Herzenssache

Szenen aus Witzichenberg – Alltägliches und Tiefsinniges:
Herzenssache

Ort: Burg Tannwirk in Witzichenberg

Zeit: Anfang Rondra 1041 BF, bei einem gemütlichen Abend auf der Burg

Personen:


Baronin Roana und ihre Familie verbrachten, wie so oft, den Abend gemütlich bei Musik, Vorlesen und angeregten Gesprächen mit Hofmaga Circe ter Greven, Leibmedicus Dario Eraldo, Pagen und Knappinnen. An diesem Abend war auch Rondrik von Eberbach, der Bruder der Knappin Amadis, als Gast dabei. Bald nutzte er die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Dario.

Rondrik: "Sagt, Meister Eraldo, Ihr schneidet doch Menschen auf, nicht wahr?"

Dario (amüsiert): "Meistens bemühe ich mich, sie zusammenzunähen. Aber ja, zuweilen schneide ich sie auch auf."

R. (erfreut): "Gut! Würde es Euch etwas ausmachen, mir das Prozedere zu erläutern? In meinem neuen Roman, noch früh im Entstehen begriffen, soll es mitunter um einen Chirurg gehen. Und selbstredend bin ich meinen Leserinnen und Lesern Detailtreue schuldig! Also, wie geht das vonstatten?"

D. (erstaunt): "Ihr schreibt? Das hätte ich eher im Bosp... - im Horasiat als in den Nordmarken erwartet!"

R.: "Ja, ich schreibe. Liebesromane und Gedichte. Die Leserschaft ist bislang recht rar gesät, so ehrlich muss ich sprechen. Doch bin ich überzeugt, dass sich das in den kommenden Jahren ändern wird, man muss eben beharrlich sein, nicht wahr?"

D. (schmunzelnd): "So ist es. Da wünsche ich Euch Phexens Glück und Sankt Cereborns Huld! – Aber Ihr wolltet etwas über Chirurgie erfahren. Also, als erstes braucht Ihr ein Messer mit schmaler, möglichst scharfer Klinge, idealerweise ein Scalpellum. Tücher und Werg, um Blut aufzufangen und abzutupfen, sind auch nicht schlecht, und die Schnittstelle sollte sauber sein. Am besten noch mit etwas Wein oder sogar Brannt abreiben. Dann setzt Ihr ... Wo soll ich denn schneiden, und um welches Leiden geht es?"

R. überlegte kurz, summte dabei und dachte mitunter laut, bevor er weitersprach: "Wo schneiden ... Wo schneiden? Ah, ja! Genau! Am Herzen! Gibt es ein Herzleiden, für das man den Körper öffnen muss? Mir schwebt ein schweres, schmerzendes Herz vor ...", er hob einen Arm und zeichnete einen Halbkreis in die Luft, "bei dem der betreffende Arzt mit chirurgischem Geschick eine Diagnose stellt und behandelt, also operiert. Doch ohne Erfolg. Denn am Ende stellt sich heraus, der Mann litt an gebrochenem Herzen!"

Er machte eine erneute kurze Pause, bevor er weitersprach: "Was haltet Ihr davon? Sprecht offen, bitte. Zu kitschig, nicht wahr? Ich wusste es! Langweilig und kitschig! Nun sagt schon!"

D. hatte mit wachsendem Amüsement zugehört und beim 'gebrochenen Herzen' nur mit Mühe ein Auflachen unterdrückt. Nach Rondriks drängender Frage wurde er freilich ernster. "Langweilig ist etwas, wenn es langweilig geschrieben ist", sagte er bedächtig. "Das kann ich ja nicht sagen, da ich wohl noch nichts von Euch gelesen habe. Ob kitschig, kommt ebenfalls sehr auf die Schreibweise an. An einem gebrochenen Herzen ist per se nichts Kitschiges. Traurig, ja, vielleicht tragisch ..." Einen Moment lang ging sein Blick in die Ferne. Erinnerungen?

