Lustwandeln: Unterschied zwischen den Versionen

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=Der See der Lilienprinzessin=
 
=Der See der Lilienprinzessin=
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Ein See mit klaren und spiegelnden Wasser, auf dem Wasserrosen blühten. Drei prächtige und alte Weiden standen am Ufer und die Wiese darum, lud ein zum verweilen. Ein großer Pavillon beherbergte eine steinerne Statue, die die Lilienprinzessin und ihren menschlichen Geliebten beim Liebkosen darstellte. Traditionell hinterlassen hier Liebespärchen kleine Geschenke, um den Segen der Liebesgöttin zu erbeten. Hier an diesem Ort besagt die Legende, dass einst eine Fee aus dem Teich stieg, um hier mit ihrem menschlichen Geliebten zu leben. Das sie damit ihre Unsterblichkeit aufgab, gilt ein jedem als höchtses Gut eines Liebesbeweises. <br>
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Vom Schrein kommend näherte sich ein geknickt wirkender Mann in weißem Hemd und mit dunklen Hosen. Eines der ersten Dinge, die er in Herzogenfurt gehört hatte war die Mär von der Lilienprinzessin und dass Liebespaare an ihrem Schrein Geschenke hinterließen, um um die Gunst der schönen Göttin zu bitten. Linnart vom Traurigen Stein kniete sich vor der Statue hin und ließ die beiden Ringe aus seiner offenen Handfläche gleiten. Das Geschmeide aus Weißgold war wohl ein Vermögen wert, doch konnte alles Gold dieser Welt kein gebrochenes Herz aufwiegen. Er sprach ein Gebet zur schönen Göttin … nicht für sich, sondern für Andesine, der er das Herz gebrochen hatte. Nichts wünschte er sich sehnlicher in diesem Moment, als dass sie jenes Glück finden mochte, das sie sich wünschte.<br>
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Lucasta von Leihenhof war überrascht. Sie hatte den Edlen von Hottenbusch falsch eingeschätzt. Je weiter sie in den Park liefen fiel ihr auf, dass ihm seine väterliche Art sehr gefiel. Genau genommen, kannte sie so etwas nicht. Ihre Mutter gab den Ton an und ihr Vater und Geschwister folgten. Tar´anam schien ihr zu zuhören, nahm sie ernst und überließ ihr die Führung. Intuitiv zielte sie den See an, von dem sich die Leute hier erzählten. “Und was sagt ihr?“ Sie deutete auf die Figur der Lilienprinzessin. “Hat sie einen Fehler begangen, als sie ihre Unsterblichkeit für die Liebe aufgegeben hat?” Neugierig schaute sie den Edlen an. <br>
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Innerlich musste der alte Krieger schmunzeln. Prüfungen, Prüfungen. Wobei er nicht gedacht hätte, dass ihm das Geplänkel mit Lucasta Spaß machen würde. Doch je länger sie zusammen unterwegs waren, desto lockerer wurde er, desto mehr wurde ihm bewusst, was er für ein Leben immer im Dienst aufgegeben hatte. Andererseits hatte er es ja genau deshalb getan, damit er im Zweifelsfall seine Loyalität nicht teilen musste. Nun, Thalissa hatte ihn in dieses Spiel geworfen, möglicherweise musste sie mit den Konsequenzen leben, falls sich solche ergaben.<br>
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“Das ist schwer zu beantworten”, erwiderte Tar’anam nach kurzem Überlegen. “Wenn ihr sterbliches Leben ihr Glück und Erfüllung gebracht hat, dann hat sich das durchaus gelohnt, würde ich sagen. Doch ich kenne die Legende nicht, also weiß ich nicht, ob es so war - oder ob überhaupt jemand weiß, wie ihr Leben als Mensch ausgesehen hat.” Wieder flackerte ein kurzes Lächeln über seine Züge. “Und Ihr, würdet Ihr die Unsterblichkeit für die Liebe aufgeben?” <br>
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“Hmmm. Eine gute Frage.”Nachdenklich lehnte sie sich an die Balustrade des Pavillons und verschränkte die Arme vor der Brust. “Unsterblichkeit hört sich gut an. Doch ich denke, irgendwann muss auch Schluss sein. Und in die himmlischen Paradiese eingehen ist doch was. In welches würdet ihr hinwollen?”<br>
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Wieder gab Tar’anam sich einen Moment, um zu überlegen. Das war jetzt keine so einfache Frage, wie es sich im ersten Moment anhörte. Doch dem Mädchen nun alle Aspekte darzulegen, die für ihn damit verbunden waren, führte zu weit … zumindest jetzt gerade. Dieser Tag war nicht dafür gedacht, langatmige philosophische Diskussionen zu führen.<br>
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“Es wird Euch vielleicht überraschen, Lucasta … aber wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich Hesindes Hain wählen.” Mehr sagte er nicht, sondern sah Lucasta nun gespannt an.<br>
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“Ich bin nicht überrascht. Ihr seit weise. Da liegt die gelehrte Hesinde nahe. Ich hab es mit Travias Herberge. Meine Familie ist zwar unerträglich, aber alleine will ich auch nicht sein. Und manchmal sind sie ja ganz in Ordnung.” Jetzt lachte Lucasta über ihre Gedanken. “Erzählt mir von euren zu Hause. Gibt es jemand der dort auf euch wartet?”<br>
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Tar’anam war nun seinerseits überrascht von Lucastas Reaktion und hob anerkennend eine Augenbraue. Doch was ihre Frage anging … “Meint Ihr Hottenbusch? Da gibt es nicht viel zu erzählen. Als Leibwächterin der Baronin von Rickenhausen bin ich ja ständig unterwegs und dort zuhause, wo ihr Weg sie hinführt. Das Lehen hat mir ihre Vorgängerin, Biora Tagan” - hier huschte ein seltsamer, undeutbarer Ausdruck über das Gesicht des Kriegers, doch war die Regung so schnell wieder vorbei, dass Lucasta sie nicht greifen konnte - “verliehen, für meine Dienste, denn ich war zehn Jahre auch ihr Leibwächter, und um meine Position als Anführer und Ausbilder der Landwehrtruppen zu stärken. Ja, ich habe dort ein kleines Anwesen, aber wahrscheinlich hätte ich Schwierigkeiten, keinen Raum zu vergessen, wenn ich es Euch beschreiben sollte. Und nein, niemand wartet auf mich. Ich habe keine Familie, und als Leibwächter, der jeden Tag sterben kann, ist das auch nicht das Schlechteste.” Er lächelte ein wenig zynisch. “Wobei - sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sich das mit der Familie in Kürze ändert, dann … müsste ich möglicherweise über meine Prioritäten nachdenken.” Ob Thalissa wohl über solcherart Konsequenzen nachgedacht hatte, als sie ihn so leichtfertig den Werbern zugesellt hatte? Wahrscheinlich nicht.<br>
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Eher ihrer Intuituion zu verschulden griff sie nach seinem Arm und schaute betroffen. “Das wäre zu traurig. Jeder hat eine eigene Familie verdient. Auch ihr, Tar´anam.” Zum erstenmal kam durch, dass Lucasta doch reifer war, als es schien. <br>
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Tar’anam war auf’s Neue erstaunt von Lucastas Reaktion und Berührung, ließ es aber geschehen. Auch ihre Aussage ließ er für den Moment unkommentiert.<br>
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“Aber nun zu Eurer Familie, Lucasta. Erzählt mir von ihr. Schließlich soilte ich ja … vorbereitet sein.” Wieder zierte ein ganz untypisches, feines Lächeln das Gesicht des Edlen.<br>
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Nun ich gehöre zu den Leihenhof, die meisten kennen Ivetta von Leihenhof und Baron Roklan von Leihenhof. Meine Mutter Raxia ist die Ervögtin von Niedergalebra und mein Vater ist der Erbvogt von Brickenklamm aus dem Haus Schleiffenröchte. Mutter war erst Grafengardistin und später bei der Flussgarde. Nun ist sie Vögtin und übt ihre Arbeit sehr beflissen aus. Wir alle wohnen da.” Auch sie schenkte ihm ein Lächeln.<br>
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“Gut, jetzt weiß ich um die Mitglieder Eurer Familie und wo sie wohnen.” Tar’anam schmunzelte ein wenig.  “Aber was meintet Ihr vorhin damit, Eure Familie sei unerträglich?”<br>
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Lucasta biss sich auf die Unterlippe. Dann entschied sie Tar´anam zu vertrauen. “Meine Mutter bestimmt alles. Als ob wir auf einem Kasernenhof leben würden. Mein Vetter Roklan ist da nicht besser. Wegen ihm sind wir auch hier und sind angehalten einen Ehepartner zu finden. Selbst das Kleid das ich trage ist nur etwas abgelegtes von meiner Mutter. Mein Bruder kann nichts alleine Entscheiden und von meinem Vater kann man auch nichts erwarten. Der macht alles was Mutter will.” Ein trotziger Gesichtsausdruck legte sich über ihr Gesicht.<br>
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“Das hört sich ja wahrlich nicht so erhebend an”, erwiderte der Krieger mit gerunzelter Stirn. “Da müsst Ihr Roklan von Leihenhof ja fast dankbar dafür sein, Euch zu dieser Brautschau gedrängt zu haben.” Nun schmunzelte Tar’anam wieder leicht. Wenn er nicht aufpasste, wurde das noch zur Gewohnheit. “Jetzt müsst Ihr nur noch den Richtigen finden.” Er sah ihr direkt in die Augen.<br>
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Und sie erwiderte diesen Blick. ´ Konnte es sein?´ Lucasta betrachtete sich den Edlen genauer. Ja er war ein alter Mann. Aber er sah gut aus und sie fühlte sich sicher bei ihm. Und genau genommen ist er genauso einsam wie sie es ist. “Ich würde euer Gut gut verwalten, etwas worin ich jetzt schon gut bin. Und wenn ihr nach hause kommt, seid ihr nicht alleine.” ließ sie die Worte aus sich heraus.<br>
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Tar’anam war kein Jungspund mehr, der sich Hals über Kopf verliebte. Aber er hatte Augen im Kopf und ein gerüttelt Maß an Lebenserfahrung, wenn auch nicht ausgeprägt in Rahjas Domäne, so hatte er doch irgendwie kommen sehen, was nun geschah. Und doch war er nun zum dritten Mal überrascht worden, einerseits, weil Lucasta das Angebot tatsächlich machte, andererseits, weil es sich  … gut anfühlte. Tar’anam war noch immer weit davon entfernt, verliebt zu sein, aber nach allem, was er von dem jungen Mädchen in der kurzen Zeit ihres Beisammenseins gesehen und gehört hatte, konnte er sich vorstellen, dass das nur eine Frage der Zeit war. Aber um diese Vorstellung zu verifizieren, musste er dafür sorgen, dass sie Wirklichkeit werden konnte.<br>
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Tar’anam nahm Lucastas beide Hände in die seinen. Seine Hände fühlten sich rau an, schwielig, aber kräftig, die Hände eines Kriegers. Dann schob er alle Bedenken über die Zukunft und seine Loyalitäten beiseite und fesselte ihren Blick erneut. “Wenn … Ihr mein Gut auch verwalten wollt, wenn Ihr die Frau sein wollt, die auf mich wartet, wenn ich nach Hause komme - und wenn Ihr die Frau sein wollt, die unsere Kinder großzieht, dann … muss ich Euch fragen: wollt Ihr meine Frau werden, Lucasta von Leihenhof?”<br>
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Sie hätte nie erwartet das solch ein Edler Herr jemals um ihre Hand anhalten würde. Die Röte schoss ihr ins Gesicht. Immerhin war das hier ihre Entscheidung. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er sie zu nichts zwingen würde. Und sie wäre die alleinige Herrin auf dem Gut. Ja, sie sollte ihren Vetter danken. Aber würde ihre Familie den Edlen akzeptieren? Immerhin könnte er ihr Großvater sein. Das gewohnt trotzige Gefühl stieg wieder auf. Ihre Entscheidung, nicht der ihrer Familie! “Tar’anam sin Corsacca, Edler von Hottenbusch, ich nehme euren Antrag an. Bei Travia schwöre ich, euch eine gute Ehefrau und Mutter unserer Kinder zu sein!” sagte sie mit stolz erhobenem Haupt.<br>
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Sie hatte es tatsächlich getan. Irgendwie konnte Tar’anam es kaum glauben, dass sein Leben sich so plötzlich von Grund auf ändern konnte. Doch war es nicht schon immer so gewesen? Jeder Kampf hätte sein Leben nicht nur ändern, sondern beenden können, und wie viele Kämpfe hatte er schon geschlagen? Nun, dies hier war ein Kampf ganz anderer Art. Und wie alle Kämpfe in seinem Leben gedachte er auch diesen zu gewinnen. “Und ich schwöre Euch bei Travia, ein guter Ehemann und Vater unserer Kinder zu sein.” Dann nahm er die junge Frau in den Arm und gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.<br>
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Sanfter als sie dachte, denn sie hätte es sich schlimmer vorgestellt. Ihre Lippen zusammengepresst, beantwortete sie den Kuß. Es war nichts anders als wenn ihr Vater sie auf die Wangen küsste. <br>
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Dann gewannen zunächst wieder praktische Erwägungen die Oberhand. “Normalerweise wäre nun der Moment, Eure Eltern um ihre Zustimmung zu bitten”, begann Tar’anam mit leicht zweifelnder Stimme und ging auch wie selbstverständlich zum vertrauten ‘Du’ über. “Aber nach dem, was du mir vorhin von deiner Familie erzählt hast, sehe ich da gewisse Schwierigkeiten auf uns zukommen. Wir könnten alternativ zu Hochwürden Winrich von Altenberg-Sturmfels gehen. Was meinst du?”<br>
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Leicht schwindelig von diesem überraschenden Moment, brauchte sie kurz, um ihre Gedanken zu ordnen.”Ich denke … das ist eine gute Idee. Roklan können wir dann immer noch fragen.” Sie nahm ihn an die Hand und ging zurück zur Festwiese.<br>
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Tar’anam war sich bewusst, dass er hier ein sehr zartes und verletzliches Pflänzchen in den Händen hielt. Hoffentlich bereute Lucasta nicht morgen, was sie heute geschworen hatte. Gut, dass sie nun zum Travia-Hochgeweihten gingen, der würde sicher ein Auge dafür haben, wie ernst es der jungen Dame - trotz ihres Schwurs - war. Andererseits … sollte er sie nicht unterschätzen. Sie hatte sich gut geschlagen auf einem für sie sicherlich gänzlich fremden Parkett. Er sollte stolz auf sie sein. Sie war ja nun seine zukünftige Frau.<br>
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Eine Weile lief der hübsche Diener voran, immer wieder sich versichernd, dass es der Baroness gut ginge und ihm folgte. Servusian brachte sie zu dem schönen See mit der Statue der Lilienprinzessin.  “Hier sind wir, der schönste Ort im Park! Schließt die Augen, zieht die Luft durch die Nase und lauscht dem Wiegen der Bäume und Blumen im Wind und ihr werdet verstehen!”
