Die Gesuchte

Kapitel 3-1: Die Gesuchte

Ort: Twergenhausen

Zeit: 30.Ingerimm 1042 BF

Personen:

Haus Altenberg - Ministerialen Familie aus Elenvina

Maura von Altenberg- Doctora

Sabea von Altenberg - Heroldin

Doratrava - Gauklerin

Nivard von Tannenfels - Krieger und Geleitschützer (Plötzbogner)

Rondradin von Wasserthal - Geweihter der Rondra, Edler von Wolfstrutz

Raxajida und Alarich - Waffenknechte in Diensten Rondradins

Helswin von Plötzbogen - Magus

Emmeran von Plötzbogen, Anführer der 6-köpfigen Gruppe als Geleitschutz angeheuerter ‘Plötzbogner’ (zu denen auch Nivard gehört)

Und andere.


Eine Briefspielgeschichte von DanSch.

Ankunft in Twergenhausen (Ende Ingerimm 1042 BF)

Sehnsüchtig schaute Gelda aus dem Fenster der Kutsche. Schon eine gute Woche war ihre Familie unterwegs aus der Capitale nach Herzogenfurt. Endlich hatten sie die Hälfte ihrer Reise erreicht und nun standen sie vor einem Gasthaus in dem schönen Städtchen Twergenhausen. Das schöne Fachwerkhaus oder gar das Städtchen selbst war nicht Grund ihrer Sehnsucht. Es war eher die Gruppe von Leuten, die sie seit kurzem ihre Freunde nannte. Doratrava, die Gauklerin, Nivard von Tannenfels, der Krieger und Rondradin von Wasserthal zu Wolfstrutz, den Rondrageweihten. Wie sehr wäre sie jetzt bei ihnen, um zusammen Twergenhausen zu erkunden. Aber die Anweisung der Familie, die Anweisung ihres Vaters war klar: Kein Kontakt zu den Anderen, außer zu der Familie! Sie seufzte auf. Sie wußte das Doratrava etwas wichtiges vorhatte und sie ihre Hilfe gebrauchen könnte. Was kann sie nur tun? Plötzlich hatte sie eine Eingebung. Es gab tatsächliche eine Person in der Familie, die sich keine Vorschriften machen ließe und dem in der Familie keinem widersprechen würde. Gelda von Altenberg schmiedete einen Plan.

Von weiten konnten die Gauklerin, der Krieger und der Rondrageweihte beobachten, wie jeder einzelne Altenberger aus einer der vier Kutschen ausstieg und ziemlich rasch, unterstützt von der lauten Stimme des Traviageweihten Winrich von Altenberg-Sturmfels, in den Traviatempel, der neben dem Gasthaus “Zum Gänsenest” stand, gebeten wurde. Eine Schar von Bediensteten half dabei, das Gepäck der Familie nach zu tragen. Jeden, der diese alte Familie betrachtete, war schnell klar, das eine rote Haarfarbe keine Seltenheit bei den Altenberger war. Ansonsten hielten sie sich eher bedeckt und unauffällig. Man mochte ihnen gar eine gewisse Trägheit nachsagen. Eine jedoch, die so gänzlich nicht in das Allgemeinbild passte, löste sich von der Schar und hielt direkt auf die Gruppe zu. Maura von Altenberg, die Doctora, war meistens fröhlich gestimmt und hatte auch diesmal ein Lächeln im Gesicht. An diesem doch sehr heißen Tag, trug sie nur ein leichtes, hellblaues Reisegewand, das jedoch keine modischen und sehr schöne Verzierungen vermissen ließ. Ihr blondes Haar hatte sie einfach zurückgebunden, doch ihr Gesicht war von dezenter, wenngleich von geschickter Hand aufgetragenen Schminke, betont. Die Fünfzigjährige, die weitaus jünger wirkte, winkte ihnen zu. “Den Göttern zum Gruße!”

Irgendwie hatte Doratrava sich diese Reise ein wenig anders, lustiger, kurzweiliger vorgestellt. Natürlich war sie dankbar, mit den Altenbergern und Nivard und Rondradin zusammen zur Brautschau nach Herzogenfurt fahren zu dürfen. Aber von ihrer neuen Freundin Gelda von Altenberg hatte sie die ganze bisherige Reise über fast nichts gesehen, nur manchmal ihren roten Haarschopf in der Ferne. Sie hatte den Eindruck, dass seit Elenvina, als das Familienoberhaupt der Altenberger, dieser Travia-Hochgeweihte, Anweisungen ausgab, alles noch strenger zuging als vorhin schon. Aber was konnte man von einem Geweihten der Travia auch anderes erwarten? Nicht nur sie selbst vermisste Geldas Anwesenheit in ihrer Runde, auch Nivard und Rondradin machten diesen Eindruck, wenn sie auch nicht viel darüber sprachen. Das sei “Familienpolitik”, hatte vor allem Rondradin ihr beschieden, als sie einmal nach dem Grund für diese seltsame Maßnahme gefragt hatte. Nicht mal beim Rasten unterwegs oder wie hier in einem Gasthaus durften sie mit Gelda sprechen, auch für Elvan galt dasselbe. Die Gauklerin seufzte zum tausendsten Mal innerlich. Was für ein Unsinn! Aber sie wollte es sich nicht mit der Familie verscherzen, also hielt sie sich an die Gebote, wenn es ihr auch schwerfiel. Und nun hatten sie Twergenhausen erreicht! Gestern und heute erst recht war ihr immer mulmiger zumute geworden, je näher sie der Stadt kamen. Doch trotz all ihrer Befürchtungen hatte es am Stadttor keine Probleme gegeben. Gut, sie hatte sich eng in ihren Kapuzenmantel gehüllt und reiste in adliger Begleitung, das mochte dazu beigetragen haben, dass sie kaum mehr als einen flüchtigen Blick abbekommen hatte, und so war noch nicht sicher, ob man sie nicht vielleicht doch suchte. Nun, sie würde es bald erfahren. Umso dankbarer war sie zum wiederholten Male Rondradin, der versprochen hatte, ihr in der Angelegenheit mit dem Händler und seinen Kopfgeldjägern zu helfen. Da sah sie Maura auf ihre Gruppe zukommen. Freundlich, aber schweigend nickte sie der Doctora auf deren Gruß hin zu und ließ erst einmal den anderen den Vortritt. Um was es wohl ging? Maura hatte in den letzten Tagen auch eher selten den Kontakt zu ihnen gesucht, insofern war Doratrava gespannt, was sie auf dem Herzen hatte.

So viele Lieder und Gedichte hatte Nivard noch nie in so kurzer Zeit erdacht wie während der letzten Tage, seit sie aus Elenvina aufgebrochen waren. Er litt sehr darunter, gar nicht mit Gelda sprechen zu sollen. Aber er schickte sich, wollte er doch nicht schon auf der Reise sein Ansehen bei den Altenbergern und damit alle Hoffnung verspielen. Wenigstens war ihm das Glück beschieden, mit seinem Ross neben der Kutsche zu reiten, in der neben der Doctora von Altenberg auch sein Freund Elvan und jene junge Frau reisten, für die er mittlerweile sogar gerne nach Herzogenfurt wollte. Auch wenn ungewiss war, ob aus dieser Reise Glück oder doch nur Schmerz und Enttäuschung für ihn erwachsen würden. Jedenfalls konnte er so immer mal wieder unauffällig einen Blick in ihre faszinierenden grünen Augen erhaschen. Und wenn ihm schon verboten war, mit Gelda zu sprechen, so schien sich doch niemand daran zu stören, wenn er während des Ritts gelegentlich leise ein im Texte unverfängliches und immerzu sittsames Liedlein anstimmte, von der Schönheit der Natur, aber auch der Liebe. Und das tat er, wie er es Gelda unmittelbar vor der Abfahrt aus Elenvina in einem unbeobachteten Moment versprochen hatte, jedes Lied ein Zeichen seiner Zuneigung. Von dem er hoffte, dass es Gehör und Gefallen finden möge, auch wenn er keine unmittelbare Antwort darauf erhoffen durfte. Die letzten Tage war ihm Doratrava zusehends nervöser vorgekommen. Was diese wohl umtrieb? Leider hatte sich noch keine passende Gelegenheit ergeben, sie danach zu fragen - auch jetzt nicht, da sie in Twergenhausen angekommen waren, und geschäftig dabei waren, Quartier zu beziehen. Wie immer, wie er es gelernt und tief verinnerlicht hatte, besah er sich, während er mit Doratrava und dem gerade zu ihnen getretenen Rondradin zusammen stand, das “Gänsenest”, prägte sich die Lage von Zu- und Ausgängen, der Fenster und der umliegenden Gebäude ein. Auch wenn er hier nicht der ranghöchste Geleitschützer war, hatte sich doch Emmeran von Plötzbogen selbst es sich nicht nehmen lassen, die hochrangige Reisegruppe gemeinsam mit 4 weiteren Plötzbognern zu begleiten, verhielt der junge Krieger sich so, wie er es auch tat, wenn er für seine Schützlinge völlig alleine verantwortlich war. Dass ihm einige seiner “Kunden” dieses Mal besonders am Herzen lagen und er überdies unter den Augen Emmerans agierte, taten ihr Übriges zu seiner Motivation. Das alles ließ ihn sogar vergessen, dass er wie jeden der letzten Abende wieder in seinem eigenen Safte stand, wurde es im gleißenden Scheine der frühsommerlichen Sonne unter Waffenrock und Kettenhemd doch teils nur schwer erträglich heiß. Wenn alle sicher in der Unterkunft weilten, würde auch er sich leichter wappnen. Während er noch dastand und sich gerade an Doratrava und Rondradin wenden wollte, kam auf einmal Maura von Altenberg auf sie zu. Obgleich er bereits den ganzen zurückliegenden Tag neben ihrer Kutsche geritten war, grüßte er sie erneut mit einer angedeuteten Verbeugung und einem freundlichen Lächeln auf seinem schweißfeuchten Antlitz. “Womit kann ich Euch dienen, Doctora?”

Die letzten beiden Wochen hatten ihre Spuren bei Rondradin hinterlassen. Die Ereignisse, welche zu seiner Verlobung geführt haben, hatten weitere Kreise gezogen, und nun reiste er nicht nur wegen seiner Zusage, als Geleitschutz für die altenberger Geweihten zu dienen, nach Herzogenfurt. Zumindest hatte er sich mit seiner Verlobung arrangiert. Rondradin sah der Hochzeit mit Ravena von Rabenstein aber immer noch mit gemischten Gefühlen entgegen, nicht nur die Begleitumstände, die sture Haltung ihres Vaters und der Umstand, dass sie sich - im Rahmen eines Abendessens - nur einmal gesehen hatten, lagen ihm schwer im Magen, sondern auch, dass er noch immer starke Gefühle für Gelda hegte. Ja, Gelda und er hatten noch einmal miteinander sprechen können, bevor ihr Vater den Kontakt untersagte. Der Geweihte hatte sie nicht nach Elenvina begleitet, sondern war der Einladung Dwaroschs gefolgt und nach Senalosch gereist um an der Einweihung des Denkmals zu Ehren der Gefallenen des Mendena-Feldzugs teilzunehmen, hatte der Oberst ihn doch gebeten, ein paar Worte bei der Einweihung zu sprechen. Erst danach war er mitsamt seinem Gefolge nach Elenvina aufgebrochen. Die Reise von Elenvina aus hatte Rondradin im Sattel hinter sich gebracht, während er vornehmlich neben Doratrava ritt. Ihre Nervosität nahm im gleichen Grade zu, desto näher sie Twergenhausen kamen und auch seine wiederholten Versuche sie zu beruhigen halfen nur bedingt. Die Gesangseinlagen des jungen Nivard waren da eine willkommene Ablenkung. Seine Waffenknechte waren ebenfalls mitgekommen, nur Palinor hatten sie in Elenvina bei seiner Schwertmutter zurückgelassen, nicht ohne ihr zu erzählen, was sich zugetragen hatte. Der niedergeschlagene, verzweifelte Blick, mit dem ihn sein Vetter zuletzt bedachte, hing Rondradin immer noch nach. Allerdings hatte sich sein Vetter diese Suppe selbst eingebrockt. Aber nun hatten sie endlich Twergenhausen erreicht - ohne unliebsamen Begegnungen mit Kopfgeldjägern - und seine Schutzbefohlenen bezogen nun Quartier im Travia-Tempel. Der Rondrageweihte stand zusammen mit Nivard und Doratrava vor dem Tempel und überlegte ob er sich im Gasthaus oder dem Rondra-Tempel einquartieren sollte. Sollte er Doratrava mit in den Tempel nehmen, damit sie zumindest unter dem Schutz seiner Kirche stand? Vielleicht sollte er die anderen fragen. Der Ruf der Doctora riss ihn aus seinen Gedanken. Seit jenem verhängnisvollen Abend, hatte er sie ins Herz geschlossen und sein Lächeln spiegelte dies wider, als er ihren Gruß erwiderte. “Rondra zum Gruß!”

Die Doctora nickte nur kurz. “Momentan habt ihr genug gedient, Herr von Tannenfels. Ich bin eigentlich nur gekommen, um euch etwas zu geben. Die Familie wird jetzt im Traviatempel willkommen geheißen und bis morgen zur Abreise dort verbleiben. Ich hoffe ihr nutzt die Zeit euch ein wenig auszuruhen.” Sie griff nach einer Geldkatze und gab sie dem Krieger. “Das ist für euch Zwei. Ein paar Silberstücke, damit ihr euch eine Schlafstätte im Gasthaus nehmen könnt und ein Abendessen dazu. Und keine Sorge, euer Vorgesetzter muss das nicht wissen. Es ist ein Geschenk von Elvan und mir.” Maura zwinkerte den beiden zu. Dann drehte sie sich zu Rondradin. “Euer Gnaden, ihr seit natürlich herzlichst eingeladen im Tempel zu verweilen und uns beim Abendmahl mit eurer Anwesenheit zu beehren. Seiner Hochwürden würde sich sichtlich darüber freuen. Und noch etwas,” sie deutete die Gasse hinunter,” ich kann euch allen den ´Possenreisser´ empfehlen. Da schmecken das Bier und der Wein am besten. Ihr müsst wissen, Twergenhausen ist mein Geburtsort. Mein verstorbener Vater ist dort immer gerne eingekehrt.” Eine leichte Traurigkeit schlich sich in ihren Blick, den sie dann aber mit einem Seufzen verschwinden ließ. “Wir sehen uns dann später oder morgen früh wieder. Ich wünsche euch eine gute Zeit.” Die Doctora drehte sich um und ging zum Tempel.

Nivard war im ersten Moment leicht perplex - eigentlich stand es ihm nicht zu, vom Auftraggeber direkt Geld anzunehmen, andererseits, wenn es ein privates Geschenk an Doratrava und ihn war… wenn Berufliches und Privates sich überschnitten wie hier, entstand eine Gemengelage, mit der er noch nicht souverän umzugehen wusste. “Habt vielen Dank! Aber…” stammelte er noch hinterher, da war Elvans Mutter, die er bereits seit seiner ersten Begegnung in Nilsitz sehr mochte und auch als eine der wenigen ansprechbaren Altenberger auf dieser Reise noch mehr zu schätzen gelernt hatte, bereits abgerauscht. Unschlüssig sah er Doratrava an, da ergriff Rondradin das Wort:

“Das war ein sehr rascher Auftritt der Doctora, findet ihr nicht? Aber es bleibt uns noch genügend Zeit bis zum Abendessen”, wandte sich Rondradin an Nivard und Doratrava “Sollen wir uns dann deinem Problem widmen?” wollte er von Doratrava wissen. Raxajida führte gerade ihre Pferde in die Stallungen des Gasthauses, während Alarich sich um die Zimmer kümmerte. Doratrava sah der Doctora leicht verwundert hinterher, dann schüttelte sie den Kopf, allerdings nicht als Antwort auf Rondradins Frage. “Wo bringen die denn die ganze Familie im Tempel unter? Dort steht mein Pferd, ich habe den Tempel gesehen, er schien mir nicht so geräumig zu sein. Aber natürlich hatte ich keinen Zugang zu den Katakomben.” Sie lachte ihre Gefährten an, um dann schnell wieder ernst zu werden, und wandte sich Rondradin zu. “Hm, ja, wenn du meinst, dass wir heute Abend noch etwas erreichen, dann los. Je schneller diese Sache geklärt ist, desto schneller kann ich sie auch vergessen. Wo fangen wir deiner Meinung nach an? Bei der Stadtwache? Bei diesem Händler, diesem Wertlinger?” Sie blickte Nivard an. “Kommst du mit?”

“Wenn ihr beide mir kurz sagt, um was es geht, gerne!” Nivard blickte Doratrava nachdenklich in die Augen. “Ist es das, was Dich die letzten Tage bereits so zu beschäftigen schien?” Die Gauklerin schaute Nivard zögerlich in die Augen. “Nun … ja. Ich … hab’ euch, also dir und Gelda, noch gar nichts davon erzählt. Der Vogt, Borax , also Borindarax, der weiß es und versprach Hilfe, aber wann?” Sie hielt inne, um sich zu sammeln und tief Luft zu holen. “Also … auf dem Weg zur Jagd haben mich in einem kleinen Dorf im Wald Kopfgeldjäger überfallen. Ich … konnte knapp entkommen.” Die Einzelheiten übersprang sie großzügig, das führte jetzt zu weit, zumal sie nicht alles erklären konnte, was dort vorgefallen war. “Allerdings nahm ich ein paar Andenken mit”, sie fasste sich unwillkürlich an die Brust, wo unter ihrem Hemd eine feine Narbe von einem ganzen Spann Länge von der Verletzung kündete, die Rangold der Unfehlbare ihr mit seinem Säbel zugefügt hatte. Wäre Arbosch nicht gewesen … egal. “Und erfuhr, dass ein gewissen Herr Wertlinger, ein Händler aus Twergenhausen, wohl die Bande angeheuert hat. Angeblich hatte er sich auf dem Marktplatz der Stadt meine Vorführung angesehen, dabei sei ihm sein Gürtelbeutel abhanden gekommen. Und nun denkt er wohl, das sei ein abgekartetes Spiel gewesen, meine Darbietung reine Ablenkung für irgendwelches Diebesgesindel. Den Dieb konnte er wohl nicht finden, zumal er ihn anscheinend nicht gesehen hatte, aber mich konnte er den Kopfgeldjägern beschreiben. Was Wunder.” Bitterkeit sprach aus der Stimme der Gauklerin. Die Leute erfreuten sich an ihrer Kunst, aber wenn es galt, einen Schuldigen für was auch immer für ein Ungemach zu finden, waren Schausteller immer gleich unter den ersten Verdächtigen. Und wenn sie dann auch noch … anders waren, erst recht. “So schickte er mir also diese Schläger auf den Hals, denen ich knapp entronnen bin. Aber ich habe hier meine Habseligkeiten und mein Pferd im Traviatempel untergestellt, also konnte ich gar nicht anders, als zurückzukehren. Und nun weiß ich nicht, was mich hier erwartet. Wie einflussreich ist dieser Händler? Hat er die Stadtgarde gegen mich aufgebracht? Werde ich gesucht? Was gilt das Wort einer Gauklerin gegen das eines bekannten Händlers? Rondradin hier hat sich dankenswerterweise bereiterklärt, mir zu helfen, aber ich lehne auch andere Hilfe nicht ab, um diese aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen aus der Welt zu schaffen!” Mit ungewöhnlich ernster Miene sah Doratrava Nivard ins Gesicht. “Nun also erneut - kommst du mit?”


Nivard hatte zwar nicht alle Details der recht schnellen Erzählung voll verstanden, aber dennoch ein grobes Bild von der Lage. Für ihn gab es da kein Zögern - er glaubte Doratrava ohne jeden Zweifel, dass sie unverschuldet in diese missliche Situation gekommen war. Und natürlich würde er ihr als seine Freundin helfen: “Ich bin dabei. Gib mir nur einen kurzen Moment, meine Siebensachen abzulegen” (er dachte dabei neben seinem sonstigen Gepäck vor allem an den Wappenrock, der ihn als Plötzbogner auswies und den er bei einer solchen… privaten… Mission eher nicht tragen sollte) “und mich abzumelden.” Er wusste, dass Emmeran von Plötzbogen - zu Recht, wie er einräumen musste - großen Wert darauf legte. Hoffentlich fragte dieser ihn nicht allzu nachdrücklich nach seinen Plänen für den heutigen Abend. Sein Kettenhemd würde er sicherheitshalber doch ein wenig länger anbehalten. “Wartet ihr hier?” Dankbar nickte die Gauklerin. “Ja, klar, darauf kommt es sicher nicht an. Wir beziehen solange schon mal das Gasthaus, nicht, dass nachher die Zimmer weg sind.” Mit diesen Worten zog sie Rondradin in Richtung Eingang des “Gänsenests”. “Wir sehen uns gleich da!” rief sie Nivard noch nach. Hoffentlich machte das Gasthaus seinem Namen nicht zuviel Ehre ...

Helswin glitt wie jedes Mal, wenn sie sich zu einer Rast aufmachten, stöhnend aus dem Sattel. Es war mehr ein inneres Stöhnen, das er allerdings nicht zur Schau trug, sondern seine unnahbare Maske, geformt aus der Überheblichkeit eines elitären Gildemagiers der Rechten Hand und der Schweigsamkeit eines unwilligen adligen Reisenden. Ja, diese Reise war unnötig wie ein Kropf und außerdem so zäh wie ein zu lange gekochter Haferschleim. Dabei ebenso langweilig im Geschmack. Diese Altenbergs... Helswins Blick glitt zu Vater Winrich und den Seinen, die den Tempel der Gans erstürmten. Anders konnte man das ja nicht nennen. Brut traf es eher.... Lustiges Wort.... Praios bewahre war nicht wirklich eine 'Eigeborene' unter denen. Mit seinen analytischen Canti hätte Helswin sie sonst längst ausgemacht und natürlich der Kirche des Herrn des Lichts überstellt. So war es ihm recht. So musste er sich noch nicht mit dieser Familie auseinandersetzen, was ihm mehr als recht war. Befreienderweise war dies während der Reise nach Herzogenfurt nicht gewünscht. Niemand sollte mit den Reisenden unterwegs auch nur ein Wort wechseln, hatte es zu Beginn geheißen. Eine Anweisung, der er nur gerne nachkam. Pff. Welche Worte sollte Helswin auch verschwenden. Er interessierte sich weder für die eine, noch die andere, die in Herzogenfurt angepriesen würde wie ein Korb Würste. Und schon gar nicht interessierte er sich für die Zwangsveranstaltung, bei der es diese Würstchen zu verkosten geben würde. Diese Brautschau war in seinen Augen erniedrigend, lebenszeitraubend und das Werk gelangweilter alter Menschen. Aber, und da gab es nichts zu leugnen, waren seine Eltern überzeugende Lügner, seine Mutter allen voran, und er ein Opfer mütterlichen Egoismusses vom Feinsten. Die sah sich schon mit ihrer Busenfreundin Maura verschwägert. Bitte. Ein irrsinnig unrealistisches Ansinnen dreister Fantasterie, wie er fand, das Helswin nicht vorhatte, zu unterstützen. Sollten die Damen lieber weiterhin fetten Kuchen fressen und daran verrecken. Er würde dieses Spiel mit zu Ende spielen, doch anders.

Sein Blick fing die Doctora ein, die zu dem Geweihten der Rondra, der elfenblütigen Gauklerin und dem jungen Plötzbogner, kam, welcher die ganze Zeit irgendwelche Liedchen trällerte. Verliebter Gockel... Natürlich stachen der Rondrianer und die spitzohrige Schaustellerin auch jetzt wieder aus der Menge wimmelnder Altenbergs hervor wie Schwanenküken in einer Schar Junggänse, weil sie sich nicht dem allgemeinen Zug gen Herdfeuer anschlossen. Wenn die Familie hinter dem Hochgeweihten ausschwärmte blieben die beiden immer zurück. Ach, wie drollig das Völkchen doch seinem Herrn folgte.... Die Beziehungen der beiden Nicht-Altenberger zum Rest hatte Helswin immer noch nicht gänzlich durchschaut, wohl aber mitbekommen, dass beide mit der Doctora und ihrem Sohn, dem schreibenden Schönling, just zuvor bei der Jagd auf Nilsitz beisammen gewesen waren. Nun geleitete der Knappe der Leuin das stille Schaustellermädchen ehrenhaft nach Herzogenfurt, auf dass sie dort ihre Kunst zeige - dabei aufgenommen von einigen, und geduldet von anderen, denen die Elfenblütige eher ein Dorn im Auge war. Tja, da konnte die rührende Fürsorge des Rondrianers wohl auch nicht viel bewirken. Auf Helswins versteinerten Lippen zeigte sich bei diesem genugtuenden Gedanken die Andeutung eines Lächelns. Wie süß.... Wahrscheinlich erhoffte sich der tugendhafte Löwenkrieger einen alles andere als tugendhaften Fick von der Kleinen. Verdenken konnte Helswin es dem Kerl nicht. Ordentlich gelenkig schienen zum einen Frauen der Fey und zum anderen Frauen ihres Berufes ja oft zu sein. Allerdings auch oft ordentlich ansteckend. Nun ja. Nach allem, was man so hörte, waren die Zeiten der Rondrakirche ja sowieso angezählt, also konnte sich so einer auch mit einer Elfe paaren. Jedem, was gefällt…

Gerade wanderte ein kleines Säckchen aus der Hand der Doctora in die des jungen Kriegers. Kurz legte Helswin den Kopf schief und zog die Augenbrauen zusammen. Interessant... Bei Praios, und wer zahlte ihn, Helswin, dafür, dass er diesen ganzen Brautwerbe-Schwachsinn samt dieser absolut lachhaften Reise ertrug? Keiner. Die drei mit dem Säckchen aufmerksam beobachtend, dann abwägend wandte der Magus den Blick hinüber zu seinem Bruder, der sich seinerseits mit den Seinen umgab: den "Plötzbognern". Auch so ein drolliges Völkchen... Gegen Dienstbeflissenheit hatte Helswin grundsätzlich nichts einzuwenden. Er selbst nahm seinen eigenen Dienst für die Kaiserin so ernst es nur ging (auch, wenn er sich im Vergleich zu anderen bewusst war, wie 'gemütlich' er es in der Reichskanzlei hatte). Jedoch fand er, dass Söldlinge eben Söldlinge blieben, selbst wenn sie schmucke Uniformen trugen und feine Viecher ritten. Ganz der tüchtige Anführer scharte sein Bruder Emmeran einen Großteil der Truppe auch in diesem Moment um sich. Er war ein attraktives Bild von Mann, groß gewachsen, durchtrainiert und besaß die wohlfeine Sprache und das charmante Gehabe eines perfekten Schwiegersohnes. Die lange Narbe über Stirn und Augenbraue gab ihm dazu ein verwegenes Aussehen, das seine Wehrhaftigkeit unterstrich. Ja, Helswin verstand durchaus, warum der 10 Jahre Ältere so Erfolg hatte. Dieser besaß die perfekte Mischung aus kriecherischer Demut, vorteilhaftem Aussehen, Selbstbewusstsein, Narben, kompetentem Auftreten, respektabler Strenge und geschmackvoller Schönrederei. Den Magus schüttelte es. Zwar rechnete er dem Älteren hoch an, dass wenigstens dieser ihn mit dem leidigen Thema Ehebund in Ruhe ließ, doch mit ihm und seinen Plötzbognern zu reisen machte trotzdem keine große Freude, denn andauernd wurde er behandelt, als sei er einer von ihnen. Einer dieser Plötzbogner. Eine merkwürdige Truppe…. Da gab es beispielsweise Eremalrik Dreifelder, einen Bürgerlichen mit braunem schütterem Haar und Backenbart, der immer wieder erzählte, wie er ursprünglich Waisenknabe im Traviatempel zu Albenhus gewesen, vom Hohen Paar adoptiert und zur Akademie geschickt worden war. Ähnlich alt wie Emmeran hatten beide gemeinsam, dass sie im selben Jahr ihren Kriegerbrief erhielten und Eremalrik so zu den Plötzbognern der ersten Stunde zählte. Während Emmeran große Stücke auf seinen Waffenbruder hielt, mochte Helswin den Kerl nicht, denn er nahm sein Leben für Helswins Begriffe etwas zu gelassen. Als ob das liebgemeinte Wort eines Götterdieners genügt, um jemanden in Stand zu erheben... Eigentlich, wenn Helswin es sich recht überlegte, mochte er keinen aus der seltsamen Truppe Söldlinge, die sein Bruder da um sich geschart hatte, so recht. Die schwarzhaarige Rhela von Hetzenberg besaß zwar ein ganz nettes Figürchen unter ihrem engen Lederharnisch, aber auch eine derbe Sprache. Ihre dreckigen Witze waren zumeist geschmacklos und verschonten auch schon mal die Kaiserin nicht. Das missfiel ihm zutiefst. Respekt wollte Helswin der 35-jährigen jedoch zollen, sollte das Gerüchte stimmen, dass sie einem Räuber für lästerliche Sprüche auf die Obrigkeit mal die Zunge rausgeschnitten hat. Meingard von Kropfenhold hieß die, welche das komplette Gegenteil der schwarzen Rhela war. Mit ihren blonden Locken, die sie mühsam nur gebändigt bekam, saß die Fuchsgauerin immer still neben den anderen, zumeist vertieft in das Notizbuch, das sie für Emmeran führte. Helswin war sich sicher, dass sie seinen Bruder anhimmelte und er glaubte auch zu wissen, an wen Meingard dachte, wenn ihre Hand abends zwischen ihre Schenkel fuhr. Jeden Abend. Dieses Weib war ein Nimmersatt und wäre sein Bruder nicht glücklich verheiratet, hätte Helswin ihm geraten, dringend mal über die Kropfenholderin drüber zu rutschen. Ein bisschen erinnerte sie ihn ja an Imma - seine in sich gekehrte, mehr Feder und Stift als dem wahren Leben frönende Freundin aus Elenvina. Vielleicht wegen ihrer kruden Art von zur Schau gestellter Verletzlichkeit? Er hatte die leise Meingard jedoch mit der Armbrust schießen sehen, und, wahrlich, er wollte nie zwischen ihr und ihrem Ziel stehen. Dann gab es noch den quirligen Anthelm von Lerchentrutz, einem immerzu scherzhaften Gesellen, dessen rahjagefälliges Antlitz ein richtiger Bartwuchs wohl die nötige männliche Reife verliehen hätte, würde es ihn denn geben. Den nebelgleichen Flaum, den der Junge auf seinen Wangen wachsen ließ, fand Helswin furchtbar. Anthelms Neugier bezüglich der Magica combattiva als äußerst nervig. Und dann gab es noch diesen Nivard von Tannenfels, den Poeten. Dieser war noch ein absoluter Frischling, sowohl vom Alter her, als auch in der Truppe. Kaum 20 Sommer. Götter... Sein Milchgesicht sprach, wie auch sein Mund, Bände. Ob ihm das bewusst war interessierte Helswin hingegen wenig, aber der Magus fand das Detail beschmunzelnswert, dass Nivards Herz schon jetzt an einer der Altenberger Heiratskandidatinnen hing, und der trottelige Tor in seiner sehnsuchtsvollen Beschränktheit die wenigen Möglichkeiten, die blieben, um der Dame seines Herzens nahe zu sein, alle restlos ausschöpfte, wobei er seine Absichten allzu offensichtlich machte. Hach, der Jungspund musste ja noch so viel lernen. Zum Beispiel, dass unter der Hand Geld anzunehmen keinem Vorgesetzten gefiel. Diese Gelda aber konnte er haben. Die wollte Helswin nicht mal auf den Bauch gebunden. Geschweige denn für Geld.

