Tiergefährten - Kapitel 6: Unterschied zwischen den Versionen

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=== An der Kreuzung ===
 
=== An der Kreuzung ===
 
''(Relindis, Akka, Onyx, Mafaldo, Simunius, Silvagild, Hardomar, Tsalrik)''<br>
 
''(Relindis, Akka, Onyx, Mafaldo, Simunius, Silvagild, Hardomar, Tsalrik)''<br>
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Die Kleidung war fast trocken und der Knabe hatte den ganzen Weg über geschlafen. Doch nun schien es, dass der Rabenmann Mafaldo, so wie der Halbdryade Simunius sich verlaufen hatten. Während die beiden an einer Kreuzung diskutierten, welcher der vier Pfade der richtige sei, saß die Traviageweihte Relindis mit dem Knaben Tsadoro und der Gänsefrau Akka auf einem umgefallenen Baumstamm. Der Krötenmann Onyx hatte derweilen ein Schlammloch ausgemacht, in dem er sich wonnig suhlte. Zwei Blütenfeen flatterten herbei, surrten um die Köpfe von Relindis und Akka, um dann tänzelnd davon zu fliegen. Neugierig und noch immer verwundert folgte sie ihren Flug, doch dann sah sie etwas anderes. Drei Gestalten kamen von einem der Pfade auf sie zu. Und … es waren Menschen!<br>
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Menschen? Hier? Relindis blinzelte, doch blieb es dabei - ihre Augen hatten sie nicht getäuscht. Es kamen tatsächlich Menschen auf sie zu. “Leben hier auch Menschen, in diesem Reich?” erkundigte sie sich leise und hörbar erstaunt bei Mafaldo und Simunius. “Oder hat es diese ebenfalls hierher verschlagen, wie uns?” Tsadoro sanft im Arm wiegend erhob sie sich und sah den Ankömmlingen neugierig entgegen, bereit, diese freundlich zu empfangen. An ihr noch immer mitgenommen wirkendes Festornat und ihre von der Flussquerung erst nass gewordenen und nun zerzaust getrockneten Haare verschwendete sie keinen Gedanken.<br>
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Akka war zunächst weit weniger verwundert darüber, für sie reihte sich diese neue Begegnung ein in den Reigen wundersamer und schwer zu verstehender Erlebnisse, die seit jenem Morgen im Park - war das tatsächlich heute gewesen? - an dem es sie hierher verschlagen hatte und sie sich in menschlicher Gestalt wiedergefunden hatte, schier ununterbrochen über sie herein prasselten. Erst Relindis Reaktion weckte ihre Aufmerksamkeit. Auch sie sprang auf und reckte ihren Hals, sich einen Überblick zu verschaffen, wer da nahte. “Wer ist das? Wer ist das?”<br>
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Zwei der drei Menschen sahen auf dem ersten Blick nicht so aus als gehörten sie in diese Welt. Einzig der vorne weg hopsende Jüngling passte in Relindis Augen ganz gut hier her: der junge Mann hatte dunkelblondes Haar und grasgrüne Augen. Aus seinem Haarschopf ragten vereinzelte Ulmenblätter heraus, sein Antlitz war glattrasiert und er trug Kleidung aus dunkelgrünem Bausch und eine Laute auf dem Rücken. Sein unsteter Blick ging durch die Neuankömmlinge, schien jedoch besonders lang auf Relindis und dem Kind zu liegen. “Ah, wart ihr schon bei Ulmaceae?” Er kam der Geweihten nun noch etwas näher und beäugte sie interessiert. “Wohl schon, weil allzu krank siehst du ja nicht mehr aus.”<br>
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Währenddessen waren auch die anderen beiden Menschen an die Gruppe herangetreten. Die junge Frau war in einen edlen dunkelgrünen Reitrock gewandet, hatte dunkelblondes Haar und dieselben grünen Augen wie der junge Mann. “Jetzt stell dich vielleicht einmal vor, Tsalrik”, schalt sie ihren jüngeren Bruder. “Mein Name ist Silvagild von Ulmentor und das sind Hardomar von Hadingen und mein kleiner Bruder Tsalrik.” Der Jüngling rollte wie zur Begrüßung mit seinen Augen, doch fuhr die Knappin davon unbeeindruckt fort. “Wir sind auf der Suche nach einer kranken Frau und einem Kind, die in diese Welt kamen um Ulmaceaes Hilfe zu erbitten.”<br>
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Der junge Mann neben Silvagild schmunzelte amüsiert, als er beobachtete, wie die Ulmentorer Knappin mit ihrem jüngeren Bruder umsprang. Er verneigte sich höflich, wirbelte dabei ein wenig mit seinem Arm und ergänzte Silvagilds Vorstellung mit: “Sehr erfreut, Euer Gnaden kennenzulernen.” <br>
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Der Hadinger Ritter trug an jenem Vormittag, zumindest ging er davon aus, dass es noch immer Vormittag war, ein weißes Hemd aus dickem Leinen, welches er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. An beiden Unterarmen waren leichte Abschürfungen und etwas Schmutz zu erkennen. Auch das Hemd schien an den Unterärmeln ein wenig schmutzig geworden zu sein, saß jedoch wie angegossen und betonte die athletische Figur des jungen Mannes. Ebenfalls extra für ihn angefertigt war die dunkle Hose aus Rindsleder, welche einen bisher kaum getragenen Eindruck machte. Lediglich die sichtbar abgenutzten Reitstiefel waren weniger gepflegt.<br>
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Das von lockigem dunkelblonden Haar umrahmte Gesicht des Ritters wirkte trotz leichter Augenringe jung und aufgeweckt. Seine blauen Augen verrieten eher schnell, in welchem Gemütszustand sich der junge Hadinger befand. Seine anfängliche Amüsiertheit wich angesichts der versammelten Tierwesen und insbesondere des sich ungeniert in einem Schlammloch suhlenden Krötenmannes einer sichtbaren Verwirrtheit.<br>
