Namenloses Wirken in Drachenstieg?

Namenloses Wirken in Drachenstieg?

Praios 1038 BF: Nyah DaRe von Tannwirk

„Den Zwölfen sei Dank – die namenlosen Tage sind vorüber und alles ist friedlich geblieben!“ Nyah DaRe, Edle zu Drachenstieg hat gerade den Rundgang durch das Gut beendet und nichts gefunden, was nicht so war, wie es sein sollte. „Am besten schaue ich gleich noch im Kontor vorbei, ob dort auch alles in Ordnung ist, dann habe ich noch vor dem Mittagessen meine Inspektion abgeschlossen und kann am Nachmittag mit den Kindern an den Teich zum Baden gehen.“ Das in der Baronie Witzichenberg gelegene Junkergut Drachenstieg wird von der Reichsstraße passiert, weshalb Nyah, Tochter eines in Havena ansässigen Händlers, in dem kleinen Weiler Trutzelbach ein kleines Handelskontor eingerichtet hat.

Auf dem Weg, der das Rittergut mit dem Dörfchen verbindet, läuft Nyah eine Frau entgegen. „Herrin! Herrin!“, ruft sie aufgeregt. „Trude, was gibt es?“ „Herrin! Es ist so furchtbar!“ Schnaufend bleibt sie vor Nyah stehen. Trude ist die Leiterin des Kontors. Eine Frau von etwa 40 Götterläufen, dürr, energisch und normalerweise die Ruhe in Person. „Ich kann es nicht sagen, bitte kommt und seht selbst!“ Nyah folgt Trude zum Kontor. Dort angekommen geht Trude nicht in das Gebäude, sondern darum herum, auf die Rückseite.

Trude deutet auf ein Nest aus Moos. Nyah zuckt erschrocken zusammen, als sie des Inhalts gewahr wird. Schwarze Pilze, Rattenkot und tote Spinnen. „Trude, glaubst Du…“ „Was soll es sonst sein?“ „Hast Du denn etwas gehört oder gesehen, in den letzten Tagen?“ „Seltsames Geheul, Stöhnen und Ächzen, wie man es in diesen Tagen auch erwartet. Zu sehen war nichts – nun ja, wir haben auch nicht nachgeschaut.“ Nyah schaudert. Wirken des Namenlosen – in Drachenstieg. Nun, sie müsste sofort die Baronin informieren und diese dann die Praioskirche. Ein Geweihter würde sich dieses Nest anschauen müssen. Nyah seufzt. Ihr Gemahl, Reto von Tannwirk, war bereits bei Sonnenaufgang zu einem Kontrollritt durch Drachenstieg aufgebrochen und würde noch einige Stunden fort sein. Bis dahin würde sie warten. „Trude, hat das bereits jemand gesehen?“ „Ich glaube nicht. Das hätte bestimmt Geschrei gegeben. Außerdem ist das die Seite des Gebäudes, die den anderen Häusern abgewandt ist.“ „Gut, dann stellen wir einige Fässer und Kisten davor, damit es niemand sieht. Mein Gatte ist noch unterwegs und ich will seine Rückkehr abwarten, bevor wir weitere Schritte unternehmen. Natürlich müssen wir die Baronin und die Kirche informieren. Ich will nur keine Panik auslösen.“ „Ja, Herrin!“

Nyah sucht den Boden nach Spuren ab, aber es hat einige Zeit nicht geregnet, daher ist nichts zu erkennen. Dann stapeln sie Kisten und Fässer um die verdächtige Stelle, um sie vor den Blicken der Trutzelbacher zu verbergen. Den Rest des Nachmittags verbringt Nyah damit, auf Reto zu warten. Ihre Kinder behält sie vorsichtshalber im Haus. Murrend verschwinden diese in ihrem Zimmer, denn draußen lockt das schöne Wetter und eigentlich hat die Mama ja einen Badeausflug zum Teich versprochen!

