Ritter in der Not: Unterschied zwischen den Versionen

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Nach der Verabschiedung im Rittersaal winkte der Verwalter einen jungen Burschen im Alter von gut 10 Götterläufen herbei, der die Gäste zu ihren Gemächern führte. Bei deren Weg über den Hof konnten sie sehen, dass die Übungen der Schützen wohl gerade vorüber gewesen sind, denn die dort Versammelten verräumten die Zielscheiben und die Waffen in einer Kammer auf der Rückseite der großen Scheune.
 
Nach der Verabschiedung im Rittersaal winkte der Verwalter einen jungen Burschen im Alter von gut 10 Götterläufen herbei, der die Gäste zu ihren Gemächern führte. Bei deren Weg über den Hof konnten sie sehen, dass die Übungen der Schützen wohl gerade vorüber gewesen sind, denn die dort Versammelten verräumten die Zielscheiben und die Waffen in einer Kammer auf der Rückseite der großen Scheune.
 
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=== Der Abend vor der Abreise ===
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== Eine Reise ins Ungewisse ==
  
 
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Version vom 7. September 2023, 11:27 Uhr

Überblick

Inhalt

Adula von Schnakensee, die Baronin von Schnakensee, hat im Rahja des Jahres 1045 BF ein Hilfegesuch an junge, vertrauenswürdige Kämpen gerichtet. Um welches Problem es sich handelt, für dessen Lösung die Baronin gleich auf mehrere Bewaffnete zurückgreifen muss, erfahren die Angeworbenen allerdings erst vor Ort.

Teilnehmer

Die Ladung

"25. Ingerimm 1045 BF, Burg Schnakensee

Sehr geschätzer Streiter für die rechte Sache,

in meiner beschaulichen Baronie regt sich ein Übel, welches ich bereits überwunden glaubte.

Ich möchte aus diesem Grunde gerne auf wackere Kämpfen vertrauen, welche sich der Angelegenheit in meinem Namen annehmen. Selbstverständlich ist Euer Name einer der ersten, die mir in den Sinn kamen, ist Euer Leumund doch tadellos und Eure Tapferkeit weithin gerühmt.

Falls Ihr mir behilflich sein werdet, so soll es Euer Schaden nicht sein, Ihr werden finanziell ordentlich entgolten und auch möchte ich mit meinen Worten Euren Ruhm in Nordgratenfels weiterhin mehren.

Ich erwarte euch zum 14. Rahja des Jahres 1045 auf Burg Schnakensee. Falls ihr etwas früher anreisen solltet, stelle ich Euch selbstverständlich gerne eine Unterkunft.

Mit rondrianischer Hochachtung

Adula von Schnakensee, Baronin von Schnakensee und Edle von Sprötzquell"

Prolog

Die Ankunft

Die Baronie Schnakensee gehörte zu einer der ärmsten und dünn besiedelsten Gegenden in ganz Nordgratenfels. Am Rande eines sumpfigen Gebietes, welches durch Altarme der Ambla dominiert wurde (darunter auch der Namensgebende Schnakensee), lag der Hauptort der Baronie, Schnakensee. Dieses Dörfchen beherbergte nicht einmal einhundert Einwohner, und doch soll es einmal im Mond einen mehrtägigen Markt geben, zu dem die Ortschaft aus allen Nähten platzt. Zur Ambla selbst, die etwa eine Meile gen Firun träge dahin floss, führte ein Bohlenweg durch sumpfiges Gelände, bis hin zu einer, allerdings nur wenig genutzten, Anlegestelle.
Noch trostloser als diese lose Ansammlung von Hütten, die teilweise auf Stelzen errichtet wurden, war jedoch die Burg der Baronin. Gelegen auf einer kleinen Anhöhe oberhalb des Dorfes, bestand die Burg aus einem viereckigen Bergfried sowie zwei Fachwerkgebäuden und einem großen Stall, die allesamt von einer gut drei Schritt hohen Steinmauer umgeben waren.
Allerdings befanden sich die Außenmauern in einem bedauernswerten Zustand, waren hier und da in den morastigen Boden eingesunken, teilweise eingefallen und größtenteils ist auch der Wehrgang nicht mehr nutzbar gewesen. Nicht viel besser sahen die Wirtschaftsgebäude aus, so wurden die Stallungen von zusätzlich angebrachten, dicken Holzpfählen, die auf breiten Steinplatten im Boden ruhten, vor dem Einsturz bewahrt. Um den Bergfried hatte man jedoch Gerüste aufgebaut und man sah eine Handvoll fleißiger Arbeiter, die versuchten, das Gebäude zu erhalten und zu sanieren.

Unterhalb der Handwerker hielt gerade eine rotblonde Frau inne und blickte zum Bergfried hinauf, nachdem sie zuvor das offene Tor und die Wache auf dem Torturm passiert hatte. Unwillkürlich beschirmte sie die Augen gegen den strahlend blauen Himmel und gab ihrem bepackten Apfelschimmel mit einem Schnalzen ein Zeichen - eines, das ihr Ross offenbar aufgrund von Hämmern und Rufen überhörte: Als sich Mensch und Tier streiften, schreckte der Schimmel auf, doch zu spät. Schon bellte die abgesessene Reiterin in klarem Alberned: “Breac, du Schlafmütze!”

Gemächlich näherte sich Reiterin und Stute der Burg. Es war viele Götterläufe her, dass sie das letzte Mal diese Burg besucht hatte. Damals war sie gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Vater hierher gereist, um ihren älteren Bruder in die Knappschaft zu geben. Als Erbe hatte er unter dem Herrn Baron lernen sollen. Hier, wo es nichts als Bäume und morastigen Grund gab. Dennoch hatte er es geschafft und sein großes Ziel bereits jetzt mit großem Erfolg vorangetrieben, indem er den Namen des Hauses aus eben jenem Wald ins Reich heraustragen und sein Schild mit Ehre beladen hatte. Ein wenig neidete sie ihm, zugleich war sie aber auch froh, noch immer hier in der Heimat zu sein.
Da sie selbst derart in ihren Gedanken versunken gewesen war, hatte sie überhaupt nicht mitbekommen, wie ihre Stute ein Stück hinter dem Apfelschimmel der Unbekannten gehalten hatte. So war es ihr Fluchen, dass sie aus ihrer kleinen Welt herausriss, ohne dass sie deren Worte verstanden hatte. Nach einem kurzen Impuls der Reiterin, machte die Stute auch noch ein paar weitere Schritte und hielt gleich auf erneut an.
“Rondra zum Gruße, Hohe Dame”, begrüßte sie die Unbekannte, der sie aufgrund ihres Erscheinungsbildes den Ritterstand zustand.

Sehr viel eiliger schien es ein weiterer Reiter zu haben, der dem Amblalauf flussaufwärts folgend zunächst von Westen heranpreschte und nun auf seiner dunkelbraunen Svellttaler Stute zügig die Burganhöhe erklomm. Auch wenn er offenkundig vollkommen pünktlich war, wollte Firin von Landwacht keinesfalls als letzter oder gar Nachzügler hier eintreffen. Ohnehin wirkte der Ort alles andere als einladend auf ihn - hatte er sich, aus dem Süden des Herzogtums stammend, in seiner ersten Zeit als Ritter im Dienste der Baronin Wunnemine von Fadersberg zunächst bereits an das eher herbe Ambelmund gewöhnen müssen, erschien ihm jenes inzwischen im Vergleich zu seinem heutigen Ziel durchaus ansehnlich. Es brauchte eben immer nur den richtigen Maßstab, dann war es überall schön...
Firin verscheuchte diese Gedanken - er war schließlich nicht hier, um die Reize Schnakensees zu erkunden, sondern, um ihm Einvernehmen mit seiner Dienstherrin deren Nachbarin zu Hilfe zu eilen, ergo vertrat er heute nicht nur sich selbst, sondern auch den Hof seiner Herrin und sowieso immer und zu jeder Zeit den Orgilsbund. Außerdem war er jetzt ja da. Rasch brachte er sein Pferd zum Stehen und schwang sich - sehr bewusst - behänder, als er sich nach dem längeren Ritt fühlte, aus seinem Sattel. Von nahem betrachtet fiel das junge, verschwitzte Gesicht auf, das von einigen verstohlen unter der Kettenhaube hervorlugenden Strähnen seinen dunkelblonden Haares gesäumt und durch einen noch recht dünnen Vollbart eher weichgezeichnet als markant geprägt wurde.