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"Travia zum Gruße!" offenbarte Relindis, was dank ihres orangenen Ornats, so mitgenommen dieses inzwischen auch aussah, und ihres silbernen Gänseanhängers ohnehin offenkundig war. "Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass die gütige Mutter noch mehr hilfsbereite Herzen in diese Welt hier ausgesandt hat! Und ich kann Euch verkünden, dass Ihr das Kind, das Ihr suchtet, bereits gefunden habt." Die junge Geweihte sah dabei sanft lächelnd Tsadoro an, wurde sogleich aber wieder ernst. "Die kranke Frau dagegen suchen wir noch, genauso wie Ihr. Mein Name ist Relindis von Tannenfels. In meinen Armen seht Ihr den kleinen Tsadoro, und meine Gefährten hier sind die beherzte Akka, der wissende Mafaldo und der… ja, der geerdete Onyx." stellte sie reihum ihre Begleiter vor. "Sie sind wie Ihr und ich vom Derenrund, wurden aber beim Übertritt in diese Welt mit einer ihnen fremden Gestalt bedacht. Außerdem darf ich Euch mit Simunius bekannt machen. Er stammt von hier und hat sich nicht nur bis zu unserer Ankunft Tsadoros angenommen, sondern begleitet uns auch auf dem Weg ins Ulmental. Und genau dahin müssen wir weiter, dürfen keine Zeit mehr verlieren. Der kranken Frau, bei der es sich mutmaßlich um meine Schwester im Glauben und meine Schwägerin in spe handelt, geht es, nach allem was wir vernommen haben, sehr schlecht. " Relindis drehte sich einmal um sich und sah alle an. “Wollt Ihr Euch uns anschließen? Dann könnt Ihr uns auf dem Weg erzählen, wer oder was Euch auf diese Suche brachte.” Denn das interessierte sie, bei aller Dringlichkeit und Sorge um Elvrun, brennend.<br>
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‘''Akka, die Beherzte…''’ Die Brust der jungen Gänsefrau schwoll insgeheim vor Stolz und freudiger Überraschung, so genannt worden zu sein. “Jajaja, auf zum Ulmental, zu dieser Ulmaceae, schnellschnell!” stimmte sie in Relindis’ Aufruf zum Aufbruch ein, als wollte sie der gehörten Preisung Ehre machen. Mit Blick auf Mafaldo und Simunius’ Disput hielt sie aber jäh wieder inne und fragte die Neuankömmlinge: “Wisst ''ihr'' vielleicht, in welche Richtung es weitergeht?”<br>
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Ein junger Mann mit elfischen Ohren und mit einer regenbogenfarbenen Tunika bekleidet kam mit geöffneten Armen auf die Neuankömmlinge zu. Er war schlank, groß und hatte langes, schneeweißes Haar und strahlend erdbraune Augen. “Der Lachenden zum Gruße! Du bist also der Tsalrik, der Ulmenwächter. Simunius, der Fröhliche, der bin ich!” Der Halbdryade (oder Halbelf?) umarmte jeden einzelnen und hauchte ihnen einen Kuß über die Wange. Dann blickte er zu Relindis und griff ihre Frage auf. “Genau, wisst ihr die richtige Richtung?” <br>
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Tsalrik nickte sogleich energisch. "Aber natürlich, wir sind gleich da. Ulmaceae lebt im großen Ulmenbaum." Der junge, aufgeweckte Mann zeigte vage in eine Richtung.<br>
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Mafaldo, der Rabenmann, hielt sich zurück und schaute sich die Neuankömmlinge genau an. Seine schwarzen, tiefgründigen Augen schimmerten im Licht des Feenhimmels und fast mochte man meinen, er könnte in jede Seele blicken. ´Mehr Menschen. Das wird Alrike nicht gefallen´, dachte er bei sich. Er kannte zumindest zwei der Drei. Hardomar und Silvagild. Erst gestern hatte er sie beobachtet, wie die beiden sich zu früher Morgenstunde auf der Burg begegnet waren. An die Namen konnte er sich nicht erinnern, doch sein Gesichtsgedächtnis ließ ihn nie im Stich. Wie es schien, war die Frau die Gelegeschwester des Grünlings, dem Menschen mit der Feenaura. Er hoffte inständig, dass sie zu den Menschen gehörten, die das Geheimniss der Feenwelt bewahrten. Bei dem anderen jungen Mann war Mafaldo sich da allerdings nicht sicher. Zu überrascht wirkte er und wie es schien, war das sein erster Besuch. Glücklicherweise kannte er den Zauber, der die Erinnerung an diese Welt nahm, sobald man wieder in die andere zurückkehrte. Tief atmete er durch und versuchte den ´Puls der Zeit´ zu spüren, eine Gabe die den meisten Raben gegeben war. Mafaldo konnte die Lebensaura der Menschen spüren, auch die, die weit entfernt waren. Wo auch immer die Gesuchte war, er spürte sie. Ja, da war sie. Nicht weit und doch sehr schwach. “Wir müssen uns beeilen, ihre Lebenszeit läuft ab”, sagte er kommentarlos in die Runde.<br>
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Kurz huschte ein besorgter Ausdruck über Silvagilds Antlitz. "Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Tsalrik geht vor, wir sollten gleich da sein."<br>
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Abermals nickte der Jüngling. "Ja, folgt mir liebe Leute."<br>
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Beklemmung füllte Relindis Herz, als sie Mafaldos Worte vernahm. Elvrun durfte nicht sterben! Die Geweihte reffte eiligst ihr Kleid, diesmal nicht mehr darauf achtend, ob die Knie bedeckt waren oder nicht - für solche Überlegungen war jetzt kein Platz mehr und Travia würde ihr einen etwaigen Verstoß gegen die sittsame Bekleidungsordnung in dieser Lage sicher nachsehen. Den überschüssigen Stoff knotete sie mit entschiedenem, ohne Rücksicht auf Verluste geführten Zug fest, damit ihr Gewand ihr nicht so leicht wieder in die Quere käme, dann drückte sie Tsadoro noch fester an sich. "Wir werden Deine Mutter finden und retten!" sprach sie ihm und noch mehr sich selbst leise Mut und Hoffnung zu, dann setzte sie in weit ausgreifenden Schritten Tsalrik hinterher, den sie bald erreichte und am liebsten sogar überholt hätte... wenn sie denn nur den Weg wüsste.<br>
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Akka eilte hinter ihr her. Sie musste sich zwar sputen, doch kam ihr hier ihre Ausdauer, die Ausdauer einer Langstreckenfliegerin, die sie auch in diese Gestalt mitgenommen hatte, zugute. Relindis schnaufte bald schon wieder recht kräftig. "Wenn Du magst und es Dir hilft, kann ich Dir das Küken ein Weilchen abnehmen und tragen." bot sie an. "Dann kannst Du Dich erholen, und wir sind noch schneller. Jaja."<br>
