Das Gestaendnis

Das Geständnis

Ort: Burg Nilsitz

Zeit: Tsa 1042 BF

Personen: Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin und Ihre Gnaden Marbolieb.

Eine Briefspielgeschichte von RekkiThorkarson und IseWeine.

Inhalt: Familienzuwachs im Hause des Oberst wird ankündigt. (Dokument hängt an).

Das Geständnis

Nilsitz, TSA 1042 BF

Es war am Ende des Mondes der Ewigwandelbaren, als Dwarosch nach Burg Nilsitz, seinem Amtssitz als Oberst des Eisenwalder Garderegimentes. zurückkam und Marbolieb in ihrer gemeinsamen Stube im Palas der Burganlage aufsuchte.
Die Geweihte merkte sogleich, dass etwas anders war. Dwarosch war fahrig, wirkte als sei er in Gedanken, ja mit dem Kopf ganz woanders. Der flüchtige Kuss, den er ihr und Mirla gab, die zu diesem Zeitpunkt auf Marboliebs Schoß saß, sprach Bände. So kannte sie Dwarosch nicht. Er war für gewöhnlich viel liebevoller, ihr zugewandter, gerade, wenn er einige Tage in der Fremde verweilt hatte.

Diesmal kam der Oberst aus Senalosch, wo er den Ausbildungsstand der dort stationierten Banner turnusmäßig überprüft hatte.
Marbolieb bedauerte, dass sie den Oberst dieses eine Mal nicht nach Senalosch hatte begleiten können. Dort gab es Topaxandrina, eine warme, heimelige Küche und in dieser immer ein liebevolles Willkommen. Nilsitz als Feste glich mehr einem Bienenstock. In der Küche war ein stetes Kommen und Gehen, das keinen Platz und vor allem keine Muße für sie und die ständig forschende Mirla bot, so dass Marbolieb es vorzog, ihre meiste Zeit im Gästezimmer der Burg zu verbringen und nicht zwischen die emsigen Schritte der Bediensteten zu geraten (und angestrengt sämtliche gemurmelten Bemerkungen wie ‘Zwergenliebchen’ und Unflätigeres zu überhören). Allein, mit einem fiebernden Kind konnten die Tage lang werden. Doch es war nicht mehr als eine kleine Erkältung gewesen, wie sie kleine Kinder häufiger heimsuchte … aber auch, was ihre leidvolle Erfahrung aus einem Götterlauf in Calmir war, häufig genug in die Arme des stillen Gevatters führte. Trauernde Eltern zu beruhigen war aufwühlend genug - selbst einen so kleinen Menschen sein Kind zu nennen sorgte dafür, dass sie die Trauernden um so besser zu verstehen vermochte. Doch Dwarosch war bislang noch niemals solchen Überlegungen gegenübergestanden - warum also verhielt er sich so eigenartig? Gerade so, als sehe er ihre Begrüßung als schal gewordene Gewohnheit, während seine Gedanken weitab und ganz sicher nicht bei ihr weilten.
“Dwarosch.” Sie hob eine Hand und versuchte, diese auf seinen Arm zu legen.
“Geht es Dir gut?”
"Was? ... Nein … Doch ja, es geht mir gut. Ich bin nur …" Der Zwerg seufzte schwer und brach ab.
Marbolieb stellte sich Dwarosch bildlich vor, wie er mitten im Raum stand, ein wenig verloren und mit den Händen in der Luft nach Worten ringend. Was war nur los?
Der Oberst selbst fluchte innerlich über seine Unbeholfenheit mit der gegebenen Situation. All die passenden Sätze der Erklärung, die er sich zurechtgelegt hatte, waren vergessen, seine Mund war trocken, keine Kehle kratzig. Wie sollte er es ihr nur erzählen?
"Ich habe ein Kind", platzte es plötzlich aus dem Oberst heraus. Frontalangriff - oder schlicht entwaffnende Ehrlichkeit. Er wusste es selbst nicht.
"Einen Sohn. Er suchte mich vor zwei Tagen in meiner Stammkneipe in Senalosch auf und wollte mich mit seiner Faust in meinem Gesicht begrüßen."
Dwaroschs Bartschmuck klimperte, Marbolieb erkannte daran, dass er den Kopf schüttelte, wusste, dass Unglauben auf seinen Zügen zu lesen war, auch wenn sie dies nicht sehen konnte.
"Es kam anders", fuhr der Oberst fort. Es floss förmlich aus Dwarosch heraus. "Er stellte sich mir als Dwarix, Sohn der Orymaxa vor." Dwarosch seufzte abermals, diesmal hörte Marbolieb Wehmut, ja Trauer heraus.
"Erinnerst du dich? Ich habe dir von jener Angroschna - Orymaxa - erzählt?
Sie ist tot und ihr Sohn … unser Sohn, von dem ich nichts wusste und der selbst den Namen seines Vaters nicht kannte, fand in den persönlichen Habseligkeiten seiner Mutter Briefe. Meine Briefe. So machte er mich schließlich ausfindig."
Eine Pause entstand, Stille.

