Ritter in der Not: Unterschied zwischen den Versionen

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Ein schmales Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.
 
Ein schmales Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.
 
“Da geht sonst keiner rein. Aber mit euch dabei, da werden die kleinen, dummen Biester sicher dumm aus dem Pelz schauen.”
 
“Da geht sonst keiner rein. Aber mit euch dabei, da werden die kleinen, dummen Biester sicher dumm aus dem Pelz schauen.”
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=== In die Blogfelser Wälder ===
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Die Pferde der Reisegruppe blieben in der Albrunsburg. Odalbert wollte die Tiere gegen einen kleinen Obolus gut versorgen. So brach man noch am späten Mittag, die notwendige Ausrüstung geschultert, auf, um in die Blogfelser Wälder zu ziehen.</br>
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Zunächst überquerte man wieder die steile Brücke über die Kalte und betrat dann das Tal gegenüber der Albrunsburg, durch welches sich ein schmales Bächlein wand. Das Tal war an dieser Stelle recht schmal und von jungen Buchen bestanden. Nach knapp einhundert Schritt weitete sich das Tal jedoch und der Boden wurde feuchter und morastiger. Die Buchen wichen hier Schwarzerlen, die in dem feuchten Boden nur leidlich Halt fanden und deren Stämme sich oftmals zur Seite neigten. Gemeinsam mit den Strauch-Birken und Gargeln, die hier überall wuchsen, bildete sich ein nahezu undurchdringbares Dickicht.</br>
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Helmbrecht von Schnakensee beschloss daher bereits nach wenigen Schritten, dass man sich am besten den zwar beschwerlichen, aber unumgänglichen Weg hangaufwärts suchen sollte. Und so stiegen die fünf Personen bergan, zwischen alten, mächtigen Rotbuchen hindurch, über umgefallene und teils bereits vermoderte Stämme hinweg und an kleinen Felsen, die hier über den ganzen Berg verstreut lagen, vorbei. Der Berghang war zwar nicht besonders steil, doch der Aufstieg mühsam und kräftezehrend. Zudem machte die Hitze des Mittags jeden Schritt und jeden Atemzug zu einer Qual. Tröstlich waren nur die ausladenden Baumkronen, die Praios’ Antlitz nicht gestatteten, direkt auf die Gefährten niederzubrennen.
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Der junge Jagdmeister von Schnakensee machte regelmäßig Halt und ließ sich und seinen Begleitern die Möglichkeit durchzuatmen. Seine Haare waren schweißgetränkt und hingen ihm in Strähnen über die Stirn und bis zu den Ohren. Wenn er sich zu den Kämpen, die ihm folgten, umblickte, konnte man jedoch einen Glanz in seinen Augen entdecken. Und obwohl sein Gesicht feuerrot ob der Anstrengung war, schien er auf eine seltsame Art zufrieden.</br>
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Nach knapp drei Stundengläsern hatte die Gruppe einen größeren Felsen erreicht, der ein wenig über den Hang hinausragte und so wirkte, als habe man einen riesigen, ovalen Teller waagerecht in die Erde getrieben. Auf der nahezu ebenen Oberseite des Steins lud Helmbrecht sein Gepäck ab und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Trinkschlauch.</br>
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Nachdem auch die anderen aufgeschlossen hatten, holte er zwei-, dreimal tief Luft und sprach:
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“Sind hier schon weit über der Hälfte. Weiter hoch müssen wir nicht.”</br>
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Dann kniff er die Augen zusammen und drehte seinen Kopf nach rechts. Es wirkte, als suche er die Bergflanke ab, wobei man aufgrund der Bäume und des unebenen Bodens kaum weiter als vierzig, vielleicht fünfzig Schritt sehen konnte, wenn überhaupt.</br>
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“Wie lange könnt…wollt ihr noch?”,
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fragte er seine Begleiter, ohne diese dabei anzublicken.</br>
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“Ich folge… Euch”, ließ die Albernierin atemlos verlauten, die bislang gut mitgehalten und immer wieder zu ihm aufgeschlossen hatte.
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Firin schnaufte ebenfalls heftig, sein Gesicht war knallrot und der Schweiß rann ihm in Rinnsalen übers Gesicht. Dankbar nutzte auch er die Rast, um einige kräftige Züge zu trinken. Am liebsten hätte er sich gleich hier zur Nachtruhe niedergelassen. Doch das bedeutete, dass diese Mission länger als nötig dauern würde. Außerdem wollte er sich nicht die Blöße geben, als erster nach einer langen Pause zu japsen. Stattdessen hörte er sich sagen: "Wegen mir können wir noch die eine oder andere Meile machen."</br>
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Helmbrecht nickte knapp, seinen Blick noch immer in die Ferne gerichtet.
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“Gut, nur nicht weiter runter. Da sind vielleicht die Viecher.”</br>
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“Was für Viecher meint Ihr? Rotpelze?” wollte Firin stirnrunzelnd wissen. “Oder richtige Tiere?”</br>
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Man konnte an seinem Profil erkennen, dass der junge Jagdmeister wohl breit grinste.
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“Beides”,
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antwortete er knapp. </br>
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“Nett”, quittierte Firin die Antwort ihres Führers. “Und wer von den beiden macht mehr Ärger?”</br>
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“Machen keinen Ärger, wenn man sie in Ruhe lässt. Beide”,
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entgegnete dieser seinem Begleiter. Dann fügte er noch erklärend hinzu:
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“Gibt viele Sauen unten.”</br>
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"Schmackhaft, aber nicht ohne. So schön die Saujagd ist, lege ich heute Nacht keinen gehobenen Wert  auf eine Begegnung mit den Schweinen. Weder wilden noch berittenen."
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Langsam taute der Jagdmeister richtig auf, fand Firin. Hier schien er in seinem Element. Er wollte den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.
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"Aber drüben in Ambelmund ist es auch so - wenn man den Rotpelzen aus dem Weg geht, halten sie es umgekehrt genauso. Dort gibt es sogar einen Kindervers über die schweinereitenden Goblins."</br>
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“Die gibt's auch bei euch?”,
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frug Helmbrecht überrascht und starrte Firin für einen Augenblick ungläubig an, ehe er seinen Kopf schüttelte.
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“Sind eine Plage.”</br>
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"In Ambelmund, wo ich diene? Ja, natürlich."
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Firins Stimme klang etwas überrascht ob der Verwunderung Helmbrechts, dass es auch in der Nachbarbaronie Rotpelze gab.
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"Wobei die Meinungen über sie auseinandergehen. Es soll Leute geben, die sie am liebsten ausmerzen würden. Und andere, die meinen, man könnte ganz gut mit ihnen auskommen. Hängt wohl auch vom Jahr ab, in dem man die Leute fragt... je nachdem, ob die Wälder üppig Früchte tragen oder die Mahle kärger und die Gürtel enger werden. "</br>
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Der Jagdmeister schnaubte verächtlich und schüttelte verständnislos den Kopf.
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“Ha…ist wie hier auch.”
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Dann blickte er zu Boden und atmete tief durch.
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“Gehen wir weiter.”
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Helmbrecht schulterte sein Bündel und marschierte weiter. </br>
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Firin sah dem Jagdmeister kurz hinterher, dann lud er auch sein Gepäck wieder auf und folgte jenem.</br>
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Da es von nun an überwiegend waagrecht am Hang entlang oder zumindest nicht mehr allzu steil bergan ging, hielt sich die Anstrengung auch in Grenzen. Lediglich ab und zu stand eine kleine Kletterpartie an oder man musste sich durch Gestrüpp schlagen. Wenn eine der mächtigen Buchen mit ihren weit ausladenden Kronen umgestürzt war, bildete diese beinahe eine unüberwindbare Barriere.</br>
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Außer dem Zwitschern der Vögel und dem Surren eines Insekts, waren keine weiteren Lebewesen auszumachen.
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Als die Gruppe einen kleinen Felsen umrundete, blieb der Jagdmeister mit einem Male stehen. Sein Blick ging von links nach rechts und wieder zurück.
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“Wildwechsel”,
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stellte er lapidar fest, fügte nach einem Augenblick jedoch hinzu:
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“Nutzen aber vielleicht auch die Rotpelze.”</br>
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Und tatsächlich konnte man so etwas wie eine schmale Schneise erkennen, die sich in unregelmäßigem Verlauf von links nach rechts schlängelte und bereits nach zwei Dutzend Schritt nicht mehr zu erkennen gewesen ist.</br>
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Helmbrecht von Schnakensee wies mit dem ausgestreckten Arm den Wildwechsel entlang in Richtung Bergkuppe, die noch etwa eine halbe Meile entfernt schien.
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“Sollten noch da hoch. Vielleicht kann man von da was sehen. Aber auf dieser Seite des Bergs lagern.”</br>
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Firin nickte als Zeichen seines Einverständnis'. "Gut zu verteidigen. Aber meilenweit sichtbar, wenn wir dort ein Feuer entzünden. Vielleicht muss es ohne gehen. Frieren werden wir wohl kaum, diese Nacht. Wenn uns nur die Wildtiere nicht heimsuchen."</br>
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Helmbrecht nickte.
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“Ja, Feuer. Zum Lagern wieder etwas runter. Rauch sieht man nachts nicht.”</br>
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Dann machte er sich daran, dem Wildwechsel hangaufwärts zu folgen. Der kleine Pfad war nach einer Weile gar nicht mehr einfach zu erkennen, da der Hang hier oben in dem immer lichter werdenden Buchenwald nahezu über die gesamte Fläche mit Farn bedeckt war. Das ein oder andere Mal trat der Führer der Gruppe auch auf einen unter den Blättern verborgenen, größeren Stein und stolperte, was er aber mit Gleichmut hinnahm und einfach weiter stapfte.</br>
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Nachdem man dem Wildwechsel für ungefähr eine halbe Stunde gefolgt war, wurde die Umgebung langsam flacher und schließlich führte das Pfädchen dann sogar wieder leicht bergab. Helmbrecht blieb jedoch stehen und sah sich um.</br>
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“Sind oben”,
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bemerkte er lapidar und lief dann zu einem Felsen von der Größe einer kleinen Kate, der sich wenige Schritt abseits des Weges aus der Erde reckte. Hinter diesem reihten sich noch viele weitere Felsen verschiedener Ausmaße auf, die wohl auf natürliche Weise den Kamm des Berggipfels markierten.</br>
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“Kommt”,
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rief er über die Schulter,
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“...sind gleich da!”</br>
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"Sehr schön. Für heute habe ich auch so langsam genug."
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Firin war mit der Aussicht auf das Nachtlager inzwischen mehr als einverstanden.
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"Zumal es eine kurze Nacht werden wird. Schließlich muss immer einer das Lager bewachen und ein anderer von uns von geeigneter Stelle Ausschau halten, was im Moor und den Wäldern passiert. Gibt es hier eine solche Stelle?" </br>
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Aufmerksam sah er sich um. Hinter einem der größeren Felsen konnte man wahrscheinlich ganz passabel lagern und so verhindern, dass ein Feuer von dem Tal jenseits des Gipfels aus direkt gesehen wurde. Eventuell wäre aber dessen Lichtschein zu erkennen, wenn dieser die Kronen der umstehenden Bäume erleuchtete. Firin war sich recht sicher, dass man, wenn man unentdeckt bleiben wollte, den Hang besser wieder drei oder vier Dutzend Schritt hinab steigen müsste.</br>
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“Am besten bleiben wir hier oben… und verzichten auf ein Feuer… dann sieht man nachts auch mehr und die Sauen sind kein Problem mehr. Ein passender Fels lässt sich außerdem gut verteidigen, denn wer uns hier angreift, dem entkommen wir auch nicht zu Fuß in der Nacht”, bemerkte Yanna gedämpft auf Firins Frage hin. Sie war schweißnass, aber noch immer fasziniert von der Abfolge der gewaltigen Steine, die hier oben auf dem Kamm des Hügels wie das bloße Rückgrat eines Riesen wirkten.</br>
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"Dann sind wir uns schon mal einig“, konstatierte Firin und begann, seinen Rücken vom Marschgepäck zu befreien.</br>
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Helmbrecht von Schnakensee zuckte mit den Schultern und es war lediglich ein kaum zu deutendes Brummen zu vernehmen, als er sein Gepäck ebenfalls absetzte und sich an einen der Felsen gelehnt auf den Boden setzte.</br>
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Auch Aurea wählte ihren Schlafplatz so, dass sie zum einen etwas Deckung im Rücken hatte. Zum anderen richtete sie ihn so ein, dass der Platz wie ein Ablageplatz für Gepäck und nicht nach einem Schlafplatz aussah.</br>
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Als die Dunkelheit über die bergigen Wälder Schnakensees hereingebrochen war, konnte man in den verzweigten Tälern unterhalb des Grates, auf dem die Recken übernachteten, mehrere große Feuer erkennen. Sie alle befanden sich in bestimmt fünf Meilen Entfernung recht nahe beisammen in einem der weitläufigen Täler.</br>
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“Suulak!”, kommentierte der Jagdmeister beinahe schon angewidert und spie dabei auf den Boden.</br>
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“Mache die erste Wache", stellte er hernach lapidar fest und setzte sich auf einen der nahen Felsen, von welchem aus man die nähere Umgebung sowie das Tal gut im Blick hatte. Nach nur einem kurzen Augenblick rief er gedämpft aus: “Da!”, und man konnte im fahlen Mondlicht sehen, dass sein Arm in Richtung des gegenüberliegenden Bergrückens wies. Mit ein wenig Anstrengung konnte man dort eine flackernde Lichtquelle ausmachen, die immer wieder von Bäumen, Felsen oder auch Büschen verdeckt wurde und die sich schräg bergab bewegte.</br>
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“Vielleicht ein Kundschafter?”, mutmaßte Yanna ebenso gedämpft und überlegte, ob der gegenüberliegende Bergrücken von den Wegen um Albrunsburg gut zu erreichen war. Sie erinnerte sich an den Stand der Praiosscheibe bei deren Untergang und verwarf diesen Gedanken jedoch schnell wieder. Wer auch immer dort drüben den Bergrücken hinab stieg, kam wahrscheinlich nicht von der Albrunsburg, sondern musste sich eher aus Süd-Osten nähern.</br>
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“Aber wenn er uns gesehen hat, warum hat er bis jetzt gewartet und verrät sich auch noch mit der Fackel?” Ihr verwirrtes Stirnrunzeln war im Mondlicht nur schwer zu erkennen.
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Der junge Jagdmeister bewegte seinen Kopf hin und her, hoch und runter. So, als versuche er, einen besseren Blickwinkel zu finden.</br>
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“Sind…Menschen…glaube ich”, flüsterte er mehr, als dass er sprach. Und dennoch war seine Verwunderung darüber deutlich vernehmbar.</br>
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"Müssen Menschen sein..." raunte Firin zustimmend. "Die Rotpelze sehen auch ohne Fackeln ganz gut im Dunkeln, soweit ich weiß." Er dachte kurz nach. "Jedenfalls sollten wir uns die Sache einmal aus der Nähe anschauen. Wer weiß, ob uns die Bewohner dieser verlassenen Lande noch einmal derart einladen, sie aufzuspüren."</br>
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“Hmmm…”, ertönte ein Brummen des Jagdmeisters, wobei man nicht erkennen konnte, ob es zustimmend oder ablehnend war.</br>
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“Ein deutliches Risiko, Hoher Herr... bei Nacht und nur im Schein des Madamals.” Sie blickte kurz zu Helmbrecht von Schnakensee, der kaum merklich nickte, ohne den Kopf jedoch in die Richtung Yannas zu drehen. </br>
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“Und ortskundig seid nur Ihr, Wohlgeboren. Dazu könnten wir leicht in eine Falle gehen, wenn wir Wachen der Rotpelze übersehen. Wir könnten morgen auch den Spuren folgen, von wo sie gekommen sind”, schlug sie vor.</br>
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“Kann ich bitte die Karte sehen? Wer es auch ist, stößt dort doch bald wieder auf den Karrenweg an der Kalte, oder?” Yanna wies zum Bergrücken gegenüber, wo die tanzenden Lichter gerade stetig weiter bergab gingen.</br>
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“Ihr habt gewiss Recht”, räumte Firin ein, als er die Karte herausnestelte. “Es ist ein Risiko. Dafür wissen wir bereits, dass sie da sind. Und dürfen umgekehrt berechtigt darauf hoffen, selbst noch unentdeckt zu sein, wenigstens von denen da. Darin schlummern Chancen für uns.” </br>
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Der Ritter faltete die Karte auf und trat so ins Mondlicht, dass er keinen Schatten mehr auf jene warf. Es brauchte dennoch gute Augen, etwas darauf zu erkennen.
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“Die gehen zu den Suulak. Aber warum?”</br>
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Helmbrecht ließ sich von dem kleinen Felsen gleiten und stellte sich neben Firin.
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“Warum?”, frug er dann nochmals mit deutlicher Verwunderung in der Stimme, so als erwarte er, dass der junge Ritter ihm diese Frage beantworten könnte.</br>
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Yanna hatte auf Firins anderer Seite angestrengt auf die Karte geblickt, um ihre Erinnerung der Gegebenheiten aufzufrischen. </br>
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„Weil diese Menschen mit den Rotpelzen unter einer Decke stecken“, beantwortete sie die Frage des Jagdmeisters recht salopp und schonungslos.
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"Wäre möglich..." stimmte ihr Firin zu. </br>
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Er gelangte mehr und mehr zum Eindruck, dass dies hier in der Gegend öfter vorzukommen schien. Jedenfalls munkelte man auch in Ambelmund, dass es in den Wäldern weit mehr und weit friedlichere, ja geradezu einvernehmliche Kontakte zwischen Menschen und den Goblins gab, was wiederum nicht allen gefiel. Es wurde sogar behauptet, dass mancherorts Menschen die Götzen der Rotpelze anbeteten. Allerdings reagierten die, die darüber wirklich Bescheid wissen konnten, wie der aus den Wäldern stammende, recht junge Burgoffizier seiner Herrin, recht einsilbig, wenn man sie darauf ansprach. </br>
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Firin beschloss, seine Gedanken nicht zu teilen.
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Stattdessen lenkte er die Überlegungen darauf, was Mensch und Goblin wohl zusammen aushecken mochten:</br>
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"Die entscheidende Frage ist, bei was genau?"</br>
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“Das sind bestimmt…die Diebe!”,</br>
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rief Helmbrecht von Schnakensee aus und man konnte die Erregung in seiner Stimme deutlich vernehmen.
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“Steckt unter einer Decke, das Pack!”.</br>
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Erneut spie er aus und schlug danach mit der Faust seiner rechten Hand in die Handfläche der Linken.
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“Morgen werden wir sie schnappen!”</br>
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Genauso wie ihre Familie, stand Aurea stolz und treu zu den Zwölfgöttern. Dabei war es nicht verwunderlich, dass sich zwielichtiges Gesindel, egal welcher Rasse, zusammenrottete. Dass sich aber auch Adelige mit diesem diebischen, rotpelziges Gesocks zusammentat, widerstrebte ihr zutiefst.
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“Dann sollten wir morgen in aller Frühe aufbrechen.” </br>
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Gerade rechtzeitig biss sich Yanna auf die Zunge. Gespannt blickte die Albernierin zu Firin, wie dieser auf die Vorschläge der anderen, erst am Morgen aufzubrechen, reagierte.
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"Warum nicht jetzt gleich?", insistierte Firin. "Wenn wir ihnen jetzt folgen, können wir sicher sein, dass wir sie auch an ihrem Zielort auffinden werden. Außerdem können wir bestenfalls beobachten, was sie da im Schilde führen. - Beides wird morgen früh nicht leichter werden. Vielleicht laufen wir ihnen dann sogar geradewegs in die Arme, wenn sie auf dem Rückweg sind."
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Er sah in die Runde. “Ja, wie ich bereits sagte: es ist nicht ohne Risiko. Doch heißt es nicht so schön: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt?”</br>
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“Und wer im dunklen Unterholz stochert, den beißt die Natter“, erwiderte die Richtwalderin trocken. “Eventuell abgesehen von Seiner Wohlgeboren...“, wobei sie auf Helmbrecht zeigte, „… kennt sich niemand von uns in diesen Wäldern so gut aus, um eine sichere Bewegung bei Nacht zu ermöglichen. Die Rotpelze hingegen sind uns ganz offensichtlich nicht nur zahlenmäßig überlegen, sondern sind auch mit der Umgebung vertraut. Es wäre also kein Risiko hinzugehen, sondern es würde einem Wunder des Listenreichen gleichkommen, wenn wir es unbeschadet schaffen würden.”</br>
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"Na gut", seufzte Firin, scheinbar einlenkend. Dann aber wandte er sich an Helmbrecht: "Euer Wohlgeboren: glaubt Ihr, dass Ihr uns sicher durch die Nacht zum Zielort dieses Fackelmarsches bringen könnt? Wenn wir eng zusammenbleiben? Falls nein, bleiben wir hier. Falls aber doch, sage ich, dass es keinen besseren Zeitpunkt gibt als Jetzt: auch morgen früh sind die Goblins in der Überzahl, und auch dann werden sie sich besser hier auskennen als wir. Vermutlich sind sie aber weniger abgelenkt als zum jetzigen Zeitpunkt, wenn gerade erwarteter Besuch eingetroffen ist und sich ansonsten mutmaßlich kein braver Mensch mehr hier draußen herumtreibt."</br>
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Der junge Mann strich sich mit der linken Hand über seinen ausladenden, struppigen Bart und brummte dabei; seinen Kopf wog er ganz sacht hin und her.
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“Hmmm…’s geht scho’...aber die werden uns dann ebenso sehen, wie wir die sehen tun. Und die Suulak von ‘drunten dann wohl auch.”</br>
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Er schüttelte widerwillig den Kopf und sprach dann Firin direkt an.
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“Weiß nich’, ob das ‘ne gute Idee ist.”</br>
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Yanna sah sich von der Aussage des Jagdmeisters zwar einerseits bestätigt, konnte aber andererseits auch den Überlegungen Firins etwas abgewinnen - das Überraschungsmoment war ein machtvoller Vorteil und früher oder später waren sie sowieso nicht davor gefeit, sich zur Wehr setzen zu müssen. Deshalb wollte sie nochmals auf eine wichtige Bedingung von Firins Vorschlag zurückkommen, bei der sie aber unsicher war, ob der Jagdmeister diese richtig verstanden hatte. </br>
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“Wenn… dann gehen wir ohne Fackeln, Wohlgeboren. Dann sehen uns die dort unten”, sie wies zu Tal, “ schon mal nicht ohne weiteres, weil sie eine Fackel tragen oder am Feuer sitzen.”
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Nach einem kurzen Moment fügte sie hinzu: “Mit Ausnahme der Wachen.” </br>
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"Genau." Firin nickte bekräftigend.
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Natürlich ohne Fackel. Mit Licht könnten sie sich auch gleich mit Fanfarenschall ankündigen - es würde fast keinen Unterschied machen. </br>
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"Die Frage ist, wie sicher die sich hier draußen fühlen, und wie stark... oder eben auch nachlässig... sie deshalb ihr Lager bewachen."
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“Ohne…Fackel?”
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Helmbrecht von Schnakensee bewegte seinen Kopf schnell hin und her, sodass man davon ausgehen konnte, dass er abwechselnd von Firin zu Yanna blickte.
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“Wie?”, frug er dann ungläubig.</br>
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“Ihr wisst, wie viel ihr ohne Tageslicht oder Fackelschein in diesem Wald sehen werdet?”, fragte Aurea ungläubig. Allerdings ließ sie Firin und Yanna keine Zeit, ihr zu antworten. “Wenn Ihr Eure Augen eng zusammenkneift und zwischen den Fingern Eurer darüber gelegten Hand schaut, dann kommt das dem schon sehr nahe!”
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“Nein Wohlgeboren”, entgegnete Yanna schlicht. </br>
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“Wenn dem so wäre, hätten wir kaum die Fackeln von hier aus sehen können, aber da mir vorhin niemand zugehört hat, verschieben wir dann das Ausspähen auf den frühen Morgen - wie Ihr vorgeschlagen habt.” Kurz war deutliche Frustration in der Stimme der Freien zu hören gewesen, ehe sie wieder ruhiger auf Aureas Vorschlag zurückkam. </br>
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Tatsächlich aber arbeitete es noch in Yanna: auch wenn sie sicher alle vom Aufstieg erschöpft waren, solche Missverständnisse konnten sie sich angesichts der Gefahren, die unten im Tal auf sie lauerten, nicht leisten. Immerhin war sie froh, nochmals nachgefragt zu haben.</br>
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"Wie Ihr meint", beugte sich auch Firin zähneknirschend der zaudernden Mehrheit. Aus seiner Sicht hätten die Lichtverhältnisse hergegeben, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Sein nachgeschobenes "Mal sehen, was morgen früh noch zu finden ist", klang daher stark nach einem 'Wenn die Fährte dann kalt ist, wissen wir, wer daran Schuld trägt.'
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“Wir sollten dann jetzt die anderen Wachen aufteilen”, merkte die Albernierin scheinbar pragmatisch an.</br>
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“Kann die zweite übernehmen”, bot Firin, immer noch etwas brummelnd, an. Insgeheim hegte er die Hoffnung, für den unterbrochenen Schlaf damit entlohnt zu werden, den Fackelträger auf seinem Rückweg zu entdecken.</br>
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„Dann nehme ich die dritte“, stellte Yanna fest. „Gute Nacht“, setzte sie hinzu, drehte sich um und machte die Gepäckrolle von ihrem Rucksack los. Dann hievte sie sich auf den nächsten Felsen und bereitete ein unbequemes Lager - die Waffen griffbereit neben sich.</br>
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“Gut, fange an”,
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mehr hatte Helmbrecht nicht zu sagen, als er sich auf einem der Felsen niederließ und in die Dunkelheit starrte.
  
 
[[Kategorie:Hainritter]]
 
[[Kategorie:Hainritter]]
 
[[Kategorie:Geschichten]]
 
[[Kategorie:Geschichten]]

Version vom 21. Dezember 2023, 11:41 Uhr

Überblick

[Hinweis: Die Geschichte wird aktuell noch bespielt und an dieser Stelle Stück für Stück ergänzt. Aus Faulheit mag ich das nicht alles erst dann machen, wenn die Geschichte zu Ende ist.]

Inhalt

Adula von Schnakensee, die Baronin von Schnakensee, hat im Rahja des Jahres 1045 BF ein Hilfegesuch an junge, vertrauenswürdige Kämpen gerichtet. Um welches Problem es sich handelt, für dessen Lösung die Baronin gleich auf mehrere Bewaffnete zurückgreifen muss, erfahren die Angeworbenen allerdings erst vor Ort.

Teilnehmer

Die Ladung

"25. Ingerimm 1045 BF, Burg Schnakensee

Sehr geschätzer Streiter für die rechte Sache,

in meiner beschaulichen Baronie regt sich ein Übel, welches ich bereits überwunden glaubte.

Ich möchte aus diesem Grunde gerne auf wackere Kämpfen vertrauen, welche sich der Angelegenheit in meinem Namen annehmen. Selbstverständlich ist Euer Name einer der ersten, die mir in den Sinn kamen, ist Euer Leumund doch tadellos und Eure Tapferkeit weithin gerühmt.

Falls Ihr mir behilflich sein werdet, so soll es Euer Schaden nicht sein, Ihr werden finanziell ordentlich entgolten und auch möchte ich mit meinen Worten Euren Ruhm in Nordgratenfels weiterhin mehren.

Ich erwarte euch zum 14. Rahja des Jahres 1045 auf Burg Schnakensee. Falls ihr etwas früher anreisen solltet, stelle ich Euch selbstverständlich gerne eine Unterkunft.

Mit rondrianischer Hochachtung

Adula von Schnakensee, Baronin von Schnakensee und Edle von Sprötzquell"

Prolog

Die Ankunft

Die Baronie Schnakensee gehörte zu einer der ärmsten und dünn besiedelsten Gegenden in ganz Nordgratenfels. Am Rande eines sumpfigen Gebietes, welches durch Altarme der Ambla dominiert wurde (darunter auch der Namensgebende Schnakensee), lag der Hauptort der Baronie, Schnakensee. Dieses Dörfchen beherbergte nicht einmal einhundert Einwohner, und doch soll es einmal im Mond einen mehrtägigen Markt geben, zu dem die Ortschaft aus allen Nähten platzt. Zur Ambla selbst, die etwa eine Meile gen Firun träge dahin floss, führte ein Bohlenweg durch sumpfiges Gelände, bis hin zu einer, allerdings nur wenig genutzten, Anlegestelle.
Noch trostloser als diese lose Ansammlung von Hütten, die teilweise auf Stelzen errichtet wurden, war jedoch die Burg der Baronin. Gelegen auf einer kleinen Anhöhe oberhalb des Dorfes, bestand die Burg aus einem viereckigen Bergfried sowie zwei Fachwerkgebäuden und einem großen Stall, die allesamt von einer gut drei Schritt hohen Steinmauer umgeben waren.
Allerdings befanden sich die Außenmauern in einem bedauernswerten Zustand, waren hier und da in den morastigen Boden eingesunken, teilweise eingefallen und größtenteils ist auch der Wehrgang nicht mehr nutzbar gewesen. Nicht viel besser sahen die Wirtschaftsgebäude aus, so wurden die Stallungen von zusätzlich angebrachten, dicken Holzpfählen, die auf breiten Steinplatten im Boden ruhten, vor dem Einsturz bewahrt. Um den Bergfried hatte man jedoch Gerüste aufgebaut und man sah eine Handvoll fleißiger Arbeiter, die versuchten, das Gebäude zu erhalten und zu sanieren.

Unterhalb der Handwerker hielt gerade eine rotblonde Frau inne und blickte zum Bergfried hinauf, nachdem sie zuvor das offene Tor und die Wache auf dem Torturm passiert hatte. Unwillkürlich beschirmte sie die Augen gegen den strahlend blauen Himmel und gab ihrem bepackten Apfelschimmel mit einem Schnalzen ein Zeichen - eines, das ihr Ross offenbar aufgrund von Hämmern und Rufen überhörte: Als sich Mensch und Tier streiften, schreckte der Schimmel auf, doch zu spät. Schon bellte die abgesessene Reiterin in klarem Alberned: “Breac, du Schlafmütze!”

Gemächlich näherte sich Reiterin und Stute der Burg. Es war viele Götterläufe her, dass sie das letzte Mal diese Burg besucht hatte. Damals war sie gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Vater hierher gereist, um ihren älteren Bruder in die Knappschaft zu geben. Als Erbe hatte er unter dem Herrn Baron lernen sollen. Hier, wo es nichts als Bäume und morastigen Grund gab. Dennoch hatte er es geschafft und sein großes Ziel bereits jetzt mit großem Erfolg vorangetrieben, indem er den Namen des Hauses aus eben jenem Wald ins Reich heraustragen und sein Schild mit Ehre beladen hatte. Ein wenig neidete sie ihm, zugleich war sie aber auch froh, noch immer hier in der Heimat zu sein.
Da sie selbst derart in ihren Gedanken versunken gewesen war, hatte sie überhaupt nicht mitbekommen, wie ihre Stute ein Stück hinter dem Apfelschimmel der Unbekannten gehalten hatte. So war es ihr Fluchen, dass sie aus ihrer kleinen Welt herausriss, ohne dass sie deren Worte verstanden hatte. Nach einem kurzen Impuls der Reiterin, machte die Stute auch noch ein paar weitere Schritte und hielt gleich auf erneut an.
“Rondra zum Gruße, Hohe Dame”, begrüßte sie die Unbekannte, der sie aufgrund ihres Erscheinungsbildes den Ritterstand zustand.

Sehr viel eiliger schien es ein weiterer Reiter zu haben, der dem Amblalauf flussaufwärts folgend zunächst von Westen heranpreschte und nun auf seiner dunkelbraunen Svellttaler Stute zügig die Burganhöhe erklomm. Auch wenn er offenkundig vollkommen pünktlich war, wollte Firin von Landwacht keinesfalls als letzter oder gar Nachzügler hier eintreffen. Ohnehin wirkte der Ort alles andere als einladend auf ihn - hatte er sich, aus dem Süden des Herzogtums stammend, in seiner ersten Zeit als Ritter im Dienste der Baronin Wunnemine von Fadersberg zunächst bereits an das eher herbe Ambelmund gewöhnen müssen, erschien ihm jenes inzwischen im Vergleich zu seinem heutigen Ziel durchaus ansehnlich. Es brauchte eben immer nur den richtigen Maßstab, dann war es überall schön...
Firin verscheuchte diese Gedanken - er war schließlich nicht hier, um die Reize Schnakensees zu erkunden, sondern, um ihm Einvernehmen mit seiner Dienstherrin deren Nachbarin zu Hilfe zu eilen, ergo vertrat er heute nicht nur sich selbst, sondern auch den Hof seiner Herrin und sowieso immer und zu jeder Zeit den Orgilsbund. Außerdem war er jetzt ja da. Rasch brachte er sein Pferd zum Stehen und schwang sich - sehr bewusst - behänder, als er sich nach dem längeren Ritt fühlte, aus seinem Sattel. Von nahem betrachtet fiel das junge, verschwitzte Gesicht auf, das von einigen verstohlen unter der Kettenhaube hervorlugenden Strähnen seinen dunkelblonden Haares gesäumt und durch einen noch recht dünnen Vollbart eher weichgezeichnet als markant geprägt wurde.

