Post aus Rodaschquell


Ort: Grafschaft Isenhag, Stadt Senalosch und Baronie Rodaschquell

Zeit: RON 1046 B.F.

Inhalt: Oberst Dwalin erreicht ein Brief seines Freundes Darian von Sturmfels, die ihn dazu bewegen mit kleiner Bedeckung gen Rodaschquell aufzubrechen.

Eine Briefspielgeschichte von RekkiThorkarson und Rodaschquell


Post aus Rodaschquell

Senalosch am 18. Rondra 1046
Als Dwarosch am frühen Morgen des 18. Rondra, nach einer unangekündigten Inspektion seiner Soldaten in den Kasernen von Mortrazrom und dem täglichen Morgenappell, in die Gewölbe des unterirdisch liegenden Kor-Tempels der Stadt kam, um Zwiesprache mit dem streitbaren Sohn des Allvaters zu halten, eilte ihm sein Adjutant entgegen.
“Dom Dwarosch, eine Nachricht für Euch”, meldete der junge Bursche. “Der Bote ist im Morgengrauen am Isenhager-Tor eingetroffen. Er sagte, er komme aus Rodaschquell vom Hofe der Baronin”, fuhr Ramiro, der stolz die Farben des Regimentes und ein Kurzschwert an der Seite trug, fort, als er Haltung angenommen hatte.
Neugierig, aber auch ein wenig irritiert ob seiner Herkunft nahm der Oberst den Brief entgegen und steckte ihn sogleich ein. Er musste warten. Die Nachricht konnte praktisch nur persönlicher Natur sein, unterhielt der Oberst doch keinerlei dienstlichen Verbindungen an den Hof von Liana Alyandéra Morgenrot.
Die Handschrift auf dem Umschlag war ihm unbekannt, nicht in den Runen des Rogolan verfasst und zu schnörkellos - zu nüchtern in ihrer Schlichtheit, um aus der Feder der Elfin zu stammen. Das “An Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin” verriet darüber hinaus nichts über den Inhalt der Botschaft.

Gemeinsam mit Ramiro trat Dwarosch kurz darauf den Weg hinauf zum Haus den Vogtes in der Nähe des Widdertores an, nachdem der Oberst das Allerheiligste des Tempels der Bestie der immerwährenden Dunkelheit aufgesucht und dort vor dem Kriegerdenkmal seiner vor Mendena gefallenen Brüder und Schwestern gedacht und zu Kor gebetet hatte.
Der Oberst des Eisenwalder Garderegimentes Ingerimms Hammer würde mit Mirlaxa und Borindarax - einem seiner engsten Freunde - frühstücken, um seine Ziehtochter dann in die Schule zu bringen, so, wie er es nahezu jeden Tag tat. Ab und an übernahm diese Aufgabe Boindil, der Leibwächter des Nilsitzer Vogtes, der gleichzeitig sowas wie Boraxs Hausdiener war. Dwarosch schätzte den jungen Krieger und vertraute ihm, sonst hätte er ihm diese Aufgabe niemals anvertraut.
Unterwegs, es war ein frischer, klarer Morgen und sie passierten gerade den großen Marktplatz Senaloschs über dem der Tempel der Schätze des Allvaters thronte, riss Dwarosch den Umschlag auf und entfaltete das Büttenpapier darin. Der Oberst hatte gute Laune an diesem Tag. Die Inspektion und der Morgenappell war ohne Beanstandung von seiner Seite verlaufen und selbst die düsteren Gedanken, die ihm jedes Mal im Kor- Tempel heimsuchten, wenn er an den Zwinger von Mendena und all das Blut, an all die Toten dachte, verfinsterte sein Gemüt nicht. Die Zeit der Trauer war vergangen. Außerdem freute sich Dwarosch auf das Lächeln und eine Umarmung seiner Tochter, Topaxandrinas deftiges Frühstück nicht zu vergessen. Doch die Miene des Oberst versteinerte sich zusehends, als er die Zeilen las, die an ihn gerichtet waren, bis er schließlich stehen blieb.


Gegeben zu Burg Rodaschblick am 15. Tage der Herrin Rondra im Jahre 1046 nach Bosparans Fall

Meinen Gruß zuvor, Dwarosch, Sohn des Dwalin!

Dunkel sind die Zeiten, in denen ich mich dieser Tage an Euch wende und um Rat und Hilfe ersuche. Die Feder wiegt schwer in meiner Hand. Nicht nur, weil ich nie ein Mann großer Worte war. Sondern auch, weil es mir dieser Tage besonders schwer fällt, meine Gedanken zu ordnen, um sie zu Papier zu bringen.

Gleichwohl hoffe ich, dass ich auf Euch zählen kann. Denn nach Eurem Besuch auf der Rodaschblick und der gemeinsamen Zeit, die wir dort verbrachten, glaube ich, dass Ihr der einzige seid, der mir rechte Hilfe zu geben vermag. Zumal es dieser Tage schwer ist, zu wissen, wem man wirklich trauen kann.

Meine Herrin, die holde Dame Morgenrot, Baronin zu Rodaschquell, sie ist … fort. Ich weiß nicht, wohin. Manche sagen, sie sei tot. Manche sagen, sie sei nun eins mit denen ihres Volkes, die vor ihr gegangen sind. Schnell hatte die Nachricht sich verbreitet, und schon zetert der Vogt, die Geier würden über dem Kirschthron kreisen, um unter ihnen einen neuen Herrn oder eine neue Herrin von Rodaschquell zu küren.
Doch ich will das nicht glauben. Denn ich war dabei und sah, wie sie … entrückt wurde.

Gewiss wisst Ihr um die Umtriebe des verruchten Paktierers, welcher “der Pruch” geheißen wird. Und vielleicht wisst Ihr auch um die Bemühungen einer Schar Eingeweihter, die gemeinsam ein altes Artefakt wiederherstellen wollten, das die Einheit der Völker der Nordmarken versinnbildlicht, und das zerstört worden war.

Jene Eingeweihten baten meine Herrin, ihnen im Namen der Elfen dabei zu helfen, jenes Artefakt zu heilen. So, wie es auch Vertreter der Menschen, Angroschim und sogar jene aus des Flussvaters Reich taten. Und trotz vieler Angriffe gelang es, die notwendigen Rituale zu vollziehen, und tief in den Gewölben der Eilenwíd sollte das Herz der Nordmarken, ein Kristall von einzigartiger Machart, wieder zusammengesetzt werden.

Die Häscher des Pruch sowie er selbst trachteten erneut danach, dies zu verhindern. Ein entsetzlicher Kampf gegen die Mächte der Finsternis entbrannte, ehe es uns gelang, mit der Macht des Herrn Praios sowie der Sturmgöttin in unseren Herzen die Angreifer zurückzuschlagen. Ihre Hochgeboren selbst war dabei zugegen und bot all ihre Kräfte auf. Doch um welchen Preis? Viele Opfer gab es zu beklagen an jenem Tage, darunter auch tapfere Streiter aus Eurem Volk. Ich ehre ihr Andenken und bete zum Herrn des ewigen Schlafes wie auch zum Herrn Ingerimm, den Ihr Angrosch heißt, dass ihre Seelen Einzug gefunden haben mögen in die Halle des großen Schmieds. Denn ihr Mut und ihre Aufopferung sind beispiellos.

Nach dem Kampf gab es einige, die an der Schwelle des Todes standen. Da eilte meine Herrin zum Ritter von Weissenquell, um den es besonders schlecht stand. Und sie gab ihre letzte Kraft, um ihn zu retten. Danach sah ich nur noch, wie sie dahin sank wie eine welke Blume. Ihre Augen ohne den Glanz, den wir beide nur zu gut kennen.

