Tiergefährten - Kapitel 6

Im Ulmental

Kapitel 6 der Briefspielgeschichte Tiergefährten

Hier mündet die Briefspielgeschichte Der Ritter und die Knappin ein.

Ganz offensichtlich unterschied sich die Gegend um das Ulmental vom restlichen Reich der Lilienkönigin. Wie es schien, war diese Landschaft gänzlich von Ulmen bewachsen und glich einem Wald. Dem aufmerksamen Beobachter entging aber nicht, dass dieser nur auf den ersten Blick ´normal´ wirkte. Die Stämme hatten oft fabelhafte Formen, ja manch ein Gesicht formte sich aus der Borke. Die Büsche und Blumen hatten alle ulmenförmige Blätter und zwischen dem Wurzelwerk huschten Winzlinge, Blütenfeen und Moosbolde. Der Himmel war auch hier sternenlos und bar jedes Praiosmals. Im Zentrum des Waldes öffnete sich ein Tal, in dessen Mitte eine gewaltige Ulme stand. Verschlungene Pfade führten in Tal hinaus und hinein und man konnte sich nie sicher sein, ob ein Reisender immer dort ankam, wohin er wollte. Und so begab es sich, das einige unsere Tiergefährten ratlos den Weg zur Herrin dieses Waldes suchten.

An der Kreuzung

(Relindis, Akka, Onyx, Mafaldo, Simunius, Silvagild, Hardomar, Tsalrik)
Die Kleidung war fast trocken und der Knabe hatte den ganzen Weg über geschlafen. Doch nun schien es, dass der Rabenmann Mafaldo, so wie der Halbdryade Simunius sich verlaufen hatten. Während die beiden an einer Kreuzung diskutierten, welcher der vier Pfade der richtige sei, saß die Traviageweihte Relindis mit dem Knaben Tsadoro und der Gänsefrau Akka auf einem umgefallenen Baumstamm. Der Krötenmann Onyx hatte derweilen ein Schlammloch ausgemacht, in dem er sich wonnig suhlte. Zwei Blütenfeen flatterten herbei, surrten um die Köpfe von Relindis und Akka, um dann tänzelnd davon zu fliegen. Neugierig und noch immer verwundert folgte sie ihren Flug, doch dann sah sie etwas anderes. Drei Gestalten kamen von einem der Pfade auf sie zu. Und … es waren Menschen!

Menschen? Hier? Relindis blinzelte, doch blieb es dabei - ihre Augen hatten sie nicht getäuscht. Es kamen tatsächlich Menschen auf sie zu. “Leben hier auch Menschen, in diesem Reich?” erkundigte sie sich leise und hörbar erstaunt bei Mafaldo und Simunius. “Oder hat es diese ebenfalls hierher verschlagen, wie uns?” Tsadoro sanft im Arm wiegend erhob sie sich und sah den Ankömmlingen neugierig entgegen, bereit, diese freundlich zu empfangen. An ihr noch immer mitgenommen wirkendes Festornat und ihre von der Flussquerung erst nass gewordenen und nun zerzaust getrockneten Haare verschwendete sie keinen Gedanken.

Akka war zunächst weit weniger verwundert darüber, für sie reihte sich diese neue Begegnung ein in den Reigen wundersamer und schwer zu verstehender Erlebnisse, die seit jenem Morgen im Park - war das tatsächlich heute gewesen? - an dem es sie hierher verschlagen hatte und sie sich in menschlicher Gestalt wiedergefunden hatte, schier ununterbrochen über sie herein prasselten. Erst Relindis Reaktion weckte ihre Aufmerksamkeit. Auch sie sprang auf und reckte ihren Hals, sich einen Überblick zu verschaffen, wer da nahte. “Wer ist das? Wer ist das?”

Zwei der drei Menschen sahen auf dem ersten Blick nicht so aus als gehörten sie in diese Welt. Einzig der vorne weg hopsende Jüngling passte in Relindis Augen ganz gut hier her: der junge Mann hatte dunkelblondes Haar und grasgrüne Augen. Aus seinem Haarschopf ragten vereinzelte Ulmenblätter heraus, sein Antlitz war glattrasiert und er trug Kleidung aus dunkelgrünem Bausch und eine Laute auf dem Rücken. Sein unsteter Blick ging durch die Neuankömmlinge, schien jedoch besonders lang auf Relindis und dem Kind zu liegen. “Ah, wart ihr schon bei Ulmaceae?” Er kam der Geweihten nun noch etwas näher und beäugte sie interessiert. “Wohl schon, weil allzu krank siehst du ja nicht mehr aus.”
Währenddessen waren auch die anderen beiden Menschen an die Gruppe herangetreten. Die junge Frau war in einen edlen dunkelgrünen Reitrock gewandet, hatte dunkelblondes Haar und dieselben grünen Augen wie der junge Mann. “Jetzt stell dich vielleicht einmal vor, Tsalrik”, schalt sie ihren jüngeren Bruder. “Mein Name ist Silvagild von Ulmentor und das sind Hardomar von Hadingen und mein kleiner Bruder Tsalrik.” Der Jüngling rollte wie zur Begrüßung mit seinen Augen, doch fuhr die Knappin davon unbeeindruckt fort. “Wir sind auf der Suche nach einer kranken Frau und einem Kind, die in diese Welt kamen um Ulmaceaes Hilfe zu erbitten.”

Der junge Mann neben Silvagild schmunzelte amüsiert, als er beobachtete, wie die Ulmentorer Knappin mit ihrem jüngeren Bruder umsprang. Er verneigte sich höflich, wirbelte dabei ein wenig mit seinem Arm und ergänzte Silvagilds Vorstellung mit: “Sehr erfreut, Euer Gnaden kennenzulernen.”
Der Hadinger Ritter trug an jenem Vormittag, zumindest ging er davon aus, dass es noch immer Vormittag war, ein weißes Hemd aus dickem Leinen, welches er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. An beiden Unterarmen waren leichte Abschürfungen und etwas Schmutz zu erkennen. Auch das Hemd schien an den Unterärmeln ein wenig schmutzig geworden zu sein, saß jedoch wie angegossen und betonte die athletische Figur des jungen Mannes. Ebenfalls extra für ihn angefertigt war die dunkle Hose aus Rindsleder, welche einen bisher kaum getragenen Eindruck machte. Lediglich die sichtbar abgenutzten Reitstiefel waren weniger gepflegt.
Das von lockigem dunkelblonden Haar umrahmte Gesicht des Ritters wirkte trotz leichter Augenringe jung und aufgeweckt. Seine blauen Augen verrieten eher schnell, in welchem Gemütszustand sich der junge Hadinger befand. Seine anfängliche Amüsiertheit wich angesichts der versammelten Tierwesen und insbesondere des sich ungeniert in einem Schlammloch suhlenden Krötenmannes einer sichtbaren Verwirrtheit.

"Travia zum Gruße!" offenbarte Relindis, was dank ihres orangenen Ornats, so mitgenommen dieses inzwischen auch aussah, und ihres silbernen Gänseanhängers ohnehin offenkundig war. "Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass die gütige Mutter noch mehr hilfsbereite Herzen in diese Welt hier ausgesandt hat! Und ich kann Euch verkünden, dass Ihr das Kind, das Ihr suchtet, bereits gefunden habt." Die junge Geweihte sah dabei sanft lächelnd Tsadoro an, wurde sogleich aber wieder ernst. "Die kranke Frau dagegen suchen wir noch, genauso wie Ihr. Mein Name ist Relindis von Tannenfels. In meinen Armen seht Ihr den kleinen Tsadoro, und meine Gefährten hier sind die beherzte Akka, der wissende Mafaldo und der… ja, der geerdete Onyx." stellte sie reihum ihre Begleiter vor. "Sie sind wie Ihr und ich vom Derenrund, wurden aber beim Übertritt in diese Welt mit einer ihnen fremden Gestalt bedacht. Außerdem darf ich Euch mit Simunius bekannt machen. Er stammt von hier und hat sich nicht nur bis zu unserer Ankunft Tsadoros angenommen, sondern begleitet uns auch auf dem Weg ins Ulmental. Und genau dahin müssen wir weiter, dürfen keine Zeit mehr verlieren. Der kranken Frau, bei der es sich mutmaßlich um meine Schwester im Glauben und meine Schwägerin in spe handelt, geht es, nach allem was wir vernommen haben, sehr schlecht. " Relindis drehte sich einmal um sich und sah alle an. “Wollt Ihr Euch uns anschließen? Dann könnt Ihr uns auf dem Weg erzählen, wer oder was Euch auf diese Suche brachte.” Denn das interessierte sie, bei aller Dringlichkeit und Sorge um Elvrun, brennend.

Akka, die Beherzte…’ Die Brust der jungen Gänsefrau schwoll insgeheim vor Stolz und freudiger Überraschung, so genannt worden zu sein. “Jajaja, auf zum Ulmental, zu dieser Ulmaceae, schnellschnell!” stimmte sie in Relindis’ Aufruf zum Aufbruch ein, als wollte sie der gehörten Preisung Ehre machen. Mit Blick auf Mafaldo und Simunius’ Disput hielt sie aber jäh wieder inne und fragte die Neuankömmlinge: “Wisst ihr vielleicht, in welche Richtung es weitergeht?”

Ein junger Mann mit elfischen Ohren und mit einer regenbogenfarbenen Tunika bekleidet kam mit geöffneten Armen auf die Neuankömmlinge zu. Er war schlank, groß und hatte langes, schneeweißes Haar und strahlend erdbraune Augen. “Der Lachenden zum Gruße! Du bist also der Tsalrik, der Ulmenwächter. Simunius, der Fröhliche, der bin ich!” Der Halbdryade (oder Halbelf?) umarmte jeden einzelnen und hauchte ihnen einen Kuß über die Wange. Dann blickte er zu Relindis und griff ihre Frage auf. “Genau, wisst ihr die richtige Richtung?”

Tsalrik nickte sogleich energisch. "Aber natürlich, wir sind gleich da. Ulmaceae lebt im großen Ulmenbaum." Der junge, aufgeweckte Mann zeigte vage in eine Richtung.

Mafaldo, der Rabenmann, hielt sich zurück und schaute sich die Neuankömmlinge genau an. Seine schwarzen, tiefgründigen Augen schimmerten im Licht des Feenhimmels und fast mochte man meinen, er könnte in jede Seele blicken. ´Mehr Menschen. Das wird Alrike nicht gefallen´, dachte er bei sich. Er kannte zumindest zwei der Drei. Hardomar und Silvagild. Erst gestern hatte er sie beobachtet, wie die beiden sich zu früher Morgenstunde auf der Burg begegnet waren. An die Namen konnte er sich nicht erinnern, doch sein Gesichtsgedächtnis ließ ihn nie im Stich. Wie es schien, war die Frau die Gelegeschwester des Grünlings, dem Menschen mit der Feenaura. Er hoffte inständig, dass sie zu den Menschen gehörten, die das Geheimniss der Feenwelt bewahrten. Bei dem anderen jungen Mann war Mafaldo sich da allerdings nicht sicher. Zu überrascht wirkte er und wie es schien, war das sein erster Besuch. Glücklicherweise kannte er den Zauber, der die Erinnerung an diese Welt nahm, sobald man wieder in die andere zurückkehrte. Tief atmete er durch und versuchte den ´Puls der Zeit´ zu spüren, eine Gabe die den meisten Raben gegeben war. Mafaldo konnte die Lebensaura der Menschen spüren, auch die, die weit entfernt waren. Wo auch immer die Gesuchte war, er spürte sie. Ja, da war sie. Nicht weit und doch sehr schwach. “Wir müssen uns beeilen, ihre Lebenszeit läuft ab”, sagte er kommentarlos in die Runde.