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Dankbar nahm Relindis Akkas Angebot an. "Lass uns abwechseln, ja?" Vorsichtig übergab sie Tsadoro an ihre neugewonnene Freundin, die diesen behutsam an ihre Brust drückte, und dann in beruhigend wackelndem, aber dennoch zügigem Schritt weitereilte.<br>
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So entlastet fand Relindis trotz des Marsches wieder den Atem, Tsalrik, Hardomar und Silvagild nochmal ausführlicher zu fragen: "Ihr habt immer noch nicht erzählt, wie ihr von den Nöten der Frau, die wir alle suchen, erfahren habt und wie es Euch in diese Welt verschlagen hat."<br>
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"Ähm …", Silvagild war etwas unschlüssig ob sie am heutigen Tage nicht schon eine Person zu viel in ihr Geheimnis eingeweiht hatte, "... mein Bruder hat uns erzählt, dass Menschen ins Reich der Lilienkönigin gekommen sind und dass wohl Salgar dahinter steckt." Die Worte sprudelten aus der jungen Frau heraus und sie hoffte dadurch, dass Relindis dadurch ihre andere Frage vergessen würde oder ihr vielleicht nur noch untergeordnete Priorität zuordnen würde. Auch ihr Bruder war ein Unsicherheitsfaktor, der in eine stille Phase bestimmt irgendetwas hinein plappern würde. "Tsalrik ist …", wer die Familie Ulmentor genauer kannte, wusste, dass besagter Tsalrik der zweitgeborene Sohn von Junker Gernot von Hagenbrünn-Ulmentor gewesen war, aber als kleines Kind spurlos verschwand, "... er ist gut informiert und sagte uns, dass eine der Menschen wohl schwer krank war und zu Ulmaceae gebracht wurde. Hardomar und ich dachten uns, dass wir vielleicht helfen können und die Frau, wenn sie dann geheilt ist wieder zurück in unsere Welt bringen können." In die nun entstandene, kurze Stille, brach die junge Ulmentorerin sogleich wieder mit einer Frage: "Ihr kennt die erkrankte Frau, habe ich recht?"<br>
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Hardomar erkannte, dass Silvagild bei den ihr gestellten Fragen nervös wurde. Da er ihr geschworen hatte, ihr Geheimnis für den Rest seines Lebens zu wahren und zu schützen, versuchte er, so gut es ihm möglich war, sie in diesem Moment zu unterstützen. <br>
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Eher still und unauffällig lief er nebenher, nickte zustimmend zu dem Gesagten und als es zu der kurzen Pause kam, wollte er gerade eine ablenkende Frage an Relindis stellen. Doch Silvagild kam ihm zuvor und er ergänzte ihre Frage mit einem besonders neugierigen und absichtlich vertrauenserweckenden Blick: “Ihr müsst uns unbedingt alles über Eure Schwägerin erzählen. Und macht Euch keine Sorgen, wir werden sie gewiss retten!” <br>
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Relindis nickte, zögerte jedoch kurz mit ihrer Antwort. Ob sie offenbaren sollte, dass es sich um Elvrun handelte? Immerhin waren ihre neuen Begleiter ja aus ihrer Welt. Falls Tsadoro tatsächlich Elvruns Kind wäre... gut, diesen Aspekt konnte sie zunächst ja für sich behalten. Und andererseits schienen dies Menschen guten Herzens zu sein, die ja nur hier waren, weil sie helfen wollten. "Ich fürchte, ja. Wenn sich nicht alles doch noch als großer Irrtum herausstellt, müsste die kranke Frau Schwester Elvrun, Elvrun von Altenberg, sein. Ich war im Stadtpark von Herzogenfurt auf der Suche nach ihr, damit sie..." Relindis schluckte, so doppelt schmerzhaft waren die Ereignisse an einem so besonderen Tag "damit sie nicht zu spät zu ihrer eigenen Hochzeit mit meinem Bruder kommt. Dann ist sie aber hierher verschwunden, und ich bin ihr mit meinen... neuen Freunden gefolgt. Doch fragt mich nicht, warum sie auf einmal so krank geworden ist." Auch wenn sie selbst eine Ahnung hatte. "Aber es ist wahrlich eine gute Fügung, dass mit Euch Hilfe gekommen ist, die sich hier offenbar auskennt. Seid Ihr öfter hier?" <br>
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"Meine Schwester Bakka, Bakka ist auch hier verschwunden."  warf Akka ein, sich dies selbst wieder ins Gedächtnis rufend. "Vielleicht ist sie ja bei der kranken Frau, hoffentlich ist sie das, jaja." <br>
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Relindis sah sie mitfühlend an. "Ja, das hoffe ich auch, Akka." Um Akkas, aber auch um Elvruns Willen wünschte sie sich dies. "Und falls nicht, suchen wir sie gemeinsam, sobald wir Elvrun geholfen haben."<br>
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Auf die Annahme von Relindis, dass sie sich in dieser Welt gut auskannten und öfter hier waren, schwieg der Hadinger Ritter und wartete lieber auf Silvagilds Antwort. Er versuchte nun, so gut es seine unterschwellige Aufregung über diese fremde Welt und ihre skurril aussehenden Bewohner zuließ, so gelassen und abgeklärt wie möglich zu wirken.<br>
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Silvagild schien der Anblick der anderen Kreaturen nicht wirklich zu beunruhigen oder zu verwundern, was den Schluss zuließ, dass sie sehr wohl öfter hier zu sein schien. Dennoch gab sich die junge Frau weiterhin zugeknöpft: “Ähm … ja, ich war schon einmal hier, aber kenne mich nicht so gut aus wie Tsalrik.” Im immerwährenden Kampf darum das Thema zu wechseln, sah sie hinüber zu Akka, Mafaldo und Onyx. “Und ihr seid wer genau in der anderen Welt? Tiere?” <br>
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Mafaldo legte den Kopf etwas schief und nickte zur Bestätigung. <br>