"Rondra zum Gruße, Ihr hohen Damen!" stimmte der Landwachter in den Gruß der vor ihm angekommenen Ritterin ein. "Seid Ihr auch dem Ruf ihrer Hochgeboren gefolgt?".
“Die Sturmherrin auch mit Euch beiden, Wohlgeboren?” Ein fragender Unterton war hinsichtlich der Anrede herauszuhören.
“Werte Dame reicht bei mir aus - mein Name ist Yanna Faenafir”, warf die Albernierin ein. Als sie sich zu den beiden Berittenen umwandte, kamen ihre langen Schläfenzöpfe auf dem geflochtenen Lederkoller und blauem Waffenrock in Bewegung. An ihrem Wehrgurt glänzte der Praiosschein auf der Drahtumwicklung am Heft eines Langschwertes, dessen Klingenform für albernisches Waffenvolk untypisch schlank schien.
Die Richtwalderin nahm derweil ihre Ketten- und die darunter liegende Lederhaube ab und offenbarte damit ihr schwarzes mittellanges Haar. Selbst als sie noch hoch zu Ross saß, war bereits klar, dass sie nicht die Größte war. Ein Umstand, der sich bestätigte, als sie sich durchaus elegant aus dem Sattel schwang. Leise klirrte dabei ihr langes Kettenhemd, welches zumindest an den Armen gut zu sehen war. Der größte Teil jedoch verschwand unter ihrem schwarzen Wappenrock, auf dem Stolz, geteilt in Schwarz und Silber, oben goldene gekreuzte Schwerter und unten vier grüne Eicheln zeigte.
“Nun dann Rondra zum Gruße, werte Dame Yanna”, nahm sie die Worte der Albernierin freundlich auf. “Aurea Lechmin von Richtwald, sehr erfreut Euch kennen zu lernen.” Daraufhin wandte sie sich dem Landwachter zu: “Und auch Euch Rondra zum Gruße, eiliger und dienstbarer Herr”, wobei eine kleine Portion Stichelei unterschwellig mitschwang.
Die Albernierin hatte sich bei der Vorstellung der Richtwalderin leicht verneigt - eine Geste, in der ihr der gerade eingetroffene junge Nordmärker-Rittersmann in nichts nachstand.
"Firin von Landwacht, ebenfalls sehr erfreut!", stellte er sich dabei vor, "bei mir tut 'Hoher Herr' der Etikette vollauf genüge, ich bin Ritter im Dienste ihrer Hochgeboren zu Ambelmund." Mit letzterem offenbarte er nur, was für jeden mit der Gegend vertrauten bereits seinem blauen Wappenrock zu entnehmen war, auf dem das silberne Schild mit der roten Spindel und dem dreigipfligen blauen Berg prangte. "Und meine Eile war wohl mehr als angemessen, sollte ein Ritter eine Dame - ganz gleich ob selbst Ritterin oder weit weniger wehrhafte Hofdame - doch niemals warten lassen, zumal dann," zwinkerte er Aurea von Richtwald zu, "wenn sie selbst ihm offensichtlich ganz edelmütig jede Gelegenheit einräumt, eine solche Scharte gar nicht erst auswetzen zu müssen."
“Da liegt wohl eine Vorgeschichte in der Luft”, stellte Yanna grinsend das allzu Offensichtliche fest und ließ die Feststellung einen langen Moment zwischen ihnen lasten.
"Aber keine lange und schon gar keine schmerzliche, dies sei Euch versichert”, betonte Firin, ebenfalls grinsend. “Eher Dankbarkeit meinerseits, dass recht wenig frisch aufgewirbelter Staub in der Luft hing, der sich zwischen die Zähne hätte setzen können, als ich das Burgtor passierte, gepaart mit Nordgratenfelser Herzlichkeit, die wir beide einzuordnen und zu schätzen wissen."
“Nordgratenfelser Herzlichkeit?”, echote die Albernierin und runzelte die Stirn. Dann erhellte sich ihr Gesicht wieder und sie nickte verständig: “Versteht Ihr darunter die gleiche Art von scheinbar überlegenem Spott, der auch Worte wie Albermund hervorgebracht hat?”
"Ihr spielt auf Albernisch Ambelmund, die kleine Fährstation am anderen Tommelufer an?" fragte Firin mit unschuldigem Gesichtsausdruck nach. "Ja, der Volksmund hat durchaus Sinn für Humor und noch mehr für treffliche Verkürzungen. Aber ich glaube, das ist nicht nur in Nordgratenfels und den Nordmarken so, sondern gewiss sogar in Albernia."
Von welcher Herzlichkeit der Landwachter redete, war Aurea unklar, waren die Menschen in Schnakensee doch meist eher skeptisch und bedacht. Es mochte Travias Geboten entsprechen, niemanden das Obdach zu verwehren, allerdings gebot es auch der gesunde, von Hesinde gegebene, Menschenverstand, dass man seinen Gast, bevor man ihn in die gute Stube ließ, gründlich in Augenschein nahm. Nach außen hin quittierte sie die Worte Firins jedoch nur mit einer leicht gehobenen Augenbraue, weshalb die Freie erneut das Wort ergriff.
“Ja, da habt Ihr recht, Hoher Herr. Mancher Spitzname für den eigenen Nachbarn mag lieber in Vergessenheit geraten, da übertriebener Hohn und Spott doch nur die Menschen dauerhaft entzweit.” Obwohl ihre Worte durchaus versöhnlich geklungen hatten, blickte Yanna den Dienstritter einen Moment ernst und abwartend an.
"Da habt Ihr zweifelsohne Recht, werte Dame." räumte Firin ein. Er war Dienstritter seiner Herrin und als solches auch dem Schutze ihrer Untertanen verpflichtet, damit aber noch lange nicht gezwungen, jedwede Lästerei des einfachen Volkes zu rechtfertigen oder zu seiner Herzensangelegenheit zu machen. "Ob Albermund ein solcher ist, müssten wir die Albermunder am besten selbst fragen. Aber ich habe in der erst recht kurzen Zeit, die ich in Ambelmund weile, nicht den Eindruck gewonnen, über die Tommel hinweg herrschten bereits nostragaster Verhältnisse oder auch nur schlechtere Beziehungen als anderenorts an der gemeinsamem Provinzgrenze... solange der Fährbetrieb ein gutes Auskommen abwirft, sieht man drüben über manche diesseitige Lästerei geflissentlich hinweg."
Wieder huschte ein Lächeln über das Gesicht der Freien, als sie Firin mit ihren blauen Augen direkt ansah: “Ein nordmärkischer Ritter, der albernischen Langmut preist…”, stellte sie fest. “Soviel Weisheit werde ich nicht vergessen, Hoher Herr”, und verbeugte sich angedeutet gegenüber Firin.
Firins Brauen hoben sich, dann nickte er Yanna gemessen zu. "Nordmärker Ritter wissen durchaus zu loben, was des Lobes wert ist." Dass es somit nicht an ihnen lag, dass sie es in albernische Richtung so selten taten, diesen Gedanken behielt er in diesem Moment für sich.
“Hört, hört…”, gab sie zurück, fuhr jedoch sogleich fort, “ich schulde Euch übrigens noch eine Antwort: Ja, ich bin dem Ruf Ihrer Hochgeboren hierher gefolgt. Eine Aufgabe von wohl einigem Gewicht muss das sein”, vermutete die Albernierin und ließ ihren Blick über die beiden Ritter und ihre Tiere gleiten - richtige Streitrösser, mit denen sich ihr etwas kleinerer Apfelschimmel kaum messen konnte. Dazu war Breac bepackt mit Satteltaschen und Gepäckrolle, außerdem hing am Sattelknauf ein Wasserschlauch und eine rote Tasche aus grobem Leinen. Letztere nahm die junge Albernierin nun über die Schulter und warf einen schnellen Blick in Richtung der Nebengebäude, wo sie bereits vorhin weitere Bewegung ausgemacht hatte.
"Das will ich meinen! Ich brenne darauf, zu erfahren, um was es genau geht. Auch deshalb hatte ich es so eilig", erklärte Firin mit einem Seitenblick zu Aurea. "Wisst Ihr, wie zeitlich dringlich die Angelegenheit ist?" Er glaubte zwar, dass die beiden Ritterinnen auch nicht mehr wussten als er, aber vielleicht irrte er sich diesbezüglich ja. "Es wird ja gewiss nicht bereits heute schon weitergehen, nicht wahr, so dass unsere Rösser doch sicher abgesattelt werden können?"
“Welches Anliegen Ihrer Hochgeboren auf dem Herzen liegt, weiß ich nicht. Ich nehme allerdings an, dass Hochgeboren uns heute Nacht jedoch erstmal willkommen heißen und uns umfassend informieren wird. Aufbrechen, wohin auch immer dies der Fall sein wird, werden wir vermutlich erst morgen.” Ihrer aller Wege waren unterschiedlich lang gewesen. Aurea war zuletzt oft auf der Vainburg und half den Rittern ihrer Schwägerin dabei, die Lande zu sichern, als sie die Bitte der jungen Baronin ereilt hatte. Auf dem direkten Weg wäre sie über Avesstein und Weidenthal hierher gekommen, allerdings war sie noch über den Richtwald geritten und hatte ihre Base, die Vögtin ihres Bruders, über das Gesuchen Ihrer Hochgeboren informiert. “Doch eh wir länger herumraten, lasst uns unsere Rösser unterbringen und Hochgeboren selbst fragen”, beschied sie und machte sich auf den Weg.
“So wollen wir es halten”, schloss sich Firin ohne weitere Umschweife an. Ein Gespräch mit der Baronin würde gewiss ihrer aller Wissensdurst stillen… und hoffentlich nicht nur diesen…