Kurz huschte ein besorgter Ausdruck über Silvagilds Antlitz. "Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Tsalrik geht vor, wir sollten gleich da sein."

Abermals nickte der Jüngling. "Ja, folgt mir liebe Leute."

Beklemmung füllte Relindis Herz, als sie Mafaldos Worte vernahm. Elvrun durfte nicht sterben! Die Geweihte reffte eiligst ihr Kleid, diesmal nicht mehr darauf achtend, ob die Knie bedeckt waren oder nicht - für solche Überlegungen war jetzt kein Platz mehr und Travia würde ihr einen etwaigen Verstoß gegen die sittsame Bekleidungsordnung in dieser Lage sicher nachsehen. Den überschüssigen Stoff knotete sie mit entschiedenem, ohne Rücksicht auf Verluste geführten Zug fest, damit ihr Gewand ihr nicht so leicht wieder in die Quere käme, dann drückte sie Tsadoro noch fester an sich. "Wir werden Deine Mutter finden und retten!" sprach sie ihm und noch mehr sich selbst leise Mut und Hoffnung zu, dann setzte sie in weit ausgreifenden Schritten Tsalrik hinterher, den sie bald erreichte und am liebsten sogar überholt hätte... wenn sie denn nur den Weg wüsste.

Akka eilte hinter ihr her. Sie musste sich zwar sputen, doch kam ihr hier ihre Ausdauer, die Ausdauer einer Langstreckenfliegerin, die sie auch in diese Gestalt mitgenommen hatte, zugute. Relindis schnaufte bald schon wieder recht kräftig. "Wenn Du magst und es Dir hilft, kann ich Dir das Küken ein Weilchen abnehmen und tragen." bot sie an. "Dann kannst Du Dich erholen, und wir sind noch schneller. Jaja."

Dankbar nahm Relindis Akkas Angebot an. "Lass uns abwechseln, ja?" Vorsichtig übergab sie Tsadoro an ihre neugewonnene Freundin, die diesen behutsam an ihre Brust drückte, und dann in beruhigend wackelndem, aber dennoch zügigem Schritt weitereilte.

So entlastet fand Relindis trotz des Marsches wieder den Atem, Tsalrik, Hardomar und Silvagild nochmal ausführlicher zu fragen: "Ihr habt immer noch nicht erzählt, wie ihr von den Nöten der Frau, die wir alle suchen, erfahren habt und wie es Euch in diese Welt verschlagen hat."

"Ähm …", Silvagild war etwas unschlüssig ob sie am heutigen Tage nicht schon eine Person zu viel in ihr Geheimnis eingeweiht hatte, "... mein Bruder hat uns erzählt, dass Menschen ins Reich der Lilienkönigin gekommen sind und dass wohl Salgar dahinter steckt." Die Worte sprudelten aus der jungen Frau heraus und sie hoffte dadurch, dass Relindis dadurch ihre andere Frage vergessen würde oder ihr vielleicht nur noch untergeordnete Priorität zuordnen würde. Auch ihr Bruder war ein Unsicherheitsfaktor, der in eine stille Phase bestimmt irgendetwas hinein plappern würde. "Tsalrik ist …", wer die Familie Ulmentor genauer kannte, wusste, dass besagter Tsalrik der zweitgeborene Sohn von Junker Gernot von Hagenbrünn-Ulmentor gewesen war, aber als kleines Kind spurlos verschwand, "... er ist gut informiert und sagte uns, dass eine der Menschen wohl schwer krank war und zu Ulmaceae gebracht wurde. Hardomar und ich dachten uns, dass wir vielleicht helfen können und die Frau, wenn sie dann geheilt ist wieder zurück in unsere Welt bringen können." In die nun entstandene, kurze Stille, brach die junge Ulmentorerin sogleich wieder mit einer Frage: "Ihr kennt die erkrankte Frau, habe ich recht?"

Hardomar erkannte, dass Silvagild bei den ihr gestellten Fragen nervös wurde. Da er ihr geschworen hatte, ihr Geheimnis für den Rest seines Lebens zu wahren und zu schützen, versuchte er, so gut es ihm möglich war, sie in diesem Moment zu unterstützen.
Eher still und unauffällig lief er nebenher, nickte zustimmend zu dem Gesagten und als es zu der kurzen Pause kam, wollte er gerade eine ablenkende Frage an Relindis stellen. Doch Silvagild kam ihm zuvor und er ergänzte ihre Frage mit einem besonders neugierigen und absichtlich vertrauenserweckenden Blick: “Ihr müsst uns unbedingt alles über Eure Schwägerin erzählen. Und macht Euch keine Sorgen, wir werden sie gewiss retten!”

Relindis nickte, zögerte jedoch kurz mit ihrer Antwort. Ob sie offenbaren sollte, dass es sich um Elvrun handelte? Immerhin waren ihre neuen Begleiter ja aus ihrer Welt. Falls Tsadoro tatsächlich Elvruns Kind wäre... gut, diesen Aspekt konnte sie zunächst ja für sich behalten. Und andererseits schienen dies Menschen guten Herzens zu sein, die ja nur hier waren, weil sie helfen wollten. "Ich fürchte, ja. Wenn sich nicht alles doch noch als großer Irrtum herausstellt, müsste die kranke Frau Schwester Elvrun, Elvrun von Altenberg, sein. Ich war im Stadtpark von Herzogenfurt auf der Suche nach ihr, damit sie..." Relindis schluckte, so doppelt schmerzhaft waren die Ereignisse an einem so besonderen Tag "damit sie nicht zu spät zu ihrer eigenen Hochzeit mit meinem Bruder kommt. Dann ist sie aber hierher verschwunden, und ich bin ihr mit meinen... neuen Freunden gefolgt. Doch fragt mich nicht, warum sie auf einmal so krank geworden ist." Auch wenn sie selbst eine Ahnung hatte. "Aber es ist wahrlich eine gute Fügung, dass mit Euch Hilfe gekommen ist, die sich hier offenbar auskennt. Seid Ihr öfter hier?"

"Meine Schwester Bakka, Bakka ist auch hier verschwunden." warf Akka ein, sich dies selbst wieder ins Gedächtnis rufend. "Vielleicht ist sie ja bei der kranken Frau, hoffentlich ist sie das, jaja."

Relindis sah sie mitfühlend an. "Ja, das hoffe ich auch, Akka." Um Akkas, aber auch um Elvruns Willen wünschte sie sich dies. "Und falls nicht, suchen wir sie gemeinsam, sobald wir Elvrun geholfen haben."

Auf die Annahme von Relindis, dass sie sich in dieser Welt gut auskannten und öfter hier waren, schwieg der Hadinger Ritter und wartete lieber auf Silvagilds Antwort. Er versuchte nun, so gut es seine unterschwellige Aufregung über diese fremde Welt und ihre skurril aussehenden Bewohner zuließ, so gelassen und abgeklärt wie möglich zu wirken.

Silvagild schien der Anblick der anderen Kreaturen nicht wirklich zu beunruhigen oder zu verwundern, was den Schluss zuließ, dass sie sehr wohl öfter hier zu sein schien. Dennoch gab sich die junge Frau weiterhin zugeknöpft: “Ähm … ja, ich war schon einmal hier, aber kenne mich nicht so gut aus wie Tsalrik.” Im immerwährenden Kampf darum das Thema zu wechseln, sah sie hinüber zu Akka, Mafaldo und Onyx. “Und ihr seid wer genau in der anderen Welt? Tiere?”

Mafaldo legte den Kopf etwas schief und nickte zur Bestätigung.

"Jaja, ich bin Akka von Aggwanas Schar, eine Wildgans bin ich, und mein Leib normalerweise auch, auf der anderen Seite des Sees, jenseits des Nebels. Jaja." bekräftigte auch die Gänsefrau.

Simunius stellte sich näher zu Silvagild und schien tief durchzuatmen. Seine Augenfarbe wechselte vom Erdbraun in ein zartes Rosa. Dieser Duft, den die junge Frau ausströmte ließ seine Triebe aufmerksam werden. Da Dryaden im Allgemeinen einen starken Sexualtrieb hatten, hatte er als Halbdryade diesen auch nicht in minderer Ausprägung. “Schöne Silvagild, ich möchte euch Gesellschaft leisten, bis wir bei der Heilerin sind.” Nun verströmte auch er einen betörenden Duft. Den jungen Ritter ignorierte er dabei. Der Rabenmann schloß sich nun Tsalrik an. “Lasst uns gehen.”

Auch Silvagild war vom Blut der Dryaden, auch wenn dieses sehr viel dünner sein mochte als bei Simunius - darüber hinaus schien ihr Trieb noch nicht gänzlich durchgebrochen zu sein. Für sie war es mehr ein Spiel, weshalb sie dem Halbdryaden auch mit ihren grünen Augen - die diese Farbe wirklich nur in dieser Welt zu haben schienen - verspielt zuzwinkerte. “Sehr gerne.” Sie hakte sich bei ihm unter. “Ritter Hardomar wollte übrigens eine echte Dryade sehen … nun für den Moment können wir ja mit einem halben anfangen.” Sie lächelte frech und wandte sich im Gehen zum Hadinger um.

Wie? Was? Das ging Onyx zu schnell. Er badete noch genüsslich in seinem Schlammbad und träumte vom Busen seiner Herrin und fetten Fliegen, da wurde er von dem Kerl umarmt. Er spürte Unruhe in der Menge, neue, suspekte Leute kamen, die er mit zusammengekniffenen Augen musterte. Wäre seine Zunge doch nur länger… “Ahhhh… Mhmmm “ Sagte er, dann schienen die anderen etwas entschieden zu haben. Onyx sank noch einmal bis zur Nase in den Schlamm und wartete, bis die Gruppe sich in Bewegung setzte. Dann würde er folgen, das Elend hätte sicher bald ein Ende.