Emmeran kam auf Helswin zu. "Wini, die Kundschaft nächtigt im Tempel. Wir im Gasthaus. Ich nehme an, du schließt dich lieber uns statt ihnen an?" Den Scherz in der Stimme des Älteren unterstrich dessen Grinsen. Helswins Hand verkrampfte sich um den Zügel, denn er mochte es nicht, wenn sein Name zu einem lächerlichen Abklatsch verschliffen wurde. Leidig, dass jeder seiner Geschwister das immer wieder vergaß. "Ein sauberes Hurenhaus täte es auch." gab er brummend zur Antwort. Emmeran lachte und seine Hand drückte die Schulter des Magus. "So schlimm die Sehnsucht? Vielleicht kommen ja ein paar nette Mädchen, wenn sie sehen, dass wir eine so große Reisegruppe sind." "Ins Gasthaus neben den Tempel, in dem gerade ein Hochgeweihter residiert? Unwahrscheinlich." "Ach, wer weiß das schon." "Ja, wer weiß das schon. Hm, weil wir beim Thema Wissen sind," fing Helswin notgedrungen an, das Thema zu wechseln, weil er Immas weichen, schmiegsamen Leib und ihre vor Neugier hungrigen Liebkosungen doch mit jeder Meile mehr vermisste, als er sich selbst bislang eingestehen wollte, und diese Unterhaltung ein seltsames Stechen in Helswins Brust auslöste. Drum hielt er inne und entschied sich nach einem Blick über die Schulter hinweg für etwas, was fürs Erste nicht so viel Wind machen würde. Nicht, weil er plötzlich Skrupel hatte, den jungen Tannenfelser zu verpfeifen, sondern, weil er erst prüfen wollte, ob die Vorwürfe gerechtfertigt waren. Imma hätte genauso gehandelt. Seltsam, wie sie dich schon beeinflusst…. Er riss sich von dem Gedanken los, denn dieser war nicht gut für ihn. "Was weißt du eigentlich über die beiden, den Rondrianer und seine Elfe?” Letzteres betonte er nicht abwertend, eher belächelnd. ‘Und deinen ‘Jüngsten’, verkniff er sich. “Die Kleine wirkt recht nervös seit ein paar Tagen." Kurz folgte der Krieger Helswins Blick. "Ist mir auch aufgefallen. Ich weiß nur, dass sie mit der Doctora, dem Herrn Elvan, seiner Gnaden Rondradin und Nivard bei den Zwergen zu Gast war. Sie steht nun in Diensten des Hauses Altenberg, soll die Brautschau untermalen.” Er machte einige Gesten. “Seine Gnaden geleitet sie dorthin, denn soweit ich verstanden habe, ist er kein Brautwerber. Mehr weiß ich nicht. Warum?" Nachdem er dies gesprochen hatte blickte Emmeran seinen Bruder skeptisch an. "... Nivard… Zwerge... So so." murmelte Helswin nachdenklich, sah dann jedoch schulterzuckend auf. "Nur so. Ich hatte mich einfach gefragt. Dieser Nivard ist wie alt? 20?" Emmeran nickte zur Antwort. Doch eher er ausführlicher in das Gespräch einsteigen konnte, wurde hinter ihnen sein Name gerufen, also entschuldigte der Krieger sich rasch und ließ den Magier stehen. Gerade waren zwei Pferdeknechte aus dem Gasthaus gekommen, welche nun die Plötzbogner mit ihren Reittieren in die Stallungen brachten. Und wer sich auch immer anschloss. Dort passte Emmeran den Familienjüngsten noch einmal ab. Ohne dass es irgendwer hören konnte, raunte er ihm zu: “Bruder! Wenn es etwas gibt, was ich wissen sollte…” “...dann sage ich es dir. Natürlich.” “Auch, wenn es einen meiner Leute beträfe. Dann muss ich es erst recht wissen.” Emmeran zog eine Augenbraue hinauf. Ganz sicher war man sich nie, was Helswin anging. Er war eigensinnig. “Natürlich.” antwortete dieser wie selbstverständlich. “Ich beteilige dich am Gewinn.” “Ah, ich fragte mich schon, wann du damit herausrückst.” Helswin schmunzelte und klopfte seinem Bruder auf die mit beider Familienwappen geschmückte Brust. “Doch das ist nicht nötig - Bruder. Du hast ja schon versprochen, unserer äußerst um die Familienehre besorgten Mutter zu sagen, dass ich äußerst ambitioniert war, der Familienehre zu genügen.” Da musste nun auch Emmeran wieder lachen und gerade noch vorhandene Sorgenfalten wischte die Komik vorerst fort. Beim Weggehen deutete er noch einmal verschwörerisch mit beiden Zeigefingern in Helswins Richtung. “Ich verlasse mich auf dich…. Und vergiss die Ambitionen nicht.” Pffft. Ambitionen hatte er höchstens, wenn es nun darum ging, herauszufinden, was da gelaufen war. Er würde sich also diesen Abend mal mit seinem Mitreisenden beschäftigen. Ganz… gesellig. Bei Praios, diese Reise verlangte alles. Vor allem musste er diesen Nivard im Auge behalten. Familien waren schon wegen weniger als einem Säckchen entehrt worden.

Der Krieger und der Magier

Es dauerte nicht lange und der junge Krieger erblickte seinen Vorgesetzten. Doch bevor er ihn erreichte, kreuzte dessen Bruder seinen Weg. Hinter dem Plötzbogen mühte sich einer der Bediensteten des Gasthauses, ein langgliedriger Bursche, mit einer großen Satteltasche und einem Schwertgehänge ab, die dem Magus geherten. Helswin selbst trug noch sein weißes Reisegewand, bestehend aus einer langärmlichen weißen Tunika die ihm bis zu den Knöcheln reichte, aber vorn und hinten Reiterschlitze besaß und an der Hüfte mit einem breiten Gürtel gefasst war, an dem ein paar Täschchen und Fläschchen mit bunten Flüssigkeiten hingen. Dazu ein breiter lederner Plattenkragen und ebensolche Schultern. In der Hand hielt er lediglich seinen Magierstab. Einen schmucklosen, fatzenglatten und ebenso geraden Stab aus Holz, der dort, wo ihn die Hand zumeist hielt, einen bequemen Griff aus Leder besaß. Am oberen Ende war ein Kinderfaust-großer Kristall eingearbeitet, dessen spitzzulaufender Schliff eine gefährliche Stoßwaffe bot. Jener Stab machte bei jedem Schritt des Magiers über die hölzernen Dielenbrettern ein hörbares TOCK. Vor Nivard hatte Helswin letztlich den Arm mit dem Stab ein kleines bisschen mehr ausgestreckt, so dass er - oder sein großes Ego - zur Gänze den Gang blockierte, durch den ihm der junge Krieger gerade entgegen kam. Die Miene des Magus war weder un- noch freundlich, obwohl seine Stimme durchaus einen als zumindest nicht böswillig zu bezeichnenden Tonfall hatte. "Ah, der junge Herr von Tannenfels. Das trifft sich gut." Es war das erste Mal seit dem Aufbruch aus Elenvina, dass Helswin mit einem der Mitreisenden ein persönliches Wort sprach.

Nivard versuchte sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen - seit wann geruhte der jüngere Bruder Emmerans ihn überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn anzusprechen. Bislang hatte dieser das auf der ganzen Reise nicht für notwendig erachtet. Magier waren ihm zunächst ohnehin solange suspekt, bis sie ihn im Einzelfall vom Gegenteil überzeugt hatten. Und dieser hatte bis hier nichts in diese Richtung unternommen, stattdessen schien er vor allem die Nase reichlich hoch zu tragen. Erstaunlich, wie Brüder so unterschiedlich sein konnten… Eigentlich wollte er ja nur möglichst rasch auf sein Zimmer und dann zu Doratrava und Rondradin. Andererseits geziemte es sich nicht, eine erstmals gereichte Hand grundlos brüsk zurückzuweisen, vor allem, wenn diese von einem von Plötzbogen kam - falls dies hier eine gereichte Hand sein sollte… Trotz des Schattens, der im inneren des Gasthauses herrschte, kam es ihm hier etwas stickig vor, und seine Schweißporen schienen sich alle zu öffnen. Ob das an der Hitze oder diesem Magier lag? “Wohlgelehrter Herr von Plötzbogen, wie kann ich behilflich sein?”

"Da wir nun mit der Etappe Twergenhausen die Hälfte unseres gemeinsamen Reiseweges hinter uns gebracht haben, und gar in Herzogenfurt das eine oder andere gemeinsam ...bestreiten… werden, ihr wisst schon, was ich meine, denke ich, ist es an der Zeit, dass wir uns etwas näher kennenlernen. Um zu sehen, ob wir als Werber möglicherweise in ...Konkurrenz… treten. Müssen. Was leidig wäre.” Der Magus ließ eine Pause, in der er den Jüngeren musterte. "Was haltet ihr davon, gemeinsam mit mir einen kleinen Rundgang durch die Stadt zu unternehmen, um uns etwas auszutauschen? Unsere beider... Dienste… werden ja momentan nicht mehr benötigt." Ein prüfender Blick über die Schulter, ob der Träger noch Geduld besaß. "Ich gehe los, sobald ich mein Zimmer bezogen habe. Vielleicht wollt Ihr euch mir anschließen? - Nun. Falls bislang nichts ausgesprochen wurde, kann ich gerne bei eurem Schildmeister um Ausgang für euch bitten." Auffordernd sah der Magier den jungen Krieger an. Irgendetwas an Helswin machte deutlich, dass ein Nein nicht zur Debatte stand.

Eigentlich eine freundliche Geste, musste Nivard feststellen, aber ausgerechnet jetzt? Um Helswin in die Sache mit Doratrava einzubeziehen, kannte er ihn viel zu wenig, nämlich eigentlich gar nicht. Er konnte überhaupt nicht einschätzen, ob diesem zu trauen war. Und wie er sich zu den Problemen Doratravas stellen würde. Vor allem aber dachte er selbst bereits zu lange nach, was er antworten sollte... “Habt Dank für den schönen Vorschlag!” beeilte sich der junge Krieger daher nun zu entgegnen. “Gerne möchte ich mit Euch diese Stadt erkunden. Und Euch näher kennenlernen. Doch habe ich zuvor noch rasch etwas anderes hier in der Stadt zu erledigen, privater Natur. Eine gleichsam dringliche wie sicherlich dröge Sache, mit der ich Euch nicht behelligen möchte, zusammen mit seiner Gnaden von Wasserthal und der Tänzerin Doratrava.” Nivard versuchte eine Reaktion Helswins auszumachen, doch die unbewegte Miene des Magus ließ keine Deutung zu. Hoffentlich fragte der Magier nicht nach - wahrscheinlich hatte er ohnehin schon zu viel gesagt. “Direkt im Anschluss können wir aber zusammen losziehen, was haltet Ihr davon?” schob er rasch nach, sich bemühend, Vorfreude auszudrücken. “Und uns über unsere Ziele und Nicht-Ziele in Herzogenfurt austauschen…”

Geschickter kleiner Scheißer… Helswin nickte sanft. So leicht wollte er es diesem Jüngling aber nicht machen. “Eine dringliche Sache involvierend Seine Gnaden und die Tänzerin??” Sein prüfender Blick bohrte sich tief in den Krieger hinein. “Mir ist durchaus eine wachsende Nervosität Letzterer und eine verstärkte Bereitschaft des Ersteren aufgefallen.” tat er sein Verständnis der Sache kund und behielt das Wort. Verdammt, durchfuhr es den Krieger, vielleicht sollte er sich statt in der Dichtkunst doch etwas mehr in Diplomatie und Verschleierungstaktiken üben... wenigstens Gedankenlesen schien dieser Magier nicht zu können... wobei, konnte er sich diesbezüglich sicher sein? “Herr Nivard.” Allein in diesen zwei Worten lag mächtig Nachdruck. “Ausgehend davon, dass sowohl Ihr wie auch ich diesen illustren Zug nicht nur als Brautwerber begleitet, sondern, so leid es mir tut sagen zu müssen, uns die Pflicht eint, die Aufgabe meines Bruder nach bestem Willen und Wissen zu unterstützen - Ihr noch mehr als ich, da Ihr doch in seinem Sold steht! - ersuche ich euch um absolute Offenheit!” Er streckte den Arm mit dem Stab noch etwas weiter in Richtung der Wand gegenüber und fuhr fort: “Gibt es also etwas, das möglicherweise die bescheidene… Ruhe… dieser Reisegesellschaft zu stören vermag? Und somit eine Sache, bei der Ihr Hilfe benötigt? So hat dies Vorrang vor unserem vergleichsweise belanglosen Austausch.” Helswin schätzte Heimlichkeit nur bedingt. Er dachte sich aber, dass der junge Krieger sich womöglich sicherer dabei fühlte, wenn er ihm bei diesem vertraulichen Gespräch das Gefühl von Sicherheit gab, drum warf er einen prüfenden Blick nach hinten und nach vorn (den Bediensteten ignorierte er) und senkte ein wenig die Stimme. “Ihr wollt Euch sicher nicht grämen, dass Ihr einen Offizier des Reichs, der Euch Unterstützung offerierte, nicht hinzugezogen habt. - Seid nicht töricht. Kommt mit zu meinem Zimmer und erklärt mir dort, was euch so schwitzen lässt. Selbst, sollten es bislang nur Gedanken sein! Glaubt mir, aus eigener Erfahrung in der Armee Ihrer Kaiserlichen Majestät weiß ich, dass sich Befürchtungen rasch zu etwas sehr Reellem auswachsen können.” Damit machte er den Gang wieder frei und strebte seiner Unterkunft zu. Er gab dem Tannenfelser jedoch vorher die Gelegenheit, sich anzuschließen.

"Schwitzen lässt mich vor allem die Hitze und die stickige Luft hier, die durch Rüstung und Gewandung nicht unbedingt besser zu ertragen sind. Aber keine Klagen meinerseits - ich hoffe nur, Euch stört mein Triefen nicht." antwortete Nivard mit einem erkennbar schalen Lächeln. So einfach aus der Sache rauskommen würde er nicht - wenn er Helswin abblitzen ließe, würde sein Anführer wahrscheinlich schneller von der Sache wissen, als er mit Doratrava und Rondradin zu ihrer Mission verschwinden könnte. Und selbst wenn, würden die Rückkehr und die weitere Reise - wenn es denn noch eine gemeinsame gäbe - sicher ungemütlich. Schicksalsergeben zeigte er mit einer Kopfbewegung an, Helswin folgen zu wollen, und tat dies auch, als dieser zu seinem Zimmer schritt. Dort angekommen harrte er, sich unauffällig umsehend, bis der Gepächträger die Habseligkeiten des Magiers abgestellt und den Raum wieder verlassen hatte, um sodann die Tür hinter diesem zu schließen. Dann sah er dem Älteren in die Augen - aufrichtig und auch ein wenig trotzig - auch wenn Helswin der Bruder seines Arbeitgebers und ein Magier war, wollte er sich nicht kleiner geben, als ihm von Standes wegen gebührte. "Ich möchte betonen, dass alles, was hier und jetzt gesprochen wird, privater Natur und vertraulich ist!" vernahm Nivard sich selbst in leiser, aber bestimmter Stimme sagen, ahnend, dass diese Worte vielleicht nur von geringer Wirkung bleiben mochten. Streng genommen verstünde er es sogar, würde Helswin alles brühwarm weitererzählen, wenn er eine unkalkulierbare Gefahr für die Reisegruppe ausmachte.

Der Plötzbogen erwiderte den Blick Nivards unbeeindruckt, nickte jedoch zustimmend. Natürlich wusste der Krieger nicht, dass auch das ein Entgegenkommen war. “Natürlich. Nun?” "Hört her, es ist wahrscheinlich keine größere Sache. Zumindest keine für die Reisegruppe und vor allem unsere Kundschaft gefährliche, sonst hätte ich selbstverständlich Euren Bruder ins Vertrauen gezogen." “So?” Nivard ließ eine kurze Pause, dann fuhr er fort: "Zuallererst muss ich vorausschicken, dass ich die Tänzerin Doratrava in Nilsitz und den Tagen seither - trotz vielleicht erwartbarer Vorbehalte angesichts ihres Standes und ihrer Profession - als eine absolut vertrauenswürdige Person kennenlernen durfte, für die ich meine Hand ins Feuer legen würde - ebenso wie im Übrigen seine Gnaden und Wohlgeboren von Wasserthal, der sie noch weitaus länger kennt." Er machte eine erneute kurze Pause, auch um die Reaktion Helswins zu taxieren. Der hatte bei der Bemerkung Nivards, der Gauklerin blind zu vertrauen, kurz die Brauen zusammengeschoben.

"Jedenfalls stehen hier in Twergenhausen ungerechtfertigte Verdächtigungen im Raum, die es auszuräumen gilt.”

“Verdächtigungen?” Helswin zog die Brauen noch mehr zusammen. “Doratrava wird vonseiten eines reichen Kaufmanns die Komplizenschaft zu einem Diebstahl zum Vorwurf gemacht, den eine ihr unbekannte Person während ihres Auftritts begangen haben muss. Da ihr Wort gegen das eines ortsansässigen Kaufmanns nur wenig Gewicht haben wird, so haltlos dessen Anschuldigungen auch sein mögen, wollen der Herr von Wasserthal und ich sie heute Abend zur Obrigkeit begleiten und ihr mit gutem Leumund zur Seite stehen.” “Verstehe.” “Außerdem wollten wir ihr noch bei der Abholung ihrer Besitztümer, die im Traviatampel abgestellt sind, behilflich sein. Den Wappenrock werde ich für all dies natürlich ablegen - es wird nichts an der Unternehmung Eures Bruders hängen bleiben, das sei versichert!" Ob er noch von dem Schlägertrupp erzählen sollte? Er beschloss, erst einmal die Antwort Helswins abzuwarten.

Tatsächlich wartete der Magus ein paar Herzschläge ab, ob noch etwas folgen würde. Als nichts mehr kam, atmete Helswin erst tief ein. Er war überrascht, dass zum einen der junge Mann vor ihm bereitwillig alles erklärte, zum anderen, dass es sich um gerade diese Art von ‘Problem’ handelte. Nichts, was sich nicht lösen würde. Außerdem verwunderte ihn, dass niemand von den Torwachen beim Betreten der Stadt etwas gesagt hatte. Unauffällig war die Gauklerin ja keineswegs. “Wisst Ihr, ob derzeit ein Kopfgeld auf eure… Freundin, so nenne ich sie einfach mal... ausgestellt ist?” Entweder man suchte nach ihr und die Wachen vorhin waren einfach nur unfähig gewesen. Oder die Sache war gar nicht so tragisch.

“Ich kann es Euch nicht sagen.” Nivard überlegte kurz, ob er von den Schlägern erzählen sollte. Waren diese nur für eine sofortige Abreibung gedungen, oder war vielleicht doch ein Kopfgeld ausgelobt? Er bereute es, vorhin nicht noch mehr nachgefragt zu haben. Andererseits hätte dies an seiner Unterstützung nichts geändert, und wer konnte ahnen, dass er gleich danach ins Gebet genommen werden sollte. Der junge Tannenfelser entschied sich, von den Angriffen vorerst nicht zu berichten. Sicherlich würde dies ein übertriebenes Bild bei Helswin heraufbeschwören und Doratravas Begleitung vielleicht sogar als Gefahr für die Reisegruppe erscheinen lassen, vor allem, falls sich dieser deshalb dazu entschied, bei Emmeran von Plötzbogen auszupacken. Und außerdem, wer würde schon in einer Stadt der Nordmarken am hellichten Tag eine Frau in Begleitung zweier gerüsteter Adeliger angreifen? Oder gar eine Reisegruppe so hochrangiger Geweihter und Adeliger, noch dazu im Schutze der Plötzbogner? Jedenfalls nicht alleine wegen eines Kopfgelds für eine Gauklerin. Seine Zurückhaltung war also gerechtfertigt. “Gänzlich ausschließen kann ich es aber nicht.” räumte er dann aber doch ein. “Auch deswegen sollten wir die Sache so rasch wie möglich aufklären.” Seine Körpersprache deutete an, dass er das “so rasch wie möglich” sehr ernst meinte und am liebsten direkt aufgebrochen wäre - oder eher ‘ausgebrochen’. Entschuldigend merkte er an: “Ich fürchte, unten warten man bereits auf mich.”

“Verstehe,” wiederholte Helswin nüchtern. “Nun, sofern Ihr um die Schwere der, ich nenne sie einfach mal,... ‘Bedrohung’... nicht wisst, solltet ihr dringend Erkundigungen darüber einholen, ehe Ihr die Hallen der... Obrigkeit… strömt! Ratsam wäre ein Blick an eine Anschlagtafel.” Kurz schien der Magus zu überlegen. “Doch klingt die Geschichte sehr danach nicht mehr zu sein als das.” Er wollte noch weitere Fragen stellen, entschied sich jedoch dafür, den Gesprächspartner zu wechseln. Und dem Krieger vorerst den Druck von der Schulter zu nehmen, indem er ihn freigab. Vorerst. Mit einem souveränen “Hier, junger Mann, haltet das mal!” drückte er dem überraschten Nivard bewusst ob der Überrumpelung seinen Magierstab in die Hand, um sich sein Schwertgehänge zu gürten. Mit einem feinen Lächeln - welches den unnahbaren arroganten Magus für einen kurzen Moment recht menschlich machte. “Keine Angst. Sofern Ihr nicht über die Macht Madas verfügt, und das konnte ich durch meine Analysen ausreichend ausschließen, werdet ihr nicht zu schaden kommen. Die ihm innewohnende Kraft wird euch nicht verheeren. Ihr habt mein Wort.” Ja, tatsächlich musste Helswin gerade amüsiert schmunzeln.

Was glaubte dieser… selbstherrliche… Magier, wie sie wohl an die Sache rangegangen wären - sicherlich nicht direkt und blind zur Obrigkeit gestürmt… auch wenn noch lange kein Schlachtplan ausgearbeitet war… Nivard setzte bereits zu einer Entgegnung an, da sah er sich jäh einen Magierstab in der Hand. Etwas verdutzt darüber, hatte er doch gehört, dass ein Magus seinen Stab niemals in fremde Hände geben würde, steckte doch angeblich ein Teil seiner Seele darinnen, schaute er sich das gute Stück - zunächst vorsichtig - an. Eigentlich fühlte er sich nur wie ein - für einen Magier recht dezent - aufgemotzter Kampfstab an - kein Prickeln ging von ihm aus, keine Kälte oder Hitze und auch keine Aura der Macht. Wahrscheinlich kochen die auch nur mit Wasser… Spaßhalber, und um zu zeigen, dass er vor einem Magier und seinem Spielzeug nicht vor Ehrfurcht erstarrte - ging er mit diesem in eine Kampfhaltung - auch wenn Stäbe nicht zu den Waffen gehörten, in denen er vertieft ausgebildet worden ist, wusste er wenigstens grob, wie man einen solchen im profanen Kampf handhaben musste. Auch jetzt löste sich kein Blitz oder Feuerball. Ein Stab halt… Rasch ward die Klingenwaffe angelegt. Als sei es eine Selbstverständlichkeit, sein bestes Stück in der Obhut Nivards zu belassen, nahm Helswin sich den ledernen Kragen mit den Schulterplatten ab, ließ genüsslich Halswirbel und Wirbelsäule knacken, als er sich kurz nach alle Richtungen dehnte, ehe er den Zeigefinger und den Spannungsbogen hob. “Und jetzt...,” murmelte der Magus und nestelte aus einem der Täschchen an seinem Gürtel eine Brosche heraus, die er sich an die Brust heftete: ein emailliertes Wappen mit dem roten Fuchs des Hauses von Gareth unter einer fein gestalteten Kaiserkrone. Fassung und Kopfputz glänzten golden. Die Brosche hatte Helswin nur am Abreisetag getragen und dann auf Bitten Emmerans abgelegt. Vornehmlich, um huldvolle Demut den hochgeweihten Gästen gegenüber zu demonstrieren. Eine dumme Idee, wie Helswin fand, doch wollte er keinen Streit provozieren, drum hatte er sich jener Bitte gefügt. Dass er sie jetzt trug, war hingegen eine Selbstverständlichkeit. “Mein Bruder bat mich, sie vorerst abzulegen. Doch ich denke, dass sie uns von Nutzen sein kann, wenn es darum geht mit der Obrigkeit zu sprechen.”