Doch dann öffnete sich aus dem Nichts ein Tor, hinter dem blauer Himmel mit treibenden Wolken zu sehen war. Und heraus trat ein Elf, der anders war als alle, die ich jemals sah. Er wirkte wie ein Fürst. Er sah uns traurig und anklagend zugleich an. Dann ging er zu ihr, legte ihr seine Hand auf die Stirn und sprach mit ihr. Und sie öffnete wieder ihre Augen! Dann hob er sie auf und entschwand mit ihr durch das Tor, das sich hinter ihm schloss.

Die Tage und Wochen sind ins Land gegangen. Dass sie tot ist, wie manche sagen, und von den ihrigen ins Licht geholt wurde, will ich nicht glauben. Doch sie ist fort. Und ich weiß nicht, was ich tun kann. Stets glaubte ich, an ihrer Seite zu sein, bis mein Schwertarm zu kraftlos geworden sei.

Die Sonne scheint stark dieser Tage, und doch ist es kalt und leer geworden auf der Rodaschblick. Ich erinnere mich an die Geschichten, die Ihr mir erzählt habt, als Ihr Gast auf der Rodaschblick wart. Und so ersuche ich Euch nun um Rat. Und hoffe, dass Ihr bereit und Willens seid, ihn mir zu geben.

Darian von Sturmfels, Ritter zu Rodaschquell


Dwarosch ließ den Brief sinken und schloss kurz die Augen um ein tiefes Seufzen von sich zu geben. Der Klagelaut drückte Bedauern und tiefe Trauer aus.
Als er dann wieder zu seinem Adjutanten blickte, hatte eiserner Selbstbeherrschung die Kontrolle übernommen. Einmal atmete Dwarosch ein und aus, dann sprach der Sohn des Dwalin mit fester, fordernder Stimme:
“Lauf in die Kasernen und suche Boringarth. Er soll meinen Rucksack für eine Wanderung packen. Ich brauche Proviant für einen halben Mond. Er soll Andragrimm informieren, dass ich ihn brauche. Außerdem nehme ich zwei Gebirgsjäger mit. Sag Grimm, er soll Brinax und Lothor auftreiben. Es geht nach Rodaschquell.”
Der Junge salutierte eiligst, als Dwarosch geendet hatte. “Jawohl Oberst”, war alles was von ihm zu vernehmen war, dann rannte er auch schon der steilen Rampe entgegen, die zum Widdertor hin führte. Mirlo oder Mirlox, wie die Zwerge ihn nannten, mochte ein Mensch sein, aber als Teil des Regimentes war es ihm gestattet bis in die hinter dem Eingang nach Isnatosch befindlichen Kasernen zu gelangen, um seinen Dienst ausüben zu können. Dwarosch indes setzte gemächlichen Schrittes seinen Weg fort, um sich zu sammeln.
Liana und er waren sich nur wenige Male begegnet, aber ihre Aufeinandertreffen waren stets von mehr als nur gegenseitigem Respekt geprägt gewesen. Nein, die Dame Morgenrot war Dwarosch mit Empathie und einer natürlichen Aufrichtigkeit entgegnet, die den Oberst vom ersten Moment an entwaffnet hatte. Sie hatten sich auf einer Ebene verstanden, wie es nur Wesen konnten, die bereits auf ein langes Leben zurückblicken konnten und gelernt hatten, es verstanden, hinter die Fassade zu blicken.
Wirklich gekannt hatte er das mystische Wesen, welches schon so lange auf dem Rosenthron gesessen hatte- auf einem Lehen mitten im Kernlande der Angroschim, sicher nicht. Doch seine Empfindungen waren aufrichtig, denn sie würde fehlen.


Als Dwarosch wenig später an der schweren, von Eisenbändern im Mauerwerk gehaltenen Tür des Hauses der Vögte von Nilsitz, hoch über den oberirdischen Teilen Senaloschs klopfte, öffnete ihm Boindil mit einem breiten Lächeln. Doch der Oberst hatte zunächst nur Augen für seine Tochter, die an dem blonden Krieger vorbei stürmte, direkt in Dwaroschs Arme, der sie hochhob und an sich drückte
Das Mädchen war fünf Jahre, besaß rabenschwarzes Haar und hatte dunkelbraune Augen- die Augen ihrer Mutter. Mirla war bereits jetzt, mit ihren wenigen Sommern etwas über einen Schritt groß und gut genährt, dank der reichhaltigen Küche im Hause des Vogtes. Dwarosch wusste, dass seine Ziehtochter seine eigene Größe in nur wenigen Jahren erreicht haben würde. Sie waren so verschieden und doch kümmerte es die Liebe nicht, die er empfand. Dies hatte für Marbolieb gegolten- galt wohl tief in seinem Herzen immer noch und trat auch für ihre Tochter zu.
Nachdem die Tür sich hinter dem Oberst geschlossen hatte, fand man sich in der guten Stube ein, wo Topaxandrina, die gutmütige Haushälterin des Vogtes gerade dabei war aufzudecken. Boindil, ihr mehr oder minder heimlicher Verehrer ging ihr sogleich wieder zur Hand und man bemerkte im Miteinander der beiden, dass sie ein eingespieltes Duo waren.
Borindarax, der Urenkel des Rogmarog von Isnatosch, saß bereits am Tisch. Er sah kurz von einem Buch auf, in dem er angeregt las und grüßte Dwarosch beiläufig, doch der Oberst wusste, dass dies keine Geringschätzung verriet. Borax, wie Dwarosch seinen Freund nannte, war eben so.
Der Oberst setzte seine Tochter, die er bis hierhin, wie ein erlegte Jagdbeute über der Schulter getragen hatte, setzte Mirlaxa auf den Stuhl ab, an dem sie für üblich saß, wenn sie gemeinsam aßen. Das Mädchen, was sich die ganze Zeit spielerisch gewehrt und dabei gelacht hatte, strich sich eine Stähne ihres Haares aus dem Haar und Dwarosch küsste ihren Scheitel, bevor er sich selbst setze.
“Borax”, ergriff er dann sogleich leise das Wort und der Ernst seiner Stimme ließ den Vogt sofort innehalten und das Buch senkte sich, so dass ihre Augenpaare sich trafen.
“Du klingst besorgt, was ist los?”, fragte Borindarax ohne umschweife und auf einmal war es still im Raum. Auch Topaxandrina und Boindil hielten inne und Mirla, welche offenkundig über ein besonders empathisches Gespür verfügte, verstummte ebenfalls.
“Ich habe Nachricht aus Rodaschquell erhalten. Darian von Sturmfels schrieb mir. Liana, ich meine die Baronin… sie ist… sie wird vermisst. Es gab einen schrecklichen Kampf bei der Vereinigung der Teile des Herzens der Nordmarken. Es gab Tote und sie gab zu viel von Madas Macht, um Todgeweihte zurück ins Leben zu holen. Ein anderer Elf trat durch eine Art Tor… doch lies selbst.”
Der Oberst gab seinem Freund den Brief und dieser las. Als Borindarax geendet hatte sah er ungläubig zu Dwarosch auf. “Ich weiß”, erwiderte dieser. “Es klingt unglaubwürdig. Doch das was du mir vom Ritual in Xorlosch berichtet hatte, klang nicht glaubwürdiger. Borindarax, ich glaube nicht, dass Liana tot ist. Sie wird auch nicht ‘ins Licht gegangen sein’. Das was dort stattgefunden hat war nicht der Übergang in eine andere Darseinsebene, es war ein Elf der sie geholt hat. Ich denke Darian ist ebenfalls davon überzeugt, oder er trägt zumindest die Hoffnung in sich, dass dem so ist.
Ich werde nach Rodaschquell reisen und nach dem Rechten sehen. Borax, du”, der Vogt nickte. “Du brauchst nichts sagen Dwarosch. Wir haben diese Diskussion ein ums andere Mal geführt. Sie mag eine Biunfeya sein, doch sie hat ihren Platz im Isenhag und sie wollte unserer Rasse nie etwas böses. Ich werde dem Grafen schreiben und ihn bitten klarzustellen, dass sie vermisst wird und dass ihr wie jedem anderen Adligen eine Frist gebührt, bis rechtmäßig über ihre Nachfolge entschieden werden kann.
Du und ich, wir sind uns einig, dass Korniger ein schrulliger Waldschrat ist und dass er sein eigenes Süppchen kocht, aber einstweilen, werde ich mich für ihn aussprechen, der Dame Morgenrot zuliebe.”
Dwarosch nickte. “Danke Borax.” Der angesprochene schüttelte den Kopf. “Dafür brauchst du mir nicht danken. Ich tue dies nicht vorrangig für dich, sondern aus eigener Überzeugung. Ich will keinen Mersinger, Sturmfels oder weiß der Wühlschrat wen auf dem Kirschthron sitzen haben.”
Abermals nickte der Oberst. “Dann ist es entschieden.” Dwarosch griff anch der Hand seiner Tochter und drückte sie zärtlich. Jeder Abschied tat weh, doch es musste sein.
“Ich breche morgen vor Sonnenaufgang auf.”