Hardomar wusste sofort, dass diese Bemerkung von Silvagild auf seine letzten Worte abzielte, kurz bevor die beiden auf die Tiergruppe getroffen waren. Schon den ganzen Vormittag hatten er und Silvagild sich immer wieder neckisch gekabbelt und er genoss sehr die gemeinsame Zeit mit der Ulmentorerin. In den letzten drei Tagen war die Knappin ihm zu einer sehr wertvollen Freundin geworden. Er wusste, dass er sie bei ihren Vorhaben unterstützen und immer für sie da sein wollte, wann auch immer sie seine Hilfe benötigen würde.
Doch das Unterhaken bei Simunius und ihr letzter Kommentar ließen den jungen Ritter nicht kalt und er merkte, wie das Blut in seinen Adern sich erhitzte. Sicher hatte er schon seine Erfahrungen mit der Liebe gesammelt, doch neben gelegentlichen kurzen, bedeutungslosen Abenteuern hatte er nur selten echte Verliebtheit empfunden. Da war mal bei den Paggenfeldern diese Pferdemagd gewesen, die konnte küssen. Und andere Sachen mit ihren Lippen anstellen… Und vor ungefähr zwei Götterläufen hatte er eine längere, heftige Liebelei mit einer anderen Knappin gehabt, für die er damals schon sehr geschwärmt und gebrannt hatte. Doch dieses heftige Gefühl der Eifersucht, welches ihn gerade in diesem Moment ergriff, war ihm fremd. Nie hätte er erwartet, von solchen starken Emotionen erfasst zu werden.
‘Bloß nichts anmerken lassen, sag’ jetzt bloß nichts blödes’, dachte Hardomar zu sich selbst. Sollte er versuchen, Silvagild eifersüchtig zu machen? Sollte er sich bei… er schaute sich um… der Travia-Geweihten unterhaken? ‘Sei kein Narr…’ sagte er zu sich selbst. Die Gänsefrau? Jung und halbnackt? Er schaute zu dem Schlammloch herüber… ‘Bei Rahja, NEIN!’, er musste schmunzeln.
Dann schaute ihn Silvagild frech an und ließ ihre Spitze los. Er erwiderte den Blick und zwinkerte ihr schelmisch zu. “Ich hatte mir die Dryaden aber ehrlich gesagt auch etwas spektakulärer vorgestellt.”

Mit Überraschung und nicht nur leichtem Befremden nahm Relindis die oberflächliche Turtelei zwischen Simunius und Silvagild und deren an Hardomar gerichtete Geste war. Sie überging diese jedoch geflissentlich, obgleich sie nicht verstehen konnte, wie ein mitfühlendes Wesen an so etwas auch nur ansatzweise denken konnte, wenn es doch gerade um das Leben Elvruns ging. Gut, Simunius war nicht von ihrer Welt, aber diese Silvagild war doch auch hierher gekommen, um Mutter und Kind zu retten... Relindis versuchte, diese Gedanken abzuschütteln. Sie wollte - selbst im Geiste - nicht über die nebensächlichen Handlungen und das Fühlen derer richten, die bereit waren, ihnen zu helfen. Es wurde einfach nur Zeit, dass sie endlich zu Elvrun gelangten. Sie setzte mit nochmals beschleunigtem Schritt Akka und dem an deren Brust schlafenden Tsadoro hinterher.

Silvagild beantwortete die Aussage des Hadingers mit einem gespielten Schmollmund. “Ich bin mir sicher, Ihr werdet heute auch eine richtige sehen und dann könnt Ihr ja Euer abschließendes Urteil fällen. Aber erst müssen wir Elvrun holen. Ulmaceae ist eine Meisterin ihres Fachs, ich bin mir sicher, dass sie schon wieder gesund ist.”

Diese Haltung gefiel ihr schon besser. Relindis hoffte mit jeder Faser ihres Herzens, dass Silvagild Recht behielt. Mafaldo hatte gerade noch ganz anders geklungen...

An der anderen Kreuzung

(Maya, Aslan, Corax, Rosan, Caligo, Rotlöckchen, Tharga, Romadrah)
An einer anderen Kreuzung im Wald stand Romadrah, der Esel-Biestinger, im Zentrum vierer Pfade. Sein linkes Ohr stand steil zum Himmel, während das andere schlaff herunter hing. Sein Kopf wanderte hin und her, seine Augen rollten auf und ab und seine behuften Hände hatte er in die Hüften gestemmt. “IH-HA. Vielleicht rechts. Oder vielleicht links. Hmmm.” Nicht nur er schaute verwundert, sondern auch Tharga, das Hundemädchen. Die Nase in den Himmel gehoben, schnüffelte sie umher. ‘Da war doch etwas in der Luft … was ist das?´ Kaum gedacht fand sie auch schon die Quelle. Nur einige Schritte vor ihr, von einem der Pfade kommend, sah sie eine Gruppe an Wesen kommen. Einige der Gerüche kamen ihr bekannt vor, doch der Duft der Rosendryade überflügelte fast alles. Die junge, schöne Frau kam direkt auf sie zu und hatte elfenbeinfarbene und schimmernde Haut. Ein Geflecht aus Rosenblüten bedeckte ihre Brust und ihren Schambereich. Ihre Augen hatten die Farbe von einem zarten Rosa und ihr Haar bestand aus roten Blütenköpfen von Rosen. “Verlaufen?”, fragte sie verführerisch. Der Katzenmann, der alte Rabenmann und die Bienenfrau folgten.

Zu aller Überraschung war es der wortkarge Rotlöckchen, der als erstes sein Wort erhob: “Wir folgen ihm …”, er wies auf den Esel, “... vielleicht solltest du ihn das fragen.” Die Rosenfrau schien ebenfalls nicht so recht sein Interesse zu wecken.

Ganz anders der Kater, den der Duft der Frau gerade zu berauschte. “Ähm … sucht ihr auch nach der Frau und dem Kind?”

Rotlöckchen nickte knapp.

“Ähm, sie muss hier irgendwo sein, meinte Rosan”, Aslan wies auf die Rosenfrau. “Vielleicht können wir ja gemeinsam weiter … je schneller wir das erledigt haben, desto schneller können wir wieder zum Fest der Lilienkönigin.”

Maya rannte los und ihre weiblichen Rundungen setzten sich in Bewegung. Eilig flitzte die nackte Bienenfrau an Aslan vorbei und schrie laut auf: “Tharga! Tharga! Wir sind auch da!” Jubelnd fiel sie der jungen Hundefrau um den Hals und drückte sie: “Geht es dir gut?” Sie wandte sich an die restliche Gruppe und nahm auch mit Rotlöckchen, Caligo und dem Eselsmann Blickkontakt auf: “Geht es Euch allen gut? Habt Ihr schon etwas herausgefunden?” Sie wandte sich direkt an den Esel-Biestinger: “Ich bin übrigens Maya.” Dann schaute sie zu Rosan und zu Aslan, welcher vom Duft der Rosendryade, den auch sie als verlockend empfand, noch immer entzückt schien, und nickte heftig auf seine Aufforderung, schnell weiterzugehen: “Genau!”, stimmte sie ihm zu. “Auf! Keine Müdigkeit vorschützen!” motivierte Maya die Gruppe und schaute sich fürsorglich zu Corax um.

Romadrah verdrehte die Augen, als er die Rosendryade sah. “IH-HA. Was machst du denn hier?” Sichtlich genervt schaute er ihre Gefährten an. Rosan lächelte nur spöttisch. “Nun, Romadrah, der Weg der Rose ist der richtige. Du wolltest doch sicher da lang?” Ohne abzuwarten, schlug sie einen neuen Pfad ein. Mit einem gezwungenen Lächeln offenbarte er seine vorstehenden Zähne. “Aber natürlich, da lang!” sagte Romadrah in einem Befehlston.

Der Alte war etwas zurückgefallen und schlurfte nun langsam näher. Müdigkeit war in seinen Augen zu lesen, offenbar hatte die Rettungsaktion mehr Kraft von ihm gefordert, als er es selbst erwartet hätte. Trotzdem rang er sich ein Lächeln ab: “Ach, wir sind ja schon bei der Kreuzung. Na, dann ist es ja nicht mehr weit.”

“Ja, lasst uns aufbrechen”, stimmte Aslan ein.

“Dann schaffen wir den Rest gemeinsam auch noch!” sagte Maya und schenkte besonders Corax ein aufmunterndes Lächeln. Für einen Moment überlegte sie, ob sie dem Raben anbieten sollte, ihn zu stützen, doch sie war sicher, dass dies sein Stolz nicht zulassen würde. Sie blieb in seiner Nähe, um ihm helfen zu können, falls ihn seine Kräfte verlassen sollten.

Corax lächelte und bot Maya seinen Arm an. So konnten beide den Schein wahren und von den Umständen profitieren. "Nun, Kindchen, wie lebt es sich so als freie Biene?", begann er ein zwangloses Gespräch und ließ sich von den Abenteuern einer Biene berichten, während sie weiter zur großen Ulme spazierten.

Caligo stolzierte hinterher und warf dabei immer wieder einen Blick auf den Ring. Je öfter er ihn betrachtete, desto mehr fand er Gefallen daran.

Alle zusammen

(Alle)
Und so fanden die beiden Grüppchen ihren Weg zur großen Ulme, die weit in den Himmel ragte. Von Nahem hörte man ein Knacken und Rascheln, denn ständig wuchsen und vergingen die Äste des Baumes. Wie durch einen Feenzufall, trafen sich die Suchenden vor dem einzigen Eingang in die Ulme. Ein breites, natürliches Tor führte ins Innere, während kleine Bolde und Glühwürmchen hinein und hinaus gingen und flogen.

Der erste, der die Stille bei der Begegnung brach, war der Halbdryade Simunius. Dieser ließ von seiner Begleitung ab und näherte sich geschwind der Rosendryade. “Rosan? Wie schön dich zu sehen!” Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, küssten die beiden sich leidenschaftlich. “IH-HA! Na, habt ihr nichts besseres zu tun?” schnaufte der Esel-Biestinger Romadrah. Dieser schüttelte dann den Kopf und schaute seine Gefährten an. “So, nun sind wir da. Rein gehen müsst ihr aber alleine.” Mafaldo, der Rabenmann, reckte seinen Kopf und nickte seinen Rabenbrüdern zu. Er war froh, sie hier wieder zu sehen. “Habt ihr Neuigkeiten?”, war seine einfache Frage an alle.

“Hihihi”, kicherte der Alte, “ja und nein. Hihi.” Neben seinen müden Augen traten nun Lachfältchen deutlich hervor. “Ihre Majestät findet die Neuen wieder mal sehr spannend und will feiern. Sie hätte fast ihre gute Laune verloren und wir mussten ihr versprechen, bald zurück zu kehren. Wer weiß, wie schwierig der Weg geworden wäre, wenn wir eine traurige oder gar zornige Königin zurückgelassen hätten. Oh! Ach ja. Da soll es eine Hochzeit geben, aber die Braut war noch nicht da. Nur der Bräutigam.”

Relindis merkte auf ob der merkwürdigen Parallele. Meinte der Rabe diese Welt hier oder doch die, aus der sie kamen?

“Kraa!”, rief nun Caligo und nicht nur der Alte zuckte zusammen. “Hochzeit? Ist das nicht das Wort für die Partnerschaft zum Großziehen von Küken?” Der Alte nickte dem Jungen zu. “Nun, kraa, dann habe ich hier was.” Er hob seinen Menschenflügel und zeigte allen den Ring, den er sich auf den linken Zeigefinger gesteckt hatte. “Der Schmied Reingarni nennt es einen Bundring und er sollte für Salgar zwei davon machen. Den ersten hat Salgar schon mitgenommen.”

Aslan beäugte die Neuankömmlinge missgünstig. “Von den Ringen weiß ich nichts, aber es soll hier eine kranke Menschenfrau geben und …”, sein Blick fiel auf den kleinen Tsadoro auf Akkas Arm, “... ein Kleines. Wir haben ihrer Majestät versprochen die beiden wieder nach Haus zu geleiten. Sie gehören nicht in diese Welt.” Genausowenig wie Aslan selbst, doch verdrängte der Kater dies noch.

Der stille Rothaarige neben ihm beäugte die sich nun bietende Szenerie eher unbeteiligt. Er schwieg und blickte den riesigen Baum hoch. Ja, diese Welt würde Frenya bestimmt interessieren.