Nivard nickte auf die letzte Aussage, sowohl bestätigend als auch anerkennend - vielleicht konnte Helswin ihnen wirklich behilflich sein. Dabei trat er wieder auf den Krieger zu und streckte die Hand nach seiner Waffe aus. Bevor Nivard sie ihm geben konnte, flog der Stab jedoch schon von einem unsichtbaren Zauber geführt in Helswins Hand. Ganz zu vermeiden war sein kurzes Zucken einfach nicht, auch wenn Nivard sich schon im selben Moment darüber ärgerte. Demonstrativ erwiderte er Helswins kleine Zurschaustellung seiner Kräfte mit einem Grinsen. “Nicht schlecht.” “Danke fürs Halten. Fehlt nur noch eines: Sapefacta Corpus.” Kurz stieß Helswin den Stab mit der Unterseite auf den Boden. Ein Wind kam auf, der sein Gewand und das blonde Haar aufwirbelte. Als das Lüftchen sich nur Augenblicke später legte, waren keinerlei Anzeichen des Ritts unter der sommerlichen Praiosscheibe mehr an dem Magus zu sehen, was diesem recht zu gefallen schien, wie sein Aufatmen verriet. Sogar der Geruch von Pferd und Männerschweiß war fort. “So. Wir können gehen. - Wollt ihr, dass ich euch ebenfalls kurz erfrische? Seht es als, nun ja, freundschaftliches Zeichen des Entgegenkommens meinerseits. Denn Ihr wolltet euch der Sache doch hoffentlich nicht so schweißstinkend widmen? Wo ihr doch vorhabt, einen einwandfreien Leumund darzustellen…” Eigentlich hatte der junge Krieger keine besondere Lust, sich magisch reinigen zu lassen. Andererseits war er für seine Umgebung derzeit sicherlich kein Wohlgenuss, und außerdem würde Helswin es ihm insgeheim als Furcht vor seinen Kräften auslegen, darauf hatte er noch viel weniger Lust. “Nun, dann will ich Euer freundschaftliches Angebot nicht ausschlagen. Und Euch und unsere Mitstreiter nicht mit den Spuren der Reisestrapazen behelligen. Lasst gerne Eure Mächte walten.”

Die Reinigung Nivards war schnell getan. Wie schon eben fuhr bei dem Cantus’ des Magiers ein magischer Wind in die Klamotten des Kriegers, der selbige von Schmutz und Schweiß befreite. Und den ganzen Kerl von üblem Geruch. “Besser.” Stellte Helswin wie als Frage fest. Er schien zumindest zufrieden. Was Nivard natürlich nicht wusste, war, dass Helswin sich nur wegen einer Sache bemühte, freundlich zu sein. Nun war er gespannt, was ihn erwartete. Und auch darauf, wie der Tannenfels den beiden anderen erklären würde, wieso sie nun zu viert losgingen. “Nicht schlecht. Danke!” “Ja ja. Schon in Ordnung.” “Dann lasst es uns packen.” Hoffentlich würden Doratrava und Rondradin Verständnis für sein nicht ganz geplantes Einbeziehen des Magus haben… mehr als er selbst vielleicht hätte...

Eine Truppe für Doratrava

Sichtlich zufrieden über die neuen Gäste zählte der Herbergsvater das Silber, während er die Bediensteten anwies, die Zimmer herzurichten. Das Gasthaus war groß, aber einfach hergerichtet. Viele Gäste waren nicht zu sehen, anscheinend fand das meiste Treiben bei solch einem sonnigen Nachmittag auf den Straßen Twergenhausen statt. Der Geweihte hatte sich widerstandslos von Doratrava in das Gasthaus ziehen lassen. Als sie das ‘Gänsenest’ betraten, hatte Alarich bereits ein Zimmer für Rondradin und Plätze im Schlafsaal für sich selbst und Raxajida organisiert. Nachdem nun auch Doratrava eine Schlafmöglichkeit erhalten hatte, standen sie beisammen und warteten auf Nivard. Rondradin freute sich darüber, sich nicht in Nivard getäuscht zu haben. Während sie warteten griff er das Gespräch auf, welches sie draußen begonnen hatten: “Um deine Frage von eben zu beantworten, ich würde mit der Stadtwache beginnen, allein um zu erfahren, was dir genau vorgeworfen wird. Danach suchen wir den Händler auf und reden mit ihm. Weißt du wo wir ihn finden können? “

“Ich habe keine Ahnung”, antwortete Doratrava. “Aber wenn er hier bekannt ist, können wir doch gleich bei der Stadtwache nach ihm fragen, die wissen doch sicher, wo er wohnt oder sein Geschäft hat. Bringen wir es also hinter uns.” Sie sah sich ungeduldig um, dann zupfte sie Rondradin am Ärmel. “Gehen wir raus, dann sehen wir Nivard gleich. Wo bleibt er denn?” “Du hast recht, lass’ uns rausgehen”, stimmte der Rondrianer ihr zu. Auf dem Weg zur Tür, winkte er Alarich zu sich und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Dieser nickte knapp und Rondradin folgte mit zufriedener Miene Doratrava zur Tür hinaus. Seine Waffenknechte würden ihnen in einigem Abstand durch die Stadt folgen, nur zur Sicherheit. Kurz bedauerte er die Eile, welche Doratrava an den Tag legte. Zu gern hätte er sich schnell umgezogen, aber andererseits würde es bei der Hitze draußen auch keinen Unterschied machen. Er seufzte und trat hinaus in die brütende Hitze der Straßen Twergenhausens. “Nivard sollte eigentlich gleich da sein. Es war eine gute Idee ihn einzuweihen.” Allerdings war der Krieger nirgendwo zu sehen. So nahm der Geweihte mit einem Ächzen auf einer Bank im Schatten des Gasthauses Platz. Nach dem langen Ritt roch seine Kleidung nach Pferd und Schweiß. Vor dem Abendessen mit den Altenbergern musste er sich zumindest waschen - für den Zuber würde es zeitlich nicht reichen - und umziehen. Eine Rasur konnte auch nicht schaden, auch wenn es inzwischen etwas schneller ging, seitdem er beschieden hatte, sich einen Bart stehen zu lassen. Rondradin lehnte sich zurück und sah zu Doratrava hinüber, die er noch nie so unruhig erlebt hatte. Vielleicht sollte er die Gauklerin ein wenig von ihren Sorgen ablenken. “Wir haben noch nicht darüber gesprochen, aber würdest du auf meiner Hochzeit auftreten wollen? Es würde mich freuen und meine zukünftige Gattin sicherlich auch. Was meinst du?”

Doratrava brauchte einen Moment, bis die Worte Rondradins zu ihr durchdrangen. Völlig perplex sah sie auf. “Wie? Was? Hochzeit? Du? Mit wem? Wann?” wiederholte sie alles wortgetreu, was ihr daraufhin durch den Kopf schoss, während sie große Augen machte. Verdutzt studierte der Geweihte das Gesicht Doratravas, dann lachte er. “Ach ja, ich hatte ja in Nilsitz gar keine Möglichkeit mehr es dir zu erzählen. Ich werde Ravena von Rabenstein heiraten, die älteste Tochter und Erbin des Barons von Rabenstein. Wann genau, weiß ich selbst noch nicht. Es gibt aber noch mehrere Punkte zu klären, bevor wir den Traviabund schließen können.” Breit grinsend, ob Doratravas Gesichtsausdrucks fuhr er fort: “Und ein Punkt ist die Unterhaltung auf der Feier. Also, möchtest du auf meiner Hochzeit auftreten?” Doratrava war immer noch ziemlich erstaunt über diese Eröffnung, aber schon huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, ein seltener Anblick in den letzten zwei Tagen. “Wenn du mich so fragst, kann ich ja kaum Nein sagen … wobei …” Sie zögerte kurz überlegend, sprach aber gleich weiter: “Allerdings … wenn du nicht weißt, wann das ist, ist das natürlich etwas schwierig. Ich bin ja kaum länger als ein paar Tage am selben Ort. Aber na ja, irgendwie kriegen wir das schon hin. Und - ich gratuliere!” Nun strahlte sie den Geweihten offen an, tatsächlich freute sie sich sehr für ihn.

In ihr Strahlen klangen Schritte, schwere Schritte. Und ein etwas langsameres, wiederholendes Klongen. Als sich Doratrava und Rondradin umblickten, sahen sie Nivard auf sich zukommen. Doch er kam nicht alleine. Hinter ihm schritt der schweigsame Magier, der auf der ganzen Reise noch kein Wort mit ihnen geredet hatte. Beide schienen die Zeit seit ihrer Ankunft vor allem genutzt zu haben, sich und ihre Kleidung zu reinigen - sie wirkten wie frisch aus dem Badehaus, und die Gewandung wie neu, obgleich jedenfalls der junge Krieger bis auf den Wappenrock der Plötzbogner noch dasselbe anhatte wie zuvor. Meinten sie sich wenigstens zu erinnern. Nivards Gesichtsausdruck dagegen sah alles andere als entspannt und mit sich im Reinen aus. “Verzeiht, dass ihr etwas warten musstet - ich hatte noch … überraschend ein wichtiges Gespräch zu führen.” entschuldigte er sich direkt bei den beiden. “Und es gibt eine kleine Planänderung.” Das ‘fürchte ich’, das er bereits auf der Zunge hatte, hatte er gerade noch heruntergeschluckt. Doratravas kurz aufgeflackerte gute Laune war wie weggewischt, als sie Nivards Begleitung sah. Der Magier … der hatte sich doch bisher noch nie um sie gekümmert. Wie hieß der nochmal? Irgendein Plötzbogen, den Vornamen hatte sie vergessen. Sie musste sich beherrschen, damit ihr Gesichtsausdruck neutral blieb, denn irgendwie fühlte sie sich unbehaglich unter dem Blick des nicht mehr ganz jungen Mannes. “Äh … Planänderung?” Hilfesuchend sah sie zu Rondradin hinüber, dann streifte ihr Blick kurz den Magier, bevor sie wieder Nivard ansah. Der schien irgendwie auch nicht ganz glücklich zu sein, oder dieses ‘wichtige Gespräch’ war nicht zu seiner Zufriedenheit gelaufen. Aber sie fragte erstmal lieber nicht, beließ es bei ihrer kurzen Erwiderung. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sowohl der Magier als auch der Krieger so aussahen und rochen, als hätten sie frisch gebadet. Verwirrt zog sie die Brauen zusammen. Nivard hatte sich zwar Zeit gelassen, aber ein Bad? Der Magus trug sein Schwert gegürtet, auffallend war ebenso eine Brosche auf Herzhöhe, die ein emailliertes Wappen mit einem roten Fuchs präsentierte, das unter einer stilisierten Krone klebte. Einer Kaiserkrone. “Euer Gnaden von Wasserthal,... verehrte Dame Doratrava…” grüßte der Magus höflich und neigte das Haupt vor den beiden anderen. Ja, er kannte die Namen aller Mitreisenden.

“Der wohlgelehrte Herr von Plötzbogen wird uns begleiten! Ich denke, er kann Deiner Sache sehr behilflich sein, Doratrava!” fing Nivard an, mit einer Stimme, in der vielleicht ein Hauch zu wenig Ton für seine Verhältnisse lag. Die Gauklerin sah Nivard verblüfft an. “Äh … du meinst … weiß er …” Da wurde ihr bewusst, dass der Magier ja direkt daneben stand, was sie noch mehr ins Stottern brachte, als sie sich nun diesem zuwandte. “Äh … ich meine, du … Ihr … also hat Nivard Euch … ?” Ihre Augen, grau wie ein nebliger Herbsttag im Schatten, schauten Helswin unsicher an. “Ich bin über die Umstände im Bilde. Ja.” gab dieser nüchtern bekannt. “Und wie ich dem Herrn Nivard schon sagte, ist es mir ein Anliegen, Euch zu unterstützen.” Rondradin war bei der Ankunft der beiden aufgestanden und musterte diese nun genau, vor allem den Magier. Etwas an diesem Gesellen gefiel ihm nicht, er konnte nur nicht den Finger darauf legen, woran das lag. Wofür sie in dieser Angelegenheit einen Magier brauchen könnten - zumal einen, der sich die bisherige Reise über von ihnen ferngehalten hatte - war ihm schleierhaft, aber dies war nicht seine Entscheidung. Beruhigend legte er Doratrava, die ihm unruhig und unsicher schien, sanft die Hand auf die Schulter. “Es ist deine Entscheidung ob du ihn dabei haben willst, Doratrava”, meinte der Geweihte ruhig, während er seine Hand wieder zurückzog, wusste er doch, dass Doratrava Berührungen nicht so gern hatte. “Aber wie auch immer du dich entscheidest, wir sollten uns sputen.” Als die Doctora ihm die Einladung zum Abendessen überbracht hatte, war da ein gewisser Unterton gewesen, der nahe legte, dass es besser war, wenn er dort erscheinen würde. Pünktlich!

Die Gedanken rasten in Doratravas Kopf, so schnell, dass sie keinen richtig zu fassen bekam. Warum wollte dieser Magier, der sie gar nicht kannte, ihr helfen? Hatte vielleicht Maura ihn darum gebeten? Aber warum hatte sie dann vorhin nichts gesagt? Zumal sie Maura gegenüber nicht direkt erwähnt hatte, dass in Twergenhausen ein Problem auf sie warten könnte … zumindest nicht, soweit sie sich erinnerte. Irgendetwas an dem offenbar sehr auf sein Äußeres (das durchaus ansprechend war, wie sie beiläufig feststellte) bedachten Magus kam der Gauklerin seltsam vor. Doch für langes Abtasten war jetzt keine Zeit, zumal Rondradin drängte, und sie wollte die Sache ja auch schnell erledigt haben. Außerdem konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Nivard vielleicht Schwierigkeiten bekam, wenn sie das Angebot ablehnte. “Nun … dann danke ich Euch schon mal vorab für Eure Hilfe”, gab sie also mit etwas zögerlicher Stimme nach. “Wir wollten jetzt gleich die Stadtwache aufsuchen. Gehen wir dann also?” Ihre Freunde zumindest konnten erkennen, dass sie sich nicht wohl fühlte. War sie vorher schon nervös gewesen, kam nun noch die Unwägbarkeit der unverhofften Begleitung dazu, welche an ihr nagte und unbestimmte Zweifel weckte. Mit einer sichtlichen Willensanstrengung straffte sie die Schultern und gab sich den Anschein von Entschlossenheit, als sie in die Runde blickte. Den großen Schatten bemerkte der Magier als erstes. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde entschied er, dass davon keine Gefahr ausging. Dann reagiert der Rondrageweihte, kam aber zum selben Ergebnis. Der Krieger war sich unsicher und die Gauklerin bemerkte ihn gar nicht. Dennoch drehte sie sich um und sah ein Stück Pergament, das ihr nur einen fingerbreit vor die Nase gehalten wurde. Dem kurzen Schrecken geschuldet, brauchte sie einen Moment zu begreifen, wer da vor ihr stand. Mit ihren fast 190 Halbfinger und breiten Schultern überragte sie die meisten und ihre kastanienrote, lockige Mähne war kaum zu übersehen. Sie trug ein weites, grünes Gewand, das mit einem breiten Ledergürtel zusammengehalten wurde. Aber selbst die Weite des Gewandes, konnte ihren, gar mächtig zu beschreibenden Busen, nicht verbergen. Trotz ihrer wuchtigen Erscheinung, erschien ihr Gesicht von einer gewissen Sanftheit, mit schönen, grünen Augen, Sommersprossen und einem sinnlichen Mund. Alle kannten sie. Es war Sabea von Altenberg, die ältere Schwester von Gelda. Auch wenn es kaum Möglichkeiten gab, mit ihr zu sprechen, war sie eine äußerst auffällige und vorallem laute Person. Fast ein jeder wußte, das man die Heroldin und Botengängerin der herzöglichen Kanzlei hinter vorgehaltener Hand ´Nordmärker Thorwalerin´ oder ´Elenvinas Knochenbrecherin´ nannte. Nun stand sie bei der Gruppe und hielt Doratrava ein abgerissenes Pergament vor ihrem Gesicht. Recht ungeschickt war dort das Gesicht einer Frau mit spitzen Ohren gezeichnet. Die Handschrift jedoch war recht geübt. ´GESUCHT WIRD DIE DIEBIN UND HEXE DORA! WER SIE FINDET WIRD REICH BELOHNT! A. WERTLINGER´

“Das bist du, oder? Die Ohren hab ich gleich erkannt.”, sagte die Altenbergerin mit tiefer Stimme. Doratrava war zunächst ein Stück zurückgezuckt, als ihr so plötzlich das Pergament vor die Nase gehalten worden war. Als sie dann auch noch der wuchtigen Erscheinung von Geldas Schwester gewahr geworden war, fühlte sie sich im ersten Moment wie ein in die Enge getriebener Hase. Auf der Zeichnung war nicht wirklich irgendeine Ähnlichkeit mit ihr festzustellen, aber tatsächlich stachen die deutlich überspitzt gezeichneten Ohren hervor und der Text war natürlich unmissverständlich. Woher kannten die aber ihren Namen, zumindest die Abkürzung, bei der sie gewöhnlich nur Freunde nannten? Schüchtern und sprungbereit schaute sie Sabea ins Gesicht, um deren Stimmung zu ergründen. “Vielleicht?” gab sie zaghaft zur Antwort. Es war schwer zu sagen, in welcher Stimmung Sabea war. Keine Miene regte sich im Gesicht der großen und stämmigen Frau. Jeder der die junge Gelda von Altenberg kannte, mußte feststellen, das die beiden Schwestern, bis auf die roten Haare und den mandelförmigen grünen Augen, nichts gemeinsam hatten. Doch dann grinste sie. “Gelda meinte ja, das was nicht stimmt. Ich werde dir helfen.” Dabei schaute sie erst zu Doratrava und dann den Rest der Umstehenden an. Mit einem vernehmlichen Zischen entwich die angehaltene Luft, als Doratravas Anspannung von ihr abfiel. Sie wusste zwar nicht, wie sie zu der Ehre kam, dass sich plötzlich alle möglichen Leute anboten, ihr zu helfen, aber zumindest hatte sie bei Sabea ein besseres Gefühl als bei diesem Magier. Dankbar lächelte sie Geldas Schwester an. “Ich … hab’ vielen Dank … dann … sollten wir jetzt aber wirklich gehen.” Eine gewisse Rührung lag in ihrer Stimmung, sie war so viel Zuspruch außerhalb ihrer Auftritte nicht gewohnt. Eher das Gegenteil, die Leute freuten sich zwar an Zerstreuung und Unterhaltung, vertrieben das heimatlose Gauklervolk danach aber eher früher als später aus ihrem Dorf, bevor noch … Dinge geschahen. “Ich … kann dir ja unterwegs nochmal kurz erklären, wie es dazu kam.” Sie deutete auf den Steckbrief, den die Altenbergerin immer noch in der Hand hielt.

Kopfgeld! Es war also tatsächlich Kopfgeld auf Doratrava ausgelobt! An Nivards Einschätzung der Gefährlichkeit der Lage änderte dies zunächst nichts. Zumindest nicht von außen. Sie würden nach wie vor die Sache vor der hiesigen Obrigkeit gerade ziehen müssen, mehr nicht. Einen Angriff würde hier, jetzt da sie sogar zu fünft und bis auf Doratrava alle von edlem Geblüt sowie als Kämpfer, Magier oder wenigstens vom Körperbau her wehrhaft erkennbar waren, keiner wagen, da war er sich nach wie vor sicher. Was ihm eher Sorgen bereitete war, wie Helswin diese Entwicklung aufnehmen würde. Würde er ein Gefährdungspotential für die Reisegruppe erkennen, das ihn dazu veranlasste, diese Mission unterbinden zu wollen? Rasch nickte er diesem zu: “Nun haben wir also Gewissheit - Was aber nichts an der Lage und der Aufgabe ändert.” Zur Runde gewandt hob er die Stimme: “Dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren und die leidige Sache so rasch wie möglich aus der Welt schaffen!” Mit diesen Worten strebte er voran, in der Hoffnung, mit dem Antritt der Mission Tatsachen zu schaffen, von denen es - zumindest zunächst - kein Zurück, keinen Abbruch mehr gab. Für Doratrava. Zuallererst und vor allem für Doratrava. Aber nun auch noch, um sich zu beweisen. Denn Sabeas Bericht würde sicherlich zu den Ohren Geldas dringen - die grünen Augen der Hünin waren damit auch die ihrer jüngeren Schwester. Und diese sollte keinesfalls davon erfahren, wie er vor diesem Magier klein beigab, der dann alles alleine zum Guten wandte. Oder noch schlimmer, alles zum Scheitern brachte. “Moment bitte,” gebot der Magus dem davonstürmenden Krieger Einhalt, während er sich an Sabea und das Bild in deren Händen wandte. “Verehrteste, sagt, wo habt ihr diesen infamen Wisch her? Darf ich?” Vermutlich konnten sie sich so den Gang zu einem Anschlagbrett sparen. Knifflig war die Sache nicht minder, wenn dieser Wertlinger das Bildnis auch in anderen Orten in der Stadt verteilt hatte. Ein bisschen wunderte Helswin sich, dass keiner der Wachen am Stadttor auch nur ein Wörtchen gesagt hatte. Normalerweise kontrollierten die Ein- und Ausreisende ganz genau, während sie Blicke in die gültigen Steckbriefe warfen. Zumindest die Stadtgardisten Elenvinas. Aber das hier war Provinz. In der Herzogenstadt jedenfalls hätte niemand versäumt, Vermummte zu prüfen. Innerlich rollte er mit den Augen. Aufmerksam besah der Plötzbogen sich das Pamphlet. War es etwa gar von offizieller Seite ausgestellt, würde es bei ihrem Gang zur Obrigkeit interessant. Er glaubte das allerdings nicht, denn der Zettel nannte keine Summe - diese wurde, wenn die Garde sich an die Ordnung hielt, stets mit angegeben.

“Und eine Sache wäre da noch, Frau Doratrava,” fing Helswins Blick die Gauklerin ein, während seine Finger das Papier prüften, ehe er aufsah. “Dieser Auftritt. Was könnt ihr uns über ihn erzählen? War dieser von euch initiiert worden oder hattet ihr eure Darbietung im Auftrag ausgeführt? Kennt ihr jenen Herrn Wertlinger gar? Was hattet ihr mit ihm zu tun? Und was mich auch interessieren würde: kam euch dieser Diebstahl, den man euch bezichtigt getan zu haben, während, beziehungsweise nach eurem Auftritt schon zu Ohren? Hat vielleicht sogar jemand diesbezüglich schon mal mit euch gesprochen?” Zu den Anschuldigungen, dass die Gauklerin eine Hexe sei, sagte er nichts. Dies war seiner Meinung nach nur eine Verleumdung, die sie bösartiger und gefährlicher erscheinen lassen sollte.

Ganz langsam fasste Doratrava Vertrauen zu dem Magier. So, wie er sich verhielt, schien er tatsächlich ein echtes Interesse an ihrem ‘Fall’ zu haben. So beantwortete sie auch ganz bereitwillig die vielen Fragen: “Nein, ich kenne diesen Wertlinger nicht. Und nein, es war kein Auftrag, es war ein normaler Auftritt, wie ich ihn eben darbiete, um mir meinen Lebensunterhalt während des Reisens zu verdienen. In einer Stadt wie dieser muss ich dazu meist eine offizielle Erlaubnis einholen, was ich natürlich auch getan habe. Da ich allein unterwegs war, habe ich auch meinen Auftritt allein bestritten, es war deshalb auch nichts Großartiges, ein wenig mit Bällen und Messern jonglieren, ein wenig Akrobatik. Irgend einen Diebstahl habe ich aber nicht bemerkt, und es hat mich direkt nach meiner Darbietung auch niemand auf einen solchen angesprochen. Es ist mittlerweile aber auch schon einige Wochen her, daher kann ich mich leider auch nicht mehr erinnern, wer mir alles zugesehen hat. Das tun viele Leute an vielen Orten, es ist unmöglich und auch unnötig, sich das zu merken.” Das Selbstbewusstsein der Gauklerin kehrte langsam zurück, sie sah dem Magier nun eher fragend als schüchtern ins Gesicht. “Natürlich könnt Ihr euch nicht aller eurer Zuschauer erinnern,” entgegnete Helswin während er Doratrava ein feines Schmunzeln entgegen warf, das den Eindruck vermitteln konnte, dass er sie belächelte. Das tat er wirklich. Sollte doch ihr Argument eigentlich allen Anwesenden klar sein. “Meine Frage bezog sich eher darauf, ob es während eurer Darbietung zu einem Tumult kam, weil euer Ankläger den Diebstahl gleich bemerkte und sich möglicherweise sofort lautstark dazu äußerte. Das scheint eurer Aussage nach nicht der Fall gewesen zu sein. Nun, vielleicht erklärt Ihr kurz noch, wann und wie genau Ihr davon erfuhrt, dass der Herr Wertlinger euch hierzulande suchen lässt. - was wisst Ihr denn über ihn?” Nun zuckte der Blick der Gauklerin kurz zu Nivard hinüber. Der Magier hatte doch behauptet, über die Umstände im Bilde zu sein, wie er sich ausgedrückt hatte. Schon war die Unsicherheit wieder zurück. Hatte Nivard nicht alles erzählt? Wollte der Plötzbogener nur testen, ob sie dasselbe erzählte? Doratrava fiel auf die Schnelle kein Weg ein, wie sie diesen Punkt umschiffen konnte, waren doch gewisse Einzelheiten nicht ohne weiteres erklärbar. Nivard hob entschuldigend die Brauen, presste die Lippen zusammen und signalisierte Doratrava mit einem auffordernden Nicken, weiter zu sprechen. Helswin schien tatsächlich konstruktiv an die Sache heranzugehen, und er schien diese Art von Gesprächen nicht zum ersten Mal zu führen. Wahrscheinlich ist er tatsächlich eine Hilfe… Auch wenn es Nivard lieber gewesen wäre, die Dinge auf dem Weg zu besprechen.

Zögernd setzte sie an: “Also … der Herr Werlinger hat mir doch ein paar Kopfgeldjäger auf den Hals geschickt. Die haben mich in einem Dorf in Nilsitz erwischt und mir erklärt, ein Herr Wertlinger aus Twergenhausen schicke sie, damit sie ihm die Diebin und sein gestohlenes Gut wiederbringen mögen. Nur mit der Hilfe der … Dörfler konnte ich entkommen und die zwei verbliebenen Halsabschneider in die Flucht schlagen.” Sie schauderte, als sie die Erinnerung an die unangenehme Bande wieder wachrufen musste, und schlang ihre Arme eng um den Körper. Kopfgeldjäger?... Das wurde ja immer schöner. Helswin schob skeptisch die Stirn in Falten und folgte Doratravas Blick hin zu Nivard, der augenscheinlich doch nicht alles erzählt hatte. Genau genommen keine gute Referenz. Der nahm durchaus den vorwurfsvollen Ausdruck im Gesicht des Magiers wahr. ‘Hätte er doch nur gleich alles erzählt… Aber wie sollte er vorhin auch wissen, dass Helswin in einer solchen Angelegenheit vertrauenswürdig war?’ Egal, Nivard beschloss, den im nachhinein nicht ganz unberechtigten Vorwurf fürs erste zu ignorieren und stattdessen besonders neugierig zu Doratrava zu blicken, auch um Helswin zu vermitteln, selbst noch neues zu hören. Was ja auch nicht ganz falsch war, hatte er doch vorhin nur eine sehr kurze Zusammenfassung der Lage erhalten. Gut, die Kopfgeldjäger... Er würde nach der ganzen Angelegenheit wahrscheinlich noch ein paar Dinge mit dem Bruder seines Anführers glattziehen müssen… aber nicht jetzt. “Außer seinem Namen weiß ich nichts über den Herrn Wertlinger, die Kopfgeldjäger waren mehr daran interessiert, mich zu verhöhnen, als weitreichende Erklärungen abzugeben.” Sie schloss die Augen, um die Gedanken an die damaligen Geschehnisse - und Jel - wieder zurückzuzwingen an Orte in ihrem Kopf, aus denen sie nicht ungefragt ausbrechen sollten. Dennoch hatte sie dieses kurze Eintauchen in die Vergangenheit sichtlich aufgewühlt. Als sie die Augen wieder öffnete, schwammen ihre fahl smaragdgrünen Augen in Feuchtigkeit und ihr Blick hatte etwas Trotziges.

