, er schien mir nicht so geräumig zu sein. Aber natürlich hatte ich keinen Zugang zu den Katakomben.” Sie lachte ihre Gefährten an, um dann schnell wieder ernst zu werden, und wandte sich Rondradin zu. “Hm, ja, wenn du meinst, dass wir heute Abend noch etwas erreichen, dann los. Je schneller diese Sache geklärt ist, desto schneller kann ich sie auch vergessen. Wo fangen wir deiner Meinung nach an? Bei der Stadtwache? Bei diesem Händler, diesem Wertlinger?” Sie blickte Nivard an. “Kommst du mit?”

“Wenn ihr beide mir kurz sagt, um was es geht, gerne!” Nivard blickte Doratrava nachdenklich in die Augen. “Ist es das, was Dich die letzten Tage bereits so zu beschäftigen schien?” Die Gauklerin schaute Nivard zögerlich in die Augen. “Nun … ja. Ich … hab’ euch, also dir und Gelda, noch gar nichts davon erzählt. Der Vogt, Borax , also Borindarax, der weiß es und versprach Hilfe, aber wann?” Sie hielt inne, um sich zu sammeln und tief Luft zu holen. “Also … auf dem Weg zur Jagd haben mich in einem kleinen Dorf im Wald Kopfgeldjäger überfallen. Ich … konnte knapp entkommen.” Die Einzelheiten übersprang sie großzügig, das führte jetzt zu weit, zumal sie nicht alles erklären konnte, was dort vorgefallen war. “Allerdings nahm ich ein paar Andenken mit”, sie fasste sich unwillkürlich an die Brust, wo unter ihrem Hemd eine feine Narbe von einem ganzen Spann Länge von der Verletzung kündete, die Rangold der Unfehlbare ihr mit seinem Säbel zugefügt hatte. Wäre Arbosch nicht gewesen … egal. “Und erfuhr, dass ein gewissen Herr Wertlinger, ein Händler aus Twergenhausen, wohl die Bande angeheuert hat. Angeblich hatte er sich auf dem Marktplatz der Stadt meine Vorführung angesehen, dabei sei ihm sein Gürtelbeutel abhanden gekommen. Und nun denkt er wohl, das sei ein abgekartetes Spiel gewesen, meine Darbietung reine Ablenkung für irgendwelches Diebesgesindel. Den Dieb konnte er wohl nicht finden, zumal er ihn anscheinend nicht gesehen hatte, aber mich konnte er den Kopfgeldjägern beschreiben. Was Wunder.” Bitterkeit sprach aus der Stimme der Gauklerin. Die Leute erfreuten sich an ihrer Kunst, aber wenn es galt, einen Schuldigen für was auch immer für ein Ungemach zu finden, waren Schausteller immer gleich unter den ersten Verdächtigen. Und wenn sie dann auch noch … anders waren, erst recht. “So schickte er mir also diese Schläger auf den Hals, denen ich knapp entronnen bin. Aber ich habe hier meine Habseligkeiten und mein Pferd im Traviatempel untergestellt, also konnte ich gar nicht anders, als zurückzukehren. Und nun weiß ich nicht, was mich hier erwartet. Wie einflussreich ist dieser Händler? Hat er die Stadtgarde gegen mich aufgebracht? Werde ich gesucht? Was gilt das Wort einer Gauklerin gegen das eines bekannten Händlers? Rondradin hier hat sich dankenswerterweise bereiterklärt, mir zu helfen, aber ich lehne auch andere Hilfe nicht ab, um diese aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen aus der Welt zu schaffen!” Mit ungewöhnlich ernster Miene sah Doratrava Nivard ins Gesicht. “Nun also erneut - kommst du mit?”


Nivard hatte zwar nicht alle Details der recht schnellen Erzählung voll verstanden, aber dennoch ein grobes Bild von der Lage. Für ihn gab es da kein Zögern - er glaubte Doratrava ohne jeden Zweifel, dass sie unverschuldet in diese missliche Situation gekommen war. Und natürlich würde er ihr als seine Freundin helfen: “Ich bin dabei. Gib mir nur einen kurzen Moment, meine Siebensachen abzulegen” (er dachte dabei neben seinem sonstigen Gepäck vor allem an den Wappenrock, der ihn als Plötzbogner auswies und den er bei einer solchen… privaten… Mission eher nicht tragen sollte) “und mich abzumelden.” Er wusste, dass Emmeran von Plötzbogen - zu Recht, wie er einräumen musste - großen Wert darauf legte. Hoffentlich fragte dieser ihn nicht allzu nachdrücklich nach seinen Plänen für den heutigen Abend. Sein Kettenhemd würde er sicherheitshalber doch ein wenig länger anbehalten. “Wartet ihr hier?” Dankbar nickte die Gauklerin. “Ja, klar, darauf kommt es sicher nicht an. Wir beziehen solange schon mal das Gasthaus, nicht, dass nachher die Zimmer weg sind.” Mit diesen Worten zog sie Rondradin in Richtung Eingang des “Gänsenests”. “Wir sehen uns gleich da!” rief sie Nivard noch nach. Hoffentlich machte das Gasthaus seinem Namen nicht zuviel Ehre ...