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Sie dankte dem Diener, nahm ihm den Krug aus der Hand und blieb dann alleine an diesem hübschen Ort. Verschämt blickte sie sich um und als niemand zu sehen war, liess sie sich auf dem Boden nieder. Verschränkte ihre Arme im Nacken und sich selbst auf dem so fleichgewordenen Ruhekissen nieder. Sie schloss die Augen und konzentriere sich auf ihre Atmung. Was eine Misere. Dieser Tag. Und doch gänzlich anders.<br>
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Wieder ging eine kurze Böe durch die Luft und ließ das Schilf am See rascheln. Dann fiel ihr das junge Mädchen auf, das wohl in ihrem Alter war. Gehüllt war sie in einem weiß-blauen seidenen Kleid, der Kopf umhüllt von einer Kopfbedeckung die nur das Gesicht und einige Strähnen ihres roten Haares freigaben. Ihre Haut war so hell wie feinstes Porzellan, edle, aber die noch junge Gesichtszüge zeugten von einem starken Willen, der Mund war kirschrot bemalt. Sie schien glücklich und sammelte ein paar schöne Lilien. Als sie Luzia im Gras liegen sah, hob sie ihre Hand zum Gruße.<br>
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Luzi setze sich auf und winkte zurück. Eine Frau. Damit war ihr Gegenüber wohl ungefährlich. Womöglich eine Leidensgenossin.<br>
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Gelda strich sich eine Strähne aus dem Haar und blieb bei der unbekümmerten jungen Frau stehen. “Ich bin Gelda von Altenberg, euer Wohlgeboren. Hat euch niemand zum lustwandeln geladen?” fragte diese neugierig.<br>
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“Das wäre schön gewesen.” seufzte die junge Frau. “Euch? Mögt ihr euch zu mir setzen.”<br>
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“Oh sehr gerne.” Gelda legte die Blumen ins Gras und setzte sich zu der Baroness. “Ich bin geflüchtet, um ehrlich zu sein. Ich möchte den Herren keine falsche Hoffnung machen. Ich habe meinen Liebsten schon gefunden.” Keine Schwere und kein Widerwille war in ihren Worten zu erkennen. “Ich hätte fast geglaubt mein Bruder würde euch fragen. Der Mut muss ihn wohl verlassen haben. “<br>
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“Oh, stimmt, ihr seid die Schwester Talfanos, nicht wahr?” Sie schluckte. “Ja, er hat mich gefragt, dann kam aber… ein weiterer Herr und beide gerieten darüber in Streit, wer mit mir spazieren gehen dürfe.” Ein Seufzen folgte. “Ich habe Ihnen gesagt, dass ich mich nicht wohlfühle, wenn ich wie … wie ein Objekt behandelt würde.” Sie suchte Geldas Blick. “Es lag mir fern, euren Bruder zu verletzen. Ihr könnt ihm von mir ausrichten, dass dies nicht in meinem Sinn war. Aber… ich weiss nicht, wie es euch geht. Ich… habe keine Erfahrung damit, wenn Männer… ich meine, versteht ihr was ich meine? Ich habe ihnen allen gesagt, dass ich nur auf Vaters Wunsch hier bin und mich nicht vermählen möchte. Ich dachte, dass Ehrlichkeit die höchste Trumpfkarte sei. Aber, das scheint niemanden interessiert zu haben.” Sie zögerte ein wenig. Genausowenig wie mit Männern hatte sie mit Frauen Erfahrung. Sie hatte keine Freundinnen oder Vertraute. “Falls ihr möchtet und es euch nicht als Verrat gegen euren Bruder vorkommt, bleibt doch hier und wir unterhalten uns ein wenig?”<br>
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Gelda legte ihren Kopf schräg in den Nacken. “Ach, macht euch keine Sorgen um Talfi. Das wird er schon überleben. Aber ich verstehe, was ihr meint. Meine Eltern haben auf diese Brautschau für uns Altenberger bestanden. Ich bin sogar vor einigen Monden weggelaufen, um dem hier zu entgehen …” Ihr Blick wanderte in die Ferne. “Aber zwei Leute mussten mich darauf bringen, dass man Herausforderungen annehmen sollte und nicht davor wegzulaufen. “<br>
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Luzia seufzte. Da hatte die andere recht. “Ich wünschte nur, ich hätte etwas mehr Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen zu heiraten. Also.. ich meine, nicht im Allgemeinen, sondern im Moment. Ich fühle mich noch nicht ...wie eine richtige Erwachsene, versteht Ihr?” Sie zögerte: “Aber erzählt mir von eurem Abenteuer? Wohin seid ihr gegangen, als ihr fortlaufen wolltet. Wielange ward ihr weg? Und wer hat euch zurückgebracht? Waren eure Eltern sehr wütend?” Sie dachte kurz darüber nach, wie ihre Eltern reagieren würde. Es war nicht schwer sich das vorzustellen. Vater wäre wütend und Mutter würde es nicht einmal bemerken. Ihre älteste Schwester wäre ausser sich vor Sorge- Nur noch wenige Wochen, dann würde Prianna ebenfalls verheiratet sein. Ihre beiden älteren Schwestern wären dann bei ihren Gatten, Lissa und Adelke fort, um sich ausbilden zu lassen. Nur sie würde zurück bleiben. Neugierig sah sie Gelda an. “Verzeiht, wenn ich zu neugierig bin.”<br>
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Gelda lachte. “Nur zu, Wohlgeboren. Ich bin auch immer neugierig.” Sie wurde ein wenig ernster. “Es hatte mich sehr erschrocken, als meine Eltern mir von den Plänen der Brautschau erzählt haben. Ich dachte, dass erstmal Sabea, die Ältere, dran ist. Aber das wir gleich alle drei gleichzeitig verheiratet werden sollen, war unerwartet. Nun, ich muss gestehen, dass hat mir Angst eingejagt.  Ich bin dann zum Stall, habe mir Aschefell gegriffen und bin davon geritten. Und dass mitten im Firun. Ich wollte einfach nur weg.” Kurze dachte Gelda nach. “Eine große Dummheit. Firun war ja besonders gnadenlos dieses Jahr.  Ich musste absteigen, verlor Aschefell und wäre fast im Schneesturm erfroren. Aber die Schwanengleiche hat mir das Leben gerettet.” Ein Lächeln umschmeichelte der Altenbergerin Lippen. “Die Geweihte Nia hatte mich gefunden und mich auch wieder nach Hause gebracht. Sie war die Erste die mir sagte ich soll die Herausforderungen des Lebens annehmen. Nur so kann ich selbst bestimmen.” Dann nahm sie eine Lilie auf und roch daran. “Natürlich waren meine Eltern nicht froh über meinen Alleingang, aber sie sind nie lange böse. Und der zweite war der Geweihte der Rondra, Rondradin von Wasserthal. Ihn habe ich bei der Jagd von Nilsitz kennengelernt. Ich folgte seinem Rat und bin überraschend zur Jagdkönigin gekürt worden. Ich hätte nie gedacht, jemals einen ´Großen Schröter´ zu erlegen. Seitdem bin ich mir gewiss, dass Ifirn mit mir ist. “ Dann schaute sie wieder Luzia an. “Erzählt mir von euch, was habt ihr erlebt oder würdet gerne erleben?”<br>
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“Ich bin in Obena aufgewachsen, mit meinen vier Schwestern.” Sie überlegte einen Moment: “Aber ausser, dass jede von uns einige Wochen in die Hesindeschule gegangen ist und einige Zeit auf Rickenbach verbracht hat, um Reiten zu lernen, war ich immer nur in Obena. Bis auf die wenigen Male, die ich Vater nach Elenvina begleitet habe, war ich auch fast noch nirgends ausserhalb unserer Baronie. Zur Hochzeit meiner Schwester war ich mit meiner Familie natürlich in Hlutharswacht, wo sie nun lebt. Und jetzt bin ich offensichtlich  hier. Aber ansonsten...” An die verfluchte Hochzeit mochte sie lieber nicht denken und zuckte beiläufig mit den Achseln. “Aber wisst ihr- Ich mag unsere Wälder und die Jagd. Vater nimmt mich oft mit, wenn er hinaus geht. Reiten und den Wind im Haar spüren.” Sie lachte die andere an. “Mehr will ich eigentlich gar nicht.” Ernst fuhr sie fort: “Mich graut es davor, vielleicht irgendwann in einer Stadt leben zu müssen. Weg von den Bergen.” Sie machte eine kurze Pause:<br>
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“Vater hat eine Affinität zu schönen Dingen. Er sammelt Kunst und es sind auch oft Künstler bei uns im Schloss. Außerdem veranstaltet er fast jedes Jahr zwei Feste, zu denen junge, unbekannte Künstler aufspielen. Er versteht nicht, dass mich das nicht übermäßig fasziniert. Oder -besser gesagt- es ist ihm egal.” Dann sah sie die andere forschend an:<br>
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“Aber, wenn ihr die Jagdkönigin geworden seid, dann seid ihr sicher auch begeistert vom Wald und der Freiheit der Jagd, nicht? Immerhin ist dies auch die Domäne der Ifirn?”<br>
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“Ja! Und seit der Jagd bin ich mir der neuen Leidenschaft gewiss. Nun ich hoffe, ihr werdet weiter auf dem Land bleiben können. Aber ihr habt es schon schwer. Ich wünschte ich könnte euch helfen. Gibt es denn, außer meinen Bruder, jemand interessanten?” Bevor Luzia antworten konnte sprach Gelda gedankenverloren weiter. “Es gibt da einen Freund, Nivard von Tannenfels, der um meine Hand werben wollte. Mein Herz schlug aber für jemand anderen. Erst dachte ich, das meine Herausforderung daran lag, jemanden zu heiraten, den ich mag, aber nicht liebe. Bevor ich in den Park kam, habe ich aber erkannt, dass die Herausforderung jene ist, den Menschen zu heiraten, den ich liebe, auch wenn es bedeutet einen Skandal auszulösen.”