“Verstehe.” brummte Helswin. “Hmmmm …”, brachte Sabea heraus. “Ich habe den Wisch am Eingang zu einem Krämerladen entdeckt. Da hing aber bestimmt noch fünfzehn weitere solcher Steckbriefe. Aber mit anderen Namen. Es scheint der Krämer wird oft bestohlen.”, stellte sie fest. “Weit ist das nicht von hier.” “Dann nichts wie dorthin, oder was meint ihr?” griff Nivard Sabeas Information auf, dankbar für diesen Anlass, die sicherlich ebenso sinnvolle wie für Doratrava und in geringerem Maße auch für ihn unangenehme Befragung vorerst zu beenden und endlich das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Sein fragender Blick richtete sich zunächst an die ganze Runde. “Oder haltet Ihr es für besser, die Untersuchungen an anderer Stelle zu beginnen, wohlgelehrter Herr?” versicherte sich der junge Tannenfelser aber dennoch, um nicht erneut vom Magus zurückgepfiffen zu werden. Der nickte. “In der Tat. In Anbetracht der Tatsache, dass wir nicht mit Sicherheit wissen, ob der Ankläger seine…” Helswin wählte bewusst wohlwollende Worte, “verleumderisch-rufschädigende Publikation nur an dessen Ladengeschäft ausgebracht ist, schlage ich vor, dass wir zusätzlich einen Blick an eine der offiziellen Anschlagtafeln werfen. Nur, um einschätzen zu können, ob hier in der Stadt auch andere Personen außer besagtem Trupp Kopfgeldjäger hinter der Dame Doratrava her sein könnten. Die Wachen am Stadttor machten auf mich zumindest einen diesbezüglich wenig ambitionierten Eindruck.” Er hielt nach wie vor Schlamperei für möglich. “Das alles veranlasst mich jedoch auch darüber nachzudenken, welche Taktik angebracht sei. Möglicherweise kann ein paralleles Vorgehen Ergebnisse liefern, das heißt, jemand muss am Anschlagbrett nachsehen. Eine Information, in wie weit die Suche nach Frau Doratrava auch aus Sicht Twergenhausens forsiert wird, ergibt dann auch das Weitere. Aber anscheinend liegt dem Herr Wertlinger viel daran, Euch zu finden, beziehungsweise finden zu lassen.” sprach er die Gauklerin an, innerlich seufzend, um welchen Kram er sich hier kümmern musste. “Immerhin war die Sache ihm die Investition in Zwielichtgesindel wert. Das lässt natürlich Rückschlüsse darauf zu, dass er angibt, durch euch um eine entsprechend hohe Summe gebracht worden zu sein.”

Doratrava zuckte die Schultern. Ihr war auch schon die Idee gekommen, dass dem Händler offenbar entweder viel Geld oder ein wichtiges Schmuckstück oder was auch immer abhanden gekommen war, wenn er sich solche Mühe machte. Aber um was es sich genau handelte, konnte sie naturgemäß nicht sagen, also schwieg sie. “Also, ich fasse noch einmal zusammen: wir benötigen zuallererst Kenntnisse über die Bekanntheit dieser...Anklage..., um später den Verursacher mit den passenden Argumenten entgegentreten zu können.” Nach diesen vielen Worten seufzte der Magier. Er wirkte kurz ermüdet. Oder gelangweilt. Doch der Moment verschwand, als er einem ganz bestimmten ins Gesicht sah. “Herr Nivard, wollt Ihr mit mir die Recherche der Anschlagtafeln übernehmen? Jemand anderes begibt sich zum Rathaus, um die offiziellen Anschläge einzusehen. Natürlich darf die Bedeckung für Frau Doratrava nicht vernachlässigt werden.” Ein Blick zu Rondradin an dieser Stelle. “Und bevor wir Herrn Wertlinger konfrontieren tauschen wir uns über die Ergebnisse aus. Hier vielleicht. Andere Vorschläge?” Rondradin war den schier endlosen Ausführungen mit wachsender Ungeduld gefolgt. Dieser Magier unterschied sich nicht viel von einem gewissen Abgänger der Magierakademie zu Punin, was ihn beinahe zu einem Seufzen veranlasst hatte. Beide konnten schier endlos reden und Pläne schmieden. Bei Firutin haperte es dann meistens bei der Umsetzung. Rondradin war neugierig, wie sich der Plötzbogener im Vergleich dazu schlagen würde. “Mir soll es recht sein, solange Ihr nicht vergesst, dass wir nur begrenzt Zeit haben. Bereits morgen verlassen wir diese Stadt schon wieder und ziehen weiter Richtung Herzogenfurt. Zudem wird erwartet, dass sowohl die werte Sabea von Altenberg als auch ich an diesem Abendessen im Travia-Tempel teilnehmen. Es wäre also wünschenswert, wenn wir diese, für Doratrava, leidige Angelegenheit vor diesem Termin zum Abschluss bringen und uns nicht in endlosen Recherchen verlieren.” Trotz seiner innewohnenden Ungeduld, trug der Geweihte seine Rede in ruhiger, gemessener Art und Weise vor. Er erwiderte den Blick des Adeptus mit eben jener Ruhe und Sanftheit, die einen guten Seelenhirten ausmachte. “Stimmt Ihr mir zu?”

“Dann haben wir ein Zeitfenster. Sehr gut.” Das wiederum gefiel Helswin. Die Gauklerin hatte zunehmend verwirrt dreingeschaut, als der Magus immer weiter und weiter sprach. Bei der Stadtwache wären sie inzwischen längst gewesen, würde sie nicht so viel reden. Aber sie wollte nicht undankbar erscheinen, außerdem wussten die hohen Herrschaften sicher besser, wie man an eine solche Sache heranging … hoffte sie. Also sah sie nur abwartend und ihre Ungeduld halbwegs zügelnd von einem zum anderen, ohne sich einzumischen. ‘Na, da freu ich mich aber.’ dachte sich Nivard und bestätigte nickend und mit einem aufgesetzten Lächeln den Vorschlag Helswins, mit ihm gemeinsam zu den Anschlagtafeln zu schauen. Andererseits, so schlecht war das ganze gar nicht - so konnte er etwaig aufkommende Unstimmigkeiten gleich ausräumen und ihr Miteinander so auf eine vielleicht nicht unbedingt und direkt freundschaftliche, aber zumindest offene Basis stellen. “Dann lasst uns jetzt wirklich keine Zeit mehr verlieren und die Untersuchungen aufnehmen.” versuchte er erneut, den Aufbruch ins Rollen zu bringen. “Edle Dame von Altenberg, da Ihr bereits den Weg zu den Anschlagtafeln kennt - wollt Ihr uns diesen vielleicht kurz beschreiben, damit der wohlgelehrte Herr und ich möglichst rasch und ohne Umweg dorthin finden?” Am einfachsten wäre ja, sie käme direkt mit, andererseits erschien ihm ein Gang unter vier Augen, nachdem er sich bereits damit abgefunden hatte, für’s erste wahrscheinlich am besten. Und außerdem sprachen natürlich die Regeln der Reise dafür, dass Sabea sich eher Doratrava und Rondradin anschloss, die zwar auch nicht zur Familie von Altenberg gehörten, aber wenigstens keine Werber auf der Brautschau sein würden. Genau genommen schienen Helswin und er aber auch nicht Gefahr zu laufen, sich einen unbotmäßigen Vorteil bei Sabea verschaffen zu wollen, aber nun gut… “Sicherlich wollt Ihr am ehesten mit seiner Gnaden von Wasserthal die schutzbedürftige Dame begleiten, oder?”

Die Altenbergerin hörte bedächtig zu, als die Gruppe um Doratrava herum sich beriet. Sie war es gewöhnt, dass Leute sie eher versuchten zu ignorieren und es kaum wagten sie anzuschauen. So war es auch mit diesen hier. Sabea betrachtete den Krieger und den Magier.´So, so, die beiden also.´,ging es ihr durch den Kopf. Männer aus dem ganzen Reich kamen, um an der Altenberger Brautschau teilzunehmen, so wie diese Beiden. Würde wohl einer von beiden um sie werben? Sie was sich nicht sicher. Bis jetzt war sie nur mit flüchtigen Blicken bedacht worden. Der Ktieger, war so gar nicht Sabeas Fall. Klein, schmächtig, schütteres Haar und trällert den ganzen Tag wie ein gelangweiltes Waschweib. Wenn sie sich vorstellte, eine Auseinandersetzung mit ihm zu haben, wäre diese höchstwahrscheinlich mit nur einem Handschlag ins Gesicht beendet und entschieden. Viel zum Entgegensetzen hatte er nicht. Und dann war da noch der Magier. Er war gutaussehend, kräftiger und hatte einen starken Willen. Aber dennoch, würde er ihr etwas zum Entgegensetzen haben, ohne seine schändliche Magie zu benutzen? Sabea war sich nicht sicher. Sichtlich gelangweilt seufzte sie laut. “Doratrava, ich komme mit dir. Falls der Händler Ärger macht, regeln wir das. Wir sehen uns dort. Gehen wir erst zur Garnison und falls es dort keine Steckbriefe gibt, suchen wir das Rathaus. Den Wisch den ihr in der Hand haltet hab ich direkt vom Krämer.”, richtete sie ihre Worte an den Magier, beschrieb ihm den Weg und legte ihre große Hand auf die Schulter der Gauklerin.

Twergenhauser Ordnungshüter

Der Weg zur Garnison war eigentlich ein kurzer, doch der Marktplatz der zwischen Herberge und das Haus der Ordnungshüter lag, war voll von Ständen, anpreisenden Händlern, Käufern und Durchreisenden. Als sie endlich ankamen, waren sie nicht überrascht, dass es sich um eine steinernes Haus handelte. Wehrhaft und trotzig stach es zwischen den Fachwerkhäusern heraus. Direkt neben dem Eingang gab es zwei Dinge, die gesucht waren. Linkerhand gab es eine Anschlagbrett mit fein säuberlich aufgereihten Ankündigungen und Steckbriefen. Rechterhand stand ein Gardist der sich mit einem zweiten unterhielt. Dieser jedoch saß auf einem Schemel und gehörte offensichtlich dem Volk der Angroschim an. Dem Abzeichen auf seiner Uniform nach zu urteilen, handelt es bei diesem um einen Hauptmann.

“Wir sollten zuerst die Anschläge durchsehen, bevor wir mit den Bütteln sprechen”, meint Rondradin leise zu seinen beiden Gefährtinnen. Sabea war - in körperlicher Hinsicht - das genaue Gegenteil zu Gelda, groß und kräftig gebaut. Dagegen wirkte Gelda geradezu zerbrechlich. Hätte man Sabea gestreifte Hosen angezogen, und eine Axt mitsamt einem Rundschild in die Hände gegeben, sie wäre als Thorwalerin durchgegangen. Aber auch wenn ihr der Liebreiz Geldas fehlte, so hatte auch Sabea ihre Qualitäten. Rondradin musste sich eingestehen, dass er die geradlinige Art von Geldas Schwester mochte. Tatsächlich hätte er sich gewünscht, Gelda hätte damals, als sie sich kennenlernten, etwas von dieser Geradlinigkeit an den Tag gelegt. Eilig verdrängte er den Gedanken wieder. Es war wie es war und er würde Ravena heiraten. Er sah seine Begleiterinnen an und nickte in Richtung der Tafel. “Wollen wir?”

Doratrava, die immer noch die Pranke Sabeas auf der Schulter zu spüren meinte, obwohl sie dieser längst entkommen war, nickte fahrig. Jetzt, kurz vor der ersten Konfrontation in ‘ihrer Angelegenheit’, nahm ihre Nervosität deutlich zu. Obwohl ihr körperliche Nähe vor allem fremder Leute nicht behagte, rückte sie nun doch wieder ein Stück näher an Geldas große Schwester heran. Nicht, dass sie bei Rondradin nicht auch Schutz gefunden hätte, aber Sabea strahlte so etwas aus, als könnte sie allein durch ihre Präsenz Wände einreißen. Das machte sie in diesem Moment irgendwie anziehender. Der Hauptmann und der Gardist schauten kurz und etwas abschätzend rüber, aber die Anwesenheit des Rondrageweihten scheint offensichtlich zu beruhigen. Beide vertieften sich wieder in ihr Gespräch. Die Anschlagtafel war nur zur Hälfte mit ordentlich geschnittenen Steckbriefen bestückt. Die Zeichnungen der Gesichter waren von kunstvoller Hand geführt und ordentlich beschrieben. Keiner der Steckbriefe glichen dem ´Wisch´ den Sabea brachte. Weder Doratravas Portrait war zu entdecken, noch ihren Namen.

Rondradin wandte sich der neben ihm stehenden Sabea zu. “Werte Sabea, Ihr habt doch die Anschläge bei dem Händler gesehen, gibt es irgendeine Übereinstimmung der dort Gesuchten mit jenen an dieser Tafel?” Er sah zu Doratrava. “Schau dir die Steckbriefe auch mal an, ist da vielleicht einer deiner Angreifer dabei?” Sein Blick wanderte weiter und blieb bei den beiden Bütteln hängen. “Die beiden sollten wir mal nach dem werten Herr Wertlinger fragen.” Sabea schaute genau hin, schüttelte aber den Kopf.” Nein. Erkenne da keinen. Beim Krämer war das auch er Gekrakel. Obwohl,” sie schaute Doratrava an,” Dora hab ich schon erkannt.” Auch die Gauklerin erkannte niemanden auf den Steckbriefen. Als Rondradin den Büttel auf den Herr Wertlinger ansprach, verdrehte der Zwerg nur seine Augen. Dieser räusperte sich und stand von Schemel auf. “Hauptmann Gagrix hier,” Er nickte kurz. “Ihr meint wahrscheinlich den Krämer Wertlinger oder etwa den Schulzen?” Fragend schaute der Angroscho die Gruppe an.

Doratrava blinzelte verwirrt. Schulze? Gab es mehr als einen Wertlinger? Angestrengt dachte sie nach, was der Kopfgeldjäger damals gesagt hatte, als sie verletzt und gefesselt auf dem Boden von Jelrides Gasthaus vor ihm gelegen war. Hm … jetzt, wo sie so darüber nachsann, hatte er immer nur von “dem Wertlinger” gesprochen, einen Beruf des ach so feinen Herrn hatte er tatsächlich nicht erwähnt. “Ähm ...” machte die Gauklerin etwas hilflos. “Also … ich weiß nicht genau … hat …”, sie musste heftig schlucken, bevor sie weitersprechen konnte, “hat einer der beiden denn in letzter Zeit eine Anzeige vorgebracht oder wie das heißt?” Mit banger Erwartung sah sie den zwergischen Hauptmann an. Nun zog der Gardist die Brauen hoch, presste die Lippen zusammen und schaute den Hauptmann an. Der holte tief Luft.” Ach ja. Ihr meint den Krämer Wertlinger. Aber nein. Keiner von beiden hat eine Anzeige gemacht. Wieso fragt ihr? Gibt es da etwas?” Nun kniff er die Augen zusammen und betrachtete alle genauer. “Das bleibt abzuwarten, zuerst müssen wir mit dem Herrn Wertlinger sprechen”, versuchte Rondradin abzuwiegeln. “Mir scheint, Ihr habt keine allzu hohe Meinung von ihm, wenn ich eure Reaktion auf seinen Namen richtig deute. Ihr könnte euch also wahrscheinlich schon denken, weshalb wir nach ihm fragen. Nicht wahr?” Der Geweihte sah die Gardisten auffordernd an.

Der Hauptmann erhob abwehren seine Hand. “Die Götter bewahre! Ich habe keine Meinung zu dem Herr Wertlinger. Immerhin ist der der Bruder vom Schulzen und der Frau vom Bürgermeister. Eine rechtschaffene Familie.” Er musterte den Geweihten noch einmal. “ Allerdings,” Gagrix seufzte,” glaubt der Krämer oft das er bestohlen wurde … und hängt seine eigenen Steckbriefe. Der Bürgermeister hat uns aufgefordert es mit Nachsicht zu betrachten. Aber solange bei mir hier nichts offiziell hängt, wird keiner behelligt. Habt ihr ein Verbrechen zu melden? Ist der Krämer bestohlen worden?” Zwar machte der zwergische Hauptmann einen recht zugänglichen Eindruck, aber Doratrava beschloss, dennoch vorerst Rondradin die Gesprächsführung zu überlassen. SIe warf Sabea einen vorsichtigen Blick zu, ob diese das genauso sah, denn irgendwie erweckte Geldas Schwester nicht den Anschein, ein sonderlich geduldiger Mensch zu sein. Jetzt erst kam ihr Geist dazu, sich mit den Worten des Hauptmanns zu beschäftigen. Der Bruder des Schulzen und der Frau vom Bürgermeister? Verwirrt kniff die Gauklerin die Augen zusammen. War der Schulze nicht der Bürgermeister? Andererseits kannte sie sich mit Hierarchien nicht gut aus, zumal jede Stadt und jedes Land ihre eigenen zu haben schienen. Wie auch immer, das hörte sich auf jeden Fall nicht gut an. Der Krämer Wertlinger hatte auf jeden Fall mächtigen Rückhalt hier, hoffentlich kamen sie ihm trotzdem bei.

Rondradin bedachte den Zwerg mit einem nachdenklichen Blick. "Ihr wurdet also angewiesen, zu ignorieren, wenn er wieder eigene Steckbriefe anbringt." Er warf einen Blick zu Sabea und Doratrava. "Nein, wir wollen keinen Diebstahl melden. Stattdessen will ich euch sagen sagen, wohin eure Nachsicht mit dem Händler geführt hat. Von Herr Wertlinger gedungene Kopfgeldjäger haben in Nilsitz einer unschuldigen Frau aufgelauert, sie und einige Dorfbewohner bedroht oder sogar verletzt, und haben Sachschaden verursacht. Weswegen sich nun auch der Vogt von Nilsitz dieser Sache annimmt, wenn ich recht informiert bin." Rondradin ließ diese Information erst mal beim Hauptmann sacken. Noch bevor die Büttel zu einer Antwort ansetzen konnten, fuhr er fort. "Und ich bin mir nicht sicher, ob es nicht noch andere Fälle gibt. Wenn dies der Fall wäre, dann könnte manch einer auf den Gedanken kommen, dass dies eine raffinierte Form der Wegelagerei sein könnte, bei der Kopfgeldjäger vermeintlichen Dieben nachstellen und sie um ihren Besitz bringen." Nicht ein mal hatte der Geweihte die Stimme gehoben oder seinen freundlichen, sanften Tonfall abgelegt. Aber seine Augen hatten den Zwergen fixiert und beobachteten dessen Reaktion. Die Augen des Angroscho verkniffen sich zu Schlitzen. Er dachte nach. “Der Vogt von Nilsitz? Bei Angrosch.”, brachte er heraus. “Und ihr seid euch sicher, euer Gnaden? Das ist das erstmal das ich höre, dass jemand zu Schaden gekommen ist durch den alten Spinn .. äh ..Krämer. Er stellt sich manchmal Dinge vor, müsst ihr wissen ...aber eigentlich ganz harmlos. Aber das geht natürlich zu weit, wenn jemand Schaden erfährt. Am besten wir gehen damit gleich zu ihm oder dem Bürgermeister. Ist die unschuldige Frau anwesend?” Gagrix schaute sich die Frauen genauer an. Sabea hört aufmerksam zu, setzte aber einen grimmigen Blick auf. Als der Zwerg sie anschaute konnte sie nicht mehr schweigen. “Was schaut ihr mich an, Hauptmann. Sehe ich aus wie eine Frau die sich nicht wehren kann?” Sie schob Doratrava etwas vor sich. “ Das zarte Blümchen hier. Und wenn der Krämer sich nicht angemessen bei ihr entschuldigt, zerre ich den Zausel selbst in euren Kerker!”

Doratrava lief rosarot an, als Sabea sie so unzeremoniell an den Schultern packte und nach vorne schob. Aber nun konnte und wollte sie nicht mehr zurück. Sie riss sich mühsam zusammen und zwang sich zum Sprechen. “I...ich bin … also um mich geht es, Herr Hauptmann. Mir hat der Krämer die Kopfgeldjäger auf den Hals geschickt, die mich fast umgebracht hätten - und nicht nur mich!” Die Gauklerin bemühte sich um ein sicheres Auftreten, wenn es ihr auch schwer fiel, aber sie wusste ihre beiden Gefährten hinter sich, was die Sache einfacher machte. Nun ja, er hätte Doratravas Identität vorläufig nicht aufgedeckt, auf der anderen Seite mochte Rondradin die direkte Art von Sabea. Sie redete nicht nicht endlos um den heißen Brei herum, sondern kam direkt auf den Punkt. Also schenkte er Sabea ein dankbares Lächeln. Er hob die Hand um sie auf Doratravas Schulter zu legen, überlegte es sich aber anders und präsentierte stattdessen die Gauklerin mit eben jener Hand dem Hauptmann. “Wie ihr sehen könnt, befindet sich das Opfer dieses Übergriffs in meiner Obhut.” Abschätzig schaute Gagrix die Gauklerin an. “Ich kann mich an euch erinnern. Ihr habt vor einiger Zeit eure Gaukeleien gezeigt, richtig? Der tanzende Baumhocker … verzeiht ..die tanzende Elfe war einige Tage hier ein Stadtgespräch. Nun, wenn der Vogt von Nilsitz euch glaubt und der Herr Rondrageweihte, so werde ich das auch erstmal tun. Wir können das mit einem Gespräch versuchen. Wenn er uneinsichtig ist, nehm ich ihn fest und ziehe den Bürgermeister dazu. Ist das in euren Sinne, Gauklerin?” fragend schaute er Doratrava an.

Ein wenig fahrig wischte sich Doratrava eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die herablassende Art des Zwergen gefiel ihr zwar nicht, aber sie war dergleichen gewohnt, erwartete es nachgerade von höhergestellten Personen. Außerdem wollte sie das alles schnell hinter sich bringen und es nicht mit fruchtlosen Diskussionen in die Länge ziehen. Also nickte sie nur. “Ja, ist es, Herr Hauptmann”, setzte sie nach kurzem Zögern sicherheitshalber noch dazu. Insgeheim freute es die Gauklerin allerdings, dass sie es mehrere Tage zum Stadtgespräch gebracht hatte, wenn auch mit unerwarteten Auswirkungen. Gagrix nickte verständig. “Ado, du kommst mit, sag aber Ulbert bescheid das er hier die Wache übernimmt. Ich werde mich der Sache persönlich annehmen.” Ohne ein weiteres Wort zu verlieren marschierte der zwergische Hauptmann los. “Na geht doch.” Sabea entspannte sich ein wenig und folgte dem Hauptmann, ohne zu vergessen die Gauklerin an die Hand zu nehmen. Zufrieden mit der bisherigen Entwicklung der Dinge, schlenderte Rondradin hinter dem Dreiergespann her. Es blieb nur zu hoffen, dass der Hauptmann sie nicht zu hintergehen versuchte und der Krämer sich einsichtig zeigen würde.

Des Krämers Heim

Wie die Altenberger ankündigte, war der Weg zum Krämer ein kurzer. Ohne Probleme liefen die beiden die doch recht staubige Gasse hinunter und fanden sich dann bei dem Krämer wieder. Das Fachwerkhaus war ein ordentliches, selbst Kübel mit bunten Blumen waren vor den Fenstern angebracht. Ein großes Schild aus dunklen Holz über dem Türeingang kündete vom Namen des Besitzers: Wertlinger! Die Tür stand bei dem heißen Wetter offen und eine Katze hatte es sich gleich daneben gemütlich gemacht und beobachtete die Ankommenden neugierig. Rechterhand jedoch war ein Anschlagbrett angebracht, an dem ziemlich durcheinander, kleine Pergamente mit Skizzen angebracht waren. Entgegen Nivards Befürchtungen hatte Helswin den kurzen Weg über nicht ein Wort über die versäumte Information bezüglich der Kopfgeldjäger verloren. Nun standen sie schräg gegenüber des Wertlinger Ladengeschäfts und besahen sich zuerst einmal die Umgebung. “Tannenfels, ich gehe davon aus, dass Ihr auf der Akademie, die Ihr ja jüngst noch besuchtet, eine Taktik erlernt habt, die wir nun zur Anwendung bringen können?” Eigentlich war das keine Frage sondern eine Aufforderung. Und ja, dies konnte durchaus ein Test sein. “Denkt Ihr, es ist ratsam, wenn wir uns zum einen die Pamphlete dort an der Türe und zum anderen im Innern des Geschäfts umsehen? Oder haltet Ihr es für ratsamer, wenn der werte Herr Wertlinger uns noch nicht persönlich kennenlernt? Ich bin neugierig, wie würdet Ihr verfahren, hättet Ihr hierbei das Kommando.” wollte der Magus von dem Jüngeren wissen, wobei er auch gleich deutlich machte, wer in Wirklichkeit das Sagen besaß.

Kaum waren sie losgelaufen, waren sie auch schon da - die Gelegenheit zu einem klärenden Wort hatte sich noch nicht wirklich ergeben. Damit konnte Nivard vorerst leben - vielleicht war es gut, sich zuvor noch ein wenig zu beschnuppern. Genau das machte der Magier gerade eben, und nicht gerade unauffällig. Der junge Krieger erkannte die Prüfungssituation, die Helswin von Plötzbogen gerade zu generieren versuchte. “Noch befinden wir uns nicht im Kampfe, daher kommen die für diesen erlernten, rondra- und nandusgefälligen Taktiken besser noch nicht zum Tragen, möchte ich meinen.” fing er an. Da er ein ausgesprochen ehrgeiziger Schüler der Kriegerakademie war, hatte seine Aufmerksamkeit dort jedoch nicht nur den Waffenübungen und der Lehre im klassisch ritterlichen Kampf, Mann gegen Mann, sowie den Strategien und Taktiken für die offene Feldschlacht gegolten, selbst wenn diese nicht nur ihn sicherlich am stärksten fasziniert hatten. Er hatte sich durchaus auch die Lehren vor allem der Kerbsteyn in den moderneren Taktiken zu Herzen genommen, obgleich diese, dem Herrn Nandus teils näher als der Herrin Rondra, nicht den allerhöchsten Stellenwert im Curriculum hatten - wer wusste, wozu diese mal nützlich sein würden. Und zu diesen zählte, den Feind möglichst lange im Ungewissen über die eigene Stärke und die eigenen Pläne zu lassen - auch wenn man ihm am Ende - wie es Rondra und die Ehre verlangte - offen entgegen zu treten hatte. Nicht zu vergessen der Lehrsatz, dass eine gute Aufklärung der halbe Sieg ist. Übersetzt auf die vorliegende Situation hieß das, vor allem seinen gesunden Menschenverstand zu gebrauchen. “Nur vom Umsehen im Krämerladen und der neugierigen Lektüre der Aushänge wird der ehrenwerte Herr Wertlinger sicherlich noch keine Rückschlüsse auf unsere Mission ziehen können. Es sei denn, er hätte Spitzel in der ganzen Stadt verteilt, die ihm zugetragen hätten, dass wir mit Doratrava unterwegs sind - was ich bezweifeln möchte, und selbst wenn... In beiden Fällen schadet es aus meiner Sicht nicht, wenn der Krämer uns kennenlernt, und wir ihm ein bisschen auf den Zahn fühlen. Wir können allenfalls für’s erste versuchen zu verschleiern, dass wir beide zusammen gehören, indem wir getrennt auf den Laden zu marschieren, einer direkt eintritt und der andere zunächst die Aushänge studiert, bevor er ins Innere folgt. Dafür dürfen wir aber nicht mehr allzu lange gemeinsam hier herumstehen, denn so ganz und gar unauffällig sind wir auch nicht.” Nach diesen laut gedachten Überlegungen, sah er Helswin direkt an: “So würde ich verfahren, hätte ich alleine das Kommando. Aber da wir ja gemeinsam und auf Augenhöhe agieren, bin ich natürlich auf Eure Vorschläge gespannt, der ihr solchen Aufgaben sicherlich schon öfter gegenüber standet!”