Nordmarken Barsch2.png

Der Weg nach Kelnen, der Kleinstadt zu Füßen von Burg Rodaschblick, war in mehrfacher Hinsicht einfach. Es gab generell nur wenige Straßen – eigentlich bessere Karrenwege –, die in die Baronie an den Ausläufern der Ingrakuppen führten, und überdies kannte Dwarosch die Gegend nur zu gut von seinen vielen Reisen.
Keine andere Baronie lag so nahe an der heiligen Stadt Xorlosch wie Rodaschquell. Das erklärte auch, warum dieser Landstrich so friedlich war: Niemand war dumm genug, die Angroschim zu provozieren oder gar zu verärgern. Orks, wie sie sich manchmal in den nördlichen Ausläufern der Grafschaft Gratenfels herumtrieben, gab es hier nicht. Und falls Goblins in Rodaschquell leben sollten, so mussten sie sich tief in ihre dunklen Erdlöcher vergraben haben, denn man bekam auch sie nie zu Gesicht.
Bergbauern, die ihre Kühe und Schafe über die Almen trieben und artig grüßten, wenn der Oberst und seine drei Begleiter an ihnen vorbeigingen, prägten das Bild. Dazu hin und wieder Holzfäller und Köhler sowie Bergleute, die ihrem Tagewerk nachgingen – nicht wenige davon selbst Angrochim.
Als Dwarosch und seine Gefährten Kelnen erreichten, erkannte der Oberst gleich den einladenden Gasthof wieder, den „Rosenhof". Die Terrasse mit dem hölzernen Dach und den Wildrosenranken, die sich an den Pfeilern hochschlängelten, machten dem Namen des großen Fachwerkbaus alle Ehre. Obwohl noch immer Friedselma das Gasthaus führte, oder schon ihre Tochter? Die resolute Wirtin war ihm gut im Gedächtnis geblieben. Ebenso wie die Gewissheit, dass die Betten hier besser waren als jene oben auf der Burg, die – den rauschenden Wasserfall hinter sich – auf einem kleinen Berg thronte und das umliegende Land überblickte.
Doch so gerne sich Dwarosch an seine Besuche in dem Gasthaus erinnerte, er würde dort trotz guten Essen, schmackhaften Bier und einem gemütlichen Bett keine Ruhe finden. Es galt einem Freund beizustehen, der sich vermutlich in einem Ausnahmezustand- ja, wenn nicht gar einer Existenzkrise befand.
Dwarosch wusste um die besondere Beziehung zwischen Darian und Liana, um bedingungslose Loyalität, sowie unausgesprochene und unerwiderte Liebe. Er machte sich Sorgen und dies trieb ihn weiter.