Als sich die Gäste umblickten, bemerkten sie, dass sich der offene Eingang der Stallungen direkt neben ihnen befand. Von drinnen drangen nur wenige Geräusche nach draußen, es war jedoch nun deutlich eine menschliche Stimme zu vernehmen, die laut sprach.
“Die Zwölfe zum Gruße. Ist da wer?”, rief die Nordgratenfelserin vor der Stallung stehend. “Wir wurden von Ihrer Hochgeboren eingeladen und würden gern unsere Rösser unterstellen und versorgen …”, ihr letzter Satz endete unerwartet, fast so, als hätte sie noch ein lassen anfügen wollen.
Das Gespräch schien abzuebben, bis schließlich nur noch Gemurmel zu hören gewesen war, welches jedoch näher kam. Da ausreichend Tageslicht durch das breite Scheunentor drang, konnte man gut die ältere, kleine und dickliche Frau sehen, die um eine Ecke bog und sich den Neuankömmlingen mit fragendem Blick und watschelndem Gang näherte. Doch auch als sie beinahe schon im Tor stand, war noch immer niemand zu sehen, mit dem sie sich weiterhin unterhielt. Dennoch blickte sie sich immer wieder um, als folge ihr jemand.
Als die Frau durch die Toröffnung nach draußen trat und schließlich vor den Fremden stand, kniff sie ihre Augen ob des hellen Lichts der Praiosscheibe zusammen und musterte die Personen und mehr noch ihre Reittiere. Auch das Gespräch der Frau Gespräch schien verstummt zu sein. Sie machte einen etwas tumben Eindruck, so stand ihr Mund etwas offen und dahinter waren schiefe Zähne zu erkennen, mit welchen sie ab und an auf ihrer Unterlippe kaute.
Bevor jemand etwas sagen konnte, hörte man von links eine kräftige Stimme: “Und jetzt schleich dich, du Faulenzer!” Direkt an der Ecke des Gebäudes versetzte ein älterer, aber stämmiger Mann mit kurzen, rotbraunen Haaren einer jungen Frau einen Tritt in den Allerwertesten und zeigte dabei auf die Reisenden und ihre Reittiere. Als er sah, dass die Blicke auf ihn gerichtet waren, nickte er militärisch knapp und wandte sich wieder um, um hinter der Scheune zu verschwinden. Das gescholtene Mädchen, wohl eine Magd, nahm die Beine in die Hand und rannte eilig die gut zwanzig Schritt zu der Gruppe von Neuankömmlingen.
Dort angekommen machte sie eifrig einen Knicks und blickte dann entschuldigend zu der älteren Frau, die noch immer unschlüssig vor der Gruppe stand und auf die Pferde gaffte. “Ich kümmere mich um die Pferde der hohen Herrschaften!”, sprach das Mädchen mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen und machte sich daran, die Zügel von Dascha aus Firins Hand zu nehmen.
“Habt Dank! Dascha ist ein gutmütiges Tier”, warf er dem Mädchen hinterher. “Doch sorgt ja dafür, dass ihr kein Huhn plötzlich über den Weg läuft. Dann gerät sie leicht außer Rand und Band!” Der Ritter hatte bis heute nicht verstanden, warum seine Svellttaler Stute seit einigen Monden so panische Angst bekam, wenn eines dieser eierlegendes Federviecher unmittelbar vor ihr auftauchte. Er musste ihr diesen Wahnsinn jedenfalls rasch wieder austreiben…
Die Richtwalderin wartete noch einige Augenblicke und musterte die drei Angehörigen des Hofes. "Der große hier mag Möhren, Männer mag er allerdings nur ungern in seiner Nähe haben - zumindest wenn ich nicht dabei bin. Und wenn du ihn etwas abreibst, bleib ja neben ihm. Wenn er dich nicht sehen kann, keilt er sonst gern mal aus." Damit kraulte sie dem Pferd nochmals den Hals und entließ es dann Richtung Stallung.
Noch auf den ersten Schritten von Aureas Stute ergriff jedoch Yanna forsch deren Zügel und führte das Tier auf das Mädchen zu. “Ich kann für mein eigenes Ross sorgen, hab’ Dank. Außerdem gehöre ich nicht zu den hohen Herrschaften”, stellte Yanna richtig und bot dem Mädchen die Zügel von Aureas Ross.
Das Mädchen hatte bereits die Zügel von Dascha in der Hand und blickte sich daher überrascht um, als Yanna mit zwei Pferden auf sie zukam. Allerdings griff die ältere, untersetzte Frau beherzt nach den Zügeln von Aureas Reittier, als Yanna dieses an ihr vorbei führte. Sie murmelte dabei einige unverständliche Worte und blickte dem Tier mit zur Seite geneigtem Kopf in das Gesicht. Von der Seite betrachtet, standen ihre Haare noch wirrer von ihrem Kopf ab. Dann rieb sie ihre Wange an der des Pferdes, was dieses mit einem behutsamen Schnauben quittierte, ehe es sich von der älteren Frau in den Stall führen ließ.
“Ich bin übrigens Yanna… und wie heißt du?”, fragte Yanna und schickte sich an, Breac durch das offene Tor in den Stall zu führen.
Dort war die junge Magd mit Yanna an ihrer Seite bereits eingetreten und stellte sich auf dem Weg artig vor: “Ich bin Gessa, hohe Dame, die Stallmagd!” Ob sie Yanna wenige Augenblicke zuvor nicht richtig zugehört hatte oder das Gesagte nicht zuordnen konnte, blieb unausgesprochen. Mit dem Daumen ihrer freien Hand deutete sie dann über die Schulter, wo Aureas Pferd von der älteren Frau mit watschelndem Gang ebenfalls in den Stall geführt wurde. Gessa beugte sich dabei leicht zu Yanna und flüsterte: “Das ist Herrin Brinburga, die Stallmeisterin.”
Als sich die Augen etwas an das, im Vergleich zu dem Hof, Dunkel hier im Stall gewöhnt hatten, konnte man erkennen, dass von den insgesamt einem Dutzend Stallboxen nur sechs belegt gewesen waren. Gessa führte Dascha vor eine der leeren Boxen und wies mit dem Zeigefinger auf die Box daneben: “Dort, hohe Dame!” Dann band sie die Zügel ihres Pferdes dort an einem Pfahl fest, ehe sie sich daran machte, das Tier abzusatteln.
Yanna hatte auf den Hinweis des Mädchens hin verständig genickt, war aber mit Breac noch in der Stallgasse geblieben, wo sie den Apfelschimmel festmachte, um ihr Gepäck bereits hier abzunehmen und nahe am Tor zu lagern. “Das heißt ‘Werte Dame’, Gessa. Ich bin eine Freie - so wie du selbst auch, nehme ich an?” Die Angesprochene schüttelte den Kopf.
“Nee, gehöre der Herrin. Bin vom Linnauer Hof.” Ihr Blick verriet so etwas wie Enttäuschung. Dann zeigte sie mit dem Finger über ihre Schulter auf die Stallmeisterin und setzte flüsternd hinzu: “Und auf die da muss ich hören.” Die junge Magd schien überraschend schnell Vertrauen zu Yanna gefasst zu haben, denn sie rollte bei dem letzten Satz mit den Augen.
Die Stallmeisterin selbst hatte noch gar nicht damit begonnen, Aureas Pferd abzusatteln, sondern strich ihm noch immer über die Flanke. Yanna konnte sie kichern hören, als sie dem Pferd erneut etwas ins Ohr flüsterte, was dieses jedoch gleichmütig und ohne Regung hinnahm.
“Mach’ dir dein Leben nicht schwerer als notwendig, Gessa. Wenn du als Hintersassin gehorchen musst, dann mach’ deine Arbeit so gut du kannst. Und wenn du mit deinen Bemühungen gesehen wirst, dann noch etwas besser, damit du vielleicht eines Tages frei sein kannst”, meinte die Albernierin nicht allzu laut, aber bedeutungsschwer. Da sie ihr Ross auf dem letzten Teilstück des Ritts geschont hatte, musste Yanna es nun nicht noch bewegen und abwarten, sondern konnte Breac gleich einstellen. Langsam folgte sie in Gessas Richtung in den gewiesenen Verschlag, während das Mädchen, das Yannas Worte nur mit einem Schulterzucken kommentierte, damit begann, das andere Pferd abzusatteln. Sie ließ sich dabei Zeit und machte nicht den Eindruck, an einem weiteren Gespräch interessiert zu sein, denn sie bedachte Yanna mit keinem weiteren Blick mehr.
Von der Stallmeisterin hingegen war immer wieder Gemurmel und infantiles Kichern zu hören. Immerhin schien auch sie sich daran gemacht zu haben, das Pferd Aureas abzusatteln und zu versorgen, kündigte doch ein zufriedenes Wiehern des Tieres davon, dass man sich um es kümmerte.
Yanna nahm ihrem Ross den Sattel ab und legte ihn über die Seitenwand des Verschlags. Mit der Decke rieb sie den Rücken ihres Pferdes, Flanken, Hals und Beine ab, ehe sie wieder zu Gessa hinüber blickte. Da das Mädchen noch still arbeitete, schloss die Albernierin Breacs Verschlag und trat an den mit Aureas Stute heran. “Ich werde das Gepäck von Wohlgeboren von Richtwald gleich mit nach vorne nehmen, Gessa. Dann brauchst du das nicht zu tun…” Fragend blickte Yanna die Jüngere an und hielt nach dem Gepäck der Ritterin Ausschau.
Die junge Magd blickte kurz auf und zeigte auf einen Holzbock, über welchen sie den Sattel mitsamt der Taschen gehängt hatte: “Dort, Herrin!”, dann begann sie, eine einfache Melodie zu summen und das Pferd abzubürsten.
“Dann vielleicht bis später, Gessa”, grüßte die Reisige und nahm die Taschen Aureas auf. Dabei fiel sie recht anständig in die Tonfolge der Magd ein und ging zu ihrem Gepäck hinüber. Beladen wie sie war, nahm sie nur eine ihrer Satteltaschen, aber den schweren Gepäcksack auf die Schulter. Nach einem letzten Blick in die Runde verließ sie den Stall. Gessa winkte Yanna kurz freundlich zu und widmete sich dann wieder dem Pferd.

Die Richtwalderin überlegte, als sie Yanna mitsamt den beiden Burgbewohnern und ihren Pferden in der Stallung verschwinden sah. Dann ließ sie ihren Blick prüfend über die Burg schweifen. Damals, also als sie hier waren, um ihren Bruder in die Knappschaft zu geben und damit noch vor ihrer eigenen Knappschaft, damals hatte das Heim der Barone schon keinen guten Eindruck gemacht. Inzwischen konnte sie sehen, dass Adula etwas unternommen hatte. Geld, das ihr Hochgeborener Herr Vater gern in seine zahlreichen Soldaten gesteckt hatte, nutzte sie nun, um ihre Wehranlagen und zugleich ihr Heim auf Vordermann zu bringen. Seitdem sie auf der Feenburg ihres Bruders am Ochsenwasser gewesen war oder auch schon, seitdem sie die Vairnburg besser kannte, wusste sie, wie ärmlich ihre Umstände hier im nördlichen Gratenfels eigentlich waren. Gastlich und Wohnlich waren sie oft glücklicherweise dennoch. “Ich würde vorschlagen, noch kurz auf die Werte Dame warten und dann gemeinsam hineinzugehen.”, schlug sie letztlich dem Landwachter vor.
"Einverstanden! Wenigstens solange die ‘Werte Dame’ nicht darauf besteht, die ganze Tagespflege ihres Pferdes selbst und sofort zu erledigen..." Firin nutzte die Wartezeit, um sich in aller Ruhe näher umzusehen. Was er von hier erblickte, verstärkte den ersten, recht trostlosen Eindruck, den er bereits vom Dorf mitgenommen hatte. Was jedoch hervorstach, war ein kleiner Firunschrein, welcher aus dunklem Tuffstein bestand und eine kleine Grotte darstellte. Links und rechts wuchs jeweils eine kleine Fichte empor und im Innern des Schreins konnte man zahlreiche Opfergaben erkennen: Geweihe, Hauer, Schenkelknochen, aber auch die ein oder andere Waffe.
Auch die Richtwalderin taxierte offenkundig die Örtlichkeit, doch auf andere Art wie er selbst. "Ihr wirkt, als wäret Ihr nicht zum ersten Mal hier? Aber vielleicht ist meine Wahrnehmung auch nur von Eurem Namen beeinflusst…"
Aurea wandte sich dem Dienstritter aus Ambelmund zu, strich sich eine Strähne hinter das Ohr und antwortete erst dann. “Der Schein trügt Euch nicht, Hoher Herr. Seine Hochgeborene Exzellenz, mein älterer Bruder, war einst Knappe in diesen Mauern und ich erinnere mich, wie ich ihn damals, gemeinsam mit unserem Vater, hierher begleitet habe.” Bedächtig musterte sie die alten Mauern der sanierungsbedürftigen Veste. “Vieles hat sich seit damals verändert und zugleich ist einiges noch wie damals…” ‘…oder schlimmer!’, führte sie den Satz, zumindest in Gedanken den Satz zuende.
"Dann ist Euer Haus gewiss eng mit dem Baronshaus verbunden!?" Aus Firins Stimmlage wurde nicht gänzlich deutlich, ob seine Worte als Frage oder Aussage zu verstehen waren. "Ihr stammt direkt hier aus der Baronie, richtig?" Ganz vertraut war er noch nicht mit den niederadligen Häusern Nordgratenfels, vor allem außerhalb der Baronie seiner Herrin, aber er glaubte, hier recht zu schätzen.
“In der Tat stammt meine Familie aus dieser Baronie, auch wenn die Grenzen des Junkertums wohl älter sind, als die der Baronie. Was die Verbundenheit anbelangt, könnte man von einer gewissen Verbundenheit sprechen.” Versuchte sie, die beiden zugleich gestellten Fragen zu beantworten. “Mein Bruder ist dem Haus sehr verbunden, da der Herr Baron ihn wie seinen Sohn behandelt hat. Auch Vater war dem Baron nicht abgetan, allerdings gerieten die Beiden, Boron sei ihrer Seelen gnädig, wegen des Jagderlasses Seiner Hochgeboren häufiger aneinander.” Der Streit zwischen den verstorbenen Amtsinhabern war kein Geheimnis, tatsächlich hatte ihre unterschiedliche Rechtsauslegung sogar in Gratenfels verhandelt worden. Dadurch dass das Ableben des Barons und die Anerkennung von Firunhards Einwänden durch Adula jedoch schneller als die Mühlen der Bürokratie gewesen waren, war es allerdings nie zu einem Urteil gekommen. “Doch sagt, was verschlägt Euch nach Ambelmund? Das Geschlecht derer von Landwacht, ist mir bisher in Nordgratenfels nicht untergekommen.”
"Ihr seid wirklich gut im Bilde”, merkte Firin mit Respekt in der Stimme an, "in der Tat stamme ich wie mein ganzes Geschlecht aus dem Isenhag - Gut Landwacht, von dem wir den Namen tragen, liegt im Südwesten der Vogtei Brüllenbösen, an den westlichen Ausläufern der Ingrakuppen. Und gewiss werde ich eines Tages auch dorthin zurückkehren. Doch vorher ist mir daran gelegen, etwa von der Welt drumherum zu sehen. Das hat mich nach meiner Knappenzeit und der Rückkehr vom Haffaxfeldzug bereits mit dem Orgilsbund, dem ich angehöre, bis in die Rabenmark geführt. Von dort zurück ergab sich die Möglichkeit, für einige Zeit in den Dienst ihrer Hochgeboren von Ambelmund zu treten - wir kannten uns bereits vom Zug gen Mendena, und sie suchte einen Vertreter für einen ihrer Stammritter, der nach damaligem Stand für längere Zeit nicht verfügbar sein sollte. Das war im letzten Jahr..." Dass dieser Ritter inzwischen nie mehr zurückkommen würde, rollte er zunächst nicht aus. Wahrscheinlich hatte sich das ohnehin längst herumgesprochen. Stattdessen nutzte er die Gelegenheit, mehr über die politischen Zusammenhänge hier in der Gegend zu erfahren: "Insofern bin ich aber noch nicht mit allen Feinheiten der jüngeren Nordgratenfelser Vergangenheit vertraut - um was geht es denn in diesem Jagderlass genau? Wenn wir hier unterwegs sind, ist es gewiss gut, mit dem hiesigen Recht bekannt zu sein."
‘In der Welt rumkommen wollen und dann hier im Wald von Nordgratenfels landen, scheint nicht gut gelaufen zu sein.’, dachte sich Aurea. ‘Wer weiß, vielleicht ist dieses Gut in den Ingrakuppen ja noch abgelegener…’ “Ihr wollt wissen, was es mit dem Jagderlass auf sich hat? Nun Seine Hochgeboren hatte es dem niederen Volk erlaubt auf Nieder- und Hochwild Jagd zu machen. Seine Wohlgeboren, mein Vater, hingegen sah darin eine Verletzung der Schutzpflichten des Adels, schließlich wurden wiederholt Bauern von Keilern verletzt und so mancher davon tödlich.”
'So so, die zur Schau gestellte Sorge um die leibliche Unversehrtheit der Gemeinen mutete nahezu rührend an. Dabei gab es doch weitaus handfestere Gründe...' Firin nickte dennoch beipflichtend zur Position des Vaters seiner Gesprächspartnerin: "Wenn ein jeder dem Wild nachstellen darf, sind die Wälder bald leer gejagt - es bedarf einer verantwortungsvoll und umsichtig geführten Hand, genau so viele Tiere zu entnehmen, dass einerseits die Hirsche den Baumbestand und die Wildsauen die Äcker und Weiden nicht verwüsten und andererseits genügend Jungwild heranwächst, auch dessen Zahl zu erhalten. So viel Weitsicht fehlt dem Bauern und Handwerker einfach, die überdies besser bei dem ihnen von den Göttern zugewiesenen Platz in der Welt bleiben, auf dass das Wildbret die Ritter und Kämpen stärke, die das Land zuallererst zu schützen und zu verteidigen haben, und das Korn der Bauern die Speicher fülle und niemand im Volke Hunger leide."
Sichtlich brüskiert blickte sie Firin an. “Wo Ihr herkommt, mag man das so halten, doch halten wir auf dem Richtwald dies anders! Selbst wenn jeder zweite unser Vasallen jagen würde, würde es hier, inmitten dieser Wälder, wohl kaum ins Gewicht fallen. Doch jeder Bauer, dessen Bein oder Arm bei der Jagd verkrüppelt wird, wird im nächsten Winter zu einer unberechenbaren Last für die gesamte Gemeinschaft. Die Junker haben Jäger in ihren Diensten, deren Beute uns alle, ebenso wie die Erträge der Bauern, über den Winter bringen.”
"Dass die Tierzahlen nicht die unmittelbar begrenzende Größe sind, mag in den Ländereien meiner Herrin zunächst genauso sein wie bei Euch auf dem Richtwald, vor allem, wenn man nur die paar Leute nimmt, die hier in den Wäldern selbst leben. Aber wenn sich auch die Bauern und Hirten aus der Umgebung bei einem allzu freigiebigen Jagdrecht dorthin zur Jagd aufmachten, würde es die Wildbestände selbst hier in Nordgratenfels rasch ausdünnen." widersprach Firin. "Selbst dort, wo ich herkomme, wo es nur Berge und Wälder gibt, ist das so. Und was die Verletzungsgefahr angeht, habt Ihr zweifelsohne Recht, vor allem bei der Saujagd. Aber die Reh- und die Hirschjagd stellen sich weit weniger riskant dar, jedenfalls nicht gefährlicher, als das eigene Vieh in die Wälder zu treiben, Holz einzuschlagen und zu flößen oder der Köhlerei nachzugehen."
Ganz offensichtlich weilte dieser Firin noch nicht lange in Nordgratenfels oder hatte seine Natur noch nicht wirklich verstanden. Die Jagd auf ein Reh mochte ungefährlich sein, allerdings war es dabei durchaus möglich, dass ein Jäger an andere Jäger geraten konnte. Wölfe und Bären, eventuell auch ein kleinerer Drache, die sich ihre Nahrung jagten oder aber zwielichtiges Gesindel, Rot- und Schwarzpelze. Derartige Zusammentreffen wurden mit zunehmender Entfernung zur Siedlung oder zum heimischen Hof schnell wahrscheinlicher und es ging eben niemand im eigenen Garten jagen. Doch verspürte sie kein weiteres Interesse, diese müßige Unterhaltung fortzusetzen, zumal der Streit inzwischen eh beigelegt war. Stattdessen blickte sie zum Stall: “So langsam sollten sie aber mal fertig sein.”