“Genauso ist es” fiel Relindis auf die Worte Aslans ein. “Die kranke Menschenfrau soll sogar im Sterben liegen und braucht dringend Hilfe. Sie soll hier sein. Habt Ihr sie gesehen?” fragte sie die, die sie hier erst wieder oder überhaupt getroffen hatten. “Meint Ihr, sie ist… da drin?” deutete die junge Geweihte auf die Öffnung im Baum. Sie konnte sich kaum bremsen, so sehr zog es sie zu Elvrun. Ihr Herz raste vor Anspannung.

Akka wackelte bereits mit Tsadoro auf ihren zu Armen gewandelten Fittichen auf das Tor in der Ulme zu. Mit großen Augen besah sie den sich stetig wandelnden Baum und bestaunte die Wesen, die durch die Öffnung ein- und ausstrebten. Der Knabe gluckste fröhlich, als gerade ein neugieriges Glühwürmchen surrend vor ihm schwebte. “Wir schauen nach. Schauen wir. Jaja.” signalisierte die Gänsefrau den anderen, sich nur kurz zu diesen umblickend. Dann setzte sie ihren Weg nahezu traumwandlerisch fort.

Der Hadinger Ritter hatte gerade Akka anbieten wollen, das Kind auch einmal eine Zeitlang zu tragen, da die arme Frau sich ganz schön abzumühen schien. “Werte Frau, Ihr brecht unter dieser Last ja fast zusammen...”, begann er, als sie just in diesem Moment auf die andere Gruppe trafen. Hardomar hatte zwar schon einige Tiermenschen kennengelernt, aber war nichtsdestotrotz sehr erstaunt über die neuen Wesen, die er nun zu Gesicht bekam.
‘Was für ein Schürzenjäger… eben hat er noch an Silvagild rumgeschnuppert’, dachte Hardomar und runzelte die Stirn, als Simunius nun die hübsche Rosenfrau leidenschaftlich küsste. ‘Na ja, immerhin lässt er Silvagild jetzt in Ruhe.’
Bevor die Gruppe zu der Ulme ging, hielt Hardomar es für angebracht, sich und seine beiden Ulmentorer Begleiter noch einmal vorzustellen: “Es freut mich sehr, alle Anwesenden kennenzulernen”, erhob er das Wort. “Dies sind Tsalrik, Sohn von Junker Gernot von Hagenbrünn-Ulmentor und die holde Dame ist seine Schwester, die Junkerin Silvagild von Ulmentor. Mein Name ist Hardomar von Hadingen. Wir wollen mit Euch gemeinsam die kranke Frau retten”, erklärte er mit entschlossener Stimme.

Die Bienenfrau trat näher und schenkte allen Neuankömmlingen ein freundliches Lächeln. “Mein Name ist Maya. Ich bin eine Mauerbiene.” Hardomar versuchte der ungeniert nackt auftretenden Dame bewusst ins Gesicht zu schauen und nicht den Blick über ihren wohlgerundeten Körper schweifen zu lassen. Sie bemerkte den leicht verwirrten Blick einiger Anwesender und schaute an sich herunter. “Na ja, im Moment stecke ich in einem unpraktischen Körper fest.”

Tsalrik schien sich über die Neuankömmlinge sehr zu freuen. Er war neugierig und sehr offen. Dennoch wusste auch er, dass die Krankheit der Frau wohl ernst sein musste, wenn so viele nach ihr suchten. Der junge Mann sah der voran schreitenden Gänsefrau nach. “Ähm … ich kann euch alle zu Ulmaceae führen. Ich war ja schon oft hier.” Mit diesen Worten versuchte der aufgeweckte Ulmentorer Akka zu folgen.

Seine große Schwester war inzwischen lächelnd an den Hadinger herangetreten. “Eine große Gruppe sind wir geworden…”, bemerkte sie, bevor sie auf Rosan wies, “... eine Rosendryade. Gefällt sie Euch?”

Hardomar schaute zu Rosan herüber, welche sich gerade mit ihrem rahjagleichen Körper an Simunius schmiegte. Er ließ sich mit seiner Antwort bewusst ein wenig Zeit. Immer noch den Blick auf die schöne Rosendryade gerichtet, neigte er den Kopf zur Seite und raunte seiner Begleiterin zu: “Mmmhh, sie ist schon reizend anzuschauen…” Er wartete noch einen weiteren Herzschlag, bis er seinen Blick Silvagild zuwandte. “Allerdings… ich weiß ja auch nicht, aber der Duft von Rosen erinnert mich doch eher an meine Großmutter…”, fügte der Ritter mit leiser Stimme hinzu, ohne dabei eine Miene zu verziehen. “Aber…” Er beugte sich etwas zu Silvagild herüber und flüsterte: “...wirklich bezaubernd finde ich…” Schmunzelnd brach er den Satz ab, wandte sich von Silvagild in Richtung der Ulme und erklärte mit lauter Stimme: “Oh, ich glaube die Anderen gehen schon rein!”

“Folgen wir ihnen”, die junge Ulmentorerin wirkte immer noch beschwingt. “Lasst uns diese Elvrun wieder nach Hause bringen. Immerhin soll sie heute ja heiraten.”

Relindis hatte in diesem Moment keine Augen für die Schönheit der Rosendryade. Sie zog es nur hinter Tsalrik und Akka hinterher.

Letztere war gerade kurz stehen geblieben, um mit offenem Schnabel... Mund zwei Bolden hinterherzusehen, die gerade in halsbrecherischer Manier knapp neben ihrem Kopf vorbeigesaust waren. So hatte Tsalrik die Gelegenheit, aufzuschließen. "Sei nur Du die Leitgans, wenn Du Dich hier auskennst." ließ sie ihm den Vortritt, als sie seiner neben sich gewahr wurde. "Wir bleiben dicht an Deinen Schwingen."

“Jetzt sind wir gleich bei Deiner Mama.” ließ Relindis, die das Grüppchen ebenfalls erreicht hatte, Tsadoro derweil wissen. Die beruhigenden Worte waren mindestens so sehr an sich selbst wie an den kleinen Knaben gerichtet.

Wie meist hatte Onyx aus wässrigen Augen, die wie eigenartige Perlen aus den Runzeln und dem Speck seines Gesichtes quollen, das Schauspiel beobachtet. Für Schönheiten dieser Art hatte er nichts übrig, aber Simunius Verhalten war völlig normal. Er hätte vielleicht noch singen können. Dieser andere Menschenmann jedoch, der wirkte verwirrt und so schob er unwichtige Personen energisch mit Hilfe seiner Masse beiseite, um zu ihm vorzustoßen. Dabei hörte er erboste Aussprüche. „Herr Ritter, Hardomar, wenn ich nicht irre - Bienchen, nur einen Moment.“ Seine Zunge fuhr genüsslich über seine Lippen. Er sprach bedächtig leise. „Wundert euch nicht. Die sind schrullig, aber in Ordnung. Ich bin eine Kröte. Denkt einfach nur an das Weib und das Kind, he, he.“ Er tätschelte den verstörten Mann und schob ihn weiter. Seiner Herrin hatte er genug zu erzählen. Nächtelang würden sie zusammenliegen und sie seinen Rücken kraulen. Er wusste so wenig über diese Welt.

Hardomars Augen weiteten sich, als er den Kröten-Biestinger vor sich mit seinem Hinterteil wackeln sah. Tatsächlich kamen ihm dessen Verhalten und Worte sehr merkwürdig vor, doch nickte er nur zustimmend: “Ja, na klar, Herr, ähhhhm...? Habt Ihr einen Namen?”
Sie begaben sich nun fast schon durch das Tor, als der Hadinger Ritter zu Silvagild hinter vorgehaltener Hand flüsterte und sich ein Lachen nur mühsam verkneifen konnte: “Sagt, Ihr habt nicht zufälligerweise heute morgen einen Frosch geküsst? Falls doch, dann ist das vermutlich Euer Prinz.”

Silvagild kicherte bei diesem Gedanken. “Ich denke, dass sich hinter dem jungen Mann eine Kröte verbirgt … kein Prinz.” Sie zog gespielt ihre Schultern hoch. “Schade eigentlich …”

Maya lauschte bei dem Wort ‘Bienchen’ auf und sah, wie Onyx’ Hinterteil sich noch immer bewegte. Diese Art der Kommunikation war ihr nur allzu gut bekannt, denn mit genau solchen Tänzen kommunizierte sie sonst mit anderen Bienen. Corax hatte sie bereits ihren Schwänzeltanz gezeigt und sie fühlte sich ermutigt, weitere Tänze mit dem Hinterteil vorzuführen. Doch schien dies nicht der richtige Moment zu sein, da sie ja ihr Ziel schon fast erreicht hatten. Und noch immer war ihr die Zunge des Kröterichs irgendwie unheimlich. Ein Urinstinkt riet ihr zur Vorsicht. Sie lächelte Onyx verlegen zu und hielt doch etwas Abstand, als sie mit den anderen durch das Tor hindurch schritten.

Onyx durchflutete ein kurzer Moment der natürlichen Freude, die seine miese Dauerstimmung wegwischte. Lieb aber auch neckisch grinsend gesellte er sich zu Maya und fuhr sich lasziv mit der Zunge über die Lippen. „Na, Bienchen? Maya, ja. He, he, wir sollten uns mal treffen, wenn diese.. Angelegenheit vorbei ist. Hm ? In meiner wahren Gestalt bin ich stattlich.“

Maya schaute mit Argwohn zu Onyx herüber. ‘Lieber nicht…’, dachte sie und lächelte gequält noch einmal kurz zu dem Krötenmann herüber, bevor sie sich dann schnell nach ihren anderen Gefährten umschaute: “Ähhh Aslan, Corax, wartet, ich komme gleich!”, rief sie hastig und beschleunigte ihren Schritt.

Ulmaceae

Ein kühler Wind umfing jeden, der das Tor ins Innere betrat. Wie erwartet, hatte der Baum eine gewaltige Höhe und Breite, doch wirkte er verschachtelt, ja fast wie ein Labyrinth, denn Äste und Schlingen wuchsen kreuz und quer. Eine ätherische Melodie gab dem Ort etwas Fantastisches. Doch immer wieder wurde diese harmonische Stimmung von einer tiefen, weiblichen Stimme unterbrochen. “Oh nein, oh nein, oh nein. Liebchen, gib jetzt nicht auf. Nicht bei Ulmaceae. Das macht keiner mit mir. Komm schon. Oh. Oh. Oh. Hmmmmm.” Weiter im Inneren, umgeben von flatternden Blütenfeen, die sich mit traurigen Gesichtern im Kreis drehten, sah man eine üppige, dunkelhäutige Frau, die unruhig mit ihren Händen wedelte. Ihr langes, grünes Haar stand wild ab und ihre schweren Brüste rutschten über ihrem Bauch hin und her. Breitbeinig stand sie über einer Mulde und schaute besorgt hinein. Eine junge Frau, mit weichen Gesichtszügen und Schmollmund, saß darin und hielt jemandem in ihren Armen, während sie sich wiegend hin und her bewegte. Ihr Antlitz war der Gänsefrau Akka sehr ähnlich, denn auch diese hatte schwarze Augen mit orangenen Lidern, sowie bräunlich-grauen Federn, die sich zwischen dem auf ihre Schultern herab fließenden dunkelblonden Haar versteckten. Nicht unweit, auf einem Ast, hockte eine weitere Gestalt. Ein groß gewachsener, schlanker Mann, der aus der Ferne seinem Aussehen nach einem Halbelfen glich; leicht spitze Ohren, große, in tiefem Braun mit einzelnen Goldsprenkeln gefärbte, mandelförmige Augen. Insgesamt war sein Haupt wunderschön symmetrisch. Das wohl schulterlange Haar hatte er hochgebunden und er trug einen kecken, dunkelbraunen Spitzhut aus Bausch. Hemd, Hose und Stiefel waren in erdigen Farbtönen gehalten. Mafaldo, Corax und Tsalrik erkannten ihn. Es war Salgar, der Hüter des Tores im Lilienpark.