Es war noch nicht spät. Die Sonne stand noch hoch und tauchte den friedlichen Ort in einen sommerliches Licht. Hier schien zunächst alles beim Alten zu sein: Spielende Kinder, ab und an kleine Karren mit Heu, das eingefahren wurde, sowie Handwerker, die ihrer Arbeit nachgingen und nur kurz aufschauten, als Dwarosch mit seinen drei Begleitern durch die Straße zog, die beim anderen Stadttor hinauf zur Burg führte. Angehörige des Volkes unter dem Berg waren schließlich keine Seltenheit in Rodaschquell. Dennoch bot der gut gerüstete Oberst auch für einen Angroschim einen nicht alltäglichen Anblick, und seine Begleiter unterstrichen dies nur noch. Dem erfahrenen Auge Dwaroschs entging nicht, dass sich so manches Mal Sorge hinter einer Mine verbarg, die auf den ersten Blick ausdruckslos schien.
In der spätsommerlichen Hitze war der Aufstieg zur Burg durchaus nicht unbeschwerlich, aber den erfahrenen Gebirgsläufern machte das wenig aus. Vielmehr schien sie die Hoffnung auf ein kühles Bier auf dem letzten Stück des Weges anzuspornen, wie es der vermutlich gut gefüllte Vorratskeller der Burg herzugeben versprach.
“Ein Jammer, dass man diese Burg so hat verkommen lassen”, raunzte Grimm abfällig und mehr zu sich selbst, aber dennoch gut hörbar, als er die halb zerfallenen Wälle der Außenmauern begutachtete. Wälle, die vor langer Zeit mächtig und wehrhaft gewesen sein mussten, nun jedoch von wilden Rosen überwunden worden waren.
Am Tor zur Innenburg - deren Mauern Grimm, wie es schien, zumindest halbwegs zufriedenzustellen vermochten, stand eine Wache. Es war einer Büttel der Burg, und er erkannte Dwarosch. “Ingerimm zum Gruße, Herr Oberst”, sagte er, als die kleine Truppe auf das Tor zuging und einige Meter davor stehenblieb.
"Angrosch zum Gruße, guter Mann", erwiderte Dwarosch und schenkte dem Wachmann ein warmes Lächeln. Auch er erinnerte sich.
"Seid zu freundlich und meldet mich und die Männer bei eurem Vogt an und schickt nach dem Hohen Herren von Sturmfels", bat der Oberst.
"Dürfen wir uns bis zu seiner Ankunft im Innenhof ausruhen?"
Nach einem kurzen Zögern nickte die Wache sogleich.
“Ich werde Herrn Welzelin Bescheid geben, dem Haushofmeister”, sagte er dann.
“Bitte, tretet ein in die Rodaschblick und folgt mir.”
Hinter dem kleinen Vorhof mit der Schmiede lag ein weiteres Tor - gerade so hoch, dass eine Kutsche hindurch passen mochte. Bei seinem ersten Besuch der Burg war Dwarosch noch im Vorhof vom Haufhofmeister abgepasst worden. Schlagartig erinnerte er sich daran, seinen Waffengurt nochmal zu prüfen …
“Männer”, sprach Dwarosch mit der Situation angemessenen Unterton. “Nehmt eure Waffen ab- alle. Wir werden sie in die Obhut der Wachmannschaft geben. Sie sind hier bestens aufgehoben, glaubt mir.”
Und auf die darauf folgenden, skeptischen Blicke seiner Soldaten hin ergänzte er: “Ich war Zeuge einer merkwürdigen Begebenheit bei meinem ersten Besuch auf Rodaschblick. Ich war zunächst auch argwöhnisch, doch glaubt mir, die Magie dieses Ortes ist keine Drachenmacht, ganz im Gegenteil und sie wirkt nur bei jenen, die sich bewaffnet über ihre Schwelle bewegen. Sie schützt diesen Ort und seine Bewohner. Dies ist ein Hort des Friedens und der Harmonie und wir sollten dies respektieren.”
Zögerlich nickten Grimm und die beiden Bergjäger, dann nahmen sie zunächst noch skeptisch ihre Waffengurte und -gehänge ab, bis sie sahen, dass Dwarosch mit gutem Beispiel voran ging.
Gunnart - die Burgwache - betrachtete dies mit sichtlichem Unbehagen. Es schien, als suche er nach dem richtigen Moment, etwas zu sagen. Als nach Dwarosch nun auch dessen Begleiter begannen, ihre Waffen abzulegen, war der Bann gebrochen. “Bitte verzeiht, ehrenwerte Angroschim. Doch es ist nicht nötig, dass ihr Eure Waffen im Vorhof ablegt. Nicht … nicht mehr länger.”
Er wirkte betreten.
“Diejenigen, die … dieses Gebot aufgestellt haben, sie … sie sind nicht mehr länger hier. Ihr könnt Eure Klingen und Äxte weiter mit euch führen, wenn ihr das wollt.”
Die Miene des Oberst war nicht gänzlich neutral, als er die Worte der Burgwache hörte. Gerne hätte er diese Worte früher vernommen, doch für Dwarosch änderte das nichts Grundsätzliches und so gab es auch keinen Anlass für ihn zu grollen.
“Dann nehmt eure Drachenzähne wieder an euch. Alles andere geben wir ab. Wir werden den Geist dieses Ortes und ihrer Herrin achten, auch wenn sie derzeit nicht hier verweilen mag.”
Mit demonstrativ vor sich auf den Armen liegenden Waffen standen die vier Angroschim nun im Vorhof zur eigentlichen Burg.
Mit einem Nicken ging Gunnart zum ersten der Angroschim und nahm dessen Waffen entgegen. Er brachte sie zu einem kleinen Bau, der sich hinter der Mauer des Vorhofs duckte. Ein Angroscho mit kurzen Haaren, weißen, struppigen Haaren und einem leidlich gepflegten Bart kam ihm schon entgegen. Als er die drei Gäste sah, nickte auch er einmal - kurz und ruppig, aber nicht unhöflich - und half dem Büttel, die Waffen einzusammeln. Er trug eine einfache Tunika und darüber eine speckige Schürze aus dunklem Leder, die vermutlich schon mehr Feuerfunken geschluckt hatte als ein Freudenfeuer der Hexen sie ausspie. Hinzu gesellten sich eine robuste Lederhose und schwere Arbeitsschuhe. Sein etwas mürrisch und abweisend wirkendes Gesicht war gleichermaßen von Falten wie auch vom Kohlenstaub gezeichnet.
“Lugrobasch, Sohn des Lugrum”, sagte er ein wenig nuschelnd. “Die beiden Plagegeister sind nicht mehr hier - Angrosch sei’s gedankt! -, also ist’s nicht wirklich nötig. Wenn ihr aber wollt, dann nehme ich gern Eure Äxte und alles andere in meine Obhut.” Sollte es noch irgendeinen Zweifel gegeben haben, dass es sich bei Meister Lugrobasch um den Burgschmied handelte, so wurde er von dem kurzen, aber für Dwaroschs geübte Augen erkennbaren Blick beiseite gefegt, mit dem der Angroscho die Arbeiten prüfte, die er Stück für Stück entgegennahm. Mal mit leicht gehobenen, buschigen Brauen, mal mit einer finsteren Miene, die er Gunnart zuwarf, als dieser einmal eine der Klingen nach Ansicht des Angroscho nicht mit dem Respekt behandelte, die ihr seiner Ansicht nach gebührte - was dem Büttel einen roten Kopf bescherte, der nun wartete, ob die Gäste ihm ins Innere folgten.
“Angrosch mit euch Meister Lugrobasch und danke”, erwiderte der Oberst etwas überrascht, dafür aber entwaffnend freundlich. “Ich bin mir sicher, dass unser Stahl bei euch in guten Händen ist. Ich wäre zudem erfreut, wenn wir später gemeinsam einen Humpen trinken könnten. Auf die Geschichte, wie ihr in den Dienst ihrer Hochgeboren von Morgenrot gekommen seid, bin ich gespannt. Erst einmal aber muss ich mit Darin sprechen und mir ein Bild der Lage machen."
Der alte Angroscho schnaubte kurz, aber nicht abfällig. Es wirkte eher wie ein seufzendes “Ach ja …”
Sorgfältig legte er die Waffen nebeneinander auf einen Tisch aus schwerer Steineiche, auf dem ein grobes Leder lag. Er nickte dem Oberst zu. “Meine Schmiede sei Euch jederzeit offen.” Dwarosch hatte den Eindruck, dass für Meister Lugrobasch damit alles gesagt sei, ehe dieser ihn dann doch noch überraschte und hinterher schob: “Und ich war schon lange vor Ihrer Hochgeboren hier.” Der letzte Satz klang fast ein wenig trotzig, aber ebenfalls nicht unhöflich, sondern einfach feststellend.
“Dann bin ich umso neugieriger auf die Geschichte eures ersten Zusammentreffens”, gestand der Oberst mit einem Schmunzeln. “Habt dank dafür, dass ihr ein Auge auf unsere Waffen habt.”