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"Jaja, ich bin Akka von Aggwanas Schar, eine Wildgans bin ich, und mein Leib normalerweise auch, auf der anderen Seite des Sees, jenseits des Nebels. Jaja." bekräftigte auch die Gänsefrau.<br>
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Simunius stellte sich näher zu Silvagild und schien tief durchzuatmen. Seine Augenfarbe wechselte vom Erdbraun in ein zartes Rosa. Dieser Duft, den die junge Frau ausströmte ließ seine Triebe aufmerksam werden. Da Dryaden im Allgemeinen einen starken Sexualtrieb hatten, hatte er als Halbdryade diesen auch nicht in minderer Ausprägung. “Schöne Silvagild, ich möchte euch Gesellschaft leisten, bis wir bei der Heilerin sind.” Nun verströmte auch er einen betörenden Duft. Den jungen Ritter ignorierte er dabei. Der Rabenmann schloß sich nun Tsalrik an. “Lasst uns gehen.”<br>
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Auch Silvagild war vom Blut der Dryaden, auch wenn dieses sehr viel dünner sein mochte als bei Simunius - darüber hinaus schien ihr Trieb noch nicht gänzlich durchgebrochen zu sein. Für sie war es mehr ein Spiel, weshalb sie dem Halbdryaden auch mit ihren grünen Augen - die diese Farbe wirklich nur in dieser Welt zu haben schienen - verspielt zuzwinkerte. “Sehr gerne.” Sie hakte sich bei ihm unter. “Ritter Hardomar wollte übrigens eine echte Dryade sehen … nun für den Moment können wir ja mit einem halben anfangen.” Sie lächelte frech und wandte sich im Gehen zum Hadinger um.<br>
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Wie? Was? Das ging Onyx zu schnell. Er badete noch genüsslich in seinem Schlammbad und träumte vom Busen seiner Herrin und fetten Fliegen, da wurde er von dem Kerl umarmt. Er spürte Unruhe in der Menge, neue, suspekte Leute kamen, die er mit zusammengekniffenen Augen musterte. Wäre seine Zunge doch nur länger… “Ahhhh… Mhmmm “ Sagte er, dann schienen die anderen etwas entschieden zu haben. Onyx sank noch einmal bis zur Nase in den Schlamm und wartete, bis die Gruppe sich in Bewegung setzte. Dann würde er folgen, das Elend hätte sicher bald ein Ende.<br>
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Hardomar wusste sofort, dass diese Bemerkung von Silvagild auf seine letzten Worte abzielte, kurz bevor die beiden auf die Tiergruppe getroffen waren. Schon den ganzen Vormittag hatten er und Silvagild sich immer wieder neckisch gekabbelt und er genoss sehr die gemeinsame Zeit mit der Ulmentorerin. In den letzten drei Tagen war die Knappin ihm zu einer sehr wertvollen Freundin geworden. Er wusste, dass er sie bei ihren Vorhaben unterstützen und immer für sie da sein wollte, wann auch immer sie seine Hilfe benötigen würde.<br>
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Doch das Unterhaken bei Simunius und ihr letzter Kommentar ließen den jungen Ritter nicht kalt und er merkte, wie das Blut in seinen Adern sich erhitzte. Sicher hatte er schon seine Erfahrungen mit der Liebe gesammelt, doch neben gelegentlichen kurzen, bedeutungslosen Abenteuern hatte er nur selten echte Verliebtheit empfunden. Da war mal bei den Paggenfeldern diese Pferdemagd gewesen, die konnte küssen. Und andere Sachen mit ihren Lippen anstellen… Und vor ungefähr zwei Götterläufen hatte er eine längere, heftige Liebelei mit einer anderen Knappin gehabt, für die er damals schon sehr geschwärmt und gebrannt hatte. Doch dieses heftige Gefühl der Eifersucht, welches ihn gerade in diesem Moment ergriff, war ihm fremd. Nie hätte er erwartet, von solchen starken Emotionen erfasst zu werden.<br>
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‘Bloß nichts anmerken lassen, sag’ jetzt bloß nichts blödes’, dachte Hardomar zu sich selbst. Sollte er versuchen, Silvagild eifersüchtig zu machen? Sollte er sich bei… er schaute sich um… der Travia-Geweihten unterhaken? ‘Sei kein Narr…’ sagte er zu sich selbst. Die Gänsefrau? Jung und halbnackt? Er schaute zu dem Schlammloch herüber… ‘Bei Rahja, NEIN!’, er musste schmunzeln.<br>
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Dann schaute ihn Silvagild frech an und ließ ihre Spitze los. Er erwiderte den Blick und zwinkerte ihr schelmisch zu. “Ich hatte mir die Dryaden aber ehrlich gesagt auch etwas spektakulärer vorgestellt.”<br>
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Mit Überraschung und nicht nur leichtem Befremden nahm Relindis die oberflächliche Turtelei zwischen Simunius und Silvagild und deren an Hardomar gerichtete Geste war. Sie überging diese jedoch geflissentlich, obgleich sie nicht verstehen konnte, wie ein mitfühlendes Wesen an so etwas auch nur ansatzweise denken konnte, wenn es doch gerade um das Leben Elvruns ging. Gut, Simunius war nicht von ihrer Welt, aber diese Silvagild war doch auch hierher gekommen, um Mutter und Kind zu retten... Relindis versuchte, diese Gedanken abzuschütteln. Sie wollte - selbst im Geiste - nicht über die nebensächlichen Handlungen und das Fühlen derer richten, die bereit waren, ihnen zu helfen. Es wurde einfach nur Zeit, dass sie endlich zu Elvrun gelangten. Sie setzte mit nochmals beschleunigtem Schritt Akka und dem an deren Brust schlafenden Tsadoro hinterher.<br>
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Silvagild beantwortete die Aussage des Hadingers mit einem gespielten Schmollmund. “Ich bin mir sicher, Ihr werdet heute auch eine richtige sehen und dann könnt Ihr ja Euer abschließendes Urteil fällen. Aber erst müssen wir Elvrun holen. Ulmaceae ist eine Meisterin ihres Fachs, ich bin mir sicher, dass sie schon wieder gesund ist.” <br>
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Diese Haltung gefiel ihr schon besser. Relindis hoffte mit jeder Faser ihres Herzens, dass Silvagild Recht behielt. Mafaldo hatte gerade noch ganz anders geklungen...<br>
  