Mit einem bestürzten Aufschrei drängte sich Relindis an den anderen vorbei und strebte hin zur Mulde und zur Gänsefrau. “Elvrun? Elvrun!“ rief sie die Person in deren Armen an, und alle Aufgewühltheit und Sorge lagen in ihrem Ruf.

Auch Akka zog es hinterher, zu Elvrun (so vermutete sie), genauso sehr aber zu der anderen Gänsefrau: “Bakka! Bakka!” hüpfte sie die letzten Schritte beinahe, Tsadoro mit sich schaukelnd. Sie hatte keine Zweifel, wen sie vor sich hatte.

Erschrocken drehte sich die Ulmendryade um, und hob abwehrend die linke Hand. Blitzschnell wuchs eine Schlinge aus dem Geäst, packte Relindis an der Hüfte und riss sie in die Höhe. Weitere Schlingen erschienen und drohten die anderen Anwesenden zu packen. “Akka? Jaja, Akka?” Das neugierige Köpfchen der Gelegeschwester erschien neben Ulmaceae.

Wild mit den Armen und Beinen zappelnd versuchte Relindis zuerst, sich zu befreien, musste aber sehr schnell die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens erkennen, als sie der Stärke der Ranke, die sie hielt, und auch der anderen Schlingen gewahr wurde. “Verzeiht, oh Ulmaceae,” begann sie sich, ihre Gegenwehr einstellend, ächzend von den an ihr zerrenden Gewalten und zerknirscht ob ihres vorschnellen Handelns bei der Ulmendryade zu entschuldigen, “die seid Ihr doch, nicht wahr? Meine Sorge ist mit mir…” sie stöhnte vom festen Griff der Pflanze, “durchgegangen. Wir wollten Euch nicht stören, aber wir sind auf der Suche nach einer kranken Menschenfrau, ihr zu helfen und sie gesund nach Hause zu bringen. So lasst mich bitte los - ich werde nichts tun, was Euer Heilen stören oder meiner Schwester im Glauben schaden könnte, das verspreche ich Euch.”

Akka hatte im selben Moment nur Augen für Bakka. “Bakka, Du bist da! Ich wusste, dass Du bei der kranken Menschenfrau sein würdest! Oh Schwester, Schwester, Du bist da! Können wir Euch helfen, jaja, können wir?”

Maya staunte über die riesige Ulme; so ein fantastisches Geschöpf hatte sie noch nie gesehen. Und all die anderen Wesen! Überwältigt von den vielen Eindrücken nahm die Bienenfrau plötzlich erschrocken wahr, wie Relindis in die Höhe gerissen wurde. “Nein, nicht doch!”, rief sie zeitgleich mit der Geweihten. “Lass sie doch wieder runter! Bitte!”

Der Hadinger Ritter war ebenfalls zutiefst beeindruckt von dem Inneren der großen Ulme; er bewunderte die kleinen Feenwesen, staunte über die riesigen Verästelungen und war erleichtert, dass sie die kranke Frau gefunden hatten. ‘Hoffentlich geht es ihr gut… Doch war das tatsächlich...?’, überlegte er verwundert. Mit ungläubig hochgezogenen Augenbrauen fragte er die Knappin: “Silvagild? Ist das Ulmaceae?” Als die Dryade plötzlich begann, mit ihren Ästen die Geweihte in die Lüfte zu heben und zahlreiche Schlingpflanzen auf die Gruppe zukamen, versuchte sich Hardomar abwehrend vor die Knappin zu stellen. Er wusste vom gestrigen Morgen, dass die junge Ulmentorerin eine ambitionierte Kämpferin war. Doch ihm war bewusst, dass sie ohne Waffen gegen einen solchen Schlingarm vermutlich wenig ausrichten konnten. Hardomar hoffte, dass die drohenden Schlingen eher ihn als Silvagild packen würden. Eilig rief er dem jungen Ulmentorer zu: “Tsalrik, kannst Du sie denn nicht beschwichtigen?” In diesem Moment sah er, wie einer der Schlingarme schnell auf sie zu kam und er machte sich bereit, sich dem angreifenden Tentakel zu stellen. Vermutlich verging nur ein einziger Herzschlag, doch für Hardomar erschien die Zeit viel langsamer. Er fokussierte sich auf seine Ausbildung, leerte seinen Geist, ließ ab von jeglicher Anspannung und beobachtete jede kleinste Bewegung des Schlingarms, um diesem mit einer abwehrenden Bewegung ausweichen zu können.

Doch zu Hardomars Verwunderung schien Silvagild nicht allzu beunruhigt von den Ranken und machte eine beschwichtigende Geste in die Richtung des Ritters. Sie wusste, dass die Heilerin eine gute Seele war und niemandem etwas Ernstes antun würde. "Das ist Ulmaceae", bestätigte sie ihm. "Und anscheinend haben wir sie erschreckt." Kurz schien es als lächelte Silvagild. Man konnte es ihr ja nicht auch verübeln, würden die Anwesenden doch auch nicht anders reagieren wenn plötzlich eine Schar Fremder durch die Haustür stürmt.

Caligo war empört. Wie konnte sie es wagen ihn, und seine Begleiter, so zu empfangen. "Kraaaa! Aufhören! Die Königin schickt uns! Kraaa!", rief er in einem Tonfall, der jedem Offizier zur Ehre gereicht hätte.

Der alte Corax indessen duckte sich und besah sich die Szenerie. War das die Heilerin von früher? Was machte Salgar? Und wie reagierten die Feen und Bolde?

Tsalrik schien für alles rundherum keinen Blick zu haben. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und alleine Ulmaceae und der kranken Frau. "Das sind Freunde der Frau, die heute zu dir gebracht wurde", meinte er sanft und in einer inneren Aufgeräumtheit, die man von ihm gar nicht kannte. "Können wir dir helfen? Wie geht es ihr?"

Rotlöckchen und Aslan hielten sich etwas hinter den anderen, die vorschnell nach vorne gestürmt waren. Wirklich Anteil an der Situation schienen sie beide nicht zu nehmen, doch vor allem der Kater wirkte dabei dennoch neugierig und interessiert was nun wohl als nächstes passieren würde. Diese Ulmaceae schien schlecht gelaunt zu sein, was er auch verstand. Alina hätte Eindringlingen wohl etwas anderes als Pflanzen auf den Hals gehetzt.

Der Vogelspinnerich auf der anderen Seite wunderte sich über das törichte Verhalten der anderen aus der Gruppe. Selbst wenn man ein Ziel verfolgt, durfte man nie so kopflos vorgehen. Rotlöckchen hielt sich etwas im Hintergrund und beobachtete das Treiben, auch wenn er mit seiner Körperhaltung eher Desinteresse und Distanziertheit ausstrahlte.

Eine Schlingpflanze bewegte sich tückisch und zielstrebig auf Onyx zu. Dieser starrte nur und dachte nach, doch dann war es schon zu spät. Das Gewächs hatte sich um seine Beine gewickelt und zog ihn erstaunlich leicht in luftige Höhe. Das bereitete Onyx Angst. Hilflos baumelte er weit weg von sicheren Verstecken. Sein Bauch war wie eine Schürze Richtung Kopf geklappt und er gab ein jämmerliches brüllendes Quaken von sich. Hilflos zappelte er und wand sich hin und her. Vermaledeite Brut. Sollte er das überleben, würde er nichts verschweigen.

Noch immer sah Ulmaceae überrascht hinüber, doch die Ranken stellten sich nur bedrohlich vor den Eindringlingen auf. Relindis allerdings wurde ignoriert und höher ins Äste- und Blätterwerk gezogen. Die Gänsefrau Bakka legte ihren Arm um die Dryade. “Ulmaceae, Ulmaceae. Das ist meine Schwester Akka. Sie will sicherlich nur helfen. Jaja!” Dabei machte sie ein Schnütchen, das sie unschuldiger wirken ließ. “Tsalrik. Ihr habt mich erschrocken”, sagte Ulmaceae und zog ihre Augenbrauen ärgerlich zusammen. Doch dann entspannte sie sich und schaute mit resignierten Blick in die Mulde. “Das Liebchen vergeht. Und meine Kraft scheint nicht zu helfen. Es scheint, eine böse Fee hat sie krank gemacht. Es wehrt sich, doch die Kraft der Menschenfrau schwindet”, sagte sie mit tiefer Stimme. Nun senkten sich die Ranken und ein jeder konnte nun einen direkten Blick in die Mulde werfen.

"Salgar!", rief derweil Silvagild dem Halbdryaden zu. Im Gegensatz zu ihrem Bruder wirkte sie nun alles andere als ruhig und aufgeräumt. Es wurde recht schnell klar, dass die junge Frau dem Wächter am Liebsten die Spitzohren langgezogen hätte. "Was soll das hier? Warum hast du die Frau in dieses Reich gebracht? Deine Mutter sollte dir echt eine Gefährtin suchen, es kann nicht angehen, dass du ständig Menschenfrauen aus dem Park entführst. Und was hast du gemacht, dass sie jetzt in diesem Zustand ist?"

Unschuldig schaute der Parkwächter zu Silvagild hinüber. Mit einer galanten Bewegung stieg er aus dem Geäst und kam zu ihr. “Ich… ich habe sie nur gerettet. Sie hatte ein Messer und ihre Traurigkeit und Verzweiflung konnte ich bis nach Duthaich Nam Muc spüren. Ich dachte, wenn ich sie zu uns bringe, wird ihr das helfen. Doch dann wurde sie richtig krank. Ulmaceae meinte, sie muss von einer bösen Fee verzaubert worden sein. Ich mußte sie her bringen. Und das Menschenkind an einen noch sicheren Ort.” Noch immer schaute der schöne Mann sie unschuldsbewusst an.

Trotz der beruhigenden Worte Silvagilds stand der Ritter noch immer vor ihr, doch nicht mehr in der Erwartung, einen möglichen Angriff der Schlingen abwehren zu müssen. Er vertraute den Worten seiner Begleiterin, Ulmaceae würde sich beruhigen und nahm sich vor, egal was auch passieren möge, auf jeden Fall gelassen zu reagieren. Immerhin wollte er vor Silvagild mutig und entschlossen wirken.
Als die Ranken sich senkten, trat er zurück, stellte sich neben die Knappin und sah zu dem sich nähernden Salgar. Die Worte des Wächters nahmen Hardomar so mit, dass er vergaß sich vorzustellen und er mischte sich ohne nachzudenken in das Gespräch mit ein: “Macht Euch keine Vorwürfe, Ihr wolltet doch nur helfen”, versuchte er Salgar zu beruhigen und fragte dann nach: ”Eine böse Fee...?” Sein fragender Blick wanderte von Salgar zu Silvagild.