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“Wieso einen Skandal? Ist es jemand so weit unter eurem Stand?” Gelda stockte kurz und lief Rot an. Hatte sie zu viel erzählt? Konnte sie der jungen Frau vertrauen? “Oh … also nein. Nun mein Geliebter hatte sich einer anderen Frau versprochen. Ihm wurde das aber auch aufgezwungen. Nun wollen wir heiraten.” Mit gesenktem Blick schaute sie Luzia an.<br>
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Die Baroness runzelte die Stirn, was zu einer leicht gekräuselten Nase führte. "Hat er die andere…. Ich meine ist sie schwanger von ihm?“ Gelda schüttelte den Kopf. “So weit ich das weiß, sind die sich nur einmal begegnet … und so gut kennen sie sich nicht. <br>
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"Dann hat er schon den Verlobungsvertrag gezeichnet? In der Regel… muss dann der Brautpreis noch gezahlt werden, aber… wartet, verzeiht. Es geht nicht um ein rechtliches Problem, nicht wahr?"  Sie atmete tief durch. “Praios sei dank, hat er das nicht. Es war ein kurzes Versprechen mit dem Vater der Verlobten. Und rechtlich gesehen hat meine Familie ja viele gute Rechtsgelehrte. Aber ihr habt recht, Baroness, es ist eher eine moralische Frage. Zumal die Verlobte höheren Standes ist.” Die Altenbergerin senkte ihren Blick. <br>
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"Ist ihre Familie so mächtig, dass ihr Repressalien fürchtet?“ <br>
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“Ich bin weniger um meine Familie besorgt, sondern eher um den Ruf meines Zukünftigen. Aber ich werde an seiner Seite stehen. Komme was wolle.” Gelda reckte ihr Kinn und blickte ernst.
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“Habt ihr schonmal jemand getroffen, der euer Herz schneller schlagen ließ. Jemanden, den ihr ständig an eurer Seite haben möchtet?” fragte sie nun neugierig.<br>
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Luzia schüttelte den Kopf.”Ich möchte… das auch nicht. Kann das Herz einen nicht schnell hinters Licht führen? Ebenso wie… die Lust. Rahja… ist die Göttin der Hingabe, nicht der Beständigkeit. Wie lange kennt ihr denn euren ähm… Geliebten schon?”<br>
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“Seit letzten Ingerimm, euer Wohlgeboren. Aber ich bin mir sicher , das es was Beständiges ist.” Dann fiel ihr Blick über Luzias Schulter und erblickte Rondradin in einiger Entfernung. Wie stieg ihr Röte ins Gesicht und sie winkte ihm verliebt zu. Dann blinzelte sie Luzia entschuldigend an.<br>
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Rondradin sagte ein paar Worte zu dem Mädchen im Pagenalter, dass dann knapp nickte und in Richtung des Mersingers lief. Dann lächelte Rondradin glücklich in Geldas Richtung und machte einen Schritt in ihre Richtung.<br>
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Luzia zuckte ein wenig mit den Augenbrauen, als sie das hörte. Ein Mond? Oder weniger. Langsam sollte man annehmen, hier an diesem Ort sei irgendetwas im Wasser. Die Menschen schienen hier viel zu schnell den anderen zu verfallen. Und kopflos zu werden. Als sie Geldas Blick folgte und den Rondradiener erblickte, der Gelda verliebt anlächelte, verstand sie das Problem der beiden besser. Sie überlegte, ob sie aufstehen und gehen sollte, damit die beiden ihre Ruhe hatten. Aber sie kam nicht dazu den Gedanken weiter zu spinnen, denn der große Mann warf ihr noch einen letzten verliebten Blick zu, bevor er Luzias Schwester zu deren Schwertvater folgte, der sich offenbar in einem Streitgespräch mit zwei anderen Gästen befand.<br>
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“Ich verstehe”, konstatierte die Baroness. “Verzeiht die Frage, aber … woher wisst ihr um die Beständigkeit eurer Gefühle? Nicht alles, was Rahja zusammenführt, muss Travia binden.” Neugierig sah sie die andere an: “Was macht euch so sicher, dass er der ist, dem ihr euch bis zum Ende eures Lebens- oder seines Lebens vermutlich eher- versprechen wollt?”<br>
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Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Gesprächspartnerin. “Dafür habe ich keine Erklärung. Ich weiß es einfach. Nun, ich habe noch einige Sachen zum Vorbereiten. Ich hoffe für euch, dass ihr die Herausforderung hier annehmt, nur so könnt ihr selbst Entscheiden.” Gelda griff die Blumen und erhob sich. “Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt, Baroness Luzia.” Mit ehrlichem Blick schaute sie diese an.<br>
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“Ich danke euch. Und viel… Glück für eure Liebe.” Sie lächelte der anderen zum Abschied nach und legte sich dann wieder zurück ins Gras - sah in den Himmel.<br>
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Lares irrte derweil im gesamten Park umher. Das Areal war riesig - gefühlt jedenfalls. Er würde Stunden brauchen, ehe er alles abgeklappert hatte. Beim Küchenzelt war sie inicht, auf der Festwiese war sie nicht, am Schrein war sie nicht… Irgendwann erreichte er den kleinen See, doch ohne Luzia zu sehen. Er hatte den Eindruck, völlig allein zu sein und in diesem Moment fühlte er sich einsam. Er ließ sich ins Gras sinken, legte seinen Kopf auf die Erde und blickte gen Himmel - in die strahlende Sonne.<br>
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Geblendet von dieser nahm er die leichtfüßigen Schritte war und eine Silhouette schob sich für die Praiosscheibe. Wie eine strahlende Aureole schmiegten sich die Sonnenstrahlen um das Haupt der Frau.<br>
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Lares blinzelte, dann schirmte er seine Augen vor der Sonne ab. Was war das für eine Figur. “Verzeiht, wer seid Ihr?”<br>
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Langsam gewöhnten sich Lares Augen an den geworfenen Schatten. Seidige, aber kräftige dunkle Locken umrahmten ein rundes Gesicht, dass ihn liebevoll anlächelte. Ihre großen und ausdrucksstarken grün-braunen Augen strahlten vor Freude und ein glucksendes Lachen begleitete sie. Die etwas mehr als 100 Stein schwere Frau erkannte er als die Praiosgeweihte Praiona von Altenberg. “Ich bin die liebliche Braut auf die ihr gewartet habt, euer Wohlgeboren!”, antwortete sie und setzte sich zu ihm ins Gras.<br>
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Den dürren Ritter riss die Erscheinung aus seiner sonnengeprägten Lethargie. Ein Schreck durchfuhr alle seine Glieder. Verdattert und von der Praiosscheibe noch immer leicht benebelt glotzte er die Altenbergerin an. “Ähm, und Euer Name ist?”<br>
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Die Geweihte nahm ihre Filzmütze ab, und schüttelte ihre Locken. “Wir war doch zusammen am Praiostisch, euer Wohlgeboren von Mersingen.Es war rührend wie ihr euch um das Kind gekümmert hat, um es vor der Katze zu schützen. Wie ein wahrer Held.” das glucksende Lachen folgte wieder.<br>
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“Ach, Ihr, Eure...die Sphärenkugeln. Genau!”, Lares erinnerte sich. “Ihr wart es, dessen Licht die Augen meines lieben Lehrers Ademar traf. Danke Euch. Ich fürchte, meine Heldenhaftigkeit war da völlig verschwendet. Ich habe die Zeichen des Herrn falsch gedeutet. Mir fehlt der Einblick in seine goldene Herrlichkeit, die Euch zuteil wird.” Lares runzelte die Stirn. “Wollt Ihr Platz nehmen? Ich denke doch, Ihr sucht mich mit einem Anliegen auf.”<br>
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“Ich wollte euch kennenlernen.” Praiona schmunzelte. “Habt ihr wirklich falsch gedeutet? Vielleicht hatte das Zeichen ja für jeden Anwesenden eine eigene Bedeutung. Das Licht hat mich ja erst auf euch Aufmerksam gemacht. Tanzt ihr gerne?”<br>
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“Nein, das würde ich nicht behaupten. Ich bin kein sonderlich geschickter Tänzer - außer, Ihr gebt mir ein Schwert in die Hand.” Schalkhaft schaute sie ihn tief in die Augen. “Wenn ich ein Schwert wäre, könntet ihr mich also führen?“<br>
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“Ihr seid jedoch kein Schwert”, stellte Lares recht Offensichtliches klar. “Ich möchte ehrlich zu Euch sein.”, meinte er dann so freundlich er konnte - ein Charakterzug, den man dem kleinen Mann mit den dunklen Haaren, dem finsteren Gesicht und den tiefen Geheimratsecken kaum abnahm. “Am heutigen Tag waren schon zu viele Menschen unehrlich zueinander. Das Auge des Herrn PRAios schaut heute nicht mit Wohlwollen auf diesen Garten. Doch ich will nicht zu den Lügnern und Betrügern gehören. Ich fürchte, Ihr werdet in mir nicht das finden, was Ihr Euch erhofft. Ich werde nicht Euer Gatte werden. Mein Herz ist schon an eine andere verloren - aber die finde ich nicht, warum auch immer. Ich fürchte, dazu muss ich erst auf PHExens Pfaden wandeln.”<br>
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Auch wenn sich Enttäuschung in ihren Blick schlich, war sie recht schnell gefasst. Zurückweisung war etwas, das Praiona ihr ganzes Leben lang gewohnt war. Sie setzte sich wieder gerade hin und war wieder voll und ganz die Geweihte des Götterfürsten. “Ich schätze eure Ehrlichkeit. Doch ihr maßt euch einiges an, Herr Junker. Ihr seid einer der Letzten der beurteilen kann, ob der Herr Praios wohlwollend auf den Garten schaut oder nicht. Und ihr widersprecht euch. Ihr wollt zu keinen Betrügern gehören, doch stellt  gleich in Aussicht die Pfade des Listigen zu gehen, um die umworbene Frau zu finden. Das ist alles andere als praiosgefällig. Prüft euer Herz und Worte bevor ihr urteilt.” Praiona hatte gänzlich ihre verspielte Art verloren. Ernst schaute sie Lares an.<br>
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“Nein, nein”, jetzt musste Lares schmunzeln. “Ihr missversteht mich: Ich meinte, ich muss scheinbar Pfade wandeln, die ich nicht finden kann, weil sie mir so fremd sind. Und vor mir verborgen. Ich hätte mich einfacher ausdrücken sollen. Ich habe sie verloren und der Park kommt mir plötzlich riesig vor. Aber warum meint Ihr, dass ich meinen Mund zu voll nehme?” Diesen Vorwurf wollte er sich dann doch nicht kommentarlos gefallen lassen.<br>
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“Wie ihr seht, eine klare Wortwahl verhindert Missverständnisse. Um zu eurer Beurteilung zurück zu kommen. Ihr könnt nicht darüber urteilen, ob der Herr Praios wohlwollend auf dieses Fest schaut oder nicht. Und muss ich euch daran erinnern, das ihr selbst glaubt, dass Zeichen des Herrn nicht verstanden zu haben? Wie könnt ihr dann den Willen des Herrn bemessen?” Wie ein Fels blieb sie bei ihrer Aussage.<br>
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Die Beweisführung war stichhaltig, das musste der Mersinger anerkennen. Einigermaßen überzeugt nickte er. “Eine kluge Überlegung. Mit einer Schwachstelle: Was ist, wenn meine Mutmaßung, was das Zeichen anbetraf, doch nicht falsch war? Ich sagt ja selbst, dass Zweideutigkeiten Missverständnisse hervorrufen.” ´Gut er wandert langsam auf den richtigen Pfad´. Sie verkniff den Mund ein wenig. “Sagt mir, wie ihr das Zeichen verstanden habt und warum ihr denkt das es eine Fehldeutung eurerseits war.”<br>
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Lares berichtete ihr von seiner Überlegung, der Fingerzeig des Herrn hätte zwar den Anwesenden gegolten, habe aber die Katze gemeint, die sie zum straucheln brachte. Er schilderte ebenso knapp, dass er der Auffassung war, es sei ein Hinweis auf Madas Kräfte gewesen. “Aber ich hatte danach eine Unterredung mit Ademar. Er meinte, das Licht habe ihm gegolten. Ihm ganz persönlich. Vielleicht hat er Recht und ich habe da etwas auf mich bezogen, das vielmehr ihn betraf. Oder Ihr habt Recht und für jeden wollte das Zeichen etwas anderes sagen. Für mich zum Beispiel, das Gefahr droht.” “Und, drohte Gefahr?” stellte sie die nächste Frage.<br>