Oh du Narr… dachte Helswin müde in sich hinein lächelnd, als Nivard etwas von Augenhöhe sprach. Nie würde dieser mit ihm auf Augenhöhe agieren, denn das war schlichtweg nicht möglich. Der Vorschlag des jungen Kriegers aber war gut, drum stimmte er ihm zu, ohne einen Gegenvorschlag zu unterbreiten. “Gut. Tun wir fürs Erste, wie ihr vorschlugt. Mir erscheinen die Mittel des Herrn Phex an dieser Stelle auch erstmal passend. Mit Sicherheit lassen sich so wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die das weitere Vorgehen möglicherweise beeinflussen. Geht Ihr voraus, ich werde in einigem Abstand folgen.” Nivard war angenehm überrascht - er hatte fest damit gerechnet, von Helswin sofort belehrt zu werden. Umso besser. Er gewann zunehmend an Zuversicht, dass sich das Ganze doch ganz gedeihlich entwickelte. Er nickte dem Magier nochmals bestätigend zu, dann schritt er zügig, aber bewusst ohne Hektik auf den Krämerladen und dessen offen stehende Tür zu. Helswin entschied sich noch ein wenig zu warten. Dem Jungspund ein bisschen Zeit zu geben. Er sah über sich zwei Elstern eine Taube jagen. Sah die schwarz-blau gefiederten Gesellen ihre Beute treiben und zu Boden zwingen. Alle drei verschwanden hinter den Häuserdächern. Unweigerlich musste Helswin dabei an ‘sein Elsterlein’ denken. Praios sei dank, dass niemand die Schellenbergerin auf die Idee gebracht hatte, ebenfalls an diesem skruden Hochzeits-Theater mitzumachen. Hesinde bewahre, in ihrem Drang es allen recht machen zu wollen, hätte die womöglich, ohne es zu wollenden, aber um die Gastgeber nicht zu brüskieren, den erstbesten Ledigen zum Manne genommen. Eine furchtbare Vorstellung, wie er fand. Der Stachel der Eifersucht glomm heißt in Helswins Brust - schnell ließ der Magus den Gedanken an die brünette Schreiberin fallen. Wandte er sich dem Hier und Jetzt und ihrer Mission zu. Helswin atmete kraftvoll ein und aus, griff dabei seinen Stab fest, fokussierte das Ziel und schritt darauf zu. Doch bevor er eintrat, besah er sich die Steckbriefe an der Wand neben dem Eingang und verglich sie mit dem, den er von Doratrava besaß.

Fünfzehn weitere Steckbriefe waren am Anschlagsbrett befestigt, schlecht geschnittene Pergamentstücke mit ebenfalls weniger kunstvollen Zeichnungen darauf. Der Magier verstand sofort, dass diese nicht von einer höheren Instanz geschrieben wurden. Über die dreiste Frechheit dieses “Kunstwerks” an stümperhafter Verleumdung konnte Helswin nur den Kopf schütteln. Dass dies zugelassen wurde? In Elenvina nicht möglich. Aber das hier...nun ja… Provinzliche Städte gingen offenbar anders mit ihren Zünftlern um, ließen einem darin Freiheiten, die seltsame Blüten trugen, wie es aussah. Den Wisch mit dem “Bildnis” der Gauklerin in den Händen, trat Helswin schließlich ein. Das Katzenvieh ignorierte er geflissentlich und ließ sich erst gar nicht auf die Versuche der Katze ein, sich Streicheleinheiten zu ermaunzen. Für derlei Dinge fehlte ihm nämlich das Verständnis.

An der Schwelle hielt der junge Krieger kurz inne. Die Katze nutzte die sich bietende Gelegenheit, gemächlich schnurrend seine Beine zu umstreichen, doch nahm er von dieser kaum Notiz. Seine Augen mussten sich kurz an die dunkleren Verhältnisse im Inneren des Hauses gewöhnen, dann strichen sie rasch über den Raum, vergegenwärtigten sich dessen Größe, erkennbarer Aufteilung und Ausgänge, und vor allem der Personen, die sich in diesem aufhielten. Ein “Rondra zum Gruße” entbietend trat er ein. Seine schweren Stiefel pochten deutlich vernehmbar auf hölzerne Dielen, die ihrerseits ein ächzendes Knarzen von sich gaben.. Der Verkaufsraum wirkte klein und beengend. Der Krämerladen war voller verschiedener Waren von Tuchbeutel, Trinkschläuche, Töpfe und Pfannen bis Tinkturen, verschiedene Gewürze und einigen Rollen tulamidische Seide. Das Innere wirkte dunkel und die Luft war geschwängert vom Geruch der Gewürze. Hinter einer Theke stand ein Mann, der beim Eintritt des Kriegers sich ihm zuwandte. Der Krämer war in seinen fünfzigern, hatte einen grauen Haarkranz und war von hagerer Gestalt. Die Ohren standen leicht ab und sein frisch geschabtes Kinn wirkte ein wenig zu groß. Erst schaute dieser ihn kritisch an, lächelte dann aber. “Kommt herein, bringt Glück herein, Phex zum Gruße edler Herr! Was kann der alte Wertlinger für euch tun?”

Welch hohle Worte, dachte Nivard bei sich, geleitet von dem Bild Wertlingers, das er sich aus Doratravas Erzählungen gemacht hatte. Er beeilte sich dennoch, das Lächeln kurz zu erwidern. Wie sollte er das Gespräch am besten beginnen? Nivard merkte, dass er sich hierzu in seinem Schlachtplan keine hinreichende Gedanken gemacht hatte - eigentlich so gar keine. Vielleicht hätte er Helswin vorlassen sollen, der kannte sich wahrscheinlich mit taktischer Gesprächsführung besser aus als der geradlinige Krieger, der er war. Aber das wäre ja noch schöner... Egal, so musste er halt improvisieren. Er beschloss, erstmal bei der Wahrheit zu bleiben, auf seine Weise. Sich scheinbar gedankenverloren weiter im Raum umsehend, als ob er die Auslagen bewunderte, schritt der junge Tannenfelser tiefer in den Laden. “Ich bin hier, weil ich…” seine Finger strichen neugierig über kühlzarte, selbst im Zwielicht des Raumes glänzende Seide - wie viel glatter fühlte sich diese an als die viel gröberen Stoffe aus Ambelmunder Schafswolle, die er aus seiner Heimat, aber auch in Elenvina verarbeitet kannte - “weil ich hier etwas suche, um einer Freundin, einer jungen Frau, die es zuletzt schwer hatte, eine Freude zu machen.” Er sog den schweren Duft ein - er roch nach fernen Ländern, unbekannten Geschmackserfahrungen - und Wohlstand. “Ich hörte, Ihr wäret die erste Anlaufstation für dieses Unterfangen hier in Twergenhausen!” Jetzt sah er Wertlinger offen an. Der Krämer hob die Augenbrauen. “Da habt ihr Wohl gehört. Da werden wir bestimmt etwas finden.” Der ältere Mann kam um die Theke und griff ein gräuliches Tiegelchen. Er öffnete es und hielt es Nivard unter die Nase. Ein starker Geruch von Rose zog ihm in die Nase. “Ein aranisches Duftwässerchen vielleicht?” Vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug, schnupperte Nivard an dem dargebotenen Tiegelchen - der intensive Duft raubte ihm nach einer ersten betörenden Wirkung auf seine Sinne für einen Moment nahezu jegliches Geruchsempfinden. “Ein schöner und sehr potenter Duft. Aus Aranien, sagt Ihr? Auf jeden Fall interessant! Davor roch ich aber auch noch exotisch anmutende Gewürze - die mich neugierig machten… vielleicht wäre das auch stimmig… stammen die ebenfalls aus dem Süden?”

“Gewürze?” Wertlinger kräuselte unverständlich die Stirn, fasste sich dann aber wieder schnell. ”Sie muss eine Meisterin in der Küche sein, ich verstehe. Das einzige südliche Gewürz das ich momentan da habe ist Khunchomer Pfeffer. Ansonsten nur einheimisches.” Er zog das Tiegelchen wieder weg und stellte es wieder auf die Theke. Der strenge Rosengeruch blieb. “Ob sie eine Meisterin in der Küche ist… ich muss gestehen, dass ich das kaum glaube. Aber begierig auf neue Eindrücke. Darum dachte ich, dass ein exotisches Gewürz sie sicher erfreuen würde - vielleicht brächte bereits der Pfeffer etwas Pfiff in ihr Leben. Was sie aber vor allem liebt, ist der Tanz. Vielleicht wäre ein fließender, zugleich zarter und doch fester Stoff voll Glanz wie jener, den ich vorhin befühlte, aus dem ein elegantes Tanzkleid gefertigt werden könnte, noch passender.” Nivard ging die wenigen Schritte zurück zu den Stoffen und zeigte auf eine Rolle blau gefärbter Seide. “Was soll diese kosten?” erkundigte er sich. Sich weiter umschauend sprach er weiter: “Meine Quellen versprachen nicht zu viel: Ihr habt in der Tat eine große Auswahl an südländischen Kostbarkeiten, mit der ich in Twergenhausen gar nicht gerechnet hätte. Sicherlich kommt man von weither zu Euch. Und ganz gewiss müsst Ihr Euch vor Dieben und anderem Gesindel schützen, bei diesen Auslagen!” Ehe er sich wieder ganz Wertlinger zuwenden konnte, verdunkelte sich der Raum, als sich Helswins Gestalt vor die Türöffnung schob. “Ich glaube, Ihr bekommt weitere Kundschaft.” fügte er in Richtung Wertlinger hinzu, um dann Helswin mit einem “Seid gegrüßt, wohlgelehrter Herr!” zu begegnen. Rondra wollte er für diese Posse nicht bemühen. Schade, dass der Zauberer jetzt schon dazu kam. Gerne hätte er das Gespräch noch ein wenig weitergeführt, gespannt, wie Wertlinger auf die letzten Worte reagierte. Andererseits wäre es auch interessant, zu beobachten, wie der Magier wohl an die Sache ranging… Der Krämer wanderte zu dem Ballen Seide und strich darüber. ”So, so. Da weiß jemand gute Ware zu schätzen.” Er kniff die Augen etwas misstrauisch zusammen, behielt aber sein Lächeln. “Mehr Kundschaft, mehr Glück. Seid mir willkommen.”, begrüßte er den Magier. So vielfältig die Waren in dem Laden erschienen, stellte Helswin schnell fest, das alles eher nur zweite Wahl war und weniger hochwertig.

Zur Antwort setzte Nivard ein weiteres Lächeln auf, dessen unterschwellige Grimmigkeit sich alleine der Aufmerksamkeit des Händlers entzog, da sich dieser nun Helswin zuwandte. Der junge Geleitschützer nutzte die Ablenkung, sich eingehender im Raum umzusehen. Führte eine Tür in weitere Räumlichkeiten? Wo war die Treppe zu den oberen Geschossen? Hatte Wertlinger Waffen zur Hand? Während seine Augen durch den Laden flogen, waren seine Ohren ganz auf Helswin und den Krämer ausgerichtet. Den einzigen Durchgang den Nivard sah war direkt hinter der Theke und mit einem einfachen Vorhang abgeteilt. Weder eine Treppe noch eine Waffe war zu sehen, abgesehen von einer Reihe von Küchenmessern, die zum Verkauf standen. Helswin ließ den Blick durch den Laden schweifen, im Geiste prägte er sich die offensichtlichen Dinge ein. Alles nicht sonderlich exklusiv. Provinz - er sagte das ja bereits. Nivards freundlichen Gruß erwiderte er nur stumm, denn er fokussierte den Händler mit ernstem Blick und trat mit selbstbewussten Schritten auf diesen zu. “Die Zwölfe mit euch, Wertlinger. Der seid ihr doch, oder?” Eine rhetorische Frage und ein musternder Blick. “Ich komme deswegen.” Dabei klatschte der fremde Magier den Steckbrief mit dem Antlitz der spitzohrigen Gauklerin ungeniert vor den Händler auf den Tresen. “Ihr sucht eine Hexe, die ihr des schändlichen Verbrechens eines Diebstahls bezichtigt. Was genau wurde euch durch diese Person entwendet, wann genau war das, und wie hoch fällt die Belohnung aus für denjenigen Praiosfürchtigen, der sie der Gerechtigkeit überstellt?” In Helswins Worten lag die Autorität, die ihm sein mächtiges Ego, seine auf Disziplin und Führungsmacht gedrillte Ausbildung und natürlich die güldene Brosche an seiner breiten Brust verlieh. Dabei hatte er nicht vor, dem Mann etwas vorzuspielen. Phexische Künste überließ er anderen, welche weniger nah an Praios Lichte wandelten als er selbst. Doch wollte er Wertlinger gerne in etwaigem Glauben lassen, an der Diebin habe man auch anderswo Interesse, weil dies ja, genaugenommen nicht gelogen war. So fiel es Helswin leicht, die Rolle des Hexenjägers einzunehmen, sollte der Händler ihn für einen halten. Diese Doratrava war zwar in Helswins Augen keine, dennoch würde er nicht zögern eine solche zu fassen und der Kirche des Praios auszuliefern, sah Helswins die Ordnung gefährdet. Wahrscheinlich war es genau diese Entschlossenheit, die ihn authentisch auftreten ließ, selbst in dem Phexensstück, das er und Nivard da spielten.

Der Krämer ging zum Tresen und betrachtete kurz den Steckbrief. Seine Augen weiteten sich und purer Zorn zog sich über sein Gesicht. Energisch zog er die Luft scharf ein. “Bei Praios! Ja, der bin ich und ja, diese Hexe ist eine von der ganz üblen Sorte. Mit ihren Zaubertanz bezirzt sie die Leute und zieht ihnen das Gold aus den Taschen! Den Goldring meiner geliebten Mutter hat sie entwendet, ein Geschenk des Baron von Sturmfels. 10 Goldstücke wer mir diese Diebin bringt!” Die letzten Worte zischte er regelrecht. Der andere Kunde schien gänzlich vergessen und etwas Unheimliches flackerte in seinem Blick. Helswin kniff die Augen zusammen. Dass jemand wie Wertlinger ein Schmuckstück aus der Hand des Barons von Dohlenfelde bekommen habe, hielt er für unwahrscheinlich. Für relativ wahrscheinlich hingegen hielt er es hingegen, dass die Sache mit dem Ring ein Vorwand war, der sich spektakulär anhören sollte, um Wichtigkeit zu erzeugen. “Ihr sagt also sie hat euch verzaubert? Wann und wo ist das gewesen? Denkt nach! Jedes Detail ist wichtig!” Nivard lauschte angestrengt der Befragung - nichts wollte er sich entgehen lassen, kein Detail, weder von Helswins Vorgehensweise noch selbst des kleinstens Hinweises, der sich etwaig in Wertlingers Worten verbarg. Doch durfte er sich dabei fürs erste weder zu unbeteiligt noch zu neugierig geben, außerdem würde er dem Gespräch direkt am Tresen am besten folgen können. Also trat er, kurz “Eine Hexe???” ausrufend, ebenfalls zur Verkaufstheke und tat zunächst so, als würde er den Steckbrief studieren. Hoffentlich konnte er die Scharade bald beenden und diesem Wertlinger offen Manieren lehren. Aber jetzt durfte er erst einmal nichts vermasseln. Zumal der Auftritt Helswins ihn durchaus beeindruckte. Was ihn erstaunte war, wie geradezu hasserfüllt dieser Krämer schien. Einen gewissen Zorn hätte Nivard ja verstanden, keine Frage, auch wenn diese Regung Doratrava zu Unrecht getroffen hätte. War ihm tatsächlich etwas für ihn über alle Maßen Kostbares während Doratravas Vorstellung entwendet worden? Was machte einen Goldring, sei er auch aus der Hand des Barons von Dohlenfelde, so kostbar, dass man ein vielfaches an Gold als Kopfgeld auf die Diebin auslobte? Oder trieb ihn etwas ganz anderes? Jetzt bereute er es ein wenig, nicht die anderen Steckbriefe studiert zu haben, bevor er in den Laden getreten war. Aber dies war ja Helswins Aufgabe gewesen. Ging es da um vergleichbare Delikte und ähnliche Summen? Mit verengten Augen den Krämer und den Magus taxierend harrte er des Fortgangs des Gesprächs.

Der Wertlinger grinste jetzt hämisch. “Ja, das war Ende Peraine auf dem Marktplatz. Da habe ich dieses Weib tanzen sehen. Sonderbar war es, aber den Leuten schien es zu gefallen. Aber ich glaube den Leuten hat es nur gefallen, weil sie halbnackt war und unzüchtig tanzte.” “Unzüchtig.” wiederholte der Magus, innerlich seufzend, gab es doch leider immer jemanden, der sich an etwas bloßer Haut störte. Wie lächerlich. “Wie Hexen halt. Da war bestimmt Zauberei im Spiel. Und als ich zurück in meinen Laden kehrte, da fehlte mir mein Gürtelbeutel! Ich bin natürlich gleich zurück. Aber die Dirne war schon weg! Ein Glück hat man mir erzählt, wer mich bestohlen hat.” Sein Zeigefinger stand nun warnend vor seiner Nasenspitze. “Ich wusste, dass die Gerechtigkeit ihren Weg finden würde, bei Praios! Sagt mir, ihr habt diese da gesehen?” Was für ein geistig armseliges Würstchen… Zunächst schob Helswin den drohend in sein Gesicht ragenden Finger mit seinem Stab beiseite. “Ich bin mir sicher, die Gerechtigkeit des Herrn Praios wird auch diese Sache erleuchten und alle Lügen ans Licht zerren, auf dass diejenigen, die anderen leidvoll schaden, ihre gerechte Strafe finden.” gab er Wertlinger zu bedenken, während er den Mann missbilligend betrachtete. “Doch um eines klarzustellen, Meister Wertlinger: ICH stelle hier die Fragen! Solltet Ihr Interesse daran haben, dass sich diese Sache aufklärt, so ist eure Mithilfe gerne gesehen.” Er ließ eine warnende Pause. “Ihr stellt die Fragen?” Ein verwunderte Blick schlich sich über des Krämers Gesicht. “Ihr seid gekommen, die Diebin zu fassen, damit Gerechtigkeit widerfahren kann? Und wer seid ihr eigentlich? Nun wenn es euch hilft sie zu fassen, werde ich eure Fragen sehr gerne beantworten.”, sein Blick wanderte über die Kleidung des Magiers.

Sie war die eines Magiers der Rechten Hand, lang und weiß. Für gewöhnlich trugen die Mitglieder der weißen Gilde allerdings kein Schwert und auch keine ledernen Armschienen, nur welche, die der Kampfmagie mächtig waren (OT: falls Wertlinger schon mal von diesen gehört hat, ansonsten steht da ein durchaus wehrhafter, von der Körperstatur her großer durchtrainierter Mann mit dem Emblem Ihrer Kaiserlichen Majestät an der Brust vor ihm) Die Brosche mit dem Kaiserwappen an der Brust ergänzte das Bild und sein befehlsgewohnter Ton ließen keine Zweifel zu, dass er es gewohnt war, diesen anzugeben. “Ich bin der Arm der Gerechtigkeit! Mehr müsst ihr nicht wissen!” erklärte sich der Magus nüchtern, aber mit einem Unterton, der beängstigend sein konnte. Weniger streng fuhr er mit der Befragung fort: “Also. Meister Wertlinger. Ihr sagtet soeben aus, dass die ‘Hexe’ eine öffentliche Darbietung ausführte, der ihr beiwohntet. War sie alleine oder hatte sie Gefährten an ihrer Seite, die sie bei der Darbietung unterstützten?” Er dachte kurz nach. ”Hmmm. Sie war alleine. Aber ihre Bewegungen waren sehr schnell und ihre Hände flink. Unnatürlich flink …”, sagte er langsam und betont. “Anzunehmen, dass euch euer Beutel vor Ort entwendet wurde, wo trugt ihr ihn genau? Sichtbar oder gar verborgen?” “Der war an meinem Gürtel, so dass ich ihn immer sehen kann!” Sein Blick wurde wieder bestimmend. “Natürlich,” stimmte Helswin ihm beschwichtigend zu. Innerlich rollte er mit den Augen. Ja hatte der Kerl etwa noch nie was von Beutelschneidern gehört, die Menschenansammlungen dazu nutzten, ihr Werk mit Hilfe des Herrn Phex zu tun? Das wunderte den Plötzbogen - oder auch nicht, denn dieser Kerl zeigte deutlich wie besessen er davon war, andere in die Scheiße zu reiten. Er blieb allerdings beherrscht. “Und den Ring eurer Mutter verwahrtet Ihr im Beutel und nicht etwa an einem sicheren Ort, wie beispielsweise einer abschließbaren Schmuckschatulle in Eurem Zuhause?” Helswin beobachtete den Mann genau. “Es ist natürlich Eure Sache, wie ihr mit Euren Besitztümern umgeht.” sagte er moderat. “Meine Sache ist es jedoch, mehr über diese...Frau...herauszufinden.” Das war nicht mal gelogen. “Versteht, um die Zusammenhänge zu begreifen ist jedes kleinste Detail nötig” Auch das entsprach der Wahrheit. “Sagt, dachtet ihr während der Darbietung vielleicht an genau diesen Ring?”

“Zu Hause hat man mich schon mal bestohlen, an mir ist das sicher ..”, er stutzte kurz” ..also dachte ich. Deswegen muss Zauberei im Spiel gewesen sein!” Nun wurden seine Augen wieder größer. Dann nickte er. “Ich verstehe. Sie konnte Gedanken lesen! Ihr seid sehr klug.” Ein wissendes Lächeln schlich sich nun über sein Gesicht. “Das bin ich tatsächlich. Und ja, es gibt Zauber, mit denen man die Gedanken anderer lesen kann. Es gibt aber auch Möglichkeiten ohne Zauberei an einen Gürtelbeutel zu gelangen. Hat euch vielleicht jemand, während ihr der Darbietung folgtet, angerempelt, gestoßen, wie zufällig berührt?” Wertlinger rollte die Augen. “Nein, niemand. Die gute Afra stand genau neben mir.” Leicht die Augen zusammengekniffen und nach wie vor einen harten Ausdruck im Gesicht des Magus: “Was mich auch interessiert: woher wusstet Ihr, dass es sich bei dieser Frau,” er deutete auf das gemalte Abbild, “um eine Hexe handelt? Angenommen, sie ist nur das Opfer eines hm...Missverständnisses...einer Verwechslung… Könntet Ihr es vor Rethon und dem Herre Boron einst verantworten, würde die Seele einer Unschuldigen durch euer Werken...,” an dieser Stelle nahm Helswin den Steckbrief wieder an sich, um zu verdeutlichen, was er mit dem Begriff Werken meinte. “...in Gefahr geraten?!” Helswins Stimme hatte stetig an Intensität gewonnen. Bevor Wertlinger antworten konnte, ließ er den Nachdruck jedoch gänzlich fallen und lächelte kühl, als er fortfuhr. “Das sind natürlich nur rein hypothetische Gedanken. Ich nehme an, dass Ihr aufgrund der Höhe des euch entstandenen Verlusts… Schadens... mehr als diesen Anschlag unternommen habt. Liege ich damit richtig?” In seiner Hand spürte Helswin das vertraute Kribbeln seines Astralkörpers. Bereit, Kräfte freizulassen, falls dies nötig würde.

Von dem möchte ich nie ernsthaft verhört werden. zollte Nivard der Gesprächsführung Helswins in Gedanken Respekt. Und vielleicht auch gut, dass dieser das Gespräch so dominierte - der junge Krieger wäre sonst drauf und dran gewesen, die Taktik zu wechseln, und Wertlinger damit zu locken, Doratrava gesehen zu haben, oder sogar damit zu konfrontieren, dass es sich bei dieser um die zu beschenkende Freundin handeln könnte. Je nachdem, wie die Befragung weiter verlief, konnte er ja immer noch entweder Helswin offen beispringen und damit den Druck auf Wertlinger erhöhen (was ihm besser gefallen würde) oder dem Krämer vermeintlich zu Hilfe kommen (Rondra bewahre, nach solch eine Scharade stand ihm gar nicht der Sinn). “Aber natürlich. Man hat mir ja gesagt, dass sie das war, diese Dora! Sie hatte zwar keine roten Haare, aber diese Augen und Ohren, die Zauberei. Das kann ja nur eine Hexe sein!” Ja, natüürlich, eine elfische Hexe, klar, die gibt es ja auch wie Kiesel am Fluss und außerdem ist alles, was anders ist, per se böse, ich verstehe…. Helswin verdrehte abermals innerlich die Augen vor diesem stupidem Kleinbürgerdenken. In Elenvina hätte niemand solche Schlüsse zugelassen. Doch hier in der Provinz konnte so ein Stumpfsinn wurzeln. Trotzdem horchte er auf: “Die Diebin wurde also bei der Tat gesehen? Interessant. Von wem?” Entweder gab es Mitwisser oder noch mehr Kleingeistige hier als den einen, der vor ihnen stand. “Afra hat es gesehen. Sie meinte, sie hat die Hexe dabei beobachtet, wie sie mit leichten Finger, den Beutel gestohlen hatte. Leider waren zu viele Leute zugegen und sie konnte mich nicht rechtzeitig warnen.” In Helswin wuchs die Wut. Glaubte dieser Kerl eigentlich, dass jemand seine Lügen ernsthaft glaubte? Glaubte er etwa selbst daran, dieser Irre?


Der Kaufmann zog die Luft schnaufend ein. “Leider ist der hiesige Hauptmann faul und kümmert sich nicht darum, dass die Diebe immer mich berauben. Nun, immer wenn mich jemand bestiehlt, folge ich Praios Ruf und zeige der Welt ihr schändliches Gesicht. Aber Menschen sind gierig, eine Belohnung hilft, dass sie der Gerechtigkeit genüge tun. Ich bezahle aber nur, wenn der Dieb auch der Obrigkeit überbracht wird.” Nun schaute er den Magier mit einem wissenden Blick an. Helswin ließ sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. “Ihr müsst euch also um alles hier selbst kümmern. Bedauerlich. Euren Ärger kann ich verstehen.” Er nickte, denn die Beweggründe Wertlingers leuchteten ihm ein. Unabhängig davon hatte er allerdings nach wie vor keine gute Meinung von dem Mann, da änderte auch sein Verständnis nichts daran. “So bleibt euch natürlich nichts anderes übrig als das hier. In der Tat.” Er hob den Steckbrief hoch, warf dann einen kurzen Blick zu Nivard, ehe er den Händler wieder fokussierte. “Und wo findet ihr eure Schergen für dieserlei Dinge? Ihr werdet doch wohl nicht unter eurer Kundschaft werben?” Ohne jedoch eine Antwort abzuwarten, wandte der Magus sich dem jungen Krieger zu: “Junger Herr, wie steht es um euch, es gibt 10 Dukaten für eine flüchtige Diebin zu erlangen.” rief er den Tannenfels salopp an, während er den Steckbrief herum reichte. Nivard nahm den Streckbrief in die Hand, drehte sich so, dass Helswin seine Mimik sehen musste, Wertlinger aber nicht, und hob fragend die Augenbrauen, darauf hoffend, dass ihm der Magus ein Signal geben möge, wenn sein Einsatz willkommen war. Der wandte sich aber sogleich wieder Wertlinger zu. Die Miene des Magus verdunkelte sich und starre Augen fokussierten den Händler, als dringe er tief in die Gedanken des anderen ein. “Nein. Das braucht ihr nicht. Ihr habt eure Männer für diese Art von Arbeit, nicht wahr?” Eine rhetorische Frage. Und die Hand des Magiers, die plötzlich mit einem lauten Knall auf den Tresen schlug, als dieser sich darüber hinweg dem Händler entgegenstreckte, eindringlich und zornig blickend, während der Kristall in der Spitze seines Stabes aufglomm. “Ich frage euch noch einmal, Meister Wertlinger: könnt ihr guten, reinen und götterfürchtigen Gewissens sein, eine möglicherweise Unschuldige in großes Leid und vielleicht auch den Tod zu stürzen, indem ihr sie des Diebstahls bezichtigt und wie Vieh jagen lasst? Könnt ihr den Mord an ihrem Rufe, das Brechen ihrer Knochen, das Schänden ihres Leibs, ihre Angst, ihren Schmerz, ihre Seelenpein, ihre Entehrung vor dem Götterfürsten Praios und seiner elf göttlichen Geschwister verantworten, ihr, Wertlinger, der ihr vorgebt so götterfürchtig nach Gerechtigkeit zu streben, sagt, KÖNNT IHR DAS?!?” Die letzten Worte verklangen nur langsam, denn sie waren mit Macht gesprochen.