Die Junkerin hob jedoch lediglich ihre Schultern. Von einer bösen Fee war ihr nichts bekannt. “Eine böse Fee?”, wiederholte Silvagild die Frage des Hadingers, doch galten ihre Worte dabei eher ihrem Bruder Tsalrik, während sie dem Wächter des Tores im Lilienpark weiterhin finstere Blicke zuwarf. “Stammt sie von hier, Tsalrik? Weißt du etwas darüber?”

Der Angesprochene wirkte jedoch ebenso ratlos. “Ich weiß es nicht”, beichtete der junge Mann etwas niedergeschlagen. Man sah ihm an, dass ihm der Gedanke an eine böse, übel wollende Fee hier im Reich nicht wirklich behagte. “Salgar, war die böse Fee von hier?”

Salgar atmete schwer durch und schaute besorgt zu der kranken Frau. “Ulmaceae meinte, das sie schon verzaubert war, als wir hierher kamen. Sie hat das aus eurer Welt mitgebracht.”

Während Tsalrik auf diese Bestätigung hin etwas erleichtert wirkte, schob Silvagild ihre Augenbrauen nach oben.

Nun löste sich Bakka von der Dryade und ging auf Akka zu. Aufgeregt rieb sie ihre Nase an der ihrer Schwester und wedelte mit ihrem wohlgeformten Gesäß hin und her. Dann nahm sie sie an die Hand und führte sie zur Mulde.

Es tat so gut, Bakka wieder nahe zu sein, sie wohlbehalten zu wissen. Doch kostete Akka diesen Moment nicht aus. So gerne sie ihre Schwester an sich gedrückt hätte, sie selbst an diese geschmiegt, deren Federn geordnet und ihren so kurz gewordenen Hals um deren gelegt hätte, so viel wichtiger war, weswegen sie hierher gekommen waren, denn das Herz ihrer neu gewonnenen Freundin hing daran, also musste es bedeutend sein. Ihr eigenes Herz pochte bis zum Halse und darüber, während sie Bakkas Hand noch fester fasste und mit der anderen Tsadoro an sich drückte. So ließ sie sich, gleichsam watschelnd und mit dem Steiß wackelnd, zu der Mulde ziehen, auf alles gefasst, was sie sich in ihrer heute schon so stark gewachsenen gänsischen Welt vorstellen konnte.

Am Boden, umrankt von Wurzelwerk, lag auf Moos gebettet eine Menschenfrau. Diese war zierlich und trug das typische orange-braune Gewand der Traviageweihtenschaft. Doch hätte man hier eine junge Frau erwartet, wurde man schnell enttäuscht. Eine Greisin, ausgezehrt und dem Tode näher als dem Leben, zuckte rastlos und ihre Augenlider flimmerten. Braune Flecken wanderten unwillkürlich über ihren Körper und wirkten wie faulende Stellen an einem Apfel. “Schaut. Lange wird das nicht mehr. Ulmaceae ist ratlos.” Die üppige Frau schaute in die Runde. Doch dann blitzte es in ihrem Blick auf. “Ihr seid keine Biestinger von hier. Ich rieche eine fremde Kraft in euch. Vielleicht könnt ihr helfen?

“Ja…”, warf Tsalrik sogleich ein, “...das sind Freunde aus der Derenwelt. Sie sind extra gekommen, um der Menschenfrau zu helfen. Wir werden alle helfen. Was sollen wir tun, Ulmaceae?”

Akka besah die Greisin mit großen Augen. Sie hatte bislang keine große Erfahrung mit den Menschen, aber diese sah anders aus als Relindis und die Frau, die sie gerade erst kennengelernt hatten, Silvagild. Und auch ganz verändert im Vergleich zu derjenigen, der sie heute morgen noch gefolgt waren. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie diese eben noch ein Küken hatte ausbrüten können. Vielmehr wirkte diese sogar schwächer als die alte Aggasga, die ihnen vor dem Abflug noch erklärt hatte, dass sie diesmal nicht mehr mitkommen würde ins Winterquartier... Akka hatte dies beinahe das Herz gebrochen, doch keine aus dem Schwarm konnte Aggasga noch umstimmen, nicht einmal Aggwana. Wer würde im nächsten Sommer den Küken all die Geschichten erzählen? Und was würde aus dem Küken auf ihrem Arm ohne seine Mutter? Sicher würde sich Relindis seiner annehmen... suchend blickte sich Akka nach dieser um. Wer sonst sollte besser wissen, wie der Menschenfrau zu helfen war? Wo war ihre Freundin?! “Helfen, wie können wir helfen, wir alle hier?” stimmte sie in die Frage Tsalriks ein, darauf hoffend, dass Relindis oder Ulmaceae oder wer auch immer ihr eine Antwort geben konnte.

Nun gaben auch die Ranken in der Höhe nach und ließen die ächzende Geweihte langsam hinunter. Ganze drei Schritt hing sie über dem Geschehen, als ihr Gewand sich in ein paar Ästen verfing. Von hier an ging die Reise nach unten nicht mehr weiter.

Von oben ertönte ein zuerst ärgerliches doch dann zusehends erschrockenes Stöhnen. "Bei der... gütigen... Mutter! Elvrun! Was ist... Was ist… mit... Dir... geschehen?" In Relindis' Augen stand angesichts des Anblicks der Verlobten ihres Bruders das blanke Entsetzen geschrieben, das sie ihre missliche Lage einen Augenblick gänzlich vergessen ließ. Kurz erstarrte sie sogar in ihren rudernden Selbstbefreiungsversuchen. "Kann mir... jemand helfen? Ich muss... zu... ihr!"

Hardomar schaute nach oben und stellte fest, dass Relindis Hilfe brauchte. Der Ritter krempelte seine Ärmel noch ein Stück weiter hoch. Er setzte an, in dem Geäst hochzuklettern. Da er kein sonderlich geschickter Kletterer war, versuchte er sich eher mit Hilfe seiner Körperkraft als über eine geschickte Technik hinauf zu ziehen. “Keine Sorge, ich helfe Euch!”, versicherte er Relindis.

Relindis schenkte Hardomar einen dankbaren Blick und versuchte, sich im Rahmen der ihr verbleibenden Möglichkeiten so zu positionieren, dass es dem Edlen so leicht wie möglich fiele, sie zu befreien.

Als dieser die junge Geweihte erreichte, begann er ihr Gewand mit der rechten Hand aus den Ästen zu befreien, während er sich gleichzeitig mit der linken festhielt. Er runzelte die Stirn, da dies doch schwieriger war, als er zunächst gedacht hatte. Von Herzschlag zu Herzschlag verließen ihn mehr die Kräfte in seiner schmerzenden linken Hand. “Ihr fangt mich doch sicher auf, wenn ich falle!”, rief er scherzend zu Silvagild nach unten.

Erschrocken versuchte Relindis, nach dem Handgelenk Hardomars zu greifen. Es würde sie grämen, wenn sich der hilfsbereite Ritter beim Versuch, sie aus der unangenehmen Lage, in die sie sich selbstverschuldet manövriert hatte, verletzen würde. Dabei geriet sie ins Schwingen und ein Teil ihres Gewandes gab jäh und mit einem lauten Ratschen nach, bis eine querlaufende Naht das weitere Aufreißen verhinderte. Mit einem kurzen Aufschrei fand sie sich einen guten Spann tiefer als noch zuvor - befreit war sie deswegen aber immer noch nicht. "Verzeiht, ich halte jetzt still." entschuldigte sich die Geweihte zerknirscht bei ihrem ritterlichen Helfer, und beschloss, ihm lieber nicht mehr helfen zu wollen, bevor sie ihn noch mit sich in die Tiefe riss. Stattdessen griff sie nach einer der Wurzeln und versuchte, so gut es ihr möglich war, sich daran festzuhalten.

“Ähm … ich verspreche es zu versuchen …”, meinte die junge Ulmentorerin mit etwas Galgenhumor, “... und sollte es nicht klappen, haben wir die Heilerin gleich zur Hand.” Der Ausspruch Silvagilds wirkte etwas albern, doch war dies eher dem Selbstschutz geschuldet. Der Anblick Elvruns, der sich ihnen bot, machte auch der Junkerin Sorgen. Erst dachte sie, Mutter Elva wäre die Frau, die hier in der Mulde lag, doch schien es sich dabei um eine in der Derenwelt junge Dame zu handeln, die wohl verflucht wurde. Einzig das nervöse Kauen auf ihrer Unterlippe zeigte den Umstehenden, dass es in Silvagilds Kopf ratterte. Aber sie vertraute Ulmaceae - in der Feenwelt, die sie als Kind so gern besuchte und die ihr so lieb war, ist gar vieles möglich gewesen und bestimmt würde man auch für diesen bösen Zauber eine Lösung finden.

Hardomar nahm die Worte Silvagilds nur mit halbem Ohr wahr. ‘Nur noch ihren Ärmel losmachen’, dachte der Ritter. Seine linke Hand verkrampfte sich; er versuchte, so gut es ihm möglich war, die Finger noch einen Moment länger um den rettenden Ast geschlossen zu halten: “Rondra, gib mir Kraft…”, murmelte Hardomar. Er riss mit letzter Kraft an dem Gewand der Geweihten und unter einem leisen Ratschen löste sich dieses vom Geäst. Schnell ergriff Hardomar auch mit der rechten Hand den drei Schritt hohen und stabilen Ast, an welchem er baumelte. “Haltet Euch gut fest, Euer Gnaden!” stieß er schnell atmend hervor.
Was für einen Schaden er am Ornat der Geweihten verursacht hatte, konnte er nicht sagen. Er schaute hinunter und sah, dass direkt unter ihm niemand stand. Seine Kräfte reichten nicht mehr aus, um sich wieder auf den Ast hinauf zu ziehen. ‘Nur nicht auf die Hüfte mit der Prellung fallen’, dachte er und ließ mit den Worten “Platz da, ich komme” los.
Im Flug versuchte er mit schwingenden Armen die Balance zu halten. Mit einem Ruck landete er unbeschadet auf dem Boden und ging tief in die Knie, um den Sturz abzufangen. “Los, das schafft Ihr!”, rief er zu Relindis ermunternd hoch.
Immer noch ein wenig außer Puste fiel ihm nun der besorgte Gesichtsausdruck Silvagilds auf, mit dem diese in Richtung der Mulde schaute. Und sein Blick ging zu Elvrun.

"Na gut, wenn Ihr es sagt, und es sein muss." ließ Relindis mehr zu sich als zu den anderen verlauten, vor Anstrengung ächzend. Es würde ohnehin gleich von selbst passieren, denn jeden Moment würden ihre Kräfte sie verlassen. "Gütige Mutter steh mir bei." schloss sie kurz ihre Augen. Gleichzeitig mit diesen öffnete sie ihre Hände und hoffte, dass es das Schicksal gut mit ihr meinen würde, war aber auf einen schmerzhaften Aufprall gefasst.