Nach diesen Worten wandte sich der Oberst wieder an den Büttel. “Gehen wir.”
Meister Lugrobasch schnaubte irgendetwas, das zwischen Zustimmung und undefinierbarer Gewohnheit rangierte, und wandte sich wieder seiner Esse zu.
Gunnart wiederum nickte bloß und führte die Gruppe der Angroschim durch den kleinen Vorhof und einen Torbogen hindurch auf den zweiten Hof. Dwarosch kannte Rodaschquell, und auf den ersten Blick schien hier alles wie beim Alten. Zur Rechten der massige Bergfried und dahinter das Gesindehaus, zur Linken Stallungen, das schmale Zeughaus, und das schmucke, hufeisenförmige Hauptgebäude, an das sich das Badehaus anschloss. Genau gegenüber dem Torbogen lag noch die kleine Hesindekapelle.
Ein Blick in die Gesichter der Bediensteten, die zu sehen waren, verriet dem Oberst jedoch, dass einiges eben doch anders war: Die Leute huschten schnell und über den Hof und gingen ihrem Tagwerk nach, ohne aufzublicken. Es war stiller als damals.
“Bitte, hier entlang”, wies der Büttel. Im Hauptgebäude führte er die Gruppe geradewegs in die große Halle. Noch immer brach sich dort in den mannshohen, bunten Türen aus Butzenglasscheiben, die zum Garten führten, die Strahlen der Sonne. Doch diesmal war der kunstvoll geschnitzte Thron aus Kirschholz leer. Nur ein samtenes Kissen lag darauf, auf dem die Baronskrone ruhte: Ein goldener Reif mit 16 einzelnen Perlen. Das Zeichen der Würde der Barone des neuen Reiches. Der Reif lag dort stellvertretend für seine Trägerin, die Baronin, die nun verschollen war, wie Darian geschrieben hatte.
“Seid gegrüßt, ihr ehrenwerten Söhne Angroschs, hochverehrte Herren”, dröhnte die laute Stimme des Haushofmeisters, den Dwarosch schon kannte. Der beleibte Majordomus rauschte in Richtung des Throns, blieb daneben stehen und deutete eine knappe Verbeugung an. “Ich bin Ulfried Welzelin, der Haushofmeister. Seid im Namen Ihrer Hochgeboren Morgenrot willkommen auf der Rodaschblick, Herr Oberst. Darf ich fragen, was Euer Begehr ist?” Er wirkte neugierig und ein wenig angespannt zugleich.
“Natürlich”, entgegnete Dwarosch mit warmer, tiefer Stimme. Der Oberst wollte keinen Grund zum Anstoß geben und trachtete so danach, dem Haushofmeister den Wind aus den Segeln zu nehmen, kündete die Art der Frage ihres Gegenübers doch von einem gewissen Maß an Ablehnung.
“Ich bin hier, um mit Darian zu sprechen.” Auch in diesem Falle war die Wortwahl bewusst gesetzt. Dwarosch hatte mit Absicht die vertraute Anrede gewählt, um zu verdeutlichen, dass er und der erste Ritter Rodaschquells Freunde waren. “Weilt er auf der Burg?” “Ja, Herr Oberst, und ich werde sogleich nach dem hohen Herrn schicken lassen.” Er betonte “hoher Herr” ein wenig.
“Darüber hinaus führe ich Euch und Eure ehrenwerten Begleiter alsweilen gerne in das Empfangszimmer und lasse Euch eine kleine Stär…”
Er wurde jäh unterbrochen.
“Danke, Welzelin, lasst gut sein!”
Darian betrat mit schnellen Schritten die Halle und ging direkt auf Dwarosch zu. Offenbar hatte er vom Söller selbst die Ankömmlinge bemerkt und war sogleich in die Halle geeilt. Er schien müde, gereizt.
“Der Oberst ist ein Freund”, sagte er, während er dem Angroscho zum Gruß den Arm reichte und ihm direkt und fest in die Augen sah, “und ich freue mich und bin ihm dankbar, dass er den Weg zur Rodaschblick auf sich genommen hat, um uns beizustehen. Er ist höchst willkommen.”
Er wandte sich nun kurz dem Haushofmeister zu, eher er Dwarosch ein kurzes Lächeln schenkte, das ehrlich, aber auch ein wenig erzwungen wirkte.
“Lasst Unterkünfte für unsere Gäste herrichten. Und lasst Bier und Speise ins Kaminzimmer schaffen. Und besorgt gefälligst das GUTE Bier vom Gasthof, nicht das schale Zeug, das wir hier oben auf der Burg haben!”
“Soll ich noch den Herrn Vo…?”
“Der Vogt erfährt’s früh genug. EILE er sich!”
Wieder blickte Darian den Oberst fest an. Ein kurzes Glimmen, das er in seinen Augen sah, verriet Dwarosch, dass der Sturmfelser nichts von seinem Feuer verloren hatte. Er wirkte nun kämpferisch und ein wenig … erleichtert.
Dwaroschs Miene zeigte ein warmes Lächeln. Eine Regung, die kaum zu seinen verstörend schwarzen Augen passen wollte. “Es ist schön, euch zu sehen Darin. Euer Brief versetzte mich in große Sorge”, sprach der Oberst. ‘Und ich fürchtete, ihr würdet dem Schwermut erliegen’, dachte er, sprach den Gedanken jedoch nicht aus. Anstelle dessen seufzte er und nickte dem Ritter aufmunternd zu. Auch er schien erleichtert. Dann straffte er sich.
“Als erstes möchte ich dir meine Männer vorstellen.” Dwarosch trat einen Schritt zurück und drehte sich seitlich zu Darian, so dass dieser einen freien Blick auf die drei Angroschim hatte, welche den Oberst begleiteten.
“Dies sind Brax und Lothor.” Dwarosch wies auf die beiden in aufwendig gefertigte Lederrüstungen gekleideten Zwerge, die im Gegensatz zu ihm selbst und dem vierten der Gruppe einen eher drahtigen Körperbau besaßen. Ihre Gesichter wirkten auf Darian fast schon ausgezehrt. Die beiden Zwerge nickten dem Ritter zu, während Dwarosch weitersprach. “Sie gehören zur Elite meiner Gebirgsjäger. Ohne sie hätte ich niemals so schnell hierher kommen können.
Und dies”, der Oberst deute auf den noch verbleibenden Zwergen in der Vierergruppe, “ist Andragrimm groscho Arborax. Er ist mein Primus- mein erster Krieger, denn wenn er auch noch recht jung ist, ihm fehlen noch über drei Jahrzehnte zur Vollendung seines ersten Jahrhunderts, so ist er einer der besten Kämpfer in den Reihen von Ingerimms Hammer. Einzig Antharax, der Hauptmann des ersten Banners ist ihm gewachsen.”
Der derart geschmeichelte Angroscho lächelte ob des Lobes und nickte Darian ebenfalls zu. Der Rittersmann erkannte, dass Andragrimm fast so groß war wie Dwarosch. Seine Statur war massig und gut genährt, kam aber bei weitem nicht an die imposant muskulöse Gestalt des Oberst heran. Kupferrotes Barthaar, zu einem einzelnen, dicken Zopf geflochtenen, fiel ihm auf die Brust. Das Haupthaar war an den Seiten seines Kopfes geschoren. Nur oben zeigte sich ein breiter, kurzer Kamm von derselben Farbe wie der Bart. Der Reihe nach schaute der Ritter sich die Begleiter des Oberst an. An Dwaroschs Worten zweifelte er nicht, und von daher ging er davon aus, hier erfahrene Späher und Kämpen zu sehen.
“Ihr seid wahrlich willkommen auf der Rodaschblick”, wiederholte er und machte dann eine einladende Bewegung mit dem rechten Arm.
“So lasst uns denn ins Kaminzimmer gehen, ….”
Es gab Zeiten, da wären die Gäste auf der Rodaschblick zunächst auf ihre Kammern geführt worden, um ihnen die Gelegenheit zu geben, auf der Burg anzukommen. Da war sie wieder, die vertraute, ungestüme Ungeduld der Sturmfelsers, die Dwarosch schon kennengelernt hatte.
Doch dann hielt Darian kurz inne und wurde seiner Unhöflichkeit gewahr.
“... sobald ihr die Gelegenheit hattet, euer Gepäck abzulegen und eure Unterkunft zu sehen. Bis dahin dürfte dann auch das frische Bier vom Rosenhof hier sein.”
Der Oberst winkte ab. “Wir haben zwar einige Nächte im Freien kampiert und viele Wegstunden marsch in den Beinen, aber meine Männer sind das gewohnt und ich hier, weil du mich gerufen hast. Unsere Zimmer können wir uns ansehen, wenn wir gesprochen haben Darian.” Er sagte nichts. Aber er kniff die Lippen ein wenig zusammen und nickte einmal kurz wohlwollend.