Dwarosch schloss die Augen und atmete durch. Es war alles gesagt, auch wenn er es ganz anders geplant hatte.
Die Geweihte schwieg einige Atemzüge lang. Sie hielt ihr Kind fest, das mit großen, verständnislosen Augen von einem zum anderen blickte und sortierte ihre Gedanken, betrachtete einen Herzschlag lang die verwunderliche Mischung aus Erstaunen, Sorge, Neid, Mitgefühl und blanker Angst, die bei Dwaroschs Worten in ihr aufgewallt war, wischte alles zusammen und packte sie in eine der besser verschlossenen Schubladen ihres Geistes, um sie später auseinanderzusortieren und endgültig aufzuräumen. Am besten bei einem ruhigen Gebet heute Abend, was eine gute Zeit dafür war. Jetzt nicht.
Sie streckte ihren freien Arm in die Richtung, in der sie Dwarosch vermutete.
“Komm zu mir.” bat sie, ein liebevolles Lächeln auf den Lippen. Was auch immer war - Dwarosch war durcheinander und unsicher, ein Zustand, der Marbolieb in der Seele schmerzte. Zumindest diesem würde sie abhelfen können.
Ein erleichtertes "Danke", kam Dwarosch über die Lippen, noch bevor er die zwei notwendigen Schritte tat, um Marbolieb in die Arme zu schließen. Sanft griff er der Geweihten an den Hinterkopf und küsste ihren Scheitel, beließ seine Lippen mehrere Herzschläge an ihrer Haut, roch an ihren Haaren und genoss die Nähe.
"Ich weiß, dass diese Nachricht nicht einfach zu verkraften ist für dich, Räblein", sprach der Oberst, nachdem er seine Stirn an die ihre gelegt hatte und liebevoll Mirlas Haar streichelte, die nun langsam begann, ihre Händchen von Marboliebs Schoss aus nach Dwarosch auszustrecken.
"Dwarix soll und darf nicht zwischen uns stehen. Er ist älter als du an Lebensjahren und das Ergebnis einer vergangenen Liebe, eines Lebens, das hinter mir liegt."
Dwarosch atmete tief ein. "Nichtsdestotrotz existiert er und selbst wenn es vermutlich eine lange Zeit dauern wird, bis du ihn kennenlernen wirst, denn er reist wohl heute wieder in Richtung Praios ab, so musstest du von ihm wissen.
Doch auch mein Sohn ändert nichts an meiner Zuneigung, an meinen Gefühlen für dich und auch Mirlaxa."
“Selbst wenn es so wäre, Dwarosch - so würde und könnte ich daran nichts ändern.”

Marbolieb legte ihre Hand an seine Schläfe und liebkoste seine warme Haut sanft mit ihren Fingerspitzen. Liebe war keine Fessel - und nichts im Leben währte ewig. Spätestens der sanfte Schritt ihres Herrn verhieß den Abschied, forderte, loszulassen. Doch heute und hier war das Jetzt, und dieses Jetzt umfasste ihren Liebsten Stirn an Stirn mit ihr.
Sie schmiegte ihren Kopf an den seinen und und kostete die Nähe und Zuwendung aus, ehe sie nach längerer Zeit hinzufügte. “So hast du nun doch eine eigene Familie, Dwarosch. Ich freue mich für dich. Und ich würde ihn sehr gerne einmal kennenlernen, wenn du das erlaubst.”
"Selbstverständlich, das wirst du." Dwarosch löste sich leicht von Marbolieb, griff jedoch im selben Moment nach ihren Händen, um den körperlichen Kontakt zu ihr zu wahren.
"Dwarix ist ein wohlhabender Fernhändler, der seine Waren in Zukunft auch bis nach Senalosch bringen wird. Es wird einige Monde dauern, aber er wird wiederkommen, das Versprechen gab er mir."
Sanft drückte der Oberst die Hände der Geweihten. "Ich will ihn kennenlernen, möchte wissen, aus welchem Erz er geschmiedet wurde. Räblein, wenn du ...", abermals stockte die Stimme des Zwergen. "Wenn du ihn gesehen hättest. Er … er sieht aus wie ich in jungen Jahren."
“Das hätte ich gerne gesehen.” Marboliebs warme Hand strich über die kräftige und um so viel breitere Pranke des Oberst. “Es muss erschütternd sein, auf einmal sein junges Spiegelbild zu sehen. Und verheißungsvoll. Er hat fast seinen gesamten Weg noch vor sich.” Sanft flochten sich ihre Finger in die ihres Liebsten. “Vermisst Du sie sehr?” wollte sie wissen.
Der Bart des Oberst schabte sachte über den Kettenpanzer über seiner Brust, der Bartschmuck klimperte leise. Marbolieb erkannte, dass er den Kopf schüttelte.
"Das ist es nicht, Räblein", begann Dwarosch behutsam seine Antwort. "Diese Liebe ist Vergangenheit, ich vermisse nichts an diesem Teil meines Lebens, auch nicht sie. Aber", nochmals schüttelte er das Haupt. "Ich wusste bisher nicht, dass ich einen Sohn habe, Räblein, Jahrzehnte lang hatte ich keine Ahnung. Warum nur hat sie mir nie geschrieben, dass es ihn gibt? Warum hat sie ihren Stolz nicht überwunden? Und warum hat sie ihn trotz allem Dwarix genannt? "
Marbolieb schwieg eine Weile und suchte nach einer Antwort, die sowohl wahr als auch nicht verletzend für den Mann war, in dessen Hände sie die ihren gelegt hatte.
“Stolz ist eine starke Rüstung, Dwarosch.” sagte sie schließlich mit ruhiger Stimme. “Sie schützt gut, was verletzlich ist.” Oder, in diesem Falle, verletzt. Und das doch nicht in eine Brünne aus Hass gekleidet werden konnte. “Du sagtest, dass ihr euch beide einig wart, den Bund einzugehen. Sie ebenso wie du. Das ist der Grund für Dwarix Namen - er ist das, was ihr von dir geblieben ist.” Sie umfasste eine der kräftigen Hände des Oberst mit ihren beiden. “Die arme Frau. Sie dauert mich.”
"Vielleicht ist es so gewesen. Ja", Dwarosch seufzte schwer. "Ich denke du hast recht.
Die genauen Gründe aber werde ich nie erfahren, denn sie kann sie mir nicht mehr offenbaren. Das ich meinen Sohn gerade deswegen, eben nur weil sie tot ist, kennenlernen durfte ist eine Ironie, die ich als sehr bitter empfinde. Ich meine es hätte nicht so sein müssen. Nur weil es uns nicht beschieden war das Leben miteinander zu teilen, musste doch nicht zwangsweise heißen, dass unser Sohn seinen Vater nicht kennenlernt."
Dwarosch schloss die Augen. Der Griff seiner Hände wurde ein wenig fester. Seine Daumen strichen zärtlich über ihre Haut.
"Ich weiß, ich muss diese Dinge einfach akzeptieren wie sie sind, doch sowas liegt mir nicht. Vermutlich wird es eine Weile dauern, bis ich mich damit abgefunden habe."