"Rondra zum Gruße, Ihr hohen Damen!" stimmte der Landwachter in den Gruß der vor ihm angekommenen Ritterin ein. "Seid Ihr auch dem Ruf ihrer Hochgeboren gefolgt?".
“Die Sturmherrin auch mit Euch beiden, Wohlgeboren?” Ein fragender Unterton war hinsichtlich der Anrede herauszuhören.
“Werte Dame reicht bei mir aus - mein Name ist Yanna Faenafir”, warf die Albernierin ein. Als sie sich zu den beiden Berittenen umwandte, kamen ihre langen Schläfenzöpfe auf dem geflochtenen Lederkoller und blauem Waffenrock in Bewegung. An ihrem Wehrgurt glänzte der Praiosschein auf der Drahtumwicklung am Heft eines Langschwertes, dessen Klingenform für albernisches Waffenvolk untypisch schlank schien.
Die Richtwalderin nahm derweil ihre Ketten- und die darunter liegende Lederhaube ab und offenbarte damit ihr schwarzes mittellanges Haar. Selbst als sie noch hoch zu Ross saß, war bereits klar, dass sie nicht die Größte war. Ein Umstand, der sich bestätigte, als sie sich durchaus elegant aus dem Sattel schwang. Leise klirrte dabei ihr langes Kettenhemd, welches zumindest an den Armen gut zu sehen war. Der größte Teil jedoch verschwand unter ihrem schwarzen Wappenrock, auf dem Stolz, geteilt in Schwarz und Silber, oben goldene gekreuzte Schwerter und unten vier grüne Eicheln zeigte.
“Nun dann Rondra zum Gruße, werte Dame Yanna”, nahm sie die Worte der Albernierin freundlich auf. “Aurea Lechmin von Richtwald, sehr erfreut Euch kennen zu lernen.” Daraufhin wandte sie sich dem Landwachter zu: “Und auch Euch Rondra zum Gruße, eiliger und dienstbarer Herr”, wobei eine kleine Portion Stichelei unterschwellig mitschwang.
Die Albernierin hatte sich bei der Vorstellung der Richtwalderin leicht verneigt - eine Geste, in der ihr der gerade eingetroffene junge Nordmärker-Rittersmann in nichts nachstand.
"Firin von Landwacht, ebenfalls sehr erfreut!", stellte er sich dabei vor, "bei mir tut 'Hoher Herr' der Etikette vollauf genüge, ich bin Ritter im Dienste ihrer Hochgeboren zu Ambelmund." Mit letzterem offenbarte er nur, was für jeden mit der Gegend vertrauten bereits seinem blauen Wappenrock zu entnehmen war, auf dem das silberne Schild mit der roten Spindel und dem dreigipfligen blauen Berg prangte. "Und meine Eile war wohl mehr als angemessen, sollte ein Ritter eine Dame - ganz gleich ob selbst Ritterin oder weit weniger wehrhafte Hofdame - doch niemals warten lassen, zumal dann," zwinkerte er Aurea von Richtwald zu, "wenn sie selbst ihm offensichtlich ganz edelmütig jede Gelegenheit einräumt, eine solche Scharte gar nicht erst auswetzen zu müssen."
“Da liegt wohl eine Vorgeschichte in der Luft”, stellte Yanna grinsend das allzu Offensichtliche fest und ließ die Feststellung einen langen Moment zwischen ihnen lasten.
"Aber keine lange und schon gar keine schmerzliche, dies sei Euch versichert”, betonte Firin, ebenfalls grinsend. “Eher Dankbarkeit meinerseits, dass recht wenig frisch aufgewirbelter Staub in der Luft hing, der sich zwischen die Zähne hätte setzen können, als ich das Burgtor passierte, gepaart mit Nordgratenfelser Herzlichkeit, die wir beide einzuordnen und zu schätzen wissen."
“Nordgratenfelser Herzlichkeit?”, echote die Albernierin und runzelte die Stirn. Dann erhellte sich ihr Gesicht wieder und sie nickte verständig: “Versteht Ihr darunter die gleiche Art von scheinbar überlegenem Spott, der auch Worte wie Albermund hervorgebracht hat?”
"Ihr spielt auf Albernisch Ambelmund, die kleine Fährstation am anderen Tommelufer an?" fragte Firin mit unschuldigem Gesichtsausdruck nach. "Ja, der Volksmund hat durchaus Sinn für Humor und noch mehr für treffliche Verkürzungen. Aber ich glaube, das ist nicht nur in Nordgratenfels und den Nordmarken so, sondern gewiss sogar in Albernia."
Von welcher Herzlichkeit der Landwachter redete, war Aurea unklar, waren die Menschen in Schnakensee doch meist eher skeptisch und bedacht. Es mochte Travias Geboten entsprechen, niemanden das Obdach zu verwehren, allerdings gebot es auch der gesunde, von Hesinde gegebene, Menschenverstand, dass man seinen Gast, bevor man ihn in die gute Stube ließ, gründlich in Augenschein nahm. Nach außen hin quittierte sie die Worte Firins jedoch nur mit einer leicht gehobenen Augenbraue, weshalb die Freie erneut das Wort ergriff.
“Ja, da habt Ihr recht, Hoher Herr. Mancher Spitzname für den eigenen Nachbarn mag lieber in Vergessenheit geraten, da übertriebener Hohn und Spott doch nur die Menschen dauerhaft entzweit.” Obwohl ihre Worte durchaus versöhnlich geklungen hatten, blickte Yanna den Dienstritter einen Moment ernst und abwartend an.
"Da habt Ihr zweifelsohne Recht, werte Dame." räumte Firin ein. Er war Dienstritter seiner Herrin und als solches auch dem Schutze ihrer Untertanen verpflichtet, damit aber noch lange nicht gezwungen, jedwede Lästerei des einfachen Volkes zu rechtfertigen oder zu seiner Herzensangelegenheit zu machen. "Ob Albermund ein solcher ist, müssten wir die Albermunder am besten selbst fragen. Aber ich habe in der erst recht kurzen Zeit, die ich in Ambelmund weile, nicht den Eindruck gewonnen, über die Tommel hinweg herrschten bereits nostragaster Verhältnisse oder auch nur schlechtere Beziehungen als anderenorts an der gemeinsamem Provinzgrenze... solange der Fährbetrieb ein gutes Auskommen abwirft, sieht man drüben über manche diesseitige Lästerei geflissentlich hinweg."
Wieder huschte ein Lächeln über das Gesicht der Freien, als sie Firin mit ihren blauen Augen direkt ansah: “Ein nordmärkischer Ritter, der albernischen Langmut preist…”, stellte sie fest. “Soviel Weisheit werde ich nicht vergessen, Hoher Herr”, und verbeugte sich angedeutet gegenüber Firin.
Firins Brauen hoben sich, dann nickte er Yanna gemessen zu. "Nordmärker Ritter wissen durchaus zu loben, was des Lobes wert ist." Dass es somit nicht an ihnen lag, dass sie es in albernische Richtung so selten taten, diesen Gedanken behielt er in diesem Moment für sich.
“Hört, hört…”, gab sie zurück, fuhr jedoch sogleich fort, “ich schulde Euch übrigens noch eine Antwort: Ja, ich bin dem Ruf Ihrer Hochgeboren hierher gefolgt. Eine Aufgabe von wohl einigem Gewicht muss das sein”, vermutete die Albernierin und ließ ihren Blick über die beiden Ritter und ihre Tiere gleiten - richtige Streitrösser, mit denen sich ihr etwas kleinerer Apfelschimmel kaum messen konnte. Dazu war Breac bepackt mit Satteltaschen und Gepäckrolle, außerdem hing am Sattelknauf ein Wasserschlauch und eine rote Tasche aus grobem Leinen. Letztere nahm die junge Albernierin nun über die Schulter und warf einen schnellen Blick in Richtung der Nebengebäude, wo sie bereits vorhin weitere Bewegung ausgemacht hatte.
"Das will ich meinen! Ich brenne darauf, zu erfahren, um was es genau geht. Auch deshalb hatte ich es so eilig", erklärte Firin mit einem Seitenblick zu Aurea. "Wisst Ihr, wie zeitlich dringlich die Angelegenheit ist?" Er glaubte zwar, dass die beiden Ritterinnen auch nicht mehr wussten als er, aber vielleicht irrte er sich diesbezüglich ja. "Es wird ja gewiss nicht bereits heute schon weitergehen, nicht wahr, so dass unsere Rösser doch sicher abgesattelt werden können?"
“Welches Anliegen Ihrer Hochgeboren auf dem Herzen liegt, weiß ich nicht. Ich nehme allerdings an, dass Hochgeboren uns heute Nacht jedoch erstmal willkommen heißen und uns umfassend informieren wird. Aufbrechen, wohin auch immer dies der Fall sein wird, werden wir vermutlich erst morgen.” Ihrer aller Wege waren unterschiedlich lang gewesen. Aurea war zuletzt oft auf der Vainburg und half den Rittern ihrer Schwägerin dabei, die Lande zu sichern, als sie die Bitte der jungen Baronin ereilt hatte. Auf dem direkten Weg wäre sie über Avesstein und Weidenthal hierher gekommen, allerdings war sie noch über den Richtwald geritten und hatte ihre Base, die Vögtin ihres Bruders, über das Gesuchen Ihrer Hochgeboren informiert. “Doch eh wir länger herumraten, lasst uns unsere Rösser unterbringen und Hochgeboren selbst fragen”, beschied sie und machte sich auf den Weg.
“So wollen wir es halten”, schloss sich Firin ohne weitere Umschweife an. Ein Gespräch mit der Baronin würde gewiss ihrer aller Wissensdurst stillen… und hoffentlich nicht nur diesen…

Als sich die Gäste umblickten, bemerkten sie, dass sich der offene Eingang der Stallungen direkt neben ihnen befand. Von drinnen drangen nur wenige Geräusche nach draußen, es war jedoch nun deutlich eine menschliche Stimme zu vernehmen, die laut sprach.
“Die Zwölfe zum Gruße. Ist da wer?”, rief die Nordgratenfelserin vor der Stallung stehend. “Wir wurden von Ihrer Hochgeboren eingeladen und würden gern unsere Rösser unterstellen und versorgen …”, ihr letzter Satz endete unerwartet, fast so, als hätte sie noch ein lassen anfügen wollen.
Das Gespräch schien abzuebben, bis schließlich nur noch Gemurmel zu hören gewesen war, welches jedoch näher kam. Da ausreichend Tageslicht durch das breite Scheunentor drang, konnte man gut die ältere, kleine und dickliche Frau sehen, die um eine Ecke bog und sich den Neuankömmlingen mit fragendem Blick und watschelndem Gang näherte. Doch auch als sie beinahe schon im Tor stand, war noch immer niemand zu sehen, mit dem sie sich weiterhin unterhielt. Dennoch blickte sie sich immer wieder um, als folge ihr jemand.
Als die Frau durch die Toröffnung nach draußen trat und schließlich vor den Fremden stand, kniff sie ihre Augen ob des hellen Lichts der Praiosscheibe zusammen und musterte die Personen und mehr noch ihre Reittiere. Auch das Gespräch der Frau Gespräch schien verstummt zu sein. Sie machte einen etwas tumben Eindruck, so stand ihr Mund etwas offen und dahinter waren schiefe Zähne zu erkennen, mit welchen sie ab und an auf ihrer Unterlippe kaute.
Bevor jemand etwas sagen konnte, hörte man von links eine kräftige Stimme: “Und jetzt schleich dich, du Faulenzer!” Direkt an der Ecke des Gebäudes versetzte ein älterer, aber stämmiger Mann mit kurzen, rotbraunen Haaren einer jungen Frau einen Tritt in den Allerwertesten und zeigte dabei auf die Reisenden und ihre Reittiere. Als er sah, dass die Blicke auf ihn gerichtet waren, nickte er militärisch knapp und wandte sich wieder um, um hinter der Scheune zu verschwinden. Das gescholtene Mädchen, wohl eine Magd, nahm die Beine in die Hand und rannte eilig die gut zwanzig Schritt zu der Gruppe von Neuankömmlingen.
Dort angekommen machte sie eifrig einen Knicks und blickte dann entschuldigend zu der älteren Frau, die noch immer unschlüssig vor der Gruppe stand und auf die Pferde gaffte. “Ich kümmere mich um die Pferde der hohen Herrschaften!”, sprach das Mädchen mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen und machte sich daran, die Zügel von Dascha aus Firins Hand zu nehmen.
“Habt Dank! Dascha ist ein gutmütiges Tier”, warf er dem Mädchen hinterher. “Doch sorgt ja dafür, dass ihr kein Huhn plötzlich über den Weg läuft. Dann gerät sie leicht außer Rand und Band!” Der Ritter hatte bis heute nicht verstanden, warum seine Svellttaler Stute seit einigen Monden so panische Angst bekam, wenn eines dieser eierlegendes Federviecher unmittelbar vor ihr auftauchte. Er musste ihr diesen Wahnsinn jedenfalls rasch wieder austreiben…
Die Richtwalderin wartete noch einige Augenblicke und musterte die drei Angehörigen des Hofes. "Der große hier mag Möhren, Männer mag er allerdings nur ungern in seiner Nähe haben - zumindest wenn ich nicht dabei bin. Und wenn du ihn etwas abreibst, bleib ja neben ihm. Wenn er dich nicht sehen kann, keilt er sonst gern mal aus." Damit kraulte sie dem Pferd nochmals den Hals und entließ es dann Richtung Stallung.
Noch auf den ersten Schritten von Aureas Stute ergriff jedoch Yanna forsch deren Zügel und führte das Tier auf das Mädchen zu. “Ich kann für mein eigenes Ross sorgen, hab’ Dank. Außerdem gehöre ich nicht zu den hohen Herrschaften”, stellte Yanna richtig und bot dem Mädchen die Zügel von Aureas Ross.
Das Mädchen hatte bereits die Zügel von Dascha in der Hand und blickte sich daher überrascht um, als Yanna mit zwei Pferden auf sie zukam. Allerdings griff die ältere, untersetzte Frau beherzt nach den Zügeln von Aureas Reittier, als Yanna dieses an ihr vorbei führte. Sie murmelte dabei einige unverständliche Worte und blickte dem Tier mit zur Seite geneigtem Kopf in das Gesicht. Von der Seite betrachtet, standen ihre Haare noch wirrer von ihrem Kopf ab. Dann rieb sie ihre Wange an der des Pferdes, was dieses mit einem behutsamen Schnauben quittierte, ehe es sich von der älteren Frau in den Stall führen ließ.
“Ich bin übrigens Yanna… und wie heißt du?”, fragte Yanna und schickte sich an, Breac durch das offene Tor in den Stall zu führen.
Dort war die junge Magd mit Yanna an ihrer Seite bereits eingetreten und stellte sich auf dem Weg artig vor: “Ich bin Gessa, hohe Dame, die Stallmagd!” Ob sie Yanna wenige Augenblicke zuvor nicht richtig zugehört hatte oder das Gesagte nicht zuordnen konnte, blieb unausgesprochen. Mit dem Daumen ihrer freien Hand deutete sie dann über die Schulter, wo Aureas Pferd von der älteren Frau mit watschelndem Gang ebenfalls in den Stall geführt wurde. Gessa beugte sich dabei leicht zu Yanna und flüsterte: “Das ist Herrin Brinburga, die Stallmeisterin.”
Als sich die Augen etwas an das, im Vergleich zu dem Hof, Dunkel hier im Stall gewöhnt hatten, konnte man erkennen, dass von den insgesamt einem Dutzend Stallboxen nur sechs belegt gewesen waren. Gessa führte Dascha vor eine der leeren Boxen und wies mit dem Zeigefinger auf die Box daneben: “Dort, hohe Dame!” Dann band sie die Zügel ihres Pferdes dort an einem Pfahl fest, ehe sie sich daran machte, das Tier abzusatteln.
Yanna hatte auf den Hinweis des Mädchens hin verständig genickt, war aber mit Breac noch in der Stallgasse geblieben, wo sie den Apfelschimmel festmachte, um ihr Gepäck bereits hier abzunehmen und nahe am Tor zu lagern. “Das heißt ‘Werte Dame’, Gessa. Ich bin eine Freie - so wie du selbst auch, nehme ich an?” Die Angesprochene schüttelte den Kopf.
“Nee, gehöre der Herrin. Bin vom Linnauer Hof.” Ihr Blick verriet so etwas wie Enttäuschung. Dann zeigte sie mit dem Finger über ihre Schulter auf die Stallmeisterin und setzte flüsternd hinzu: “Und auf die da muss ich hören.” Die junge Magd schien überraschend schnell Vertrauen zu Yanna gefasst zu haben, denn sie rollte bei dem letzten Satz mit den Augen.
Die Stallmeisterin selbst hatte noch gar nicht damit begonnen, Aureas Pferd abzusatteln, sondern strich ihm noch immer über die Flanke. Yanna konnte sie kichern hören, als sie dem Pferd erneut etwas ins Ohr flüsterte, was dieses jedoch gleichmütig und ohne Regung hinnahm.
“Mach’ dir dein Leben nicht schwerer als notwendig, Gessa. Wenn du als Hintersassin gehorchen musst, dann mach’ deine Arbeit so gut du kannst. Und wenn du mit deinen Bemühungen gesehen wirst, dann noch etwas besser, damit du vielleicht eines Tages frei sein kannst”, meinte die Albernierin nicht allzu laut, aber bedeutungsschwer. Da sie ihr Ross auf dem letzten Teilstück des Ritts geschont hatte, musste Yanna es nun nicht noch bewegen und abwarten, sondern konnte Breac gleich einstellen. Langsam folgte sie in Gessas Richtung in den gewiesenen Verschlag, während das Mädchen, das Yannas Worte nur mit einem Schulterzucken kommentierte, damit begann, das andere Pferd abzusatteln. Sie ließ sich dabei Zeit und machte nicht den Eindruck, an einem weiteren Gespräch interessiert zu sein, denn sie bedachte Yanna mit keinem weiteren Blick mehr.
Von der Stallmeisterin hingegen war immer wieder Gemurmel und infantiles Kichern zu hören. Immerhin schien auch sie sich daran gemacht zu haben, das Pferd Aureas abzusatteln und zu versorgen, kündigte doch ein zufriedenes Wiehern des Tieres davon, dass man sich um es kümmerte.
Yanna nahm ihrem Ross den Sattel ab und legte ihn über die Seitenwand des Verschlags. Mit der Decke rieb sie den Rücken ihres Pferdes, Flanken, Hals und Beine ab, ehe sie wieder zu Gessa hinüber blickte. Da das Mädchen noch still arbeitete, schloss die Albernierin Breacs Verschlag und trat an den mit Aureas Stute heran. “Ich werde das Gepäck von Wohlgeboren von Richtwald gleich mit nach vorne nehmen, Gessa. Dann brauchst du das nicht zu tun…” Fragend blickte Yanna die Jüngere an und hielt nach dem Gepäck der Ritterin Ausschau.
Die junge Magd blickte kurz auf und zeigte auf einen Holzbock, über welchen sie den Sattel mitsamt der Taschen gehängt hatte: “Dort, Herrin!”, dann begann sie, eine einfache Melodie zu summen und das Pferd abzubürsten.
“Dann vielleicht bis später, Gessa”, grüßte die Reisige und nahm die Taschen Aureas auf. Dabei fiel sie recht anständig in die Tonfolge der Magd ein und ging zu ihrem Gepäck hinüber. Beladen wie sie war, nahm sie nur eine ihrer Satteltaschen, aber den schweren Gepäcksack auf die Schulter. Nach einem letzten Blick in die Runde verließ sie den Stall. Gessa winkte Yanna kurz freundlich zu und widmete sich dann wieder dem Pferd.

Die Richtwalderin überlegte, als sie Yanna mitsamt den beiden Burgbewohnern und ihren Pferden in der Stallung verschwinden sah. Dann ließ sie ihren Blick prüfend über die Burg schweifen. Damals, also als sie hier waren, um ihren Bruder in die Knappschaft zu geben und damit noch vor ihrer eigenen Knappschaft, damals hatte das Heim der Barone schon keinen guten Eindruck gemacht. Inzwischen konnte sie sehen, dass Adula etwas unternommen hatte. Geld, das ihr Hochgeborener Herr Vater gern in seine zahlreichen Soldaten gesteckt hatte, nutzte sie nun, um ihre Wehranlagen und zugleich ihr Heim auf Vordermann zu bringen. Seitdem sie auf der Feenburg ihres Bruders am Ochsenwasser gewesen war oder auch schon, seitdem sie die Vairnburg besser kannte, wusste sie, wie ärmlich ihre Umstände hier im nördlichen Gratenfels eigentlich waren. Gastlich und Wohnlich waren sie oft glücklicherweise dennoch. “Ich würde vorschlagen, noch kurz auf die Werte Dame warten und dann gemeinsam hineinzugehen.”, schlug sie letztlich dem Landwachter vor.
"Einverstanden! Wenigstens solange die ‘Werte Dame’ nicht darauf besteht, die ganze Tagespflege ihres Pferdes selbst und sofort zu erledigen..." Firin nutzte die Wartezeit, um sich in aller Ruhe näher umzusehen. Was er von hier erblickte, verstärkte den ersten, recht trostlosen Eindruck, den er bereits vom Dorf mitgenommen hatte. Was jedoch hervorstach, war ein kleiner Firunschrein, welcher aus dunklem Tuffstein bestand und eine kleine Grotte darstellte. Links und rechts wuchs jeweils eine kleine Fichte empor und im Innern des Schreins konnte man zahlreiche Opfergaben erkennen: Geweihe, Hauer, Schenkelknochen, aber auch die ein oder andere Waffe.
Auch die Richtwalderin taxierte offenkundig die Örtlichkeit, doch auf andere Art wie er selbst. "Ihr wirkt, als wäret Ihr nicht zum ersten Mal hier? Aber vielleicht ist meine Wahrnehmung auch nur von Eurem Namen beeinflusst…"
Aurea wandte sich dem Dienstritter aus Ambelmund zu, strich sich eine Strähne hinter das Ohr und antwortete erst dann. “Der Schein trügt Euch nicht, Hoher Herr. Seine Hochgeborene Exzellenz, mein älterer Bruder, war einst Knappe in diesen Mauern und ich erinnere mich, wie ich ihn damals, gemeinsam mit unserem Vater, hierher begleitet habe.” Bedächtig musterte sie die alten Mauern der sanierungsbedürftigen Veste. “Vieles hat sich seit damals verändert und zugleich ist einiges noch wie damals…” ‘…oder schlimmer!’, führte sie den Satz, zumindest in Gedanken den Satz zuende.
"Dann ist Euer Haus gewiss eng mit dem Baronshaus verbunden!?" Aus Firins Stimmlage wurde nicht gänzlich deutlich, ob seine Worte als Frage oder Aussage zu verstehen waren. "Ihr stammt direkt hier aus der Baronie, richtig?" Ganz vertraut war er noch nicht mit den niederadligen Häusern Nordgratenfels, vor allem außerhalb der Baronie seiner Herrin, aber er glaubte, hier recht zu schätzen.
“In der Tat stammt meine Familie aus dieser Baronie, auch wenn die Grenzen des Junkertums wohl älter sind, als die der Baronie. Was die Verbundenheit anbelangt, könnte man von einer gewissen Verbundenheit sprechen.” Versuchte sie, die beiden zugleich gestellten Fragen zu beantworten. “Mein Bruder ist dem Haus sehr verbunden, da der Herr Baron ihn wie seinen Sohn behandelt hat. Auch Vater war dem Baron nicht abgetan, allerdings gerieten die Beiden, Boron sei ihrer Seelen gnädig, wegen des Jagderlasses Seiner Hochgeboren häufiger aneinander.” Der Streit zwischen den verstorbenen Amtsinhabern war kein Geheimnis, tatsächlich hatte ihre unterschiedliche Rechtsauslegung sogar in Gratenfels verhandelt worden. Dadurch dass das Ableben des Barons und die Anerkennung von Firunhards Einwänden durch Adula jedoch schneller als die Mühlen der Bürokratie gewesen waren, war es allerdings nie zu einem Urteil gekommen. “Doch sagt, was verschlägt Euch nach Ambelmund? Das Geschlecht derer von Landwacht, ist mir bisher in Nordgratenfels nicht untergekommen.”
"Ihr seid wirklich gut im Bilde”, merkte Firin mit Respekt in der Stimme an, "in der Tat stamme ich wie mein ganzes Geschlecht aus dem Isenhag - Gut Landwacht, von dem wir den Namen tragen, liegt im Südwesten der Vogtei Brüllenbösen, an den westlichen Ausläufern der Ingrakuppen. Und gewiss werde ich eines Tages auch dorthin zurückkehren. Doch vorher ist mir daran gelegen, etwa von der Welt drumherum zu sehen. Das hat mich nach meiner Knappenzeit und der Rückkehr vom Haffaxfeldzug bereits mit dem Orgilsbund, dem ich angehöre, bis in die Rabenmark geführt. Von dort zurück ergab sich die Möglichkeit, für einige Zeit in den Dienst ihrer Hochgeboren von Ambelmund zu treten - wir kannten uns bereits vom Zug gen Mendena, und sie suchte einen Vertreter für einen ihrer Stammritter, der nach damaligem Stand für längere Zeit nicht verfügbar sein sollte. Das war im letzten Jahr..." Dass dieser Ritter inzwischen nie mehr zurückkommen würde, rollte er zunächst nicht aus. Wahrscheinlich hatte sich das ohnehin längst herumgesprochen. Stattdessen nutzte er die Gelegenheit, mehr über die politischen Zusammenhänge hier in der Gegend zu erfahren: "Insofern bin ich aber noch nicht mit allen Feinheiten der jüngeren Nordgratenfelser Vergangenheit vertraut - um was geht es denn in diesem Jagderlass genau? Wenn wir hier unterwegs sind, ist es gewiss gut, mit dem hiesigen Recht bekannt zu sein."
‘In der Welt rumkommen wollen und dann hier im Wald von Nordgratenfels landen, scheint nicht gut gelaufen zu sein.’, dachte sich Aurea. ‘Wer weiß, vielleicht ist dieses Gut in den Ingrakuppen ja noch abgelegener…’ “Ihr wollt wissen, was es mit dem Jagderlass auf sich hat? Nun Seine Hochgeboren hatte es dem niederen Volk erlaubt auf Nieder- und Hochwild Jagd zu machen. Seine Wohlgeboren, mein Vater, hingegen sah darin eine Verletzung der Schutzpflichten des Adels, schließlich wurden wiederholt Bauern von Keilern verletzt und so mancher davon tödlich.”
'So so, die zur Schau gestellte Sorge um die leibliche Unversehrtheit der Gemeinen mutete nahezu rührend an. Dabei gab es doch weitaus handfestere Gründe...' Firin nickte dennoch beipflichtend zur Position des Vaters seiner Gesprächspartnerin: "Wenn ein jeder dem Wild nachstellen darf, sind die Wälder bald leer gejagt - es bedarf einer verantwortungsvoll und umsichtig geführten Hand, genau so viele Tiere zu entnehmen, dass einerseits die Hirsche den Baumbestand und die Wildsauen die Äcker und Weiden nicht verwüsten und andererseits genügend Jungwild heranwächst, auch dessen Zahl zu erhalten. So viel Weitsicht fehlt dem Bauern und Handwerker einfach, die überdies besser bei dem ihnen von den Göttern zugewiesenen Platz in der Welt bleiben, auf dass das Wildbret die Ritter und Kämpen stärke, die das Land zuallererst zu schützen und zu verteidigen haben, und das Korn der Bauern die Speicher fülle und niemand im Volke Hunger leide."
Sichtlich brüskiert blickte sie Firin an. “Wo Ihr herkommt, mag man das so halten, doch halten wir auf dem Richtwald dies anders! Selbst wenn jeder zweite unser Vasallen jagen würde, würde es hier, inmitten dieser Wälder, wohl kaum ins Gewicht fallen. Doch jeder Bauer, dessen Bein oder Arm bei der Jagd verkrüppelt wird, wird im nächsten Winter zu einer unberechenbaren Last für die gesamte Gemeinschaft. Die Junker haben Jäger in ihren Diensten, deren Beute uns alle, ebenso wie die Erträge der Bauern, über den Winter bringen.”
"Dass die Tierzahlen nicht die unmittelbar begrenzende Größe sind, mag in den Ländereien meiner Herrin zunächst genauso sein wie bei Euch auf dem Richtwald, vor allem, wenn man nur die paar Leute nimmt, die hier in den Wäldern selbst leben. Aber wenn sich auch die Bauern und Hirten aus der Umgebung bei einem allzu freigiebigen Jagdrecht dorthin zur Jagd aufmachten, würde es die Wildbestände selbst hier in Nordgratenfels rasch ausdünnen." widersprach Firin. "Selbst dort, wo ich herkomme, wo es nur Berge und Wälder gibt, ist das so. Und was die Verletzungsgefahr angeht, habt Ihr zweifelsohne Recht, vor allem bei der Saujagd. Aber die Reh- und die Hirschjagd stellen sich weit weniger riskant dar, jedenfalls nicht gefährlicher, als das eigene Vieh in die Wälder zu treiben, Holz einzuschlagen und zu flößen oder der Köhlerei nachzugehen."
Ganz offensichtlich weilte dieser Firin noch nicht lange in Nordgratenfels oder hatte seine Natur noch nicht wirklich verstanden. Die Jagd auf ein Reh mochte ungefährlich sein, allerdings war es dabei durchaus möglich, dass ein Jäger an andere Jäger geraten konnte. Wölfe und Bären, eventuell auch ein kleinerer Drache, die sich ihre Nahrung jagten oder aber zwielichtiges Gesindel, Rot- und Schwarzpelze. Derartige Zusammentreffen wurden mit zunehmender Entfernung zur Siedlung oder zum heimischen Hof schnell wahrscheinlicher und es ging eben niemand im eigenen Garten jagen. Doch verspürte sie kein weiteres Interesse, diese müßige Unterhaltung fortzusetzen, zumal der Streit inzwischen eh beigelegt war. Stattdessen blickte sie zum Stall: “So langsam sollten sie aber mal fertig sein.”

Bevor der Ambelmunder Dienstritter jedoch antworten konnte, trat die Freie schwer bepackt aus dem Stall wieder nach draußen. Zu ihrem Erstaunen bemerkte Aurea, dass die Albernierin ihr Gepäck trug und sorglos pfeifend näher kam.
"Ihre Hochgeboren erwartet geladene, nicht beladene Gäste.", witzelte Firin, der noch einen schmunzelnden Seitenblick zur voll bepackten Yanna geworfen hatte und nun zum Bergfried schaute. Sein Gepäck auf das eigene Zimmer tragen war eines. Vollbepackt vor eine Hochadlige in deren Burg treten etwas anderes. Aber das musste die Albernierin wissen und für sich entscheiden. Es wurde jedenfalls Zeit, dass sie endlich der Baronin ihre Aufwartung machten.
Die pragmatische Herangehensweise der Albernierin störte die Schnakenseeerin nicht, im Gegenteil es zeugte in ihren Augen von Tatendrang und Bereitschaft mit anzupacken. Beides Eigenschaften, der es in der Region durchaus bedurfte. Den Kommentar Firins überging sie derweil geflissentlich und wandte sich stattdessen dem weiteren Geschehen auf dem Hof zu.

Hinter der Scheune stand der ältere Mann, der vorhin die Stallmagd gescheucht hatte, mit einem halben Dutzend Frauen und Männer ohne einheitliche Kleidung und sah diesen dabei zu, wie sie mit einem langen Bogen auf Strohbündel schossen. Hier und da kommentierte er einen besonders guten Treffer mit einem zustimmenden Brummen. Abermals nickte er den Vorbeiziehenden militärisch knapp zu. Er hatte die muskulösen Arme verschränkt und man sah an seinen Bewegungen, dass er im Kampf nicht ungeübt sein musste.
Yannas Rondragruß wurde gleichfalls von einem Nicken begleitet. Vermutlich würde später noch Zeit sein, sich vorzustellen, überlegte die Albernierin - immerhin hatte der Burgoffizier oder Weibel gegenwärtig auch ausreichend zu tun.
Firins Blick blieb nicht lange an der mäßig interessanten Kämpferausbildung hängen - er kannte das zu genüge und war insgeheim froh, sich in Ambelmund nicht selbst hauptamtlich mit den Übungen der Büttel und der Ausbildung von Rekruten oder gar blutigen Anfängern herumschlagen zu müssen - das oblag dem Burgoffizier, einem einheimischen Krieger, nur wenig älter als er selbst, und auf seine Weise genauso verbissen wie die Damen hier... er erwiderte nur knapp, aber durchaus freundlich den Gruß des Offiziers, ehe er sich weiter auf den Weg zum Bergfried machte.

Der Auftrag (Teil 1)

Der Eingang zum Bergfried fand sich in ungefähr drei Schritt Höhe. Zu der schweren, eisenbeschlagenen Holztür führte eine breite hölzerne Treppe an der Außenmauer des Turmes entlang, die in einem Podest direkt vor dem Tor endete. Die Treppe war immerhin breit genug, dass auch drei Mann problemlos nebeneinander empor oder hinab steigen konnten. Sie erklommen die flachen Stufen und traten oben durch das offene, zweiflügelige Holztor, hinter dem sich eine große, rechteckige Halle öffnete. Direkt hinter dem Tor nahm sie ein alter, bereits gebückt stehender Mann mit leicht brüchiger Stimme in Empfang:
"Willkommen, die hohen Herrschaften. Willkommen auf Burg Schnakensee, jaja. Ihre Hochgeboren erwartet Euch schon!”
Dann wandte er sich um, schlurfte in das Innere und bedeutete den Rittersleuten mit einem Wink, ihm zu folgen:
“Kommt, kommt!”

"Na, dann wollen wir mal! Nach den Damen!" Ganz ritterlich ließ Firin den beiden Frauen den Vortritt. Gefahr war zunächst ja wohl nicht zu erwarten, es sei denn, es löste sich ein Stein aus einer baufälligen Wand oder Decke - der würde aber nicht zwingend den erstbesten erschlagen, der eintrat, sondern im Zweifel den, den die Götter oder andere Entitäten in diesem verflixten Moment zu sich rufen wollten.
Yanna legte ihr eigenes und auch Aureas Gepäck in der Halle ab, während noch die Halle musterte und sich mit einem leisten: “Vielen Dank, Yanna”, bei der Freien bedankte. Erhobenen Hauptes und mit stolzer, aufrechter Haltung folgte sie dem Alten. Wobei sie ganz selbstverständlich mit ihrem gesamten Wesen die Rolle der Ritterin erfüllte. Nach einem kurzen Blick zum Landwachter, der immer noch an seiner Geste festhielt, folgte die Albernierin dann der Ritterin nach.
“Sehr freundlich…”, kommentierte sie halblaut in Richtung Firin. So recht schlau wurde sie nicht aus dem Ritter, den sie für streitbar hielt, zumindest was Aurea anbelangte. Immerhin hatte sie die Stimmen der beiden noch im Stall vernommen, als sie sich das Gepäck aufgeladen hatte, und keinen allzu innigen Eindruck von der Unterhaltung draußen gewonnen. Firin lächelte und versuchte, sich dabei nicht anmerken zu lassen, dass auch er die Albernierin und ihre Reaktion auf seine an und für sich selbstverständliche Geste einzuordnen versuchte: ‘War diese nun eine gleichsam reflexartige Handlung, war sie aufrichtig oder umgekehrt gar ironisch gemeint? Was auch immer die hiesige Baronin mit ihnen im Sinne hatte, sie würden, sollten sie zusammen agieren müssen - auf jeden Fall eine illustre Gruppe abgeben - er inmitten einer auf ihre Weise verkniffenen Nordgratenfelserin und einer humorlosen Albernierin...‘
Sein Blick schweifte vom hölzernen Treppenabsatz noch einmal kurz über die Umgebung, ... ‘und das, während irgendwo da draußen die verlorene Spore des heiligen Orgils noch immer darauf harrte, wiedergefunden zu werden…’ Mühsam unterdrückte der Landwachter ein Seufzen. Er hatte sich nunmal seiner Herrin zum Dienst verpflichtet - inzwischen war ihr ohnehin großzügiger Dispens eben einfach abgelaufen, ohne dass er und seine Brüdern und Schwestern vom Orgilsbund ihre Queste zum erfolgreichen Abschluss hatten bringen können. Und die Ladung der Baronin Adula war auch nichts, was man so einfach abschlug. Noch einmal klopfte der Ritter seine Stiefel ab, dann trat als letzter auch er ein.

Der ältere Mann führte sie in die große, rechteckige Halle, die durch schießschartenartige Fenster zur Linken nur spärlich erhellt wurde. Davor hatte man eine große, hölzerne Tafel geschoben, vor der sich auch einige Stühle stapelten. Zur Rechten befand sich ein großer, gemauerter Kamin, in welchem zu dieser Jahreszeit allerdings keine Scheite glommen. An der Wand rings um den Kamin befanden sich jedoch einige Jagdtrophäen, darunter auch bemerkenswerte Hirsch- und Elchgeweihe.
Am Kopfende des Saals stand ein wuchtiger Holzsessel, vor dem eine großgewachsene, schlanke Frau mit breiten Schultern stand. Sie war in ein eng anliegendes, dunkelgrünes Kleid gewandet, dessen weite Ärmel nur bis zu den Ellenbogen reichten. Eine gute Wahl bei diesen hohen Temperaturen! Auf dem hochwertig wirkenden Stoff waren an den Bünden sowie dem knappen Kragen und dem Ausschnitt dunkelblaue Stickereien angebracht gewesen. Der weite Halsausschnitt betonte zudem ihre breiten Schultern. Ihr ovales Gesicht lief in einem spitzen Kinn aus und wurde von einer langen Nase dominiert. Das lange, blonde Haar hatte sie zurückgekämmt und mit einem schmucklosen Reif gebändigt. Der Blick aus ihren blauen Augen wirkte distanziert, beinahe schon gelangweilt. An dem Sessel lehnte ein Langschwert in einer schlichten Scheide.
Neben ihr stand ein großer und breitschultriger Mann, der etwas bärenhaftes an sich hatte. Er war in robustes Leder gekleidet und sein struppiges, blondes Haar und der hellblonde Vollbart, der jedoch nicht dicht wuchs, trugen ebenso zu seine Aura der Wildheit bei, wie sein grimmiger Blick, den er den Ankömmlingen entgegen brachte. Erst auf den zweiten Blick konnte man erkennen, dass der Mann wohl noch recht jung, höchstens fünfundzwanzig Götterläufe alt, war.

Der ältere Mann, der sie führte, blieb einige Schritt vor der Frau stehen und machte eine ausladende Geste in ihre Richtung, wobei er zu den Kämpen sprach:
“Ihre Hochgeboren Adula von Schnakensee, Baronin von Schnakensee und Edle zu Sprötzquell.”
Dann schlurfte er voran und stellte sich zur Linken der von ihm vorgestellten Dame auf, die den Gästen knapp zunickte:
“Willkommen auf Burg Schnakensee, ich danke Euch, dass Ihr meinem Ruf gefolgt seid.”
Dann konnte man eilige Schritte hören, die vom Eingang der Halle kamen.