Bevor der Ambelmunder Dienstritter jedoch antworten konnte, trat die Freie schwer bepackt aus dem Stall wieder nach draußen. Zu ihrem Erstaunen bemerkte Aurea, dass die Albernierin ihr Gepäck trug und sorglos pfeifend näher kam.
"Ihre Hochgeboren erwartet geladene, nicht beladene Gäste.", witzelte Firin, der noch einen schmunzelnden Seitenblick zur voll bepackten Yanna geworfen hatte und nun zum Bergfried schaute. Sein Gepäck auf das eigene Zimmer tragen war eines. Vollbepackt vor eine Hochadlige in deren Burg treten etwas anderes. Aber das musste die Albernierin wissen und für sich entscheiden. Es wurde jedenfalls Zeit, dass sie endlich der Baronin ihre Aufwartung machten.
Die pragmatische Herangehensweise der Albernierin störte die Schnakenseeerin nicht, im Gegenteil es zeugte in ihren Augen von Tatendrang und Bereitschaft mit anzupacken. Beides Eigenschaften, der es in der Region durchaus bedurfte. Den Kommentar Firins überging sie derweil geflissentlich und wandte sich stattdessen dem weiteren Geschehen auf dem Hof zu.

Hinter der Scheune stand der ältere Mann, der vorhin die Stallmagd gescheucht hatte, mit einem halben Dutzend Frauen und Männer ohne einheitliche Kleidung und sah diesen dabei zu, wie sie mit einem langen Bogen auf Strohbündel schossen. Hier und da kommentierte er einen besonders guten Treffer mit einem zustimmenden Brummen. Abermals nickte er den Vorbeiziehenden militärisch knapp zu. Er hatte die muskulösen Arme verschränkt und man sah an seinen Bewegungen, dass er im Kampf nicht ungeübt sein musste.
Yannas Rondragruß wurde gleichfalls von einem Nicken begleitet. Vermutlich würde später noch Zeit sein, sich vorzustellen, überlegte die Albernierin - immerhin hatte der Burgoffizier oder Weibel gegenwärtig auch ausreichend zu tun.
Firins Blick blieb nicht lange an der mäßig interessanten Kämpferausbildung hängen - er kannte das zu genüge und war insgeheim froh, sich in Ambelmund nicht selbst hauptamtlich mit den Übungen der Büttel und der Ausbildung von Rekruten oder gar blutigen Anfängern herumschlagen zu müssen - das oblag dem Burgoffizier, einem einheimischen Krieger, nur wenig älter als er selbst, und auf seine Weise genauso verbissen wie die Damen hier... er erwiderte nur knapp, aber durchaus freundlich den Gruß des Offiziers, ehe er sich weiter auf den Weg zum Bergfried machte.

Der Auftrag

Der Eingang zum Bergfried fand sich in ungefähr drei Schritt Höhe. Zu der schweren, eisenbeschlagenen Holztür führte eine breite hölzerne Treppe an der Außenmauer des Turmes entlang, die in einem Podest direkt vor dem Tor endete. Die Treppe war immerhin breit genug, dass auch drei Mann problemlos nebeneinander empor oder hinab steigen konnten. Sie erklommen die flachen Stufen und traten oben durch das offene, zweiflügelige Holztor, hinter dem sich eine große, rechteckige Halle öffnete. Direkt hinter dem Tor nahm sie ein alter, bereits gebückt stehender Mann mit leicht brüchiger Stimme in Empfang:
"Willkommen, die hohen Herrschaften. Willkommen auf Burg Schnakensee, jaja. Ihre Hochgeboren erwartet Euch schon!”
Dann wandte er sich um, schlurfte in das Innere und bedeutete den Rittersleuten mit einem Wink, ihm zu folgen:
“Kommt, kommt!”

"Na, dann wollen wir mal! Nach den Damen!" Ganz ritterlich ließ Firin den beiden Frauen den Vortritt. Gefahr war zunächst ja wohl nicht zu erwarten, es sei denn, es löste sich ein Stein aus einer baufälligen Wand oder Decke - der würde aber nicht zwingend den erstbesten erschlagen, der eintrat, sondern im Zweifel den, den die Götter oder andere Entitäten in diesem verflixten Moment zu sich rufen wollten.
Yanna legte ihr eigenes und auch Aureas Gepäck in der Halle ab, während noch die Halle musterte und sich mit einem leisten: “Vielen Dank, Yanna”, bei der Freien bedankte. Erhobenen Hauptes und mit stolzer, aufrechter Haltung folgte sie dem Alten. Wobei sie ganz selbstverständlich mit ihrem gesamten Wesen die Rolle der Ritterin erfüllte. Nach einem kurzen Blick zum Landwachter, der immer noch an seiner Geste festhielt, folgte die Albernierin dann der Ritterin nach.
“Sehr freundlich…”, kommentierte sie halblaut in Richtung Firin. So recht schlau wurde sie nicht aus dem Ritter, den sie für streitbar hielt, zumindest was Aurea anbelangte. Immerhin hatte sie die Stimmen der beiden noch im Stall vernommen, als sie sich das Gepäck aufgeladen hatte, und keinen allzu innigen Eindruck von der Unterhaltung draußen gewonnen. Firin lächelte und versuchte, sich dabei nicht anmerken zu lassen, dass auch er die Albernierin und ihre Reaktion auf seine an und für sich selbstverständliche Geste einzuordnen versuchte: ‘War diese nun eine gleichsam reflexartige Handlung, war sie aufrichtig oder umgekehrt gar ironisch gemeint? Was auch immer die hiesige Baronin mit ihnen im Sinne hatte, sie würden, sollten sie zusammen agieren müssen - auf jeden Fall eine illustre Gruppe abgeben - er inmitten einer auf ihre Weise verkniffenen Nordgratenfelserin und einer humorlosen Albernierin...‘
Sein Blick schweifte vom hölzernen Treppenabsatz noch einmal kurz über die Umgebung, ... ‘und das, während irgendwo da draußen die verlorene Spore des heiligen Orgils noch immer darauf harrte, wiedergefunden zu werden…’ Mühsam unterdrückte der Landwachter ein Seufzen. Er hatte sich nunmal seiner Herrin zum Dienst verpflichtet - inzwischen war ihr ohnehin großzügiger Dispens eben einfach abgelaufen, ohne dass er und seine Brüdern und Schwestern vom Orgilsbund ihre Queste zum erfolgreichen Abschluss hatten bringen können. Und die Ladung der Baronin Adula war auch nichts, was man so einfach abschlug. Noch einmal klopfte der Ritter seine Stiefel ab, dann trat als letzter auch er ein.