Im Lichte des Kristalls des Magierstab schreckte der Krämer zurück. Mit Angst erweiterten Augen stieß er einen erstickten Laut aus und ging zwei Schritte zurück. Zwei Pfannen polterten dabei zu Boden. “Aber NEIN! Ich meine … der Söldner und seine Leute suchen auch nach ihr. Aber wer zuerst kommt, bekommt die Belohnung! Und … und … sie ist ja schuldig. Sie sollen sie ja nur zu mir bringen ...oder meinen Besitz. Bitte Herr Magier, TUT MIR NICHTS!” , schrie er jetzt panisch.

Während des Verhörs trafen die Anderen vor dem Laden des Krämers ein. Hauptmann Gagrix, gefolgt von dem Gardisten Ado, lief schnurstracks auf das Fachwerkhaus zu, hielt dann aber an. Er drehte sich zur Doratrava und ihrem Gefolge. “Also, bevor wir da reingehen. Ihr seid euch also sicher, wegen der Sache? Falls ihr recht habt, wird das dem Schulzen und dem Bürgermeister nicht sonderlich schmecken. Ich befürchte auch, dass der Vogt von Nilsitz die Vögtin von Fallenwerth dazu holen wird.” Er sah jedem noch einmal eindringlich in die Augen. Sabea schaute unbeeindruckt zurück, stellte sich aber hinter die Gauklerin und legte ihre beiden Hände schützend auf ihre Schultern.

Doratrava sah ob der Ermahnung nicht glücklich aus, außerdem fühlte sie sich durch Sabeas Fürsorge zwar einerseits irgendwie geborgen, andererseits auch wie ein kleines Kind behandelt, was ihr nicht sehr behagte. Doch sie widerstand dem ersten Impuls, den großen Händen der wuchtigen Frau zu entgehen, um möglichst keine Unsicherheit auszustrahlen. Statt dessen nickte sie nur stumm. Rondradin erwiderte ungerührt den Blick des Hauptmanns, überließ es aber Doratrava auf dessen Frage zu antworten. Stattdessen nahm er nun die Front des Ladens in Augenschein und tatsächlich konnte er dort mehrere andere selbstverfasste Steckbriefe ausmachen. Der Geweihte kniff die Augen zusammen, als ihm klar wurde, dass hinter jedem dieser Steckbriefe unter Umständen ein weiterer Überfall auf Unschuldige steckte. Entweder war der Händler ein ausgemachter Pechvogel oder ein überaus bösartiger Gauner. Rondradin wandte sich an Gagrix: “Wollt Ihr nicht gleich den Bürgermeister informieren? In der Zwischenzeit würde ich ein ruhiges Wort mit dem Herrn Wertlinger wechseln. Vielleicht ist er zugänglicher, wenn die Stadtwache nicht direkt involviert ist.” Gagrix seufze kurz. “Na gut, wartet hier. Ich benachrichtige den Bürgermeister. Ado du bleibst vor dem Laden und falls seiner Gnaden dich braucht, hilfst du ihn.” Mit leicht besorgtem Gesicht machte er sich auf den Weg.

Rondradin ging diesmal voran und ging in den Laden und Doratrava und Sabea folgten ihn. Als sie den Verkaufsraum betraten erwartete sie ein unerwarteter Anblick. Nivard stand etwas abseits, aber Helswin stand bedrohlich mit leuchtenden Stab vor dem Krämer. Dieser wiederum hielt die Hände schützend vor sich, sein Gesicht angstverzogen und schrie: “...Bitte Herr Magier, TUT MIR NICHTS!” “ANTWORTET!” drang Helswin weiter in den Mann. Noch einmal schlug die Hand des Magiers auf den Tresen. “AUF DIESE EINFACHE FRAGE!” Nivard musste im Verlauf des Gesprächs zunehmend an sich halten, um Helswins geübt geführtes Verhör nicht zu stören, das Wertlinger offenkundig auch genau dorthin gebracht hatte, wo der Magier ihn haben wollte. Aber nun hatte er mehr als genug gehört von diesem alten verleumderischen Feigling und seinen unerträglichen, haltlosen Beschuldigungen, die mit jeder Frage Helswins mehr in sich zusammenstürzten. “Ihr solltet froh sein, wenn nur der Herr Magus sich Eurer annimmt, Herr Wertlinger!” stieß er wütend hervor. “Oh, bei Praios das solltet Ihr!” ergänzte der Plötzbogen düster und ließ keinen Zweifel daran, dass er bereit war, auch andere Konsequenzen einzuleiten. Just in diesem Moment sah er die anderen in den Raum eintreten, und ein zornig verzerrtes Lächeln trat in sein Gesicht: “Ich darf Euch im Übrigen meine tänzerisch begeisterte Freundin vorstellen, für die ich mich vorhin in Euren Auslagen umgesehen habe!” Nivard war sich recht sicher, dass der Krämer sogleich winselnd hinter seiner Theke versinken würde…

Beim Aufschrei des Krämers prallte Doratrava zurück und stieß an Sabea, die sie immer noch an den Schultern hielt, als müsste sie sicherstellen, dass die Gauklerin nicht im nächsten Moment die Flucht ergriff. Das Innere des Ladens, das Sammelsurium an kuriosen Gegenständen, die Gerüche nach Gewürzen und Duftölen, nahm sie nur am Rande wahr, als sie die hagere, wenig beeindruckende Gestalt des Händlers, dessen Gesicht angstvoll verzerrt war, in sich aufnahm. Das also war der Mann, der für all das Ungemach verantwortlich war … irgendwie konnte sie sich das gar nicht vorstellen. In ihr hatte sich während der letzten Zeit eher die Vorstellung eines düsteren, kalt berechnenden Widerlings festgesetzt, dem die Gestalt dieses armen Würstchens, das in seiner Freizeit offenbar nichts besseres zu tun hatte, als Strichzeichnungen anzufertigen, Hohn sprach. Aber gut, umso besser für sie. Die Gauklerin hatte sich mittlerweile wieder gefangen und betrachtete gespannt das Schauspiel, das Helswin und Nivard, dem sie verstohlen zuzwinkerte, hier boten. Doratravas kurzes Zurückwanken entging Nivard nicht, und es war nicht dazu angetan, seinen Zorn zu legen. Aber nur wenige Sandkörner später hatte sich die Gauklerin offenkundig gefangen und schien die Sache wieder wenigstens etwas leichter anzugehen - Nivard stutzte dennoch darob, und erwiderte das Zwinkern erst mit etwas Verspätung. Ein lauter, durchdringender Pfiff schrillte durch den Verkaufsraum. Nivards Augen zuckten kurz zu Rondradin, dann vergewisserte er sich rasch, dass auch Wertlinger sich dem Geweihten zuwandte und gleich seinen verleumderischen Untaten stellte, anstatt weiter angsterfüllt zu schreien und zu wimmern oder, noch schlimmer, am Ende noch die Flucht zu ergreifen: “Wollt Ihr Eure neuen Gäste nicht ansehen, vor allem, wenn Euch seine Gnaden dazu auffordern?” zischte er in Richtung des Händlers. Als Rondradin sich der Aufmerksamkeit aller gewiss war, ließ er seine Hand wieder sinken. “Und nun wollen wir uns alle wieder etwas beruhigen.” Sein Blick wanderte zwischen Nivard und Helswin hin und her.

Der junge Krieger zügelte seinen Zorn in der Tat, wenigstens für’s Erste. Ein weiterer Seitenblick zum Krämer ließ zwar die rechte Hälfte seiner Oberlippe gleich wieder verächtlich nach oben zucken, dann erwiderte er jedoch: “Der erste Eindruck mag täuschen - wir führen hier nur ein aufschlussreiches Gespräch, voll interessanter EInlassungen des Herrn Wertlinger. Nicht wahr, hochgelehrter Herr?” spielte er den Korkball weiter zu Helswin. “In der Tat.” antwortete dieser mit ruhigem Ton, während ER Wertlinger allerdings nicht aus den Augen ließ. Der Blick des Rondrianers ruhte nun auf dem Händler, den er mit ruhiger Stimme ansprach. “Rondra zum Gruße, Herr Wertlinger. Geht es Euch wohl? Wie Ihr sehen könnt, befindet sich jene junge Dame in meiner Gesellschaft, welche Ihr fälschlicherweise des Diebstahls und der Hexerei beschuldigt. Sie befindet sich in meiner Obhut, Schmähungen ihrer Person, egal welcher Art, werde ich keinesfalls dulden. Im Gegenzug versichere ich Euch, dass Euch hier kein Leid geschehen wird. Wir wünschen nur ein klärendes Gespräch. Darf ich auf Eure Zustimmung hoffen?” Wertlingers Zögern dauerte Helswin einen Tick zu lange. “Seine Gnaden stellte euch eine Frage. Antwortet gefälligst und zeigt - wenn euch schon nicht nach Ehrlichkeit oder Reue ist - wenigstens Demut vor einem Diener Rondras!” Und einem raschen Kopfnicken zu Nivard: “Ergreifen! Sonst tue ich es.” Was er damit genau meinte, ließ er offen. Helswin hoffte sehr, dass Wertlinger bald eine gewisse Einsicht erreichte, ansonsten sah er die nahe Zukunft für diesen Kerl sehr dunkel.

Rondradin schüttelte seufzend den Kopf. Was machte dieser Magier nur? “Haltet ein, Nivard! Niemand ergreift diesen Mann, das ist Aufgabe der Stadtwache!” Schallte es im Kasernenton durch das volle Ladenlokal. Bedeutend ruhiger sprach der Geweihte sodann weiter. “Habe ich nicht gerade eben noch gesagt, dass sich alle beruhigen sollen?” Rondradin warf Helswin einen warnenden Blick zu. So sehr Nivard sonst auch die besonnene und zugleich geradlinige Art des Geweihten der Schärfe und dem taktischen Kalkül des Magus’ vorgezogen hätte, so gerne hätte er hier den elenden Krämer ergriffen. Dieser war kurz davor, reumütig zu gestehen, dessen war er sich sicher. Aber Zorn war kein guter Ratgeber… Der junge Krieger hielt in der Bewegung inne. Davon machen würde sich Wertlinger auf jeden Fall nicht so einfach... Seit wann geben Rondrianer hier das Kommando… fragte sich Helswin und blickte entsprechend erbost zurück. Doch er war nicht dumm, und ein Kompetenzgerangel vor dem Delinquenten sah nie gut aus, daher wich er von der Theke zurück und hob somit die Bedrohung des Händlers auf. Der Kristall in seinem Stab glomm weiter. Wie eine stille Mahnung. Bedauerlich… Wirklich bedauerlich…

Die Panik war jetzt auf dem Gesicht des Krämers nicht mehr zu verbergen. Wie ein wildes Tier schaute er vom Magier, zum Krieger und dem Rondrageweihten. “Aber … ich wurde doch bestohlen … die Afra hats gesehen …”, jammerte er vor sich hin. Doch so schnell gab der Offizier nicht auf. Er trat an Doratrava heran, deutete ihr an, einige Schritte mit ihm in Richtung Theke zu tun. “Dieser Kerl wird euch nichts tun, seid ohne Sorge.” raunte er ihr zu. Lauter fuhr der Magus sogleich fort. “Wertlinger! Ich will, dass Ihr es dieser Frau selbst ins Gesicht sagt, was er ihr vorwerft und warum ihr sie jagen lasst wie räudiges Vieh. Sie soll es aus EUREM MUND erfahren. Alles. Und ihr werdet ihr dabei INS GESICHT SEHEN. Bei Praios!” Ein Seitenblick in Rondradins Richtung, begleitet von einem inneren Stöhnen, “...und Rondra.” Entnervt wandte sich Rondradin ebenfalls Doratrava zu. "Ich wollte das hier ruhig und friedlich lösen. Nicht mit Einschüchterung und Gewalt. Entweder geht der Magier oder ich." Doratrava sah unschlüssig vom Magier zu Rondradin zu Wertlinger und streifte auch Nivard mit einem Blick. Sabea stand ja noch hinter ihr, so konnte sie deren Reaktion nicht erkennen. Das hier überforderte sie, sie hatte ja keine Ahnung, was vor ihrem Eintreten zwischen Helswin, Nivard und dem Krämer schon abgelaufen war, aber vermutlich nichts Harmonisches, wenn sie in Wertlingers noch immer schreckgeweitete Augen sah. Doch dann gab die Gauklerin sich sichtlich einen Ruck und trat zwei Schritt nach vorne, den sicheren Schatten Sabeas verlassend. “Bitte!” rief sie mit vor Anspannung zitternder Stimme in die Runde. “Lasst den Mann doch einfach zu Wort kommen! Dann können wir hoffentlich gleich alle gehen!” Sie warf Rondradin einen bittenden Blick zu. Irgendwie hatte sie sich das alles anders vorgestellt. Nein, eigentlich hatte sie sich gar nichts vorgestellt.

Sabea schwieg, aber ihre Atmung wurde langsam aber stetig schneller. ´Ja spinnen die alle hier? Es geht nicht darum, wer den Größten hat, sondern diesen Wicht zur Ordnung zu bringen. Männer!´, ging es ihr durch den Kopf. Dann setzte sich die fast 2 Schritt große, vollbusige und schwere Frau in Bewegung. Die drei Männer ignorierend packte sie den Krämer am Kragen. Mit festen Blick schaute sie ihn an und nickte langsam. Diese wurde still und nickte mit ihr. “Gut das wir uns verstehen, Würstchen. Du kommst jetzt mit und wir klären das mit deinem Hauptmann.”, sagte Sabea langsam und bestimmt. Sie drehte sich um und zog den Wertlinger, immer nach am Kragen gepackt, mit zum Ausgang. “Gardist Ado, macht eure Arbeit und bringt den Krämer in eure Obhut, bis der Hauptmann kommt.” Dann drehte sie sich zu ihren Begleitern um. “Wenn die Befindlichkeiten geklärt sind, würde ich mich auf eure Unterstützung freuen.” Dann sprach sie Doratrava an. ”Komm, Blümchen. Der Krämer muss sich bei dir noch entschuldigen.” Hoffentlich hatte Geldas in jeder Hinsicht große Schwester nicht gerade alles zunichte gemacht! Ob der Krämer noch immer so klein und eingeschüchtert bliebe, wenn er mal bei der Stadtwache saß - immerhin hatte diese ihn bislang gewähren lassen... und wer wusste, wer hier in diesem Ort alles auf dessen Seite stand. “Wartet bitte! Ich glaube, die Befindlichkeiten oder Missverständnisse unter uns können wir auch später noch klären!” Nivard sah beschwörend in die Runde. “Immerhin verfolgen wir alle das gleiche Ziel. Und ich glaube, dass der Herr Wertlinger am liebsten bereits hier und jetzt und in diesem Kreise sein Herz erleichtern und sich Doratrava gegenüber erklären möchte.” Die letzten Worte hatte der junge Krieger langsam und mit Nachdruck gesprochen. “Das sollte er dringend tun!” kam es auch von Seiten des Magus.

“Wir gewähren im hierzu gerne die Zeit. Und die nötige Sicherheit. In der Obhut eines Geweihten der Rondra, eines Magus im Dienste des Herrn Praios sowie untadeliger Nordmärker Adeliger hat niemand etwas zu fürchten, der Recht, Gesetz und die Wahrheit im Schilde führt. Und nichts anderes trifft auf Euch zu, Herr Wertlinger, nicht wahr?”

Die Altenbergerin schaute Nivard abschätzig an. “Nun, Krämerlein, ihr habt die Männer gehört. Wir wollen doch keinen weiteren Ärger oder?”, fragte sie den Wertlinger. Noch immer im festen Griff der großen Frau, blinzelte der Krämer in die Runde. “Doratrava?.. Na da müssen sich die Söldner getäuscht haben. Ich suche ja eine Dora.” Er schluckte und versuchte ein Lächeln. “Verehrte Dame. Es tut mir sehr leid, wenn euch jemand Schaden zugefügt hat. Ein Missverständnis. Ich ...ich habe die Diebin auch gar nicht richtig gesehen. Die Händlerin Afra hat mir das ja alles erzählt. Und ich schwöre bei den Göttern … Ich habe den Söldnern nicht aufgetragen die Gesuchte zu verletzen. Kann … kann ich jetzt gehen?” fragend schaute er weiterhin in die Runde. Ja ist denn das zu fassen, noch mehr Lügen und Ausflüchte… und noch mehr Dilettantismus…. “Nein. Das könnt ihr NICHT!” ergriff nun wieder der Magier das Wort, bevor es jemand anderes tun konnte. “Ihr bleibt schön da und seht euch diese ‘Dora’ sehr genau an. Und dann seht ihr euch die Gesuchte auf dem Wisch an, den ihr ohne zu zögern bereit wart auszuhängen, und dann erklärt ihr den Anwesenden noch einmal, ob es sich wirklich um ein Missverständnis handelt. Eure Glaubwürdigkeit jedenfalls ist keinen Kupfer mehr wert.” sprach er, bevor er eine Frage stellte, nur noch eine einzige: “Wo finden wir diese Afra?” Helswin war dieser Sache nun so viel überdrüssig, dass er den Abgang selbst wählte. Ansonsten fürchtete er, sich an einem Diener der Zwölf zu vergreifen. Oder an einer, die er eigentlich umwerben sollte.

Was passierte hier? Doratrava sah ringsum in mehr oder weniger erregte Gesichter, und die Erregung galt nicht allein den Taten des feinen Herrn Wertlinger. Ein Zwist unter ihren Freunden oder im Falle Sabeas und Helswins ihren Mitstreitern war das letzte, was sie wollte. Aber das konnte wohl kaum im Angesicht des Händlers geklärt werden, zumal sie nicht recht verstand, worin überhaupt das Problem lag, vielleicht auch, weil sie nun eher darauf fokussiert war, ihr eigenes Problem aus der Welt zu schaffen. Sie versuchte, den sich anbahnenden Streit auszublenden und sprach statt dessen den Wertlinger an, wobei ihrer Stimme nun durchaus ein wachsender Zorn innewohnte. “Erstens glaube ich dir nicht”, schleuderte sie dem schleimigen Kerl entgegen, “und zweitens: wie stellen wir sicher, dass diese ‘Söldner’ mir nicht morgen erneut auflauern? Wer sind die überhaupt, wie tauscht ihr Nachrichten aus? Du musst ihnen sagen, dass sie die Falsche jagen … nein, du musst ihnen sagen, dass du nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben willst!” Am liebsten wäre ihr allerdings, wenn man die Schläger einfach irgendwie aus dem Verkehr ziehen könnte … und den Wertlinger gleich mit. Wenn sie an die ‘Steckbriefe’ am Eingang seines Ladens dachte, stellte der Mann mindestens ein Ärgernis, wenn nicht eine Gefahr für seine Umwelt dar. Inzwischen widerte die ganze Angelegenheit Rondradin nur noch an, einzig sein Versprechen Doratrava gegenüber hielt ihn davon ab sofort zum Gänsenest zurückzukehren. Stattdessen zog der Geweihte sich ein wenig zurück, so dass er die gesamte Szene erfassen und notfalls eingreifen konnte. Solange aber niemand handgreiflich wurde, würde er sich nicht mehr einmischen.

Nivard spürte, wie Rondradin sich innerlich zurückzog. Und auch Helswin wirkte pikiert, und das wohl nicht nur aus gerechtem Zorn auf Wertlinger. Wahrscheinlich war dies vor allem sein eigener Fehler, nämlich den Magus nicht von Anfang an aus der Sache rausgehalten zu haben. Andererseits hatte dieser, trotz seines teils großspurigen Auftretens, Wertlinger genau dorthin getrieben, wo sie ihn haben wollten. Oder eher mussten. Unangenehmen Menschen wie diesem Krämer konnte man vielleicht auf ritterliche Weise nicht immer beikommen. Warum konnten sich nicht einfach alle auf das gemeinsame Ziel konzentrieren, Doratrava aus dieser Bredouille zu helfen? Bevor sich alles ganz zerstreuen konnte, ergriff er, mit barschem Tonfall, das Wort: “Die Dame, meine Freundin, hat vollkommen Recht. Ihr werdet uns nicht nur sagen, wo wir diese Afra finden, sondern auch, wo die von Euch gedungenen Söldner anzutreffen sind. Ihr werdet uns ein Schreiben mit auf den Weg geben, dass diese zurückpfeift, und das wir diesen später, so notwendig, mit Nachdruck erläutern werden. Vorher geleiten wir Euch gerne in die Obhut der Stadtwache, wo Ihr alles nochmals getreulich erklären werdet, und neben dem Schlamassel, dass Ihr in dieser vermeintlichen Diebstahlsache angerichtet habt, auch die anderen Steckbriefe da draußen nicht auslasst. Vor allem aber werdet Ihr coram publico Abbitte leisten für das, was Ihr der Dame Doratrava mit Eurem Handeln angetan habt. Auf dass ihre Ehre hier wieder hergestellt sei, und fürderhin ein jeder wisse, wie Eure eigenmächtig aufgehangenen Steckbriefe zu bewerten sind! Verstanden?” Sabea dachte nach. Sie verstand die Männer, dass sie wütend waren, aber hatten sie nicht selbst gesehen, das dieser Krämer nicht ganz richtig tickt? Auch wenn sie ihre Forderungen an ihn stellten, konnte das nicht nur ein Richter oder Bürgermeister entscheiden, wie mit ihm zu verfahren waren? Der Magier, der sich wie ein Bannstrahler verhielt, was waren eigentlich seine Befugnisse in dieser Sache? Eine Entscheidung eines Geweihten, eines Rondrageweihten sogar, hätte sie respektiert, aber dieser hielt sich offensichtlich zurück. Ja, in Elenvina wäre das hier anders verlaufen. Vielleicht wäre ihr Oheim Winrich der Richtige in dieser Sache? Ihr Familie würdes das ganz sicher nicht schmecken. Auch wenn sie den Krämer am liebsten solange geschüttelt hätte, dass dieser nicht mehr wüsste wo oben und unten war, hielt sie sich zurück. Wieder schluckte der Wertlinger, dem nun die Schweißtropfen seinem Gesicht runter liefen. “Also, das ist schon die Gauklerin, die ich gesehen habe.” Er blickte Doratrava an, die Furcht war darin zu lesen. “Afra. Afra Korber. Sie ist eine fahrende Händlerin aus Herzogenfurt. Sie pendelt immer zwischen Herzogenfurt und Elenvina. Sie hatte mir erzählt, das ihr … mich bestohlen habt. Und das ihr Dora heißt.” Mit gesenkten Blick drehte er sich dem Krieger zu. “Na dieser Rangold, die Leute nennen ihn ´den Unfehlbaren´, hat sich mir angeboten die Diebin zu finden. Aber bis jetzt ist er nicht zurückgekehrt nach Twergenhausen.” Der Krämer nahm flehend die Händer zusammen und schaute wieder zur Gauklerin. “Ich schwöre bei Praios, es war nicht meine Absicht euer Leben zu gefährden. Nur meinen Besitz zurück zu bekommen. Ich sehe aber meinen Fehler ein. Ich werde gleich einen Brief schreiben und alles aufklären und wenn ich diesen Rangold sehe mit seinen Leuten, werde ich ihn zur Rechenschaft ziehen. Und ..Und natürlich werde ich euch entschädigen. Aber bitte, tut mir nichts!” Nun ließ er seinen Kopf resigniert hängen.

“Was machen wir nun mit ihm?” stellte Sabea die Frage in den Raum. “Wir warten auf den Hauptmann der Stadtwache, wie wir es mit ihm abgesprochen haben, bevor er zum Bürgermeister aufgebrochen ist.” Konnte man die Stimme des Geweihten aus einer düsteren Ecke vernehmen. Sein Kopf und ein Teil des Oberkörpers schälte sich aus der Düsternis als der Geweihte sich vorbeugte. “Herr Wertlinger, niemand hier wird Hand an Euch legen. Aber sagt mir, wie verhält es sich mit euren anderen Steckbriefen?” Innerlich seufzte Rondradin, nun hatte er doch wieder gesprochen. Allerdings erschien ihm der Händler nicht als übler Geselle. Wenn er kein exzellenter Lügner war, dann war der Wertlinger nur ein weiteres Opfer. Die reisende Händlerin erschien ihm äußerst verdächtig und dieser Söldner war ebenfalls suspekt. Nun, wenn diese Händlerin zwischen Herzogenfurt und Twergenhausen reiste, standen die Chancen nicht schlecht, sie auf dem Weg nach Herzogenfurt zu treffen. Außerdem könnte er seiner Tante in Schluchtingen bescheid geben. Vielleicht kannte man dort die Händlerin, lag der Ort doch am Halwartsstieg. “Ach und noch eine Frage. Mit was handelt diese Afra Korber?” “Die Anderen?”, der Krämer schreckte ein wenig zusammen. “Na, die haben mich auch bestohlen.” Vorsichtig suchte er den Blick des Geweihten. “Afra handelt mit allem. Aber auch viele Tinkturen. Sie ist eine Krämerin auf Rädern. Und … sie ist vor einer Woche nach Herzogenfurt weitergereist. Es passiert wohl viel dort um diese Zeit … gut für das Geschäft, wisst ihr?” “Nach Herzogenfurt also, soso…” Nivard warf einen vielsagenden Blick in die Runde. Wie gut sich das traf… Jetzt würde er nicht nur als Geleitschützer, Depeschenbote, Werber um Gelda (und nur Gelda) und um zu verhindern, dass seine Mutter ihm eine ganz andere Dame als Gemahlin zuschacherte, in die Stadt reisen, in der offenbar fast alle aktuellen Schicksalsfäden seines Lebens zu einem riesigen Knoten zusammen liefen (wenn jetzt noch die junge Frau, wegen der er - wenigstens in Elenvina - zu einem besonders frommen Anhänger des Efferd mutiert schien, dort auftauchte, sogar wirklich alle). Nein, sie würden dort auch Doratravas Sache weiter nachgehen. Falls diese nicht restlos bedient war von der Hilfe, die er mehr oder minder freiwillig angeschleppt hatte… er würde später Helswins Beitrag Doratrava und Rondradin gegenüber gerade rücken müssen. Vielleicht könnte dieser auch in Herzogenfurt noch eine Hilfe sein… Jetzt mussten sie aber erstmal die Sache hier klären: “Und woher wisst Ihr, dass die anderen Euch bestohlen haben, wenn ich fragen darf?” wandte Nivard sich wieder an Wertlinger. “Habt Ihr selbst sie ertappt, oder habt Ihr das auch von so glaubwürdigen Zeugen erfahren?” Helswin hatte einen Verdacht. Noch äußerte er ihn nicht, sondern wartete ab, welche Wendungen diese Sache noch nahm. Der Kristall am Ende seines Stabes glomm noch immer, vielleicht nicht mehr ganz so intensiv.