Interludium: Späte Ankunft

Auf der Straße nach Schnakensee war eine Reisende unterwegs, die neben dem Pferd, auf dem sie ritt, noch ein Packpferd mit sich führte. Die agile, elegante Fuchsstute mit der schlanken Reiterin bildete einen markanten Kontrast zu dem eher grobknochigen, kräftigen Rappen, der einen kantigen Packen auf dem Rücken trug - auch wenn sich der Rappe an seiner Last nicht erschöpfte. In der Tat war es die Reiterin, die bei diesem Trio die Erschöpfteste zu sein schien, doch tatsächlich war es eher eine Müdigkeit des Geistes, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Leonora von Heiternacht hing ihren Gedanken nach, während sie ihre beiden vierbeinigen Reisebegleiter in die Richtung von Schnakensee lenkte. Jüngst bei der Familie, in deren Diensten sie seit ihrem siebten Lebensjahr stand, in Ungnade gefallen, hatte sie sich nicht anders zu helfen gewusst, als ihren Packen zu schnüren und in die Welt zu ziehen. Das Handgeld, das ihr für ihre bisherigen Dienste ausgegeben wurde, hatte sie in Form des Packpferds und einer Rüstung erbeten. So konnte sie mit Fug und Recht sagen, dass sie alles, was sie besaß, bei sich trug. Mutter würde enttäuscht sein, das wusste Leonora gewiss.
Als die junge Ritterin bereits die Zuversicht verlor, dass sie das Ziel ihrer Reise vor Anbruch der Dunkelheit erreichen würde, tauchten die ärmlichen Hütten der Sumpfsiedlung auf. Leonora, die zum ersten Mal in der Baronie weilte, sah sich in ihren ohnehin nicht sehr hoch angesetzten Erwartungen bestätigt. Und doch gefiel ihr die Burg, die sich über dem Ort erhob. Sie erinnerte sie an die Burg ihrer Familie - weniger hinsichtlich der Größe, sondern ihres Zustandes. Ihre Mutter kämpfte gegen den Verfall des Wehrturms mit dem angrenzenden kleinen Pallas, und hier war das offensichtlich nicht anders. Ihre Gedanken trugen sie wieder zurück in die weit entfernte Baronie Kaldenberg, ihre Heimat. Bis sie sich wieder an das Hier und Jetzt zurückbesann, hatte sie bereits das Burgtor durchritten. Von der Ortschaft hatte sie nicht viel mitbekommen. Müde stieg sie von ihrem Pferd, als eine Stallmagd auf sie zueilte und ihr mitteilte, die anderen Ankömmlinge hätten gerade erst den Bergfried betreten. Dankbar nahm Leonora die Hilfe der Magd in Anspruch und übergab ihr die beiden Pferde, nachdem sie sich von beiden mit kleinen, zärtlichen Gesten verabschiedet hatte. Rasch strich sie sich Wams und Hose glatt, zog sich die Stiefel hoch und eilte dann in Richtung des Bergfrieds.

Der Auftrag (Teil 2)

Da sie eh bereits die erste hinter dem Diener gewesen war, machte sich Aurea nicht erst die Mühe zu gucken, was die anderen taten und übernahm einfach erneut die Rolle als Erste. “Rondra zum Gruße, Euer Hochgeboren. Es freut mich, hier sein zu können, auch wenn ich zugegebenermaßen gespannt bin, in welcher Weise wir Euch zu Diensten sein können.” Da sich die beiden Frauen kannten, verzichtete sie auf eine erneute und ausführliche Vorstellung. Und selbst wenn, war das Haus Richtwald nicht so weitläufig, dass eine große Auswahl bei Ritterinnen ihres Alters, die auch in der Region weilten, bestand. Ihre Zwillingsschwester Wulfrun war die einzige Alternative und da sie in der Flussgarde diente, war sie so gut wie nie in Schnakensee anzutreffen.
Yanna trat neben Aurea und verneigte sich: “Habt Dank für die Einladung, Hochgeboren. Die Sturmherrin mit Euch”, entbot sie der Baronin den Rondragruß und machte dann mit einem Seitschritt für Firin Platz.
Mit einer zackig vorgetragenen Verbeugung und einem krachenden Faustschlag auf die Brust stellte sich als Dritter Firin zur Seite der beiden Damen: "Die Donnernde mit Euch, Euer Hochgeboren, und mein ergebenster Dank für Eure Einladung! Ich soll Euch die allervorzüglichsten Grüße meiner Dienstherrin, Ihrer Hochgeboren Wunnemine von Fadersberg, und ihres Gemahls bestellen. Firin von Landwacht ist mein Name, zu Euren Diensten." Am liebsten hätte er sich gleich umgeschaut, wer noch von hinten nahte, zwang sich aber, seinen Blick vorerst nicht von ihrer Gastgeberin zu lösen.

Die Schritte, die von hinten zu hören waren, wandelten sich von einem hastigen Gehen zu einem zögerlichen Voranschreiten, je näher sie kamen, um schließlich in Bewegungslosigkeit zu verharren. Im Eingangstor der Halle war eine junge Frau zum Stehen gekommen, die kaum mehr als 20 Sommer gesehen haben mochte. Sie war mittelgroß und schlank, mit jenen vergleichsweise kräftigen Schultern und Oberschenkeln, wie sie manches weibliche Jungvolk durch intensive athletische Betätigung entwickelte. Das flachsblonde Haar war wohl am Morgen noch zu einer akkuraten Flechtfrisur gerichtet gewesen, jetzt aber hing die eine oder andere Strähne gelöst herab oder klebte schweißnass an den Schläfen. Das Gesicht war schmal und ebenmäßig geschnitten und wies große, blaue Augen auf, die den Gesichtszügen etwas permanent Erstauntes oder vielleicht auch Unbedarftes verliehen. Häufiger Aufenthalt unter dem sommerlichen Praiosmal hatte ihren Teint gebräunt und einige Sommersprossen auf den Nasenrücken ausbilden lassen, auf welchen jetzt feine Schweißperlen standen. Eine kleine Verdickung unter der Nasenwurzel kündete von einem einstigen Bruch. Da die Nase gerade geblieben war, tat dieser Makel dem Aussehen der jungen Frau keinen Abbruch, sondern verlieh ihr lediglich einen rauen Akzent. Gewiss, die neu Hinzugekommene war keine Schönheit nach höfischen Maßstäben, sie konnte aber mindestens als sehr hübsch gelten.
Die Kragenverschnürung des ärmellosen Wams aus dunklem Leder war, der Hitze geschuldet, ganz gelöst, was die Sicht auf ein Kettengeflecht mit ebenfalls weit geöffnetem Kragen und gebräunte Haut über dem Brustbein freigab. An der Hüfte, wo Wams und Kette endeten, führte die Frau an einem abgewetzten Waffengurt einen Kusliker Säbel mit brüniertem Korb mit sich. Über Becken und Schenkeln spannten sich Reithosen aus hellem Leder, die in wadenhohen, robusten Stiefeln verschwanden. Noch im Gehen hatte die Frau eilig leinerne Blusenärmel über ihre Unterarme geschoben. Jetzt, als sie stand und zweifellos die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich ziehen würde, hielt sie Rücken und Schultern nicht mehr athletisch gerade, sondern zog den Kopf ein wie eine Scheunenkatze, die gerade des schlafenden Hundes im Hof gewahr worden war.
Die Neue ließ einige Momente verstreichen, bis sie sich sicher war, dass sie auch ja niemanden ein Gespräch wieder aufnahm, das sie mit ihrem Erscheinen unterbrochen haben mochte. Schließlich neigte sie ihr Haupt zu einem schüchternen Gruß in Richtung der Baronin, welche sie als einzige der Anwesenden erkannt hatte. Als keine sofortige Reaktion erfolgt, schob sie nach einem Räuspern ein verlegenes "Leonora von Heiternacht, aus der Baronie Kaldenberg!" hinterher. Letzteres war eindeutig an die anderen Anwesenden gerichtet, zu welchen sie jeweils kurzen Augenkontakt suchte.
Yanna erwiderte den Blick und in ihren blauen Augen spiegelte sich wohlmeinende Überraschung, da sie der Meinung war, dass die andere wohl ebenfalls dem gemeinen Waffenvolk zuzuordnen war. Zumindest wirkte die Nachzüglerin dem Äußeren nach wie eine Reisige und unterschied sich deutlich von den beiden Rittern.
‘Auch wenn der Name adlig klingen mochte’, überlegte die Albernierin, zog es aber vor, rasch wieder zur Baronin zu sehen - für weitere Vorstellungen würde es vermutlich später noch genügend Gelegenheit geben.
Firin hob die Brauen, da er, sich nun doch umblickend, erkannte, wer die vierte im Bunde der Gäste war, und ein Lächeln trat auf sein Gesicht, als er ihr zum Gruße leise zunickte. Leonora von Heiternacht mochte keine enge Freundin sein, kam ihm hier und heute aber dennoch vertraut vor - immerhin waren sie damals gemeinsam in die Rabenmark gezogen, beide als blutjunge Ritter, und hatten dabei bereits so einiges prägendes erlebt und durchstanden. Was um alles in der Welt führte die Kaldenbergerin aber ausgerechnet hierher nach Schnakensee? Sie würden nachher einiges zu bereden haben. Jetzt aber richtete er seine Aufmerksamkeit, wie es sich gehörte, wieder voll und ganz auf die Baronin.

Die Baronin von Schnakensee wollte gerade zu sprechen anheben, als die Schritte sie verstummen ließen und sie ihren Mund wieder schloss. Ungeduldig wartete Sie die Vorstellung der Nachzüglerin ab und unruhig verlagerte die junge Hochadlige ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Als Leonora schließlich ihren Namen genannt hatte und sich alle Augen wieder auf Adula gerichtet hatten, wedelte sie knapp mit ihrer rechten Hand vor ihrem Körper und meinte knapp:
“Gut, gut. Und nochmals meinen Dank…für Euer Erscheinen.”
Dann blickte sie nach links zu dem älteren Mann, der an ihrer Seite stand und den sie doch um eine knappe Haupteslänge überragte.
“Jasper wird euch sagen, weswegen wir nach euch gerufen haben.”
Sie nickte dem Alten zu und ließ sich dann langsam auf den großen Sessel sinken.

Da der Mann bereits etwas gebückt stand, war dessen angedeutete Verbeugung nicht mehr als ein Nicken zu den Anwesenden. Seine Stimme klang rau und überschlug sich das ein oder andere Mal, was er mit einer etwas übertriebenen Lautstärke zu überdecken versuchte.
“Jaja, danke Herrin. Jasper von Niedersprötzingen mein Name, Truchsess der Barone von Schnakensee, seit vieeeelen Jahren schon.”
Er rieb sich die Hände und lächelte zufrieden, ehe er wieder die versammelten Ritter und Krieger in den Blick nahm.
“Auch ich danke euch, dass ihr dem Ruf von Adula von Schnakensee gefolgt seid. Manche hatten es ja schon etwas weiter, möcht’ ich sagen, näch? Hehe…”
Insbesondere Leonora war während der Worte das Ziel seiner Blicke aus zusammengekniffenen Augen. Dann machte er eine wegwerfende Handbewegung:
“Sind aber alle angekommen. Heile, wie ich sehe, gut, gut.”
Ihm schien daraufhin etwas einzufallen, denn seine Brauen hoben sich und sein Gesichtsausdruck verriet Überraschung:
“Wir danken Ihrer Hochgeboren Wunnemine von Fadersberg und ihrem Gemahl für die Grüße und möchten diese erwidern, jaja!”,
freundlich lächelte er in Aureas Richtung und nickte dabei, ehe sich sein Mienenspiel wieder entspannte. Jasper von Niedersprötzingen rieb sein Kinn und schien kurz zu überlegen.
“Weswegen haben wir nach euch gerufen…hmmmm…jaja, heikle Sache…hmmm.”
Dann nahm er jeden einzelnen in den Blick und seine Auge waren nurmehr Schlitze:
“Vertraulichkeit is’ wichtig, jaja. Kann ich darauf zählen, dass alles, was wir hier besprechen und alles, was sich in der Folge ereignen wird, in diesem vertraulichen Kreise bleibt?”

‘Vielleicht hat der Alte das Amt des Truchsess seit zu vielen Götterläufen inne’, überlegte Aurea, angesichts der doch etwas kauzigen Art des Niedersprötzingers. Derweil blickte sie zu den Türen des Saals oder mehr auf das Mauerwerk direkt darüber. Als sie sich dann wieder der Baronin zuwandte, redete sie bewusst mit dieser und nicht mit ihrem Truchsess. “Das in dieser Halle gesprochene Wort mag sonst nicht Sub Rosa erfolgen. Doch da Ihr uns darum ersucht, werde ich Eurem Wunsch, sofern es den Geboten der Götter nicht zuwiderläuft oder Gefahr für meine Familie bedeutet, gern entsprechen.”
Firin unterdrückte mühsam ein Grinsen angesichts der Fehlleistung des Truchsess und beeilte sich, die an sie alle gerichtete Frage ebenfalls zu beantworten, ehe seine Züge seine spöttischen Gedanken doch noch verrieten. "Wohl gesprochen! Wie meine Vorrednerin will und werde ich es auch halten, wobei mein Stillschweigen daran gebunden ist, dass neben meiner Familie auch meiner Dienstherrin und ihren Schutzbefohlenen sowie dem Orgilsbund keine Gefahr daraus droht oder entsteht." Mit den Worten war deren innewohnender Ernst gleichsam in sein Gemüt zurückgekehrt. Aufmerksam beobachtete er die Regungen von Baronin und Truchsess, ob ihm bereits diese Rückschlüsse auf das Anliegen und deren Bedeutung für die Seinen ermöglichten.
Unsicher blickte Leonora zu der Kriegerin hinüber, die noch nicht gesprochen hatte. Da diese sich nicht anschickte, nach dem jungen Ritter - das Gesicht kannte sie doch? - das Wort zu ergreifen, tat sie es. Sie hatte ohnehin nicht viel zu sagen: “Ich schwöre es, bei Rondra.” Nach kurzem Überlegen fügte sie hinzu: “Oder Boron.” Und nach weiterem Überlegen: “Bei Rondra UND Boron.” Es arbeitete in Leonoras Gesicht, als sie darüber nachdachte, ob es passend wäre, zusätzlich auf Praios zu schwören, entschied sich aber dann doch dagegen.
“Ihr könnt darauf zählen, was mich anbelangt”, meinte Yanna schlicht nach der Aufforderung des Vogts und ließ kurz den Blick von Jasper zur Baronin und auch zu dem noch unbekannten bärtigen Mann schweifen. “Ich gebe Euch über mein Stillschweigen mein Wort.”
“Gut, gut, das genügt uns…oder?”,
der alte Truchsess blickte fragend zu seiner Baronin, die aufrecht in dem hölzernen Sessel saß und ihm daraufhin knapp zunickte. Er erwiderte das Nicken mit einem kurzen, zustimmenden Brummen, ehe er sich wieder an die versammelten Kämpen wandte.
“Wir haben es in Schnakensee mit Räubern zu tun!”,
Jasper von Neidersprötzingen riss die Augen weit auf und ließ die Aussage einen Moment im Raum stehen, wohl um die Tragweite zu unterstreichen.
Der junge, bärtige Mann zur Rechten der Baronin schüttelte daraufhin den Kopf und blickte zu Boden, doch konnte man Unwillen in seinem Gesicht erkennen.
Die Baronin selbst blickte jedoch nur ausdruckslos geradeaus und ihre linke Hand spielte gedankenverloren mit dem Knauf des Schwertes, welches an ihrem Sessel lehnte.
“Ja, die hohen Damen und Herren haben richtig gehört!”,
der Truchsess wedelte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand in der Luft herum und blickte einen Kämpen nach dem anderen eindringlich an.
“Eine ganze Weile schon, sicher zwei Götterläufe, treibt diese Brut ihr Unwesen in unserer Baronie. Und wer weiß, vielleicht auch darüber hinaus!”
Jasper von Niedersprötzingen schob seine Unterlippe nach oben und nickte betroffen.
“Zuerst, ja, zuerst hat man gedacht, es wären Streiche. Oder auch der Wolf, der sich ein Zicklein geholt hat. War nie viel. Hier mal zwei Hühner, dort mal ein Sack Korn. Sicher auch Knollen oder Rüben vom Acker. Auf unserem Hof hat man sogar zwei…oder drei Sack Äpfel gestohlen!”
Jasper von Niedersprötzingen atmete tief durch und blickte zu Boden.
“Wer weiß, was noch so alles gestohlen wurde. So Sachen meldet ja nich’ jeder gleich der Baronin!”
Als er seinen Kopf wieder erhob, wirkte er entschlossen und ein wenig zornig.
“Aber in Albrunsburg, da haben sie die erwischt, vor gut vier Monden! …also beinahe erwischt…zumindest gesehen hat man die Bande! Wie zwei von denen davon liefen. Jeder ein kleines Fass vom sauren Winterkraut im Arm!”
Mit der rechten Faust schlug er in die geöffnete linke Hand.
“Der…äh…der…na, der Sohn von den Albruns…burgern, der hat sich mit zwei Knechten daran gemacht, denen zu folgen. War’n aber zu flink, die Räuber, trotz dem Fass! …auch wenn’s nur ein kleines war. Hmmm… Und der…äh…der mit seinen Knechten meinte aber, s’ wären keine Rotpelze gewesen!”
Überraschend ging der Blick des alten Verwalters zu dem jungen Burschen, der neben der Baronin stand. Dieser erwiderte den Blick seinerseits mit einer Miene, die mindestens Verachtung zeigte, was der Alte jedoch zu ignorieren schien.
Als Jasper von Niedersprötzingen die vor ihnen versammelten Kämpfer wieder in den Blick nahm, breitete er die Arme aus.
“Aus diesem Grund brauchen wir tapfere und…ähm…wackere Ritter und Kriegersleut wie euch!”
Mit einem zufriedenen Lächeln schloss er seinen Vortrag.

‘Räuber?’, dachte sich Aurea und war sofort erleichtert. Räuber waren in der Region eigentlich keine Besonderheit, sondern wohl eher an der Tagesordnung. Zugegeben handelte es sich dabei tatsächlich meist um Rot- und Schwarzpelze oder auch mal um ein Raubtier, das beim Vieh Beute schlägt. Was an diesem Belang also vermutlich der Verschwiegenheit unterliegen sollte, war mehr der Umstand, das die Baronin Hilfe von Außen bedurfte und nach dem hohen Blutzoll unter ihrem Vater an der Tesralschlaufe selbst nicht mehr über ausreichend Schwerter verfügte um dem lichtscheuen Gesindel nachzustellen. Dabei wäre es schon beachtlich, wenn die Diebe nicht zu den Rauestahls gehörten und dann noch lebten. “Ist denn bekannt, wie groß die Gruppe ist, wo sie sich vornehmlich herumtreibt oder ob sie zu den Rauestahls gehören?” Erkundigte sich die Richtwalderin deshalb direkt, womöglich steckte der Teufel ja doch noch im Detail.
In Leonoras Gesicht war unverstellte Enttäuschung zu lesen. War sie hierher bestellt worden, um Hühnerdiebe zu jagen? So hatte sie sich ihren Einstand als tapfere, unabhängige Heckenritterin nicht vorgestellt.
Ganz anders die Freie neben ihr, die ein Lächeln unterdrückte: der alte Jasper hatte viel mit den Ausrufern, Marketendern und Schaustellern gemein, die stets Großartiges anzukündigen hatten, obwohl nur wenige wirklich zu überraschen wussten.
Jaspers Schauspiel hatte wohl auch die Baronin und den Bärtigen kalt gelassen, ganz offensichtlich aber auch Aurea. Die Richtwalderin war schnell und stellte die richtigen Fragen - besonders über die Rauestahls - weshalb Yanna anerkennend die Reihe der Freiwilligen entlang zu ihr hinüber blickte.
Firins Gesichtszüge erstarrten und offenbarten gemeinsam mit den für einen kurzen Moment weit aufgerissenen Augen, wie sehr er ihn der Bericht des tattrigen Truchsess schockierte: da hatte er als Knappe am Feldzug wider Haffax teilgenommen, als junger Ritter in der Rabenmark seinen Mann gestanden, und ihr Schwurbund noch immer nicht die Spore des heiligen Orgils gefunden - ausgerechnet in diesen Tagen wurde er von seiner Dienstherrin nach Schnakensee geschickt, um ihrer Amtskollegin bei etwas vermeintlich bedeutsamen zu helfen... das gerade dabei war, sich als Jagd nach Hühner- und Krautdieben zu entpuppen. Sollte Wunnemine von Fadersberg darüber Bescheid gewusst haben, würde er sie ernsthaft fragen müssen, mit was er sich diese Höchststrafe in ihren Augen verdient hatte... hatte er etwa vor lauter bedeutungsvoller Queste in den letzten Monden zu hoffärtig auf sie gewirkt, dass sie ihn nun Demut und Bodenständigkeit lehren wollte? Firin biss die Zähne zusammen und zwang sich, ein seinem Empfinden nach interessiertes Gesicht aufzusetzen.
Der alte Truchsess kniff die Augen zusammen und blickte Aurea an.
“Rauestahls…hmm…das weiß man nich’, nein.”
Er kratzte sich kurz am Hals und schien zu überlegen.
“Aber…hmmm…wir hatten es vor einigen Götterläufen schon einmal mit einer Bande hier zu tun. Die war nicht klein, nein, nein. Waren eine Plage für Schnakensee und auch die Baronien drumherum! Is’ ‘ne Weile her, möcht’ ich sagen. Dann war’s ruhig gewesen, näch?”
Er suchte bestätigung bei seiner Baronin, die ihren Blick kurz von der Gruppe abwandte und zu ihrem Verwalter knapp sprach:
“Ja, das ist richtig.”
Der Blick von Jasper ging wieder zu den vor ihm versammelten Kämpen.
“Ihr seht, hohe Leut’, is’ vielleicht ein altes Übel. Und ihr…”,
er ließ seinen Zeigefinger über die Krieger und Ritter schweifen,
“...werdet das ausmerzen!”
“Mein Bruder wird euch dabei helfen”,
mischte sich Adula von Schnakensee in den Vortrag ein und wies mit der flachen rechten Hand auf den jungen Mann neben ihr, ohne diesen jedoch anzublicken. Dieser allerdings verschränkte seine Arme und sein ganzes Gebaren wirkte, als ob er alleine seine Anwesenheit bei dieser Versammlung als Strafe empfand.
“Er ist Jagdmeister von Schnakensee und kennt sich in den Wäldern am besten aus”,
fügte die junge Baronin hinzu. Dann beugte sie sich in ihrem Sessel nach vorne und stützte ihre Ellenbogen auf ihren Oberschenkeln ab. Während sie ebenfalls ihren Blick über die Runde schweifen ließ, frug sie:
“Morgen könnt ihr aufbrechen. Benötigt ihr noch etwas von uns?”

“Das kommt ganz darauf an”, bemerkte Aurea, die sich ebenfalls eine recht gute Ortskenntnis zugestand. “Ob es sich um Mitglieder der Rauestahls handelt, ist ungewiss, doch wo trieben die Räuber zuletzt ihr Unwesen? Müssen wir uns eher gen Weidenthal orientieren oder eher gen Rahja in die Berge? Je nachdem, bedürfen wir womöglich noch ein wenig Ausrüstung.” Dadurch dass die Rauestahls mit recht straffer Hand sämtliche anderen Räuber vertrieben oder umgebracht haben, gab es nur noch wenig Konkurrenz für sie. Natürlich zogen sie es vor, im Praios von Nordgratenfels ihre Überfälle zu verüben. Über den Tommel zur Reichsstraße und anschließend schnell zurück in die dichten Wälder. Doch egal ob Rauestahls oder nicht. Es war schlicht traurig, dass Schnakensee nicht mehr über genügend Waffenvolk verfügte, um diesen Räubern nachzustellen.
“Was sind denn diese ‘Rauhestahls’?”, platzte Leonoras Frage in die entstandene Gesprächspause. Dies war ihre erste Frage, die ihr noch mehr auf der Zunge brannte als die zweite - die Frage nach einem Badezuber, gerne mit nicht zu warmem Wasser. Die junge Ritterin verband die Erkundigung nach diesen Rauhestahls mit einer Hoffnung, so vermessen sie auch war: Dass das Problem, mit welchem sie hier betraut worden waren, doch eine größere Herausforderung war als das Stellen von abgemagerten Hühnerdieben mit spitzen, schmutzigen Gesichtern und Augen, die stumpf vor Verzweiflung waren.
“Eine Bande von sehr schlagkräftigen Raubrittern”, antwortete Yanna knapp, auch wenn bislang die Richtwalderin das Wort in dieser Angelegenheit geführt hatte. Sicherlich gab es noch mehr zu erzählen, doch die wichtigere Frage hatte Jasper zuvor gestellt. “Auch wenn Euer Bruder…”, kurz blickte die Albernierin zum widerstrebenden Jagdmeister hinüber, “uns als Ortskundiger begleitet, Hochgeboren, wäre ich dankbar für eine grobe Karte Eurer Lande.” Yanna sah wieder zu Adula, die fragend zu ihrem Verwalter blickte, der zunächst nur mit den Schultern zuckte. Ihr Bruder indessen bedachte Yanna mit einem verächtlichen Blick.
“Außerdem ist der Name des vorhin erwähnten Sohnes von den… “, die Reisige zögerte kurz, ehe sie weitersprach, “...Freien aus Albrunsburg sicherlich für uns von Interesse. Und eine letzte Frage: Wie sollen wir mit unserer Aufgabe anderen gegenüber umgehen? Wir haben Euch zwar Verschwiegenheit versprochen, aber anderen wird unser Auftrag doch schnell klar werden, wenn wir als Ortsfremde anfangen, Fragen zu stellen…” Vielsagend wies Yanna auf die Wappenröcke von Aurea und Firin.
Ohne es zu wissen, flackerte in Firin dieselbe Hoffnung auf wie im Geiste Leonoras, doch erstickte diese rasch und noch als kleines Flämmchen wieder, je länger er darüber nachdachte. Was sollte eine Raubritterbande, die etwas auf sich hielt, Kopf und Kragen riskieren, in dem sie einzelne hier in dieser Gegend Hühner, Rüben und Gemüse stehlen schickte, wenn es andernorts wenigstens befahrbare Straßen oder Karrenwege und damit tatsächlich etwas zu holen gab, das man sich in Bandenstärke leicht schnappen konnte und auch ein Risiko lohnte? Nein, wahrscheinlich waren hier nur irgendwelche vor Armut oder Faulheit darbende Untertanen der Baronin das Problem. Aber wenn es sein Los war, genau dieses zu lösen, dann sollte es eben so sein.
Die Frage Yannas nach einer Karte war vorausschauend, wie er anerkennen musste, ihre Sorge, dass ihr Nachfragen als Fremde Staub aufwirbeln würde, der am Ende an der Baronin hängenblieb, teilte er dagegen nicht - sie durften halt nur nicht vollkommen plump vorgehen: "Wir fangen einfach nicht an zu fragen” warf Firin ein. “Wir sagen den Leuten stattdessen, dass wir in Euren Wäldern auf Eure Einladung hin auf der Jagd sind, Euer Hochgeboren - das ist ja noch nicht mal gelogen. Wenn das Problem so groß ist, werden uns die Bestohlenen recht rasch von selbst erzählen, was los ist. Wer will es uns dann verdenken, wenn wir uns anhören, was sie zu sagen haben, und die eine oder andere interessierte Nachfrage stellen?"
Yanna bedachte den Ritter mit einem nachsichtigen Lächeln, als Jasper von Niedersprötzingen nach einigem Überlegen schließlich Yanna direkt ansprach:
“Wüsst’ nich’, dass wir eine Karte hätten. Gibt nich’ viel hier. Kaum Dörfer und daher auch kaum Wege, näch?”
Dann beugte er sich zu seiner Baronin:
“Kann die Emina eine Karte machen lassen, wenn ihr wollt?”
Adula von Schnakensee atmete kurz durch und nickte ihrem Verwalter zu, der sich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder aufrichtete, zumindest so weit, wie es sein vom Alter gebeugter Rücken zuließ. Er sprach direkt zu Yanna:
“Sollt’s eine Karte bekommen. Die ist dann bis morgen fertig.”

“In den Wald!”,
schaltete sich plötzlich der Bruder der Baronin, mit einer für sein Alter erstaunlich tiefen und rauen Stimme, ein. Er spie die Worte förmlich aus und fixierte dabei Aurea.
Seine Schwester sah ihn nicht an, als sie tonlos ergänzte:
“Die ganze Baronie ist von dichten Wäldern bedeckt. Albrunsburg liegt an der Kalte, gen Rahja.”
“Jaja, in die hohen Berge müsst ihr nicht…”,
Jasper von Niedersprötzingen mischte sich wieder ein,
“...aus Kaltenstein sind uns keine Vorkommnisse bekannt…äh…zumindest wurde uns nichts gemeldet, näch?”
.

Ganz so, als hätte sie die Worte von Truchsess und Jagdmeister nicht vernommen, wandte sich Aurea erst an die Kaldenbergerin. “Die Rauestahls, Hohe Dame, sind eine Räuberbande, die sich vor längerer Zeit in der Region von Nordgratenfels niedergelassen hat und seither hier ihr Unwesen treibt. Es heißt, ihre Anführer sollen einst gemeinsam mit dem Jergenquell den Landgrafen entführt haben, doch sind vermutlich bis auf den Werten Herrn Truchsess alle Anwesenden zu jung, um um diesen Vorfall zu wissen. Sie überfallen gelegentlich Reisende auf der Reichsstraße. Vermutlich um nicht zu sehr in den Blick von Gratenfels und der Patrouillen zu geraten, sind sie allerdings auch oft in den gesamten Landen der Grafschaft firunwärts des Tommel unterwegs.”
Damit, befand sie, sollte ausreichend erklärt sein, bei wem es sich um die Rauestahls handelte und auch, dass sie verschlagen genug waren, sich einer Ergreifung zu entziehen. “Vielen Dank Euer Wohlgeboren.”, wandte sie sich nun dem Jagdmeister zu. “Wir müssen also nach Sprötzenquell, wenn ich Euch recht verstanden habe.” Dabei verzog sie keine Miene. Derlei Verhalten kannte sie zuhauf und dabei war dieses noch nicht einmal gegen sie persönlich gerichtet. Während ihrer Zeit als Knappin hatte sie als Nordmärkerin in Albernia verbracht, wenn auch bei der ebenfalls nordmärkischen Familie ihrer Mutter und diese war bis heute noch nicht gut gelitten in der Region. “Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es allerdings neben Wald auch noch Moore und Sümpfe, Berge und Täler und so würde ich hier für Gerüstete durchaus einen wichtigen Unterschied sehen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass in Schnakensee vor allem am Bogen ausgebildet wird. Wir jedoch sind zu Ross und gerüstet, seht uns also bitte nach, dass wir nur ungern in einem Moorloch ertrinken wollen.” Und auch wenn sie den Bruder der Baronin hier zurechtwies, brauchten sie möglichst viele Informationen und nicht nur ein paar faule Brocken. Abgesehen davon war die Baronie tatsächlich kaum mehr als ein einziger riesiger Wald.
“Herr von Niedersprötzingen, habt Ihr denn Erkundigungen in Kaltenstein eingeholt oder verlasst Ihr Euch bisher darauf, keine Kunde erhalten zu haben?”
Insbesondere Adula von Schnakensee hörte der jungen Ritterin bei deren Ausführungen über die Räuberbande aufmerksam zu, während ihr Bruder sein Desinteresse dadurch kund tat, dass er mit zusammengekniffenen Lippen durch das mehrere Schritt entfernte Fenster starrte. Lediglich bei Aureas Hinweisen bezüglich der Fährnisse einer Reise durch die Wälder hoch zu Ross, konnte er ein Grinsen nicht verbergen.
Als der Verwalter der Baronin von der Ritterin direkt angesprochen wurde, konnte man sehen, dass er sich ertappt fühlte. Während er seine Hände umeinander rieb, stammelte er:
“Ähh…ja, berechtigte Frage! Wir…ähm…also…Kaltenstein ist nun recht weit, tät’ ich sagen. Hmmm…will meinen, hingeschickt zum nachfragen ham’ wir niemanden, näch?”.
Er blickte etwas schuldbewusst zu seiner Herrin, deren Miene jedoch keine Regung zeigte. Dann wandte er sich wieder Aurea zu:
“Aber am Niedersprötzinger Hof, da sind ‘se gewesen! Liegt auf dem Weg nach Kaltenklamm. Also beinahe…hmmm…Am besten geht’s zuerst zur Albrunsburg. Da liegt auf dem Weg auch der Hof vom…ähm…also praioswärts, beim alten Dorf, da liegt ein Hof, da hat man auch was geraubt.”
Er nickte sich bestätigend selbst zu.
Währenddessen schüttelte der Bruder der Baronin, der zu deren Rechten stand, mit dem Kopf, den Blick noch immer zu den Fenstern gerichtet. Man konnte sehen, dass sich seine Lippen bewegten, woraufhin die Baronin kurz die Augen schloss. Als sie diese nach einem Augenblick wieder öffnete, sprach sie mit einer eindringlichen Stimme, jedoch noch immer nach vorne blickend:
“Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es!”
Im Gesicht ihres Bruders war kurz Überraschung zu erkennen und er zuckte zusammen. Langsam drehte er seinen Kopf und man sah, dass er mit den Zähnen knirschte. Schließlich wirkte es so, als würde er sich regelrecht dazu zwingen müssen, etwas zu sagen, was er langsam und mit leiser, aber bebender Stimme tat:
“So ein dummes Gerede, das waren scheiß’ Rotpelze! Also müssen wir tief in den Wald. Dahin kann man keine Pferde mitnehmen.”
Er musterte die vor ihm versammelte Schar und schien angespannt auf eine Reaktion zu warten. Er ballte die Fäuste und wirkte dabei, als mache er sich bereit, einen Angriff abzuwehren.

“Also reiten wir zur Albrunsburg und nehmen von dort aus die Fährte auf?”, fragte die Richtwaldern höflich nach. “Folglich wäre wohl leichtere Ausrüstung angebracht, festes Lederzeug und eher nichts, das übermäßig klimpert und klingt.” Wie auch ihre restliche Familie, pflegte auch sie ein großes Interesse an der Jagd und dabei würde niemand von ihnen auf die Idee kommen, Fallen zu verwenden.
"Das erscheint mir im Lichte der vorliegenden Tatsachen der richtige Plan!", pflichtete Firin Aureas Vorschlag bei, um sodann dem Jagdmeister Contra zu geben: "Wenngleich ich mir nicht vorstellen kann, dass es wildlebende Rotpelze waren - die kann man kaum mit dahergelaufenen Strauchdieben oder gar Raubrittern verwechseln, selbst wenn man ihrer nur flüchtig angesichtig wurde, noch dazu in einer Gegend, in der jeder Bauer weiß, wie Goblins aussehen und durchaus mit ihnen rechnet. Aber alles höchstspekulativ… Wir sollten uns vor Ort umsehen, mit unvoreingenommenen Augen."
Firin hatte keineswegs die Absicht, die Rotpelze in Schutz zu nehmen - anders als der Burgoffizier seiner Dienstherrin und dessen Familie: Die behaupteten merkwürdigerweise sogar, dass man ganz gut mit jenen auskommen konnte - wenn man ihnen nur aus dem Weg ging und deren Revier respektierte, dann täten die Goblins das umgekehrt ebenfalls, und Platz genug sei ja in den Wäldern. Er selbst war tatsächlich auch noch mit keinem aneinandergeraten, seit er in Ambelmund diente - was natürlich nicht zuletzt daran liegen mochte, dass er noch nicht besonders lange und selbst in dieser Zeit nur sporadisch tatsächlich dort geweilt hatte, und ferner in den Wäldern vor allem die Tannenfelser und die Schwarztanns walteten. Von seinem Elternhaus hatte er jedenfalls ein gesundes Misstrauen allen aufrechtgängigen Bepelzten - egal ob Rot oder Schwarz - gegenüber auf den Weg mitbekommen, das er noch immer bewahrte.
Leonoras Mundwinkel sanken immer weiter nach unten, als sich herausbildete, wie diese Strafexpedition gegen jene Hühnerdiebe vonstatten gehen sollte - zu Fuß… "Wie sollen wir die denn finden?", fragte sie zweifelnd in die Runde. "Die Wälder hier sind ja endlos! Wenn sie still halten, können wir in 20 Schritt an ihnen vorbeilaufen, ohne sie zu bemerken."
Der Bruder der Baronin grinste Leonora an, sein Gesicht hatte dabei etwas Animalisches. Er sprach ganz leise, aber dennoch für alle gut hörbar, nur ein einziges Wort:
“Ihr!”