Einst war das hier eine heitere Burg - sofern nicht der Vogt gerade sein Unwesen trieb oder die Köchin ihre Schar an Gehilfen und Mägden antrieb. Doch das Tuscheln und gelegentliche Kichern auf der Rodaschblick war dieser Tage nicht zu hören. Die Gänge wirken ruhig und weniger lebhaft als sonst. Nur eine einzige Magd huschte schüchtern - oder besser: eingeschüchtert ob der vier Angroschim - an der kleinen Gruppe vorbei und warf Darian einen kurzen, verstohlenen Blick zu.
Das Kaminzimmer war nicht sehr groß, aber behaglich. Wandteppiche mit Szenen der Minne bedeckten die steinernen Mauern, zudem gab es einige robuste Regale mit Büchern und Schriftrollen - größtenteils Werke zum Zeitvertreib. In einer Ecke stand ein kunstvolles Garadan-Spiel. Neben zwei großen, bequemen Sesseln gab es noch einige gepolsterte Stühle, die ein Diener schnell zurecht rückte.
Auf zwei kleinen, runden Tischen standen bereits einige Trinkhörner sowie einige Teller aus blauem Steinzeug sowie kleine Platten mit kaltem Braten, Brot, Käse, Hartwürsten und einigen Trauben.
Ein kleines Feuer prasselte in dem wuchtigen Kamin.
Darian blieb stehen und deutete auf die Sitzgelegenheiten.
“Bitte, nehmt Platz und greift zu.”
Er setzte sich selbst sogleich, aß selbst aber nichts.
Erst jetzt bemerkte Dwarosch erstmals so recht, dass der Ritter müde und angespannt wirkte.
Er hatte sich dem Ritter gegenüber gesetzt, nachdem er und seine Männer die Rucksäcke vor dem Kaminzimmer abgesetzt hatten. Andragrimm hatte sich mit den beiden Bergziegen an die andere Seite des Tisches gesetzt. Sie aßen und unterhielten sich in Rogolan, so dass Darian und er mehr oder minder ungestört sprechen konnten.
“Heraus damit”, forderte Dwarosch, aber er tat es mit verständnisvoller Stimme, die keinen Zweifel darüber ließ, dass er es gut meinte. “Du siehst abgekämpft aus, als wenn du tagelang nicht richtig geschlafen hast”, fügte der Oberst an. “Ich bin hier und ich höre dir zu. Was weißt du über ihr verschwinden?”
Darin seufzte, und sackte etwas in dem Sessel zurück.
“So gut wie gar nichts.”
Er überlegte, sammelte sich.
“Wir waren unter der Eilenwid. Um dieses Herz oder was auch immer es war zusammenzufügen. Das war ein richtiges Aufgebot! Ritter, Geweihte, Magier, auch tapfere Streiter der Söhne der Berge. Und dann …”
Er schloss die Augen.
“... dann tauchten in der Halle im Keller Schatten in den Ecken auf. Eine Dunkelheit, die sich ausbreitete. Wir sahen nichts mehr. Und plötzlich hörten wir auch nichts mehr! Faule Magie ihrer Paktierer! Wir waren blind und taub! Ich spürte nur diesen Pesthauch in meinem Nacken und schlug um mich. Möge die Herrin Rondra geben, dass ich nicht einen der unsrigen dabei traf, denn ich weiß es nicht. Und ich hatte eine Scheißangst und war zugleich so unsagbar wütend. Vor allem wegen meiner Hilflosigkeit.”
Er öffnete seine Augen wieder und machte eine Pause. Ballte seine rechte Faust und starrte dabei ins Leere.
“Das ging eine gefühlte Ewigkeit so. Dann sah ich wieder Licht! Das Licht des Herrn Praios umgab uns, gerufen von seinen treuen Dienern. Zuversicht, Hoffnung machte sich wieder breit. Doch der Saal war ein Schlachtfeld. Tote überall. UNSERE Toten!
Dann suchte ich SIE. Sie stand dort inmitten des Saals. Unversehrt, den Göttern sei Dank! Sie deutete in kaltem Zorn, wie es ihre Art ist, auf zwei finstere Zauberer, die am Eingang standen. Nebel waberte auf und floss, strömte und eilte ihen entgegen. Krallen, Schnäbel und Tatzen formten sich darin, als würden all die Tiere des Waldes darin versammelt sein und nach den Angreifern schlagen. SIE stand noch immer dort, bereit, sich den beiden die Stirn zu bieten. Die jedoch lösten sich in Luft auf, als der Nebel sie erreichte. Verfluchtes PACK!”
Er bellte es geradezu heraus, und seine Faust donnerte auf den Tisch.
Dwarosch beugte sich vor und legte Darian seine kräftige Hand auf den Unterarm, um ihn zu beruhigen. “Ich weiß, dass die Erinnerungen schmerzen, aber ihr müsst euch erinnern und berichten. Wir brauchen alle Informationen, die wir bekommen können.” Er löste sich wieder von Darian und schob ihm demonstrativ eines der Trinkhörner hin, bevor er selbst einen tiefen Schluck aus seinem tat. Dann fragte er: “Wie ging es weiter? Was geschah dann?”
“Tote. Überall um uns herum. Angroschim, Gardisten, Ritter. Verbrannt, zerfetzt. Kein ehrenhafter Kampf, sondern ein Gemetzel war das, ehe die Daimonenbrut zurückgetrieben werden konnte. Der Geruch des Todes lag in der Luft, überall stöhnen, Schmerzen, Wut. Auch wenn wir wussten, dass wir mit Hilfe der Götter obsiegt hatten - um was für einen Preis! Die Überlebenden waren am Ende ihrer Kräfte.”
Nun endlich nahm auch er wieder einen, zwei, drei Schlucke aus dem Horn, schien sich ein wenig zu beruhigen.
“Auch Lia … die Dame Morgenrot … war sehr erschöpft. Doch sogleich eilte sie zu Kalman von Weissenquell, um den es besonders schlimm stand. Ich hätte nicht geglaubt, dass man ihn noch retten könne. Aber sie kniete sich vor ihm nieder, sprach ihren leisen Singsang.. Seine Wunden begannen sich zu schließen. Das verbrannte Fleisch heilte. Man konnte sehen, dass er noch einmal von Retos Waage springen konnte.”
Erneut brauchte er eine Pause.
“Doch … doch je länger sie sang, desto mehr verloren ihre wunderbaren Augen an Glanz. Bis sie völlig erloschen.” Bitterkeit in seiner Stimme. “Bis sie selbst leblos darnieder sank.”
Er sog schwer die Luft ein und richtete sich auf.
Doch nur kurz darauf erschien inmitten der Kammer ein Leuchten. Eine Art Portal tat sich auf - wie aus dem Nichts! Dahinter konnten wir blauen Himmel und treibende Wolken sehen. Und heraus trat ein Elf, wie ich ihn nie zuvor gesehen habe. Eine prunkvolle Lederrüstung trug er, dazu einen Umhang aus seltsam schimmernden Stoff. Feinsten Schmuck aus Silber oder Mondsilber. Er sah uns kurz an. Hochmütig …” Er hielt inne, erinnerte sich “nein, nicht ganz ... es … es war auch irgendwie anklagend. Dann kniete er selbst vor ihr, legte ihr seine Hand auf die Stirn. Sprach Worte, die ich nicht verstand. Dann hob er sie in seine Arme und schritt durch das Tor, das sich hinter ihm schloss.”
Hatte Dwarosch den Ausführungen des Ritters lange Zeit mit versteinerter Miene gelauscht, so huschten seine Augen bei der Erzählung um Lianas verschwinden erregt hin und her. Schweigen trat ein, als Darian geendet hatte. Der Oberst sann angestrengt nach, bevor seine Augen schließlich den Blick des Ritters suchten.