Irgendwie konnte Doratrava den Beteuerungen des Krämers immer noch nicht so recht trauen, egal, wieviel Mühe er sich zu geben schien. Hoffentlich unternahm der Hauptmann der Stadtwache etwas, wenn er wiederkam, und hoffentlich machte der Bürgermeister oder sonstwer nicht gleich morgen wieder alles rückgängig, was sie heute erreichten. Und diese Afra … wie konnte sie etwas gesehen haben, das gar nicht passiert war? Hatte sie den Wertlinger belogen - oder war das mit Afra nur eine weitere Ausflucht des Kerls? Im Moment hielt sich die Gauklerin aber zurück, der Wicht sollte erstmal Nivards Frage beantworten. Langsam schien der Krämer sich wieder zu entspannen, auch wenn sein Kragen noch immer fest der starken Frau war. “ Wenn ihr mich so fragt, edler Herr. Ertappt habe ich leider niemanden auf frischer Tat. Aber die gute Afra und mein Gehilfe Barfried waren wenigstens Zeuge und meine Inventarliste spricht für sich. Diebe erkennen meine gute Ware!” Jetzt schlich sich sogar ein Hauch von Selbstsicherheit in seine Stimme. In der Zwischenzeit erschien nun auch der Gardist Ado im Türrahmen und schaute ein wenig unsicher und ratlos zum Krämer. “Das darf doch nicht wahr sein!” entfuhr es Nivard. “Keinen einzigen habt Ihr selbst ertappen können? Wie viele der draußen angeschlagenen Diebe wurden denn dann, ganz zufällig von dieser Afra beobachtet? Und wie viele von Eurem Gehilfen? Wenn ich Euch recht verstehe, kommt diese Afra nur gelegentlich bei Euch vorbei, am Ende ihrer Reisestrecke, richtig? Wie oft ist das denn im Jahr?” Nivard hoffte, dass nun der Heller auch bei diesem Einfaltspinsel von Krämer fiel. Oder war dieser doch gerissener, als man ihm zutraute und lenkte gerade, sich naiv gerierend, den Verdacht auf die fahrende Händlerin und seinen Gehilfen? Ob Helswin oder die anderen ihn wohl durchschauten? “Und wo finden wir jenen Barfried? Hier in diesem Haus, oder treibt er sich gerade sonstwo herum, so sprecht!” “Ja, so alle paar Wochen, sie pendelt ja zwischen Herzogenfurt und Elenvina … aber wieso fragt ihr … ihr meint doch nicht etwa …?” Langsam schien dem Wertlinger ein Licht aufzugehen. Plötzlich hörte man ein Poltern, das aus der ersten Etage stammte. Gefolgt wurde dies von einem Rumpeln, das von oben nach unten ging … an der rechten Außenseite des Hauses.

Sofort war der Magier hellwach. “Wer ist da oben?” wollte Helswin barsch von Wertlinger wissen, noch bevor der mit einem zaghaft gemurmelten “Barfried?” sowohl Helswins Frage, als auch sich selbst antwortete. Der Gardist schaute weiter zur hölzernen Decke, während Sabea die Augen misstrauisch zusammen kniff und dann Helswin nachsah, der sogleich in Richtung der Tür stürmte. Die Wendung war eingetreten. Oh, er hatte es ja gewusst…! Der Gehilfe Barfried … Zeuge … wer käme besser unbemerkt an Ware von Wertlinger heran … Doratrava wirbelte herum, als der Magus an ihr vorbei zur Tür schoss. Sie hechtete ihm nach, ebenfalls hinaus, wobei wenigstens sie den eben schon von Helswin zur Seite gedrückten Gardisten mit einem gemurmelten “‘schuldigung” bedachte. Wenn die Geräusche nicht getäuscht hatten, versuchte der Gehilfe gerade über die Fassade zu fliehen, und das durften sie nicht zulassen! “Bringt diesen Barfried her!” Der Ruf des Geweihten klang laut in dem engen Verkaufsraum. Nivard und sich selbst räumte er nur geringe Chancen ein, den Gehilfen einzuholen, sollte dieser durch die Gassen der Stadt zu flüchten versuchen. Ihre schweren Rüstungen bremsten sie zu sehr aus. Stattdessen würde Rondradin hierbleiben und dem Händler Gesellschaft leisten. Für diesen mussten die gerade gewonnenen Erkenntnisse besonders erschütternd sein. Ja, sie war groß. Ja sie war stark. Und ja, ihre Erscheinung reichte oft Probleme zu lösen. Was Sabea aber nicht war, war beweglich und schnell. “Hole ihn dir, Blümchen!”, rief sie Doratrava hinterher. “Meint ihr ich kann ihn loslassen?” fragte die Altenbergerin den Rondrageweihten.

Er war zwar nicht gefragt, antwortete aber dennoch: “Eine Fluchtgefahr dürfte wohl nicht mehr bestehen. Ich glaube, Ihr könnt ihn loslassen. Wenn Ihr hier bleibt, schaue ich kurz, ob ich draußen helfen kann.” gab Nivard hastig von sich, um dann mit strammem Schritt ebenfalls aus der Tür zu stürmen. Der Geweihte hob eine Augenbraue, als Nivard an seiner Stelle antwortete, aber der Krieger hatte recht. Rondradin nickte bestätigend Sabea zu. Auf der Straße angekommen musste er feststellen, dass seine Hoffnungen, den Flüchtigen, der längst außer Sicht war (kurz darauf waren es auch all ihre Mitstreiter), noch einzuholen oder anderweitig zu dessen Festnahme beizutragen, gegen Null gingen. Doratrava, Helswin und die anderen würden das richten müssen. Genügend Leute waren sie ja… Der junge Krieger drehte sich um, da fiel sein Blick auf all die Steckbriefe, die noch immer an der Wand prangten. Wieder regte sich sein Unmut, wenngleich weniger als zuvor. Unwirsch riss Nivard die Pamphlete voll krakeliger Porträts oder Versuchen, ein solches anzufertigen, eines nach dem anderen ab und kehrte mit dem ganzen Stapel in den Kramladen zurück. “Verschaffen wir uns doch mal einen Überblick, wessen Ehre Ihr gleich auch noch öffentlich wiederherstellen wollt.” sprach er beiläufig zu Wertlinger, während er die Zettel auf der Theke ausbreitete. Sabea ließ den Krämer los, der sich auch gleich sichtlich entspannte.

“Keine Sorge … euer Gnaden, ich passe auf.”, sagte der Gardist, der noch ein wenig unschlüssig schien. Der Krämer hob beschwichtigend die Hände. “Ich hoffe ihr glaubt mir. Ich bin widerlich betrogen worden! Und die da,” er zeigte auf die Zettel, “sind alle unschuldig!” der Wertlinger versuchte zu lächeln. Der aufmerksame Betrachter würde einen Hauch von Wahn in den Augen des Krämers vermuten. “Ado, würdet Ihr den anderen bitte folgen? Ihr könnt die Sache aufklären, falls sie auf eure Kameraden von der Stadtwache treffen sollten.” Rondradin trat vor und legte dem Händler beruhigend die Hand auf die Schulter. “Herr Wertlinger ist in guten Händen.” An den Wertlinger gewandt, fuhr er fort. “Wollt Ihr Euch nicht setzen? Benötigt ihr etwas? Etwas zu trinken vielleicht?” Ihm war der wahnhafte Glanz in den Augen des kleinen Mannes nicht entgangen. Von der Verkaufstheke aus beobachtete Nivard, wie sich Rondradin des Krämers annahm. Er schnaubte verächtlich, kurz, aber dennoch vernehmbar. Vielleicht, ja wahrscheinlich sogar, war Wertlinger betrogen worden. Aber derartig blindwütig die Kopfgeldjäger auf die fälschlich des Diebstahls Bezichtigten zu hetzen, machte auch ihn schuldig. Als ob dieser Kaufmann Trost benötigte. Der sollte sich lieber reumütig darauf besinnen, wie er das Unrecht gegenüber Doratrava und all den anderen ungeschehen machen könnte. Auf jeden Fall musste man diesen nicht allzu sanft anfassen: “Ja, Ihr seid in der Tat ein Opfer. Ein Opfer falscher Einflüsterungen, aber auch ein Opfer Eurer eigenen Gier nach Vergeltung. Mit der Ihr - und nur Ihr und nicht die Betrüger und Diebe, denen Ihr aufgesessen seid - viel Leid angerichtet habt.” Rondradin ging zu Nivard und beugte sich vor. "Die Methoden dieses Adeptus haben wohl abgefärbt. Lasst es gut sein, ansonsten bricht er zusammen oder macht eine Dummheit, womit unserer Freundin nicht geholfen wäre. Vertraut mir." Rondradin hatte den Blick Nivards gesucht, als er dies aussprach.

Der Angesprochene erwiderte den Blick. Allerdings teilte Nivard nicht die Meinung des Geweihten. Weder, dass er sich aufführte wie Helswin - vielmehr wunderte er sich, dass Rondradin seinen Zorn, der vor dem Antlitz der Leuin sicherlich als gerecht bestünde angesichts der nicht nur verleumderischen, sondern für die zu Unrecht auch höchst gefährlichen Handlungen des Krämers, nicht teilte. Und, dass er diesen Zorn in den selben Topf steckte wie das sicher weit berechnendere Auftreten des Magus. Sei’s drum. “Ich finde, dass er durchaus an sein Fehlen erinnert werden darf…” flüsterte er zurück, davon ausgehend, dass Wertlinger es dennoch hören konnte, “damit seine Bußfertigkeit noch ein wenig anhält, wenigstens bis er die Ehre Doratravas und der anderen wieder hergestellt hat. Und seine Kopfgeldjäger zurückgepfiffen hat. “ Er sah kurz zu dem Bündel Elend, das der Krämer gerade darstellte, dann zurück zu Rondradin. Sein Gesichtsausdruck wurde sanfter. “Aber gut. Ich will Euch vertrauen. Und meinen Zorn zügeln. Wenn er keinen Mist baut…”

Auf der Gasse

Draußen, auf der anderen Straßenseite, verfolgten die beiden Waffenknechte das muntere Treiben in der Stadt. Seitdem ihr Dienstherr mitsamt den beiden Frauen den Laden betreten hatten, hatte es zwar schon mal laute Rufe von drinnen gegeben, aber ansonsten war alles ruhig geblieben. Plötzlich stieß Raxajida Alarich feixend an und deutete auf eine Gestalt, die sich daran machte das Haus des Händlers über das Obergeschoss zu verlassen. “Schau mal, dem ist die Tür wohl zu gewöhnlich.” Da drückte sich auch schon Helswin dicht gefolgt von Doratrava an dem Maulaffen feilbietenden Gardisten Ado vorbei. Die beiden Waffenknechte lösten sich von der Hauswand und beschleunigten ihre Schritte über die Straße.

´Diese verdammte Gauklerin´, dachte sich Barfried bei sich. ´Und Afra meinte, das wäre einfach, dieser Hergelaufenen alles anzuhängen. Diese dämliche Kuh. Und Friedbar ist ihr anscheinend entwischt, was für eine Scheiße!´ Seine Gedanken überschlugen sich und alles was ihm einfiel war Flucht. Recht ungeschickt schaffte der schlaksige Mann in einfacher brauner Leinenkleidung es aus dem Fenster im oberen Stockwerk. Er kam für den Moment hart auf dem Boden auf, es war allerdings keine Zeit sich zu beklagen. Er riss sich zusammen und nahm die Beine in die Hand. Rannte los. Um sein Leben. …da hörte er hinter sich ein gebrülltes “RIGESCE!”. Einen Augenblick später verlor Barfried die Kontrolle über seinen Körper, als plötzlich seine Beine, Arme und am Ende selbst sein Rumpf lahm, schwer und schließlich steif wurden und der Rennende in seiner Bewegung verharrte. Stehen blieb. Erstarrt zu Stein. Doratrava setzte eben zu einem Sprint an, als sie den vermeintlichen Gehilfen entdeckte, da hörte sie den unverständlichen Schrei des Magiers und sah den Flüchtigen erstarren. Dennoch rannte sie zu ihm, zur Sicherheit, sie wusste ja nicht, was gerade genau passiert war und ob das den Kerl nachhaltig aufhielt.

Alarich und Raxajida verlangsamten ihre Schritte, als der Flüchtende einfach erstarrte. Raxajida war Magie und deren Anwendern gegenüber zwar skeptisch, musste aber zugeben, dass sie sich in diesem Fall aber als recht nützlich erwiesen hat. Leise flüsterte sie Alarich ins Ohr. “Das wäre nützlich gewesen um Palinor während der Jagd ruhigzustellen.” Alarich sah sie erst schockiert an, konnte aber dann ein Grinsen nicht unterdrücken. Die Waffenknechte schlossen zu Doratrava und Helswin auf, die bereits bei dem Erstarrten standen. “Können wir euch behilflich sein?” “Am besten bringt ihr den da”, Doratrava deutete auf den offensichtlich bewegungsunfähigen Gehilfen, “wieder in den Laden, damit er uns wie der Wertlinger ein paar Fragen beantwortet”, übernahm die Gauklerin ganz unbewusst die Initiative, warf dabei aber Helswin gleichzeitig einen fragenden Blick zu. “Er gehört euch,” sagte der nur zu Doratrava, bevor er sich abwandte und zurück zum Laden lief. Alarich deutete eine Verbeugung an. “Wie Ihr wünscht.” Er nahm die Statue in Augenschein. “Und wie lange bleibt der so?” rief Raxajida währenddessen dem Magier nach. “In der Regel ein viertel Stundenglas. Heut etwas mehr.” warf dieser salopp im Weitergehen zurück. Helswin fand genug Dienste geleistet zu haben. Sollten doch nun andere sich verausgaben. Den Kerl zu tragen würde eine Herausforderung werden, den in dieser laufenden Haltung gab es nur wenige gute Griffmöglichkeiten. Die kleine Frau baute sich im Blickfeld des Verzauberten und starrte ihm angriffslustig in die Augen, wobei die Schellen fröhlich klingelten. “Mach keine Dummheiten, das würde dir schlecht bekommen, Bruderschwester!” Ab und an rutschte es ihr immer noch heraus, aber jetzt störte sich noch nicht mal Alarich daran. “Na dann.” Raxajida gab Barfried einen Schubs, so dass dieser hintenüber in die Arme Alarichs stürzte, bevor sie seine Beine ergriff. Sie gaben schon ein seltsames Bild ab, wie sie, begleitet vom durchgehenden Fluchen der Maraskanerin, die in Bewegung erstarrte Gestalt in Richtung des Ladens trugen.

Doratrava sah sich ein wenig unbehaglich um, da sie hiermit bestimmt Aufmerksamkeit erregten. Andererseits war die Stadtwache ja zugegen, es sollte also nichts passieren. Schnell folgte sie den beiden und dem erstarrten Gehilfen bis zum Laden und wieder hinein. Zwar war der Gehilfe offensichtlich der Hauptschuldige, so sah es zumindest aus, aber den Wertlinger mochte sie dennoch noch nicht von jeder Verantwortung freisprechen. Immerhin hatte der ihr die Kopfgeldjäger hinterhergeschickt, und nicht dieser Barfried oder wie der hieß.

Im Namen der Gerechtigkeit

Da waren sie wieder alle versammelt. Der beschuldigte Krämer Wertlinger schaute ängstlich und stand zwischen dem Krieger Nivard, dem Rondrageweihten Rondradin, dem Gardisten Ado und der großen Altenbergerin. In der Mitte des Verkaufsladens lag der erstarrte Verdächtige, Barfried, den die zwei Waffengefährten des Geweihten dort abgelegt hatten. Lässig an eines der Regale gelehnt beobachtete der Weißmagier Helswin die Szenerie und die Gauklerin Doratrava beäugte die Täter zu Füßen des Erstarrten misstrauisch. Doch was sollte als nächstes geschehen? Ein Moment der Stille breitete sich aus, das jäh von einem Räuspern gestört wurde. “Ist er tot?”, fragte eine ältere, rauchige Stimme. Ein ältere Mann, vielleicht in seinen sechzigern, stand mit dem zwergischen Hauptmann am Absatz des Eingangs. Der vorsichtige Blick war gekrönt von weißen, buschigen Augenbrauen, während das Gesicht von einem gepflegten Backenbart umrahmt war. Eine schillernde Amtskette war um seinen Hals gehängt und sein leicht untersetzter Körper war in eine grün-bräunlichen Kombination aus Leinenhemd, Weste, Kniehosen und lederne Schnallenschuhe gekleidet. Hauptmann Gagrix setzte einen Schritt hinein. Sein Blick wanderte von dem Erstarrten, zu dem Gardisten und blieb dann bei dem Geweihten stehen. “Auf ein ruhiges Wort also…”, grummelte dieser in seinen Bart. “Was ist hier passiert?”, fragte er nun laut und befehlsgewohnt.

‘Gut, dass nicht nur ihm diese Frage gekommen war.’ Nivard hatte zunächst auch gedacht, dass der Gehilfe tot sei, war aber bereits mit knappen Worten eines besseren belehrt worden. “Tot? Mitnichten, achtbarer Herr,” erklärte Helswin auch jetzt noch einmal in ruhigem Ton. Wobei er sich innerlich seufzend von dem Regal abstieß und nun doch wieder näher trat. Das Leuchten des Stabkristall war nur noch schwach. Aber vorhanden. Der Bürgermeister persönlich… Muss der Zeit haben… Helswin zog den Vergleich. Ja, definitiv Provinz. Mehr Beweise gab es nicht mehr, die zu erbringen waren, um dies zu untermauern. In Elenvina hätte sich sein Herr Vater, selbst der Vorsteher einer Stadt, nie für so eine Lapalie aus dem Amtshaus begeben. Aber hier, in der Provinz…. Nun standen alle beisammen, und es galt, der Wahrheit endlich Gehör zu verschaffen. Wer, wenn nicht Wertlinger, stand hierfür zuallererst in der Pflicht: Der junge Tannenfelser legte seine linke Hand auf die Schulter des Krämers, ehe er die Stimme erhob: “Das möchte und kann Euch am allerbesten der Herr Wertlinger erklären. Wir unterstützen ihn dabei nach Kräften, nicht wahr?” Seine letzten Worte galten den Mitstreitern, noch mehr aber dem, der hier Abbitte zu leisten hatte, ihn zu gemahnen, bei der Wahrheit zu bleiben. “Unsinn!” kam es da von dem Magus. “Gestatten, Helswin von Plötzbogen, Adeptus maior der reichskaiserlichen Akademia Magica Combattiva et Militaris zu Beilunk et Gareth, Offizier Ihrer Kaiserlichen Majestät etc. pp. und magischer Berater der Reichsakademie zu Elenvina,” stellte sich der Magus dem hohen Beamten überhaupt erst einmal vor, während er das Akademiesiegel in seiner Hand in die Höhe hielt und sich kurz verbeugte - Helswin wusste zumindest was sich gehörte - bevor er berichtserfahren vortrug: “Wir ermitteln hier im Falle von verleumderischen Schadwirkend seitens des Herrn Krämers A Punkt Wertlinger, der” ein Blick zu Doratrava, “bei einer Konfrontation mit der fälschlich des dreisten Diebstahl und als tückische Hexe bezichtigten Beschuldigten vor den hier anwesenden Zeugen geständig war, es sich aber im Verlaufe der praiosgefälligen Befragung ergab, dass jenes Individuum hier,” er deutete mit der Stabspitze auf den Erstarrten, “namentlich ein gewisser Barfried, der Gehilfe des Herrn Krämers, ein weitaus kriminelleres Subjekt darstellt, das von mir mittels Astralwirken an der Entziehung aus der Verantwortung durch Flucht gehindert wurde. - Oh, er kann euch bedauerlicherweise nicht hören, aber dankenswerterweise sehen. Falls ihr also in sein Sichtfeld treten mögt. Ich versichere euch, dass momentan keine Gefahr von diesem Mann ausgeht.” Das letztere war nur ein Angebot. Anschließend folgte ein freundliches Kopfnicken zu Rondradin, das deutlich machte, dass Helswin weder alles allein erzählen, noch den Geweihten gänzlich zu übergehen gedachte. “Alles weitere vermag Euch Seine Gnaden Rondradin, ehrwürdiger Knappe der streitbaren Leuin aus Wolfstrutz zu berichten.”

Nivard presste den Kiefer zusammen und verdrehte, für Doratrava und wahrscheinlich auch Rondradin, vielleicht sogar für weitere Anwesende außer dem Magus gut sichtbar die Augen, während sich seine rechte Hand bedächtig auf den Griff seines Schwertes legte. Verdammter Zauberer - mochte er auch ein noch so fähiger Meister des Verhörs sein, er hätte ihn abwimmeln sollen. Jetzt war es zu spät. Er hatte gute Lust, Helswin umgekehrt direkt über den Mund zu fahren. Zum einen würde er dabei aber vermutlich den kürzeren ziehen, sowohl hier, als auch im Nachgang bei Emmeran (denn er rechnete ohnehin damit, dass ihn dieser aufgeblasene Gelehrte bei seinem Anführer schlecht machen würde). Zum anderen und vor allem aber würden sie Doratravas Sache durch einen offenen Streit hier und jetzt keinen Gefallen tun. Er schwor sich aber, dass dies noch ein Nachspiel haben würde. Auch wenn Helswin noch so überlegen auftrat und der Bruder Emmerans war. Sonst würde er daran ersticken… Doratrava war unwillkürlich einen Schritt von dem am Boden liegenden Gehilfen zurückgetreten, als der Hauptmann und der Bürgermeister eingetreten waren. ‘Der heißt jetzt also auch Wertlinger, oder habe ich das jetzt verwechselt?’ schoss es ihr durch den Kopf, als erst Nivard und dann Helswin zu reden begonnen hatten. Sie zuckte zusammen, als der Magier Nivard mit diesem kategorisch klingenden “Unsinn!” abkanzelte. Von seinen Ausführung verstand sie nur die Hälfte. Ihr Blick traf Rondradin, aber was sollte dieser nun berichten? Ihrer Meinung waren dem Werlinger - also dem Krämer - schon ganz viele Fragen gestellt worden, die dieser nun erst einmal beantworten sollte, und dann sollte dieser Bärfried oder Barfried auspacken. Aber was wusste sie schon von solchen Dingen? Also hielt sie lieber den Mund - zumindest vorläufig.

“Rondra zum Gruße! Hauptmann, bitte entschuldigt das Durcheinander, es ging zuletzt ein wenig turbulent zu, nachdem der Gehilfe hier zu fliehen versuchte.” Rondradin wandte sich dem Bürgermeister zu. “Achtbarer Herr Gliependiek, wie es scheint ist der Schwager eures Schulzen” er betonte diese Worte ein wenig und ließ sie im Raum hängen, “Dieben und Betrügern aufgesessen, was dazu führte, dass er in seiner Verzweiflung Söldner anwarb, welche eine Unschuldige bis nach Nilsitz verfolgten und dort für gehörigen Schaden bei Dorfbewohnern und deren Eigentum sorgten. Letzteres dürfte Euch bekannt sein, hatten wir den Hauptmann doch bereits darüber informiert. Für uns von Belang ist die Rehabilitation der jungen Dame dort drüben”, er deutete auf Doratrava, “sowie das Zurückziehen des Kopfgeldes und einer Entschädigung für die erlittene Unbill. Der Vogt von Nilsitz mag eigene Forderungen stellen, für diesen zu sprechen obliegt mir allerdings nicht das Recht. Für Euch von Interesse dürfte die Identität derer sein, welche diesen Mann hier” er deutete auf den Wertlinger, “zu seinen Steckbriefen und Kopfgeldern trieben, indem sie ihn bestahlen und es anschließend Unschuldigen anlasteten. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen handelt es sich hierbei um den Gehilfen Barfried sowie die reisende Händlerin Afra. Vielleicht mag es noch weitere Beteiligte geben, aber dies erfordert eine Befragung der beiden Erstgenannten.” Der Bürgermeister trat einen Schritt nach vorne, betrachtete kurz den Gehilfen und verneigte sich kurz. “Ich … grüße euch euer Gnaden und Adeptus maior von Plötzbogen. Wie ich heraushören konnte, wisst ihr bereits wer ich bin. Ja, ich bin der Bürgermeister dieser Stadt. Perval Gliependiek. Der Hauptmann hatte mir berichtet, dass es ein Verbrechen zu klären gebe, das sogar den Vogt von Nilsitz beschäftigt. Da bin ich natürlich gleich gekommen. Und mitnichten ist der Herr Wertlinger der Schwager des Schulzen. Er ist sein Bruder … und mein Schwager.” Er räusperte sich ein wenig verlegen.

Der Geweihte sah ebenfalls etwas verlegen drein. “Bitte verzeiht die Verwechslung.” “Ich hoffe wir können das hier und jetzt klären, ohne noch die Vögtin von Dohlenfelde damit behelligen zu müssen. “ Streng schaute er den Krämer an. “Aarwin, stimmt das, was die Herren hier sagen. Hast du diese Söldner auf diese unschuldige Dame gehetzt?” Der Krämer hob wieder verteidigend seine Hände. “Also, ja das stimmt schon. Also nicht ganz. Ich … ICH WURDE GETÄUSCHT! VON DEM DA !!”. Die letzten Worte spie er entrüstet aus und deute wild auf seinen Gehilfen. Währenddessen beugte sich der Hauptmann über den Erstarrten. “Die Äpfel fallen nicht weit vom Stamm, Meister Gliependiek. Schon sein Vater war ein Tunichtgut. Sein Bruder Friedbar hängt immer mit diesen Söldnern Rangold und Dorlind rum. Ich dachte eigentlich, das der’s anders macht.” Der Zwerg machte ein abschätziges Schnalzen. Der Bürgermeister schaute erste den Zwerg an, dann in die Runde. “Hauptmann Gargrix, führt diesen Verbrecher ab. Er wird einen ordentlichen Prozess bekommen. Ich werde gleich jemanden damit beauftragen, diese Söldner finden zu lassen und sie von ihrem Handeln abzuhalten. Was diese Händlerin angeht, sobald sie Twergenhausen betreten sollte, werd ich sie zur Befragung verhaften.” Er drehte sich zu Doratrava. ”Und bei euch, ehrbare Dame, möchte ich mich im guten Namen dieser Stadt … und der Familie Wertlinger … entschuldigen. Für jeglichen Schaden kommen wir natürlich auf.” Sein Blick loderte wieder auf, als er seine Schwager wieder ansah. “Und du Aarwin wirst der ehrbaren Dame die Summe auszahlen, die du diesen Söldnern versprochen hattest. Und … solltest du wieder solche Steckbriefe aushängen, gibt es zehn Stockhiebe für jeden Zettel! Hast du etwas zur Anklage zu bringen, überlasse das dem Hauptmann!” Die letzten Worte waren hart ausgesprochen, doch vermeinte man zu ahnen, das ihm dies schwerfiel. “Gibt es noch irgendetwas, was ihr sagen möchtet?”, fragte er Doratrava und ihre Begleiter.

Barfried. Friedbar. In Doratravas Kopf fielen ein paar Mosaiksteinchen an den rechten Platz. Friedbar war der dritte der Angreifer gewesen, der, welcher mit der Armbrust auf sie geschossen hatte. Ihr Rücken kribbelte plötzlich, da, wo der Bolzen sie gestreift hatte. Die Gauklerin öffnete zögerlich den Mund und schloss ihn gleich wieder, weil schon wieder der Magier sprach. “Wollt ihr das Subjekt Barfried wie gesehen übernehmen, Herr Hauptmann, oder bedarf es der ‘Erweckung’ durch meine Hand?” wandte sich Helswin an den uniformierten Zwergen. Darauf kam es jetzt nämlich auch nicht mehr an. Immerhin: wenn man den Worten des Herrn Gliependiek trauen durfte, war die Sache hier für sie alle ja nun beendet. Gut. Helswin war froh, sich nicht mehr länger über die Probleme anderer den Kopf zerbrechen zu müssen. Er wollte eigentlich nur noch nach Herzogenfurt, diese lästige Brautschau-Farce über sich ergehen lassen und wieder zurück an seine Arbeit reisen. Nein, nicht ganz. Ein Gespräch mit Nivard musst er noch führen. Doch zuerst war ein Verlassen des Ladens angesagt. Zuvor sollten jedoch noch die anderen Möglichkeiten haben, sich zu Wort zu melden. “Friedbar ist tot!” Die Worte fielen wie schwere Steine von ihren Lippen, zum wiederholten Male schoss die Erinnerung an den Überfall in ihr hoch. Der Schuss mit der Armbrust, dem sie gerade so entkommen konnte. Rangold, der mit dem Säbel nach ihre schlug, die einäugige Dorlind, die sie gefesselt hatte … der Laden verschwamm für einen Moment vor ihren Augen, und sie musste sich an der Theke festhalten, bis der Schwindel nachließ. “Er … er hat mit der Armbrust auf mich geschossen … es war Notwehr …”, erklärte Doratrava mit brüchiger, leiser Stimme. Dass Friedbar nicht sofort tot und was danach mit ihm geschehen war, verschwieg sie besser, das würde ihr hier vermutlich sowieso niemand glauben. Sie sah dem Bürgermeister ins Gesicht, jäh trat ein eisernes Funkeln in ihre nachtblauen Augen, ihre Stimme bekam einen schneidenden Unterton. “Habt Dank … aber sorgt dafür, dass der da”, sie machte eine abgehackte Armbewegung in Richtung Wertlinger, “niemals wieder jemandem Söldner hinterherschickt. Und ich will wissen, was dieser Barfried zu sagen hat und ob ihr den Rangold und die Dorlind erwischen konntet. Bis morgen früh bin ich mit meinen Gefährten hier im Gänsenest zu finden.” Erst jetzt wurde der Gauklerin bewusst, wie sie mit dem Stadtoberhaupt sprach. Unvermittelt lief sie rosa an und schlug die Augen nieder. “Ähm … entschuldigt … wenn es möglich ist, meine ich natürlich, und es Euch nicht zuviele Umstände macht?”