Die Baronin selbst überging diese Bemerkung und sprach die vor ihr aufgereihten Kämpfer an:
“Falls ihr Ausrüstung, Verpflegung…was auch immer braucht, dann sprecht den Marschall an. Er wird euch mit allem versorgen, was wir euch bieten können. Ihr findet ihn meist im Hof.”
Dann schien ihr etwas einzufallen und es zeigte sich eine leichte Röte auf ihrer Wange.
“Liudger Thomundson, meine ich.”
Ihr Truchsess mischte sich kurz ein:
“Jaja, so ist es. Könnt’ ihn nicht übersehen. Und eine Karte, ja eine Karte bekommt ihr später auch noch!”.
Der alte Mann machte einen zufriedenen Eindruck, so, als hätte er sein Tagwerk erfolgreich beendet.
“Wir haben euch auch schon eine Unterkunft eingerichtet. Drüben in der Garnison, auf der anderen Seite des Hofes. Dort ist noch genug Platz!”
Mit der rechten Hand begann er, sein Kinn zu reiben.
“Ah!”,
rief er darauf hin aus,
“...Essen, natürlich!”
Er lächelte die Kämpen an und zeigte mit dem Finger in deren Mitte.
“Zur Firunsstund’ speisen wir hier in diesem Saal. Ihr seid herzlichst eingeladen. Können euch den Braten aber auch auf die Stube bringen lassen. Wie ihr bevorzugt, hehe.”

"Dürfen wir zuvor nach einem Bad verlangen?", platzte es aus Leonora heraus, ehe sie darüber nachdenken konnte.

Diese Frage brachte den Truchsess sichtlich aus dem Konzept. Er wog seinen Kopf hin und her und sein Unterkiefer arbeitete.
“Ja…ein Bad…hmmm…ja sicher. Hmmm…”,
er schien dann einen Einfall zu haben, denn sein Kopf verharrte in der Bewegung und seine Unterlippe schob sich nach oben. Für einen Moment ließ er die Grimasse so stehen, ehe er zu nicken begann.
“Wird sich machen lassen. Haben aber nur zwei Zuber. Hmmm…wird dauern. Würd’ sagen, kommt eine Stund’ vor dem Essen, dann haben wir die fertig, näch?” Er blickte fragend in die Runde.

"Ich lasse den Damen selbstverständlich den Vortritt an den Zubern, wäre anschließend aber einem Bade ebenfalls nicht abgeneigt, ganz besonders angesichts der verheißungsvollen und dankenswerten Aussicht auf ein Abendmahl in so angenehmer Gesellschaft!" Firin verneigte sich mit einem Lächeln in Richtung der Baronin. Dabei fokussierte er diese ganz angestrengt - wollte er doch keinesfalls den unhöflichen Stoffel zu ihrer einen und den tattrigen Truchsess zu ihrer anderen Seite ansehen und sich hierbei seiner eigenen Worte wegen unweigerlich wie ein Lügner oder gar Spötter vorkommen müssen. Davon abgesehen gab es auch deutlich unangenehmere Anblicke, wie Firin sich selbst eingestehen musste… und das lag nicht nur am Kontrast zu ihrer Umgebung.
Auch die Albernierin verbeugte sich gegenüber der Baronin von Schnakensee und versuchte damit gleichzeitig, ihr breites Lächeln über die fast unverhohlene Werbung des Landwachters zu überspielen. “Gerne nehme ich die Gastung und Einladung zum gemeinsamen Mahl an. Travia Dank, Hochgeboren”, dann trat sie einen Schritt zurück und überließ anderen das Wort.
Aurea Lechmin von Richtwald meldete sich als nächstes: Sie war erst am Morgen auf dem Richtwald aufgebrochen, hätte sie das gewusst, hätte sie direkt zur Albrunsburg reiten und dort auf die anderen warten können. Es hätte ihr deutlich Weg erspart. Da sie zuvor jedoch erst von der Vairnburg aus nach Schnakensee geritten war, fand auch sie ein Bad recht verlockend. Allgemein sprach selten etwas gegen ein entspannendes warmes Bad in guter Gesellschaft. “Habt Dank, Euer Hochgeboren”, bedankte sie sich deshalb, wie es die Höflichkeit gebot, bei Adula. “Wenn ich das richtig sehe, werden wir uns alle dann etwas Gesellschaftstauglich machen und sehen uns zum gemeinsamen Mahl zur Firunsstunde hier wieder.” Damit verbeugte sie sich nochmals. Ein Zeichen abwartend nun endgültig entlassen zu sein, machte sie sich erst anschließend auf dem Weg in die Garnison gegenüber. ‘Jagen in Schnakensee. vielleicht, wenn Basin einmal wieder hier ist und auch Wulfrun, dann könnten wir womöglich einmal wieder alle zusammen auf die Jagd gehen’, überlegte sie derweil und nahm sich vor, ihrem Bruder diese Idee mitzuteilen und eventuell die Gelegenheit für einen Familienrat zu nutzen.
Die Kaldenberger Ritterin beließ es bei einem knappen Nicken und einer nur geringfügig ausführlicheren Verbeugung.
Nach der Verabschiedung im Rittersaal winkte der Verwalter einen jungen Burschen im Alter von gut 10 Götterläufen herbei, der die Gäste zu ihren Gemächern führte. Bei deren Weg über den Hof konnten sie sehen, dass die Übungen der Schützen wohl gerade vorüber gewesen sind, denn die dort Versammelten verräumten die Zielscheiben und die Waffen in einer Kammer auf der Rückseite der großen Scheune.

Der Abend vor der Abreise

Das Gebäude der Garnison schloss sich direkt an das Gesindehaus an, welches wohl auch eine Schmiede beherbergte. Auch hatte man eine kleine Zimmerei dort untergebracht, zumindest drangen die Geräusche einer Säge an die Ohren der Kämpen.
Die Garnison, ein zweistöckiger Fachwerkbau, schien Platz für ein halbes Banner Soldaten zu bieten, doch als der junge Knecht die Gruppe in das oberste Stockwerk führte, konnte man durch die offenen Zimmertüren sehen, dass diese allesamt unbelegt waren. So wies der Bursche jedem der vier Besucher ein eigenes Zimmer zu und verabschiedete sich von jedem einzeln, wartete aber immer einen Moment mit hoffnungsvollem Blick, ehe er das Zimmer verließ.
“Gibst du uns Bescheid, sobald das Bad gerichtet ist?”, fragte die Freie den Jungen. Yanna hatte den Eindruck gewonnen, dass später nicht allzu viel Zeit bleiben würde, bis das Nachtmahl begann.
“Ja, das mache ich”, sprach der Junge und nickte pflichtbewusst, schien jedoch ein wenig enttäuscht zu sein, als er die Stube verließ.

Die junge kaldenberger Ritterin schien das Zögern des Jungen verstanden zu haben und fischte Silbertaler aus ihrem - wie sie mit Schrecken bemerkte, bedenklich schlaffen - Geldbeutel. Die Erkenntnis traf sie jäh und ließ ihre Stimme belegt klingen, als sie die beiden Münzen präsentierte und verkündete: “Einen gleich und einen, wenn Du mir mit meinem Gepäck hilfst!” Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging die Stiege herunter in den Hof, nicht ohne im Vorbeigehen dem Burschen freundschaftlich das Haar zu zerzausen.
Der junge Bursche betrachtete mit glänzenden Augen die Münze in seinen Händen und schien sein Glück kaum fassen zu können. Erst als die Ritterin bereits die Treppen hinab stieg, besann er sich und kam ihr hinterher geflitzt. “Ich trage das Gepäck der Herrin alleine!”, rief er ihr zu, als er sie noch auf dem Treppenabsatz stand. Dann blieb er kurz stehen und wandte sich zu der jungen Kämpferin um: “Ich bin der Hadmar, aber du kannst auch Hadi zu mir sagen, das machen hier alle! Wenn du ‘was brauchen tust, dann kümmere ich mich für dich, Ehrenwort!”
Leonora antwortete mit einem skeptischen Blick. Sie hatte ihr Gepäck auf der Reise einem kräftigen Packpferd anvertraut. Der Junge würde sich schon allein an ihrer Rüstung einen Bruch heben. An der Rüstung, die sie, wie ihr klar wurde, vergebens nach Schnakensee gebracht hatte. Sie würde große Teile ihres Gepäckes, und vermutlich auch das Packpferd, in der Obhut der Baronin zurücklassen müssen. Das hieß, sie würde auch Vorkehrungen zu treffen haben, wie mit ihrem Eigentum zu verfahren sei, wenn sie von ihrer Hatz nach den Hühnerräubern nicht zurückkehren sollte. Die Vorstellung, einen Brief zu verfassen und - noch schlimmer! - der Baronin zur Verwahrung zu übergeben, entrang Leonora einen klagenden Seufzer. Kurze Zeit später seufzte die Ritterin nicht aufgrund seelischer Pein, sondern wegen der körperlichen Belastung. Mit einem sperrigen Paket, das ihre Rüstung enthielt, stieg sie die Treppe zu ihrem Zimmer empor. Der Junge, so hoffte Leonora, war ihr auf den Fersen.

Hadmar blieb einige Schritt hinter der Ritterin zurück und schwanke auf die Treppe zu. Er hatte die Packtaschen über seine Arme gehängt und schnaubte sichtlich ob des Gewichts. Er versuchte die erste Stufe zu nehmen und dabei rutschte ihm eine der Taschen vom Arm und landete auf dem Boden. Dies brachte auch den Jungen aus dem Gleichgewicht und mit einem kurzen Ausruf tat er es der Packtasche gleich und landete neben dieser auf seinem Hosenboden. Er sah sich erschrocken um und lächelte entschuldigend zu Leonora: “Tut…tut mir leid.” Dann stand er schnell wieder auf und nahm dieses Mal nur eine der Taschen, mit welcher er langsam die Stufen hinauf stakste und in das Zimmer der Ritterin ging. Dort legte er die Packtasche behutsam auf einem der betten ab und rannte wieder die Treppe hinab, um auch die letzte Tasche zu holen.
Diese hatte inzwischen die erste Tasche geöffnet und hektisch darin herumgekramt. Nacheinander brachte sie vier tönerne Figurinen zum Vorschein - eine fingerlang, die anderen drei etwas kürzer. Die letzte Figurine war etwa in der Mitte auseinandergebrochen und Leonora hielt sie betroffen in der offenen Handfläche. Als Hadi hereinkam, schloss sie die Hand und versuchte, die zerbrochene Figurine vor ihm zu verbergen, indem sie ihren Arm vermeintlich entspannt an der Seite herabhängen ließ.
Als der Junge auch mit der zweiten Tasche pustend wieder nach oben kam, legte er sie auf dem Bett neben der ersten ab und blickte verlegen zu Boden. “Is’ alles gewesen, glaub’ ich.”, gab er kleinlaut zu Protokoll.
“Ja, das war alles.”, entgegnete die junge Ritterin. Ihr Versuch, den Jungen anzulächeln, misslang. Mit einem Seufzer setzte sie sich auf die Bettkante.
Der Junge murmelte etwas unverständlich: "Gut, dann gehe ich jetzt.”, vor sich hin, ehe er mit hängendem Kopf und schlaffen Schultern von dannen schlich. Dann entdeckte er den jungen Ritter, der sich gerade auf seinem Zimmer einrichtete und eilte zu diesem. Mit einem strahlenden Grinsen stellte er sich in die Tür und frug: “Ist alles gut bei dir?”
Firin, der eines der beiden letzten Zimmer ergattert hatte und das Geschehen noch beobachtete, fühlte unauffällig nach seiner Geldkatze, innerlich seufzend. In einem Hotel oder einer Herberge hätte er so ein Gebaren erwartet, als geladener Gast einer Baronin von deren Dienstvolk ... eher nicht. Zahlte sie etwa so schlecht? Dann sollte der Knabe halt ein paar Münzen haben - geizig wirken wollte er schließlich nicht.
Zufrieden blickte der Junge zu Firin und nickte diesem zu: “Danke, Herr Ritter! Wenn du was brauchst, ruf nach mir. Ich bin Hadmar, aber du kannst mich auch Hadi rufen!” "Ich werde auf Dein Angebot zurückkommen, ... Hadi." Firin senkte die Stimme, beugte sich zu dem Jungen und sah diesen eindringlich an. "Aber hör mal, ganz unter uns - besser ist es, wenn Du adlige Gäste mit 'Ihr' ansprichst - wer weiß, ob Du mal an jemanden gerätst, dem die Etikette wichtiger ist als uns hier. Nicht, dass Du irgendwann Ärger bekommst, weil sich jemand über Dich beschwert." Er meinte es tatsächlich gut mit Hadmar - der Knabe war fleißig und wirkte auf den ersten Blick, als hätte er auch sonst das Herz auf dem rechten Fleck. Irgendjemand musste es ihm dennoch sagen - im Guten. Wenn es schon seine Herrin nicht tat.
Der Junge nickte zunächst freundlich, dann musste er schlucken, da sich ihm der Sinn der Worte des Ritters langsam erschloss. Stotternd erwiderte er: “D…du meinst also…so wie bei d…der Herrin?” Betreten blickte er zu Boden. “Gut, das mache ich dann.” Ohne Firin noch einmal anzublicken, rannte er los, die Treppe hinab und dann nach draußen.

Die Richtwalderin hatte es nicht nötig, ihren gesamten Hausstand und Besitz mit sich zu führen. Alles was sie besaß, befand sich entweder auf der Vairnburg oder in ihrer alten Stube auf dem Richtwald. In beiden Fällen wusste sie es gut verwahrt. Auch hielt sie wenig von dem Gebaren des Burschen, geziemte es sich ihrer Ansicht nach in diesem Umfeld doch so überhaupt nicht. Zugleich musste sie sich erneut darüber Gedanken machen, wie schlecht es um die Kassen der Baronie bestellt war. Sie musste wirklich dringend Basin schreiben und eventuell auch ihrer Schwägerin, damit sie wusste, wie es um ihre Base stand. Bevor Hadi noch irgendwas von ihren Sachen fallen ließ oder dabei noch die Treppe herunter stürzte, nahm sie es lieber selbst und brachte es kurzerhand in die ihr gebotene Stube.
Yanna hatte dies mit ihrem Gepäck bereits getan und kehrte sogleich in den Flur zurück, um noch ihre zweite Satteltasche aus dem Stall zu holen.

Ein Bad

Vom Rittersaal des Bergfrieds aus führte der junge Knecht alle in das Treppenhaus. Eine gut drei Schritt breite Wendeltreppe führte hier sowohl nach oben als auch nach unten, welches die Richtung war, in die man die vier Streiter führte.
Wider erwarten wurde die Luft hier unten immer wärmer und feuchter. Warmer Dampf kroch die Stufen hinauf. Der junge Bursche führte alle in einen Gang und bog dort gleich die erste Türe rechts ab. In dem großen Raum stand ein breiter Kaminofen, in dem ein kräftiges Feuer brannte. Darüber hing ein großer Kessel, in dem heißes Wasser dampfte. Am Ende des Raumes waren einige Reihen Holzscheite fein säuberlich vor der Wand gestapelt und daneben gab es einen kleinen Verschlag, welcher nur noch spärlich mit Holzkohle gefüllt war.
In Mitten des Raumes befanden sich jedoch zwei große Holzzuber, die jeweils bestimmt Platz für zwei oder sogar drei Personen boten, aus denen sich warmer Wasserdampf ergoss und über den Eingang langsam nach droben zog. Ein älterer, sehniger Mann mit nahezu kahlem Haupt, der bis auf eine kurze Leinenhose, die er mit einer Kordel verschlossen hatte, nichts trug, machte sich gerade daran, den großen Kessel mit einer Zange vom Feuer zu holen und wollte dessen Inhalt wohl noch in einen der Zuber gießen, als er die Besucher bemerkte, woraufhin er eine umständliche Verbeugung vollführte. Dann nahm er den jungen Burschen in den Blick und wies mit der Eisenzange auf zwei Holzeimer:
“Hol’ mehr. Noch zwei.”
Der Angesprochene nickte kurz, griff die beiden Eimer und flitzte wieder aus dem Raum.
Dann wandte er sich wieder den vier Kämpfern zu. Er fuchtelte mit seiner Zange in der Luft herum und sprach:
“Is für die hohen Herren und Damen. Da sind auch Leinentücher. Der vorne is’ schon fertig. Hinten muss noch Wasser rein.”
Dann vollendete er sein Vorhaben und griff mit der Zange nach dem Kessel, den er vorsichtig zu dem hinteren Zuber schleppte und mit einer geschickten Bewegung in diesen entleerte. Andächtig hatte Yanna ihm zugesehen und nickte gedankenverloren. Sie zögerte, da sie sich zwar als Gast, aber doch nicht als ‘hohe Dame’ sah…
Immerhin hatte sie sich wohlweislich nur für leichte Bekleidung entschieden. Ihr Waschzeug, Handtuch und das Langschwert trug sie in den Händen und blickte sich nach einer Sitzgelegenheit um, wo man sich umziehen konnte. Sie fand diese in einer der beiden massiven Holzbänke, die an der Wand nahe dem Kamin standen.
Rasch trat sie aus dem Weg, wies auffordernd auf die Zuber und ließ den anderen den Vortritt bei der Wahl: Nach ihrer Einschätzung würden wohl Aurea und Firin die interessanteste Paarung in einem Zuber abgeben, weshalb sie durchaus gespannt über deren jeweilige Entscheidung war.
Leonora hatte es Yanna gleichgetan und ihre Oberbekleidung bis auf die Leinenbluse schon im Zimmer abgelegt. Sie fing sogleich an ihren Stiefeln zu zerren, kaum dass sich der alte Knecht abgewandt hatte. Rasch hatte sie auch den Rest ihrer Gewandung ab- und auf einen Hocker gelegt, auf dem bereits ihre Wechselkleidung zum Liegen gekommen war.
Bevor sie sich jedoch daran machen konnte, in den ersten Zuber zu steigen, wurde sie sich bewusst, dass sie nicht die Einzige war, die jetzt ein Bad zu nehmen gedachte. Sie blieb neben ihrem Kleiderstapel stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und setzte zu einer Frage an, die sie nicht beendete, weil ihr die Worte fehlten, um das Problem passend zu adressieren: “Wie…” Dazu löste sie einen Arm aus der Verschränkung und deutete mit der Hand abwechselnd auf die beiden Zuber, um ihre Frage zumindest mit Gesten zu klären.
Auch Firin hatte sich jeglicher Rüstung und seiner Reisekleidung bereits entledigt und war nur noch mit einer langen Tunika über Hose und Stiefeln angetan, aus deren Halsausschnitt eine silberne Kette blitzte. Noch hielt der Landwachter sich aber im Hintergrund, offenkundig unschlüssig, ob und wenn ja, zu welcher der Damen er sich setzen sollte. Grundsätzlich war die Sache ja nicht kompromittierend, waren sie doch keinesfalls alleine und verhüllte das Wasser zusammen mit dem dämmrigen Licht auch jedwede Rundung oder Spitze, an welchen sich ein unanständiges Blicken beiderseits festhalten konnte, wenigstens solange man sich tief genug darinnen aufhielt. Und als Ritterinnen und Ritter, die bald gemeinsam auf Räuberjagd gehen würden, war falsche Scham ohnehin unangebracht. Gleichwohl kannte er die anderen zu wenig, um sich gewiss zu sein, jeglicher Peinlichkeit zu entgehen. Mancher war da durchaus empfindlicher… Also beschloss er, den Damen den Vortritt zu lassen und abzuwarten, welchen Platz sie ihm durch ihre Entscheidung wohl zubilligen würden.
“Wählt gerne Ihr, wie es Euch beliebt!”, raunte Firin Leonora durch die Schwaden hindurch zu. “Nach Euch!”
Auch wenn sie nicht alle Ritter oder gar von Stand waren, waren sie doch allesamt im Kampf und für die Schlacht ausgebildet worden. Scham, besonders jene der falschen Natur, hielt sie deshalb für sie alle für vollkommen unangebracht. Während sie die scheinbar peinlich berührte Szenerie erfasste, legte sie ihre frischen Sachen auf der Holzbank ab und ließ sich daneben nieder, um ihre Stiefel auszuziehen. Bereits in ihrer Kammer hatte sie die Rüstung abgelegt und sich zumindest so weit erleichtert, dass sie nun nur noch ein einfaches Leinenhemd trug.
An ihrem Stiefel ziehend, blickte sie in die Runde: “Ich denke, wir sind alle alt genug und haben bereits genügend Leute bluten gesehen, um das mit der unnötigen Scham längst hinter uns gelassen zu haben.” Mit einem Ruck hatte sie ihren Fuß befreit und machte sich sogleich daran, das Vorgehen auch am anderen Fuß zu wiederholen.
Yanna lächelte daraufhin breit und setzte sich auf die freie Bank neben Aurea. Der Adel machte es einem schwer, die Etikette einzuhalten. Kaum, dass sie saß, blickte sie neugierig auf, wie sich Leonora nun entscheiden würde und zog sich dabei Schuhe und Brogais aus - die Wadenwickel hatte sie bereits in ihrer Kammer zurückgelassen.
Auf Aureas Worte hin löste Leonora schnell die Verschränkung der Arme, um keinesfalls den Eindruck aufrechtzuerhalten, sie schäme sich ihrer Nacktheit. Dennoch war ihr eine gewisse Verlegenheit anzusehen. Da Firin sie zur Wahl ermuntert hatte, stieg sie in die erste, bereits gefüllte Wanne. Bevor ihr das Wasser einen wohligen Seufzer entlocken konnte, tauchte Leonora ihren ganzen Körper mitsamt Kopf unter Wasser und hielt sich etliche Herzschläge untergetaucht. Lediglich ihr Haar, das aus der Flechtfrisur gelöst und leicht lockig war, trieb auf dem Wasserspiegel des Zubers.
Da die Entscheidung nun gefallen war, lehnte Yanna ihr Schwert gegen die Bank. Rasch zog sie sich das Leinenhemd über den Kopf und entblößte ihren muskulösen Leib. Zwischen ihren flachen Brüsten baumelte ein im Licht des großen Feuers im Kamin silbrig funkelnder Schmuckstein, als sie sich die Bruche abstreifte. Am auffälligsten waren jedoch neben manchen Narben auf Oberkörper und Rücken zwei streifenartige Male auf beiden Oberschenkeln, wo die Haut blasser wirkte.
“Ihr könnt Euch nun ebenfalls umziehen, Hoher Herr”, meinte die Reisige fast etwas provokant zu Firin und erhob sich, um ihm Platz zu machen.
Nachdem sie ihre Stiefel ausgezogen hatte, streifte Aurea auch ihre Reithose und ihr Leinenhemd ab. Bei ihrem eher kleinen Wuchs wirkte sie nicht übermäßig kräftig, sondern viel eher drahtig und dennoch weiblich. Im warmen Schein des Feuers zeichneten sich feine Narben auf der hellen Haut ihrer Arme ab.
Solang Leonora untergetaucht im Zuber saß, konnte weder Yanna noch Aurea zu ihr ins Wasser steigen und so fiel der Blick Aureas auf die streifenartigen Male an den Oberschenkeln der Reisigen.
Die Albernierin schien den Seitenblick jedoch entweder zu übersehen oder zu ignorieren. Stattdessen gab der Landwachter Antwort: "Habt Dank! Dann wollen wir das mühsam geheizte Wasser nicht über Gebühr warten und abkühlen lassen!"
Mit wenigen zielstrebigen Bewegungen entledigte sich nun auch Firin seiner Kleider und faltete sie, den Damen zunächst nur den Rücken und seinen stramm geformten Allerwertesten zukehrend, rasch notdürftig zusammen. Dass es keine Scham war, die ihn zu diesem Verhalten nötigte, offenbarte sich erst, als er völlig entblößt vor den anderen aufgebaut durch die Schwaden hindurch nach seinem Platz Ausschau hielt. Zu verbergen hatte er nichts - wenigstens nichts Unansehnliches. Sein schlanker und zugleich muskulöser Körper kündete von den jahrelangen und stets fortgeführten ritterlichen Leibesübungen, die wenigen Narben, darunter nur eine größere an der linken Schulter, von seinem Geschick oder auch nur Glück in den Schlachten, die der Landwachter trotz seines jungen Alters bereits durchstanden hatte. Auffällig war der zierliche Ring, der sich an einer weit gröberen, silbernen Kette baumelnd im durchaus üppigen Brusthaar zu verstecken suchte, im Feuerschein aber verräterisch hervorblinkte.
"In welchem Zuber wäre denn noch ein Plätzchen für mich?"
Wie es schien, war das eine rein rhetorische Frage, da sich Yanna bereits eindeutig dem Zuber von Leonora zugewandt hatte, noch bevor der Ritter mit dem Ausziehen fertig war. Breit grinsend strich die Albernierin über die aufschwimmenden Haare der Nordmärkerin, um ihr Zeichen zu geben, worauf diese überrascht auftauchte und sich nach einem kurzen Augenreiben im Raum orientierte.
Ihr Blick fuhr Yannas Körper hinauf, dann bewegte sie sich nach hinten, bis ihr Rücken an die Zuberwand stieß. Mit ihrer Hand machte sie eine einladende Bewegung in Richtung des Wassers vor ihr, so dass Yanna über den Rand des Zubers zu ihr stieg.
Die Albernierin hatte noch immer einen Beutel in der Hand und klaubte - noch stehend - ein Stück Seife daraus hervor. Erst dann ließ sie ihr Waschzeug außen neben den Zuber fallen und glitt mit angezogenen Knien in das dampfende Wasser.
Leonora wusste nicht recht, ob es die Seife oder Yannas eigener Geruch war, als ein angenehmer Hauch sie streifte. Dann war der Moment verflogen und die Albernierin reichte Leonora durch die Dampfschwaden die Seife. Diese zögerte kurz, nahm dann die Seife entgegen und verharrte dann wartend, während ihr nun deutlich der aromatische Duft von Wacholder in die Nase stieg. Dessen kraftvollen, waldigen Geruch fügte eine weitere Zutat eine vermittelnde Note hinzu. Bevor Leonora jedoch das Kraut benennen konnte, meinte Yanna: “Bedient Euch ruhig…”, und schob dann nach einem Moment hinterher: “...wenn Ihr mögt.”
Die Freie hatte keine Seife bei der anderen gesehen, aber auch keinerlei Befindlichkeiten das eigene Stück zu teilen. Noch einmal bedachte sie die Nordmärkerin mit einem kurzen, bestärkenden Blick aus ihren blauen Augen, dann schaufelte sich die Reisige Wasser ins Gesicht und über den Haarschopf. Leonora wirkte etwas perplex: “Ach so…” Sie fing an, die Seife in ihren Händen zu drehen.
“Ich hab gewartet, bis Ihr Euch umdreht. Ich dachte, Ihr wolltet, dass ich Euch den Rücken einreibe”, fügte sie erklärend hinzu.
“Das könnt Ihr dann später gerne machen. Ich muss noch die Zöpfe öffnen. Also bitte”, lud die Albernierin ein.

“Wollt Ihr zuerst einsteigen? Ich warte auch gerne, bis Ihr Euch einmal ganz gewässert habt.” zeigte Firin sich Aurea gegenüber weiterhin galant.
“Nur hinein mit Euch ins warme Nass. Die nächsten Tage wird die Reinlichkeit gewiss weit erfrischender ausfallen.” Er nutzte die Zeit noch, ein bereits gut abgewetztes und von zahllosen Schrunden durchzogenes Stück gräulicher Seife herauszunesteln, dem vom Anblick niemand unterstellt hätte, dass neben den offensichtlichen Zutaten Holzasche und Schaffett auch wohlriechendes Heidekraut Eingang in den Siedetopf gefunden hatte.
Die Richtwalderin sah kurz etwas verwundert zu Firin, immerhin fehlten noch die vom alten bestellten Eimer mit weiterem Wasser. Immerhin befand sich bisher nur das heiße Nass aus dem Kessel im Zuber.
Solange sie noch auf den Knecht warten musste, holte Aurea ein blumig duftendes Stück Seife aus einem Ledertuch.

Kurz darauf kam der junge Knecht mit einem randvoll gefüllten Eimer Wasser in das Zimmer gelaufen, den er mit angewinkelten Armen schleppte. Man sah, dass er mit dem Gewicht zu kämpfen hatte. Als er die hohen Gäste passierte, lächelte er Leonora freundlich zu und stellte den Eimer dann mit einem erleichterten Seufzen vor dem Kamin ab. Dann rannte er sogleich wieder nach oben.
Der alte Mann, der die Gäste weitestgehend zu ignorieren schien, nahm den Eimer und füllte den Inhalt in den Kessel, was dieser mit einem lauten Zischen und einem Schwall weißen Dampfes quittierte.
Kurz darauf nahm der Knecht den Kessel vom Feuer und schleppte ihn, die Anwesenden ignorierend, unter Ächzen zum Zuber, wo er diesen langsam entleerte.
Als er damit endete, kam auch schon wieder der Junge angewetzt und trug den letzten geforderten Eimer zur Feuerstelle.
Während der Alte den Kessel wieder über das Feuer hängte, fuhr er den Jungen barsch an:
“Los jetzt, geh und schab’ den Damen und Herren die Seife!”
Hadmar nickte kurz und holte einen milchigen, faustgroßen Klumpen von der kleinen Ablage neben dem Kamin. Dazu ein Messer und zwei kleine hölzerne Schüsseln. Er suchte sich einen freien Platz auf einer Bank, setzte sich und schnitzte von dem Klumpen hastig kleine Streifen in die Holzschüsseln, während ein lautes Zischen und erneuter Dampf davon kündigte, dass auch der zweite Wassereimer in dem Kessel gelandet war.
Keine Minute später stand der Junge vor dem Zuber, in dem Leonora und Yanna saßen und er stellte die Holzschüssel auf dem Wasser ab, ohne die beiden anzublicken. Er gab dieser noch einen kleinen Schubs, legte seine Arme verschränkt auf dem Rand des Zubers ab und sah der Schüssel mit einem zufriedenen Lächeln dabei zu, wie sie langsam über das Wasser trieb und sich Leonora näherte.

Irritiert blickte Yanna den Jungen an und war fast versucht, ihn mit einem Schwall Badewasser nass zu spritzen, als Leonora genau dies tat: mit dem Handballen und einer präzisen, knappen Bewegung setzte sie genau soviel Wasser in Bewegung, dass Gesicht und Hemdkragen von einem nassen Schwall übergossen wurden.
Die Ritterin verlor keine Zeit und kam auf die Füße. Ihr Oberkörper durchbrach die Wasseroberfläche, ohne diese sonderlich aufzuwühlen. Beiläufig schnappte sie sich die Wasserschüssel. Tropfend und den Jungen um mehrere Haupteslängen überragend, kam Leonora unmittelbar vor diesem zu stehen und blickte auf ihn herab. Ihre Miene war von gelassener, überlegener Strenge, als sie ihm die Wasserschüssel reichte.
Spät bemerkte sie, dass die Schüssel nicht leer war, sondern voller Seifenspäne. Der Junge hatte ihr nur die Seife geben wollen! Peinlich berührt errötete Leonora. Um sich aus der Situation zu retten, ergänzte sie noch ein “Danke!”, um ihm dann demonstrativ Yannas Seife zu zeigen.
Der Albernierin entfuhr ein amüsierter, glucksender Laut, während der Knabe mit triefnassen Oberhemd an dem Zuber stand und mit weit aufgerissenen Augen Leonora anstarrte, während sein Mund immer wieder auf und zu klappte, ohne jedoch einen Laut von sich zu geben.
“Ich nehme sie für meine Haare… dann ist sie nicht verschwendet.”
Auffordernd streckte die Freie ihre Hand nach der Seifenschale aus, die der Junge ihr, noch immer sprachlos, reichte. Seine Augen schien er jedoch nicht von der jungen Ritterin, die splitternackt und hoch aufgerichtet vor ihm stand, abwenden zu können.

Derweil schleppte auch der alte Knecht seinen Kessel wieder zum zweiten Zuber. Als er diesen von einem Stöhnen begleitet mit der Zange über den Rand hob, ergoss sich das heiße Wasser in die große Wanne.
Zufrieden blickte er über den Rand und nickte.
“Die Herrschaften können. ‘s ist fertig.”

Die Richtwalderin ließ sich das nicht zweimal sagen und stieg sogleich unerschrocken in den warmen Zuber. Sie ließ sich ins Wasser sinken und tauchte ebenfalls kurz unter. Als sie wieder auftauchte, strich sie sich die Haare aus dem Gesicht. Anschließend zog sie die Beine an und machte damit Firin im Zuber Platz.
Als sie begann sich mit ihrer Seife abzureiben, verbreitete sich ein angenehm blumiger Duft in ihrer Umgebung.
Firin ließ sich nicht zweimal bitten und stieg zu Aurea in den Zuber, sobald diese wieder aufgetaucht war und ihre Beine eingezogen hatte. Anders als sie fing er aber nicht an, sich sofort zu waschen, sondern lehnte sich erst einmal zurück, schloss für einige Momente versonnen die Augen und genoss die Woge warmer Entspannung, die durch seinen Körper ging.
“Glotz nicht so, du Taugenichts! Für den anderen auch!”,
rief der ältere Mann zu dem kleinen Burschen, der noch immer vor dem Zuber der beiden Damen stand und Leonora verdattert ansah, aufgrund des Rufens jedoch aus seinem Tagtraum zu erwachen schien und mit dem anderen Holzschälchen in der Hand die zwei Schritte zum Zuber machte, in dem sich gerade Firin niederließ. Hektisch beugte er sich über den Rand und stellte die kleine Schüssel mit den Seifespänen auf dem Wasser ab, wo es zwei-, dreimal bedrohlich hin und her wankte und beinahe zu kippen drohte, ehe es endlich stabil auf dem heißen Wasser schwamm.
Erleichtert blickte Hadmar zu Aurea, als ihn ein Schlag mit der flachen Hand auf den Hinterkopf traf:
“Du sollst nicht glotzen!”,
sagte der ältere Knecht leise, was beinahe noch bedrohlicher klang als sein vorheriges Rufen.
“Und jetzt troll dich!”
Hadmar ließ sich das nicht zweimal sagen und nahm die Beine in die Hand. Ohne einen weiteren Blick zurück rannte er aus dem Zimmer.
Der ältere Knecht schüttelte den Kopf und schritt dabei ebenfalls von dannen, um die Zange wieder neben dem Kamin aufzuhängen. Dabei murmelte er:
“Nichtsnutziger Bastard…”,
vor sich hin, was zumindest Firin, der noch neben dem Zuber stand, verstehen konnte.