 
=== An der anderen Kreuzung ===
 
=== An der anderen Kreuzung ===

Version vom 2. Januar 2022, 01:51 Uhr

Im Ulmental

Kapitel 6 der Briefspielgeschichte Tiergefährten

Hier mündet die Briefspielgeschichte Der Ritter und die Knappin ein.

Ganz offensichtlich unterschied sich die Gegend um das Ulmental vom restlichen Reich der Lilienkönigin. Wie es schien, war diese Landschaft gänzlich von Ulmen bewachsen und glich einem Wald. Dem aufmerksamen Beobachter entging aber nicht, dass dieser nur auf den ersten Blick ´normal´ wirkte. Die Stämme hatten oft fabelhafte Formen, ja manch ein Gesicht formte sich aus der Borke. Die Büsche und Blumen hatten alle ulmenförmige Blätter und zwischen dem Wurzelwerk huschten Winzlinge, Blütenfeen und Moosbolde. Der Himmel war auch hier sternenlos und bar jedes Praiosmals. Im Zentrum des Waldes öffnete sich ein Tal, in dessen Mitte eine gewaltige Ulme stand. Verschlungene Pfade führten in Tal hinaus und hinein und man konnte sich nie sicher sein, ob ein Reisender immer dort ankam, wohin er wollte. Und so begab es sich, das einige unsere Tiergefährten ratlos den Weg zur Herrin dieses Waldes suchten.

An der Kreuzung

(Relindis, Akka, Onyx, Mafaldo, Simunius, Silvagild, Hardomar, Tsalrik)
Die Kleidung war fast trocken und der Knabe hatte den ganzen Weg über geschlafen. Doch nun schien es, dass der Rabenmann Mafaldo, so wie der Halbdryade Simunius sich verlaufen hatten. Während die beiden an einer Kreuzung diskutierten, welcher der vier Pfade der richtige sei, saß die Traviageweihte Relindis mit dem Knaben Tsadoro und der Gänsefrau Akka auf einem umgefallenen Baumstamm. Der Krötenmann Onyx hatte derweilen ein Schlammloch ausgemacht, in dem er sich wonnig suhlte. Zwei Blütenfeen flatterten herbei, surrten um die Köpfe von Relindis und Akka, um dann tänzelnd davon zu fliegen. Neugierig und noch immer verwundert folgte sie ihren Flug, doch dann sah sie etwas anderes. Drei Gestalten kamen von einem der Pfade auf sie zu. Und … es waren Menschen!

Menschen? Hier? Relindis blinzelte, doch blieb es dabei - ihre Augen hatten sie nicht getäuscht. Es kamen tatsächlich Menschen auf sie zu. “Leben hier auch Menschen, in diesem Reich?” erkundigte sie sich leise und hörbar erstaunt bei Mafaldo und Simunius. “Oder hat es diese ebenfalls hierher verschlagen, wie uns?” Tsadoro sanft im Arm wiegend erhob sie sich und sah den Ankömmlingen neugierig entgegen, bereit, diese freundlich zu empfangen. An ihr noch immer mitgenommen wirkendes Festornat und ihre von der Flussquerung erst nass gewordenen und nun zerzaust getrockneten Haare verschwendete sie keinen Gedanken.

Akka war zunächst weit weniger verwundert darüber, für sie reihte sich diese neue Begegnung ein in den Reigen wundersamer und schwer zu verstehender Erlebnisse, die seit jenem Morgen im Park - war das tatsächlich heute gewesen? - an dem es sie hierher verschlagen hatte und sie sich in menschlicher Gestalt wiedergefunden hatte, schier ununterbrochen über sie herein prasselten. Erst Relindis Reaktion weckte ihre Aufmerksamkeit. Auch sie sprang auf und reckte ihren Hals, sich einen Überblick zu verschaffen, wer da nahte. “Wer ist das? Wer ist das?”

Zwei der drei Menschen sahen auf dem ersten Blick nicht so aus als gehörten sie in diese Welt. Einzig der vorne weg hopsende Jüngling passte in Relindis Augen ganz gut hier her: der junge Mann hatte dunkelblondes Haar und grasgrüne Augen. Aus seinem Haarschopf ragten vereinzelte Ulmenblätter heraus, sein Antlitz war glattrasiert und er trug Kleidung aus dunkelgrünem Bausch und eine Laute auf dem Rücken. Sein unsteter Blick ging durch die Neuankömmlinge, schien jedoch besonders lang auf Relindis und dem Kind zu liegen. “Ah, wart ihr schon bei Ulmaceae?” Er kam der Geweihten nun noch etwas näher und beäugte sie interessiert. “Wohl schon, weil allzu krank siehst du ja nicht mehr aus.”
Währenddessen waren auch die anderen beiden Menschen an die Gruppe herangetreten. Die junge Frau war in einen edlen dunkelgrünen Reitrock gewandet, hatte dunkelblondes Haar und dieselben grünen Augen wie der junge Mann. “Jetzt stell dich vielleicht einmal vor, Tsalrik”, schalt sie ihren jüngeren Bruder. “Mein Name ist Silvagild von Ulmentor und das sind Hardomar von Hadingen und mein kleiner Bruder Tsalrik.” Der Jüngling rollte wie zur Begrüßung mit seinen Augen, doch fuhr die Knappin davon unbeeindruckt fort. “Wir sind auf der Suche nach einer kranken Frau und einem Kind, die in diese Welt kamen um Ulmaceaes Hilfe zu erbitten.”

Der junge Mann neben Silvagild schmunzelte amüsiert, als er beobachtete, wie die Ulmentorer Knappin mit ihrem jüngeren Bruder umsprang. Er verneigte sich höflich, wirbelte dabei ein wenig mit seinem Arm und ergänzte Silvagilds Vorstellung mit: “Sehr erfreut, Euer Gnaden kennenzulernen.”
Der Hadinger Ritter trug an jenem Vormittag, zumindest ging er davon aus, dass es noch immer Vormittag war, ein weißes Hemd aus dickem Leinen, welches er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. An beiden Unterarmen waren leichte Abschürfungen und etwas Schmutz zu erkennen. Auch das Hemd schien an den Unterärmeln ein wenig schmutzig geworden zu sein, saß jedoch wie angegossen und betonte die athletische Figur des jungen Mannes. Ebenfalls extra für ihn angefertigt war die dunkle Hose aus Rindsleder, welche einen bisher kaum getragenen Eindruck machte. Lediglich die sichtbar abgenutzten Reitstiefel waren weniger gepflegt.
Das von lockigem dunkelblonden Haar umrahmte Gesicht des Ritters wirkte trotz leichter Augenringe jung und aufgeweckt. Seine blauen Augen verrieten eher schnell, in welchem Gemütszustand sich der junge Hadinger befand. Seine anfängliche Amüsiertheit wich angesichts der versammelten Tierwesen und insbesondere des sich ungeniert in einem Schlammloch suhlenden Krötenmannes einer sichtbaren Verwirrtheit.