R. hatte wie gebannt den Worten Ds. gelauscht. "Ihr habt Recht, unumwunden und uneingeschränkt Recht. Auf den Schreibstil kommt es an, natürlich! Manches Mal ist man aber auch ...", sagte er, während er sich in übertrieber Geste mit der flachen Hand sehr leicht vor die Stirn schlägt. "Und nein, das gebrochen' Herz ist selbstredend per se nicht kitschig. Die literarische Adaption solcher Thematiken sind es aber bisweilen, Ihr versteht?"

Nun mußte D. doch lachen. "Bestens, Junger Herr, bestens! Was glaubt Ihr, was ich früher an Romanen und Geschichtchen verschlungen habe! Manches davon würde ich heute nicht mal mehr mit der Kneifzange anfassen, wie Magistra Circe zu sagen pflegt." Wieder etwas ernster fuhr er fort: "Das größte Problem sehe ich hier im chirurgischen Part. Das Herz läßt man am besten in Ruhe. Als Medicus, was eher meine Profession ist, würde ich stärkende Tränke und Tinkturen verordnen. Operieren ..." Er überlegte, schüttelte sacht den Kopf. "Es sollen Notoperationen bei Verletzungen erfolgreich durchgeführt worden sein. Wenn nichts zu verlieren ist, kann man es versuchen. Und dann gibt es natürlich noch Quacksalber und Wunderheiler, die einem 'den Stein aus dem Herzen zu schneiden' versprechen und was nicht alles. Im besten Falle Betrüger, im schlimmeren Falle ... Verzeiht, aber wenn einer das wirklich anginge, wäre er ein Mörder."

Während dieser für ihn eher ernüchternden Ausführungen schürzte R. die Lippen und schob sie von links nach rechts. "Ich verstehe, betrüblich. Ein Mörder soll mein Protagonist ja nun bei Leibe nicht sein. Niemand liest ein Werk, in dem es um romantische Gefühle eines Schwerverbrechers geht, oder?"

D. zuckte die Schultern. "Ach, warum nicht?"

"Nun, eine gewisse Tragik ist hierin nicht zu verleugnen", sagte R. "Aber nein." Als wollte er den Gedanken wegwischen, wedelte er kurz mit der Rechten vor seinem Gesicht herum.

"Als Poet dürft Ihr Euch natürlich mehr erlauben!", sagte D. "Das Herz ist freilich physisch gut geschützt. Man müßte das Sternum öffnen ..."

"Ich danke Euch für den Versuch, mich aufzuheitern, doch bin ich, wie ich sagte, der Detailtreue verpflichtet, ich schreibe ja keine Mär! Doch danke ich Euch für die grundlegende Beschreibung bis hierhin. Eventuell ist dies bereits ausreichend. Ich fürchte fast, ginge ich mehr ins Detail, nun ... nicht jeder hat einen festen Magen. Und ich will auf keinen Fall, dass meine Leserinnen und Leser meinen Roman zum Speien finden!" Über diese letzte Bemerkung seiner selbst musste er nun herzlich lachen.

D. stimmte ins Lachen ein. "Oder während der Lektüre ohnmächtig werden!"

R. (lachend): "Eventuell würde dies die Auflage steigern."

D.: "Wo sind Eure Romane denn zu erwerben? Und unter welchem Namen? Ihr werdet wohl kaum unter dem Namen 'von Eberbach' veröffentlichen, oder?"

R. räusperte sich und hörte auf zu lachen: "Nein", er errötete leicht, das mochte aber auch dem Schein der Kerzen geschuldet sein, "ich nenne mich 'Rahjaehr'. Und bislang schreibe ich meine Werke noch höchstselbst ab. Ich arbeite, wenn man so möchte, auf Bestellung. Sollten größere Stückzahlen gewünscht sein, habe ich einen Schreiberling an der Hand, der mir zur selbigen geht. Mein Schaffen steckt noch in den Kinderschuhen, Ihr versteht", endete er verlegen.

D. (lächelnd): "Dann bitte ich Euch um eine Abschrift Eures neusten Werkes, sobald Euch das möglich ist!"

Als er dies hörte, blitzten Rondriks Augen vor Freude auf und er lächelte wieder breit. "Mit großer Freude!", antwortete er.

D. hob das Weinglas: "Rahja zur Ehr', Junger Herr Rahjaehr!"