“Ich habe in meinem Leben viel gesehen und vernommen Darian. Elfen zaubern nicht mit ihrer Lebenskraft. Sie mag sich verausgabt haben und am Ende ihrer Kräfte gewesen sein, aber die Erschöpfung an Madas Kraft wird sie nicht ihren letzten Atemzug gekostet haben.” Dwarosch schüttelte den Kopf. “Nein”, das Wort kam mit Bestimmtheit, Überzeugung, fast schon Gewissheit. “Wenn sie keine schweren Wunden erlitten hat, den sie hätte erliegen können, dan…” Der Oberst brach ab und blickte zur Fläche des Tisches hinab, als würde er die Maserung des Holzes studieren.
“Elfen können zeitlos sein, bis sie ihr Schicksal erfüllen.” Die Stimme des Oberst war genauso plötzlich leise und nachdenklich, wie sie noch kurz zuvor energisch und voller Hoffnung gewesen war. “Wenn nun jene Vollendung der Rituale, die Erschaffung des Herzens, an dem sie mitgewirkt hat Teil ihrer Lebensaufgabe war.”
Dwarosch blickte auf. “Hat sie euch einmal in irgendeinem Zusammenhang von einer ‘Aufgabe’ berichtet, die ihr zugedacht ist? Hat sie darüber vielleicht philosophiert?”
“Nein, nein…”
Darian wirkte gereizt. Ungeduldig.
“Weißt du etwa so viel über die Zauberei? Soweit ich weiß, haben Angroschim doch nichts damit im Sinn! Wer weiß schon zu sagen, wie Elfen zaubern? Ich jedenfalls nicht!”
Er bemühte sich, wieder etwas ruhiger zu werden.
“Und überhaupt: Das passt alles nicht! Eine Wache vom Orden des Donners will gesehen haben, wie sie die Augen wieder kurz aufschlug, als der Elf mit ihr gesprochen hatte,. Wenn das stimmt, kann sie ja nicht tot gewesen sein! Und Eduina sagte mir einmal, dass Elfen, wenn sie gehen, vorher Abschied nehmen. Das habe Liana ihr selbst gesagt. Sie fallen nicht einfach wie vom Blitz getroffen in sich zusammen! Ich weiß, dass wir ihr etwas bedeutet haben … etwas bedeuten. Sie hätte Abschied genommen. Und Aufgabe? Es gab immer irgendeine Aufgabe, auf der ich sie begleitet habe. Und ich habe viele merkwürdige Dinge gesehen. Und sie hat sich schon so manchem Übel gestellt. Nein, nein, nein! Da kann etwas nicht stimmen! Ich kann das nicht einfach so hinnehmen! Ich muss doch etwas tun, verdammt!”
Erneut krachte seine Faust auf den Tisch, diesmal mit deutlich mehr Nachdruck, so dass es ordentlich schepperte.
Kurz darauf öffnete sich die Tür, und ein Knecht schaute herein.
“Herr, ist alle…?”
Der Ritter winkte nur ab.
“Nein, nichts ist in Ordnung! Aber da kannst du eh nichts tun. Wir wollen ungestört bleiben.”
Der Diener schaute betreten zu Boden. “Wie Ihr wünscht.” Er schloss die Tür.
Dwarosch sah einen Hauch von Schuld in den Augen des Sturmfelsers, der diesen Ausbruch schon zu bereuen schien.
Der Oberst ließ Darian etwas Zeit, sich wieder zu sammeln, bevor er erneut das Wort ergriff.
“Bitte glaubt mir, dass ich Euch helfen will”, sprach er im verständnisvollen Ton. “Ich weiß soviel über die elfische Kultur und Lebensweise, weil ich einmal einen der ihren zum Freund hatte. Das war die Zeit, da ich als Söldner gegen die Orks stritt. Er lehrte mich vieles. Hätte es ihn nicht gegeben, so hätten eure Herrin und ich uns sicher nicht so gut verstanden.” ‘Weil ich vermutlich viel zu viele Vorurteile gehabt hätte’, beendete Dwarosch den Satz im Geiste. Er seufzte.
“Ich habe diese Frage nur gestellt, um der Wahrheit näher zu kommen Darian. Nichts liegt mir ferner als euch zu verletzen, oder unnötig aufzuwühlen. Ihr leidet, dass sehe ich, aber das ändert nichts daran, dass wir alle Eventualitäten in Betracht ziehen müssen, bei unseren Überlegungen.”
Der Oberst hob sogleich abwehren beide Hände, als er den erneut aufkeimenden Widerwillen in Darians Miene erkannte. “Ich glaube ja auch nicht, dass sie tot ist. Eure Schilderung lässt mich daran zweifeln und bestärkt meine Hoffnung, dass sie lebt. Wer weiß sonst noch von ihrem Verschwinden? Erwartet ihr weiteren Besuch?”
Der aufgewühlte Sturmfelser schien wieder ein wenig zur Ruhe zu kommen.
“Ja, ja, ich weiß”, sagte er dann. “Natürlich weiß ich, dass du helfen willst - und bin dir dankbar dafür, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast. Und lass’ das “Ihr” und “Euer”, wenn’s recht ist. Das macht mich nervös.”
Er zwang sich zu einem kurzen Lächeln.
“Wer davon weiß? Na, das frag’ die Hälfte der Adligen in den Nordmarken - und wohl auch darüber hinaus. Die Nachricht von ihrem Verschwinden hat in gewissen Kreisen wohl schnell die Runde gemacht. Der Vogt schreit Zeter und Mordio, weil die ersten schon vom Grafen verlangen, er möge den vakanten Thron alsbald neu besetzen. Der alte Korninger aber hat gewissermaßen den Fehdehandschuh aufgenommen und teilt ordentlich aus. Du kennst ihn ja.” Einen kurzen Moment schien Darian zufrieden.
“Er droht jedem mit Klage vom Reichsgericht, der behauptet, sie sei tot. Ohne Leiche und eindeutigen Beweis gibt’s also keinen neuen Baron oder neue Baronin. Nicht vor Ablauf von zwölf Götterläufen - so lange gilt sie nun als verschollen.”
Er beugte sich wieder nach vorn.
“Du bist der erste, den ich selbst direkt angeschrieben habe. Ich brauche einfach jemanden, dem ich vertraue. Mit dem ich mich beraten kann, was ich selbst nun tun kann. Jemand, der viel erfahrener ist als ich. Ich hocke hier auf der Burg … und diese Untätigkeit macht mich noch verrückt. Ich muss etwas tun! Aber was? Was? Und wo sollte ich wohl anfangen?”
“Oh ja, ich kenne ihn”, sprach Dwarosch schnaubend und zeigte dabei ein angedeutetes, schiefes Grinsen, das Unterschwellig auch von einer gewissen Abneigung zeugte. Der Herr Korninger und der Oberst waren sicher keine Freunde.
“Als erstes würde ich vorschlagen, du versuchst ihre Vasallen zu beruhigen und zeigst Präsenz”, fuhr Dwarosch nach einiger Zeit fort. Er versuchte nicht belehrend zu klingen. “Borindarax wird auf den Grafen einzuwirken und versuchen ihn dazu zu bewegen, eine Stellungnahme im Sinne Lianas abzugeben. Ich werde einen Gefallen bei ihm einfordern, wenn das denn überhaupt notwendig sein wird. Die beiden kennen sich ja seit der Jagd in Nilsitz. Ich kümmere mich darum, du hast mein Wort.
Wie lange würde es dauern, wenn du die Ländereien bereist und mit den Edlen und Rittern von Rodaschquell sprichst? Aufklärung ist besser als Ungewissheit, in der die Spekulationen und Gerüchte Früchte tragen.”
“Ich danke dir für deine Unterstützung.” Es klang ehrlich und erleichtert - und Dwarosch wusste ohnehin, dass es nicht der Natur des Sturmfelsers entsprach, sich zu verstellen.