Hauptmann und Bürgermeister tauschten verwunderte Blicke aus. “Tod? Ich nehme an ihr könnt das bezeugen …”, fragte der Zwerg misstrauisch, wurde aber von einem Räuspern des Bürgermeisters unterbrochen. “ … nun, wie versprochen, ich werde mein Bestes tun und diese Schurken finden lassen. Allerdings nehme ich an das es Zeit braucht. Ihr könnt natürlich gerne solange in Twergenhausen bleiben.” Rondradin sah sich die ihm Raum befindlichen Leute nochmal an. Soweit es ihn betraf, war die Sache hiermit erledigt. Sollte sich die Stadtwache von Twergenhausen mit der Händlerin und den verbliebenen Söldnern herumschlagen. Vielleicht waren letztere aber auch dumm genug den Weg der Reisegruppe nach Herzogenfurt zu kreuzen. Ein grimmiges Lächeln erschien für einen winzigen Augenblick. Er würde sie mit bloßen Fäusten vertrimmen, die Brut war es nicht wert ihnen mit seiner Klinge zu begegnen. Sein Blick glitt hinüber zu Doratrava. Er war stolz auf die Gauklerin. Nun konnte sie mit wiederhergestelltem Ruf ihres Weges ziehen und musste keine Kopfgeldjäger mehr fürchten. “Ihr habt den Wunsch der Dame vernommen. Mehr kann ich dazu auch nicht mehr sagen.” Er wandte sich der kleinen Gemeinschaft zu, die sich am Nachmittag um Doratrava gebildet hatte. “Sollen wir dann alsbald zum Gänsenest aufbrechen?” Der Bürgermeister Gliependiek setzte ein bestätigendes Lächeln auf. “Eine gute Idee, euer Gnaden. Ruht euch jetzt alle aus. Im Namen der Gerechtigkeit kehrt jetzt wieder Ordnung ein. Das Gold werde ich euch bringen lassen und falls ihr noch etwas wünscht, das ebenso, ehrenhafte Dame. Und ihr Hauptmann, führt den Verbrecher ab.” Der Hauptmann zögerte nicht lange und schleppte zusammen mit dem Gardisten den noch immer Erstarrten heraus. “Ich nehme an, wir sehen uns alle zum Abendgebet im Traviatempel? Seiner Hochwürden von Altenberg-Sturmfels hat mich ebenfalls geladen.” Er wartete kurz und ging dann aber auf seinen Schwager zu. “Und du machst jetzt den Laden zu und kommst mit.” Der Wertlinger nickte hastig zur Bestätigung und machte sich daran die Fensterläden zu schließen.

Nivard war dem Gespräch zunächst noch recht angespannt und mit grimmigem Blick gefolgt. Wenigstens hatte der Krämer nicht noch versucht, seine Schuld abzustreiten… Nun war Doratrava voll rehabilitiert, und bis sie nach Ende der Brautschau wieder ganz alleine unterwegs sein würde, ohne den Schutz ihrer Gruppe, würden sicher auch die Nachwehen des Ganzen bereinigt sein. Eigentlich konnten sie zufrieden sein mit der Unternehmung dieses Nachmittags. Er nickte daher bestätigend auf Rondradins Frage, nun mit deutlich gelösterem Gesichtsausdruck. Bis sein Blick auf Helswin fiel. Das Blitzen in dessen Augen verriet Nivard, dass nicht nur er alleine noch etwas zu klären haben glaubte. Gut so! Die Gelegenheit würde sich gleich ergeben. Als er sich zum gehen wandte, berührte er Doratrava am Oberarm. “Überstanden!” raunte er ihr aufmunternd lächelnd zu. Sabea war froh das die Situation endlich geklärt war. Sie legte ihren Arm wieder um Doratravas Schulter. “Komm, Blümchen. Das ist geklärt und keines dieser armen Würstchen wird dir wieder etwas antun. Sollte es doch nochmal jemand versuchen, dann bekommt er es mit mir zu tun. Thorwaler Faustschlag, sozusagen!” Sie ballte ihre rechte zur Faust und reckte sie drohend in die Höhe. Ihr dunkles und lautes Lachen hallte durch den Krämerladen, während sie die Gauklerin langsam nach draußen führte. Wieder musste sich Doratrava zusammennehmen, um nicht vor der vereinnahmenden Umarmung Sabeas zurückzuzucken, aber die Gute hatte offenbar nicht nur einen großen Körper, sondern auch ein großes Herz, also ließ sie es geschehen, bis sie draußen waren. Einerseits war die Gauklerin erleichtert, dass nun diese unleidige Geschichte vorbei war. Andererseits würde sie sich erst vollständig sicher fühlen, wenn sie diese Söldner, also Rangold und Dorlind, in sicherem Gewahrsam wusste. Hoffentlich konnte die Stadtwache ihrer schnell habhaft werden. Sie nahm sich vor, morgen vor der Abreise nochmals beim Hauptmann nachzufragen, zumal sie auch sehr neugierig war, was die Befragung Barfrieds ergeben würde. Aber nun drehte sie sich zu ihren Gefährten und lächelte sie an. “Habt Dank, ihr alle, ohne euch hätte ich das sicher nicht geschafft. Kommt, ich gebe im “Gänsenest” einen aus, was haltet ihr davon? Ich bin ja jetzt bald reich”, fügte sie noch ein wenig kokettierend hinzu.

Da schritten sie nun alle zurück in Richtung Gänsenest, mehr oder weniger entspannt miteinander redend, teilweise auch schweigend angesichts der Eindrücke des Geschehenen. Nivard wollte aber weder schweigen noch entspannt plaudern. Stattdessen ließ er sich, nochmals kurz schluckend, zu Helswin von Plötzbogen zurückfallen. “Auf ein Wort, gelehrter Herr!” sprach er diesen an, in bemüht gelassenen Tonfall. Der Magier zog eine Augenbraue nach oben und wartete ab. “Bei allem Respekt, aber die Art und Weise, in der Ihr mir vorhin ins Wort gefallen seid, erschien mir unangemessen. Ihr mögt ein vielfach bewanderter Gelehrter und ein erfahrener Kriminalist sein, doch seid Ihr weder mein Vorgesetzter oder Lehrmeister noch der Anführer unser Gruppe, dass ich mir von Euch coram publico derart über den Mund fahren ließe. Alleine der Eindruck unserer Gesamtgruppe und das Ziel, das wir alle verfolgten, hinderten mich daran, Euch direkt und vor aller Ohren zu entgegnen.” Erst einmal in Fahrt geredet, stieß er noch hervor: “Für wen haltet Ihr Euch eigentlich!” “Ich nehme an, ihr seid fertig?” Mit dieser rhetorischen Frage blieb der Plötzbogen stehen und wandte sich dem jungen Krieger zu, der sich seiner Meinung nach gerade etwas zu sehr echauffierte. “Gut. Dann hört Ihr mir jetzt genau zu, junger Herr Tannenfels und vielleicht vermögt ihr noch etwas zu lernen.” Ach, der Kerl war noch so jung, darum schlug er einen moderaten Ton an. Noch. “Ich fiel euch ins Wort, weil ihr die Aussage tatet, wir alle würden diese Krämerseele bei etwaiger Reue unterstützen. Was befähigte Euch diese Aussage zu treffen? Selbst wenn ihr aus Gutwillen und einem mitfühlenden Herzen heraus handeltet, was durchaus nicht verwerflich ist, so hättet ihr in diesem Punkt doch für euch selbst sprechen sollen. Wisst ihr, ihr erinnert mich in gewisser Hinsicht an eine Freundin. Sie lässt sich auch allzugern vom Mitgefühl bestimmen.”

“Nicht alleine das Mitgefühl leitete mich,” presste Nivard zunächst noch hinaus, “sondern auch die Überzeugung, dass die Rehabilitation Doratravas aus dem reumütigen Munde dessen, der für das Schlamassel, in dem sie bis vorhin steckte, verantwortlich ist, und überdies ein mehr oder weniger angesehener Bürger dieser Stadt, noch eindrücklicher wäre als dessen Überführung qua unserer Aussagen.” Zusehends gefasster ergänzte er: “Außerdem wäre der Bußgang auch Strafe für Wertlinger gewesen. Und Genugtuung für unsere Freundin. Davon abgesehen, steht Mitgefühl einem Reumütigen gegenüber - ungeachtet, dass dieser selbstverständlich einer gerechten Strafe zuzuführen ist - dem Götterfürchtigen gut zu Gesicht. Hättet Ihr Eure Freundin dafür verurteilt? Vielleicht lässt sie sich gar nicht so sehr von Mitgefühl bestimmen, sondern zeigt mit diesem so etwas wie… Weisheit?” Helswin musste an sich halten, den Vorwurf der Dummheit wie auch dem, nicht götterfürchtig zu sein, nicht zum Anlass zu nehmen, sich im Streit gehen zu lassen. “Unsere Freundin”, zitierte er die Worte des anderen bewusst langsam, “ist nicht unsere, sondern Eure. Und sie bekommt ihre Genugtuung, wie auch ihre Reputation wieder hergestellt sein, ebenso wie Wertlinger seine gerechte Strafe bekommen und Buße tun wird, denn er ist gestellt, überführt und geständig. Was euch fehlt - aber da mache ich euch keinen Vorwurf, denn ihr seid jung - ist die Erkenntnis, wann im Angesicht hoher Köpfe Reden und wann Schweigen angebracht ist. Letzteres mag euch angesichts eurer...Gefühle...für eure Freundin schwer fallen, das mag sein. Was ich also an euch kritisiere ist, in diesem Falle nicht objektiv genug gewesen zu sein, um zu erkennen, dass euer persönliches Empfinden eure Worte lächerlich erscheinen ließen.” Er musterte den jungen Mann. Mit dem er es eigentlich nur gut meinte. Sofern der Kerl es jetzt nicht übertrieb.

Zu viel Leidenschaft… zu wenig Distanz… “Es ist grundsätzlich nicht, hm, verkehrt, mitfühlend zu sein, da habt Ihr Recht,” gab er nur widerwillig wieder. “Aber lasst mich Euch eines sagen: nicht bei solcherlei Arbeit!” Und dabei deutete er mit dem Finger der ausgestreckten Hand in die Richtung, aus der sie kamen. “Ihr wollt unter meinem Bruder aufsteigen, euch beweisen? Beweist, dass ihr einen kühlen Kopf bewahren könnt!” Kurz spielte Helswin mit dem Gedanken, Nivard auf das Säckchen anzusprechen, dass dieser von der Doktora früher am Tag zugesteckt bekam. Er dachte dabei an Imma und das hielt ihn zurück. Nein, nicht der richtige Zeitpunkt…. Stattdessen sagte er wie zum einlenkenden Abschluss: “Ihr müsst deswegen ja kein schlechter Mensch sein.” Das Schlimme war, dass Helswin in einer grundsätzlichen Sache durchaus Recht hatte: seine fehlende Distanz. Vielleicht war es wirklich keine so gute Idee, von seinem Herzen geleitet einen Geleitschutzauftrag für einen Freund und die junge Frau, um deren Hand er in wenigen Tagen zu werben gedachte, auszuführen… und das auch noch in Begleitung eines Mannes, den er noch vor kurzem, bevor er um dessen Verlobung wusste, als Rivalen um das Herz Geldas gesehen hatte. Andererseits war die Sache gerade eben eben gerade keine geschäftliche Handlung, sondern ein Freundschaftsdienst, für Doratrava. In den sich Helswin eingemischt hatte, wenngleich in durchaus hilfreicher Weise. “Ihr mögt Recht haben, nein, Ihr habt im Grundsatz sicher Recht. Aber bedenkt, dass wir hier und heute nicht als Ermittler im Auftrage des Reichs oder des Herzogtums aufgetreten sind.” “Nicht?” Das sah Helswin definitiv anders. Alles, was er tat, war immer irgendwo für die Ordnung im Land.

“Auch nicht im Namen Eures Bruders. Sondern als Freunde, die einer Freundin aus der Patsche helfen wollten. Nicht mehr und nicht weniger!” Nivard wollte die Sache nach dieser letzten Rechtfertigung endlich auch zum Abschluss bringen. “Und eines versichere ich Euch: Im Dienste hätte selbstverständlich das Vorrecht des Ranghöheren gegolten, und ich hätte das Wort nicht voreilig erhoben. Ich weiß um meinen Rang und meine Pflichten.” “Es ist nie verkehrt, seine Pflichten zu kennen,” entgegnete der Magier dem Krieger. “Lasst mich euch aus Erfahrung sagen, dass ihr jedoch irgendwann an einen Punkt kommt, an dem auch ihr erkennt, Nivard, dass unsereins, der wir uns einer Sache verpflichtet haben, immer ‘im Dienst’ ist.” Ein kurzes bedauerndes Lächeln auf dem Gesicht des Magiers, von dem Nivard nicht recht wusste, ob es ihm galt. Dann schien das Gespräch für den Magus beendet. Nivard schritt ein Weilchen schweigend neben Helswin her, dann entschloss er sich, die Stille zu brechen und die Gelegenheit zu nutzen, mehr über den Magier zu erfahren - immerhin war dieser ein potentieller Konkurrent im Werben um Gelda: “Darf ich Euch etwas ganz anderes fragen?” begann er, recht unvermittelt. “Wer oder was lockt Euch zur Brautschau? Für wen gedenkt Ihr zu werben?” “Ah, ich dachte schon, ihr würdet euch nie trauen zu fragen.” Wieder blieb der Plötzbogen stehen, um seinen Worten einen gewissen Nachdruck zu verleihen. “Locken? Mich lockt nichts,” antwortete er Nivard wahrheitsgemäß. “Und um wen ich zu werben gedenke?” Ein kurzes amüsiertes Auflachen. “Meinetwegen braucht ihr euch wegen Eurer geliebten Gelda nicht in die Hosen scheißen, Tannenfels. Die interessiert mich nicht.”

“In die Hosen scheißen werde ich mir wegen Euch auch sicher nicht!” gab Nivard etwas trotzig zurück. Wenigstens in diesem einen wähnte er sich gewiss: Mit diesem Auftreten dieses Magiers würde jener Geldas Herz sicher auch nicht für sich gewinnen können… er brauchte sich wegen Helswin wohl wirklich keine Sorgen machen. “Dann seid Ihr auch ausschließlich auf Weisung und im Dienste Eurer Familie auf dem Weg nach Herzogenfurt?” So hoch wirkte das Ross, auf dem der Magier saß, schlagartig gar nicht mehr. Einmal in der Fragenoffensive beschloss er daher den Ausfall und hakte gleich weiter nach: “Habt Ihr dann einfach noch kein Interesse am Stand der Ehe, oder… oder… ist die Richtige bereits erkannt, aber nicht bei den Umworbenen der Brautschau?” “Ad eins. Wir sind Söhne unserer Mütter und Väter und stehen beide nicht an der Spitze unseres Hauses, daher werden wir IMMER, ich betone, IMMER im Dienste der Familie handeln. Ihr wähnt euch als reif und von der Leine gelassen. Doch seid euch gewiss, selbst als verheirateter Mann werdet ihr immer noch an selbige hängen.” Er sprach durchaus aus Erfahrung. Einige seiner Geschwister waren verheiratet, selbst Emmeran, der unabhängigste von allen, konnte sich in seiner ausdauernden Auflehnung doch nicht völlig über die Oberhäupter dieser kruden Sippe hinwegsetzen. Aber dieses Detail band er dem jungen Krieger natürlich nicht auf die Nase. So loyal war er dem Bruder dann doch. “Ad zwo. Mein Interesse an einem Bundschluss vor Travia hält sich in Grenzen, das ist korrekt. Ich neige dazu, so gar zu behaupten, dass mir ein solcher ...Heiratsmarkt,... wie jener, der uns erwartet, zuwiderläuft, da ich meine Person äußerst ungern verschachere. Um es mal so auszudrücken. Doch - siehe ad eins - weiß ich um meine Pflichten. Auch das ist traviagefällig. - Doch wie steht es um euch? Seid ihr nur Gelda wegen dabei, oder ist sie nur eine Option und ihr lasst euch überraschen, ob sich nicht noch eine neue, vielleicht bessere, auftut? Es werden ja sicherlich nicht nur Freier für die Altenberger Damen erwartet, sondern auch die eine oder andere vielversprechende Freierin für edle Herren wie euch.” lenkte er das Gespräch auf Nivard zurück.

Selbstverständlich war sich Nivard zu jeder Zeit bewusst, dass die Familie über allem, vor allem auch über persönlichen Befindlichkeiten oder Freiheitsstreben stand. Nichtsdestotrotz durfte er wenigstens ein bisschen darauf hoffen, dass er als zweitgeborener, der gerade dabei war, sein Glück fernab der Heimat zu machen, an längerer Leine gehalten wurde als sein älterer Bruder Rondrard, immerhin Erbe des Edlenguts seiner Mutter, oder die jüngeren Schwestern, die ihr Leben entweder der Herrin Travia verschrieben hatten oder noch zu jung waren, eigene Entscheidungen zu treffen. Ja, er wollte seiner Familie immer zur Ehre gereichen, aber auf die Weise, die ihm gefiel. Solange seine Mutter ihn nur ließ. Und ganz so schlecht stellte er sich dabei ja nicht an, immerhin hatte er sich in brenzliger Lage vor dem Angesicht der Herzogenmutter bewährt, eine Anstellung bei den Plötzbognern gefunden und war in Nilsitz Jagdkönig geworden. Dass seine Mutter jetzt mutmaßlich wirklich plante, ihn auf der Brautschau zu verschachern - denn was sonst, argwöhnte er, sollte wohl hinter dieser merkwürdigen Depesche der Baronin von Ambelmund an Celissa von Tannenfels stecken - schmeckte Nivard daher gar nicht. “Ich teile Eure Bedenken gegenüber der Brautschau - auch mir behagt es nicht, mich wie Vieh beschauen und verschachern zu lassen oder umgekehrt seitens meiner Familie die Hand einer vielleicht nicht in der Sache, aber im Herzen bemitleidenswerten Dame erkauft zu bekommen. Aus freien Stücken hätte ich mich, bevor ich in Nilsitz die junge Dame Gelda von Altenberg kennengelernt hatte, nichts, aber auch gar nichts, zu diesem Fest nach Herzogenfurt gelockt. Aber so hoffe ich, deren Hand für die meine zu gewinnen, bevor sie in die eines anderen wandert. Eine andere Option gibt es nicht für mich.” Die letzten Worte hatte er mit aller Bestimmtheit gesprochen, die er auch nicht mit dem Halbsatz konterkarierte, der diesem gedanklich hinterhereilte: Wenn Mutter dies nur nicht anders sieht. Da schau an, ein verliebter Gockel, dachte Helswin bei sich, als der Tannenfels so leidenschaftlich von Gelda sprach. Und plötzlich verspürte der Magus in sich eine prickelnde Lust, sich die Frau, genau diese Frau, mal wenigstens anzusehen. Einfach so. Und weil er neugierig war, wie dieser Junge reagieren würde.

“Und Ihr? Wenn Ihr doch keinerlei Lust verspürt, Euch dort zu verloben... oder verloben zu lassen..., und Ihr nur aus Pflicht Eurer Familie gegenüber dorthin reist: Um wen genau wollt oder besser sollt Ihr dort freien? Ist sie aus dem Hause Altenberg? Oder gar eine der anderen zu vergebenden Damen?” “Wisst ihr denn, wer dort alles erscheinen wird? Ich nicht. Ich lasse mich einfach überraschen und werde in jedem Falle genießen, was sich mir bietet.” Und wie er das würde. Einer kurzen Sache, bei der man gleich anschließend, oder am nächsten Morgen, ohne Verpflichtungen auseinander ging, würde er sich nicht verschließen. Mit Sicherheit würde es auch das wohlfeine Essen und die zu erwartende Getränkeauswahl aus erlesenen Tröpfchen tun. Wobei er einen leckeren Nachtisch für gewöhnlich nie verschmähte. Und in Herzogenfurt würde es viele verschiedene Nachtische geben.

Die Reise geht weiter

Verbittert betrachtete er die Ratte, die sich langsam seiner Holzschüssel auf dem feuchten und steinernen Boden nährte. “Friedbar, ich schwöre dir, ich werde deinen Tod rächen!”, murmelte der Gehilfe des Krämers vor sich hin. “Afra und diese Gauklerschlampe werden dafür büßen!” Mit einem kräftigen Tritt schleuderte er die quiekende Ratte aus der Zelle.

Gelda von Altenberg beobachtete ihre ältere Schwester Sabea, die gelangweilt aus dem Fenster der Kutsche schaute. So grob und ungeschliffen sie manchem erscheinen mag, man konnte sich auf sie verlassen. Laut ihrer Geschichte schien es, das Twergenhausen ihren Auftritt nicht so schnell vergessen würde. Zumindest war ihre Freundin Doratrava von ihren Problemen befreit worden. Nur ihre Onkel Winrich wagte eine Rüge gegenüber Sabea, die sich in diese Angelegenheit eingemischt hatte. Die beschwichtigenden Worte des Bürgermeisters ließ diese allerdings schnell vergessen. Nun mußte auch sie wieder aus dem Fenster schauen. Sie seufzte. Bald war sie an der Reihe, sich eine neue Herausforderung zu stellen. Die Brautschau. Aufmerksam betrachtete sie die beiden Reiter, die beiden Männer, die ihr Herz auf unterschiedlichster Weise berührt hatten. Gespannt auf das Kommende, lehnte sie sich zurück.

Am Morgen hatte Doratrava sich aus ihrer Schlafstatt im “Gänsenest” gequält - mühsam wie immer, war sie doch eine ausgesprochene Langschläferin, wenn man sie ließ, und sehr morgenmuffelig, wenn nicht. Doch diesmal hatte sie sich bemüht, früher als nötig wach zu sein, damit sie nach dem Frühstück noch schnell zur Stadtwache laufen konnte, was sie dann auch getan hatte. Sie war immer noch erstaunt über die ungewohnte Behandlung, die sie erleben durfte. Zwar war die Wache am Eingang zunächst nicht geneigt gewesen, sie vorzulassen, aber die Nennung ihres Namens hatte ihr die Türen geöffnet. Offensichtlich hatten sich die gestrigen Ereignisse um den ehrenwerten Herrn Wertlinger und die fälschlich beschuldigte Gauklerin zumindest innerhalb der Stadtwache herumgesprochen. Nun, es gab sicher Schlimmeres, wie sie mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen bei sich dachte. Allerdings hatte der Hauptmann ihr nichts weiter mitteilen können. Barfried saß im Kerker, es war aber noch keine Zeit gewesen, ihn zu verhören. Und die Söldner Rangold und Dorlind waren zumindest auf die Schnelle nicht aufzufinden gewesen. So musste Doratrava unverrichteter Dinge wieder abziehen, mit den guten Wünschen des Hauptmanns zwar, aber auch mit dem leisen Unbehagen, dass sie nun doch immer noch gelegentlich einen Blick über die Schulter werfen sollte. Irgendwie hoffte sie, dass die beiden sich zu einer Dummheit hinreißen ließen, solange Rondradin, Nivard und Sabea - und vielleicht auch dieser Helswin - in der Nähe waren. Unwahrscheinlich, ja, aber hoffen durfte man immer.

Endlich waren sie aufgebrochen und hatten Twergenhausen hinter sich gelassen. Rondradin ritt, wie gehabt, neben den Kutschen her. Allerdings achtete er weniger auf seine Umgebung, sondern hing seinen Gedanken nach. Sie hatten erreicht, weshalb sie nach Twergenhausen gekommen waren. Doratrava war von allen Verdächtigungen freigesprochen worden und hatte zudem noch eine hübsche Entschädigung bekommen. Die wahren Schuldigen saßen entweder im Kerker oder würden bald dort landen, sobald man ihrer habhaft wurde. Das Abendessen dagegen war nicht ganz so gut verlaufen, hatte er doch gehofft mit Gelda sprechen zu können. Leider war das unter den wachsamen Augen der restlichen Familie unmöglich gewesen. Ihm war klar, dass er sie loslassen musste, nur sein Herz war immer noch uneinsichtig was das anging. Trotzdem würde Gelda jemanden anderen wählen und er musste sich damit abfinden. Einen der sicherlich um ihre Hand anhalten würde, hatte er schon kennengelernt. Nivard würde sie gewiss schützen können und er besaß ein Talent als Versenschmied, welches Rondradin gänzlich abging. Allerdings hatte Nivard sich in den Augen des Geweihten bei der Befragung des Händlers nicht gerade empfohlen. Zu zornig, kein Einfühlungsvermögen. Oder ging das auf den Einfluss des Magiers zurück? Rondradin wusste es nicht, aber er würde bis zu ihrer Ankunft in Herzogenfurt Nivard weiter beobachten und das ein oder andere Gespräch mit ihm führen.

Nivard wendete kurz sein Pferd und sah noch einmal zurück nach Twergenhausen. Ihre "Mission" war geglückt, Doratravas Leumund wieder hergestellt und die wahren Schuldigen gefunden - Gerechtigkeit waltete also. Da sich Doratrava noch in ihrer Gesellschaft befand, brauchte sie auch etwaige Häscher nicht fürchten, die noch nichts von den jüngsten Entwicklungen mitbekommen hatten. Gut so, keiner würde es wagen, sie bei dieser Begleitung anzugreifen. Und falls doch, nur zu. Mit gemischten Gefühlen hatte er heute morgen noch herauszuhören versucht, was oder besser wie Helswin Emmeran wohl von ihren gestrigen Taten und ihm berichtet hatte, doch konnte er nichts Außergewöhnliches an dessen Gebaren ihm gegenüber ausmachen. Vielleicht war der Magier doch viel mehr in Ordnung, als dieser selbst eingestehen wollte. Viel wichtiger aber war ihm noch, was Gelda von alldem vernommen hatte. Sabea schien ihm nicht besonders gewogen zu sein (gut - feindselig wirkte sie auch nicht- eher desinteressiert) - hoffentlich waren ihre Berichte nicht zu seinen Ungunsten gefärbt. Vielleicht könnte er es ihr in einem Lied besingen? Wenn es dieses vermaledeite Gesprächsverbot doch nur nicht gäbe - vielleicht hätte er im Angesichte Geldas die Dinge dann schon längst für sich, für sie beide, ordnen können. Oder wenigstens Klarheit gewinnen. Und obendrein eingehend mit Elvan sprechen können, dem mindestens ebenso mulmig zu sein schien wie ihm - und hier bestand ja nicht die Gefahr, dass er sich einen unbotmäßigen Vorteil erschleichen wollte... Wenige Tage nur noch, dann würde das Werben und Freien beginnen. Was würde diese Brautschau für ihn bringen? Würde er Gelda für sich gewinnen - und auch deren Eltern, über die der Weg sicher führen würde? Im schlimmsten Fall sogar mehr als über das Herz der jungen Frau. Oder würde es am Ende nur Schmerz bedeuten - für ihn, und wer weiß, welchem Schicksal Gelda entgegenblickte? Nein, er durfte nicht scheitern - auch, wenn er sich nun auf ein Feld begab, das eigentlich nicht das seine war. Und sich vielleicht sogar gegen seine eigene Mutter auflehnen musste, die zu allem Überfluss auch noch zugegen sein musste. Er schreckte auf, als Rondradin zu ihm aufgeschlossen hatte. Seitdem Nivard erfahren hatte, dass der Geweihte verlobt war und daher keine "Gefahr” mehr darstellte, wurde er ihm zusehends sympathisch. Er lächelte diesem kurz zu, wendete dann sein Pferd und preschte rasch an die ihm zugewiesene Position zurück. Herzogenfurt, in wenigen Tagen werde ich Dich entweder lieben oder hassen. Herzogenfurt, wir kommen.