Sich die Arme einseifend sah Aurea hinüber zum anderen Zuber und damit zu den beiden anderen Damen ihrer kleinen Schaar. “Wie gut findet ihr euch im Wald zurecht?”, erkundigte sie sich in Vorbereitung auf ihre bevorstehende Queste.
"Geht so…”, murmelte Firin. Dann schlug er die Augen auf und korrigierte seine erste Tiefstapelei. “Nein, eigentlich ganz gut. Ich stamme von der Westflanke der Ingrakuppen und habe in der Gegend auch Pagen- und Knappschaftszeit verbracht. Da gibt es Berge und viel, viel Wald. Aber ich habe inzwischen gelernt, dass jeder Wald anders ist... und seine eigenen Geheimnisse und Gefahren birgt. Die hiesigen kenne ich noch nicht so gut... oder auch gar nicht." Mit diesen Worten lehnte er sich wieder zurück.
Yanna hatte mittlerweile wie angekündigt ihren Rücken der Nordmärkerin zugewandt, welche sich in der Zwischenzeit eingeseift hatte und nun dasselbe mit Yannas Rücken machte. Ihre Hände massierten die Seife in die Haut. Die Bewegungen folgten den Muskelsträngen entlang der Wirbelsäule und im Nacken und wurden kräftig und zügig ausgeführt. Leonora blickte konzentriert auf den Rücken der Frau vor sich, doch ein Seitenblick zu Firin verriet, dass ihre Aufmerksamkeit auch bei dem war, das die anderen zu erzählen hatten.
Die Albernierin genoss die Berührungen der anderen und nahm entspannter als zuvor den Faden Aureas wieder auf: “Ich komme zurecht… ich bin aber keine Waldläuferin und vollkommen ungeübt in der…”, sie stockte kurz, “höfischen Jagd.”
"Da das, was uns bevorsteht, wahrscheinlich nur randlich mit höfischer Jagd zu tun haben dürfe, wird Euch die fehlende Übung darin kaum zum Nachteil gereichen. Und wir werden ja einen mit der Gegend bestens vertrauten Führer bei uns wissen, der gewiss gut auf uns Acht haben wird." Es war nicht auszumachen, ob mit den letzten Worten ein Unterton in Firins Stimme schwang, oder seine Stimmfarbe nur daran litt, dass er sich just sich in diesem Moment ein wenig tiefer ins Wasser gleiten ließ, um sein Gesicht in selbiges einzutauchen. Yanna wartete bis Firin wieder aufgetaucht war und fragte dann in die Runde: “Wie heißt der Jagdmeister der Baronie eigentlich?”
Ihr war zwar nicht entgangen, dass Aurea bestens mit den Verhältnissen hier vertraut war, allerdings wollte sie wissen, ob auch der Knecht aufmerksam mithörte und sah sich nach ihm um.
Dieser verräumte noch die Utensilien, welche er zum Anfeuern und Erhitzen des Badewassers benötigte. Dabei entfuhr ihm manches Mal ein leises Stöhnen. Aber er schien die Herrschaften nicht zu beachten.
"Der Bruder der Baronin?" Firin zuckte die Achseln. "Gute Frage." Der Landwachter musste einräumen, von der Besetzung der Hofämter der Nachbarbaronien herzlich wenig Ahnung zu haben. Sein Blick richtete sich fragend zu Aurea, die sich von ihnen allen am besten in Schnakensee auskannte.
“Ich glaube, er heißt Helmbrecht”, äußerte die Richtwalderin.
Dankbar nickte die Albernierin Aurea zu und wandte sich dann nochmals direkt an den alten Mann: “Kannst du mir sagen, wer Emina ist und wo ich sie finde?”
Doch auch auf die direkte Ansprache Yannas reagierte er nicht. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass er angesprochen wurde.
“He da, guter Mann!”, hob die Freie nun ihre Stimme, "Wie ist dein Name und kannst du mir sagen, wo ich nachher Emina finde?”
Ob der Lautstärke schreckte der Knecht auf und drehte sich langsam in Richtung der Zuber. Ungläubig blickte er zu Yanna und richtete den Zeigefinger seiner rechten Hand auf seine nackte, vom Schweiß glänzende Brust. Mit Verwunderung in der Stimme sprach er die junge Albernerin an:
“M…meint ihr mich, Herrin?”
Als Yanna nickte und er sah, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren, schlich sich Unwohlsein in sein Gesicht. Er versuchte, die hohen Herrschaften nicht direkt anzublicken, also sah er zu Boden, rieb sich seine Hände und begann zu sprechen:
“Emina. Is’ die Gehilfin vom Truchs’. Schreibt für ihn und hilft ihm bei…bei allem. Sie wird in der Schreibstube sein, nehm’ ich an, Herrin.”
Dann stand er schweigend da, blickte weiterhin zu Boden und schien darauf zu warten, ob man noch weitere Fragen an ihn richtete.
“Dank’ dir”, gab Yanna zurück. “Wie ist dein Name?”, fragte sie wieder in gemäßigtem Tonfall.
“Ähm…Rambert, Herrin”,
antwortete er kleinlaut und schien es nicht zu wagen, aufzublicken.
“Danke für deine tüchtige Arbeit, Rambert…”, meinte Yanna, der es unangenehm war, als Herrin bezeichnet zu werden.
“Ich bin im Gegensatz zu den Herrschaften im anderen Zuber eine Freie”, stellte sie klar, wurde sich aber bewusst, dass sie den Stand von Leonora gar nicht kannte. Mit einem abschließenden Nicken zu Rambert, wandte sie sich zur Nordmärkerin um, die mittlerweile auch schon mit dem Einseifen fertig geworden war und fragend die Augenbrauen hob.

Der Knecht antwortete noch knapp:
“D…danke, Herrin!”,
dann ging er hastig mit gesenktem Kopf aus dem Zimmer und man konnte hören, wie im Flur eine weitere Türe geöffnet und kurz darauf wieder geschlossen wurde.

"Wenn die Schreiberin dem Truchsess bei allem hilft, müsste sie wohl über alles Bescheid wissen und könnte dann auch gleich in der Karte, die sie für uns verstellen soll, vermerken, von wo überall diese Zwischenfälle, die wir untersuchen, gemeldet worden sind", überlegte Firin laut. "Vielleicht hilft uns dies noch bei unserer Suche."
“Ja, vielleicht sprechen wir sie einfach beim Abendessen an?”, schlug Yanna vor und begann, Leonoras dargebotenen Rücken einzuseifen.

Aurea die gerade dabei war, ihre Haare zu waschen, blickte zum anderen Zuber hinüber. "Ich denke, das ist eine gute Idee, je eher desto besser." Damit holte sie Luft, tauchte unter und spülte ihr eingeseiftes Haar aus. Als sie wieder auftauchte, fuhr sie fort: "Dann bleibt mehr Zeit, die Aufgabe zu erledigen und wir werden morgen nicht unnötig aufgehalten."

“Habt Ihr den Eindruck, dass nach all der Zeit besondere Eile angebracht ist, Wohlgeboren?”, fragte die Freie hinter Leonoras Rücken.

Der Schaden war bereits angerichtet und besonders schwerwiegende Vorfälle hatte es bisher scheinbar nicht gegeben. Damit war aller Wahrscheinlichkeit nach wohl kaum dringend zur Eile geraten, aber weder hatte sie Interesse länger als nötig zu bleiben, noch wollte sie, dass wer auch immer zum Problem für das Gut Richtwald wurde.
"Je schneller dies Übel beseitigt ist, desto schneller kann die Bevölkerung wieder unbeschwert seinem/ihrem Tagewerk nachgehen”, gab sie der Freien jedoch die eher unverbindliche Antwort.

"Das Ritterleben ist voller gewichtiger Aufgaben - jede einzelne sollte bei der ihr jeweils gebührenden Tiefe so zügig wie möglich erledigt werden", meldete sich Firin, der sich eigens dafür so weit aufgesetzt hatte, um über den Zuberrand zu den anderen spähen zu können, zu Wort.
"Im Sinne der jeweiligen Aufgabe selbst als auch der anderen, die wegen dieser warten müssen." Wohlig seufzend lehnte er sich danach wieder zurück, bis das warme Wasser ihm wieder knapp unter die Unterlippe reichte. Ja, je eher die Sache bewältigt war, desto eher konnte er sich wichtigeren Herausforderungen stellen...

Zum Abschluss strich Yanna noch einmal Leonoras Rückgrat entlang bis zum Nacken und schlug zweimal leicht auf deren Schulter - als Zeichen, dass sie mit dem Einseifen fertig war.
Die Ritterin reagierte zwei, drei Herzschläge gar nicht, um dann umso eiliger ein “Danke!”, zu murmeln und das Einseifen von Gesäß und Beinen selbst durchzuführen.
Yanna hielt Leonora dafür das Seifenstück hin und griff selbst nach der kleinen Seifenschüssel, die noch neben ihr schwamm.
“Diese Aufgabe ist immerhin nun abgeschlossen”, knüpfte die Albernierin lose dann an Firins Worte an.
“Wieviele Wegstunden sind es morgen zu dieser Albrunsburg oder besser dem Gehöft davor?”, schob die Albernierin nach und machte sich dann rasch die Haare nass.
Mit geschlossenen Augen lauschte Firin dem Plätschern und Scheuern, das davon kündete, wie sich die anderen längst eifrig wuschen. An und für sich sollte er sich auch langsam dazu bequemen. Das warme Wasser umschmeichelte ihn aber einfach zu sanft und wohltuend. Nur noch ein bisschen... Für die anderen mochte der Ritter beinahe schläfrig wirken, doch verfolgte er durchaus aufmerksam das Gespräch.
“Zwei bis drei Stundengläser”, merkte Aurea beiläufig an. Hier war der Weg noch recht gut und etwas breiter, doch je weiter sie sich von Schnakensee entfernten, desto seltener wurde die Wege genutzt und waren deshalb auch schlechter gangbar.
“Also dann…”, gab Yanna zurück und seifte sich die Haare ein.
"Fein", vermerkte Firin, ohne seine Augen dabei überhaupt zu öffnen. "Wenn wir mit dem ersten Hahnenkrähen aufstehen, können wir uns sogar noch ein Frühstück gönnen und dennoch bereits weit vor der Mittagsstunde da sein..."
“Das hängt ganz davon ab, was Ihre Hochgeboren uns gegenüber noch äußert. Als Vorsatz, würde ich es allerdings so erstmals stehen lassen”, bestätigte die Richtwalderin.
“Mit leichtem Gepäck also…”, sinnierte Leonora, mehr zu sich selbst als an die anderen gerichtet.
Inzwischen hatte sich die Albernierin beeilt, die rotblonde Mähne wieder auszuwaschen. Tropfend erhob sie sich nun aus dem Wasser und angelte aus ihrem Waschzeug neben dem Zuber ein dünnes, zerschlissenes Leinentuch, mit dem sie sich abzutrocknen begann.
Firin dagegen gab noch immer keine Anzeichen von sich, mit dem eigentlichen Waschvorgang zu beginnen, geschweige denn, sein Bad abschließen zu wollen.
Leonora hatte sich an den Badewannenrand gelehnt, den Kopf in eine halbwegs bequeme Position gebracht und die Augen mit einem Lappen bedeckt. Sie schien den Aufenthalt im Wasser zu genießen, oder sogar etwas zu dösen.
Trotz gegenteiliger Aussage, machte es den Eindruck, dass das Firin statt eines gemeinsamen Bades lieber die Augen geschlossen hielt. So stand auf Aurea auf, streifte sich das warme Wasser vom Körper und aus den Haaren und tupfte sich mit einem Tuch weiter trocken. Als sie damit fertig war, zog auch sie ein einfaches Leinengewand über, wie die Albernierin, die dies kurz vor ihr getan hatte.
Yanna räumte zügig ihre Habe zusammen und verabschiedete sich mit einem kurzen Gruß bis zum Wiedersehen beim Essen.

An der Tafel

Nach dem gemeinsamen Bad und der Rückkehr in ihre Zimmer dauerte es nicht lange, bis der junge Knecht Hadmar die künftigen Gefährten aufsuchte und sie zum gemeinsamen Mahl im Rittersaal der Baronin bat.
Mit noch feuchten Zöpfen, aber ordentlich hergerichtet, folgte Yanna dem Jungen. Beim Weg über den Hof fragte sie sich, wie der Landwachter in der verbliebenen Zeit so schnell fertig geworden war.
Tatsächlich war dessen Haar weit davon entfernt, trocken zu sein, und wie gründlich seine Wäsche gewesen war, würde sich wahrscheinlich erst am nächsten Tage, wenn es erstmalig schweißtreibend würde, erweisen. Jetzt trug Firin eine blau gefärbte wildlederne Tunika, unter der eine an den Oberschenkeln recht weit ausladende, wollene Hose hervorlugte, nur um gleich unter den Knien in seinen Stiefeln zu entschwinden. Trotz des engen, nur durch eine Schlitzung im Kehlbereich überhaupt für das Haupt durchdringbaren Halsausschnitts war das Schimmern der silbernen Kette, die er unter der Tunika trug, zu erkennen. Offensichtlich hatte sich der Ritter sputen müssen, was aber seiner Laune keine
n Abbruch tat - ein heißes Bad und die Aussicht auf ein Mahl hatten jegliche Trübnis aus seinen Gedanken verjagt - wenigstens für diesen Moment.
Als Aurea von Richtwald in den Saal kam, trug sie eine lockere, moosgrüne Tunika und hatte ihr mittellanges Haar mit einem Lederband zusammengebunden. Ihre Gewandung war einfach, doch von guter Qualität. Lediglich ihr Wappen über der linken Brust, sowie eine silberne Kette mit Anhänger schmückten sie. Doch auch wenn ihre Kleidung nun deutlich legerer anmutete, trug sie noch immer ihr Langschwert an der Seite.
Die Ritterin aus Kaldenberg erschien in höfischer Tracht im methumiser Landsknechtsstil: Ein Mieder mit Bluse, die ihren Busen schön zur Geltung brachten, ohne allzu rahjagefällig zu sein, dazu ein kurzer Rock über enganliegenden Beinlingen und flache Schnallenschuhe. Selbstverständlich hatte sie ihre Seitenwaffe gegürtet, einen Kusliker Säbel. Leonoras Haare waren noch etwas klamm, aber wieder in eine Flechtfrisur eingefasst.
"Ah, nach so einem Bad fühlt man sich doch gleich wie neugeboren", eröffnete Firin das Gespräch, während sie noch auf die Baronin warteten.
Yanna überließ es den beiden anderen auf die Feststellung des Landwachters zu antworten und sah sich derweil aufmerksam im Saal um.
Die Tafel, welche man für den mittäglichen Empfang noch an die Wand geschoben hatte, stand nun inmitten des Rittersaals. Der Tisch bot wohl für knapp zwei Dutzend Personen Platz, doch standen nur am Kopfende einige Stühle bereit. Eine Magd mittleren Alters platzierte dort gerade einige Holzbrettchen und Krüge. Neben ihr stand der Verwalter der Baronin und schien die Anzahl der Gedecke zu prüfen. Als die Magd gerade den sechsten Krug vor einem der Stühle abgestellt hatte, machte Jasper von Niedersprötzingen eine schneidende Handbewegung und die Magd verabschiedete sich mit einem Knicks.
Der alte Mann stand sodann alleine an der Tafel und rieb sich sein Kinn, während er grübelnd auf den nur spärlich gedeckten Tisch blickte. Er schien die Ankömmlinge noch nicht bemerkt zu haben.
Nur sehr beiläufig und aus reiner Höflichkeit pflichtete Aurea dem Ritter bei. Viel mehr war sie daran interessiert, zu erfahren, welche weiteren Einblicke ihnen das gemeinsame Mahl wohl bescheren wird.
“Sind wir doch zu früh?”, wunderte sich Firin angesichts des noch recht spärlich bestückten Tisches im Flüsterton. “Aber es wurde doch bereits nach uns geschickt?” Er war sich sehr bewusst, dass diese Gegend mindestens genauso ärmlich war wie Ambelmund. Aber geladenen Gästen gegenüber ließ man sich dort trotzdem nicht lumpen.
“Wo ist die Schreibstube, Hadmar?”, fragte Yanna den Jungen leise, der sich gerade wieder zum Gehen wenden wollte.
“Äh, wer…wohnt denn dort?”,
fragte Hadmar zaghaft.
“Ich weiß das nicht… “, runzelte die Albernierin verwirrt die Stirn, “ich habe gefragt, wo sie liegt, da du hier zu Hause bist.”
Fragend blickte sie nochmals den Jungen an, der rot anlief und mit den Schultern zuckte.
Jasper von Niedersprötzingen schien die Ankömmlinge dann bemerkt zu haben, denn er wandte seinen Kopf zum Eingang und lachte kurz freudig auf, wonach er mit seiner leiernden Stimme sprach:
“Haha, da sind ja die tapferen Recken, näch?!?”,
er rieb sich seine Hände, so als empfinde er große Vorfreude, ehe er zu winken begann.
“Kommt her, kommt her! Es wird gleich Braten geben!”
Hadmar hingegen nutzte die Gelegenheit und stahl sich davon.
“Wer wohnt in der Schreibstube?”, echote Leonora leise mit Grübelfalten in der Stirn, in Richtung Yanna gebeugt, doch die schüttelte nur unmerklich den Kopf.
“Niemand”, gab die Albernierin nur knapp und ebenso leise zurück.
Braten, das war doch ein Wort. Firins gute Laune war wiederhergestellt. Wenn es Braten gab, brauchte es gar nicht mehr so viel anderes. "Ihr hättet besser nach dem Ort gefragt, an dem Leute Tierhäute mit farbgetränkten Federn kitzeln..."
“Ein geflügelter Spruch aus Eurer Heimat, Hoher Herr?”, fragte die Reisige wieder halblaut, um vom vorangegangenen Tuscheln mit Hadmar und Leonora abzulenken. Dabei kam sie der Aufforderung des Truchsessen nach und ging langsam nach vorne.
"Aus welcher wohl?" entgegnete Firin, der es ihr direkt gleich tat, leise. "Nein, im Ernst. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Skriptorin tatsächlich in der Schreibstube wohnt. Immerhin ein trockener und des Winters nicht gar so wind- und kältedurchtoster Raum. Es wäre eine Schande, diesen nächtens ungenutzt zu lassen."
“Die Skriptorin?”, fragte eine zunehmend verwirrte Leonora flüsternd, während sie ebenfalls nach vorne trat und sich für eine Seite der langen Tafel entschied, nachdem der Truchsess keine Anforderung machte, ihnen Plätze zuzuweisen.
Yanna antwortete ihr nicht, schlug aber zumindest den gleichen Weg wie Leonora ein, da sie davon ausging, dass sich die Heiternacht in feiner Gesellschaft zu bewegen wußte, so wie sie gekleidet war. Offenbar sollten die Gäste aber ohne den übrigen Hof bewirtet werden, was Yanna zu denken gab: Entweder war ihre Isolation beabsichtigt oder die delikate Natur des Auftrags sollte verschleiert werden. Oder beides. Dabei gab es nichts geheim zu halten, höchstens vor ihresgleichen. ‘Der Kopf ist so wichtig wie der Schwertarm’, ermahnte sie sich still, nicht in ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen, selbst wenn die Aufgabe geringfügig erschien. “Werdet Ihr und Hochgeboren mit uns speisen, Achtbarer Herr?”, fragte die Reisige den Truchsessen direkt, um das Versteckspiel zu beenden und Klarheit über den Verlauf des Abends zu gewinnen.
Wenige Herzschläge lang wartete Firin noch, um dem Truchsessen eine weitere Gelegenheit einzuräumen, ihnen von sich aus die Plätze zuzuweisen. Als Yanna und Leonara am Tisch angekommen waren, zögerte aber auch er nicht länger und begab sich zur gegenüberliegenden Längsseite der Tafel. Dort erkor er sich den Platz aus, den er neben der Baronin vermutete, ließ sich aber noch nicht nieder.
Auf die Frage der Albernierin hin, zogen sich die Augenbrauen des Truchsess’ zusammen und er wog langsam seinen Kopf hin und her.
“Ich selbst, jaja…hmmm…ihre Hochgeboren lässt sich allerdings entschuldigen, sie ist direkt nach der Besprechung aufgebrochen…nach Kranick. Duldet keinen Aufschub.”
Er hob entschuldigend die Arme, ehe er kaum spürbar schwankte und sich dann an der Lehne eines Stuhls festhielt.
“Wenn es den Herrschaften genehm ist, würde ich allerdings meine Gehilfin noch zu uns an die Tafel bitten.”
Er sah mit zusammengekniffenen Augen fragend in die Runde.
“Sehr genehm”, griff Yanna sogleich seine Worte auf, da sie es begrüßte, eine weitere Freie bei Tisch zu wissen. Dass die Baronin nicht zugegen sein würde, war bedauerlich, aber nicht unbedingt verwunderlich. Es war der Truchsess selbst gewesen, der die Wichtigkeit der Aufgabe bei der Besprechung vorhin besonders hervorgehoben hatte, und auf den Jagdmeister verzichten zu müssen, war, bis er ihr das Gegenteil bewies, erst einmal kein Verlust.
Ohne die Antwort von Yannas Begleitern abzuwarten, rieb er sich freudig die Hände und murmelte:
“Gut, gut!”,
vor sich hin. Dann räusperte er sich und rief krächzend über seine Schulter:
“Irike! Holst die Emmi…äh…die Frau Eibenbruch…hehe!”.
Dann wies er mit der Hand auf die spärlich gedeckten Plätze, von denen sich je drei gegenüber befanden:
“Setzt euch, setzt euch!”,
ehe er selbst gemächlich den ersten Stuhl auf der rechten Tischseite umrundete und sich unter Stöhnen und Ächzen langsam auf die Sitzfläche sinken ließ. Der Platz am Kopf des Tisches, wo man die Baronin vermuten würde, war nicht gedeckt.
Firin versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, und nur ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel verriet, dass eine abendliche Runde mit dem Truchsessen in seinen Augen nur ein unzureichender Ersatz für die Gesellschaft der Baronin war. Vielleicht war diese Frau Eibenbruch ja noch etwas klarer und ihr angenehmer zuzuhören als ihrem Meister. Der Landwachter straffte sich innerlich ebenso wie Leib und Züge und erbot sich galant, Aurea den Stuhl an seiner Seite zurückzuschieben. Bereits in der Geste wurde ihm gewahr, dass dies unter Rittersleuten merkwürdig anmuten könnte, doch gab es nun kein Zurück mehr.
Aurea hingegen fiel noch ein weiterer Grund dafür ein, dass sie nicht in Gesellschaft der Burgbewohner aßen. Was wäre, wenn diese nicht sehen sollten, dass den Gästen opulenter aufgetafelt wurde, als sie es gewöhnt waren. Und was wäre, wenn Ihre Hochgeboren aufgebrochen wäre, um in Kranick um dringend benötigte Geldmittel zu bitten. Auch wenn die klammen Kassen Kranicks dafür wohl denkbar ungeeignet waren. Der Höflichkeit gebietend, wäre es allerdings schöner gewesen, wäre die Baronin gemeinsam mit ihnen am nächsten Morgen aufgebrochen.
Nach einigen Minuten betrat eine Frau den Raum durch den hinteren Durchgang, welcher zum Treppenhaus führte. Sie war nicht klein, jedoch recht korpulent. Ihre rötlich-braunen, leicht lockigen Haare hatte sie hochgesteckt, sodass ihr Gesicht noch rundlicher wirkte. Sie trug ein einfaches, hellbraunes Leinenkleid mit langen Ärmeln, die sie bei jedem Schritt ihres leicht watschelnden Ganges um ihren breiten Hüften schwang. So konnte man gut sehen, dass sie etwas in ihrer rechten Hand hielt.
Ihr Gesicht war hochrot angelaufen und als sie auf die Tafel zukam, setzte sie ein freundliches Lächeln auf, das beinahe schüchtern wirkte. Ihr Alter war schwer zu schätzen, zeigten sich zwar kaum Falten in ihrem Gesicht, jedoch konnte man bei genauem Hinsehen schon erste graue Strähnchen in ihren Haaren entdecken.
Sie blieb kurz vor dem Tisch stehen, pustete durch und deutete eine Verbeugung an.
“Hohe Damen und Herren!”,
sprach sie in die Runde und so wurde auch Jasper auf sie aufmerksam. Er drehte seinen Kopf so weit es ging in ihre Richtung und schien erfreut:
“Ah…Emina…hehe. Schön, dass du kommst. Setz’ dich, setz’ dich!”,
er wies auf einen der freien Plätze.
Sie trat noch einen Schritt an den Truchsess heran und hielt diesem eine kleine Papierrolle entgegen:
“Die…Karte. Für die Herrschaften. In der gebotenen Eile.”
Jasper wirkte kurz ab, wohl mehr zu sich selbst, bevor er nach der Rolle griff und antwortete:
“Hätt’ ich vergessen! Fein, fein. Danke, meine Liebe!”
Die Rolle reichte er direkt an Firin weiter:
“Hier, nehmt!”
Der Landwachter nahm sie dankend entgegen und begann direkt damit, diese auszurollen. Leonora beugte sich zu Yanna herüber und flüsterte ihr fragend zu: “Dann ist DAS die Skriptorin?”
“Ja”, flüsterte die Albernierin zurück. Ganz egal wie die Karte wohl aussah, wenn Emina von Eile sprach: Yanna war davon überzeugt, dass die Papierrolle ihnen noch gute Dienste erweisen würde. Vielleicht konnte sie sogar etwas Unabhängigkeit vom Jagdmeister bedeuten. Oder von Aurea.
Firin hatte die Karte inzwischen hinreichend gebändigt, um diese auf dem Tisch so ausbreiten zu können, dass sie alle vier darauf schauen konnten. “So, was haben wir denn da alles…?” murmelte er leise vor sich hin.
“Werte Dame, habt Dank für die rasche Arbeit”, nickte Yanna der Skriptorin freundlich zu und übernahm es selbst, sich vorzustellen. “Ich bin Yanna Faenafir…” Die Albernierin war sich darüber im Klaren, dass sie in der feinen, blauen Cota und dem Linkhand an der Seite nicht sonderlich wehrhaft wirkte inmitten der anderen Herrschaften, deshalb setzte sie erklärend hinzu: “Eine Reisige aus Albernia.”
“Emina Eibenbruch!”,
sprach die Scriptorin schnaufend und deutete einen kleinen Knicks an.
Der Truchsess winkte ihr über die Schulter zu und zeigte sodann auf den freien Platz neben Aurea. Emina nickte stumm, was der alte Mann zwar nicht sehen konnte, aber im Vorbeigehen klopfte sie ihm kurz mit der flachen Hand auf die Schulter.
Als sie schließlich, noch immer etwas außer Atem, neben Aurea Platz nahm, lächelte sie diese freundlich an. Was die Richtwalderin höflich erwiderte.
Jasper nutze den kurzen Moment der Stille, um laut vernehmbar zu rufen:
“Irike, wo bleibt das Bier?”,
wobei von seiner Stimme beim letzten Wort nur mehr ein Krächzen vernehmbar war.
Wieder beugte sich Leonora zu Yanna hinüber. “Ich glaube ja nicht, dass die Skriptorin in der Schreibstube schläft”, kicherte sie mit Seitenblick auf den Truchsess, weiterhin bemüht, den Ton gesenkt zu halten, aber nicht mehr ganz so erfolgreich wie zuvor.
Den Göttern sei Dank ließ das Bier noch auf sich warten. Am Ende hätte er auch noch seinen Mundinhalt auf Tisch und Karte geprustet. So sehr Firin sich auch mühte, sich seine Belustigung nicht anmerken zu lassen, zuckten seine Mundwinkel dennoch mit aller Macht nach oben. Angestrengt beugte der Landwachter sich tiefer über die Karte und tat so, als ob er diese eingehend studierte. Aurea hingegen konnte das Schmunzeln wegen des Scherzes gut in dem freundlichen Gruß an Emina verbergen.
“Was wollen uns denn die Zahlen darauf sagen?”
fragte er nach einigen Momenten, aus Interesse, aber auch als Beleg der Ernsthaftigkeit seines Studiums. Seine Worte halfen Yanna, die die Anzüglichkeit erst recht spät verstanden hatte, sich wieder auf die Karte zu konzentrieren. Sie hatte zwar wie Firin gegen die Belustigung angekämpft, konnte aber ein Grinsen nicht verhindern. Um es zu verbergen, wendete sie sich ab und hustete kurz.
Emina atmete tief ein und räusperte sich dann, ehe sie zu sprechen begann:
“Das sind Tagesreisen. Zu Fuß, hoher Herr!”
Da ihr die Röte noch immer nicht aus dem Gesicht gewichen ist, konnte man nicht ausmachen, ob ihr die Frage unangenehm war.
"Aha, sehr gut! Dann scheint der Weg zwischen... was heißt das hier gleich?..." Firin, der sich inzwischen ganz gefangen hatte, deutete auf den Ort kaltenabwärts von Kaltenstein, den er auf der Karte nur schwer entziffern konnte, "also, diesem Ort da, und Kaltenstein und dann weiter nach Goldeich recht beschwerlich zu sein? Oder weiter, als es auf der Karte aussieht?" Fragend blickte er Emina an.
"Die Wege dort sind schmaler und von schlechterer Beschaffenheit, abgesehen davon verlässt man auf diesem Weg die eher ebene Region und kommt in die ersten Ausläufer des Koschgebirges", stimmte Aurea der Erkenntnis des Landwachters zu, letztlich aus erster Hand, da sie den Weg erst heute in umgekehrter Richtung zurückgelegt hatte.
Emina nickte stumm bei der Antwort Aureas und sah dann erst, dass Firin sie noch immer fragend ansah. Ihr waren die Blicke sichtlich unangenehm, denn sie richtete ihre eigenen Augen sogleich auf die Tischplatte, ehe sie kleinlaut erwiderte:
“Äh…Albrunsburg nach Kaltenstein. Ja. Ist ein schmales Tal entlang der Kalte.”
"Ahja, sehr gut, vielen Dank! Ich denke, die Karte wird uns sicher sehr behilflich sein", lobte Firin nun das Werk der Schreiberin. Für ihr Alter und den Umstand, dass sie dieser Abendgesellschaft beiwohnen durfte, sowie offenbar auch ganz gut zum Truchsessen stand, wirkte sie reichlich verschüchtert, was ihm beinahe leidtat.
"Wenn Ihr jetzt noch so gut wärt, zu markieren, von wo überall in der Baronie, wann und wie oft Euch jeweils von den Diebereien zu Ohren gekommen ist, denen wir nachgehen sollen…?" “Der Hohe Herr scherzt im Moment”, mischte sich da Yanna ein und sprang der Schreiberin bei.
“Dies hat sicher bis zu unserem Aufbruch morgen früh Zeit - jetzt da wir uns hier zum gemeinsamen und traviagefälligen Speisen eingefunden haben… Nicht wahr, Hoher Herr?” Die Albernierin lächelte Firin breit an.
"Gewiss, es sprach ja niemand von sofort", runzelte Firin die Stirn. Hatte die Albernierin ihn so missverstanden?
"Gescherzt habe ich allerdings nicht - diese Informationen könnten in der Tat von großem Wert für die Sache sein. Sie vor unserem Aufbruch morgen einzutragen, genügt indes vollauf." Yanna nickte zufrieden und blickte zu Emina, die nun gütig lächelte.
“Ach, nein, das mache ich später noch, hoher Herr, direkt nach dem Abendmahl. Dann können die Herrschaften in aller Früh aufbrechen.”
Das Gespräch wurde von einem freudigen Ausruf des Truchsess unterbrochen, dem man einen Bierkrug vorsetzte.
Dann ging die Magd reihum, von Sitzplatz zu Sitzplatz, und ein jeder der Gäste erhielt ebenfalls einen Krug auf den Tisch gestellt. Lediglich Emina erhielt keinen, was sie jedoch nicht zu verwundern schien.
Bevor die Magd den Saal wieder verließ, verneigte sie sich leicht neben dem Verwalter der Baronin und sprach diesen direkt an:
“Der Braten wird ebenfalls gleich aufgetischt.”
Jasper von Niedersprötzingen antwortete jedoch nur mit einem knappen Nicken, dann griff er seinen Krug und während die Magd bereits zum Treppenhaus eilte, hob der Truchsess den Humpen an und reckte ihn in die Runde:
“Auf die tapferen Recken und auf den Erfolg ihrer Mission, eheh!”
Leonora hatte sich beim Studium der Karte zurückgehalten, gehörte Lesen doch nicht so sehr zu ihren Stärken. Dafür war sie die erste, die ebenfalls ihren Humpen in die Höhe stemmte und mit dem Truchsess anstieß, bevor auch Yanna und Aurea nachzogen.
"Und auf unsere Gastgeber!", hob auch Firin seinen Bierkrug und schaute beim Prosten reihum allen in die Augen. Bei Emina blieb sein Blick hängen: "Ihr verzichtet auf Euer Bier hoffentlich nicht nur wegen unserer Karte?"
Emina kicherte verlegen vor sich hin und wartete mit einer Antwort, bis Jasper einen kräftigen Schluck genommen hatte, den er danach mit einem laut hörbaren: ”Ah!”, kommentierte. “Nein, nein. Bei dieser Hitze bekommt mir das Bier nicht.”,
sprach die Scriptorin schüchtern.
"Ja, des Bieres Wirkung wird durch die Hitze durchaus potenter", räumte Firin ein.
"Doch vermag ein gutes Stück Braten wiederum dagegen zu helfen." Damit genehmigte er sich einen ersten, kräftigen Schluck.
Auch Yanna nahm einen tiefen Zug, während die Richtwalderin sich vorerst mit einem kleinen Schluck zufrieden gab.

Kurz darauf erschien die Magd Irike wieder und trug ein großes, hölzernes Brett vor sich her, auf dem gut sichtbar ein Schweinebraten dampfte. Die Frau hatte mit dem Gewicht sichtlich zu kämpfen und atmete erleichtert auf, als sie das Brett am Kopfende des Tisches, vor dem Stuhl der eigentlich der Baronin zustünde, abstellen konnte. Ihr nach folgte eine etwas ältere Frau, deren Gang unrund wirkte, so als verspürte sie bei jedem Schritt Schmerzen. Sie trug zwei große Schüsseln, deren Inhalt sich, als sie diese behutsam auf dem Tisch platzierte, als geschnittenes, grobes Dinkelbrot sowie eine ölige, braune, aber würzig duftende Tunke entpuppten.
Der Schweinebraten war in faustgroße Stücke geschnitten, in denen vereinzelte Forken, insgesamt sechs an der Zahl, steckten. Der Braten hatte einen dicken, kross gebratenen Speckrand, während das übrige Fleisch zart zu sein schien.
Jasper von Niedersprötzingen rieb sich freudig die Hände und blickte dann mit zusammengekniffenen Augen in die Runde, während die beiden Küchenmägde kurz warteten, ob einer der Gäste noch ein Anliegen hatte.
Jetzt, da der köstliche Bratengeruch in die Nasen stieg, und der erste Mundvoll Bier in seines Bauches Leere versickerte, erlaubte Firins Magen sich, durch ein vorlautes Knurren darauf aufmerksam zu machen, dass das im Augenblick profundeste Anliegen des Landwachters krustenüberzogen vor ihnen dampfte.
Die Anreichung des Mahles war reichlich rustikal. Auf dem Richtwald werden eher saftige Scheiben vom Reh serviert und am Hof ihrer Schwägerin hielt man es gar liebfeldisch, mit bereits zusammengestellten Portionen, die auf feinem Porzellan serviert wurden. Trotz dieser großen Unterschiede duftete das Essen herrlich und liefert so ein Versprechen im voraus. "Duften tut es schonmal vorzüglich."
“Schmeckt auch so, hehe.”,
krächzte Jasper von Niedersprötzingen und wollte schon nach einer der Forken greifen, die in den Bratenstücken steckten, ehe er innehielt und in die Runde sprach:
“Wir danken der gütigen Herrin für die reichhaltigen Speisen! Wohl bekommt’s!”
Dann hielt er sich nicht mehr zurück und packte eines der Stücke, tunkte es mit dem Griff seiner Forke in die Soße und biss dann herzhaft hinein.
Die beiden Mägde verstanden dies als Zeichen, dass sie bis auf Weiteres nicht mehr benötigt würden und wandten sich zum Gehen.
Die Albernierin hatte - wie auch Firin - mit einem “Traviadank” geantwortet und nickte den beiden Frauen zum Abschied zu. Einstweilen hielt sie sich zurück, beim Fleisch zuzugreifen und ließ anderen den Vortritt. Stattdessen prüfte Yanna den Inhalt des anderen Kruges vor sich, da sie hoffte, dass sich darin Wasser befand.
Firin folgte dem Beispiel ihres Gastgebers und langte ohne jedes Zögern ebenfalls beherzt zu. Jetzt noch Zurückhaltung zu üben oder gar den Damen den Vortritt zu lassen, während der Truchsess bereits fröhlich auf seinem Stück Braten kaute, erschien ihm wie eine unhöfliche Vorführung Jaspers - so rechtfertigte er wenigstens vor sich selbt, dass er nun so ergeben dem Drängen seines Hungers folgte. "Mmmh, sehr gut!", lobte er zwischen zwei Bissen Braten und Tunke. "Genau das richtige, jetzt!"