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“Eine Gefahr hat sich nicht realisiert. Nicht, dass ich es gemerkt hätte, jedenfalls. Ob eine Gefahr gedroht hat? Ach, ich weiß nicht. Ihr wärt beinahe gestolpert, aber das wird es ja nicht gewesen sein.” Lares stieß hier an seine Grenzen. Genau diese Fragen hatte er drei- oder viermal hin- und hergewälzt und war immer an diesem Punkt angekommen. Dann musste er sich um Andesine kümmern und wollte Luzia nicht im Regen stehen lassen und...hatte die Fragen ad acta gelegt.<br>
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“Es drohte also keine Gefahr. Glaubt ihr denn wirklich, das Madas Kräfte in Anwesenheit einer Zeremonie des Götterfürsten UND zwei seiner Geweihte überhaupt wirken konnte? Und es war wirklich nur eine Katze.” Nun erhob sie belehrend ihren Zeigefinger. “Mit all dem Wissen ist es sonnenklar, dass hier kein zweideutiges Missverständnis sein kann. Dementsprechend auch keine Schwachstelle.” Die Blickte kurz zur Sonne und seufzte.”Ihr solltet euch beim Götterfürsten entschuldigen, euer Wohlgeboren.”<br>
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Er nickte angesichts der überzeugenden Beweisführung der Praiotin - und wahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass es sich um eine Praiotin handelte. Dann sprach er ein knappes Stoßgebet mit dem er sich zu seinen Unzulänglichkeiten und Fehlern bekannte und Besserung gelobte. “Ich danke Euch. Ihr habt mit ein wenig Klarheit geschenkt. Wenn Ihr das gleiche Talent habt, Frauen aufzuspüren, dann stünde ich tief in Eurer Schuld.”<br>
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“Um wen handelt es sich. Wer ist den die Herzensdame?” fragte sie, jetzt wieder weniger streng, nach.<br>
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“Ich suche die Baroness von Keyserring.”, antwortete er aufrichtig.<br>
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Schwerfällig erhob Praiona sich. “Es ist Zeit das ich weiter ziehe. Danke für eure Zeit, Lares von Mersingen.” Ihre Stimme wirkte traurig. “Ihr solltet nach Elenvina kommen und mehr über den Götterfürsten lernen. Und bitte, behauptet nicht noch einmal das der Herr nicht wohlwollend über dieses Fest schaut. Öffnet eure Augen, Lares. Folgt dem Sonnenschein. Und erkennt dass Luzia von Keyserring dort drüben auf der Wiese die Sonne genießt.” Sie deutete auf die zwei Frauen die sich nicht allzu weit, liegend auf der Wiese unterhielten. “Und bleibt bitte bei der Ehrlichkeit.” Sie begann ein Lied zu summen und ging.<br>
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“Wie, was, äh…”, stotterte der Mersinger der Geweihten hinterher. Das konnte doch nicht… Da vorne, nicht weit von seinem Standort entfernt, saß Luzia mit einer anderen jungen Dame im Gras. Sie schienen sich ungestört zu unterhalten. Er wollte nicht denselben Fehler noch einmal machen und vor lauter ungestümen Eifer aufdringlich wirken, also wartete er in aller Seelenruhe und in gebührendem Abstand darauf, dass die beiden ihr Gespräch beendet haben würden. Er übte sich also in Geduld und blieb an seinem Platz am Teich sitzen.<br>
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Nach einem kurzen Spaziergang über den schönen, weißen Kiesweg erreichte der Edelmann Milian von Altenberg mit der Baronin Thalissa von Rieckenhausen am Arm, die Wiese am See der Lilienprinzessin. Wie versprochen zog eine Brise kühler Luft auf und kühlte die Beiden. Ja, irgendetwas magisches lag über diesen Ort. Vorsichtig wollte Milian Thalissa zu dem See bringen, als beiden der Mann auffiel, der zwei junge Damen, die eine Baroness Luzia von Keyssering und die andere Gelda von Altenberg, in einigem Abstand beobachtete. Verwundert schaute Milian die Baronin an. Während Lares erst jetzt die Neuankömmlinge wahr nahm.<br>
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Lares warf den Herrschaften einen höflichen Gruß zu, insbesondere der Baronin von Rickenhausen, mit der er in der Vergangenheit schon hinlänglich Erfahrungen gesammelt hatte - nur gute, würde er selbstverständlich sagen. Aber sein Augenmerk galt den beiden jungen Damen. Noch eine Gelegenheit würde er sich nicht entgehen lassen. Doch das Gespräch schien nicht enden zu wollen. Lares würde sich in Geduld üben müssen, sah er ein.<br>
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Thalissa grüßte ebenso höflich zurück, doch da der Mersinger offenbar gerade anderweitig beschäftigt war, verzichtete sie darauf, das Wort an ihn zu richten. Statt dessen sah sie Milian an. “Schön ist es hier, Ihr habt nicht zuviel versprochen. Aber Ihr scheint überrascht zu sein, den Herrn von Mersingen hier zu treffen, oder die beiden Damen, oder alle drei?”<br>
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“Verzeiht, euer Hochgeboren. Ihr solltet natürlich meine ganze Aufmerksamkeit bekommen. Ich finde nur, dass der Junker etwas viel Interesse hat, an den beiden noch ´recht jungen´ Damen. Mir scheint es, dass er sie beobachtet. Das rothaarige Mädchen ist Gelda, meine Base. Und ich denke ich muss nicht erwähnen, dass daneben die Baroness von Keyserring sitzt. Eine Dame den Hof machen das ist eine Sache, doch lüstern zu beobachten eine andere. Meint ihr nicht?” Besorgt schaute er Thalissa an. Ob es echt war oder nur gespielt, vermeinte sie nicht zu unterscheiden.<br>
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Die Baronin hatte zwar schon mehrfach mit dem Mersinger zu tun gehabt, aber was seine charakterliche Integrität Frauen gegenüber anging, wusste sie nicht Bescheid. Allerdings gab es Gerüchte … “Warum fragt Ihr ihn nicht?” Thalissa lächelte Milian herausfordernd an. “Ich kann seinen Blick leider nicht so eindeutig deuten wie Ihr.” Milian nickte nachdenklich. “Ich bin überrascht, ich hörte von eure Tätigkeit als Criminal-Ermittlerin. Schult sich da der Blick nicht?” , fragte er freundlich. Er machte einen Schritt auf den Junker zu. “Heda, Wohlgeboren von Mersingen. Braucht ihr Hilfe, um den Damen eine Aufwartung zu machen oder warum dieses phexische Verhalten?” Fragte er direkt mit erhobener Augenbraue.<br>
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Der Altenberger machte sich gerade unbeliebt bei ihr, aber das sollte Thalissa nicht stören, bestärkte sie es doch darin, sich nicht zu sehr mit ihm einzulassen, was sie sowieso nicht vorgehabt hatte. Was hätte es dem edlen Herrn wohl sagen müssen, wenn sie als (ehemalige) Criminal-Ermittlerin an Blick und Haltung des Mersingers nichts eindeutig Unschickliches findes konnte? <br>
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Lares wandte sich um, wobei seine zusammengekniffenen Augenbrauen verrieten, was er von dieser Frage dachte. “Entschuldigt, Wohlgeboren von Altenberg”, erwiderte er höflich, aber kalt “ich fühle mich von ‘heda’ nicht wirklich angesprochen. Ihr wollt wissen, warum ich höflich warte, bis die Damen ihr Gespräch beendet haben? Nun zum einen, weil es sich so geziemt und zum anderen, weil forsches Auftreten mir bei einer der Damen am heutigen Tage bereits nicht zum Erfolg verholfen hat. Das hat mich schmerzlich daran erinnert, dass der Mann von Welt sein Temperament zu zügeln weiß.”<br>
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Milian antwortete nur mit einem Lächeln. Seine Wortwahl war nicht ohne Berechnung gesetzt. Und sein Konkurrent hat genauso reagiert wie erwartet. “Wir können nur hoffen dass ihr dieser ´Mann von Welt seit´ , den ein Mann mit Anstand könnte besorgt sein, dass eine Dame von Stand und Unschuld in bedrohlicher Situation sein könnte. Ich habe heute schon beobachtet wie einer Dame der Ruf befleckt wurde. Also müßt ihr verstehen Junker von Mersingen, dass ich Aug und Ohren offen habe. Das geziemt sich als Edelmann, wie ich einer bin.” Das Lächeln wurde breiter und er  verneigte sich leicht vor seiner Begleiterin.<br>
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Thalissas Lächeln war eher bedeckt, tatsächlich konnte es Milian gar nicht sehen, verdeckte der geöffnete Fächer doch gerade ihr halbes Gesicht. Interessiert verfolgte sie den weiteren Austausch der beiden Herren.<br>
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Interessant, dachte sich Lares. “Ja, habt Ihr? Das ist äußerst bedauerlich! Für Eure Umsicht bin ich dankbar. Sagt, welcher Rüpel beschmutzte die Ehre einer der anwesenden Damen? Ich musste ebenfalls einen Herren an die Regeln des Anstands erinnern, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Ich hoffe, Euch waren PRAios und TRAvia da eher hold?”<br>
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Noch bevor die anderen antworten konnten, registrierte Lares die kleine, blonde Gestalt, die zieltgerichtet auf ihn zustapfte. Gefolgt von dem Rondradiener, bei dem er sie vorhin gelassen hatte.<br>
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Das Lustwandeln hatte er sich anders vorgestellt, musste Rondradin sich schmunzelnd eingestehen, als er mit der jungen Dame neben sich durch den Park flanierte. Es schien Basilissa soweit gut zu gehen, was ihn freute und er war guter Hoffnung, dass sie in Zukunft von weiteren Albträumen verschont bleiben würde.<br>
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Sein Blick glitt von links nach rechts. Der Park wurde seinem Namen wirklich gerecht, überall wuchsen Lilien und zugleich strahlte er etwas friedvolles, beruhigendes aus. Als sie den See erreichten, fanden sich auch endlich den Schwertvater der Pagin. Aber dieser war nicht allein. Da waren noch andere Grüppchen. Zum einen die Baronin von Rickenhausen, zuletzt waren sie sich kurz in Nilsitz begegnet und der Mann neben ihm musste aus dem Haus Altenberg stammen, jedenfalls hatte Rondradin ihn vorhin an deren Tisch gesehen. Was ihm allerdings den Atem verschlug waren die beiden jungen Frauen, die auf der Wiese saßen. Luzia von Keyserring nahm er dabei kaum wahr, galt seine Aufmerksamkeit doch diesem Lichtgeschöpf, seiner einzig wahren Liebe, Gelda von Altenberg. Auch wenn sie mit dem Rücken zu ihm saß, so war es doch unverkennbar sie. Mit Mühe konnte er seinen Blick von ihr lösen und  Basilissa zuwenden. “Da wären wir.  Siehst du? Da vorne sitzt dein Schwertvater. Soll ich mit ihm über deine Träume sprechen?”<br>
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Sie nickte langsam bevor sie sich in Lares Richtung wandte.<br>
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“Lauf doch zu ihm. Ich komme sofort nach.”  Rondradin blieb einen Moment stehen und nahm dies friedliche Szenerie in sich auf. Wunderschön.<br>
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Lissa registrierte, dass Lares im Gespräch mit zwei weiteren Herrschaften stand und verlangsamte ihren Schritt. Sie lächelte ihm entgegen. Irgendwie fühlte sie sich besser als vorhin noch.<br>
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Stellte der Junker sich dumm oder war er so von sich eingenommen, dass seine impertinente Art die beiden Frauen so aus der Ferne zu ´beobachten´ gegen jeglicher Etikette ging. “Ich sprach von euch. Ihr solltet die Damen nicht so aus der Ferne ´bespannen´, es wirkt missverständlich.” Mit erhobener Augenbraue, nahm nun auch Milian die Pagin war.<br>
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“Ach, ich dachte, Ihr sprecht von zwei verschiedenen Personen. Aber das muss Eure unpräzise Ausdrucksweise sein. Ich habe verstanden, dass Ihr mein respektvolles Zuwarten missverstanden habt - und ich bin Euch dankbar für die offenen Worte. Wir wollen ja nicht, dass noch andere diesem ‘Missverständnis’ unterliegen, nicht wahr?”, säuselte Lares, dann wandte er sich ab und sein Gesicht klarte ob seiner zufriedenen Pagin auf. “Hallo Basilissa, hast du mit dem Herrn von Wasserthal reden können, so, wie du dir das gewünscht hast? Der Herr hier meint, wenn ich auf deine Schwester warte, dann ist das unzüchtig. Findest du das auch?” Er deutete beiläufig auf Milan.<br>