“Die von Wernhags wissen natürlich schon Bescheid.” Ferdilas von Avaris zu Wernhag und sein Sohn Raidri - Ritter in den Diensten der Baronin.
“Und du hast Recht: Ich müsste noch mehr selbst in den Orten nach dem Rechten sehen. Bislang habe ich das meist Raidri, Rauert und Larona überlassen.”
Sein Ton wurde etwas schärfer.
“Was die Mersinger angeht … nun, so ist der Sohn des alten Junkers, Lares, aktuell das Hauptziel des vögtlichen Zorns. Es ist kein Geheimnis, dass die Mersinger ein Auge auf den Kirschthron geworfen haben. Und im Streit lagen der Junker und der Vogt auch schon vorher.”
Er überlegte kurz.
“Eine große Runde quer durch die Baronie in alle Orte … das würde schon ein paar Tage dauern. Und es kann wohl auch nicht schaden, hier und da auch an den Grenzorten unserer Nachbarn vorbei zu schauen. Aber das kann nur ein Anfang sein. Ich … ich muss sie suchen! Aber wo sollte ich beginnen? Und wie lange soll ich sie suchen? Mein Schwur gilt zuvörderst ihr - doch zugleich muss ich als Hauptmann auf die Baronie achten.”
Er legte seine rechte Faust in seine linke Hand und stützte sein Kinn darauf.
“Ein Anfang”, bekräftigte Dwarosch. “Jeder Weg hat einen Anfang und auch wenn du dich lieber gleich auf die Suche begeben würdest, so solltest du vermutlich erst einmal ihre Mitstreiter anschreiben und sie um Hinweise bitten, die dir weiterhelfen. Du brauchst ein Ziel. Vielleicht fühlt sich ja sogar jemand dazu berufen, dir beizustehen und kommt hierher. Borindarax erzählte mir von einem recht bunten Haufen, dem er in Xorlosch ansichtig wurde. In Nilsitz waren sie ja auch, als sie bei Sturzenstein in das Heiligtum des Flussvaters hinabstiegen.”
“Ja … “
Er dachte nach.
“Ich muss mehr erfahren. Mehr herausfinden. Auch wenn das, was es überhaupt zu wissen gibt, womöglich sehr, sehr dürftig ist. Kalman war dabei, er wurde von ihr zurück ins Leben gerufen und war ihr wohl am nächsten. Und ich werde andere benachrichtigen müssen. Auch jene, die vielleicht noch nicht wissen, dass sie … fort … ist. Neidenstein, Trappenfurten, Tannenfels … Mag sein, dass es mehr Hilfe geben wird. Ich werde noch heute die Schreiben aufsetzen, auch wenn jeder weitere Tag schmerzt.”
Er sah Dwarosch ernst in die Augen.
“Es wird einige Zeit dauern. Und du? Wie wirst du es derweil halten? Auch dir hat sie einst beigestanden - wie so vielen in diesen Landen.”
Der Oberst seufzte schwer. “Ich kann nicht so lange bleiben Darian, es tut mir leid. Die Pflicht ruft mich zurück nach Senalosch. Aber vielleicht…”, Dwarosch brach ab und blickte zur anderen Seite der Tafel, wo seine Männer saßen, aßen und tranken. “Ich kann dir einen starken Arm zur Seite stellen, der schon lange unter Fernweh leidet, wenn du bereit bist, diese Hilfe anzunehmen.” Darian war sofort klar, wen sein Freund meinte.
Dwarosch indes schmunzelte. “Abenteuerlust ist etwas, was in meinem Volk sehr selten ist.” Die Stimme des Oberst wurde eine Nuance leiser und auch ein wenig nachdenklich, während er dies sagte. Darian beschlich das Gefühl, dass sich sein Freund an sich selbst erinnert fühlte- in jungen Jahren.
“Wir sind nicht die Kinder der Kühnheit”, fuhr Dwarosch fort. “Nein, für gewöhnlich sind wir dies nicht. Aber es gibt auch unter uns solche, die es hinaus zieht in die Fremde, die gerne unter freiem Himmel sind und die die Nase gerne in den Wind halten, ohne zu wissen, wo sie morgen sein werden.”
Der Blick des Oberst wanderte nun wieder zum Ritter, der ihm gegenüber saß. Seine Stimme klang nun erneut gewohnt fest und überzeugt: “Grimm kennt den Isenhag und die Wege über Eisenwald und Ingrakuppen, weiß um die Orte, wo unsere Schutzhütten stehen. Er ist jung, manchmal dickköpfig und stur, ja, aber auch loyal. Und bei Angroschs Barte, vor dem wuchtigen Hieben seines Hammers habe selbst ich Respekt."
Das Gespräch am anderen Ende des Tisches bei den Männern des Oberst war derweil zum erliegen gekommen. Die Augen Andragrimms waren auf Dwarosch und Darian gerichtet. Unverholene Neugier sprach aus den hell bernstein leuchtenden Augen des Kriegers.
Unterdessen wurde sich Dwarosch einen kurzen Momentes der Enttäuschung gewahr, die im Blick des Ritters lag. Zweifellos hatte er sich eine andere Antwort gewünscht.
“Ich verstehe”, sagte er dann schließlich. Und es klang tatsächlich so, wie er es sagte, was er mit einem kurzen Nicken noch unterstrich.
Eine kurze Pause, in der Darian schwer die Luft einsog.
Dann blickte er zu Andagrimm und musterte ihn, ehe er sich wieder Dwarosch zuwandte.
“Du vertraust ihm, und so will ich es denn auch halten. Wenn er willens ist, sich der Queste anzuschließen.”
“Das bin ich”, sprach Grimm mit tiefer, kantiger Stimme, die den starken Akzent der Kinder Angroschs aufwies. Er tat dies so laut, dass alle im Raum es vernehmen mussten.
Der Oberst lächelte, blickte aber weiterhin zu Darian, als er erneut zu sprechen ansetzte. “Ich würde lieber selbst mit dir gehen, aber mit Verantwortung geht Pflicht einher”, sagte Dwarosch weniger im Bedauern, denn als Eingeständnis seiner Situation. “Die Verantwortung für so viele und die Sicherheit in Anbetracht unruhiger Zeiten wiegt schwer.”
Ohne gefragt worden zu sein, sprach Andragrimm, als der Oberst geendet hatte. “Danke Dwarosch.” Der aber schnaubte amüsiert und wandte sich nun seinem Soldaten zu. “Danke mir noch nicht Grimm. Du weißt nicht, was jenes Abenteuer für dich bereithält, auf das du dich im Begriff bist einzulassen. Aber ich weiß sehr wohl, dass es genau das ist, was dein Herz mit Freude erfüllt, weil ich deinen Hunger einst geteilt habe, als ich noch jünger war.”
Sein Kopf wandte sich wieder Darian zu. “Zwei Krieger sind ein gutes Fundament für eine Queste, was meinst du?”
“Ich könnte mir kein besseres wünschen”, sagte er mit einer gewissen neuen Zuversicht in seiner Stimme, ehe er sich wieder Grimm zuwandte.
“Ihr seid also Willens, mich auf einer Queste zu begleiten, deren Beginn ich noch nicht kenne, und dessen Ende ich nur hoffen kann: Nämlich, die Herrin von Rodaschquell zu finden oder zumindest zu wissen, was ihr geschehen ist? Ihr seid Willens, mir zu folgen und mir mit Eurem Rat und Eurer Tat zur Seite zu stehen, ganz gleich, was auch immer die Suche von uns fordern mag?”
“Beim Schlage Malmars, das bin ich”, kam die Antwort ohne jedes Zögern. Grimm stand auf und trat zu Darian, um ihm die Hand entgegenzustrecken.
“Wahrlich, der kann sich glücklich schätzen, der die Söhne Angroschs an seiner Seite weiß.”
Darian ergriff den Arm fest im Kriegergruß.

Nordmarken Barsch.png