Aslan hingegen beäugte die Kletterpartie des Menschen mit etwas Amüsement. Er hielt sich immer noch zurück, aber wenn die Eindrücke aus dieser Welt und vor allem hier in diesem Baum ihn sehr interessierten. Es war sein erstes Mal in einer Anderwelt, auch wenn er die Aura der Anderwelt auch bei dem großen See in der Nähe seines Reviers auch ständig fühlen konnte. Es war nicht unbedingt ein Erlebnis, das er von nun an suchen wollen würde, doch interessierte es ihn dennoch auf eine Art und Weise, die ihn nun an die Mulde herantreten ließ. Aslan konnte die böse Magie fühlen, die diese Elvrun umgab, doch wusste er nicht wie genau sie hätten helfen können. Erwartungsvoll sah er hinüber zur Dryade.

Auch Rotlöckchen war näher an das Geschehen herangetreten. Immer noch wirkte er äußerlich kalt und undurchschaubar. Getrieben wurde er jedoch von seiner Neugier. ´Eine böse Fee?´, Frenya würde das bestimmt interessieren. Auch die genaue Natur des Zaubers, sowie die Art und Weise wie man diesem zu begegnen hat.

“Hihihi”, kicherte der alte Rabe und ein verschmitztes Lächeln trat auf sein faltiges Gesicht, als er hinter Caligo zum stehen kam, der gerade wieder den Ring an seinem Finger bewunderte. “Kha will es”, flüsterte er kaum hörbar und stieß den jungen Raben unter die baumelnde Geweihte. “Kraaa”, empörte dieser sich mit einem eher erschrocken klingendem Laut und konnte gerade noch die Arme hochreißen, um die Geweihte aufzufangen, auch wenn diese Reaktion wohl eher dem eigenen Schutz diente. Mit seinen kräftigen Rabenbeinen konnte er ihren Sturz gut abfedern, ohne zu taumeln. Ein wenig pikiert schaute er Relindis an. Corax indessen hatte sich wieder an den Punkt begeben, wo er vorher gestanden hatte und blinzelte unschuldig in die Runde.

"Huch." ließ Relindis leise vernehmen und sah dem Raben in einer Mischung aus Verdutztheit und Dankbarkeit an. Ihr Herz schlug ihr noch immer bis zum Halse. "Hab Dank, dass Du mich aufgefangen hast. Ich hoffe," fügte sie verlegen hinzu, "ich habe Dir nicht wehgetan, als ich auf Dich gestürzt bin." Besorgt glitten ihre Blicke Caligo über den Rabenleib, darauf hoffend, keine Verletzung seiner sicher empfindlichen Knochen entdecken zu müssen, die sie ihm zugefügt hätte.

Maya konnte nur allzu gut nachempfinden, wie schwer diesen Menschen das Klettern fallen musste. “Wirklich ganz schön unpraktisch, dieser menschliche Körper…”, bemerkte sie besorgt zu den umstehenden Tiermenschen, “...wie können diese Menschen mit einem solch unvollkommenen Leib überhaupt überleben? Weder fliegen noch vernünftig klettern kann man damit”, sagte sie kopfschüttelnd.
Sie beobachtete wie Corax, welchen sie für seine Weisheit bewunderte, seinen Artgenossen zur Rettung Relindis zwang und schmunzelte über sein kluges Handeln.
“Gut gemacht!”, lobte sie die beiden Raben. “Das war Rettung im letzten Moment.”

Caligo setzte die Menschenfrau ab und bewegte seine Menschenflügel. Schmerzen hatte er nicht. Auch Rücken und Beinen ging es gut. “Kraa, nichts passiert”, meinte er dann und sah sie mit seinen dunklen Augen an. “Du musst jetzt helfen, sonst ist es zu spät. Hörst Du nicht die Flügel?”

Corax sah Maya an und meinte mit einer Unschuldsmiene: “Ich war da, wo ich sein sollte und habe nur das gemacht, was ich tun sollte.”

Relindis nickte. Ja, der Rabenmann hatte Recht. “Nochmals Danke, Euch beiden.” galten ihre kurzen Worte Corax und Hardomar, ehe sie, nun, da sich keine Ranken mehr entgegenstellten, weiter auf Elvrun und Ulmaceae zueilte.

Er hatte nicht mehr auf seine absonderlichen Gefährten geachtet, aber plötzlich hatte es sich die Liane wohl anders überlegt. Als Onyx spürte, wie der Griff leichter wurde, konzentrierte er sich, um gekonnt einen seiner hässlichen Sprünge zum Stamm zu schaffen. Wieder mal störte der Körper, aber seine Natur war das Klettern gewohnt. Eigentlich wollte er kopfüber, so rutschte er nun gemächlich den Stamm hinunter. Das war also die wichtige Stelle. Warum er dafür essentiell war, erschloss sich ihm noch nicht.

Entsetzt stellte Maya fest, dass eine zweite Person hochgezogen wurde. Diesmal der Kröten-Biestinger. Obwohl ihr Instinkt zur Vorsicht riet, so versetzte der Anblick, wie Onyx in die Lüfte gezogen wurde, die junge Bienenfrau in leichte Panik: “Ui, ui, ui… ach herrje!”, ihre Flügel brummten nervös auf. Eilig rief sie zu den umstehenden Personen: “Was tun wir denn jetzt? Wir müssen ihm helfen!” Da sie nicht wirklich wusste, was sie tun könnte, lief sie unter Onyx aufgeregt im Kreis, als die Schlinge ihren Griff lockerte und der Krötenmann herab rutschte: “Puh, da haben wir aber Glück gehabt! Geht es dir gut?”, vergewisserte sich Maya.

Onyx war etwas abwesend, bis Maya ihn ansprach. Er blinzelte mit seinen fast wimpernlosen Glubschaugen seelig. “Ach mein Bienchen. Wenn ich dich sehe, dann geht`s mir gleich besser.”

Maya schluckte bei den Worten von Onyx. ‘Wie meint er das denn bloß?’, ging es ihr durch den Kopf, doch war ihr die Zunge des Krötenbiestingers einfach zu unheimlich. “Na dann ist ja gut”, antwortete sie mit zögerlicher Stimme und schaute neugierig zu Ulmaceae und der jungen Frau, die sie gesucht hatten.

Die Rettung der Braut

Nun baute sich die Ulmendryade vor den Anwesenden auf und richtete ihren nachdenklichen Blick auf sie. Immer wieder schwirrten Blütenfeen an ihr Ohr heran und flüsterten ihr etwas zu.

“Hmmmm”, grollte sie, “Ja, das könnte klappen. Was hat Ulmaceae schon zu verlieren.” Dann hockte die nackte Heilerin sich hin, mit dem Blick auf die Mulde. “Wir müssen sie von dem Zauber befreien und dann die Kraft des Lebens mit ihr teilen. Du da, Katzen-Biestinger”, sie deutete auf Aslan,” du musst Elvrun erst einmal beruhigen, denn sie scheint rastlos.” Sie deutete auf die Mulde.

“Beruhigen?”, fragte der Wildkater verwundert. Wieso kam diese seltsame Frau auf die Idee ihn dafür auszuwählen? Er war ein Jäger … und keines dieser Schoßtierchen, die sich streicheln und herzen ließen und dabei auf Kommando schnurrten. Tief war sein Geschlecht gefallen und ihrer aller Mutter Aphasmayra, die von den Menschen als Erzdämonin missverstanden wurde, würde sich mit Grausen von ihren Kindern abwenden, die mit diesen Zärtlichkeitsbekundungen Vorteile herausschlagen wollen. Gerade die Wildkatzen hatten sich ihre Natur beibehalten und sich noch nicht dazu herab gelassen zu Schmusetieren zu verkommen. Aslan bleckte seine Zähne und sah auf die Greisin.

“Schnurren”, erklärte Rotlöckchen knapp und mit erbarmungsloser Stimme, während er beiläufig auf Elvrun wies. Der seltsame Mann machte keinerlei Anstalten dies weiter auszuführen.

Es war eine Anweisung, die Aslan lediglich mit seinen Augen rollen ließ. Versuchen konnte er es ja. Je schneller das Problem gelöst war, desto schneller konnten sie hier wieder weg. Er räusperte sich, dann begann er überraschend wohlig und sanft zu schnurren.

Und tatsächlich setzte sich eine Veränderung ein. Binnen Augenblicken, schien sich die Greisin zu beruhigen, ihre Lider zuckten nicht mehr und es schien, dass die Geplagte nur schlafen würde.

Dann wanderte ihr Blick zu Rotlöckchen. “Spinnen-Biestinger, wir müssen das Übel aus ihr rausholen, es dem so ungemütlich machen wie möglich. Jetzt wäre dein Gift von Vorteil.” Die Heilerin nickte ihm zu.

Die schwarzen Augen Rotlöckchens lagen auf der Dryade, sein Antlitz zeigte keine Regung. Wenn sie das ernst meinte ... sein Gift zerstörte Organe und löste sie auf - ob das im gegenwärtigen Fall wirklich helfen würde? Doch der Arachnide stellte die Fragen nicht. Sie würden schon merken ob es half oder nicht und wenn nicht … dann war es wohl Pech. Rotlöckchen zögerte nicht lange, begab sich zu Elvrun und biss ihr in die alte fleckige Schulter.

Für Momente passierte nichts, doch dann bewegte sich der faulende Fleck unter der Haut Elvruns. Erst langsam, doch dann immer schneller. Es schien, dass das Übel einen Ort suchte, um dem Gift des Spinnenmannes zu entkommen. Die Schlafende öffnete den Mund, doch noch immer zögerte die verderbende Fäulnis den Weg nach draußen anzutreten.

Die Heilerin rieb sich in die Hände und deutete Onyx, sich neben ihr zu setzen. “Du und ich werden die Erdkräfte anrufen, um ihren Körper zu stärken. Kannst du das, Kröten-Biestinger?”

Onyx mustere das Weiblein aus zusammengekniffenen Augen und kratze sich am Hinterteil. Er war immer noch verstummt, da man ihn so despektierlich behandelt hatte. Etwas Dünger würde der Alten vielleicht gut tun. Dann hob er seine Augenlider, man mochte es für eine Zustimmung halten, uns stampfte zu der fast toten Frau. Er kniete sich neben sie , betastete das Erdreich und warf Ulmaceae einen auffordernden Blick zu.

Diese nickte nur, den sie wußte von der ´heilenden´ Kraft des Froschdüngers. “Am besten, wir reiben sie damit ein,”sagte die Dryade und begann frischen Humus in die Hand zu nehmen und Elvrun damit einzureiben.

Die Kröte in Form eines stattlichen Kerls grunzte zufrieden. Er beschränkte sich nicht auf sachtes Einreiben sondern ging nach dem Motto “Viel hilft viel” vor. Es war beruhigend, sich zu erden, Mada zu spüren und mit den Händen meditativ auf dem schwachen Körper zu kreisen.

Ulmaceaes strenger Blick traf nun die Menschen. “Tsalrik, Salgar und ihr anderen Menschlein. Stellt euch um uns in einem Kreis, fasst euch an den Händen. Ihr müßt Elvrun helfen, wieder zu uns zurück zu finden, sobald wir sie von dem Übel befreit haben. Die Raben-Biestinger werden euch dabei helfen!” Ihre Stimme klang bestimmend und duldete keinen Widerspruch.