Der ältere Mann führte sie in die große, rechteckige Halle, die durch schießschartenartige Fenster zur Linken nur spärlich erhellt wurde. Davor hatte man eine große, hölzerne Tafel geschoben, vor der sich auch einige Stühle stapelten. Zur Rechten befand sich ein großer, gemauerter Kamin, in welchem zu dieser Jahreszeit allerdings keine Scheite glommen. An der Wand rings um den Kamin befanden sich jedoch einige Jagdtrophäen, darunter auch bemerkenswerte Hirsch- und Elchgeweihe.
Am Kopfende des Saals stand ein wuchtiger Holzsessel, vor dem eine großgewachsene, schlanke Frau mit breiten Schultern stand. Sie war in ein eng anliegendes, dunkelgrünes Kleid gewandet, dessen weite Ärmel nur bis zu den Ellenbogen reichten. Eine gute Wahl bei diesen hohen Temperaturen! Auf dem hochwertig wirkenden Stoff waren an den Bünden sowie dem knappen Kragen und dem Ausschnitt dunkelblaue Stickereien angebracht gewesen. Der weite Halsausschnitt betonte zudem ihre breiten Schultern. Ihr ovales Gesicht lief in einem spitzen Kinn aus und wurde von einer langen Nase dominiert. Das lange, blonde Haar hatte sie zurückgekämmt und mit einem schmucklosen Reif gebändigt. Der Blick aus ihren blauen Augen wirkte distanziert, beinahe schon gelangweilt. An dem Sessel lehnte ein Langschwert in einer schlichten Scheide.
Neben ihr stand ein großer und breitschultriger Mann, der etwas bärenhaftes an sich hatte. Er war in robustes Leder gekleidet und sein struppiges, blondes Haar und der hellblonde Vollbart, der jedoch nicht dicht wuchs, trugen ebenso zu seine Aura der Wildheit bei, wie sein grimmiger Blick, den er den Ankömmlingen entgegen brachte. Erst auf den zweiten Blick konnte man erkennen, dass der Mann wohl noch recht jung, höchstens fünfundzwanzig Götterläufe alt, war.

Der ältere Mann, der sie führte, blieb einige Schritt vor der Frau stehen und machte eine ausladende Geste in ihre Richtung, wobei er zu den Kämpen sprach:
“Ihre Hochgeboren Adula von Schnakensee, Baronin von Schnakensee und Edle zu Sprötzquell.”
Dann schlurfte er voran und stellte sich zur Linken der von ihm vorgestellten Dame auf, die den Gästen knapp zunickte:
“Willkommen auf Burg Schnakensee, ich danke Euch, dass Ihr meinem Ruf gefolgt seid.”
Dann konnte man eilige Schritte hören, die vom Eingang der Halle kamen.

Interludium: Späte Ankunft

Auf der Straße nach Schnakensee war eine Reisende unterwegs, die neben dem Pferd, auf dem sie ritt, noch ein Packpferd mit sich führte. Die agile, elegante Fuchsstute mit der schlanken Reiterin bildete einen markanten Kontrast zu dem eher grobknochigen, kräftigen Rappen, der einen kantigen Packen auf dem Rücken trug - auch wenn sich der Rappe an seiner Last nicht erschöpfte. In der Tat war es die Reiterin, die bei diesem Trio die Erschöpfteste zu sein schien, doch tatsächlich war es eher eine Müdigkeit des Geistes, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Leonora von Heiternacht hing ihren Gedanken nach, während sie ihre beiden vierbeinigen Reisebegleiter in die Richtung von Schnakensee lenkte. Jüngst bei der Familie, in deren Diensten sie seit ihrem siebten Lebensjahr stand, in Ungnade gefallen, hatte sie sich nicht anders zu helfen gewusst, als ihren Packen zu schnüren und in die Welt zu ziehen. Das Handgeld, das ihr für ihre bisherigen Dienste ausgegeben wurde, hatte sie in Form des Packpferds und einer Rüstung erbeten. So konnte sie mit Fug und Recht sagen, dass sie alles, was sie besaß, bei sich trug. Mutter würde enttäuscht sein, das wusste Leonora gewiss.
Als die junge Ritterin bereits die Zuversicht verlor, dass sie das Ziel ihrer Reise vor Anbruch der Dunkelheit erreichen würde, tauchten die ärmlichen Hütten der Sumpfsiedlung auf. Leonora, die zum ersten Mal in der Baronie weilte, sah sich in ihren ohnehin nicht sehr hoch angesetzten Erwartungen bestätigt. Und doch gefiel ihr die Burg, die sich über dem Ort erhob. Sie erinnerte sie an die Burg ihrer Familie - weniger hinsichtlich der Größe, sondern ihres Zustandes. Ihre Mutter kämpfte gegen den Verfall des Wehrturms mit dem angrenzenden kleinen Pallas, und hier war das offensichtlich nicht anders. Ihre Gedanken trugen sie wieder zurück in die weit entfernte Baronie Kaldenberg, ihre Heimat. Bis sie sich wieder an das Hier und Jetzt zurückbesann, hatte sie bereits das Burgtor durchritten. Von der Ortschaft hatte sie nicht viel mitbekommen. Müde stieg sie von ihrem Pferd, als eine Stallmagd auf sie zueilte und ihr mitteilte, die anderen Ankömmlinge hätten gerade erst den Bergfried betreten. Dankbar nahm Leonora die Hilfe der Magd in Anspruch und übergab ihr die beiden Pferde, nachdem sie sich von beiden mit kleinen, zärtlichen Gesten verabschiedet hatte. Rasch strich sie sich Wams und Hose glatt, zog sich die Stiefel hoch und eilte dann in Richtung des Bergfrieds.

Der Auftrag

Da sie eh bereits die erste hinter dem Diener gewesen war, machte sich Aurea nicht erst die Mühe zu gucken, was die anderen taten und übernahm einfach erneut die Rolle als Erste. “Rondra zum Gruße, Euer Hochgeboren. Es freut mich, hier sein zu können, auch wenn ich zugegebenermaßen gespannt bin, in welcher Weise wir Euch zu Diensten sein können.” Da sich die beiden Frauen kannten, verzichtete sie auf eine erneute und ausführliche Vorstellung. Und selbst wenn, war das Haus Richtwald nicht so weitläufig, dass eine große Auswahl bei Ritterinnen ihres Alters, die auch in der Region weilten, bestand. Ihre Zwillingsschwester Wulfrun war die einzige Alternative und da sie in der Flussgarde diente, war sie so gut wie nie in Schnakensee anzutreffen.
Yanna trat neben Aurea und verneigte sich: “Habt Dank für die Einladung, Hochgeboren. Die Sturmherrin mit Euch”, entbot sie der Baronin den Rondragruß und machte dann mit einem Seitschritt für Firin Platz.
Mit einer zackig vorgetragenen Verbeugung und einem krachenden Faustschlag auf die Brust stellte sich als Dritter Firin zur Seite der beiden Damen: "Die Donnernde mit Euch, Euer Hochgeboren, und mein ergebenster Dank für Eure Einladung! Ich soll Euch die allervorzüglichsten Grüße meiner Dienstherrin, Ihrer Hochgeboren Wunnemine von Fadersberg, und ihres Gemahls bestellen. Firin von Landwacht ist mein Name, zu Euren Diensten." Am liebsten hätte er sich gleich umgeschaut, wer noch von hinten nahte, zwang sich aber, seinen Blick vorerst nicht von ihrer Gastgeberin zu lösen.

Die Schritte, die von hinten zu hören waren, wandelten sich von einem hastigen Gehen zu einem zögerlichen Voranschreiten, je näher sie kamen, um schließlich in Bewegungslosigkeit zu verharren. Im Eingangstor der Halle war eine junge Frau zum Stehen gekommen, die kaum mehr als 20 Sommer gesehen haben mochte. Sie war mittelgroß und schlank, mit jenen vergleichsweise kräftigen Schultern und Oberschenkeln, wie sie manches weibliche Jungvolk durch intensive athletische Betätigung entwickelte. Das flachsblonde Haar war wohl am Morgen noch zu einer akkuraten Flechtfrisur gerichtet gewesen, jetzt aber hing die eine oder andere Strähne gelöst herab oder klebte schweißnass an den Schläfen. Das Gesicht war schmal und ebenmäßig geschnitten und wies große, blaue Augen auf, die den Gesichtszügen etwas permanent Erstauntes oder vielleicht auch Unbedarftes verliehen. Häufiger Aufenthalt unter dem sommerlichen Praiosmal hatte ihren Teint gebräunt und einige Sommersprossen auf den Nasenrücken ausbilden lassen, auf welchen jetzt feine Schweißperlen standen. Eine kleine Verdickung unter der Nasenwurzel kündete von einem einstigen Bruch. Da die Nase gerade geblieben war, tat dieser Makel dem Aussehen der jungen Frau keinen Abbruch, sondern verlieh ihr lediglich einen rauen Akzent. Gewiss, die neu Hinzugekommene war keine Schönheit nach höfischen Maßstäben, sie konnte aber mindestens als sehr hübsch gelten.
Die Kragenverschnürung des ärmellosen Wams aus dunklem Leder war, der Hitze geschuldet, ganz gelöst, was die Sicht auf ein Kettengeflecht mit ebenfalls weit geöffnetem Kragen und gebräunte Haut über dem Brustbein freigab. An der Hüfte, wo Wams und Kette endeten, führte die Frau an einem abgewetzten Waffengurt einen Kusliker Säbel mit brüniertem Korb mit sich. Über Becken und Schenkeln spannten sich Reithosen aus hellem Leder, die in wadenhohen, robusten Stiefeln verschwanden. Noch im Gehen hatte die Frau eilig leinerne Blusenärmel über ihre Unterarme geschoben. Jetzt, als sie stand und zweifellos die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich ziehen würde, hielt sie Rücken und Schultern nicht mehr athletisch gerade, sondern zog den Kopf ein wie eine Scheunenkatze, die gerade des schlafenden Hundes im Hof gewahr worden war.
Die Neue ließ einige Momente verstreichen, bis sie sich sicher war, dass sie auch ja niemanden ein Gespräch wieder aufnahm, das sie mit ihrem Erscheinen unterbrochen haben mochte. Schließlich neigte sie ihr Haupt zu einem schüchternen Gruß in Richtung der Baronin, welche sie als einzige der Anwesenden erkannt hatte. Als keine sofortige Reaktion erfolgt, schob sie nach einem Räuspern ein verlegenes "Leonora von Heiternacht, aus der Baronie Kaldenberg!" hinterher. Letzteres war eindeutig an die anderen Anwesenden gerichtet, zu welchen sie jeweils kurzen Augenkontakt suchte.
Yanna erwiderte den Blick und in ihren blauen Augen spiegelte sich wohlmeinende Überraschung, da sie der Meinung war, dass die andere wohl ebenfalls dem gemeinen Waffenvolk zuzuordnen war. Zumindest wirkte die Nachzüglerin dem Äußeren nach wie eine Reisige und unterschied sich deutlich von den beiden Rittern.
‘Auch wenn der Name adlig klingen mochte’, überlegte die Albernierin, zog es aber vor, rasch wieder zur Baronin zu sehen - für weitere Vorstellungen würde es vermutlich später noch genügend Gelegenheit geben.
Firin hob die Brauen, da er, sich nun doch umblickend, erkannte, wer die vierte im Bunde der Gäste war, und ein Lächeln trat auf sein Gesicht, als er ihr zum Gruße leise zunickte. Leonora von Heiternacht mochte keine enge Freundin sein, kam ihm hier und heute aber dennoch vertraut vor - immerhin waren sie damals gemeinsam in die Rabenmark gezogen, beide als blutjunge Ritter, und hatten dabei bereits so einiges prägendes erlebt und durchstanden. Was um alles in der Welt führte die Kaldenbergerin aber ausgerechnet hierher nach Schnakensee? Sie würden nachher einiges zu bereden haben. Jetzt aber richtete er seine Aufmerksamkeit, wie es sich gehörte, wieder voll und ganz auf die Baronin.