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“Äh.” Das Kind sah seinen Schwertvater irritiert an: “Ja, ich habe mit seiner Gnaden reden können und ähm… ich glaube nicht, aber… “ sie zuckte mit den Achseln. Sie hatte noch nicht gelernt, was man sich in Bezug auf das andere Geschlecht leisten durfte. Einzig, dass sich Menschen in bezug auf diese Frage häufig uneins waren, hatte sie bereits registriert.<br>
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Thalissa nickte Rondradin und Basilissa grüßend zu, hielt sich ansonsten aber weiter heraus aus dem Hahnenkampf. Denn nichts anderes war dies in ihren Augen. Solange es nicht zu weit führte, war es zumindest unterhaltsam - und aufschlussreich.<br>
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“Na, dann ist es ja gut”, sagte Lares zu Lissa und widmete sich nun ganz seiner Pagin. “Was hat der Herr von Wasserthal denn gesagt - oder ist das ein Geheimnis?”<br>
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Milian schüttelte ungläubig seinen Kopf, lächelte dann aber wieder versöhnlich. “Nun gut. Ich denke dann ist ja alles geklärt.”<br>
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Lächelnd schloss Rondradin zu der Gruppe auf. “Rondra zum Gruße. Ich hoffe Ihr genießt die friedvolle Atmosphäre, welche an diesem Ort vorherrscht.”<br>
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Der Edelmann verneigte sich.”Euer Gnaden, Rondra sei gegrüßt!”<br>
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“Ach, da ist er ja! Herr von Wasserthal, ich schulde Euch meinen aufrichtigsten Dank. Basilissa war sehr betrübt, als wir sie zu Euch brachten. Ihr müsst nicht nur mit dem Schwert geschickt sein, ganz offensichtlich. Sagt, wie geht es Eurer Schwester? Hat sie sich wieder einigermaßen gefangen? Ich habe sie eine ganze Weile nicht mehr gesehen.”<br>
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“Ich versuche nur meinem Schwertnamen gerecht zu werden, das ist alles.” Winkte Rondradin ab. “Meine Schwester habe ich zuletzt mit Euch zusammen gesehen. Ihr wisst vermutlich besser als ich wie es ihr geht. Aber wahrscheinlich hat sie sich zurückgezogen nachdem der Herr vom Traurigen Stein seine Verlobung mit Durinja von Altenberg bekannt gegeben hat.”<br>
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Lissas Augen wurden groß, als der Rondradiener sprach und sah ungläubig zu Lares hinüber.<br>
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Lares Gesicht wurde in Sekunden finster wie die schwärzeste Nacht. Seine beiden Fäuste ballten sich, sein Kiefer mahlte. Für einen langen Augenblick starrte er Rondradin einfach nur an, während man seine Zähne knirschen hören konnte. Dann brach es langsam aber schrecklich aus ihm hervor. “Könntet Ihr das bitte wiederholen? Ich muss mich verhört haben. Was...hat...dieser...einfältige…?”<br>
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Überrascht von der Reaktion seines Gegenübers wiederholte der Geweihte seine Worte: “Linnart vom Traurigen Stein hat sich mit Durinja von Altenberg verlobt. Ich hatte gehofft, Ihr könnt mir sagen, warum sie und nicht Andesine seine Braut ist.”<br>
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“Oh dieser vermaledeite, dreimal verfluchte Mistkerl!!!”, schrie Lares plötzlich unbeherrscht und ersichtlich zornig. Der Ruf aus tiefster Kehle war für jeden in der Umgebung vernehmbar. Sogar Basilissa schreckte zusammen - ihr sonst zugewandter Schwertvater war plötzlich wie ausgewechselt. “Oh ja, ich kann Euch ganz genau sagen, warum dieser untreue Bastard Eure bemitleidenswerte Schwester verschmäht hat: Er hat sie kein halbes Stundenglas, nachdem er ihr seine unverbrüchliche Liebe geschworen hat, hintergangen. Mit Eurer”, er starrte einen kurzen Moment Milan an “Verwandtschaft.” Auf seiner Stirn pochte eine dicke, blaue Ader. “Und nicht nur Eure Schwester - auch mich hat diese Brut einer Ratte belogen! Ich habe ihm ein Versprechen abgerungen, das Versprechen, an sich und seiner zügellosen Kontrolllosigkeit zu arbeiten, um Eurer Schwester willen! Eure Schwester ist ein guter Mensch! Das hat sie nicht verdient! Ich habe gehofft - nein, ich habe von ihm verlangt, sich um Eure Schwester zu bemühen. Es reicht, dass dieser Widerling ihr EINMAL das Herz gebrochen hat. Aber das?” Der wütende Mersinger musste einen Moment durchschnaufen, so außer Atem war er. “Herr von Wasserthal”, sprach er dann gedehnt. “Ich muss Euch darum bitten, mir als Geweihter der Herrin des Ehrenhaften Zweikampfs zur Seite zu stehen. Dieses Verhalten verlangt nach Satisfaktion.”<br>
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Unwillkürlich trat Thalissa bei diesem Ausbruch einen Schritt zurück. Dass der Mersinger aufbrausend sein konnte, wenn auch erst nach einer Weile, hatte sie erst kurz vor der Brautschau erfahren dürfen, aber was verband ihn denn mit Rondradins Schwester? Oder war er etwa … selbst in sie verliebt? Sie widerstand ihrem ersten Impuls, sich zurückzuziehen, denn zumindest hier war der See nun nicht mehr sonderlich friedlich, sondern machte nur noch einen weiteren Schritt zurück, um ihre Ohren zu schonen, Sie warf einen Blick zu den beiden Frauen, die Lares beobachtet hatte. Das hier konnten diese ja kaum überhört haben.<br>
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Auch Milian machte eine  Schritt weg von dem Mersinger. Ungewollt schlich sich ein leichtes Schmunzeln in sein Gesicht. Durinja hat es also geschafft. Auch wenn er sich meistens nicht grün mit seiner Base war, konnte er nicht anders, als gewissen Stolz zu empfinden. Sollte diese Hochzeit stattfinden, so hatte sie einen guten Schritt nach vorne gemacht. Das widerum ihn daran erinnerte, dass er nicht so weit war. Die Baronin von Rickenhausen war ganz nett und trug einen guten Titel, aber er bezweifelte, dass er sie für sich gewinnen konnte. Zu sehr war sie dem höfischen Spiel der Nordmarken verschlossen. Und wer weiß, vielleicht hielt sie sich auch nicht lange auf ihrem Thron. Nun, jetzt hat sie ja einen guten Vorgeschmack bekommen, wie es hier läuft. Milian war froh darüber, dass der Junker vor allen seine Haltung verlor.<br>
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Die Verwandlung, die Lares von Mersingen durchmachte war erstaunlich und gewiss einschüchternd. Rondradin hätte nicht gedacht, dass der Mersinger wirklich so viel für Andesine empfand, oder war es der gekränkte Stolz, weil der Linnartsteiner sich nicht an sein Versprechen hielt? Jetzt da er den Wutausbruch Lares beobachtete, stellte der Geweihte erstaunt fest, dass er selbst völlig ruhig blieb. Nun ja, er war Andesines Bruder und als solcher empfand er auch einen Zorn gegenüber dem Bannstrahler, aber dieser war weit von dem entfernt, was sein Gegenüber gerade empfand. Er wusste nur eins. Sollte Andesine Satisfaktion wünschen, würde sie diese selbst einfordern. Deshalb hob Rondradin beschwichtigend die Hände. “Gemach, es ist keinem geholfen - auch Andesine nicht - wenn Ihr voller Zorn zu diesem Mann marschiert und ihn lautstark fordert. Beruhigt und sammelt Euch. Wenn Ihr diesen Linnart fordern wollt, stehe ich Euch gerne zur Seite, wobei ich als Schiedsrichter wohl eine passende Rolle einnehmen würde. Allerdings bitte ich im Sinne dieser Veranstaltung darum, dieses Duell erst morgen anzusetzen.” Rondradin trat zu Lares und legte ihm die Hand auf die Schulter. “Ich danke Euch, dass Ihr erneut für meine Schwester eintreten wollt. Ihr seid ihr ein wahrer Freund.”<br>
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Lares Augen wurden einen Moment groß, dann kurz schmal, dann sah er verschämt zur Seite. “Nein. Nicht in Wut”, presste er hervor. “So einfach werde ich ihm das nicht machen. Morgen. Ja. Morgen.” Das Leder seines Gürtels, den seine rechte Faust malträtierte, knirschte leidvoll. “Ich...Sagt ihr nichts davon. Bitte. Ich will nicht, dass sie...Das ist eine Sache zwischen dieser traurigen Gestalt und mir.” Sein Gesicht war vollends bleich, seine Stimme dünn geworden. Der Mersinger gemahnte an eine stehende Leiche und der Hauch des Hausgottes seiner Familie umwehte ihn.<br>
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“Ihr solltet vielleicht selbst mit ihr sprechen. Mir schien es als vertraue sie Euch.” Der Rondrianer nickte dem Mersinger dankbar zu.<br>
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“Oh, ich…” Lares warf den Kopf in den Nacken und wischte sich mit einer Hand über das Gesicht. “Gut. Werde ich. Lissa?”<br>
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“Sagt Baronin, wollen wir uns vielleicht einen friedlicheren Ort suchen?”, fragte Milian die Baronin von Rickenhausen.<br>
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Das Schauspiel schien zu Ende zu sein, sonderlich viel Freude hatte Thalissa daraus aber nicht ziehen können, sah es doch so aus, als würde es wegen … übertriebener Befindlichkeiten auch noch zu einem Duell kommen. Nun, das war letztendlich nicht ihr Problem und sie vertraute auf Rondradin, dass es nicht zum Schlimmsten kommen würde.<br>
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“Gerne”, antwortete die Baronin daher. “Was wollt Ihr mir als nächstes zeigen?”<br>
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“Es gibt hier ein Amphitheater, ich hoffe da wird es keine Befindlichen Gäste geben. “Er lächelte sie an, bot wieder sein Arm an und lief mit ihr hinfort.<br>
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Lissa sah ihren Schwertvater irritiert an: “Hm. Ja. Wolltet ihr noch mit seiner Gnaden sprechen? Soll ich euch derweil etwas zu trinken oder einen dieser Körbe besorgen?” bot sie eilfertig an.<br>
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“Nein, das meinte ich nicht. Entschuldige bitte. Magst du bitte deiner Schwester etwas von mir ausrichten? Ich würde mich freuen, wenn deine Schwester und ich in einem halben Stundenglas einige Worte miteinander sprechen könnten. Wenn es die Schicklichkeit erlaubt, würde es mich freuen, wenn wir drei dabei allein sein könnten. Es wäre mir wichtig. Doch zuvor muss ich einer Freundin - bitte betone das - meinerseits eine Nachricht überbringen.” Lissa nickte. “Danke euch nochmals für eure Hilfe, euer Gnaden.” Dann wandte sie sich ab, um zu ihrer Schwester zu laufen, hielt aber kurz inne: “Hoher Herr, soll ich bei meiner Schwester auf euch warten?” <br>
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  Dann wandte sich der Mersinger erneut Rondradin zu. “Ihr habt Recht, wenn Ihr sagt, wir sollten diese Angelegenheit morgen klären. Es wäre wichtig, einen geeigneten Ort zu finden. Dem Kontrahenten obliegt die Wahl der Waffen. Ich wäre geehrt, wenn Ihr das Duell mit Eurem scharfen Auge und dem Segen der Sturmherrin überwachtet. Ich werde gehen und Eure Schwester suchen. Wisst ihr zufällig, wo sie sich aufhalten könnte? Wo ist Eure Familie untergekommen? Wenn sie nicht mehr hier ist, so fürchte ich, wird sie womöglich den Festplatz verlassen haben.”<br>
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“Ihr könntet Bruder Rahjel fragen, ob er sie gefunden hat. Ansonsten bliebe nur noch das Hotel ‘Zum Herzog’ in dem wir untergekommen sind.” Mit einem Male wirkte der Geweihte unheimlich müde. “Ich wünschte, ich könnte selber nach ihr sehen, aber es scheint als ob halb Dere heute etwas von mir will. Eigentlich sollte ich schon auf dem Weg zu einem Treffen sein.” Er sah auf und blickte Lares direkt an. “Ich danke Euch für eure Hilfe. Das werde ich Euch nicht vergessen und morgen werde ich über Euer Duell wachen.” Lares nickte grimmig, dann wandte er sich zum Gehen, als plötzlich ein Rabe über der Versammlung krähte.<br>