Nachdem das Mahl beendet war, nahm Emina die Karte an sich und machte sich auf den Weg zur Schreibstube, um die bislang gemeldeten Überfälle einzuzeichnen und die Karte sogleich wieder zurückbringen zu können. Währenddessen räumten die beiden Mägde die Tafel ab. Jasper von Niedersprötzingen streckte sich und wirkte erschöpft.
“Lecker war’s, hehe.”,
sprach er in die Runde und seine Augen schienen bereits halb geschlossen.
“Wenn die Herrschaften mich entschuldigen würden. Lasse mir noch den Rücken einreiben und gehe dann auf meine gute Stube.”
Er unterdrückte sichtbar ein Gähnen.
“Also wenn die Herrschaften kein Anliegen mehr haben…?”,
fragend blickte er von einem zum anderen.
Da sie nicht davon ausging, noch wirklich hilfreiche Informationen erhalten zu können, verneinte die junge Richtwalderin die Frage des Truchsess. “Ich gehe davon aus, dass wir mit Hahnenschrei aufstehen und anschließend zeitnah aufbrechen.”
"So ist es!", pflichtete ihr Firin bei. "Habt Dank für das köstliche und reichhaltige Mahl! So satt wie wir sind, werden wir gewiss rasch und gut schlafen." Mit einem herzhaften Gähnen untermauerte der Ritter seine letzte Aussage. “Ich ganz bestimmt.”
Die träge Zufriedenheit stand dem Ambelmunder Dienstritter gut, fand Yanna und lächelte nicht zum ersten Mal im Verlauf des Essens. Seit der Ankunft wirkte sie nun deutlich gelöster - fast charismatisch.
Kurz überlegte die Albernierin, ob sie den betagten Truchsess nach dem Burgoffizier fragen sollte, verwarf den Gedanken dann allerdings wieder und hoffte, den Mann am nächsten Morgen zu treffen.
“Habt Dank für die Gastung, Achtbarer Herr”, wandte sie sich an Jasper. “Mein Dank gilt natürlich ebenso Hochgeboren…”, beeilte sie sich hinzuzufügen. “Ich wünsche Euch eine gute Nachtruhe.”
Jasper von Niedersprötzingen wirkte zufrieden und hob die Hand, als er sich erhob:
“Jaja, das wünsche ich den Herrschaften ebenso. Ich schicke Hadmar später nochmals in die Garnison, falls jemand noch etwas benötigen sollte.” Dann wandte er sich um, schlurfte aus dem Raum und verschwand im Treppenhaus.

Die Gäste mussten nicht lange warten, bis Emina, die Scriptorin, zurückkehrte. Sie war merklich außer Atem und ihr Kopf erneut hochrot, als sie zum Tisch watschelte, wo man auf sie wartete. Jedoch lächelte sie zufrieden, als sie die zusammengerollte Karte vor Firin auf dem Tisch ausbreitete:
“Ich habe alle Orte, von denen Vorfälle gemeldet wurden, markiert. Das älteste ist von einem kleinen Hof bei Linnebrück, das war vor über einem Götterlauf. Oder noch länger! Hmmm…eher zwei.”
Sie holte mehrfach tief Luft.
“Ja, dann war lange Ruhe und…”,
sie rang hörbar erneut nach Atem, wobei sie ein quietschendes Geräusch von sich gab und sich kurz auf dem Tisch abstützen musste, bevor sie sich wieder aufrichtete und weitersprach:
“...puh…ja und dann kam ein Bote vom Niedersprötzinger Hof und hat dem Jas…äh…Herrn von Niedersprötzingen beiläufig erzählt, dass einige Sack Äpfel gestohlen wurden. Das war…”,
die Frau blickte kurz zur Decke des Raumes, ehe sie sie ihre Augen wieder auf den über die Karte gebeugten Firin richtete,
“...letzten Peraine.”
Emina schwankte bedrohlich, fand jedoch an einer Stuhllehne halt. Mit dem weiten Ärmel ihres Kleides tupfte sie sich den Schweiß von ihrer Stirn. Sie selbst schien sich davon jedoch nicht beirren zu lassen und sprach einfach weiter:
“Nach dem Vorfall bei der Albrunsburg gab es noch einen, diesen hier…”,
mit ihrem Finger wies sie auf die rote Markierung direkt oberhalb des Namens ‘Linnebrück’ auf der Karte, dann blickte sie zufrieden lächelnd in die Runde und ließ sich auf den freien Stuhl neben ihr fallen, in dem zuvor noch der Truchsess saß.
“Was meinst du mit letztem Peraine, Emina?”, fragte Yanna forsch. “Der Saatmond von diesem Götterlauf oder dem davor?”
Firin runzelte die Stirn. "Alles in Ordnung mit Euch? Mir scheint, Euch ist nicht wohl!" erkundigte er sich - fast zeitgleich mit Yannas Frage - besorgt. Der Hitze alleine konnte der Zustand der Schreiberin doch kaum geschuldet sein.
Emina winkte ab und nahm noch einige tiefe Luftzüge, ehe sie antwortete:
“Ach, bin zu schnell gewesen, dann bekomm’ ich so schlecht Luft.”
Dann wandte sie sich Yanna zu:
“Einen zuvor.”
Als sie wieder einatmete, konnte man ein tiefes, pfeifendes Geräusch vernehmen.
“...und diesen Peraine haben wir die Nachricht aus Linnebrück erhalten, dass dort Korn gestohlen wurde.”
Mit einem dumpfen Geräusch stellte Yanna den geleerten Becher mit Kräutertee vor sich ab. Eminas Hinweis, hatte sprichwörtlich dem Fass den Boden ausgeschlagen, doch die Reisige ließ nichts anmerken, als sie sich nun langsam erhob.
“Meinen Dank für Eure Bemühungen, Werte Dame. Ich werde mir nun ein Beispiel am Truchsess nehmen und mich zurückziehen. Bis morgen früh. Ich wünsche allen eine gute Nacht.” Ihre Stimme war erstaunlich ruhig gewesen, worüber sich Yanna selbst wunderte - ebenso über ihren Impuls, als Erste zu gehen.
Die Albernierin nickte Emina dankbar zu und ließ ihren Blick kurz über die Gesichter von Leonora, Firin und Aurea schweifen, ehe sie sich anschickte, abzugehen.
Die Scriptorin nickte Yanna ebenfalls freundlich zu, als diese sich erhob. Dann blickte sie die übrigen Gäste an:
“Haben die Herrschaften noch Fragen? Sonst mache ich mich auf den Weg nach Hause, bevor es zu dämmern beginnt.”
Auch Aurea erhob sich, schob ihren Stuhl an den Tisch heran und wünschte: “Gute Nacht, möge Boron Euch mit einem geruhsamen Schlaf beschenken.”
Strauchdiebe, Hühnerdiebe, ein paar Halunken, die sich eine Mahlzeit zusammenklaubten. War dies wirklich eine Angelegenheit, für die eine Baronin sich Hilfe bei vier auswärtigen Kämpen suchen musste? Vielleicht war an dem Gerücht, von dem ihr Zadrada berichtet hatte, doch mehr dran. Ohne Dienstritter und mit lediglich zwei Handvoll Gardisten, hatte sie eigentlich kaum genug Klingen, um die Burg anständig zu bemannen.
Leonoras Gedanken waren ein Echo dessen, was sich Aurea dachte - und auch wenn keine der beiden im Geist der jeweils anderen lesen konnte, standen Leonoras Überlegungen doch recht klar auf ihrem Antlitz geschrieben. Sie wirkte reichlich verdrießlich, wenn die Rede von dem Auftrag der Baronin war.
Ebenso wenig begeistert wirkte die junge Ritterin, als sich die Runde, die um den Tisch versammelt war, aufzulösen begann. Sie hatte gerade Geschmack an dem aufgetischten Bier gefunden, und jetzt sollte sie ins Bett gehen? Sie begann, ihre verdrießliche Miene unabhängig von den am Tisch gesprochenen Worten zur Schau zu tragen.
Firin war zu müde und zu satt, um heute Abend nochmals mit dem Hadern darüber anzufangen, statt einer Queste, an der die Zukunft des ganzen Orgilsbundes hing, irgendwelche Strauchdiebe durch die Wälder von Schnakensee verfolgen zu müssen. Dazu wäre morgen noch zu Genüge Zeit. "Gute Nacht allerseits", schloss er sich daher den Wünschen Aureas und Yannas an, um mit Blick auf Leonoras Gesichtsausdruck noch hinterherzuschieben: "Bis morgen, gut gelaunt und voller Tatendrang!"
Emina schien erleichtert. Sie nickte kurz in die Runde und sprach:
“Gute Nachtruhe!”,
ehe sie sich umständlich erhob und mit ihrem watschelnden Gang daran machte, den Bergfried und schließlich auch die Burg zu verlassen.


Yanna trat als Erste aus dem Bergfried durch das Tor auf das Podest und atmete einmal tief ein und aus. Die Luft war erfüllt vom Summen fliegenden Getiers und noch immer sommerlich schwül, auch wenn sich mittlerweile die Dämmerung über das Land gesenkt hatte.
Der Blick über den Innenhof verriet ihr, dass die beiden Wachen am Tor nur darauf zu warten schienen, dass die Scriptorin die Burg verlässt, um anschließend das Tor hinter ihr zu verschließen. Entsprechend sputete sich Emina auch, zumindest nach besten Kräften. Der Hof war ansonsten menschenleer, lediglich aus dem Gesindehaus und aus dem Stall drangen noch Geräusche von Leben.
Rasch wandte sich die Albernierin zur Treppe. Als sie hinter sich ein Geräusch hörte, eilte Yanna die hölzernen Stiegen hinab, bevor sich das Tor zum Bergfried geöffnet hatte. Wie Emina und andere sehen konnten, ging die Albernierin nach links zum Stall und verschwand darin, ehe die Scriptorin kurz darauf vorbeiging.

Firin hielt dagegen geradewegs auf sein Zimmer zu, hatte es dabei aber offensichtlich nicht besonders eilig. Hier draußen mochte es immer noch schwül sein, dafür war es drinnen umso stickiger.
Als die Richtwalderin heraustrat, nutze sie die Gelegenheit und streckte sich erstmal. Erschöpft war sie noch nicht wirklich, aber viele Möglichkeiten sich zu betätigen, boten sich ihr auch wieder nicht. So sah sie sich nach einem gemütlichen Plätzchen um und als sie einen gefunden hatte, sagte Aurea eher zu sich selbst: "Das sieht doch nach einem guten Platz aus, um noch einen Schluck Wein zu genießen."
"Habt Ihr etwa einen dabei?"
Firin hatte den Selbstgesprächsfetzen offensichtlich gehört und drehte sich um. Seiner Stimmlage war anzuhören, dass er aller Müdigkeit zum Trotze nichts gegen einen Schlafumtrunk einzuwenden hätte.
“In meiner Tasche, ja…”, antwortete Aurea. “Sobald ich ihn geholt habe, werde ich es mir dort drüben auf der Bank bequem machen”, ergänzte sie sogleich und deutete auf eine kleine Bank zwischen dem Firun-Schrein und einem Kräuterbeet.
"Wenn Ihr erlaubt und es Euch wirklich Recht ist, leiste ich Euch gerne noch für einen kleinen Absacker Gesellschaft", schlug Firin vor. "Ich revanchiere mich auch in den nächsten Tagen dafür... Aber sagt bitte frank und frei, wenn Ihr Eure Ruhe haben wollt!"
"Nein, sehr gern. Ich werde nur kurz den Wein holen, wer da ist, ist da", beruhigte sie Firin und machte sich auf den Weg, ihre Ankündigung in die Tat umzusetzen. “Ich freue mich sehr, habt Dank!” Firin begab sich bereits zur Bank, wo er zunächst noch stehen blieb und, die Hände in die Hüfte gestemmt, nachdenklich zum abendlichen Himmel blickte. Dabei atmete er tief ein und aus.

Der Kaldenberger Ritterin verließ als Letzte der Bankettgäste den Rittersaal. Sie bekam die Unterhaltung zwischen Aurea und Firin nur bruchstückhaft zu hören, doch sie schloss daraus, dass ich die beiden zu einem Umtrunk verabredeten. Da sie rahjanische Motive unterstellte oder solchen zumindest nicht in die Quere kommen wollte, verabschiedete sie sich von Aurea und berat mit gebührendem Abstand zu Firin das Gebäude mit den Gästequartieren.

Nicht lange nachdem Aurea zur Bank zurückgekehrt war, querte auch die Albernierin vom Stall aus den Hof. In der zunehmenden Dämmerung war nicht klar, ob Yanna die beiden Ritter auf der Bank bemerkt hatte oder bewusst ignorierte, als sie in der Garnison verschwand.


Eine Reise ins Ungewisse

Am nächsten Morgen, just mit dem Anbruch der Dämmerung, war es ein lauter, anhaltender Hahnenschrei, der die Bewohner ebenso wie die Gäste auf Burg Schnakensee weckte. Trotz der frühen Stunde war die Luft bereits schwül und stickig. Aus dem unteren Stockwerk der Garnison waren Stimmen und Geräusche zu vernehmen.
In den stickigen und warmen Gemäuer der Burg hatte Aurea nicht gut geschlafen. Hinzu kamen zahlreiche Fragen, die sie sich um die Situation des Hofes stellte. Wie stand es wirklich um Schnakensee? Hielt die Baronin im Kontakt mit ihrer Schwägerin mit einigen Details hinterm Berg? Die Richtwalderin sorgte sich um ihre Heimat. Schon immer war das Leben in den meisten Regionen von Nordgratenfels härter, fordernder und beschwerlicher als anderswo. Der letzte Ritt Nereks jedoch, hatte offenbar längerfristige Auswirkungen. Als der erste Hahnenschrei erklang, war sie deshalb nur zu froh, einen Grund zu haben, endlich aufzustehen. Schnell zog sie sich an, räumte ihre Habe wieder zusammen und bereitete sich bereits so gut es ging für den Aufbruch vor.
Dagegen trat Yanna misstrauisch zuerst auf den Gang, um nach unten zu lauschen, da sie die Geräuschkulisse nicht zuordnen konnte. Im verschwitzten Leibhemd, mit wilden Haupthaar und dem Wehrgurt in der Hand, ging sie barfuß die wenigen Schritte bis zur Treppe. Unten hörte sie zwei…nein, drei Personen sprechen. Eine weibliche Stimme beschwerte sich gerade darüber, dass sie endlich schlafen wolle und bekam zur Antwort, dass ein Mann namens Rudmar oder Rudhard, so genau war der dahingenuschelte Name nicht zu verstehen, gleich komme und er nur noch schnell austreten wäre. Die dritte Stimme, welche zu hören war, beschwerte sich über den Lärm. Offenbar wurde Yanna gerade Zeuge eines Wachwechsels.
"Was'n los?", raunte ihr just in diesem Moment Firin, der der Hitze geschuldet nur in der Bruche geschlafen hatte und durch eben diese noch einzig bekleidet aus seiner spaltweit geöffneten Tür lugte. Der verschlafene Gesichtsausdruck des Ambelmunder Dienstritters schlug jäh um, als er Yanna mit ihrem Schwertgehänge in der Hand sah. "Ärger?"
“Ist wohl Wachwechsel”, gab sie etwas lauter zurück, damit ihre Stimme zu ihm am Ende des Flurs trug. Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie misstrauisch die Treppe hinunter.
"Und Ihr seid eingeteilt?", wunderte sich Firin im Flüsterton mehr sich selbst als Yanna gegenüber. Kopfschüttelnd drückte er die Tür seiner Kammer wieder zu, um sich nach einem lauten Gähnen erst einmal anzuziehen.
Beim Herabsteigen der Treppe konnte Yanna eine Frau in bereits halb abgestreiftem Lederkoller sehen, die erschöpft an der Wand lehnte und in einer Hand einen Tellerhelm hielt, der schlaff herab hing. Mit der anderen Hand rieb sie sich in den Augen und murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Als sie die junge Kriegerin bemerkte, welche die Treppe herab stieg, nahm sie ein wenig Haltung an und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln: “‘S tut mir leid, wenn wir die Herrschaften geweckt haben.”
“Dafür nicht… so sind wir frühzeitig wach”, stellte Yanna freundlich fest. “Aber du siehst richtig erschöpft aus. Macht dir die Hitze zu schaffen oder ist heute Nacht etwas vorgefallen?”
Die Frau wandte Yanna ihr Gesicht zu. Sie musste wohl um die 40 Götterläufe zählen. Ihr Gesicht wirkte ausgelaugt und das kinnlange Haar klebte an ihrem Kopf. “Ach, will nicht klagen, hohe Herrin”, die Soldatin seufzte. “Wachdienst geht nur länger, weil die Herrin gestern mit zwei von uns abgereist ist.” Sie zwang sich zu einem Lächeln, ehe sie weitersprach: “Dafür bekomm’ ich aber mehr Sold für die Woche.”
“Ich bin keine Herrin, sondern nur eine Freie wie du… Und nichts für ungut, aber du solltest viel trinken, wenn du die nächsten Tage durchstehen musst.” Leiser fragte die Reisige: “Fühlst du dich krank? Dann sollte der Burgoffizier davon wissen?” Dabei ließ Yanna, besorgt wie sie war, ihr Alberned stärker durchklingen.
“Ach, der Schlaf tut’s wohl”, die Soldatin winkte ab und lächelte müde, wobei Yanna erkennen konnte, dass die Frau sie jetzt neugieriger musterte, ehe sie fortfuhr: “Der Marschall übernimmt auch einen Dienst. Ist ein Guter!” In der Stimme der Frau konnte man durchaus Stolz erkennen.
“Der Truchsess hat ihn gestern Abend nicht vorgestellt, aber ich habe ihn, glaube ich, bei meiner Ankunft im Hof mit Rekruten oder der Landwehr beim Bogenschießen gesehen?”, hob die Albernierin an und merkte sich den Titel, der etwas prächtiger klang als das Amt, von dem sie ausgegangen war. “Ich bin übrigens Yanna Faenafir - und du?”
“Ähm…”, der Frau war es sichtlich unangenehm, von Fremden derart vertraulich angesprochen zu werden, “Josmia, Josmia Grünkorn!” Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. “Ja, das muss er gewesen sein. Kümmert sich um die Bauernwehr. Sind schon immer Bogner. Der Burgmarschall selbst trifft aber kein Scheunentor!” Sie grinste in sich hinein, ehe sie sich straffte und Yanna direkt in die Augen blickte: “Das habt ihr aber nicht von mir!”
Von draußen waren eilige, schwere Schritte zu hören, sodass die Soldatin ihren Kopf rasch umwandte. Als ein kräftiger, junger Mann, ebenfalls in einen Lederkoller gekleidet, vor dem Türrahmen auftauchte, begrüßte Josmia ihn mit den Worten: “Ah, da ist er ja endlich, der kleine Scheißer!”
Der Bursche, hörbar außer Atem, erwiderte nur: “Jaja, tut mir leid. Ich nehm’ deinen Spieß.” Dann schien er Yanna zu bemerken und verneigte sich zweimal recht hektisch, ehe er draußen etwas von der Wand nahm und eiligen Schrittes davon hastete.
Die ältere Gardistin, zuckte mit den Schultern und meinte zu Yanna: “Muss ihm noch mit dem Tor helfen, dann kann ich endlich schlafen”, ehe sie sich auch zum Gehen wandte.
In Gedanken kehrte die Albernierin auf ihre Kammer zurück, um sich rasch zu waschen und anzuziehen. Das Gepäck hatte sie zwar abends noch geordnet, aber trotzdem hörte sie auf dem Flur bereits wie die Richtwalderin, ihre Satteltaschen über die Schalter geworfen und aufbruchbereit, polternd die Treppe hinab stieg. Auf dem Hof angelangt, legte sie ihr Gepäck auf der Bank ab, auf der sie am Vorabend noch ein wenig Wein getrunken hatte und wartete darauf, dass sie alle ein Frühmahl zu sich nehmen konnten und aufbrachen.
Firin stieß erst einige Momente später zu ihr, noch sichtlich geschafft vom Vortag und der Nacht. Die Hitze hatte ihn trotz der leichten Weinseligkeit lange überhaupt keinen und schließlich keinen besonders guten Schlaf finden lassen, so dass es mit der Erholung nicht allzu weit her gewesen war. Als er die Garnison verließ, kam ihm eine ältere Gardistin entgegen, die ihm erschöpft zunickte und dann eilig in einem Zimmer im Erdgeschoss verschwand. "Wünsche ein baldiges Schichtende und ein wenig Schlaf in des Morgens Kühle!" gab er ihr freundlich mit auf den Weg. Wenigstens war er nicht der einzige, der völlig gerädert aussah.
“Habt’s Dank, hoher Herr.”, murmelte die Frau im Vorbeigehen, ohne Firin jedoch wirklich anzublicken.
Der Ritter ließ zunächst sein Gepäck vor der Bank auf den Boden und dann sich selbst auf ein noch freies Plätzchen dorten sacken. Sofort überkam ihn ein herzhaftes Gähnen. "Die Nacht hätte noch länger sein dürfen - erst zum Morgen hin wurde es angenehm...", ließ er daraufhin verlauten. "Aber man soll ja bekanntermaßen aufhören, wenn es am schönsten ist..." Mühsam unterdrückte Firin ein weiteres Gähnen. "Wie habt Ihr geschlafen?"
“Sagen wir so…”, entgegnete Aurea. “... hätte ich auf Waldboden genächtigt, wäre ich erholter.” Wobei sie zwar wacher als Firin war, ihre Müdigkeit jedoch noch nicht vollständig abgeschüttelt hatte.
Die beiden Kämpen sahen von der Bank aus, wie die ältere, rundliche Frau aus dem Stall watschelte und dann kurz stehen blieb, als sie die Gäste auf der Bank erspähte. Sie starrte Aurea und Firin einen Moment an, dann watschelte sie weiter und verschwand schließlich im Gesindehaus. Aus diesem drangen nach und nach immer mehr Geräusche. Die Bediensteten schienen sich ebenfalls an ihr Tagewerk zu machen.
Nach wenigen Minuten flitzte der kleine Hadmar mit einem Eimer über den Burghof und eilte zum Brunnen hinüber, wo er sich unter sichtbarer Kraftanstrengung daran machte, einen anderen Eimer aus dem Schacht zu ziehen. Als ihm dies gelang, leerte er einen guten Teil des Inhalts in sein mitgebrachtes Behältnis und ging schnell, aber vorsichtig, um nichts zu verschütten, zum Gesindehaus zurück. Als er auf seinem Rückweg Firin und Aurea erspähte, stellte er den Eimer kurz ab um den beiden zu winken, ehe er ihn wieder aufnahm, mit beiden Armen fest umschlang und an seine Brust presste, um so die letzten Schritte zurückzulegen.
Kaum war der Junge verschwunden, kam Yanna eilig aus der Garnison und trat in den Hof. Die Reisige hatte Gepäcksack und Satteltaschen dabei und schlug den Weg hinüber zum Stall ein. Sie konnte sehen, dass man das Burgtor bereits geöffnet hatte und auf dem Turm ein Mann postiert war, der mit auf die Zinnen gelehnten Unterarmen seinen Blick über die hügeligen Weiden im Süden schweifen ließ.
"Die Dame Faenafir scheint es eilig zu haben," kommentierte Firin mit zuckenden Mundwinkeln. "Ich habe ja die Hoffnung auf ein Frühstück noch nicht ganz aufgegeben."
“Einer kleinen Stärkung wäre auch ich nicht abgeneigt,...” stimmte die Richtwalderin Firin zu. Dabei blickte sie recht zuversichtlich in Richtung des Gesindehauses.
Nach kurzer Zeit tauchte die Albernierin wieder aus den Stallungen auf, bemerkte aber die beiden Ritter aufgrund des ungünstigen Winkels erst, als sie fast querab von ihnen war. “Die Sturmherrin mit Euch”, grüßte sie und hielt unschlüssig inne, da Aurea und Firin für einen Moment sehr vertraut miteinander wirkten.
"Und mit Euch!" erwiderte Firin. "Habt Ihr schon aufgesattelt? Ihr seht schon so… aufbruchbereit aus. Was war denn jetzt vorhin eigentlich los? Tatsächlich Wachwechsel?"
“Ja… Wachwechsel”, nickte die Angesprochene knapp und trat langsam näher.
“Hochgeboren hat zwei Waffentreue mitgenommen - bei ihrer Abreise gestern.” Leiser schob Yanna dann hinterher, da sie sich keinesfalls auf Josmia berufen wollte: “Eine recht leichte Bedeckung für eine Hochadlige und auch hier auf der Burg könnten mehr Frauen und Männer sein. Der Burgmarschall… tut gut daran, die neuen Leute auszubilden.” Unschlüssig blickte Yanna die beiden Ritter an und da sie das Gefühl hatte, zu stören, machte sie einen Schritt zurück.
“Ich werde zum Bergfried gehen und mich verabschieden. Es bleibt doch dabei, dass wir rasch aufbrechen? Oder gibt es etwas, worauf wir warten sollten?” Die Albernierin hatte die letzten Worte eher an Aurea gerichtet, die noch gestern so zielgerichtet und entschlossen gewirkt hatte.
"Ich wäre auch für raschen Aufbruch, um des Morgens Kühle zu nutzen!", meldete sich jedoch Firin zuerst zu Wort. "Das Frühstück würde ich allerdings doch gerne noch abwarten wollen. Sonst müssen wir später allzufrüh rasten."
Aurea nickte zustimmend, stand jetzt jedoch auf. “Ich werde mal in der Küche vorbeigehen und uns ein schnelles Frühstück vor dem Aufbruch organisieren.” Und machte direkt Anstalten, in Richtung der Küche zu verschwinden.
Mit einem lauten Knarzen öffnete sich das schwere Eingangstor oben im Bergfried. Der Bruder der Baronin trat kurz darauf, bereits in eine robuste Lederweste sowie lange Lederhosen und robuste Stiefel gekleidet, hinaus auf das Podest, stützte sich auf die hölzerne Brüstung und sah sich grimmig um. Als sein Blick auf die drei Kämpen fiel, die sich bei der Bank versammelt hatten, wirkte er überrascht. Beinahe schon entschuldigend rief er mit seiner tiefen Stimme von oben herab: “Hedda ist spät. Es gibt gleich ein wenig aufgewärmtes Brot mit Schinken. Dann können wir los.” Sein Blick ging sodann zum Himmel hinauf und er kniff die Augen zusammen. “Halbes Stundenglas ist Aufbruch!” Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte er wieder nach drinnen.
Durch das geräuschvolle Auftauchen des Baronets hatte Aurea innegehalten und war schließlich durch dessen Ankündigung von ihrem Vorhaben abgebracht worden, als Yanna feststellte: “Fragt sich nur wohin…” Sie hatte gedankenverloren geklungen, straffte sich dann aber wieder. “Übrigens, habt Ihr, Hoher Herr, gestern Abend die Karte an Euch genommen?”
"Die Karte? Ja, die habe ich." Aller vermeintlicher Bestimmtheit seiner Aussage zum Trotze ging Firins Hand zu seiner Gürteltasche, um sich mit dem Daumen in der Fuge zu vergewissern, dass das kostbare Stück auch tatsächlich dort war, wo es sein sollte. Zufrieden tätschelte er das wohlgefettet glänzende schwarze Stück Leder. "Immer am Mann."
“Ich werde Euch beim nächsten Bad also beim Wort nehmen”, zog ihn die Albernierin auf, wandte sich aber schon zum Bergfried. Sie ging davon aus, dass das Frühstück in der Halle eingenommen wurde, selbst wenn nur wenig Zeit blieb.
Daraufhin musste Firin lachen. "Wir haben doch erst gestern Abend... und wer weiß, ob wir bis zur nächsten Badegelegenheit nicht schon längst die ganze Baronie kennen werden." Damit machte auch er sich auf den Weg zum Bergfried.
Nach einem wenig abwechslungsreichen Frühstück, bei dem zu aufgewärmten Graubrot immerhin ein würzig duftender Schinken gereicht wurde, erschien der Bruder der Baronin im großen Rittersaal und musterte die vier Gäste grimmig. Über seine Schulter hatte er eine große Ledertasche mit einem langen Riemen geschwungen, die ausgebeult an seiner Hüfte baumelte. In seinen großen Händen, die beinahe schon wie Pranken wirkten, trug er vier Stoffbündel, die allesamt verknotet waren. Am anderen Tischende ließ er diese auf die Tafel fallen. “Proviant. Für vier Tage. Muss reichen”, sprach er knurrend in die Runde und schien darauf zu warten, dass sich die angesprochenen Personen regten.
“Travia Dank”, warf Yanna in die Runde und erhob sich. Rasch ging sie auf den Jagdmeister zu und nahm eines der Stoffbündel an sich. “Habt Dank, achtbarer Herr.” Sogleich knotete sie ihr Bündel auf, um sich einen Überblick zu verschaffen, was die Küche oder vielmehr Helmbrecht bereit gestellt hatte.
"Auch ich danke Euch, Euer Wohlgeboren." Firin ließ seinen Beutel verschnürt und linste stattdessen in Yannas, davon ausgehend, dass er selbst gleichsam wie diese bedacht worden war. Firin und Yanna schlug direkt ein starker Geruch nach geräuchertem Schinken entgegen. Zudem konnte man mehrere faustgroße Klumpen getrockneten Dunkelbrotes ausmachen. Auch ein weiteres, kleineres und gut verschnürtes Stoffbündel lag noch anbei. ‘Vermutlich Butter oder Fett’, überlegte die Reisige, verzichtete aber darauf, nachzusehen und verschloss den Beutel wieder. Das stellte sich umgehend als richtig heraus, als der Ambelmunder Ritter feststellte: "Vier Tage - dann steht ja der ambitionierte Zeitplan - so lasst uns nicht mehr länger Zeit verlieren!"
“Gut, dann laufen wir los. Wohin?”, knurrte der junge Mann, ehe er seine Arme verschränkte und mit deutlicher Unzufriedenheit in der Stimme hinzufügte: “Schwester sagt, ihr entscheidet.”
Yanna runzelte die Stirn und blickte irritiert zu Aurea. “Ihr hattet doch Albrunsburg genannt, Wohlgeboren, nachdem auch der Truchsess davon geredet hatte? Warum sollten wir bis dahin zu Fuß gehen, wenn wir doch nur dem Karrenweg folgen müssen?”
Firin nickte bekräftigend. "Einen Platz in Albrunsburg, wo wir unsere Pferde zurücklassen können und nach den vier Tagen auch unversehrt wieder antreffen, wird es gewiss geben, nicht wahr?" Die Richtwalderin zuckte lediglich mit den Schultern. “Die Ausführungen des Herrn Truchsess legten den Beginn der Suche bei Albrunsburg nahe, weshalb ich es als sinnvollen Ausgangspunkt erachtete. Abgesehen davon, mag es zu Ross nicht möglich sein, durch den Wald zu reisen, allerdings erscheint es mir unklug darauf zu verzichten, solang wir keiner handfesten Spur folgen können. Welche wir wohl am ehesten in den Siedlungen aufnehmen und damit über Wege erreichen werden können.”
Diese Wälder waren auch ihre Heimat und so hatte sie sich auch entsprechend mehr zur Räuberhatz denn zum Gefecht gekleidet. Auf die Vorzüge, die ein anständiges Reittier mit sich brachte, wollte sie allerdings ebenfalls nicht verzichten. Ihre Kraft, die sich sowohl in Geschwindigkeit, aber auch darin äußerte, dass ihr Ross mehr tragen konnte als sie es vermochte und der schlichte Umstand, dass ein Pferd aber auch im Gefecht gewisse Vorzüge bot. “Sofern Wohlgeboren also keine Einwände vorzubringen hat, sollten uns bis zum Ausfindigmachen einer Spur unsere Rösser mit ihren Taschen und ihrem geschwinden Trab nur zum Vorteil gereichen.”
Der junge Mann knirschte mit den Zähnen und konnte oder wollte nicht verbergen, dass er mit dieser Entwicklung wenig einverstanden war. Aber nach einem unangenehmen Moment der Stille sprach er Aurea direkt an: “Gut. Dann soll Brinburga mir ein Pferd fertig machen.”
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er herum und stapfte Richtung Ausgang. Just als der Bruder der Baronin den Bergfried verlassen hatte, schlurfte der Truchsess der Baronin aus dem Treppenturm kommend leicht gebückt in den Rittersaal und murmelte etwas vor sich hin. Als er den Anwesenden gewahr wurde, hielt er beinahe schon erschrocken inne und es bedurfte einiger Augenblicke, ehe er sich gesammelt hatte und die Gäste ansprach: “Oh, hehe, seid mir gegrüßt, Herrschaften! Wundervoller Morgen, Näch? Ist alles für den Aufbruch angerichtet?” Nach einem kurzen Moment der Ruhe kniff der Truchsess die Augen zusammen und machte eine wegwerfende Handbewegung. “Ach, will die Herrschaften nicht aufhalten, haben’s eilig, näch?” sprach er krächzend und dann schlurfte er langsam wieder davon.
Als die Kämpen ihre Pferde zum Aufbruch sattelten, stand auch die alte, rundliche Frau im Stall und verfuhr ebenso mit einem der Pferde der Baronin. Deren Bruder stand daneben und sah ihr grimmig dabei zu. Als sie sowohl Sattel als auch Zaumzeug angelegt hatte, legte sie ihren Kopf an den des Pferdes und schien diesem einige Worte zuzuflüstern, ehe sie das Tier an den Zügeln nach draußen führte. Hinter den beiden einher ging Helmbrecht von Schnakensee, noch immer mit grimmigem Blick. Vor dem Stall übernahm er die Zügel und und sprach knapp zur Stallmeisterin: “Ich hoffe, er spurt!”, ehe er sich umständlich und ungeschickt daran machte, auf das Reittier aufzusteigen.
"Nicht Euer gewohntes Pferd?", erkundigte Firin sich diplomatisch. Bereits aufgesessen beobachtete er die Bemühungen Bernhelms, sein Ross zu erklimmen. Er war froh, seine Züge hinreichend im Griff und sich ein Grinsen verkniffen zu haben, wie es die Höflichkeit gebot. "Erst jüngst erworben?"
“Im Wald braucht man kein Pferd”, entgegnete Helmbrecht von Schnakensee knurrend und ohne Firin jedoch eines Blicks zu würdigen, als er das Pferd endlich erklommen hatte und unsicher im Sattel saß. "Auf der Jagd nicht", räumte Firin ein. "Aber um von einem Dorf zum nächsten zu gelangen, ist ein Pferd nicht zu verachten, selbst im Wald."
Der Jagdmeister schien die Bemerkung Firnis zu ignorieren und blickte stur geradeaus, als er sprach: “Reitet vor.”

