Das Drachenei und der Hoftag


Ort: Grafschaft Isenhag, gräfliche Vogtei Nilsitz, Senalosch

Zeit: RON 1046 B.F.

Inhalt: Die turbulenten Ereignisse des kaiserlichen Hoftages zur Pfalz Angroschsgau bereiten dem gräflichen Vogt von Nilsitz kopfzerbrechen.

Eine Briefspielgeschichte von RekkiThorkarson

Das Drachenei und der Hoftag

Müde und mit einem starken Brand in der Rechten, saß der gräfliche Vogt von Nilsitz in seiner guten Stube unweit des Widdertores ins Reich Isnatoschs und versuchte, die vielen Eindrücke der vergangenen Tage zu verarbeiten. Topaxandrina, seine Haushälterin, versorgte ihn liebevoll, doch Borindarax konnte dieser Umstand an jenem Tag kein Lächeln entlocken. Düster waren seine Gedanken. Sorgen zeichneten tiefe Furchen über die Stirn des noch jungen Angroschos.
Borax war erst vor einer Kerzenlänge, in der hereinbrechenden Dunkelheit aus Rogmaratosch- dem Sitz des Bergkönigs in Senalosch zurückgekehrt, wo er seinem Urgroßvater vom kaiserlichen Hoftag zu Angroschsgau berichtet hatte. Er hatte sich vorgenommen nüchtern, sachlich und würdevoll vor dem Rogmarog von Isnatosch zu sprechen, doch dies war ihm nicht gelungen, ebensowenig, wie wenige Tage zuvor vor seinem Lehnsherren- Ghambir groscho Gruin, dem Grafen des Isenhag. Sein Temperament war wieder einmal mit ihm durchgegangen. Doch Fargol hatte dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, verstanden.
Nach der überstürzten Abreise von der Kaiserpfalz hoch oben auf dem Dach der Nordmarken war Borindarax mit seiner kleinen Bedeckung zunächst nach Calbrozim, am Rande der Ingrakuppen marschiert. Der Graf musste schließlich wissen, was dort geschehen war. Das Ei eines Kaiserdrachen war in den Stammlanden der Völker der Groscharoroximangrasch gebracht worden und noch viel schlimmer, ein Drachling war in Menschengestalt in den Hoftag geplatzt und hatte das Ei dieses Prdrakasch erfolgreich von der Hochkönigin der Großlinge einfordert.
Wutentbrannt war Borindarax daraufhin aufgebrochen und hatte die Pfalz verlassen. So wie der reisende Kaiserhof samt all seiner Gäste feiern konnte er nicht, denn die Kinder Angroschs mussten gewarnt werden: Shafir hatte eines seiner Kinder geschickt und die Herrscherin der Menschen hatte ihm was, gehorcht. Konnte man das so drastisch sagen? Borax wusste es nicht. Was er wusste aber war, dass die Monarchin der Lande über den Reichen seiner Rasse sich auf die Bande zu ihrem Bruder, dem Horas berufen hatte- dem Halbdrachen, dem Draxasch Echs auf dem Thron des Lieblichen Feldes. Sie hatte das Drachenei dem Drachling ausgehändigt und dieser hatte es der Gesandtschaft aus dem Horasreich übergeben, damit diese es zu Shafir brachten. Welch ein Frevel am Allvater und allem, was seinen Kindern heilig war.
Borax selbst hatte geschwiegen, als der Drachling aufgetaucht und mit einer Handbewegung mehrere Höflinge zu Boden geschleudert hatte, als er seine mit List und verderbender Wirkung gesprochenen Worte an die Versammlung gerichtet hatte. Drachenwerk hatte jenes Echsengezücht dabei gewirkt- in der Heimat der Kinder Angroschs. Borax konnte und wollte es immer noch nicht glauben.
Widerstreitende Gefühle hatten ihn die wenigen Momente gekostet, in denen er hätte handeln oder auch nur vehement protestieren können, so wie er es eigentlich hätte tun wollen- hätte tun müssen. Aber, er hatte gewusst, dass es Krieg gegeben hätte, Krieg mit dem Herren von Khômblick, wäre das Ei an die Vertreter von Xorlosch, rund um ihren Rogmarog Tschubax groscho Tuagel ausgehändigt worden, so wie sie es gefordert hatten. Die rituelle Zerstörung des Eis hätte vielen das Leben gekostet. Menschen, wie auch Angroschim wären gestorben und sie, die Kinder des göttlichen Schmiedes, wären Schuld daran in den Augen der Großlinge, denn sie hätten den Krieg angezettelt. Dies durfte nicht geschehen. Zwist zwischen den Nationen durfte es nicht geben im Herzogtum, ihre Einheit, ihr Frieden war es, welche den Nordmarken seine Stärke verlieh. Das Schild des Reiches mochte gebrochen sein, das Eiserne Herz musste weiterschlagen, kräftig und im Einklang.
Nein, die Gigrim mussten stattdessen einfach verstehen, dass der Drache- das Prdrax Macht nicht gebrochen war. Die Prdrakasch trugen seine Essenz weiter, um sein Werk zu vollenden- die Zerstörung des Weltenkonstrukt des Allvaters.
Das ewige Zeitalter war noch nicht errungen. Die letzte Schlacht nicht gewonnen. Albrax, ihr aller Hochkönig, hatte es vorhergesehen. Prdrax regt sich und ein neues Heldenzeitalter war angebrochen. Das Schicksal aller Angroschim würde davon abhängen, dass sie geschlossen standen.
Die anderen Ergebnisse des Hoftages, wie einige Neubelehnungen und die Erlaubnis der Kaiserin, dass die Nordmarken wieder eine Flotte gründen und Havena als ihren Heimathafen nutzen konnten, waren nur noch Randnotizen angesichts dieser erschreckenden Geschehnisse. Einzig, dass Ratosch groscho Rathorn- der Pfalzgraf von Angroschsgau höchstselbst offenbar eine intrigante Persönlichkeit besaß, die versucht hatte den Frieden zwischen Angroschim und Großlingen zu stören, wenn nicht gar zu brechen, war noch von Bedeutung. Hierzu, zu den Ermittlungen, an denen er selbst maßgeblich beteiligt gewesen war, würde Borax einen ausführlichen Bericht verfassen. Da seine eigene Rolle ein Politikum war, würde er ihn persönlich an Graf und Rogmarog übergeben. Diskretion war geboten.
Für das erste jedoch war seine Pflicht getan. Mit einem Schluck stürzte der Sohn des Barbaxosch den nächsten Becher Brand hinunter, nur um sogleich zu der Karaffe zu greifen, die neben seinem Ohrensessel auf dem kleinen Beistelltisch aus Rosenholz vor dem Kamin stand. Borindarax würde sich an diesem Abend noch oft nachschenken, bis die Wirkung des Brandes und die Wärme des prasselnden Kamins ihm endlich Ruhe schenken würden.