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Luzia von Keyserring genoß es, wieder allein zu sein. Einen Moment lang zumindest. Sie mochte Menschen, das freilich. Aber dennoch - zu lange mochte sie sie doch nicht um sich haben. Das Alleinsein war für sie wie die Luft zum Atmen.<br>
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Sie lächelte still in den Himmel, der sein wolkenloses Dach in zartem Blau über sie spannte.<br>
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Der wütende Ausbruch, die laute Stimme, von Lares von Mersingen, störte ihren friedlichen Moment der Stille. In Sichtweite, sah sie eine Gruppe Menschen vor der Lares zeterte. <br>
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Sie bemühte sich wegzuhören und schnappte dennoch Gesprächsfetzen auf: Traurigenstein, Andesine, Satisfaktion, Duell. Was ging dort vor`? War Lares an dieser Andesine interessiert und dieser andere hatte sie ihm weggeschnappt? Ein kleiner Stich durchfuhr sie. So musste es wohl sein. Leise seufzte sie. Sie hatte sich schon gefreut, mit ihm und Lissa ein wenig reisen zu dürfen. Das war es wohl, was sie störte. Sie schloss die Augen und versuchte die Stimmen auszublenden und als die Lautstärke abebbte, atmete sie still und leise. Sie war eingenickt. Kurze Zeit danach spürte sie ein leichtes Tippen unter ihrer Schuhsohle. “Lissa.” stöhnte sie auf, als sie ihre jüngere Schwester erblickte und setzte sich auf. <br>
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“Ich soll dir etwas von meinem Schwertvater ausrichten. Er möchte, dass wir uns in einem halben Stundenglas treffen.” “Wer wir?” “Na, wir beide mit ihm.” Luzi nickte zögerlich. “Und dann…” “Ähm… möchte er mit dir sprechen?” “Ah.” “Und ich soll dir bestellen, dass er zuvor noch… mit einer Freundin etwas klären möchte.” So. eine Freundin? Sie spürte wieder diesen unliebsamen Stachel: “Es war sehr wichtig, dass ich das mit der Freundin sage.” Luzia runzelte die Stirn: “Danke Lissa. Magst du dich solange hierher setzen?” Die kleine schüttelte energisch den Kopf: “Nein. Ich gehe wieder hinüber.” “Gut ich bleibe hier.”<br>
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Dann ließ Lissa ihre Schwester alleine, die sich wieder zurücklehnte und die Augen schloss.<br>
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Malvado hatte Alrike verstanden. Die jungen Leute mussten wieder aus dem Feenreich zurückkehren. Der Kolkrabe kannte die Feenwelt, ein Ort den er schon öfter besucht hatte. Wieder konzentrierte er sich und spürte das magische Tor. Mit einem Krächzen zielte er genau auf die Weiden am See zu und verschwand zwischen den Bäumen.  <br>
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Das Amulett des Geweihten Rondradin glimmte kurz auf und zeichnete sich so unter der Robe und dem Wappenrock deutlich ab, was der jungen Pagin Basilissa nicht entgangen war.<br>
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Sie sprang ein Stück zurück. Und sah verstört zu Rondradin hinauf. Was hatte das zu bedeuten?<br>
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“Basilissa was ist?”, meinte Lares und runzelte die Stirn. Was war ihm entgangen? Eigentlich wollte er sich gerade aufmachen, um Andesine zu suchen. Ein Vorzeichen?<br>
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Auch Rondradin bedachte die Pagin mit einem fragenden Blick. Seine Aufmerksamkeit hatte dem Raben gegolten, den er für ein schlechtes Omen hielt.<br>
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“Verzeiht. Das… das Amulett hat plötzlich geleuchtet. Oder… das dachte ich zumindest. Vielleicht war es nur die Sonne?” Ja, so musste es sein.<br>
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“Welches Amulett meinst du?” Lares sah ganz kurz an sich herunter, wohl wissend, dass er kein Amulett trug.<br>
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“Meinst du das Meinige?” Rondradin griff sich an die Stelle wo das Amulett unter seiner Robe verborgen lag. Es ging keine Hitze davon aus, auch wenn es sich warm anfühlte. Konnte es sein oder doch nur die Sonne?<br>
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“Ja.” sagte das Kind. “Ich konnte es unter eurer Robe sehen, weil es … geglommen ist. Aber nur kurz. Was… bedeutet das?”<br>
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Es war ungewöhnlich, bisher hatte es nur zu leuchten begonnen, wenn er… Konnte es sein, dass der Rabe mehr war und sich da zwischen den Bäumen ein…<br>
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Ihm wurde bewusst, dass der Blick Basillissas immer noch auf ihm lag und auch Lares schien es nach einer Antwort zu verlangen. “Du musst keine Angst haben, Basilissa. Es könnte hier in der Nähe einen Zugang zur Feenwelt geben. Was, wenn man die Geschichte des Parks bedenkt, sehr wahrscheinlich ist. Das Beste wird sein, du bleibst in der Nähe deines Schwertvaters. Laufe nicht allein durch den Park.” Der Blick Rondradins ging zu Lares. “Vielleicht wird uns heute Abend jemand aus der Anderswelt einen Besuch abstatten, aber ich sehe gerade keine Gefahr für die Gäste.”<br>
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Oh das hatte er gerade noch gebraucht. “Seid Ihr sicher, dass momentan keine Gefahr besteht? Ich muss doch nach Andesine sehen - Lissa, geh derweil zu deiner Schwester und richte ihr aus, was ich gesagt habe. Ich warte solange auf dich. Wenn hier Madas Gezücht kreucht und fleucht, dann lasse ich dich nicht mehr aus den Augen.” Hmm, vielleicht war er mit der Katze doch richtig gelegen. Der nagende Zweifel kehrte in seinen Kopf zurück.<br>
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Rondradin schloss die Augen. Schon wieder ein neues Problem. Schon wieder etwas, das ihn von Gelda fernhielt. Schon wieder … War es denn zuviel verlangt einfach mal ein Viertel Stundenglas seine Ruhe zu haben? Aber es dem armen Mersinger aufbürden, das wollte er dann auch nicht. Mit einem tiefen Seufzer meinte er dann: “Ich kümmere mich darum.” Er hob zum Abschied die Hand. “Wir werden uns später beim Bankett wiedersehen.” Dann zog er los, die Augen nach der Vögtin oder der Baronin dieser Lande offenhaltend.<br>
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Lares grüßte den Rondrianer zum Abschied, dann wartete er einmütig - und ein wenig nervös - auf die Rückkehr seiner Pagin.<br>
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“Ich habe es ihr ausgerichtet. Sie wird dort auf uns warten.” meldete die Kleine als sie kurz nach ihrem Aufbruch zurück kehrte.<br>
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“Danke dir. Das hast du gut gemacht. Hoffentlich müssen wir sie nicht zu lange warten lassen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, was deine Schwester angeht. Eigentlich sollte ich jetzt bei ihr weilen und ihr einen kleinen Ausflug mit uns schmackhaft machen, meinst du nicht auch? Aber stattdessen verhält sich dieser vermaledeite Geck...ach entschuldige, diese Wörter sind alles andere als angemessen im Beisein einer jungen Dame.” Lares lachte verkrampft. Oh warum konnte die Welt nicht einfacher sein? Warum nur? Aber natürlich: Weil sie es nicht war, verdammt. “Komm, gehen wir Andesine suchen. Und danach knöpfen wir uns den Traurigsteiner vor.” Mit einem grimmig-determinierten Gesichtsausdruck packte Lares Lissa bei der Hand und führte sie in Richtung Ausgang des Festgeländes.<br>
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Das Rauschen der Blätter und Blumen im Wind wandelten sich zu leisen, musikalischen Klängen. Nicht die gewohnten Lieder der Barden, sondern eher fremdländisch, wild aber dennoch lustig. Als Luzia ihre Augen wieder öffnete, war das Praiosmal am Himmel verschwunden und rosa Wölkchen zierte diesen. Sie lag noch immer auf der Wiese umgeben von weiten Feldern bunter Lilien. Der See und die Weiden waren noch da, aber alles andere war verschwunden. Eine Gruppe junger Menschen liefen vorsichtig,  auf die Bäume zu und einer nach dem anderen verschwanden zwischen ihnen. Nur einer blieb stehen und drehte sich um. Der schlanke Jüngling hatte rabenschwarzes Haar, aus dem kleine Federn hervor lugten, bleiche Haut und tiefschwarzen Augen. Sein Gesicht wirkte hart, aber auf fremder Art anziehend. Er war nackt, wobei größere, dunkle Federn seinen Schambereich verdeckten. Schwungfedern sprießen ihm vom Nacken, über den Schultern zu den Oberarmen bis zu den Handrücken. Mit überraschten Blick kam er auf sie zu.<br>
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Die junge Frau rieb sich die Augen, schlief sie noch? Was war das für ein absonderlicher Traum? Sie zwickte sich selbst in den Unterarm. Sie spürte das Ziepen ihrer eigenen Nägel und wich angstvoll vor dem absonderlichen Wesen zurück. <br>
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“Nicht doch, holde Jungfer. Ich tu dir nichts.”, sagte der Rabenmann, doch seine Stimme hörte sich fern an, wie in einem Traum. Erst jetzt bemerkte Luzia, das neben ihr sie selbst lag und schlief. “Wie machst du das?”, fragte er neugierig.<br>
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“Wo bin ich?” fragte sie ängstlich. “Ist das ein Traum? Was willst du von mir - was mache ich denn hier?” sprudelte es aus Luzia heraus. Er dachte kurz nach und legte dann ein Lächeln auf. “Ja es ist nur ein Traum. Schließe die Augen schönes Kind.” Sagte er sanft.<br>
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Skeptisch sah sie ihn an: “Wie? Ich bin zweimal da. Eigentlich schlafe ich dort.” Was war er? Hatte er sie in eine andere Welt gelockt, um ihr etwas anzutun? “Wo bin ich hier? Was… wer bist du?” Sie lief langsam rückwärts auf ihren schlafenden Körper zu und tippte ihn  mit ihrem Schuh an, ohne den Rabenmann aus den Augen zu lassen.<br>
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Erst jetzt bemerkte sie, das sie leicht durchscheinend war. Ihr eigener Körper war kein Widerstand für ihren Schuh. Der Rabenmann blieb an seiner Stelle stehen. “Malvado ist mein Name. Ich passe auf die unschuldigen Seelen auf.” Tiefgründig schaute er sie mit seinen schwarzen Augen an. <br>
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“Was heißt das? Und wo bin ich? Seid Ihr ein Sendbote Borons? Ist dies eine Traumwelt? Wieso ist es hier so ..wirklich?” Nur langsam wich die Panik aus ihrer Stimme. <br>
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Malvado nickte nur. Ja, du bist in einer Traumwelt. Aber du gehörst hier nicht hin. Also schließ die Augen … und wache auf!” Das fremdartige, schöne Gesicht schien vertrauensselig. <br>
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Konnte sie es wagen? Vorsichtig schloss sie die Augen. Sie würde sie sofort wieder öffnen. Vielleicht sprach er die Wahrheit? Wenn nicht, wäre sie ihm so oder so hilflos ausgeliefert.<br>
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Als die junge Baroness ihre Augen wieder öffnete, sah sie wieder das gewohnte Praiosmal und befand sich auf der Wiese am See. Langsam klärten sich ihre Sinne. ´Was für ein seltsamer Traum´, ging es ihr durch die Gedanken. Dann bemerkte sie, dass sie nicht mehr alleine auf der Wiese lag. Neben ihr im Gras schlummerte zwei junge Männer und drei junge Frauen. Zumindest Zwei kannte sie vom Sehen. Der Knappe Folcrad von Baldurstolz und die Gauklerin Doratrava. In der Ferne hörte sie das Krächzen eines Raben.<br>
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Wie merkwürdig , sie war alleine gewesen, als sie eingenickt war. Und nun? Sie setzte sich auf und sah sich verstohlen um. War dies wieder ein Traum? Sie zwickte sich leicht. Alles sah aus wie zuvor. Sie war zurück? Oder?<br>
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Das Rauschen des Windes und die kitzelnde Wärme des Praiosmal holte auch die anderen jungen Leute aus ihrem Schlaf. Doch alles was von ihrem Abenteuer blieb waren ferne Erinnerungen an einen fantastischen Traum. Nur Eine erinnerte sich daran was geschehen war, doch wusste sie, dass es für die Eine oder den Anderen besser war, es als Traum zu belassen.<br>