Die Albrunsburg

Der Weg führte die kleine Schar zunächst hinab in das Dorf, in dem bereits reges Treiben herrschte, und dann den namensgebenden Schnakensee entlang. Dieser machte seinem Namen alle Ehre, war doch die Luft von dunklen Schwärmen dieser Plagegeister erfüllt und das stete Surren lag laut drohend über der schwülen und stickigen Morgenluft. Nach wenigen hundert Schritt passierte man einen kleinen, reich geschmückten Efferd-Schrein und konnte in einiger Entfernung dahinter, im morastigen Wasser, dicke Mauerreste erspähen.
Zum Glück entfernte sich der Karrenweg nach einer guten Meile von dem Gewässer und führte nun gen Praios, direkt auf sanftes, bewaldetes Hügelland zu. Zur Rechten konnte man noch einige karge Felder und die ein oder andere Bauernkate sehen.
Am Rande der Wälder angekommen, folgte der Weg diesem jedoch in süd-östlicher Richtung. Durch die leicht erhöhte Position konnte man zur Linken, in wenigen Meilen Entfernung, die träge dahin fließende Ambla mit ihren zahlreichen, sumpfigen Altarmen erkennen. Aus den Wäldern zur Rechten hingegen blies ein leichter, aber stetiger, kühler Morgenwind, der nach Kiefern und Fichten roch.
Die Gesellschaft war bereits knapp zwei Stunden geritten, da traf der nun wieder leicht bergab führende Weg auf einen rauschenden Bach, der sich durch ein schmales, schattiges und dicht bewaldetes Tal drückte. Dies musste die Kalte sein, an deren Ufer der nur leidlich befestigte Karrenweg nun in das Tal hinein führte.
Da die Praiosscheibe nur selten auf den Boden durchdringen schien, war der Grund aufgeweicht und der Weg, obwohl es schon Tage nicht geregnet hatte, von zahlreichen kleinen und flachen Pfützen gesäumt. Der Bach, der nur einen Schritt unterhalb des Weges durch sein begradigtes Bett floss, ließ immer wieder Gischt über seine Ufer spritzen, die von dem, hier nun stärker durch das Tal wehenden, Wind auf Wege und Wanderer getragen wurde. Hier galt es nun achtsam zu sein.
Helmbrecht von Schnakensee, der den ganzen Morgen bereits mit einigem Abstand auf seine Begleiter einher ritt, war nun bereits so weit zurückgefallen, dass man ihn durch die zahlreichen Kurven, die das Tal vorgab, nicht mehr sehen konnte. Er war ein miserabler Reiter, das war jedem sofort aufgefallen. Und für einen solchen war dieses Geläuf hier eine echte Gefahr.
Yanna ließ sich aus dem Sattel gleiten, um hier auf den unwirschen und sperrigen Adligen zu warten. Das Sprühwasser störte sie nicht, aber sie verfolgte aufmerksam, was die Ritter nun taten.
“Hoh.” Auch Firin brachte sein Pferd zum Stehen. "Recht habt Ihr…”, nickte er Yanna zu.
“Wir sollten zusammenbleiben. Und hier ist es ja ganz angenehm... wenn es nicht so feucht wäre und wir kein Ziel vor Augen hätten, sähe man sich fast versucht, in dieser angenehmen Kühle zu verweilen und wenigstens die heißen Nachmittagsstunden hier zu verbringen… oder gar das Nachtlager aufzuschlagen."
Nach einem guten viertel Stundenglas konnte man den jungen Adligen schließlich erkennen, als er um die letzte von hier einsehbare Kurve bog. Er führte sein Pferd dabei am Zügel und stampfte voran. Als er sah, dass man auf ihn wartete, hielt er kurz inne, schien dann jedoch schneller zu laufen, um zu den Wartenden aufzuschließen.
Die Albernierin nahm sich vor, den unfreundlichen Adligen nicht nochmals alleine zurückzulassen, ganz gleich, was er sagte.
‚Wobei…‘, relativierte sie sogleich ihre Überlegungen mit Blick auf Helmbrechts gerötetes Gesicht.
Die Richtwalderin hatte nur wenig Gelegenheit gehabt, den alten Baron kennenzulernen, war sich jedoch halbwegs sicher, dass er seinen Sohn nur mit wenig Stolz betrachtet haben dürfte. Ihres Wissens nach, war Nerek von Schnakensee ein harter Knochen gewesen, ein Mann des Schwertes durch und durch. Nur eine handvoll Waffentreuer hatte seinen letzten Ritt miterlebt und die damit verbundene Schlacht überlebt. Dennoch hatte es einhellig geheißen, er wäre mit dem Schwert und im gestreckten Galopp der feindlichen Linie entgegen geeilt. Das sein Sohn sicher derart schlecht im Sattel hielt, eigentlich undenkbar.
“Euer Wohlgeboren,…”, empfing sie deshalb den Helmbrecht mit kräftiger und tragender Stimme, “... wenn wir die Aufgabe Ihrer Hochgeboren noch vor dem Winter erledigt haben wollen, sollten wir deutlich weniger oder erheblich schneller Laufen. War es nicht Euer Herr Vater, der stets ein gesatteltes Ross hatte, um jederzeit aufbrechen zu können?”
Um jedoch weder sich noch ihrem getreuen Reittier der Gefahr eines Sturzes auszusetzen, schwang auch sie aus dem Sattel und machte sich sogleich bereit, die Gruppe mit der Ankunft des Jagdmeisters sogleich weiterzuführen.
So wie man Helmbrecht bislang erlebt hatte, konnte man aufgrund seines aufbrausenden Gemüts immer damit rechnen, dass er sich seinem Zorn hingab. Umso verwunderlicher schien es, dass der junge Mann die Worte der Richtwalderin zu ignorieren schien und mit seinem Pferd an der Leine und stoisch an der Gruppe vorbei marschierte. Jedoch kam ebenso wenig ein Wort des Dankes dafür, dass man auf ihn gewartet hatte, über seine Lippen.
Firin sah ihm kurz hinterher, dann mit gehobenen Augenbrauen zu den anderen. Schließlich zuckte er mit den Schultern und schwang sich wieder auf sein Pferd. Die ganze Sache schickte sich an, ein echtes Vergnügen zu werden.

Kurz vor der Praiosstunde führte der Weg schließlich an eine fast schon absurd steile Holzbrücke, die sich in hohem Bogen über den Gebirgsbach spannte, der hier beinahe schon durch eine Klamm floss. Man musste Acht geben, nicht auf den feuchten Bohlen auszugleiten. Die schmalen Trittbretter, die ungefähr in einer Schrittlänge Abstand angenagelt gewesen waren, boten hierbei zumindest ein wenig Halt, dienten in erster Linie aber offensichtlich dazu, die Räder von Karren oder Kutschen zu stabilisieren, die ganz sicher auch darauf angewiesen waren, dass viele starke Arme brückauf beim Anschieben halfen.
Auf der anderen Seite stand in einem kleinen Taleinschnitt und in der brütenden Mittagssonne gelegen, ein großes und massiv wirkendes Blockhaus aus dicken Holzbohlen, die namensgebende Albrunsburg, vor einer Schar von kleineren Bretterbuden, zwischen denen eifrige Männer und Frauen mit breitkrempigen Hüten Hölzer bearbeiteten. Die Luft war erfüllt von Säge- und Hobelspänen, die in der Mittagssonne tanzten und der Geruch von frisch bearbeiteten Holz stieg einem direkt in die Nase.
Vor der Albrunsburg selbst war ein klobiger, einachsiger Karren geparkt, vor dem ein Ochse angespannt war. Die Ladefläche ist mit einem hellen Tuch überspannt gewesen. Die schwere und breite Holztür des Blockhauses stand offen, wohingegen die hölzernen Fensterläden allesamt geschlossen blieben.
Firin war nach der Passage der Brücke noch nicht wieder auf sein Pferd aufgestiegen, Stattdessen ließ er seinen Blick über die kleine Ansiedlung streifen. “Zuerst zum Herrenhaus, oder gleich zum Ort des Diebstahls?” Die Frage galt vor allem Helmbrecht, gleichsam aber auch den anderen.
„Sind wir noch die Jagdgesellschaft, die keine Fragen stellt, sondern drauf wartet?“, hakte Yanna sicherheitshalber nach. Ihr Blick glitt zum Baronet hinüber, der sich lieber in Wäldern herumdrückte, als auf Pferderücken und der vom Vorschlag des Ambelmunders nichts wusste.
“Nun, wenn wir auf der Jagd sind, dann sollten wir den Geboten des Anstands folgen und als erstes kurz beim Herren dieser Lande vorstellig werden.” Auch wenn sie mit dem Bruder der Baronin den Jagdmeister an ihrer Seite wussten, hatte sie die Erfahrung gemacht, dass es Leute freute, wenn sie erst informiert und nicht direkt vor Tatsachen gestellt wurden.
„Wäre das dann nicht so oder so sinnvoll?“, fragte Yanna in die Runde.
“Natürlich wäre es das”, pflichtete Firin bei. “Aber die hiesigen Gepflogenheiten kennt wohl niemand so gut wie seine Wohlgeboren von Schnakensee.”
Irritiert blickte die albernische Reisige den Ritter an. Ob Helmbrecht eine Hilfe bei solchen Entscheidungen war, würde sich nun erweisen müssen. Bislang hatte es nicht den Eindruck gemacht, dass die Schnakensees mit Lehen und Ämtern verantwortungsvoll umzugehen wussten. Gespannt sah Yanna also zum Jagdmeister.
Helmbrecht von Schnakensee stapfte wortlos mit seinem Pferd im Schlepptau direkt zu dem großen Blockhaus. Die anbei arbeitenden Menschen schienen ihn zu ignorieren. Lediglich einer der Männer sah kurz auf und nickte ihm knapp zu. An dem Blockhaus angekommen band er sein Pferd an einem der großen Holzpfosten, welche das vorstehende Holzdach stützen, fest und trat durch die offene Türe ein.
Eins musste Firin den Schnakenseern lassen - keiner von ihnen versuchte, sich durch zur Schau getragene Unterwürfigkeit vor dem Adel einen Vorteil zu erbuckeln - ob das für das Verhältnis zwischen dem Baronshaus und seinen Untertanen sprach, wollte er sich in diesem Moment nicht beantworten. Stattdessen tat der Ritter es Helmbrecht gleich und folgte diesem in das Blockhaus.

Hinter der offenen Eingangstüre befand sich ein schwerer Vorhang. Als man diesen passiert hatte, umfing den Besucher gleich eine angenehme Kühle. Im Inneren des Blockhauses benötigte es jedoch einige Augenblicke, bis sich die Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Dann jedoch offenbarte sich eine große Schankstube, die mit unzähligen stabilen Holztischen und Bänken ausgestattet war. Die niedrige Decke, die man bei ausgestreckten Armen mit den Händen berühren konnte, sowie die Wände waren allesamt aus wuchtigen, dunklen Holzstämmen gefertigt und an den Wänden hingen verschiedenste Werkzeuge.
Wenn man den Blick schweifen ließ, konnte man einen einzelnen Mann an einem der Tische sitzen sehen, der die neuen Gäste zu mustern schien. Er saß bei einem der Fenster und durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden fanden vereinzelte, schmale Lichtstrahlen den Weg auf den Tisch vor ihm, wo eine Schüssel zu erkennen war. Sonst waren keine Personen zu sehen. Helmbrecht von Schnakensee ging geradewegs zur Mitte des Raumes, sah sich um und rief dabei laut einen Namen: “Odalbert! Odalbert, bist du da?”
Nur wenige Augenblicke später bekam er Antwort. Aus der linken, hinteren Ecke des Raumes konnte man hören, wie sich eine Tür öffnete und eine alte, aber dennoch kräftige Männerstimme antwortete dem Jagdmeister: “Helmbrecht? Was brauchst du denn, mein Junge?”.
Als man die Umrisse der Person schließlich sehen konnte (um Gesichter zu erkennen, war es zu dämmrig), blieb diese abrupt stehen und sprach Helmbrecht an: “Oh, bist nicht alleine hier.”
Man konnte erkennen, dass der junge Mann seinen Kopf kurz in Richtung seiner Begleiter drehte und dann wieder zu dem älteren Mann sprach: “Nein. Sind fremde Ritter und Krieger“, er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter, “Wegen der Räuber. Weißt schon.” Seiner Kehle entfuhr ein missmutiges Brummen. “Bring mir…bring uns was zu trinken und setz dich dazu. Haben Fragen.”
Der Jagdmeister bekam ein: “Gut, gut, dann setz dich, mein Junge!”, zur Antwort und der Mann mit dem Namen Odalbert machte kehrt und verließ den Raum nach dort, woher er kam. Helmbrecht von Schnakensee nahm direkt an dem Tisch Platz, neben dem er stand.
"Ihr kennt den Wirt bereits länger?", erkundigte sich Firin, noch während er die beiden Stühle rechts neben Helmbrecht geräuschvoll nach hinten zog und den beiden Damen anbot. Er selbst nahm zur Linken des Baronets Platz. "Ist er selbst bestohlen worden, oder war er nur die tröstende Schulter, bei der die Leute hier ihr Leid klagen und ertränken?"
“Was?”, Helmbrecht schien in Gedanken versunken, als Firin ihn ansprach und jetzt blickte er den Ritter fragend an. Dann schüttelte er kurz und knapp seinen Kopf und brummend antwortete: “Hmmm, jeder kennt Odalbert. Ihm gehört das hier.”
„Wie Hochgeboren also… allgemein bekannt“, mutmaßte Yanna, die als Letzte eingetreten war, da sie Breac noch getränkt hatte.
Rasch nahm sie neben Helbrecht Platz und hielt nach Odalbert Ausschau, den sie nur kurz gesehen hatte. Dabei glitt ihr Blick auch über den einzigen anderen Schankgast. Dieser gab vor, mit seinem Essen beschäftigt zu sein, wobei das Restlicht, welches durch die Ritzen der Fensterläden direkt neben ihm drang, eindeutig zu erkennen gab, dass der Mann immer wieder seinen Kopf anhob, um zu den Neuankömmlingen herüber zu schauen.
Nur durch Zufall hatte Aurea den einen Mann Helmbrecht zunicken sehen. Etwas verwundert über die sehr abweichende Handlung, nahm sie sich deshalb vor, ihn nach dem Besuch im Blockhaus aufzusuchen.
Im Blockhaus angekommen blickte sie sich aufmerksam um, blieb allerdings von vornherein in der Nähe des Jagdmeisters. Als er sie als fremde Ritter und Krieger bezeichnete, widerstrebte es ihr innerlich, doch hielt sie den Mund und biss sich auf die Lippe. Den einzig anderen Gast, den Mann, der so auffällig und auffällig immer wieder zu ihnen hinüber blickte, behielt sie derweil aus dem Augenwinkel im Blick. Zum einen, weil ihr Yannas Interesse nicht entgangen war und zum anderen, weil sie es offenbar deutlich besser verstand, unauffällig zu beobachten als der Fremde.
Derweil spielte sie schon mal ihre Möglichkeiten durch. Der Wirt wusste etwas, das ihnen auf ihrer Suche nützlich sein würde?
Gut möglich, immerhin erfuhren Wirte oft mit am schnellsten von allem und selbst unwichtige Details erreichten sie. Der Fremde in der Ecke, war jemand, der ihnen Informationen geben könnte, nur neugierig oder selbst auf der Suche nach Neuigkeiten, vielleicht auch weil er selbst für diese Räuber arbeitete? Und zuletzt der Mann vor dem Blockhaus, der Helmbrecht gegrüßt hatte. Musste sie seine Beziehung zum Jagdmeister interessieren oder war es lediglich eine Bekanntschaft, die überhaupt nichts mit ihrem Anliegen zu tun hatte?

Die Gedankengänge der Ritterin wurden wieder auf das Tischgespräch gelenkt, als die Albernierin den Jagdmeister neben sich unvermittelt fragte: „Ihr sagtet, jeder kennt den Wirt, Wohlgeboren… aber der Wirt ist mit Euch sehr vertraut. Wie kommt das? Seid Ihr häufiger hier in Albrunsburg?“
Helmbrecht schien von der Frage überrascht, denn er stotterte einen ganzen Moment vor sich hin und schien nach einer passenden Antwort zu suchen. Schließlich aber verschränkte er nur seine Arme und antwortete, grummelig und trotzig wie ein kleines Kind: “Ist meine Sache, wen ich kenn’.”
„Ja natürlich… Ihr seid aber bislang auch nicht sonderlich hilfreich, Wohlgeboren“, stellte sie offen fest. „Und eben das hatte Eure Schwester versprochen: dass Ihr uns helft. Ihr könntet Euch mehr Mühe geben, unser…“, kurz blickte sie zu den anderen auf, ehe sie Helmbrecht wieder direkt in die Augen sah, „… oder zumindest mein Vertrauen zu gewinnen. Dann hätte die uns gestellte Aufgabe auch weniger Ähnlichkeit mit einem Fangenspiel mit verbundenen Augen.“
Der junge Mann hatte mit einer solch bestimmten Antwort nicht gerechnet. Er stammelte einige Worte vor sich hin, ehe er schließlich den kaum verständlichen Satz zwischen den Zähnen hervorpresste: “Für meine…Jagdhütte, hat er geholfen…mit Leuten und…Sachen.”
Kaum dass er den Satz beendet hatte, senkte er den Kopf und stierte auf seine großen Hände, die er vor sich auf dem Tisch abgelegt hatte.
„Habt Dank für Eure Offenheit, Wohlgeboren“, nickte Yanna abschließend, da gerade der Wirt zurückkehrte und auf einem rechteckigen Holzbrett einen irdenen Krug und fünf Holzbecher balancierte. Er stellte das Tablett auf dem Tisch ab und noch während er die Holzbecher reihum vor den Gästen auf den Tisch stellte, sprach er mit gedämpfter Stimme in die Runde: “Die Baronin nimmt sich diesen Strauchdieben also an? Sehr gut, sehr gut! Macht’s euch keine Gedanken, die Runde geht auf mich.”
Dann erhob und straffte er sich, soweit sein bereits vom Alter gebeugter Rücken dies zuließ, und musterte die vier ihm unbekannten Personen lächelnd.
“Vielen Dank, guter Mann, doch sagt, was habt ihr bisher über diese Strauchdiebe gehört?” Aurea fragte ihn, wenn auch mit ruhiger und leiser Stimme, direkt, der Sinn stand ihr einfach nicht nach Rumgedruckse und unnötigen Ausschmückungen.
"Habt Dank", zeigte sich auch Firin leise erkenntlich. Sogleich begann er, reihum alle Becher zu befüllen, mit den Damen beginnend, dann Helmbrechts und zuletzt den seinen. Dabei lauschte er aufmerksam auf die Antwort des Wirtes.
Odalbert nahm sich einen Schemel vom Nebentisch und zog diesen herüber, ehe er sich darauf setzte und seine Unterarme auf dem Tisch ablegte. Als Firin damit begann, die Becher zu füllen, nickte der Wirt ihm zufrieden zu. Erst als alle Becher gefüllt waren, griff er sich mit einem Lächeln den, welchen Firin vor Helmbrecht platziert hatte, erhob ihn und sprach in die Runde: “Auf dass ihr die Diebe bald gefasst habt!”, er wartete noch einen Augenblick, bis Leonora Firin, Yanna und Aurea ebenfalls ihren Becher erhoben, dann leerte er den verdünnten Birnenbrand in einem Zuge und stellte den Becher mit einem lauten Seufzer wieder auf dem Tisch ab.
Dann wandte er sich Aurea zu: “Sind hier schon seit einiger Zeit dabei, ihr Unwesen zu treiben. Waren so frech und haben auch mich vor einigen Monden bestohlen. Haben mitgenommen, was sie tragen konnten. War zum Glück nicht viel.”
Der Wirt kicherte in sich hinein und winkte dann ab. “Bin ihnen noch nach, zusammen mit Gelda. Waren aber flink, die beiden Burschen. Und in’ Moor wollten wir nicht hinterher. Waren ja nur zwei kleine Fässer gepökeltes Kraut.”
Er machte eine kleine Pause und gab den Gästen so die Gelegenheit, Zwischenfragen zu stellen.
Über seinen Becherrand hinweg hatte Firin halb amüsiert, halb verwundert die eigentümlichen Gepflogenheiten beobachtet. Ein Gastwirt, der seinen Gästen den Schnaps wegsoff. Ein adliger Gast, den das nicht zu stören schien... Wenigstens war der verdünnte Schnaps gerade nicht verkehrt. Und der Wirt hatte die Diebe gesehen.
"Was waren das für Burschen?", erkundigte sich der Ambelmunder Dienstritter. "Könnt Ihr sie beschreiben?"
Der Mann rieb sich am Kinn und schon dabei seinen Unterkiefer hin und her, während er ein brummendes Geräusch von sich gab: “Hmmm…nein, nicht richtig. Jost hat sie gesehen und kam dann zu mir und Gelda in die Küche. Wir sind dann raus und ihnen nach. Über die Brücke und drüben ins Tal. Gesehen hab’ ich dir nur kurz, von weit. Ja…”,
ihm entfuhr ein Seufzer und er nahm den Krug in die Hand, um sich noch einen Schluck nachzugießen, während er weitersprach: “Manche sagen, es wären Rotpelze gewesen,” ein Seitenblick ging zu Helmbrecht, “...aber Jost meinte, sie hätten keinen Pelz gehabt. Der hat gesehen, wie sie aus der Kammer gerannt sind. Und auch die Spuren im Moor drüben…hmmm…”, er nahm den Becher in die Hand und leerte diesen mit einem großen Schluck, wonach er wieder laut ausatmete, “...ne, das waren keine Rotpelze.”
„Und was hat der Jost über die Übeltäter gesagt?“, fragte Yanna. „Es scheint ja eher der Hunger oder eine Mutprobe gewesen zu sein, oder? Der Brandt hier wäre ja vermutlich mehr Wert gewesen. Ich bin übrigens Yanna Faenafir“, stellte sich die Albernierin nun selbst vor, nachdem sie bislang noch keine Vorstellung gehört hatte.
Bei der Vorstellung der Albernierin nickte der Wirt nur knapp und ging dann sogleich auf ihre Frage ein: “Hat den einen von vorne gesehen, als der aus der Kammer raus gekommen ist. War’n Mann, meinte er. Dann sind sie stiften gegangen.”
Odalbert zuckte mit den Schultern: “Wird wohl der Hunger gewesen sein. Oder sie haben nicht mehr mitgenommen, weil sie erwischt wurden. Naja, auf jeden Fall hat sich das rumgesprochen und da viele auf dem Weg ins Dorf hier Halt machen, hat man sich erzählt, dass die nicht nur mich beklaut haben.”
Er richtete sich auf dem Schemel auf und verschränkte die Arme: “Niedersprötzinger Hof haben die Obst und Saatgut mitgehen lassen. Und der alte Seffel von der Klause hat erzählt, dass die beim Oberbauer vorne auch was stibitzt haben.” Er wog seinen Kopf hin und her und schien zu überlegen.
“Ja, andere auch noch. Gelda ist dann zum alten Truchsess und hat’s ihm erzählt. Und der meinte, ‘s gäb’ noch mehr so Sachen. Nicht?”
Bei seiner abschließenden Frage sah er zu Helmbrecht, der jedoch noch immer mit gesenktem Kopf auf den Tisch starrte und nicht reagierte, sodass Odalbert sich wieder Yanna zuwandte, die jedoch nur abwartend nickte.
Aurea beobachtete weiterhin aufmerksam den Raum, nahm, als Helmbrecht nicht reagierte, sogleich den Faden auf. "Ihr sagtet, ins Moor wolltet ihr den Dieben nicht folgen. Wisst Ihr vielleicht, wohin die Diebe bei Ihren anderen Diebestaten geflohen sind?"
“Hmmm…nein, da kann ich nix sagen. Aber der Truchsess hat zu Gelda gesagt, dass die anderen gesagt haben, sie hätten die Diebe nie gesehen. Haben geglaubt, ‘s wär’ der Rotpelz gewesen, oder der Fuchs. Am Niedersprötzinger Hof haben die aber Spuren gesehen, nicht mein Junge?”,
er blickte dabei zu Helmbrecht von Schnakensee, der völlig apathisch schien und auch nicht auf die Frage reagierte. Odalbert zuckte daraufhin mit den Schultern und fuhr fort: “Vor über einem Dutzend Monden haben’s uns auch gleich sechs Hinkel geholt. Waren die bestimmt auch. Dachte da noch, ‘s wär’ der Fuchs gewesen, weil einer den Stall nicht richtig zu gemacht hat. Aber da haben wir nicht auf Spuren geschaut.”
Er wog seinen Kopf hin und her. “Also nicht von Menschen oder so. Da ist der Stall ja voll mit. Gehen ja zweimal am Tag da rein, mindestens!” Odalbert hob entschuldigend die Unterarme.
Schließlich war all dies höchst lächerlich, wie Yanna befand. „Da wir jetzt also wissen, dass Eure Annahme mit den Rotpelzen falsch war, Wohlgeboren, können wir ja dorthin weiterreiten. Außerdem seht Ihr so aus, als ob Ihr frische Luft vertragen könntet.“ Sie nickte Helmbrecht neben sich auffordernd zu. Mit einem „Habt Dank für den Trank, Odalbert“ erhob sich die Albernierin.
Odalbert nickte der Albernierin zu: “Nix für ungut, mach’ ich gerne”, dann erhob er sich und sprach Yanna erneut an: “Gebt’s aber Acht, sind gerissene Banditen, glaub’ ich. Machen das ganz schön schlau. Hätt’ keiner gemerkt, wenn Jost die nicht gesehen hätte.” Er sah von einem der Streiter zum anderen und nickte gemächlich. “Rauben nie zweimal nacheinander beim Gleichen!”
Nachdem Yanna und Odalbert aufgestanden waren, tat Helmbrecht es ihnen, mit noch immer gesenktem Kopf, gleich. "Gerissen...?" murmelte Firin. Lauter fuhr er fort: "Oder wollen sie nur ihre Opfer schonen? Ihr wisst schon: wer das Schaf einmal schlachtet, hat einen großen Braten, wer es leben lässt, lange Milch und Wolle."
Aurea blickte derweil zu dem anderen Gast hinüber und prüfte, wie dieser sich angesichts ihres vermeintlichen Aufbruches verhielt. Zugleich merkte sie jedoch auch in Richtung Yannas an: “Eventuell sollten wir diesen Jost einmal persönlich befragen, eventuell hat er noch etwas Nützliches für uns.”
Während der andere Schankgast unverholen dem Wortwechsel der kürzlich angekommenen Gäste mit dem Wirt folgte, meinte Yanna: „Tut das, Wohlgeboren. Ich werde Wohlgeboren Helmbrecht schon mal nach draußen begleiten und die anderen Pferde tränken.“
"Ich komme mit zu diesem Jost", kündigte Leonora an. Odalbert zuckte mit den Schultern und meinte nur knapp: “Ich hole Jost, wenn ihr auch mit ihm sprechen wollt. Wartet hier.”
Dann nickte er Leonora zu und verließ den Schankraum durch die hintere Tür und man hörte ihn kurz danach laut den Namen Josts rufen. "Wenn das so ist, bleib ich auch noch kurz sitzen und hör mir an, was der Knabe zu sagen hat." vermeldete Firin, vor allem Yanna anblickend. "Habt Dank, dass Ihr Euch der Pferde annehmt." Helmbrecht hingegen sah etwas verloren aus, als er zwischen Leonora und Yanna hin und her sah. Die Albernierin zuckte mit den Schultern und ging voraus. Ihr folgte der junge Jagdmeister, der mit eingezogenem Kopf, was jedoch auch an den tiefen Deckenbalken liegen konnte, hinter ihr her nach draußen trottete.

Am Stall

Bereits als Yanna den schweren Vorhang beiseite zog, blendete das helle Sonnenlicht die Augen und die schwüle Hitze umfing sie sogleich wieder. Kurz orientierte sich die Reisige, ob die Arbeitenden mittlerweile ihre wohlverdiente Pause machten, aber noch immer hörte man Sägen, Hobeln und Hämmern. Dazu bemerkte sie, dass die Pferde bald leiden würden und beschloss fluchend, diese aus der Mittagssonne herauszuführen: Ein Gedanke, der ihr bereits vorhin hätte kommen können, da die Albrunsburg so exponiert im Taleinschnitt lag.
Im gleißenden Praiosschein war Schatten nur hinter dem Haus oder dem kleinen, angebauten Stall zu finden. Man könnte vor der Mittagssonne sicher auch in den nur etwa zwanzig Schritt entfernten Wald fliehen, jedoch waren die Hänge rund um die kleine Siedlung recht steil.
“Die Pferde müssen aus der Sonne und getränkt werden, Wohlgeboren. Ihr solltet zumindest Eures versorgen”, stellte Yanna bestimmt fest - auch um dem Jagdmeister eine Aufgabe zu geben. “Wo liegt Eure Hütte eigentlich?", fragte sie, während sie das Pferd von Aurea zuerst losmachte.
“Ja”, brummelte der junge Mann knapp, ehe er sich zögerlich seinem Pferd näherte. “Oben, im Sprötzinger Wald”, fügte er dann noch hinzu und wies im Gehen mit dem Zeigefinger und ausgestrecktem Arm gen Nordosten.
“Das scheint mir ziemlich weit weg zu sein… von der Burg, dem Hof und Eurer Schwester. Seid Ihr oft dort… an Eurer Hütte?” Yanna erinnerte sich an die Worte Aureas während sie deren Ross auf den Stall zuführte, wonach in dem jungen Jagdmeister so wenig von dessen Vater steckte. Dieses Unvermögen konnte vermutlich beiden angelastet werden, überlegte sie und warf einen Blick über die Schulter, ob Helmbrecht mit seinem Pferd zurechtkam.
Dieser schien zwar zu wissen, wie man mit einem Pferd umgeht, jedoch fehlte ihm recht offensichtlich jedwede Empathie für das Tier. Immer konnte er gleichzeitig ein Pferd versorgen und dabei sprechen, denn er entgegnete Yanna: “Tagesmarsch…für mich! Und je weiter, je besser. Bin oft dort, wenn es geht, ja.” Er nahm sein Pferd am Zügel und drehte sich zu der Albernierin um. Langsam schien er seine Sicherheit wiederzufinden, als er mit zwar brummiger Stimme, aber einem Leuchten in den Augen sprach: “Besser als das modrige Loch von Burg. Nur Wald und Ruhe, das ist viel besser.”
Yanna blieb ihm einen kurzen Moment eine Antwort schuldig, da sie im Stall nach kaum einer Pferdelänge innegehalten hatte, damit sich ihre Augen nach dem gleißenden Tageslicht an das Zwielicht gewöhnen konnten. “...klingt aber auch ziemlich einsam”, brachte sie den Satz des Jagdmeisters zu einem alternativen Ende.
Helmbrecht, der mit seinem Pferd am Zügel Yanna in den Stall folgte, kommentierte die Feststellung zunächst nur mit einem kurzen und bestätigendem “Hmmm”, ehe er nach einem kurzen Augenblick beinahe schon zufrieden hinzufügte: “Ja, ganz genau.”
“Frei wie ein Vogel…”, überlegte die Reisige, die manch Fahrende kennengelernt hatte, die sich allerdings meist trotzdem gehörig von Helmbrecht unterschieden. “Ihr scheint nicht viel auf Familienbande zu geben und es wirkt so, dass Euch Euer Amt mit seiner Verantwortung gehörig im Weg steht?” Ihre Worte waren eher eine Feststellung, zum Schluss aber deutlich als Frage formuliert. Dabei blickte Yanna ihn nun auffordernd an, nachdem sie Aureas Ross festgemacht hatte. Der junge Mann hielt einen Moment inne und fixierte Yanna mit einer Mischung aus Verwunderung und Vorsicht.
“Ihr seid neugierig und redet viel. Ich mag beides nicht. Als Jagdmeister muss ich das auch nicht. Ich habe meine Schwester darum gebeten.” Dann band auch er sein Pferd fest und fuhr fort, ohne die Albernierin anzublicken: “Besser als mit einer Hofschranze verheiratet zu werden. Hmmm…”. Er brummte laut hörbar vor sich hin.
“Die Entscheidung liegt sicherlich nicht bei Euch, wenn Ihr so oft in Eurer Hütte seid und schlecht mit Menschen umgehen könnt”, gab Yanna stirnrunzelnd zurück. “Und ich bin nicht neugierig… aber ich habe gelernt, dass gesunde Neugier das eigene Leben verlängert. Abgesehen davon kann man nicht das Vertrauen eines anderen Menschen gewinnen, ohne zu reden und zu handeln.” Damit ließ sie ihn stehen, um die anderen Pferde zu holen.
Helmbrecht von Schnakensee schien das Gespräch ebenfalls für beendet zu halten, denn er antwortete ihr nicht.