Reto von Tannwirk kehrt am frühen Abend mit seinen Leuten von der Inspektion zurück. Nyah stürmt in den Hof, als sie die Pferde hört. „Reto!“ „Guten Abend mein Schatz!“ Schwungvoll umarmt er seine Frau und gibt ihr einen stürmischen Kuss. „Nyah, schau‘, ich habe einen Gast mitgebracht.“ Er weist auf einen in grün und gold gekleideten Mann, der sich vor Nyah kurz verbeugt. „Seine Gnaden Coberius. Unsere Nachbarn haben ihn mir empfohlen. Er ist auf dem Weg nach Perricum.“ Nyah knickst. „Euer Gnaden!“. „Papa! Papa! Papa!“ Die drei Rangen stürmen auf den Hof. „Hallo meine Lieblinge!“ Nach der Begrüßung scheucht Nyah die Kinder wieder ins Haus.

Nyah führt ihren Gatten und den Gast in das Arbeitszimmer, was Reto leicht irritiert zur Kenntnis nimmt, und bestellt Wein, Brot, Käse und Früchte bei einer der Dienstmägde. Reto wirft seiner Frau fragende Blicke zu, die sie ignoriert, bis sie hinter dem Mädchen die Tür schließt. Dann schenkt sie Wein ein. Nachdem sich alle etwas gestärkt haben, Nyah leert ihren Becher in einem Zug, was Reto mit Augenbrauenhochziehen quittiert, setzt sie an: „Euer Gnaden! Euch schickt wirklich die Herrin Hesinde persönlich!“ Coberius und Reto blicken sie erstaunt an. „Nun ja…“ Nyah ist mit dem zweiten Becher Wein schon fast am Ende. „Eigentlich hatte ich ja befürchtet, dass wir die Geweihten des Herren Praios benachrichtigen müssen und die sind gleich immer so, so …“ „Nyah!“ fällt Reto seiner Frau ins Wort. „Was ist denn geschehen?“ fragt Coberius sanft. Nyah richtet ihren Blick wieder auf den Geweihten. „Wir haben einen Kultplatz des Namenlosen entdeckt!“ Reto spuckt seine Wein quer über den Tisch und auch der Geweihte springt auf. Beide Männer reden gleichzeitig wild auf die Frau ein. „Was?“ „Wo?“ „Wie?“ „Wer?“ „Hast Du die Baronin informiert?“

„Trude hat ihn heute morgen hinter dem Kontor entdeckt. Ein kleines Nest aus Moos mit widerwärtigen Dingen darin. Schwarze Pilze, Spinnen, die dreizehn Beine haben, und jede Menge Rattenkot!“ Nyah schüttelt sich bei dem Gedanken daran. Reto wird blass und sinkt auf seinen Stuhl zurück. Der Geweihte blickt ernst. „Bitte führt mich gleich hin. Noch haben wir genug Licht.“

Nyah führt die Männer zum Kontor, wo Trude gleich aus dem Haus geschossen kommt. „Herr! Wie gut, dass Ihr endlich da seid!“ Vor dem Geweihten macht sie eine ungelenke, unsichere Mischung aus Knicks und Verbeugung. Coberius nickt ihr freundlich zu. Gemeinsam gehen sie zur Rückseite des Gebäudes. Der Geweihte zückt ein Vergrößerungsglas und beginnt den Boden nach Spuren abzusuchen, doch auch er muss, wie Nyah, feststellen, dass der trockene Boden nichts aufweist. Reto räumt einige Kisten und Fässer zur Seite. Auch ihn schaudert bei dem Anblick des Nestes. Coberius zieht eine Pinzette aus seiner Tasche und hebt einen der Pilze vorsichtig hoch. „Vorsicht!“ entfährt es Trude. „Keine Sorge! Mit Pinzette und Handschuhen kann mir nichts passieren.“ Eingehend studiert er den Pilz und dann einige der Spinnen und dann weitere Pilze. „Gute Frau, bitte holt mir eine Schale aus dem Haus“, wendet er sich an Trude, die sofort davon eilt, um die gewünschte Schale zu holen. Reto und Nyah starren besorgt auf den Geweihten, der mit konzentrierter Miene das Nest weiter untersucht. Als Trude mit einigen Schalen zurückkehrt – sie konnte sich nicht für eine entscheiden – beginnt er die Spinnen, das Moos und die Pilze in die Schalen zu sortieren. „Bitte kniet nieder, wir wollen beten!“ Nach dem Gebet beginnt der Mann sich in eine Art Meditation zu versenken. Nach dem Viertel einer Stunde erhebt er sich wieder. „Bitte lasst uns ins Haus gehen.“ Auf dem Weg begegnet ihnen ein Junge. Rotes Haar, Sommersprossen und ein verlegenes Grinsen, der sie neugierig anschaut. Trude führt sie in ihr Arbeitszimmer, wo sie ungestört und ungehört reden können.