“Dwarosch.” Marbolieb ließ den Namen in der Luft hängen, einen Herzschlag lang oder zwei, lange genug, sich sicher zu sein, dass der Angroscho weit genug aus seinen Grübeleien wieder aufgetaucht war, um ihr seine volle Aufmerksamkeit zu schenken. “Wenn sie dir von Deinem Sohn geschrieben hätte, auch nachdem ihr keinen Umgang mehr pflegen durftet, was hättest Du getan?” Ein ganz kleines bisschen hatte Marbolieb ihren Liebsten inzwischen schon kennenlernen dürfen - doch wichtiger als ihre Spekulationen war es für ihn, sich selbst über seine Handlungsweisen bewusst zu werden. Selbst auszusprechen, was er vermutlich innerlich längst wusste, sich aber schwerlich selbst eingestanden hätte. Warm und fest bargen ihre Hände um die seinen, auch wenn er sich ohne die geringste Kraftanstrengung aus ihrem Griff hätte befreien können, stände ihm danach der Sinn.
Kurz herrschte Stille in der Stube, dann jedoch erkannte Dwarosch, worauf Marbolieb abzielte mit ihrer Frage. Nachdenklich, aber dennoch energisch antwortete er: “Weil es nichts und niemanden gibt, der mich daran hätte hindern können, meinen Sohn zu sehen. Ich wäre vor keinem Mittel zurückgeschreckt.” Der Bartschmuck klimperte erneut. Diesmal nickte der Oberst.
“Wieder einmal hast du recht, auch wenn dieses Mal die Art und Weise, es mir zu zeigen, ein wenig subtiler war.” Dwarosch lächelte bei den letzten Worten, das wusste Marbolieb. “Es ist beruhigend zu wissen, wie gut du mich mittlerweile einzuschätzen vermagst, Räblein.”

Er seufzte. “Dieser Blickwinkel wird es mir vielleicht leichter machen, die Vergangenheit anzunehmen.”

“Das freut mich.” Marbolieb löste eine Hand und tastete vorsichtig nach Dwaroschs Wange, die sie zärtlich mit ihren Fingerspitzen streichelte, nicht viel mehr als die Liebkosung mit einer Feder. Stille senkte sich über den Raum, nur unterbrochen von einem fragenden “Dado?”, als Mirla, nun wahrlich genug missachtet, eine warme, weiche und leicht klebrige Kinderhand in die Pranke des Oberst drückte und Dwarosch mit riesigen, tiefdunklen Augen anhimmelte.
“Jaja”, stieß da der Oberst amüsiert hervor und konnte es auch nicht unterdrücken infolge kurz aufzulachen. “Ich habe dich nicht vergessen, Mirlaxa. Wie könnte ich auch? Und jetzt, wo die vermeintlich ‘Erwachsenen’ ihre Problemchen fürs erste geklärt haben, kommst natürlich du auch zu deinem Recht.”
Dwarosch griff seiner Ziehtochter unter die Schultern und hob sich auf seine Arme, um sie liebevoll an sich zu drücken. Seine Wange jedoch drückte er dabei sachte gegen die Hand Marboliebs.

                                                         Zuhause ist, wo deine Liebsten sind.