"Travia zum Gruße!" offenbarte Relindis, was dank ihres orangenen Ornats, so mitgenommen dieses inzwischen auch aussah, und ihres silbernen Gänseanhängers ohnehin offenkundig war. "Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass die gütige Mutter noch mehr hilfsbereite Herzen in diese Welt hier ausgesandt hat! Und ich kann Euch verkünden, dass Ihr das Kind, das Ihr suchtet, bereits gefunden habt." Die junge Geweihte sah dabei sanft lächelnd Tsadoro an, wurde sogleich aber wieder ernst. "Die kranke Frau dagegen suchen wir noch, genauso wie Ihr. Mein Name ist Relindis von Tannenfels. In meinen Armen seht Ihr den kleinen Tsadoro, und meine Gefährten hier sind die beherzte Akka, der wissende Mafaldo und der… ja, der geerdete Onyx." stellte sie reihum ihre Begleiter vor. "Sie sind wie Ihr und ich vom Derenrund, wurden aber beim Übertritt in diese Welt mit einer ihnen fremden Gestalt bedacht. Außerdem darf ich Euch mit Simunius bekannt machen. Er stammt von hier und hat sich nicht nur bis zu unserer Ankunft Tsadoros angenommen, sondern begleitet uns auch auf dem Weg ins Ulmental. Und genau dahin müssen wir weiter, dürfen keine Zeit mehr verlieren. Der kranken Frau, bei der es sich mutmaßlich um meine Schwester im Glauben und meine Schwägerin in spe handelt, geht es, nach allem was wir vernommen haben, sehr schlecht. " Relindis drehte sich einmal um sich und sah alle an. “Wollt Ihr Euch uns anschließen? Dann könnt Ihr uns auf dem Weg erzählen, wer oder was Euch auf diese Suche brachte.” Denn das interessierte sie, bei aller Dringlichkeit und Sorge um Elvrun, brennend.

Akka, die Beherzte…’ Die Brust der jungen Gänsefrau schwoll insgeheim vor Stolz und freudiger Überraschung, so genannt worden zu sein. “Jajaja, auf zum Ulmental, zu dieser Ulmaceae, schnellschnell!” stimmte sie in Relindis’ Aufruf zum Aufbruch ein, als wollte sie der gehörten Preisung Ehre machen. Mit Blick auf Mafaldo und Simunius’ Disput hielt sie aber jäh wieder inne und fragte die Neuankömmlinge: “Wisst ihr vielleicht, in welche Richtung es weitergeht?”

Ein junger Mann mit elfischen Ohren und mit einer regenbogenfarbenen Tunika bekleidet kam mit geöffneten Armen auf die Neuankömmlinge zu. Er war schlank, groß und hatte langes, schneeweißes Haar und strahlend erdbraune Augen. “Der Lachenden zum Gruße! Du bist also der Tsalrik, der Ulmenwächter. Simunius, der Fröhliche, der bin ich!” Der Halbdryade (oder Halbelf?) umarmte jeden einzelnen und hauchte ihnen einen Kuß über die Wange. Dann blickte er zu Relindis und griff ihre Frage auf. “Genau, wisst ihr die richtige Richtung?”

Tsalrik nickte sogleich energisch. "Aber natürlich, wir sind gleich da. Ulmaceae lebt im großen Ulmenbaum." Der junge, aufgeweckte Mann zeigte vage in eine Richtung.

Mafaldo, der Rabenmann, hielt sich zurück und schaute sich die Neuankömmlinge genau an. Seine schwarzen, tiefgründigen Augen schimmerten im Licht des Feenhimmels und fast mochte man meinen, er könnte in jede Seele blicken. ´Mehr Menschen. Das wird Alrike nicht gefallen´, dachte er bei sich. Er kannte zumindest zwei der Drei. Hardomar und Silvagild. Erst gestern hatte er sie beobachtet, wie die beiden sich zu früher Morgenstunde auf der Burg begegnet waren. An die Namen konnte er sich nicht erinnern, doch sein Gesichtsgedächtnis ließ ihn nie im Stich. Wie es schien, war die Frau die Gelegeschwester des Grünlings, dem Menschen mit der Feenaura. Er hoffte inständig, dass sie zu den Menschen gehörten, die das Geheimniss der Feenwelt bewahrten. Bei dem anderen jungen Mann war Mafaldo sich da allerdings nicht sicher. Zu überrascht wirkte er und wie es schien, war das sein erster Besuch. Glücklicherweise kannte er den Zauber, der die Erinnerung an diese Welt nahm, sobald man wieder in die andere zurückkehrte. Tief atmete er durch und versuchte den ´Puls der Zeit´ zu spüren, eine Gabe die den meisten Raben gegeben war. Mafaldo konnte die Lebensaura der Menschen spüren, auch die, die weit entfernt waren. Wo auch immer die Gesuchte war, er spürte sie. Ja, da war sie. Nicht weit und doch sehr schwach. “Wir müssen uns beeilen, ihre Lebenszeit läuft ab”, sagte er kommentarlos in die Runde.

Kurz huschte ein besorgter Ausdruck über Silvagilds Antlitz. "Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Tsalrik geht vor, wir sollten gleich da sein."

Abermals nickte der Jüngling. "Ja, folgt mir liebe Leute."

Beklemmung füllte Relindis Herz, als sie Mafaldos Worte vernahm. Elvrun durfte nicht sterben! Die Geweihte reffte eiligst ihr Kleid, diesmal nicht mehr darauf achtend, ob die Knie bedeckt waren oder nicht - für solche Überlegungen war jetzt kein Platz mehr und Travia würde ihr einen etwaigen Verstoß gegen die sittsame Bekleidungsordnung in dieser Lage sicher nachsehen. Den überschüssigen Stoff knotete sie mit entschiedenem, ohne Rücksicht auf Verluste geführten Zug fest, damit ihr Gewand ihr nicht so leicht wieder in die Quere käme, dann drückte sie Tsadoro noch fester an sich. "Wir werden Deine Mutter finden und retten!" sprach sie ihm und noch mehr sich selbst leise Mut und Hoffnung zu, dann setzte sie in weit ausgreifenden Schritten Tsalrik hinterher, den sie bald erreichte und am liebsten sogar überholt hätte... wenn sie denn nur den Weg wüsste.