“Der Knabe, der Mann und der Greis stellen sich am Kopf der Kranken auf. Die Menschen schließen dann den Kreis um sie”, befahl der weiße Rabe nun und wies damit den Umstehenden ihre Plätze zu. Mit seiner rechten ergriff er dann Mafaldos linke. Caligo ergriff Mafaldos rechte. Die beiden äußeren Raben reichten ihre freien Hände den Menschen entgegen. “Stimmt euch auf die dreifache Göttin ein”, raunte er den anderen beiden Raben zu, “wir werden sie vermutlich rufen müssen, um aus dem Kessel neues Leben zu schöpfen.” Der gebrechliche und zerzauste Albino wirkte nun nicht mehr wie der tattrige alte Onkel, der den ganzen Tag auf seiner Bank vor dem Haus im Sonnenschein sitzt, sondern eher wie der erfahrene Hohepriester, der sich einer großen mystischen Aufgabe zu stellen hatte.

Wen meinte der alte Rabe mit der dreifachen Göttin? grübelte Relindis einen kurzen Moment. "Vielleicht die große Mutter, der soviel Göttlichkeit innewohnte, dass jeder ihrer Aspekte göttlich war und Gottgestalt einnahm?" Doch war jetzt nicht der Moment für theologische Fragen und Dispute. Sie alle waren hier, Elvrun zu helfen, deren Zustand ihr schier das Herz zerriss, und nur Elvrun zählte in diesem Moment. Wo Menschen oder menschgewordene Tiere als Gemeinschaft zusammenstanden, um einem Menschen in Not zu helfen, da weilte Travia mitten unter ihnen, ganz gleich, wie fernab ihrer Welt sie gerade waren. Jedenfalls glaubte Relindis, ihre Göttin ganz deutlich zu spüren. Zuversicht keimte in ihrem Herzen, trotz der entsetzlichen Lage Elvruns. Entschlossen fasste sie Caligos ausgestreckte rechte Hand. Ihre eigene rechte aber hielt sie den anderen Menschen entgegen. “Lasst uns den Kreis schließen!”

Die beiden Ulmentorer Geschwister fügten sich in den Kreis ein. Was genau Ulmaceae vorhatte, konnten sie nicht sagen, doch war ausreichend Vertrauen in die Fähigkeiten der Dryade vorhanden, sich ohne Fragen zu stellen in die Behandlung einzubringen. Dem Gerede von der dreifachen Göttin folgten Silvagild und Tsalrik nicht. Selbst wenn die große Mutter gemeint war, stand hier auch jemand unter ihnen, der damit höchstwahrscheinlich nichts anfangen konnte. Es war schon riskant gewesen, Hardomar die Welt hier zu zeigen … und das sollte fürs Erste auch reichen. “Kommt, nehmt meine Hand”, forderte die Junkerin den Ritter auf und ihre grasgrünen Augen blitzten ihn dabei an.

Als sich der Hadinger Ritter der Szenerie näherte, erschrak er bei dem Anblick der erkrankten Geweihten: ‘Das ist Elvrun? Sie sollte doch eigentlich eine junge Frau sein…’, dachte er und schluckte: ‘...was für ein grausiger Zauber wohl auf ihr liegen mag? Hoffentlich können wir ihr tatsächlich helfen!’ Aufmerksam folgte er den Anweisungen Ulmaceaes und lauschte den Worten des Raben. Auch wenn ihm die dreifache Göttin unbekannt war, hinterfragte er dies nicht. Schließlich befand er sich in einer fremden Welt und hatte es mit fremdartigen Geschöpfen zu tun. Zunächst kamen Zweifel in ihm auf, ob man überhaupt etwas für Elvrun tun könnte, denn es lag weit außerhalb seiner Vorstellungskraft, dass die greise Frau je wieder vollständig verjüngt und geheilt werden könnte.
Langsam schritt Hardomar an den Kreis heran. Erst der intensive Blickkontakt mit Silvagild, welchen er erwiderte, gab dem jungen Ritter neuen Mut. Er war in diesem Moment wahrhaft dankbar, dass sie bei ihm war. Eilig wischte er sich noch einmal die Hände an seiner Hose ab und streckte ihr seine rechte Hand entgegen. Für einen kurzen Moment schloss er seine Augen, als sich ihre Finger berührten und ein leichtes, zuversichtliches Lächeln umspielte seine Lippen.
Dann ergriff er auch zu seiner Linken die Hand Salgars und schloss somit als letzter den Kreis.

Die Dryade nickte zufrieden. “Sobald das Böse ihren Körper verlassen sollte, müssen wir es einfangen, es darf auf keinen Fall entkommen oder in meinem Heim bleiben. Hunde-, Bienen- und Katzenbiestinger. Jagt es und fangt es ein.” Dann überlegte sie kurz. “Deine Hilfe könnte von Nöten sein dabei, Spinnen-Biestinger.”

Nun, das war schon eher nach dem Geschmack des Wildkaters. Jagen konnte er und sofort schwoll ihm seine Brust stolz an. “Ich kümmere mich darum”, kündigte Aslan großmundig an, seine Gefährten beachtete er dabei nicht.

Rotlöckchen schien sich hingegen mehr Gedanken zu machen als der Kater. “Ist denn das was aus ihr rauskommt körperlich? Können wir es überhaupt fassen?”, fragte er Ulmaceae.

‘Das Böse hört sich ja wirklich nicht gut an...’, dachte Maya. Die Bienenfrau bekam es ein wenig mit der Angst zu tun. Im Gegensatz zu Aslan und Rotlöckchen war sie kein Jäger, sie wurde gejagt. Umsomehr war sie erleichtert, als Aslan so zuversichtlich antwortete und ihre Angst legte sich ein wenig. Voller Stolz klopfte sie Aslan aufmunternd auf den Rücken: “Zeig es ihnen, großer gefährlicher Kater!”

Ohne ihre Hände von Elvrun ablassend antwortet die Dryade dem Spinnenmann. “In unserer Welt manifestiert es sich mit einem Körper. Ich kann es sehen, doch verändert es ständig seine Form und ist rastlos.”

“Gut”, befand Rotlöckchen. “Dann sollten wir uns aufteilen. Der Kater jagt, wir anderen sollten die Ausgänge bewachen. Wenn das Ding einmal aus dem Baum flieht, werden wir es wohl nicht mehr erreichen.”

Zu guter Letzt richtete sie ihren Blick auf die Gänseschwestern. “Und ihr passt auf uns auf; sollte etwas schief gehen, schlagt Alarm!” Dann schüttelte sie ihr grünes Haar und schloß die Augen.

Auf die anderen aufpassen, auf ihre neugewonnenen Freunde und Weggefährten, ja, das konnten sie beide, ja das würden sie tun. Akka nickte beherzt. "Jaja. Da machen wir! Wir passen gut auf Euch auf, nicht wahr Bakka!" Auf sie alle, und auf das kleine Küken, das sie noch immer im Arm hielt. Wie alle Gänse im Schwarm immer aufeinander aufpassten, im Flug ebenso wie während der nächtlichen Rast. Und im Alarm schlagen, da machte ihnen beiden keiner etwas vor!

Bakka konnte kaum ihren Blick von Elvrun wenden, doch dann schaute sie Akka an. “Schwesterchen, gib ihn mal her. JaJa.” Dann nahm sie den kleinen Tsadoro aus den Armen ihrer Schwester, hockte sich hin und setzte den Jungen vor sich. Dieser war überraschenderweise recht ruhig und spielte mit den Federn der Gänsefrau, ganz so, als ob nichts um ihn herum passieren würde. “Akka, setz dich. Um aufzupassen, müssen wir unsere Kräfte aufsparen.”

Ganz zufrieden war Akka nicht mit der Aussicht, im Sitzen aufpassen zu sollen. Wie sollte gans aus einer so niedrigen Position nur den Überblick behalten? Mit beiden Augen nur nach vorne gerichtet und so einem steifen, kurzen Hals, der sich gerade einmal zur Seite drehen ließ...? Andererseits merkte sie, dass sie seit ihrer Ankunft in dieser Welt unentwegt auf den Beinen gewesen war, und gar nicht so geringe Anteile davon entweder ein Menschenküken getragen oder gar ausgewachsene Menschen und menschengestaltige durch Flüsse geschleppt hatte. Durfte sie sich eine kurze Sitzpause gönnen? Vorsichtig ließ Akka sich nieder, um gleich zu bemerken, dass diese Menschenbeine gar nicht so praktisch waren - entweder musste sie diese von sich strecken oder irgendwie verknoten - jedenfalls befanden sich ihre Füße immer außerhalb der wärmenden Daunen ihrer Bauchregion, und einfach so loslaufen konnte sie auch nicht... Sie sah sich um. Da... dieser Holzknoten direkt neben Bakka... auf dem würde sie ganz in der Nähe ihrer Schwester sitzen, hätte eine gute Sichtposition und käme wohl im Falle eines Falles auch schneller wieder auf die Beine als direkt vom Boden. Kaum hatte sie sich dorthin umgesetzt, wanderten ihre Hände zielstrebig zu dem an Gefieder, das Bakka in dieser Gestalt geblieben war, und begannen dieses emsig zu ordnen, während Akkas aufmerksame Blicke ganz und gar auf die Geschehnisse um Elvrun gerichtet waren.
"Bakka, oh Bakka," fing sie dabei leise, fast schon gluckend, an, "erzähl mir, was hast Du erlebt, auf dieser Seite des Sees?"

Diese legte ihren Kopf schief. “Nicht viel. Kaum waren wir in dieser Welt, ist die arme Elvrun krank geworden. Ich wußte sofort, dass ich ihre Seite nicht mehr verlassen konnte. Ich glaube ohne meine Fürsorge wäre sie schon längst nicht mehr.” Nun schimmerte ihr Blick feucht.

"Wie gut, dass Du ihr so rasch gefolgt bist! Wir anderen wären zu spät gewesen, jaja. Dafür haben wir uns ihres Kükens angenommen. Und viele Gefährten gefunden, die jetzt helfen, einen richtigen Schwarm!" Gebannt sah sie jetzt auf das Geschehen um Elvrun. "Woher hast Du gewusst, dass Du ihr folgen musst?"

“Ich wußte es einfach, die Arme ist ganz allein. So wie die da”, damit zeigte sie auf Relindis.

Mitleidig sah Akka zu Elvrun und nickte mit ausladenden Halsbewegungen. "Ich weiß gar nicht, ob die, der ich gefolgt bin, Relindis ist ihr Name, auch ganz alleine ist. Sie ist uns alleine gefolgt, jaja, aber sie war dabei ja auf der Suche nach der, die Du begleitet hast. Außerdem verhält sie sich, als ob sie zum selben Schwarm gehört wie ich, wie wir alle." schnatterten die Gedanken nur so aus Akka heraus. "Bei ihr fühlt es sich für mich tatsächlich so an, als ob sie eine Schwester wäre, so wie Du. Als sei sie wirklich aus unserem Schwarm, eine Wildgans. Und das, obwohl sie doch ein Zweibeiner ist. Kannst Du Dir das vorstellen?"

Bakka nickte nur. “JAJa. Wenn du ihr ins Herz schaust, ist sie auch allein. Sie ist irgendwie wie wir, doch ohne Schwarm.”

Akka dachte einige Augenblicke still über Bakkas Worte nach, fühlte in sich hinein. "Jaja, so ist es. Recht hast Du, jaja." stellte sie fest. Ehe sie fortfahren konnte, zuckte ihr Hals auf einmal herum: "Schau, schnell. Da bewegt sich etwas... wir müssen aufpassen. AUFPASSEN!"

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