Die Baronin von Schnakensee wollte gerade zu sprechen anheben, als die Schritte sie verstummen ließen und sie ihren Mund wieder schloss. Ungeduldig wartete Sie die Vorstellung der Nachzüglerin ab und unruhig verlagerte die junge Hochadlige ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Als Leonora schließlich ihren Namen genannt hatte und sich alle Augen wieder auf Adula gerichtet hatten, wedelte sie knapp mit ihrer rechten Hand vor ihrem Körper und meinte knapp:
“Gut, gut. Und nochmals meinen Dank…für Euer Erscheinen.”
Dann blickte sie nach links zu dem älteren Mann, der an ihrer Seite stand und den sie doch um eine knappe Haupteslänge überragte.
“Jasper wird euch sagen, weswegen wir nach euch gerufen haben.”
Sie nickte dem Alten zu und ließ sich dann langsam auf den großen Sessel sinken.

Da der Mann bereits etwas gebückt stand, war dessen angedeutete Verbeugung nicht mehr als ein Nicken zu den Anwesenden. Seine Stimme klang rau und überschlug sich das ein oder andere Mal, was er mit einer etwas übertriebenen Lautstärke zu überdecken versuchte.
“Jaja, danke Herrin. Jasper von Niedersprötzingen mein Name, Truchsess der Barone von Schnakensee, seit vieeeelen Jahren schon.”
Er rieb sich die Hände und lächelte zufrieden, ehe er wieder die versammelten Ritter und Krieger in den Blick nahm.
“Auch ich danke euch, dass ihr dem Ruf von Adula von Schnakensee gefolgt seid. Manche hatten es ja schon etwas weiter, möcht’ ich sagen, näch? Hehe…”
Insbesondere Leonora war während der Worte das Ziel seiner Blicke aus zusammengekniffenen Augen. Dann machte er eine wegwerfende Handbewegung:
“Sind aber alle angekommen. Heile, wie ich sehe, gut, gut.”
Ihm schien daraufhin etwas einzufallen, denn seine Brauen hoben sich und sein Gesichtsausdruck verriet Überraschung:
“Wir danken Ihrer Hochgeboren Wunnemine von Fadersberg und ihrem Gemahl für die Grüße und möchten diese erwidern, jaja!”,
freundlich lächelte er in Aureas Richtung und nickte dabei, ehe sich sein Mienenspiel wieder entspannte. Jasper von Niedersprötzingen rieb sein Kinn und schien kurz zu überlegen.
“Weswegen haben wir nach euch gerufen…hmmmm…jaja, heikle Sache…hmmm.”
Dann nahm er jeden einzelnen in den Blick und seine Auge waren nurmehr Schlitze:
“Vertraulichkeit is’ wichtig, jaja. Kann ich darauf zählen, dass alles, was wir hier besprechen und alles, was sich in der Folge ereignen wird, in diesem vertraulichen Kreise bleibt?”

‘Vielleicht hat der Alte das Amt des Truchsess seit zu vielen Götterläufen inne’, überlegte Aurea, angesichts der doch etwas kauzigen Art des Niedersprötzingers. Derweil blickte sie zu den Türen des Saals oder mehr auf das Mauerwerk direkt darüber. Als sie sich dann wieder der Baronin zuwandte, redete sie bewusst mit dieser und nicht mit ihrem Truchsess. “Das in dieser Halle gesprochene Wort mag sonst nicht Sub Rosa erfolgen. Doch da Ihr uns darum ersucht, werde ich Eurem Wunsch, sofern es den Geboten der Götter nicht zuwiderläuft oder Gefahr für meine Familie bedeutet, gern entsprechen.”
Firin unterdrückte mühsam ein Grinsen angesichts der Fehlleistung des Truchsess und beeilte sich, die an sie alle gerichtete Frage ebenfalls zu beantworten, ehe seine Züge seine spöttischen Gedanken doch noch verrieten. "Wohl gesprochen! Wie meine Vorrednerin will und werde ich es auch halten, wobei mein Stillschweigen daran gebunden ist, dass neben meiner Familie auch meiner Dienstherrin und ihren Schutzbefohlenen sowie dem Orgilsbund keine Gefahr daraus droht oder entsteht." Mit den Worten war deren innewohnender Ernst gleichsam in sein Gemüt zurückgekehrt. Aufmerksam beobachtete er die Regungen von Baronin und Truchsess, ob ihm bereits diese Rückschlüsse auf das Anliegen und deren Bedeutung für die Seinen ermöglichten.
Unsicher blickte Leonora zu der Kriegerin hinüber, die noch nicht gesprochen hatte. Da diese sich nicht anschickte, nach dem jungen Ritter - das Gesicht kannte sie doch? - das Wort zu ergreifen, tat sie es. Sie hatte ohnehin nicht viel zu sagen: “Ich schwöre es, bei Rondra.” Nach kurzem Überlegen fügte sie hinzu: “Oder Boron.” Und nach weiterem Überlegen: “Bei Rondra UND Boron.” Es arbeitete in Leonoras Gesicht, als sie darüber nachdachte, ob es passend wäre, zusätzlich auf Praios zu schwören, entschied sich aber dann doch dagegen.
“Ihr könnt darauf zählen, was mich anbelangt”, meinte Yanna schlicht nach der Aufforderung des Vogts und ließ kurz den Blick von Jasper zur Baronin und auch zu dem noch unbekannten bärtigen Mann schweifen. “Ich gebe Euch über mein Stillschweigen mein Wort.”
“Gut, gut, das genügt uns…oder?”,
der alte Truchsess blickte fragend zu seiner Baronin, die aufrecht in dem hölzernen Sessel saß und ihm daraufhin knapp zunickte. Er erwiderte das Nicken mit einem kurzen, zustimmenden Brummen, ehe er sich wieder an die versammelten Kämpen wandte.
“Wir haben es in Schnakensee mit Räubern zu tun!”,
Jasper von Neidersprötzingen riss die Augen weit auf und ließ die Aussage einen Moment im Raum stehen, wohl um die Tragweite zu unterstreichen.
Der junge, bärtige Mann zur Rechten der Baronin schüttelte daraufhin den Kopf und blickte zu Boden, doch konnte man Unwillen in seinem Gesicht erkennen.
Die Baronin selbst blickte jedoch nur ausdruckslos geradeaus und ihre linke Hand spielte gedankenverloren mit dem Knauf des Schwertes, welches an ihrem Sessel lehnte.
“Ja, die hohen Damen und Herren haben richtig gehört!”,
der Truchsess wedelte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand in der Luft herum und blickte einen Kämpen nach dem anderen eindringlich an.
“Eine ganze Weile schon, sicher zwei Götterläufe, treibt diese Brut ihr Unwesen in unserer Baronie. Und wer weiß, vielleicht auch darüber hinaus!”
Jasper von Niedersprötzingen schob seine Unterlippe nach oben und nickte betroffen.
“Zuerst, ja, zuerst hat man gedacht, es wären Streiche. Oder auch der Wolf, der sich ein Zicklein geholt hat. War nie viel. Hier mal zwei Hühner, dort mal ein Sack Korn. Sicher auch Knollen oder Rüben vom Acker. Auf unserem Hof hat man sogar zwei…oder drei Sack Äpfel gestohlen!”
Jasper von Niedersprötzingen atmete tief durch und blickte zu Boden.
“Wer weiß, was noch so alles gestohlen wurde. So Sachen meldet ja nich’ jeder gleich der Baronin!”
Als er seinen Kopf wieder erhob, wirkte er entschlossen und ein wenig zornig.
“Aber in Albrunsburg, da haben sie die erwischt, vor gut vier Monden! …also beinahe erwischt…zumindest gesehen hat man die Bande! Wie zwei von denen davon liefen. Jeder ein kleines Fass vom sauren Winterkraut im Arm!”
Mit der rechten Faust schlug er in die geöffnete linke Hand.
“Der…äh…der…na, der Sohn von den Albruns…burgern, der hat sich mit zwei Knechten daran gemacht, denen zu folgen. War’n aber zu flink, die Räuber, trotz dem Fass! …auch wenn’s nur ein kleines war. Hmmm… Und der…äh…der mit seinen Knechten meinte aber, s’ wären keine Rotpelze gewesen!”
Überraschend ging der Blick des alten Verwalters zu dem jungen Burschen, der neben der Baronin stand. Dieser erwiderte den Blick seinerseits mit einer Miene, die mindestens Verachtung zeigte, was der Alte jedoch zu ignorieren schien.
Als Jasper von Niedersprötzingen die vor ihnen versammelten Kämpfer wieder in den Blick nahm, breitete er die Arme aus.
“Aus diesem Grund brauchen wir tapfere und…ähm…wackere Ritter und Kriegersleut wie euch!”
Mit einem zufriedenen Lächeln schloss er seinen Vortrag.