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Cupida streckte alle Viere von sich und stieß mit ihrer Rechten gegen etwas warmes Weiches. Es sah aus als wäre sie eingeschlafen. Was für ein seltsamer Traum. Die junge Frau öffnete ihre Augen und das erste, das ihr ins Auge stach war Aldecs fülliger Leib nahe an ihr. Kurz wich sie schreckhaft vor ihm zurück. Was tat er denn hier? Bei ihr? Panisch sprang sie auf und nestelte sie an ihrem Kleid herum. Er würde sich doch nicht an ihr vergangen haben? Nein. Sie verwarf jenen Gedanken sofort wieder. "Hey Aldec, aufwachen!" Mit der Fußspitze stieß ihn die junge Lilienhainerin sanft in die Seite, dann erspähte sie den Rest ihrer Gruppe.<br>
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Aldec drehte sich auf die Seite und kuschelte sich in seinen speckigen Oberarm. “Hmm...noch ein bisschen…”, murmelte er schlaftrunken. Als ihn die Schuhspitze berührte, fuhr er hoch. “Was, wie, wo? Ach du… welche Stunde haben wir es? Ich muss doch; meine Herrin!” Der dicke Mann warf den Kopf hin und her.<br>
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"Sssssh … ssssshhh …", versuchte die Akoluthin ihn zu beruhigen. "Es scheint als wären wir eingeschlafen. Ich weiß nicht welche Stunde wir haben …", wie Rondras Blitz schlug es in ihre Gedanken ein, "... Dora! Wir wollten sie doch suchen. Wo ist sie?"<br>
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“Da vorne liegt sie doch”, murmelte der Knappe schlaftrunken und rieb sich die Augen. Dann gähnte er herzhaft und fuhr fort:”Warum schreit Ihr denn so?” Offenbar hatte er noch nicht begriffen, was geschehen war.<br>
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Die junge Frau nahm die Worte Folcrads zum Anlass und stürzte hin zur Gauklerin. Die Sorge nach ihr war der letzte geordnete Gedanke, den sie in ihrem Kopf hatte. "Dora … geht es dir gut? Wo warst du denn?", fragte Cupida zusammenhanglos. <br>
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Sie alle schienen sich zu kennen. Luzi fühlte sich fehl am Platz und zog sich etwas in den Schatten des nächstliegenden Baumes zurück, von wo aus sie die anderen argwöhnisch  begutachtete.<br>
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Fecundaque schreckte aus ihrem Traum auf. Irgendwas daran hatte ihr nicht gefallen, auch wenn sie nicht mehr wusste was. Neben ihr hatte sich Folcrad aufgesetzt. Sie erinnerte sich an die schönen Momente, die sie zusammen mit dem Knappen hier im Park erlebt hatte. Wie sie sich gegenseitig mit dem Weichkäse in Beerensauce gefüttert hatten, zum Beispiel. Und auch, dass sie heute Abend etwas Besonderes mit ihm vorhatte. Aber da war noch was anderes. Ach ja, sie hatten nach Doratrava sehen wollen. War sie das nicht da vorne? Erleichtert seufzte sie auf und zog an Folcrads Ärmel. “Hilfst du mir auf, mein Galan?” <br>
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“Aber gewiss”, grinste er und stand auf. Mit einer übertriebenen Verbeugung reichte er ihr seine Hand und half ihr beim Aufstehen. Plötzlich verharrte er und starrte in Richtung eines Baumes. Er kniff die Augen zusammen und murmelte: ”Ist sie das, oder nicht?” Dann fasste er einen Entschluss und rief: ”Euer Wohlgeboren Luzia, seid Ihr das?”<br>
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“Ja.” kam es fast scheu aus dem Schatten des Baumes. “Ich hatte einen merkwürdigen Traum und dann bin ich erwacht. Ich habe nicht lange geschlafen. Und ihr alle ward nicht hier als ich eben eingenickt bin. Das weiss ich sicher.”<br>
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“Was, wie, Wohlgeboren?!”, schrak Aldec zusammen und kauerte sich nach besten Kräften hinter den nächsten Baum. Nur dass dieser kaum eine Chance bot, seine massige Gestalt zu verdecken. ‘Sie darf mich nicht sehen, sonst bin ich verloren!’, dachte er panisch.<br>
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“Wir haben auch geträumt”, sagte er langsam,”möchtet Ihr nicht näher treten?”<br>
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“Nein.” wisperte es aus der Ecke. “Mir gefällt es hier ganz gut.”<br>
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“Ach kommt schon, ich stelle Euch alle vor. Nachher beim Bankett haben wir dazu keine Gelegenheit mehr. Wann hat man schon Gelegenheit eine waschechte Baroness kennen zu lernen?”<br>
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“Nein.” kam es, diesmal trotziger: “Ich möchte gerne hier bleiben.” Sie sah sich die fünf Leute genau an. Ein seltsamer Haufen.<br>
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“Gut, wenn das Euer Wunsch ist”, achselzuckend wandte sich Folcrad wieder den anderen zu.<br>
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Der Geweihte der Rondra musste nicht weit gehen, als er diesmal das kurze Aufglimmen von Wärme seines Amuletts spürte. Der angenehme kühle Wind, der ihm vom See aus erreichte, ließ seinen Blick über die Wiese gleiten. Dann fiel sein Blick auf eine Gruppe von schlafenden, jungen Menschen. Darunter erkannte er Doratrava. <br>
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Doratrava schlug die Augen auf, als Cupida sie ansprach. Warum hatte sie denn geschlafen? Da durchfluteten plötzlich seltsame Traumbilder ihren Geist. Doch für einen Traum fühlten diese sich sehr … greifbar an. “Cupida!” rief sie, als die Erinnerung sie überkam. “Wir sind doch … wir haben doch …” Doch als ihr die Umgebung wieder bewusst wurde, als sie die Verwirrung auf den Gesichtern der anderen und auch auf Cupidas sah, schloss sie den Mund schnell wieder. Sie wussten nicht mehr … und vermutlich war es besser so. Ein schneller Blick zu Fecundaque und Folcrad offenbarte ihr, dass auch die beiden sich an nichts mehr zu erinnern schienen. Rahja sei Dank!<br>
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Schnell stand sie auf und trat auf Cupida zu. “Pst, ich war nur ein wenig spazieren unter den Bäumen am See.” Dann nutzte sie die Gelegenheit, dass gerade niemand auf sie zu achten schien, und gab Cupida einen schnellen, aber leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. Den herankommenden Geweihten hatte sie noch gar nicht gesehen.<br>
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Als sich die beiden jungen Frauen voneinander lösten, fiel Doratrava der skeptische Gesichtsausdruck Cupidas ins Auge. Kurz schien es als fechte die junge Akoluthin einen inneren Kampf aus, dann rang sie sich zu einem Lächeln durch. "Nun, jetzt haben wir dich ja wieder gefunden." Sie sah auf und bemerkte den näher kommenden Rondrianer. "Euer Gnaden … es scheint als haben wir die Hälfte des Festes in Borons Armen verbracht. Wisst Ihr welche Stunde wir haben?"<br>
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Mehr neugierig als besorgt hatte Rondradin zunächst seine Schritte in Doratravas Richtung gelenkt. Als er allerdings sah wie sie der jungen Frau neben sich einen leidenschaftlichen Kuss gab, war er versucht sich umzudrehen und ihnen etwas Privatsphäre zu lassen. Doch der Ruf der jungen Frau hielt ihn davon ab. “Ich kann euch die genaue Uhrzeit leider nicht nennen, aber derzeit findet immer noch das Lustwandeln durch den Park statt, wenn das hilft.” <br>
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“Oh Rahja und Boron sei Dank …”, antwortete die junge Lilienhainerin dem Geweihten. Allem Anschein nach hatten sie nicht allzu viel verpasst. Ja, vielleicht war das kollektive Nickerchen jener Gruppe, für die Cupdia eigentlich verantwortlich war, niemandem aufgefallen. Sie hoffte es.<br>
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Ein leiser Stich der Enttäuschung fuhr durch Doratravas Brust, da ihre Freundin den Kuss nicht mit derselben Leidenschaft erwiderte. Gut, ihre Ausrede war auch nicht sonderlich einfallsreich gewesen und Cupida hatte wahrscheinlich gespürt, dass sie nicht die ganze Wahrheit sprach, vielleicht war sie ihrerseits enttäuscht über Doratravas Unaufrichtigkeit. Aber hier, vor allen Leuten und vor allem vor denen, denen das Vergessen gut tat, konnte sie nicht mit Cupida darüber sprechen.<br>
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Statt dessen wandte sie sich dem Geweihten zu, um von sich abzulenken. “Rondradin, schön dich zu sehen. Was treibt dich hierher? Lustwandelst du ganz allein, oder suchst du jemanden dafür?” Sie lächelte schelmisch.<br>
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Cupida beruhigte sich langsam wieder, griff nach Doratravas Hand und schlang ihre Finger zwischen die ihrer Freundin als sie den Rondrianer musterte.<br>
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‘So hat also auch Doratrava jemanden gefunden, ich freu mich für sie.’ dachte Rondradin bei sich als er das Paar vor sich stehen sah. Die kleine Stichelei der Gauklerin nahm er mit Humor, nichts anderes hatte er von ihr erwartet. Normalerweise hätte er zurückgestichelt und dafür einen Ellbogen in den Rippen riskiert, doch nicht in Anwesenheit von jemanden den er nicht kannte. Daher schüttelte er nur den Kopf. “Ich wünschte, dafür wäre Zeit gewesen, aber stattdessen lauert überall nur Arbeit und Pflichten auf mich.” Sein freundlicher Blick traf Cupida. “Dürfte ich Doratrava für einen Moment entführen? Ihr erhaltet sie gleich wohlbehalten zurück.”<br>
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Die Angesprochene lächelte ihm zu. “Wenn Ihr mir das versprecht, Euer Gnaden. Wie könnte ich Euch diesen Wunsch verwehren …”, ihr Blick ging weiter zur Gauklerin, “... so Dora das auch möchte?”<br>
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“Rondradin wird mich nicht fressen, versprochen”, gab Doratrava mit keckem Lächeln zurück und drückte die Hand ihrer Freundin, bevor sie losließ. Dann wandte sie sich wieder dem Geweihten zu. “Was gibt es denn?” fragte sie unbefangen.<br>
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Rondradin führte Doratrava ein paar Schritt weg von der kleinen Gruppe. “Eine ganze Menge.” meinte er, während sie gingen. “Hast du etwas seltsames bemerkt? Ein Feentor vielleicht? Ich bin mir sicher, dass hier eines in der Nähe ist und ich weiß nicht ob es gefährlich für die Anwesenden ist. Deshalb wollte ich dich bitten deine Freunde hier wegzubringen, bevor noch etwas passiert. Feen sind zwar im Allgemeinen nicht bösartig, aber es gibt Ausnahmen. Aber deshalb wollte ich dich eigentlich nicht sprechen. Was ich dir jetzt sage muss vorerst unter uns bleiben.” Mit einem Mal wirkte Rondradin etwas verlegen und auch schuldbewusst. “Gelda und ich werden heiraten und die Verlobung mit Ravena von Rabenstein werde ich lösen.” <br>
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Mit großen Augen starrte Doratrava den Geweihten an, im ersten Moment sprachlos. “Äh … was … Gelda? Ich dachte, Nivard … und du seist mit einer Rabensteinerin verlobt? Was? Verlobung lösen? Geht sowas?” stotterte sie dann völlig perplex. Sie hatte noch nie in ihrem Leben einen Gedanken daran verschwendet, wie das mit dem Heiraten eigentlich funktionierte, schon gar nicht in Adelskreisen, aber Rondradin schien es nicht ganz wohl in seiner Haut zu sein.<br>
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Tatsächlich sah er recht betreten drein als Doratrava auf Nivard zu sprechen kam. “Nivard hat es hart getroffen. Aber wie es scheint hat er mit Elvans Schwester jemand Neues gefunden.” Aber sein Gesicht hellte sich schnell wieder auf. “Das mit Gelda und mir hat sich einfach so ergeben. Wir lieben uns seit Nilsitz und die Trennung für einen Mond hat uns das nur noch mehr bewusst gemacht, ebenso wie diese Brautschau.”<br>