Akka eilte hinter ihr her. Sie musste sich zwar sputen, doch kam ihr hier ihre Ausdauer, die Ausdauer einer Langstreckenfliegerin, die sie auch in diese Gestalt mitgenommen hatte, zugute. Relindis schnaufte bald schon wieder recht kräftig. "Wenn Du magst und es Dir hilft, kann ich Dir das Küken ein Weilchen abnehmen und tragen." bot sie an. "Dann kannst Du Dich erholen, und wir sind noch schneller. Jaja."

Dankbar nahm Relindis Akkas Angebot an. "Lass uns abwechseln, ja?" Vorsichtig übergab sie Tsadoro an ihre neugewonnene Freundin, die diesen behutsam an ihre Brust drückte, und dann in beruhigend wackelndem, aber dennoch zügigem Schritt weitereilte.

So entlastet fand Relindis trotz des Marsches wieder den Atem, Tsalrik, Hardomar und Silvagild nochmal ausführlicher zu fragen: "Ihr habt immer noch nicht erzählt, wie ihr von den Nöten der Frau, die wir alle suchen, erfahren habt und wie es Euch in diese Welt verschlagen hat."

"Ähm …", Silvagild war etwas unschlüssig ob sie am heutigen Tage nicht schon eine Person zu viel in ihr Geheimnis eingeweiht hatte, "... mein Bruder hat uns erzählt, dass Menschen ins Reich der Lilienkönigin gekommen sind und dass wohl Salgar dahinter steckt." Die Worte sprudelten aus der jungen Frau heraus und sie hoffte dadurch, dass Relindis dadurch ihre andere Frage vergessen würde oder ihr vielleicht nur noch untergeordnete Priorität zuordnen würde. Auch ihr Bruder war ein Unsicherheitsfaktor, der in eine stille Phase bestimmt irgendetwas hinein plappern würde. "Tsalrik ist …", wer die Familie Ulmentor genauer kannte, wusste, dass besagter Tsalrik der zweitgeborene Sohn von Junker Gernot von Hagenbrünn-Ulmentor gewesen war, aber als kleines Kind spurlos verschwand, "... er ist gut informiert und sagte uns, dass eine der Menschen wohl schwer krank war und zu Ulmaceae gebracht wurde. Hardomar und ich dachten uns, dass wir vielleicht helfen können und die Frau, wenn sie dann geheilt ist wieder zurück in unsere Welt bringen können." In die nun entstandene, kurze Stille, brach die junge Ulmentorerin sogleich wieder mit einer Frage: "Ihr kennt die erkrankte Frau, habe ich recht?"

Hardomar erkannte, dass Silvagild bei den ihr gestellten Fragen nervös wurde. Da er ihr geschworen hatte, ihr Geheimnis für den Rest seines Lebens zu wahren und zu schützen, versuchte er, so gut es ihm möglich war, sie in diesem Moment zu unterstützen.
Eher still und unauffällig lief er nebenher, nickte zustimmend zu dem Gesagten und als es zu der kurzen Pause kam, wollte er gerade eine ablenkende Frage an Relindis stellen. Doch Silvagild kam ihm zuvor und er ergänzte ihre Frage mit einem besonders neugierigen und absichtlich vertrauenserweckenden Blick: “Ihr müsst uns unbedingt alles über Eure Schwägerin erzählen. Und macht Euch keine Sorgen, wir werden sie gewiss retten!”

Relindis nickte, zögerte jedoch kurz mit ihrer Antwort. Ob sie offenbaren sollte, dass es sich um Elvrun handelte? Immerhin waren ihre neuen Begleiter ja aus ihrer Welt. Falls Tsadoro tatsächlich Elvruns Kind wäre... gut, diesen Aspekt konnte sie zunächst ja für sich behalten. Und andererseits schienen dies Menschen guten Herzens zu sein, die ja nur hier waren, weil sie helfen wollten. "Ich fürchte, ja. Wenn sich nicht alles doch noch als großer Irrtum herausstellt, müsste die kranke Frau Schwester Elvrun, Elvrun von Altenberg, sein. Ich war im Stadtpark von Herzogenfurt auf der Suche nach ihr, damit sie..." Relindis schluckte, so doppelt schmerzhaft waren die Ereignisse an einem so besonderen Tag "damit sie nicht zu spät zu ihrer eigenen Hochzeit mit meinem Bruder kommt. Dann ist sie aber hierher verschwunden, und ich bin ihr mit meinen... neuen Freunden gefolgt. Doch fragt mich nicht, warum sie auf einmal so krank geworden ist." Auch wenn sie selbst eine Ahnung hatte. "Aber es ist wahrlich eine gute Fügung, dass mit Euch Hilfe gekommen ist, die sich hier offenbar auskennt. Seid Ihr öfter hier?"

"Meine Schwester Bakka, Bakka ist auch hier verschwunden." warf Akka ein, sich dies selbst wieder ins Gedächtnis rufend. "Vielleicht ist sie ja bei der kranken Frau, hoffentlich ist sie das, jaja."

Relindis sah sie mitfühlend an. "Ja, das hoffe ich auch, Akka." Um Akkas, aber auch um Elvruns Willen wünschte sie sich dies. "Und falls nicht, suchen wir sie gemeinsam, sobald wir Elvrun geholfen haben."

Auf die Annahme von Relindis, dass sie sich in dieser Welt gut auskannten und öfter hier waren, schwieg der Hadinger Ritter und wartete lieber auf Silvagilds Antwort. Er versuchte nun, so gut es seine unterschwellige Aufregung über diese fremde Welt und ihre skurril aussehenden Bewohner zuließ, so gelassen und abgeklärt wie möglich zu wirken.

Silvagild schien der Anblick der anderen Kreaturen nicht wirklich zu beunruhigen oder zu verwundern, was den Schluss zuließ, dass sie sehr wohl öfter hier zu sein schien. Dennoch gab sich die junge Frau weiterhin zugeknöpft: “Ähm … ja, ich war schon einmal hier, aber kenne mich nicht so gut aus wie Tsalrik.” Im immerwährenden Kampf darum das Thema zu wechseln, sah sie hinüber zu Akka, Mafaldo und Onyx. “Und ihr seid wer genau in der anderen Welt? Tiere?”

Mafaldo legte den Kopf etwas schief und nickte zur Bestätigung.