‘Räuber?’, dachte sich Aurea und war sofort erleichtert. Räuber waren in der Region eigentlich keine Besonderheit, sondern wohl eher an der Tagesordnung. Zugegeben handelte es sich dabei tatsächlich meist um Rot- und Schwarzpelze oder auch mal um ein Raubtier, das beim Vieh Beute schlägt. Was an diesem Belang also vermutlich der Verschwiegenheit unterliegen sollte, war mehr der Umstand, das die Baronin Hilfe von Außen bedurfte und nach dem hohen Blutzoll unter ihrem Vater an der Tesralschlaufe selbst nicht mehr über ausreichend Schwerter verfügte um dem lichtscheuen Gesindel nachzustellen. Dabei wäre es schon beachtlich, wenn die Diebe nicht zu den Rauestahls gehörten und dann noch lebten. “Ist denn bekannt, wie groß die Gruppe ist, wo sie sich vornehmlich herumtreibt oder ob sie zu den Rauestahls gehören?” Erkundigte sich die Richtwalderin deshalb direkt, womöglich steckte der Teufel ja doch noch im Detail.
In Leonoras Gesicht war unverstellte Enttäuschung zu lesen. War sie hierher bestellt worden, um Hühnerdiebe zu jagen? So hatte sie sich ihren Einstand als tapfere, unabhängige Heckenritterin nicht vorgestellt.
Ganz anders die Freie neben ihr, die ein Lächeln unterdrückte: der alte Jasper hatte viel mit den Ausrufern, Marketendern und Schaustellern gemein, die stets Großartiges anzukündigen hatten, obwohl nur wenige wirklich zu überraschen wussten.
Jaspers Schauspiel hatte wohl auch die Baronin und den Bärtigen kalt gelassen, ganz offensichtlich aber auch Aurea. Die Richtwalderin war schnell und stellte die richtigen Fragen - besonders über die Rauestahls - weshalb Yanna anerkennend die Reihe der Freiwilligen entlang zu ihr hinüber blickte.
Firins Gesichtszüge erstarrten und offenbarten gemeinsam mit den für einen kurzen Moment weit aufgerissenen Augen, wie sehr er ihn der Bericht des tattrigen Truchsess schockierte: da hatte er als Knappe am Feldzug wider Haffax teilgenommen, als junger Ritter in der Rabenmark seinen Mann gestanden, und ihr Schwurbund noch immer nicht die Spore des heiligen Orgils gefunden - ausgerechnet in diesen Tagen wurde er von seiner Dienstherrin nach Schnakensee geschickt, um ihrer Amtskollegin bei etwas vermeintlich bedeutsamen zu helfen... das gerade dabei war, sich als Jagd nach Hühner- und Krautdieben zu entpuppen. Sollte Wunnemine von Fadersberg darüber Bescheid gewusst haben, würde er sie ernsthaft fragen müssen, mit was er sich diese Höchststrafe in ihren Augen verdient hatte... hatte er etwa vor lauter bedeutungsvoller Queste in den letzten Monden zu hoffärtig auf sie gewirkt, dass sie ihn nun Demut und Bodenständigkeit lehren wollte? Firin biss die Zähne zusammen und zwang sich, ein seinem Empfinden nach interessiertes Gesicht aufzusetzen.
Der alte Truchsess kniff die Augen zusammen und blickte Aurea an.
“Rauestahls…hmm…das weiß man nich’, nein.”
Er kratzte sich kurz am Hals und schien zu überlegen.
“Aber…hmmm…wir hatten es vor einigen Götterläufen schon einmal mit einer Bande hier zu tun. Die war nicht klein, nein, nein. Waren eine Plage für Schnakensee und auch die Baronien drumherum! Is’ ‘ne Weile her, möcht’ ich sagen. Dann war’s ruhig gewesen, näch?”
Er suchte bestätigung bei seiner Baronin, die ihren Blick kurz von der Gruppe abwandte und zu ihrem Verwalter knapp sprach:
“Ja, das ist richtig.”
Der Blick von Jasper ging wieder zu den vor ihm versammelten Kämpen.
“Ihr seht, hohe Leut’, is’ vielleicht ein altes Übel. Und ihr…”,
er ließ seinen Zeigefinger über die Krieger und Ritter schweifen,
“...werdet das ausmerzen!”
“Mein Bruder wird euch dabei helfen”,
mischte sich Adula von Schnakensee in den Vortrag ein und wies mit der flachen rechten Hand auf den jungen Mann neben ihr, ohne diesen jedoch anzublicken. Dieser allerdings verschränkte seine Arme und sein ganzes Gebaren wirkte, als ob er alleine seine Anwesenheit bei dieser Versammlung als Strafe empfand.
“Er ist Jagdmeister von Schnakensee und kennt sich in den Wäldern am besten aus”,
fügte die junge Baronin hinzu. Dann beugte sie sich in ihrem Sessel nach vorne und stützte ihre Ellenbogen auf ihren Oberschenkeln ab. Während sie ebenfalls ihren Blick über die Runde schweifen ließ, frug sie:
“Morgen könnt ihr aufbrechen. Benötigt ihr noch etwas von uns?”

“Das kommt ganz darauf an”, bemerkte Aurea, die sich ebenfalls eine recht gute Ortskenntnis zugestand. “Ob es sich um Mitglieder der Rauestahls handelt, ist ungewiss, doch wo trieben die Räuber zuletzt ihr Unwesen? Müssen wir uns eher gen Weidenthal orientieren oder eher gen Rahja in die Berge? Je nachdem, bedürfen wir womöglich noch ein wenig Ausrüstung.” Dadurch dass die Rauestahls mit recht straffer Hand sämtliche anderen Räuber vertrieben oder umgebracht haben, gab es nur noch wenig Konkurrenz für sie. Natürlich zogen sie es vor, im Praios von Nordgratenfels ihre Überfälle zu verüben. Über den Tommel zur Reichsstraße und anschließend schnell zurück in die dichten Wälder. Doch egal ob Rauestahls oder nicht. Es war schlicht traurig, dass Schnakensee nicht mehr über genügend Waffenvolk verfügte, um diesen Räubern nachzustellen.
“Was sind denn diese ‘Rauhestahls’?”, platzte Leonoras Frage in die entstandene Gesprächspause. Dies war ihre erste Frage, die ihr noch mehr auf der Zunge brannte als die zweite - die Frage nach einem Badezuber, gerne mit nicht zu warmem Wasser. Die junge Ritterin verband die Erkundigung nach diesen Rauhestahls mit einer Hoffnung, so vermessen sie auch war: Dass das Problem, mit welchem sie hier betraut worden waren, doch eine größere Herausforderung war als das Stellen von abgemagerten Hühnerdieben mit spitzen, schmutzigen Gesichtern und Augen, die stumpf vor Verzweiflung waren.
“Eine Bande von sehr schlagkräftigen Raubrittern”, antwortete Yanna knapp, auch wenn bislang die Richtwalderin das Wort in dieser Angelegenheit geführt hatte. Sicherlich gab es noch mehr zu erzählen, doch die wichtigere Frage hatte Jasper zuvor gestellt. “Auch wenn Euer Bruder…”, kurz blickte die Albernierin zum widerstrebenden Jagdmeister hinüber, “uns als Ortskundiger begleitet, Hochgeboren, wäre ich dankbar für eine grobe Karte Eurer Lande.” Yanna sah wieder zu Adula, die fragend zu ihrem Verwalter blickte, der zunächst nur mit den Schultern zuckte. Ihr Bruder indessen bedachte Yanna mit einem verächtlichen Blick.
“Außerdem ist der Name des vorhin erwähnten Sohnes von den… “, die Reisige zögerte kurz, ehe sie weitersprach, “...Freien aus Albrunsburg sicherlich für uns von Interesse. Und eine letzte Frage: Wie sollen wir mit unserer Aufgabe anderen gegenüber umgehen? Wir haben Euch zwar Verschwiegenheit versprochen, aber anderen wird unser Auftrag doch schnell klar werden, wenn wir als Ortsfremde anfangen, Fragen zu stellen…” Vielsagend wies Yanna auf die Wappenröcke von Aurea und Firin.
Ohne es zu wissen, flackerte in Firin dieselbe Hoffnung auf wie im Geiste Leonoras, doch erstickte diese rasch und noch als kleines Flämmchen wieder, je länger er darüber nachdachte. Was sollte eine Raubritterbande, die etwas auf sich hielt, Kopf und Kragen riskieren, in dem sie einzelne hier in dieser Gegend Hühner, Rüben und Gemüse stehlen schickte, wenn es andernorts wenigstens befahrbare Straßen oder Karrenwege und damit tatsächlich etwas zu holen gab, das man sich in Bandenstärke leicht schnappen konnte und auch ein Risiko lohnte? Nein, wahrscheinlich waren hier nur irgendwelche vor Armut oder Faulheit darbende Untertanen der Baronin das Problem. Aber wenn es sein Los war, genau dieses zu lösen, dann sollte es eben so sein.
Die Frage Yannas nach einer Karte war vorausschauend, wie er anerkennen musste, ihre Sorge, dass ihr Nachfragen als Fremde Staub aufwirbeln würde, der am Ende an der Baronin hängenblieb, teilte er dagegen nicht - sie durften halt nur nicht vollkommen plump vorgehen: "Wir fangen einfach nicht an zu fragen” warf Firin ein. “Wir sagen den Leuten stattdessen, dass wir in Euren Wäldern auf Eure Einladung hin auf der Jagd sind, Euer Hochgeboren - das ist ja noch nicht mal gelogen. Wenn das Problem so groß ist, werden uns die Bestohlenen recht rasch von selbst erzählen, was los ist. Wer will es uns dann verdenken, wenn wir uns anhören, was sie zu sagen haben, und die eine oder andere interessierte Nachfrage stellen?"
Yanna bedachte den Ritter mit einem nachsichtigen Lächeln, als Jasper von Niedersprötzingen nach einigem Überlegen schließlich Yanna direkt ansprach:
“Wüsst’ nich’, dass wir eine Karte hätten. Gibt nich’ viel hier. Kaum Dörfer und daher auch kaum Wege, näch?”
Dann beugte er sich zu seiner Baronin:
“Kann die Emina eine Karte machen lassen, wenn ihr wollt?”
Adula von Schnakensee atmete kurz durch und nickte ihrem Verwalter zu, der sich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder aufrichtete, zumindest so weit, wie es sein vom Alter gebeugter Rücken zuließ. Er sprach direkt zu Yanna:
“Sollt’s eine Karte bekommen. Die ist dann bis morgen fertig.”