Bei Jost

Nach einigen Minuten kehrte Odalbert zurück. Ihm folgte ein schlaksiger Bursche mit federndem Gang, der einen Kopf kleiner als der Wirt war. Als er sich dem Tisch näherte, konnte man erkennen, dass der Junge vielleicht ein gutes Dutzend Sommer gesehen hatte. Etwas eingeschüchtert blieb er halb hinter dem Wirt stehen und lugte hinter dessen breitem Kreuz hervor. “Hier, Jost, diese Herrschaften wurden von der Baronin geschickt. Das sind tapfere und ehrbare Rittersleut’.”
Als Odalbert bemerkte, dass der Junge noch immer hinter ihm stand, drehte er sich um und fluchte in sich hinein. Mit einem schnellen Griff packte er den Burschen am Ohr und zog ihn an den Tisch heran, was dieser mit lautem Gejammer kommentierte. “Wirst du wohl still sein, du Nichtsnutz!”, herrschte Odalbert ihn an, als er ihn losließ. Der Bursche rieb sein Ohr und jetzt, da er direkt am Tisch stand, konnte man seinen stattlichen Überbiss sehen. Ohnehin war er mit seinen Segelohren und dem etwas tumben Gesichtsausdruck nicht gerade ansehnlich.
Odalbert beugte sich zu ihm herab, wedelte mit seinem Zeigefinger vor dem Gesicht des Jungen und zischte ihm zu: “Benimm dich bloß, sonst…!”, ehe er sich wieder aufrichtete und bemerkte, dass der weitere noch anwesende Gast ihm zuwinkte. Der Wirt nickte kurz und machte sich auf den Weg zu dem Mann.
Die Kaldenberger Ritterin bemühte sich, die Abneigung zu verbergen, welche sie unversehens gegenüber dem Jungen empfand. Sie zwang sich zu einem Lächeln und bedeutete Jost, ihnen gegenüber Platz zu nehmen.
"So, dann berichte uns mal, was Du gesehen hast in jener Nacht, als ihr hier bestohlen worden seid", eröffnete Firin das Gespräch mit Jost. "Fang von vorne an, und spare kein Detail aus - alles könnte wichtig sein. Dafür beschränke Dich alleine auf das, was Du wahrgenommen hast, nicht das, was Du Dir selbst überlegt und im Nachhinein zusammengereimt hast. Verstanden?"
Der junge Bursche wirkte noch immer eingeschüchtert, wenn nicht gar erschrocken und nickte eifrig. Nach einem Augenblick der Stille besann er sich schließlich der Aufforderung und begann stotternd zu sprechen: “M…m…mache i…i…ich.”
Dann schloss er die Augen und begann sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen zu verlagern, während er seine Hände zu Fäusten ballte:
“W…war f…fast scho…schon Abend.”,
zu allem Überfluss lispelte Jost ein wenig,
“z…zwei sind v…von hinten. Beim H…Haus. M…muss…Sch…Schinken holen.”
Mit noch immer geschlossenen Augen begann er erneut eifrig zu nicken.
“Aber d…der M…Mann kommt r…raus und h…hat m…m…m…meinen Schinken!”.
Bei den letzten Worten wechselte er vom Nicken in ein Kopfschütteln. “I…ich sag, das ist MEINER!”,
Jost erhob plötzlich die Stimme, sodass er das letzte Wort laut durch den Schankraum rief.
“H…hat ihn d…dann fallen lassen. Und der andere M…m…Mann hat ihn gerufen, er soll das F…f…Fass nehmen. Ja.”
Der Junge öffnete die Augen wieder und man konnte sehen, wie eine kleine Träne auf seiner Wange glitzerte.
Die Form, in der Jost berichtete, trug nicht unbedingt zu Verständnis und so fasste Aurea dessen Gestammel zusammen. "Es war Abend, als du Schinken holen solltest. Als du dich dem Haus nähertest, kam dir ein Unbekannter, samt besagten Schinkens, entgegen. Vor Schreck ließ er den Schinken fallen, als er dich sah und forderte seinen Komplizen auf, bei ihrer Flucht das Bierfass mitzunehmen. Wie sahen die beiden denn aus? Waren sie groß oder klein, dick oder dünn, gab es Besonderheiten, vom Fass und Schinken einmal abgesehen?"
“Ja.”, antwortete Jost und nickte erneut eifrig. Dann überlegte er einen kurzen Moment und zeigte auf Firin: “So!”, sprach er bestimmt und überlegte dann erneut.
Es schien ihm ein Gedanke zu kommen, denn der Junge riss die Augen weit auf und watschelte sogleich hastig zu dem Tisch, an dem der Wirt gerade mit dem anderen Gast Zwiesprache hielt. Er drängte sich an Odalbert vorbei und zog den anderen Gast am Ärmel von der Bank. Der Wirt selbst schien zu überrascht, um einzuschreiten und so zog Jost den Mann auf die Füße.
“Was…was soll das?”,
protestierte dieser halbherzig, als Jost vor ihm stand und ihn musterte. Dann zuckte er mit den Schultern und rief Aurea zu: “N…nein, zu g…g…groß.”
In diesem Moment traf ihn ein harter Schlag am Hinterkopf. Odalbert schien vor Wut zu schäumen: “Was soll das denn, du nichtsnutziger Dummkopf!”,
herrschte er Jost an, der sich duckte und beide Arme schützend hinter seinen Kopf hielt, während der Wirt zu einem weiteren Hieb ausholte.
Firin sprang auf und fiel dem Wirt in den Arm, noch ehe er den nächsten Hieb setzen konnte. "Das reicht! Lasst den Jungen in Ruhe!", herrschte der Ritter ihn dabei in barschem Ton an. "Hört und seht Ihr nicht, dass er nach besten Kräften versucht, uns die Geschehnisse zu schildern? Glaubt ihr, es hilft ihm, sich zu besinnen, wenn Ihr ihn dabei vertrimmt?" Er wartete die Antwort nicht ab, sondern wandte sich an Jost. "Und Du, kneif nicht die Schultern zusammen, sondern steh uns Rede und Antwort wie ein Mann, falls Du einmal einer werden willst!" Auf dem Weg zurück zu seinem Platz schüttelte er den Kopf und murmelte leise: "Wie der Herr, so's Gescherr!"
Leonora hatte die Augen zusammengekniffen und musterte den Wirt unverwandt. Ihre Hände hiel
ten die Tischkante fest umschlossen. Sie sah so aus, als würde sie jeden Moment aufspringen und sich auf diesen stürzen. Auch wenn Aurea, ganz nach dem Vorbild ihrer Familie, einen wohlwollenden Umgang mit den Untergebenen bevorzugte, war ihr aktuell reichlich egal, wie der Wirt mit seinem Burschen umsprang. Vielmehr wollte sie möglichst schnell diese Farce von Räuberhatz abschließen und fragte sich zugleich, wieso der zuvor noch so stoische, bockige Baronett in dieser Gaststube so unerwartet kleinlaut war.
Grummelnd ließ der Wirt von dem Jungen ab, als Firin intervenierte. Nicht jedoch, ohne dem Burschen noch die ein oder andere Verwünschung mitzugeben. Bruchstückhaft war diesen zu entnehmen, dass man Jost “damals besser in die Bach” gegeben hätte.
Jost hingegen ließ sich wimmernd von Firin zurück an den Tisch führen, um dort dann auf weitere Fragen an ihn zu warten. Der andere Gast hingegen stand noch immer vor seinem Tisch und ihn schien das Schauspiel mit Verwunderung zurückzulassen.
“Dieser Wirt… irgendwas stimmt nicht mit ihm!”, raunte Leonora der neben ihr sitzenden Aurea zu. Sie hatte sich wieder zurückgelehnt, als der Wirt von dem Schwachsinnigen abgelassen hatte. Ihre Aufmerksamkeit wanderte zu dem anderen Gast. Firin dagegen kehrte zur Befragung des Jungen zurück, sobald er wieder Platz genommen hatt
e. "Also, nochmal zurück. Wolltest Du uns erst an mir und dann an dem Mann da drüben zeigen, wie groß der Räuber war, den Du überrascht hast? Oder erinnert Dich etwas anderes an uns an die Diebe? Vielleicht unsere Kleidung? Die Waffen? Oder unser Aussehen? Rede!" Jost sah noch etwas eingeschüchtert aus, als er mit gesenktem Kopf langsam nach oben sah und dabei ebenso langsam seinen Arm in Richtung Firin hob. Kurz vor dessen Gesicht streckte er dann seinen Zeigefinger aus und sagte: “H…h…Haare am Mund!”.
Dann überlegte der Junge kurz angestrengt, ehe er sichtlich überrascht hinzufügte: “W…w…wolltest d…d…du den Sch…sch…Schinken klauen?”
"Kannst Du auch ein klares Wort sprechen?"
Firin wurde zusehends ungeduldig. Warum musste ausgerechnet der Nachwuchsdorftrottel der Augenzeuge sein? Wahrscheinlich hatte der Wirt das Wenige an Verstand, dass da dereinst gewesen sein mochte, längst aus dem Jungen geprügelt.
"Also, verstehe ich richtig: der Mann hatte einen Bart... und sah mir ähnlich? Und Du hast Ihn nach dem Offensichtlichen gefragt: ob er den Schinken klauen wollte? Hat er darauf was gesagt?"
Während Jost ob der Ungeduld Firnis zu zittern begann, tauchte Odalbert hinter ihm auf und legte eine Hand auf die Schulter des Jungen. Der einzige weitere Gast nahm indes ein Bündel von der Bank und machte sich daran, die Schankstube zu verlassen.
Durch die Hand des Wirts schien Jost sich ein wenig zu beruhigen, jedoch war es Odalbert, der Firin antwortete: “Der Bub’ will sagen, dass er meint, ihr hättet den Schinken stehlen wollen. Ich glaub’, ihr seht dem Strolch wohl ziemlich ähnlich. Zumindest in seinen Augen.”
“Das Ihr es wart, hättet Ihr uns auch gleich sagen können, Hoher Herr! So hätten wir uns und Wohlgeboren den Ritt hierher ersparen können”, kommentierte die Richtwalderin daraufhin vor Sarkasmus triefend, stellte sich doch ihre mutmaßlich beste Quelle als nahezu vollkommen nutzlos heraus.
Odalbert blickte betreten in die Runde, seufzte und tätschelte mit seiner Hand Josts Schulter, der sich nun beruhigt hatte und neugierig die Gäste besah. “Los Junge, geh’ nach Großmutter schauen, vielleicht braucht sie deine Hilfe!”,
raunte der Wirt dem Jungen zu, der daraufhin eifrig nickte und sich zum Gehen wandte. Erst als dieser aus der Tür getreten war, sprach er weiter: “Ist meist keine große Hilfe der Bub, für niemanden.”, sprach er konsterniert und blickte dann kurz zur Decke des Raumes. “Aber das mit dem Bart, das ist neu. Das hat er noch nicht erzählt!”. Odalbert nickte Firin anerkennend zu.
Firin wusste nicht, ob er lachen, weinen oder ausrasten sollte im Angesicht dieses Possenspiels. Trieben der Wirt und dieser Jost ihre Späße mit ihnen, oder standen hier tatsächlich alle mit Hesindes Gaben auf Kriegsfuß? "Er trug also einen Bart, soso... mit diesem Beweis haben wir die Diebe natürlich so gut wie sicher dingfest..." Firin schüttelte den Kopf. "Nein im Ernst. Kann es sein, dass der Junge mich nicht nur des Bartes, sondern auch meiner Gewandung und Ausrüstung wegen für einen Räuber gehalten hat?"
Leonoras Mundwinkel zogen abschätzig nach unten. "Ich glaube, es ist Dein Aussehen", gab sie ihre Meinung kund.
Der Wirt nickte Leonora zu. “Hmmm, denke nicht, dass es die Kleidung war. Einer von denen trug eine Gugel, das hab’ ich von hier noch gesehen, als wir ihnen nach sind. Verschwanden hinter der Brücke im Tal.” Odalbert deutete mit seiner rechten Hand einen Bogen an.
Firin kramte die Karte heraus und glich diese mit der Beschreibung ab. “Meint Ihr, ‘sie verschwanden jenseits der Brücke’, also auf der anderen Seite des Flusses, das wäre also…” er deutete mit dem Finger auf die Karte - nicht für den Wirt, bei dem er bezweifelte, ob er mit Karten überhaupt etwas anzufangen wusste, sondern für seine Mitstreiterinnen -, “in Richtung Niedersprötzinger Hof”, oder sind sie hinter der Brücke auf dieser Flussseite geblieben und gen… Moment… Kaltenklamm geflohen?”
Der Wirt beugte sich zur Karte hinunter und kniff die Augen zusammen. Bei dem trüben Licht hier im Schankraum waren nicht alle Linien sogleich zu erkennen. Odalbert wog seinen Kopf hin und her und es entfuhr ihm mehrfach ein lautes: “Hmmmm…”. Dann kratze er sich am Kinn und und zeigte auf die kleine Hütte, neben der ‘Albrunsburg’ geschrieben stand: “Is’ nicht richtig so, die Burg steht auf der Sonnenseite. ‘S gibt nur noch eine Brücke über die Bach hinter dem alten Wehr. Ist schon fast Kaltenklamm, glaub’ ich.”
Er fuhr mit dem Finger auf die unbemalte Fläche direkt unterhalb der Albrunsburg. “Sind nach da geflohen. Da ist aber nix. Nur Wald, ganz viel Wald.”
Er blickte kurz zur Decke, ehe er ergänzte: “Und das Blogmoor.”
“Blockmoor?”, echote Leonora mit einem erstaunten Gesichtsausdruck.
"Ein Moorgebiet?", fragte auch Firin nach. "Arg moorig oder doch halbwegs zugänglich? Wenn es nicht deswegen Blökmoor heißt, weil alle Welt die Schafe reintreibt, sondern vielleicht, weil eher jedes Schaf elendig blökend verreckt!, könnte es ein gutes Rückzugsgebiet für zwielichtiges Gesindel sein."
“Bloooog!”, verbesserte Odalbert und unterstrich das langgezogene “O” mit einer langsamen Handbewegung. Dann wandte er sich Firin zu: “Weiß nich’, ob da wer haust. Kann’s mir kaum denken. Man sagt, dass dort…hmmm…Wesen umgehen. Aber auch wenn’s nicht so is’, dann wär’s sicher gefährlich. Machen alle einen großen Bogen drum. Könnt ja den jungen Schnakensee fragen!”
In diesem Moment stach ein heller Lichtstrahl in den Schankraum als der Vorhang zur Seite gezogen wurde und die Albernierin wieder eintrat. “Die Pferde sind getränkt. Hat sich was ergeben?” Yanna wurde über die neuen Informationen in Kenntnis gesetzt und hatte zwar dann ebenfalls noch kurz die Gelegenheit, Odalbert die ein oder andere Frage zu stellen, verzichtete jedoch darauf.
Dann brachen die Gefährten auf und verließen die Schankstube. Draußen unterhielt sich der Jagdmeister Schnakensees vor dem kleinen Stall mit einem der Männer; jenem, der ihm bei der Ankunft kurz seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Als Helmbrecht bemerkte, dass seine Reisebegleiter auf dem Weg zu ihm waren, klopfte er dem Mann auf die Schulter und nickte ihm zu. Dieser ließ ihn dann stehen und lief an den vier Recken, denen er kurz freundlich zunickte, vorbei und zurück zu seiner Hütte.
Firin ging direkt auf den jungen Schnakensee zu. Als die anderen aufgeschlossen hatten, fragte er mit gedämpfter Stimme in die Runde: "Was haltet Ihr davon, uns in diesem Bloooooooogmoor" - er zog das 'O' jetzt mindestens genauso lange wie zuletzt der Wirt - "umzusehen?"
Er war gespannt, was die anderen meinten, vor allem aber auf die Reaktion Helmbrechts.
Der junge Mann schien sichtlich überrascht, denn er schüttelte kurz ungläubig seinen Kopf und schob dann die Augenbrauen zusammen. Dann sah er über Firin Schultern hinweg auf dessen drei Gefährtinnen. An diese richtete er auch sein Wort: “Was…was bei Fruuns nacktem Arsch wollt ihr denn im Moor?”
Dann sah er Firin direkt ins Gesicht: “Was hat Odalbert denn gesagt? Man geht nicht einfach ins Moor.” Man benötigte nicht viel Menschenkenntnis, um zu sehen, dass er diesen Vorschlag für keine gute Idee hielt.
"Wir können uns auch zuerst die Wälder um dieses Moor herum anschauen, wenn Euch das besser gefällt." bot Firin Helmbrecht an. "Die Räuber sind jedenfalls in dessen Richtung geflohen, wenn wir den Berichten des Wirts und dieses Jungen, Jost hieß er, glauben dürfen. Also sollten wir auch dorthin, meint Ihr nicht?" Der Ambelmunder Dienstritter legte eine kurze Pause ein, ehe er fortfuhr: "Bedenkt: Wo könnte sich lichtscheues Gesindel besser verbergen als in den unzugänglichsten Winkeln der Gegend? Stellen, die jeder, der seine Sinne beisammen hat, lieber meidet?"
“Ha, das wird so sein!”, entgegnete Helmbrecht von Schnakensee und nickte dabei zustimmend. “Im Blogfelser Wald”, auch hier sprach er den Namen mit einem langgezogenen ‘O’ aus, “...hocken auch die Rotpelze!” Ein schmales Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. “Da geht sonst keiner rein. Aber mit euch dabei, da werden die kleinen, dummen Biester sicher dumm aus dem Pelz schauen.”

In die Blogfelser Wälder

Die Pferde der Reisegruppe blieben in der Albrunsburg. Odalbert wollte die Tiere gegen einen kleinen Obolus gut versorgen. So brach man noch am späten Mittag, die notwendige Ausrüstung geschultert, auf, um in die Blogfelser Wälder zu ziehen.
Zunächst überquerte man wieder die steile Brücke über die Kalte und betrat dann das Tal gegenüber der Albrunsburg, durch welches sich ein schmales Bächlein wand. Das Tal war an dieser Stelle recht schmal und von jungen Buchen bestanden. Nach knapp einhundert Schritt weitete sich das Tal jedoch und der Boden wurde feuchter und morastiger. Die Buchen wichen hier Schwarzerlen, die in dem feuchten Boden nur leidlich Halt fanden und deren Stämme sich oftmals zur Seite neigten. Gemeinsam mit den Strauch-Birken und Gargeln, die hier überall wuchsen, bildete sich ein nahezu undurchdringbares Dickicht.
Helmbrecht von Schnakensee beschloss daher bereits nach wenigen Schritten, dass man sich am besten den zwar beschwerlichen, aber unumgänglichen Weg hangaufwärts suchen sollte. Und so stiegen die fünf Personen bergan, zwischen alten, mächtigen Rotbuchen hindurch, über umgefallene und teils bereits vermoderte Stämme hinweg und an kleinen Felsen, die hier über den ganzen Berg verstreut lagen, vorbei. Der Berghang war zwar nicht besonders steil, doch der Aufstieg mühsam und kräftezehrend. Zudem machte die Hitze des Mittags jeden Schritt und jeden Atemzug zu einer Qual. Tröstlich waren nur die ausladenden Baumkronen, die Praios’ Antlitz nicht gestatteten, direkt auf die Gefährten niederzubrennen. Der junge Jagdmeister von Schnakensee machte regelmäßig Halt und ließ sich und seinen Begleitern die Möglichkeit durchzuatmen. Seine Haare waren schweißgetränkt und hingen ihm in Strähnen über die Stirn und bis zu den Ohren. Wenn er sich zu den Kämpen, die ihm folgten, umblickte, konnte man jedoch einen Glanz in seinen Augen entdecken. Und obwohl sein Gesicht feuerrot ob der Anstrengung war, schien er auf eine seltsame Art zufrieden.
Nach knapp drei Stundengläsern hatte die Gruppe einen größeren Felsen erreicht, der ein wenig über den Hang hinausragte und so wirkte, als habe man einen riesigen, ovalen Teller waagerecht in die Erde getrieben. Auf der nahezu ebenen Oberseite des Steins lud Helmbrecht sein Gepäck ab und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Trinkschlauch.
Nachdem auch die anderen aufgeschlossen hatten, holte er zwei-, dreimal tief Luft und sprach: “Sind hier schon weit über der Hälfte. Weiter hoch müssen wir nicht.”
Dann kniff er die Augen zusammen und drehte seinen Kopf nach rechts. Es wirkte, als suche er die Bergflanke ab, wobei man aufgrund der Bäume und des unebenen Bodens kaum weiter als vierzig, vielleicht fünfzig Schritt sehen konnte, wenn überhaupt.
“Wie lange könnt…wollt ihr noch?”, fragte er seine Begleiter, ohne diese dabei anzublicken.
“Ich folge… Euch”, ließ die Albernierin atemlos verlauten, die bislang gut mitgehalten und immer wieder zu ihm aufgeschlossen hatte. Firin schnaufte ebenfalls heftig, sein Gesicht war knallrot und der Schweiß rann ihm in Rinnsalen übers Gesicht. Dankbar nutzte auch er die Rast, um einige kräftige Züge zu trinken. Am liebsten hätte er sich gleich hier zur Nachtruhe niedergelassen. Doch das bedeutete, dass diese Mission länger als nötig dauern würde. Außerdem wollte er sich nicht die Blöße geben, als erster nach einer langen Pause zu japsen. Stattdessen hörte er sich sagen: "Wegen mir können wir noch die eine oder andere Meile machen."
Helmbrecht nickte knapp, seinen Blick noch immer in die Ferne gerichtet. “Gut, nur nicht weiter runter. Da sind vielleicht die Viecher.”
“Was für Viecher meint Ihr? Rotpelze?” wollte Firin stirnrunzelnd wissen. “Oder richtige Tiere?”
Man konnte an seinem Profil erkennen, dass der junge Jagdmeister wohl breit grinste. “Beides”, antwortete er knapp.
“Nett”, quittierte Firin die Antwort ihres Führers. “Und wer von den beiden macht mehr Ärger?”
“Machen keinen Ärger, wenn man sie in Ruhe lässt. Beide”, entgegnete dieser seinem Begleiter. Dann fügte er noch erklärend hinzu: “Gibt viele Sauen unten.”
"Schmackhaft, aber nicht ohne. So schön die Saujagd ist, lege ich heute Nacht keinen gehobenen Wert auf eine Begegnung mit den Schweinen. Weder wilden noch berittenen." Langsam taute der Jagdmeister richtig auf, fand Firin. Hier schien er in seinem Element. Er wollte den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. "Aber drüben in Ambelmund ist es auch so - wenn man den Rotpelzen aus dem Weg geht, halten sie es umgekehrt genauso. Dort gibt es sogar einen Kindervers über die schweinereitenden Goblins."
“Die gibt's auch bei euch?”, frug Helmbrecht überrascht und starrte Firin für einen Augenblick ungläubig an, ehe er seinen Kopf schüttelte. “Sind eine Plage.”
"In Ambelmund, wo ich diene? Ja, natürlich." Firins Stimme klang etwas überrascht ob der Verwunderung Helmbrechts, dass es auch in der Nachbarbaronie Rotpelze gab. "Wobei die Meinungen über sie auseinandergehen. Es soll Leute geben, die sie am liebsten ausmerzen würden. Und andere, die meinen, man könnte ganz gut mit ihnen auskommen. Hängt wohl auch vom Jahr ab, in dem man die Leute fragt... je nachdem, ob die Wälder üppig Früchte tragen oder die Mahle kärger und die Gürtel enger werden. "
Der Jagdmeister schnaubte verächtlich und schüttelte verständnislos den Kopf. “Ha…ist wie hier auch.” Dann blickte er zu Boden und atmete tief durch. “Gehen wir weiter.” Helmbrecht schulterte sein Bündel und marschierte weiter.
Firin sah dem Jagdmeister kurz hinterher, dann lud er auch sein Gepäck wieder auf und folgte jenem.

Da es von nun an überwiegend waagrecht am Hang entlang oder zumindest nicht mehr allzu steil bergan ging, hielt sich die Anstrengung auch in Grenzen. Lediglich ab und zu stand eine kleine Kletterpartie an oder man musste sich durch Gestrüpp schlagen. Wenn eine der mächtigen Buchen mit ihren weit ausladenden Kronen umgestürzt war, bildete diese beinahe eine unüberwindbare Barriere.
Außer dem Zwitschern der Vögel und dem Surren eines Insekts, waren keine weiteren Lebewesen auszumachen. Als die Gruppe einen kleinen Felsen umrundete, blieb der Jagdmeister mit einem Male stehen. Sein Blick ging von links nach rechts und wieder zurück. “Wildwechsel”, stellte er lapidar fest, fügte nach einem Augenblick jedoch hinzu: “Nutzen aber vielleicht auch die Rotpelze.”
Und tatsächlich konnte man so etwas wie eine schmale Schneise erkennen, die sich in unregelmäßigem Verlauf von links nach rechts schlängelte und bereits nach zwei Dutzend Schritt nicht mehr zu erkennen gewesen ist.
Helmbrecht von Schnakensee wies mit dem ausgestreckten Arm den Wildwechsel entlang in Richtung Bergkuppe, die noch etwa eine halbe Meile entfernt schien. “Sollten noch da hoch. Vielleicht kann man von da was sehen. Aber auf dieser Seite des Bergs lagern.”
Firin nickte als Zeichen seines Einverständnis'. "Gut zu verteidigen. Aber meilenweit sichtbar, wenn wir dort ein Feuer entzünden. Vielleicht muss es ohne gehen. Frieren werden wir wohl kaum, diese Nacht. Wenn uns nur die Wildtiere nicht heimsuchen."
Helmbrecht nickte. “Ja, Feuer. Zum Lagern wieder etwas runter. Rauch sieht man nachts nicht.”
Dann machte er sich daran, dem Wildwechsel hangaufwärts zu folgen. Der kleine Pfad war nach einer Weile gar nicht mehr einfach zu erkennen, da der Hang hier oben in dem immer lichter werdenden Buchenwald nahezu über die gesamte Fläche mit Farn bedeckt war. Das ein oder andere Mal trat der Führer der Gruppe auch auf einen unter den Blättern verborgenen, größeren Stein und stolperte, was er aber mit Gleichmut hinnahm und einfach weiter stapfte.
Nachdem man dem Wildwechsel für ungefähr eine halbe Stunde gefolgt war, wurde die Umgebung langsam flacher und schließlich führte das Pfädchen dann sogar wieder leicht bergab. Helmbrecht blieb jedoch stehen und sah sich um.
“Sind oben”, bemerkte er lapidar und lief dann zu einem Felsen von der Größe einer kleinen Kate, der sich wenige Schritt abseits des Weges aus der Erde reckte. Hinter diesem reihten sich noch viele weitere Felsen verschiedener Ausmaße auf, die wohl auf natürliche Weise den Kamm des Berggipfels markierten.
“Kommt”, rief er über die Schulter, “...sind gleich da!”
"Sehr schön. Für heute habe ich auch so langsam genug." Firin war mit der Aussicht auf das Nachtlager inzwischen mehr als einverstanden. "Zumal es eine kurze Nacht werden wird. Schließlich muss immer einer das Lager bewachen und ein anderer von uns von geeigneter Stelle Ausschau halten, was im Moor und den Wäldern passiert. Gibt es hier eine solche Stelle?"
Aufmerksam sah er sich um. Hinter einem der größeren Felsen konnte man wahrscheinlich ganz passabel lagern und so verhindern, dass ein Feuer von dem Tal jenseits des Gipfels aus direkt gesehen wurde. Eventuell wäre aber dessen Lichtschein zu erkennen, wenn dieser die Kronen der umstehenden Bäume erleuchtete. Firin war sich recht sicher, dass man, wenn man unentdeckt bleiben wollte, den Hang besser wieder drei oder vier Dutzend Schritt hinab steigen müsste.
“Am besten bleiben wir hier oben… und verzichten auf ein Feuer… dann sieht man nachts auch mehr und die Sauen sind kein Problem mehr. Ein passender Fels lässt sich außerdem gut verteidigen, denn wer uns hier angreift, dem entkommen wir auch nicht zu Fuß in der Nacht”, bemerkte Yanna gedämpft auf Firins Frage hin. Sie war schweißnass, aber noch immer fasziniert von der Abfolge der gewaltigen Steine, die hier oben auf dem Kamm des Hügels wie das bloße Rückgrat eines Riesen wirkten.
"Dann sind wir uns schon mal einig“, konstatierte Firin und begann, seinen Rücken vom Marschgepäck zu befreien.
Helmbrecht von Schnakensee zuckte mit den Schultern und es war lediglich ein kaum zu deutendes Brummen zu vernehmen, als er sein Gepäck ebenfalls absetzte und sich an einen der Felsen gelehnt auf den Boden setzte.
Auch Aurea wählte ihren Schlafplatz so, dass sie zum einen etwas Deckung im Rücken hatte. Zum anderen richtete sie ihn so ein, dass der Platz wie ein Ablageplatz für Gepäck und nicht nach einem Schlafplatz aussah.

Als die Dunkelheit über die bergigen Wälder Schnakensees hereingebrochen war, konnte man in den verzweigten Tälern unterhalb des Grates, auf dem die Recken übernachteten, mehrere große Feuer erkennen. Sie alle befanden sich in bestimmt fünf Meilen Entfernung recht nahe beisammen in einem der weitläufigen Täler.
“Suulak!”, kommentierte der Jagdmeister beinahe schon angewidert und spie dabei auf den Boden.
“Mache die erste Wache", stellte er hernach lapidar fest und setzte sich auf einen der nahen Felsen, von welchem aus man die nähere Umgebung sowie das Tal gut im Blick hatte. Nach nur einem kurzen Augenblick rief er gedämpft aus: “Da!”, und man konnte im fahlen Mondlicht sehen, dass sein Arm in Richtung des gegenüberliegenden Bergrückens wies. Mit ein wenig Anstrengung konnte man dort eine flackernde Lichtquelle ausmachen, die immer wieder von Bäumen, Felsen oder auch Büschen verdeckt wurde und die sich schräg bergab bewegte.
“Vielleicht ein Kundschafter?”, mutmaßte Yanna ebenso gedämpft und überlegte, ob der gegenüberliegende Bergrücken von den Wegen um Albrunsburg gut zu erreichen war. Sie erinnerte sich an den Stand der Praiosscheibe bei deren Untergang und verwarf diesen Gedanken jedoch schnell wieder. Wer auch immer dort drüben den Bergrücken hinab stieg, kam wahrscheinlich nicht von der Albrunsburg, sondern musste sich eher aus Süd-Osten nähern.
“Aber wenn er uns gesehen hat, warum hat er bis jetzt gewartet und verrät sich auch noch mit der Fackel?” Ihr verwirrtes Stirnrunzeln war im Mondlicht nur schwer zu erkennen. Der junge Jagdmeister bewegte seinen Kopf hin und her, hoch und runter. So, als versuche er, einen besseren Blickwinkel zu finden.
“Sind…Menschen…glaube ich”, flüsterte er mehr, als dass er sprach. Und dennoch war seine Verwunderung darüber deutlich vernehmbar.
"Müssen Menschen sein..." raunte Firin zustimmend. "Die Rotpelze sehen auch ohne Fackeln ganz gut im Dunkeln, soweit ich weiß." Er dachte kurz nach. "Jedenfalls sollten wir uns die Sache einmal aus der Nähe anschauen. Wer weiß, ob uns die Bewohner dieser verlassenen Lande noch einmal derart einladen, sie aufzuspüren."
“Hmmm…”, ertönte ein Brummen des Jagdmeisters, wobei man nicht erkennen konnte, ob es zustimmend oder ablehnend war.
“Ein deutliches Risiko, Hoher Herr... bei Nacht und nur im Schein des Madamals.” Sie blickte kurz zu Helmbrecht von Schnakensee, der kaum merklich nickte, ohne den Kopf jedoch in die Richtung Yannas zu drehen.
“Und ortskundig seid nur Ihr, Wohlgeboren. Dazu könnten wir leicht in eine Falle gehen, wenn wir Wachen der Rotpelze übersehen. Wir könnten morgen auch den Spuren folgen, von wo sie gekommen sind”, schlug sie vor.
“Kann ich bitte die Karte sehen? Wer es auch ist, stößt dort doch bald wieder auf den Karrenweg an der Kalte, oder?” Yanna wies zum Bergrücken gegenüber, wo die tanzenden Lichter gerade stetig weiter bergab gingen.
“Ihr habt gewiss Recht”, räumte Firin ein, als er die Karte herausnestelte. “Es ist ein Risiko. Dafür wissen wir bereits, dass sie da sind. Und dürfen umgekehrt berechtigt darauf hoffen, selbst noch unentdeckt zu sein, wenigstens von denen da. Darin schlummern Chancen für uns.”
Der Ritter faltete die Karte auf und trat so ins Mondlicht, dass er keinen Schatten mehr auf jene warf. Es brauchte dennoch gute Augen, etwas darauf zu erkennen. “Die gehen zu den Suulak. Aber warum?”
Helmbrecht ließ sich von dem kleinen Felsen gleiten und stellte sich neben Firin. “Warum?”, frug er dann nochmals mit deutlicher Verwunderung in der Stimme, so als erwarte er, dass der junge Ritter ihm diese Frage beantworten könnte.
Yanna hatte auf Firins anderer Seite angestrengt auf die Karte geblickt, um ihre Erinnerung der Gegebenheiten aufzufrischen.
„Weil diese Menschen mit den Rotpelzen unter einer Decke stecken“, beantwortete sie die Frage des Jagdmeisters recht salopp und schonungslos. "Wäre möglich..." stimmte ihr Firin zu.
Er gelangte mehr und mehr zum Eindruck, dass dies hier in der Gegend öfter vorzukommen schien. Jedenfalls munkelte man auch in Ambelmund, dass es in den Wäldern weit mehr und weit friedlichere, ja geradezu einvernehmliche Kontakte zwischen Menschen und den Goblins gab, was wiederum nicht allen gefiel. Es wurde sogar behauptet, dass mancherorts Menschen die Götzen der Rotpelze anbeteten. Allerdings reagierten die, die darüber wirklich Bescheid wissen konnten, wie der aus den Wäldern stammende, recht junge Burgoffizier seiner Herrin, recht einsilbig, wenn man sie darauf ansprach.
Firin beschloss, seine Gedanken nicht zu teilen. Stattdessen lenkte er die Überlegungen darauf, was Mensch und Goblin wohl zusammen aushecken mochten:
"Die entscheidende Frage ist, bei was genau?"
“Das sind bestimmt…die Diebe!”,
rief Helmbrecht von Schnakensee aus und man konnte die Erregung in seiner Stimme deutlich vernehmen. “Steckt unter einer Decke, das Pack!”.
Erneut spie er aus und schlug danach mit der Faust seiner rechten Hand in die Handfläche der Linken. “Morgen werden wir sie schnappen!”
Genauso wie ihre Familie, stand Aurea stolz und treu zu den Zwölfgöttern. Dabei war es nicht verwunderlich, dass sich zwielichtiges Gesindel, egal welcher Rasse, zusammenrottete. Dass sich aber auch Adelige mit diesem diebischen, rotpelziges Gesocks zusammentat, widerstrebte ihr zutiefst. “Dann sollten wir morgen in aller Frühe aufbrechen.”
Gerade rechtzeitig biss sich Yanna auf die Zunge. Gespannt blickte die Albernierin zu Firin, wie dieser auf die Vorschläge der anderen, erst am Morgen aufzubrechen, reagierte. "Warum nicht jetzt gleich?", insistierte Firin. "Wenn wir ihnen jetzt folgen, können wir sicher sein, dass wir sie auch an ihrem Zielort auffinden werden. Außerdem können wir bestenfalls beobachten, was sie da im Schilde führen. - Beides wird morgen früh nicht leichter werden. Vielleicht laufen wir ihnen dann sogar geradewegs in die Arme, wenn sie auf dem Rückweg sind." Er sah in die Runde. “Ja, wie ich bereits sagte: es ist nicht ohne Risiko. Doch heißt es nicht so schön: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt?”
“Und wer im dunklen Unterholz stochert, den beißt die Natter“, erwiderte die Richtwalderin trocken. “Eventuell abgesehen von Seiner Wohlgeboren...“, wobei sie auf Helmbrecht zeigte, „… kennt sich niemand von uns in diesen Wäldern so gut aus, um eine sichere Bewegung bei Nacht zu ermöglichen. Die Rotpelze hingegen sind uns ganz offensichtlich nicht nur zahlenmäßig überlegen, sondern sind auch mit der Umgebung vertraut. Es wäre also kein Risiko hinzugehen, sondern es würde einem Wunder des Listenreichen gleichkommen, wenn wir es unbeschadet schaffen würden.”
"Na gut", seufzte Firin, scheinbar einlenkend. Dann aber wandte er sich an Helmbrecht: "Euer Wohlgeboren: glaubt Ihr, dass Ihr uns sicher durch die Nacht zum Zielort dieses Fackelmarsches bringen könnt? Wenn wir eng zusammenbleiben? Falls nein, bleiben wir hier. Falls aber doch, sage ich, dass es keinen besseren Zeitpunkt gibt als Jetzt: auch morgen früh sind die Goblins in der Überzahl, und auch dann werden sie sich besser hier auskennen als wir. Vermutlich sind sie aber weniger abgelenkt als zum jetzigen Zeitpunkt, wenn gerade erwarteter Besuch eingetroffen ist und sich ansonsten mutmaßlich kein braver Mensch mehr hier draußen herumtreibt."
Der junge Mann strich sich mit der linken Hand über seinen ausladenden, struppigen Bart und brummte dabei; seinen Kopf wog er ganz sacht hin und her. “Hmmm…’s geht scho’...aber die werden uns dann ebenso sehen, wie wir die sehen tun. Und die Suulak von ‘drunten dann wohl auch.”
Er schüttelte widerwillig den Kopf und sprach dann Firin direkt an. “Weiß nich’, ob das ‘ne gute Idee ist.”
Yanna sah sich von der Aussage des Jagdmeisters zwar einerseits bestätigt, konnte aber andererseits auch den Überlegungen Firins etwas abgewinnen - das Überraschungsmoment war ein machtvoller Vorteil und früher oder später waren sie sowieso nicht davor gefeit, sich zur Wehr setzen zu müssen. Deshalb wollte sie nochmals auf eine wichtige Bedingung von Firins Vorschlag zurückkommen, bei der sie aber unsicher war, ob der Jagdmeister diese richtig verstanden hatte.
“Wenn… dann gehen wir ohne Fackeln, Wohlgeboren. Dann sehen uns die dort unten”, sie wies zu Tal, “ schon mal nicht ohne weiteres, weil sie eine Fackel tragen oder am Feuer sitzen.” Nach einem kurzen Moment fügte sie hinzu: “Mit Ausnahme der Wachen.”
"Genau." Firin nickte bekräftigend. Natürlich ohne Fackel. Mit Licht könnten sie sich auch gleich mit Fanfarenschall ankündigen - es würde fast keinen Unterschied machen.
"Die Frage ist, wie sicher die sich hier draußen fühlen, und wie stark... oder eben auch nachlässig... sie deshalb ihr Lager bewachen." “Ohne…Fackel?” Helmbrecht von Schnakensee bewegte seinen Kopf schnell hin und her, sodass man davon ausgehen konnte, dass er abwechselnd von Firin zu Yanna blickte. “Wie?”, frug er dann ungläubig.
“Ihr wisst, wie viel ihr ohne Tageslicht oder Fackelschein in diesem Wald sehen werdet?”, fragte Aurea ungläubig. Allerdings ließ sie Firin und Yanna keine Zeit, ihr zu antworten. “Wenn Ihr Eure Augen eng zusammenkneift und zwischen den Fingern Eurer darüber gelegten Hand schaut, dann kommt das dem schon sehr nahe!” “Nein Wohlgeboren”, entgegnete Yanna schlicht.
“Wenn dem so wäre, hätten wir kaum die Fackeln von hier aus sehen können, aber da mir vorhin niemand zugehört hat, verschieben wir dann das Ausspähen auf den frühen Morgen - wie Ihr vorgeschlagen habt.” Kurz war deutliche Frustration in der Stimme der Freien zu hören gewesen, ehe sie wieder ruhiger auf Aureas Vorschlag zurückkam.
Tatsächlich aber arbeitete es noch in Yanna: auch wenn sie sicher alle vom Aufstieg erschöpft waren, solche Missverständnisse konnten sie sich angesichts der Gefahren, die unten im Tal auf sie lauerten, nicht leisten. Immerhin war sie froh, nochmals nachgefragt zu haben.
"Wie Ihr meint", beugte sich auch Firin zähneknirschend der zaudernden Mehrheit. Aus seiner Sicht hätten die Lichtverhältnisse hergegeben, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Sein nachgeschobenes "Mal sehen, was morgen früh noch zu finden ist", klang daher stark nach einem 'Wenn die Fährte dann kalt ist, wissen wir, wer daran Schuld trägt.' “Wir sollten dann jetzt die anderen Wachen aufteilen”, merkte die Albernierin scheinbar pragmatisch an.
“Kann die zweite übernehmen”, bot Firin, immer noch etwas brummelnd, an. Insgeheim hegte er die Hoffnung, für den unterbrochenen Schlaf damit entlohnt zu werden, den Fackelträger auf seinem Rückweg zu entdecken.
„Dann nehme ich die dritte“, stellte Yanna fest. „Gute Nacht“, setzte sie hinzu, drehte sich um und machte die Gepäckrolle von ihrem Rucksack los. Dann hievte sie sich auf den nächsten Felsen und bereitete ein unbequemes Lager - die Waffen griffbereit neben sich.
“Gut, fange an”, mehr hatte Helmbrecht nicht zu sagen, als er sich auf einem der Felsen niederließ und in die Dunkelheit starrte.