„Nun, ich denke, ich kann zumindest in einer Hinsicht Entwarnung geben.“ Drei Augenpaare blicken ihn gespannt an. „Hier fand kein namenloses Wirken statt. Die Pilze sind keine Rattenpilze, sondern gefärbte Steinpilze. Rattenpilze würden einen bläulichen Schimmer an den Lamellen verbreiten. Die Spinnenbeine wurden mit Holzsplittern festgesteckt. Er zeigt Nyah eines der Beine durch die Lupe und auch Trude und Reto drängen sich zu dem Vergrößerungsglas. Ratlos blicken sich die drei an. „Um ganz sicher zu gehen, dass es sich hier um einen Streich handelt, habe ich gebetet und die Herrin Hesinde um Rat gefragt. Ich spüre keine negative Präsenz. In der Hinsicht kann ich Euch also vollkommen beruhigen! Nichts desto trotz handelt es sich um einen üblen Scherz! Der Verursacher muss gefunden werden!“ Nyah, Reto und Trude blicken sich ratlos an. „Wer war der rothaarige Bursche, der uns eben beobachtet hat?“ „Das ist Patras, der Sohn des Schmieds“, erteilt Reto Auskunft. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er…“ beginnt Reto. „Trude hat ihn letzte Woche beim Stehlen erwischt“, unterbricht ihn Nyah. „Ja, und er hat daraufhin eine schlimme Tracht Prügel von seinem Vater bekommen“, fügt Trude hinzu. „Nun, einen Grund hatte er also, Euch eins auswischen zu wollen. Bitte bringt ihn zu mir“, fordert Coberius Reto auf.

Im folgenden Gespräch mit Coberius, dem auch Trude, Reto und Nyah beiwohnen, gibt der Junge, eingeschüchtert durch die Präsenz eines Geweihten, zu, diesen Streich ausgeheckt zu haben. Er habe nichts Böses gewollt, sondern sich nur für die Tracht Prügel rächen wollen. Coberius schickt ihn nach Hause. „Über Deine Strafe wollen wir in Ruhe beraten“, teilt ihm Coberius mit.

Reto und Nyah gehen mit ihrem Gast zurück zum Gutshaus, während die beruhigte Trude das Kontor für die Nacht schließt.

„Was sollen wir mit dem Burschen anfangen?“ fragt Reto. „Nun, wenn man nicht auf ihn achtgibt, wird’s ein schlimmes Ende mit ihm nehmen!“ prophezeit Coberius.

Nach dem Abendessen, die Kinder sind inzwischen zu Bett gegangen – wieder unter Murren – immerhin ist doch Besuch da, da könne man doch auch mal länger aufbleiben, sitzen der Geweihte und seine Gastgeber bei einem Krug Wein und etwas Käse zusammen. „Nun, ich denke, ich habe so eine Idee, was man mit dem Burschen anstellen könnte – zumindest wäre es einen Versuch wert!“ „Was meint Ihr?“ „Nun, er hat durchaus Neigungen und vielleicht auch Talent, die einem Diener des Herren Phex gut stehen würden.“ Reto schaut ihn überrascht und auch etwas unwillig an. Seine praiostreuen Trutzelbacher sollen einen Geweihten des Phex hervorbringen? Nyah klatscht begeistert in die Hände! „Eine wunderbare Idee! Reto, Du solltest gleich morgen zur Baronin reiten und ihr die Sache darlegen. Mit ihrer Unterstützung wird ihn vielleicht der Phextempel in Herzogenfurt ins Noviziat aufnehmen!“

Und so geschah es, dass der junge Patras Ruttel aus Trutzelbach einige Wochen später seine Ausbildung im Phextempel zu Herzogenfurt beginnen konnte!

Praios im Jahre 1038

(Windwanderer SGS)