“In den Wald!”,
schaltete sich plötzlich der Bruder der Baronin, mit einer für sein Alter erstaunlich tiefen und rauen Stimme, ein. Er spie die Worte förmlich aus und fixierte dabei Aurea.
Seine Schwester sah ihn nicht an, als sie tonlos ergänzte:
“Die ganze Baronie ist von dichten Wäldern bedeckt. Albrunsburg liegt an der Kalte, gen Rahja.”
“Jaja, in die hohen Berge müsst ihr nicht…”,
Jasper von Niedersprötzingen mischte sich wieder ein,
“...aus Kaltenstein sind uns keine Vorkommnisse bekannt…äh…zumindest wurde uns nichts gemeldet, näch?”
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Ganz so, als hätte sie die Worte von Truchsess und Jagdmeister nicht vernommen, wandte sich Aurea erst an die Kaldenbergerin. “Die Rauestahls, Hohe Dame, sind eine Räuberbande, die sich vor längerer Zeit in der Region von Nordgratenfels niedergelassen hat und seither hier ihr Unwesen treibt. Es heißt, ihre Anführer sollen einst gemeinsam mit dem Jergenquell den Landgrafen entführt haben, doch sind vermutlich bis auf den Werten Herrn Truchsess alle Anwesenden zu jung, um um diesen Vorfall zu wissen. Sie überfallen gelegentlich Reisende auf der Reichsstraße. Vermutlich um nicht zu sehr in den Blick von Gratenfels und der Patrouillen zu geraten, sind sie allerdings auch oft in den gesamten Landen der Grafschaft firunwärts des Tommel unterwegs.”
Damit, befand sie, sollte ausreichend erklärt sein, bei wem es sich um die Rauestahls handelte und auch, dass sie verschlagen genug waren, sich einer Ergreifung zu entziehen. “Vielen Dank Euer Wohlgeboren.”, wandte sie sich nun dem Jagdmeister zu. “Wir müssen also nach Sprötzenquell, wenn ich Euch recht verstanden habe.” Dabei verzog sie keine Miene. Derlei Verhalten kannte sie zuhauf und dabei war dieses noch nicht einmal gegen sie persönlich gerichtet. Während ihrer Zeit als Knappin hatte sie als Nordmärkerin in Albernia verbracht, wenn auch bei der ebenfalls nordmärkischen Familie ihrer Mutter und diese war bis heute noch nicht gut gelitten in der Region. “Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es allerdings neben Wald auch noch Moore und Sümpfe, Berge und Täler und so würde ich hier für Gerüstete durchaus einen wichtigen Unterschied sehen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass in Schnakensee vor allem am Bogen ausgebildet wird. Wir jedoch sind zu Ross und gerüstet, seht uns also bitte nach, dass wir nur ungern in einem Moorloch ertrinken wollen.” Und auch wenn sie den Bruder der Baronin hier zurechtwies, brauchten sie möglichst viele Informationen und nicht nur ein paar faule Brocken. Abgesehen davon war die Baronie tatsächlich kaum mehr als ein einziger riesiger Wald.
“Herr von Niedersprötzingen, habt Ihr denn Erkundigungen in Kaltenstein eingeholt oder verlasst Ihr Euch bisher darauf, keine Kunde erhalten zu haben?”
Insbesondere Adula von Schnakensee hörte der jungen Ritterin bei deren Ausführungen über die Räuberbande aufmerksam zu, während ihr Bruder sein Desinteresse dadurch kund tat, dass er mit zusammengekniffenen Lippen durch das mehrere Schritt entfernte Fenster starrte. Lediglich bei Aureas Hinweisen bezüglich der Fährnisse einer Reise durch die Wälder hoch zu Ross, konnte er ein Grinsen nicht verbergen.
Als der Verwalter der Baronin von der Ritterin direkt angesprochen wurde, konnte man sehen, dass er sich ertappt fühlte. Während er seine Hände umeinander rieb, stammelte er:
“Ähh…ja, berechtigte Frage! Wir…ähm…also…Kaltenstein ist nun recht weit, tät’ ich sagen. Hmmm…will meinen, hingeschickt zum nachfragen ham’ wir niemanden, näch?”.
Er blickte etwas schuldbewusst zu seiner Herrin, deren Miene jedoch keine Regung zeigte. Dann wandte er sich wieder Aurea zu:
“Aber am Niedersprötzinger Hof, da sind ‘se gewesen! Liegt auf dem Weg nach Kaltenklamm. Also beinahe…hmmm…Am besten geht’s zuerst zur Albrunsburg. Da liegt auf dem Weg auch der Hof vom…ähm…also praioswärts, beim alten Dorf, da liegt ein Hof, da hat man auch was geraubt.”
Er nickte sich bestätigend selbst zu.
Währenddessen schüttelte der Bruder der Baronin, der zu deren Rechten stand, mit dem Kopf, den Blick noch immer zu den Fenstern gerichtet. Man konnte sehen, dass sich seine Lippen bewegten, woraufhin die Baronin kurz die Augen schloss. Als sie diese nach einem Augenblick wieder öffnete, sprach sie mit einer eindringlichen Stimme, jedoch noch immer nach vorne blickend:
“Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es!”
Im Gesicht ihres Bruders war kurz Überraschung zu erkennen und er zuckte zusammen. Langsam drehte er seinen Kopf und man sah, dass er mit den Zähnen knirschte. Schließlich wirkte es so, als würde er sich regelrecht dazu zwingen müssen, etwas zu sagen, was er langsam und mit leiser, aber bebender Stimme tat:
“So ein dummes Gerede, das waren scheiß’ Rotpelze! Also müssen wir tief in den Wald. Dahin kann man keine Pferde mitnehmen.”
Er musterte die vor ihm versammelte Schar und schien angespannt auf eine Reaktion zu warten. Er ballte die Fäuste und wirkte dabei, als mache er sich bereit, einen Angriff abzuwehren.

“Also reiten wir zur Albrunsburg und nehmen von dort aus die Fährte auf?”, fragte die Richtwaldern höflich nach. “Folglich wäre wohl leichtere Ausrüstung angebracht, festes Lederzeug und eher nichts, das übermäßig klimpert und klingt.” Wie auch ihre restliche Familie, pflegte auch sie ein großes Interesse an der Jagd und dabei würde niemand von ihnen auf die Idee kommen, Fallen zu verwenden.
"Das erscheint mir im Lichte der vorliegenden Tatsachen der richtige Plan!", pflichtete Firin Aureas Vorschlag bei, um sodann dem Jagdmeister Contra zu geben: "Wenngleich ich mir nicht vorstellen kann, dass es wildlebende Rotpelze waren - die kann man kaum mit dahergelaufenen Strauchdieben oder gar Raubrittern verwechseln, selbst wenn man ihrer nur flüchtig angesichtig wurde, noch dazu in einer Gegend, in der jeder Bauer weiß, wie Goblins aussehen und durchaus mit ihnen rechnet. Aber alles höchstspekulativ… Wir sollten uns vor Ort umsehen, mit unvoreingenommenen Augen."
Firin hatte keineswegs die Absicht, die Rotpelze in Schutz zu nehmen - anders als der Burgoffizier seiner Dienstherrin und dessen Familie: Die behaupteten merkwürdigerweise sogar, dass man ganz gut mit jenen auskommen konnte - wenn man ihnen nur aus dem Weg ging und deren Revier respektierte, dann täten die Goblins das umgekehrt ebenfalls, und Platz genug sei ja in den Wäldern. Er selbst war tatsächlich auch noch mit keinem aneinandergeraten, seit er in Ambelmund diente - was natürlich nicht zuletzt daran liegen mochte, dass er noch nicht besonders lange und selbst in dieser Zeit nur sporadisch tatsächlich dort geweilt hatte, und ferner in den Wäldern vor allem die Tannenfelser und die Schwarztanns walteten. Von seinem Elternhaus hatte er jedenfalls ein gesundes Misstrauen allen aufrechtgängigen Bepelzten - egal ob Rot oder Schwarz - gegenüber auf den Weg mitbekommen, das er noch immer bewahrte.
Leonoras Mundwinkel sanken immer weiter nach unten, als sich herausbildete, wie diese Strafexpedition gegen jene Hühnerdiebe vonstatten gehen sollte - zu Fuß… "Wie sollen wir die denn finden?", fragte sie zweifelnd in die Runde. "Die Wälder hier sind ja endlos! Wenn sie still halten, können wir in 20 Schritt an ihnen vorbeilaufen, ohne sie zu bemerken."
Der Bruder der Baronin grinste Leonora an, sein Gesicht hatte dabei etwas Animalisches. Er sprach ganz leise, aber dennoch für alle gut hörbar, nur ein einziges Wort:
“Ihr!”

Die Baronin selbst überging diese Bemerkung und sprach die vor ihr aufgereihten Kämpfer an:
“Falls ihr Ausrüstung, Verpflegung…was auch immer braucht, dann sprecht den Marschall an. Er wird euch mit allem versorgen, was wir euch bieten können. Ihr findet ihn meist im Hof.”
Dann schien ihr etwas einzufallen und es zeigte sich eine leichte Röte auf ihrer Wange.
“Liudger Thomundson, meine ich.”
Ihr Truchsess mischte sich kurz ein:
“Jaja, so ist es. Könnt’ ihn nicht übersehen. Und eine Karte, ja eine Karte bekommt ihr später auch noch!”.
Der alte Mann machte einen zufriedenen Eindruck, so, als hätte er sein Tagwerk erfolgreich beendet.
“Wir haben euch auch schon eine Unterkunft eingerichtet. Drüben in der Garnison, auf der anderen Seite des Hofes. Dort ist noch genug Platz!”
Mit der rechten Hand begann er, sein Kinn zu reiben.
“Ah!”,
rief er darauf hin aus,
“...Essen, natürlich!”
Er lächelte die Kämpen an und zeigte mit dem Finger in deren Mitte.
“Zur Firunsstund’ speisen wir hier in diesem Saal. Ihr seid herzlichst eingeladen. Können euch den Braten aber auch auf die Stube bringen lassen. Wie ihr bevorzugt, hehe.”

"Dürfen wir zuvor nach einem Bad verlangen?", platzte es aus Leonora heraus, ehe sie darüber nachdenken konnte.

Diese Frage brachte den Truchsess sichtlich aus dem Konzept. Er wog seinen Kopf hin und her und sein Unterkiefer arbeitete.
“Ja…ein Bad…hmmm…ja sicher. Hmmm…”,
er schien dann einen Einfall zu haben, denn sein Kopf verharrte in der Bewegung und seine Unterlippe schob sich nach oben. Für einen Moment ließ er die Grimasse so stehen, ehe er zu nicken begann.
“Wird sich machen lassen. Haben aber nur zwei Zuber. Hmmm…wird dauern. Würd’ sagen, kommt eine Stund’ vor dem Essen, dann haben wir die fertig, näch?” Er blickte fragend in die Runde.

"Ich lasse den Damen selbstverständlich den Vortritt an den Zubern, wäre anschließend aber einem Bade ebenfalls nicht abgeneigt, ganz besonders angesichts der verheißungsvollen und dankenswerten Aussicht auf ein Abendmahl in so angenehmer Gesellschaft!" Firin verneigte sich mit einem Lächeln in Richtung der Baronin. Dabei fokussierte er diese ganz angestrengt - wollte er doch keinesfalls den unhöflichen Stoffel zu ihrer einen und den tattrigen Truchsess zu ihrer anderen Seite ansehen und sich hierbei seiner eigenen Worte wegen unweigerlich wie ein Lügner oder gar Spötter vorkommen müssen. Davon abgesehen gab es auch deutlich unangenehmere Anblicke, wie Firin sich selbst eingestehen musste… und das lag nicht nur am Kontrast zu ihrer Umgebung.
Auch die Albernierin verbeugte sich gegenüber der Baronin von Schnakensee und versuchte damit gleichzeitig, ihr breites Lächeln über die fast unverhohlene Werbung des Landwachters zu überspielen. “Gerne nehme ich die Gastung und Einladung zum gemeinsamen Mahl an. Travia Dank, Hochgeboren”, dann trat sie einen Schritt zurück und überließ anderen das Wort.
Aurea Lechmin von Richtwald meldete sich als nächstes: Sie war erst am Morgen auf dem Richtwald aufgebrochen, hätte sie das gewusst, hätte sie direkt zur Albrunsburg reiten und dort auf die anderen warten können. Es hätte ihr deutlich Weg erspart. Da sie zuvor jedoch erst von der Vairnburg aus nach Schnakensee geritten war, fand auch sie ein Bad recht verlockend. Allgemein sprach selten etwas gegen ein entspannendes warmes Bad in guter Gesellschaft. “Habt Dank, Euer Hochgeboren”, bedankte sie sich deshalb, wie es die Höflichkeit gebot, bei Adula. “Wenn ich das richtig sehe, werden wir uns alle dann etwas Gesellschaftstauglich machen und sehen uns zum gemeinsamen Mahl zur Firunsstunde hier wieder.” Damit verbeugte sie sich nochmals. Ein Zeichen abwartend nun endgültig entlassen zu sein, machte sie sich erst anschließend auf dem Weg in die Garnison gegenüber. ‘Jagen in Schnakensee. vielleicht, wenn Basin einmal wieder hier ist und auch Wulfrun, dann könnten wir womöglich einmal wieder alle zusammen auf die Jagd gehen’, überlegte sie derweil und nahm sich vor, ihrem Bruder diese Idee mitzuteilen und eventuell die Gelegenheit für einen Familienrat zu nutzen.
Die Kaldenberger Ritterin beließ es bei einem knappen Nicken und einer nur geringfügig ausführlicheren Verbeugung.
Nach der Verabschiedung im Rittersaal winkte der Verwalter einen jungen Burschen im Alter von gut 10 Götterläufen herbei, der die Gäste zu ihren Gemächern führte. Bei deren Weg über den Hof konnten sie sehen, dass die Übungen der Schützen wohl gerade vorüber gewesen sind, denn die dort Versammelten verräumten die Zielscheiben und die Waffen in einer Kammer auf der Rückseite der großen Scheune.

Der Abend vor der Abreise

Eine Reise ins Ungewisse