"Jaja, ich bin Akka von Aggwanas Schar, eine Wildgans bin ich, und mein Leib normalerweise auch, auf der anderen Seite des Sees, jenseits des Nebels. Jaja." bekräftigte auch die Gänsefrau.

Simunius stellte sich näher zu Silvagild und schien tief durchzuatmen. Seine Augenfarbe wechselte vom Erdbraun in ein zartes Rosa. Dieser Duft, den die junge Frau ausströmte ließ seine Triebe aufmerksam werden. Da Dryaden im Allgemeinen einen starken Sexualtrieb hatten, hatte er als Halbdryade diesen auch nicht in minderer Ausprägung. “Schöne Silvagild, ich möchte euch Gesellschaft leisten, bis wir bei der Heilerin sind.” Nun verströmte auch er einen betörenden Duft. Den jungen Ritter ignorierte er dabei. Der Rabenmann schloß sich nun Tsalrik an. “Lasst uns gehen.”

Auch Silvagild war vom Blut der Dryaden, auch wenn dieses sehr viel dünner sein mochte als bei Simunius - darüber hinaus schien ihr Trieb noch nicht gänzlich durchgebrochen zu sein. Für sie war es mehr ein Spiel, weshalb sie dem Halbdryaden auch mit ihren grünen Augen - die diese Farbe wirklich nur in dieser Welt zu haben schienen - verspielt zuzwinkerte. “Sehr gerne.” Sie hakte sich bei ihm unter. “Ritter Hardomar wollte übrigens eine echte Dryade sehen … nun für den Moment können wir ja mit einem halben anfangen.” Sie lächelte frech und wandte sich im Gehen zum Hadinger um.

Wie? Was? Das ging Onyx zu schnell. Er badete noch genüsslich in seinem Schlammbad und träumte vom Busen seiner Herrin und fetten Fliegen, da wurde er von dem Kerl umarmt. Er spürte Unruhe in der Menge, neue, suspekte Leute kamen, die er mit zusammengekniffenen Augen musterte. Wäre seine Zunge doch nur länger… “Ahhhh… Mhmmm “ Sagte er, dann schienen die anderen etwas entschieden zu haben. Onyx sank noch einmal bis zur Nase in den Schlamm und wartete, bis die Gruppe sich in Bewegung setzte. Dann würde er folgen, das Elend hätte sicher bald ein Ende.

Hardomar wusste sofort, dass diese Bemerkung von Silvagild auf seine letzten Worte abzielte, kurz bevor die beiden auf die Tiergruppe getroffen waren. Schon den ganzen Vormittag hatten er und Silvagild sich immer wieder neckisch gekabbelt und er genoss sehr die gemeinsame Zeit mit der Ulmentorerin. In den letzten drei Tagen war die Knappin ihm zu einer sehr wertvollen Freundin geworden. Er wusste, dass er sie bei ihren Vorhaben unterstützen und immer für sie da sein wollte, wann auch immer sie seine Hilfe benötigen würde.
Doch das Unterhaken bei Simunius und ihr letzter Kommentar ließen den jungen Ritter nicht kalt und er merkte, wie das Blut in seinen Adern sich erhitzte. Sicher hatte er schon seine Erfahrungen mit der Liebe gesammelt, doch neben gelegentlichen kurzen, bedeutungslosen Abenteuern hatte er nur selten echte Verliebtheit empfunden. Da war mal bei den Paggenfeldern diese Pferdemagd gewesen, die konnte küssen. Und andere Sachen mit ihren Lippen anstellen… Und vor ungefähr zwei Götterläufen hatte er eine längere, heftige Liebelei mit einer anderen Knappin gehabt, für die er damals schon sehr geschwärmt und gebrannt hatte. Doch dieses heftige Gefühl der Eifersucht, welches ihn gerade in diesem Moment ergriff, war ihm fremd. Nie hätte er erwartet, von solchen starken Emotionen erfasst zu werden.
‘Bloß nichts anmerken lassen, sag’ jetzt bloß nichts blödes’, dachte Hardomar zu sich selbst. Sollte er versuchen, Silvagild eifersüchtig zu machen? Sollte er sich bei… er schaute sich um… der Travia-Geweihten unterhaken? ‘Sei kein Narr…’ sagte er zu sich selbst. Die Gänsefrau? Jung und halbnackt? Er schaute zu dem Schlammloch herüber… ‘Bei Rahja, NEIN!’, er musste schmunzeln.
Dann schaute ihn Silvagild frech an und ließ ihre Spitze los. Er erwiderte den Blick und zwinkerte ihr schelmisch zu. “Ich hatte mir die Dryaden aber ehrlich gesagt auch etwas spektakulärer vorgestellt.”

Mit Überraschung und nicht nur leichtem Befremden nahm Relindis die oberflächliche Turtelei zwischen Simunius und Silvagild und deren an Hardomar gerichtete Geste war. Sie überging diese jedoch geflissentlich, obgleich sie nicht verstehen konnte, wie ein mitfühlendes Wesen an so etwas auch nur ansatzweise denken konnte, wenn es doch gerade um das Leben Elvruns ging. Gut, Simunius war nicht von ihrer Welt, aber diese Silvagild war doch auch hierher gekommen, um Mutter und Kind zu retten... Relindis versuchte, diese Gedanken abzuschütteln. Sie wollte - selbst im Geiste - nicht über die nebensächlichen Handlungen und das Fühlen derer richten, die bereit waren, ihnen zu helfen. Es wurde einfach nur Zeit, dass sie endlich zu Elvrun gelangten. Sie setzte mit nochmals beschleunigtem Schritt Akka und dem an deren Brust schlafenden Tsadoro hinterher.

Silvagild beantwortete die Aussage des Hadingers mit einem gespielten Schmollmund. “Ich bin mir sicher, Ihr werdet heute auch eine richtige sehen und dann könnt Ihr ja Euer abschließendes Urteil fällen. Aber erst müssen wir Elvrun holen. Ulmaceae ist eine Meisterin ihres Fachs, ich bin mir sicher, dass sie schon wieder gesund ist.”

Diese Haltung gefiel ihr schon besser. Relindis hoffte mit jeder Faser ihres Herzens, dass Silvagild Recht behielt. Mafaldo hatte gerade noch ganz anders geklungen...

An der anderen Kreuzung

(Maya, Aslan, Corax, Rosan, Caligo, Rotlöckchen, Tharga, Romadrah)


Alle zusammen

(Alle)


Ulmaceae

Die Rettung der Braut

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