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“Puuuh…” machte Doratrava, die ein wenig brauchte, um diese Wendung der Dinge zu verarbeiten, ging es hier doch um ihre Freunde, denen sie kein Leid wünschte. “Na, dann hoffen wir mal, dass das mit Nivard und Elvans Schwester funktioniert und nicht nur die kurzfristige Suche nach Trost ist … ich muss irgendwann heute mal mit ihm sprechen, wir haben uns heute außer von weitem noch gar nicht gesehen.” Sie machte eine kleine Pause, dann umarmte sie Rondradin spontan. “Na, dann muss ich dir wohl nochmal gratulieren. Aber nicht, dass das zur Gewohnheit wird.” Sie zwinkerte verschmitzt.<br>
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Sichtlich erleichtert erwiderte der Geweihte die Umarmung seiner Freundin. “Das wird es nicht. Gelda ist die Eine.” Da er wusste wie Doratrava normalerweise auf Körperkontakt reagierte, entließ er sie schnell wieder aus seinen Armen und grinste sie an.<br>
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“Aber lass uns jetzt nochmal aufs Feentor zurück kommen.”<br>
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“Ja, es gibt ein Feentor”, kam Doratrava dann auf den ersten Teil von Rondradins Anliegen zurück. “Woher weißt du das? - Egal, es ist jetzt zu und es kann nichts mehr passieren. Ein paar Leute haben einen kleinen Ausflug gemacht und können sich zum Glück an nichts mehr erinnern außer vielleicht an einen seltsamen Traum.” Sie sah Rondradin halb erwartungsvoll, halb misstrauisch an.<br>
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“Ich habe meine Mittel und Wege.” Er zwinkerte ihr zu, unwillig ihr mehr zu verraten. “Ein paar Leute, Doratrava? Etwa die Gruppe da hinten und auch du selbst? Wobei, du scheinst dich ja daran zu erinnern.” Rondradin entspannte sich wieder. Würde es ein Problem geben, hätte Doratrava ihn bestimmt darauf angesprochen.<br>
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“Mittel und Wege, soso”, meinte Doratrava, immer noch ein wenig misstrauisch, denn näher mit Feentoren und dergleichen bekannt zu sein, gehörte ihres Wissens nach nicht zum Allgemeingut, auch nicht bei Rondrageweihten - oder überhaupt bei Geweihten. Wie auch immer … “Ich, Cupida, Fecundaque, Folcrad und dieser seltsame Aldec dort”, präzisierte sie ihre Angaben und deutete auf die entsprechenden Personen. “Und dann kam ein seltsamer Mann mit schwarzen Federn statt Haaren und hat uns alle wieder abgeholt. Den sehe ich hier aber nirgends …”<br>
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So so, ein Mann mit schwarzen Federn. Könnte das der Rabe gewesen sein, den er vorhin in Richtung der Bäume hatte fliegen sehen? “Das Tor, ist es bei den Weiden da hinten? Wie habt ihr es geöffnet, war das auch der Rabe, ich meine der Mann mit den Federn? Aber viel wichtiger ist die Frage ob es euch allen wirklich gut geht!” Die Fragen strömten nur so aus Rondradin heraus.<br>
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“Ja, es ist bei den Weiden, und ja, soweit ich weiß, geht es allen gut, mir sowieso. Ich würde die anderen aber jetzt nicht so mit Fragen löchern wie du das mit mir gerade tust, nicht dass doch noch ein paar Erinnerungen hochkommen, die lieber vergraben bleiben”, mahnte die Gauklerin. “Geöffnet hat das Tor ein gewisser Salgar, der ist hier wohl der Torwächter und Halbdryade. Eigentlich wollte er nur mich entführen, wieso auch immer, die anderen kamen aber nach, als ich verschwunden war, und sind dann irgendwie auch in das Tor gestolpert. So, zufrieden jetzt?” Doratrava stemmte die Hände in die Hüften und sah Rondradin herausfordernd ins Gesicht. Was sollte denn die ganze Fragerei? Wenn Rondradin nicht ein so guter Freund wäre, hätte sie gar nichts gesagt.<br>
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Der empörte Gesichtsausdruck und ihre herausfordernde Haltung machten dem Geweihten deutlich, dass er Doratravas Geduld gehörig strapaziert hatte. “Schon gut, ich höre ja schon auf. Wenn du mir versicherst, dass es allen gut geht und euch nichts Schlimmes passiert ist, soll mir das reichen.” Er deutete auf die Gruppe und Cupida. “Lass uns zurückgehen.” Das Händchenhalten mit Cupida fiel ihm wieder ein. “Kann es sein, dass du und …” er nickte in Richtung Cupida, “euch näher gekommen seid? Ihr habt euch an den Händen gehalten.”<br>
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Zunächst war Doratrava erleichtert,dass Rondradin mit der Fragerei aufhörte, aber das war wohl ein Trugschluss gewesen. “Kann es sein, dass das den Beschützer der Welt nichts angeht?” fragte sie daher schnippisch zurück.<br>
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Rondradin lachte. “Den vielleicht nicht, aber vielleicht einen Freund, der sich freuen würde, wenn eine Freundin ihr Glück gefunden hätte.” Es tat gut, sich mit Doratrava zu unterhalten.
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“Dann sag diesem Freund, dass ich tatsächlich eine gewisse Zuneigung zu Cupida verspüre, aber ob ich gleich mein ‘Glück’ gefunden habe, wie auch immer das aussehen mag, das wird sich noch zeigen!” Doratrava wurde ein wenig rosa im Gesicht. Sie war sich selbst darüber klar, dass sie mit ihrer Schnoddrigkeit nur ihre Verlegenheit in Liebesdingen überspielen wollte.<br>
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“Dann sagt dir dieser Freund, dass er dir alles Glück auf Dere wünscht.” Ein aufrichtiges Lächeln begleiteten seine Worte und er stupste sie leicht mit der Schulter an, als sie nebeneinander liefen.<br>
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Doratrava revanchierte sich mit einem Ellenbogenstoß, der schon deshalb kräftig ausfiel, weil der Geweihte mit seiner Rüstung sonst gar nichts spürte. Um so größer war die Überraschung als der Ellbogen nicht, wie sonst, sein Kettenhemd sondern seine Rippen traf. Instinktiv hatte der Geweihte zwar versucht etwas von der Wucht abzufangen, aber der harte Treffer zeigte trotzdem Wirkung. “Spinnst du?” wollte Rondradin wissen, während er seine schmerzenden Rippen abtastete. Ein Rippenbruch hätte ihm gerade noch gefehlt.<br>
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“Ups!” Doratrava hielt sich den ebenso schmerzenden Ellbogen, aber das hatte sie ja erwartet. Doch dass der Geweihte heute ausnahmsweise seine Rüstung nicht trug, hatte sie ganz vergessen. Sie wurde noch ein wenig rosafarbener im Gesicht. “Entschuldigung, du hast ja gar kein Kettenhemd an heute …” Doch gleich darauf kehrte der Schalk in ihre Augen zurück. “Aber ich wusste nicht, dass man einen großen Rondrageweihten so leicht umhauen kann. Das muss ich mir merken.” Sie zwinkerte Rondradin zu.<br>
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“Warte nur, irgendwann lege ich dich doch noch übers Knie.” drohte der Geweihte mit einer offensichtlich gespielten zornigen Miene. Auch wenn sie manchmal etwas über die Stränge schlug, man konnte ihr einfach nicht lange böse sein. “Und jetzt, lass einen Mann in Würde leiden und geh zu deiner Freundin.” Er machte eine verscheuchende Geste mit der Hand. <br>
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Sie sagte nichts, sondern lächelte nur still in sich hinein, dann winkte sie Rondradin zum Abschied, bevor sie sich wieder Cupida zugesellte und deren Hand wie zur Bestätigung erneut ergriff.<br>
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Die junge Lilienhainerin mit der roten Mähne erwartete die Gauklerin bereits mit einem fröhlichen Lächeln und drückte ihre Hand. “Dora … du musst mir sagen, solltest du irgendwo gebraucht werden. Also beim Bankett oder so. Ich will dich nicht davon abhalten deinen Pflichten nachzukommen.” Mit dem Zeigefinger ihrer freien Linken ´malte´ sie verlegen Muster auf den Boden. “Mein Angebot mit dem Schrein heute Abend steht noch.”<br>
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Der Rondrianer hob seine Hand zum Abschied und ging dann weiter.<br>
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Stimmt, da war ja noch etwas … vor lauter Feentoren und Kribbeln im Bauch sollte Doratrava wohl nicht vernachlässigen, wofür sie eigentlich angestellt worden war. Sanft strich sie Cupida eine Strähne aus dem Gesicht und küsste sie, nicht leidenschaftlich und fordernd, sondern zärtlich und mehr verheißend. “Das freut mich, und ich will deiner Einladung gerne folgen, sobald meine Pflichten es zulassen. Aber jetzt - sollte ich wohl wirklich mal nach Nordrun sehen, schließlich soll ich ja noch ein wenig von meinen Künsten zeigen.” Sie lächelte neckisch. “Der Schrein … meinst du, wir sind da heute Abend ungestört?”<br>
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Es folgte ein vielsagendes Lächeln. "Wir werden es sehen. Sollte dem nicht so sein, dann kenne ich schon den einen oder anderen Platz, wo wir bestimmt alleine sind." Ihr Blick ging hinüber zu den anderen. Als sie Aldec sah, der sich hinter einem Baum versteckte - ein Versuch, der ob der Leibesfülle des Dieners von Anfang an zum Scheitern verurteilt war - verzog sie kurz ihren Mund. Dann erhob Cupida sich aus der Wiese. "Na dann, auf auf ...", meinte sie freudig, "... nicht dass du wegen mir wirklich noch Ärger bekommst." Flüsternd setzte sie hinzu: "Ich freue mich auf später, lass mich nicht zu lange warten."<br>
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Doratrava winkte noch einmal mit vorfreudigem Lächeln, dann war sie auch schon weg.<br>
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Als die Gauklerin sich in Richtung ihrer Pflichten verabschiedet hatte, ging Cupida hinüber zum Leibdiener Aldec. Sein ängstliches Gebaren dauerte sie. "Aldec, ist alles in Ordnung? Warum versteckst du dich? Ist es wegen deiner Herrin?"<br>
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Aldec bekam erst einmal einen kleinen Schreck, bis er sah, dass es Cupida war, die ihn ansprach. Ein einzelnes kurzes Nicken folgte.<br>
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Sie setzte sich an seine Seite und zeigte dem jungen Mann eine Fürsorglichkeit, die dieser ihr eigentlich gar nicht zugetraut hatte. "Was denkst du denn, dass dir passieren wird? Behandelt sie dich schlecht?" Sie biss sich auf ihre Unterlippe. "Wenn du möchtest rede ich mit Vater. Wir könnten hier im Park noch einen Knecht benötigen."<br>
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“Das ist lieb, aber das möchte ich nicht. Nein, sie wird mich wahrscheinlich wieder anschreien und sagen, wie dumm, tollpatschig und faul ich bin. Naja, das wäre jetzt jedenfalls nichts neues. Ich diene ihr eigentlich ja gern, wenn sie nicht manchmal so schrecklich gemein wäre.” Dann schaute der pausbäckige Mann weg. “Ein bisschen habe ich mir das ja selbst zuzuschreiben. Wenn ich einfach machen würde, was sie sagt, dann würde sicherlich auch nichts schlechtes passieren.” Offensichtlich schämte er sich, wobei nicht klar wurde, wofür eigentlich. “Macht dir eigentlich die Arbeit im Garten hier Spaß?”<br>
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Die Akoluthin nickte etwas skeptisch. Sie kannte Aldecs Herrin nur vom Sehen, doch reichte ihr das auch schon. Die Frau war eine böse Hexe, oder ein Dämon … alleine diese bösen Augen … Cupida schüttelte sich, dann lächelte sie. "Die Arbeit hier im Garten gefällt mir sehr gut. Ich kümmere mich gerne um die Rosen und den Schrein. Und die Pflanzen und Tiere hier im Park sind mir so lieb, ich würde sie fast schon als meine Freunde bezeichnen." Sie nickte um ihre heraus sprudelnden Worte zu bekräftigen. "Ich könnte mir nichts schöneres vorstellen." Die junge Frau ließ lächelnd ihre Worte nachhallen, dann wurde sie wieder etwas ernster. " Wenn deine Herrin hier heute einen Mann findet …", sie verzog kurz ihren Mundwinkel, irgendeinen der armen Seelen würde diese Spinne bestimmt einfangen, "... was tust du denn wenn sie deine Dienste nicht mehr benötigt? Überlege dir mein Angebot, ich denke dass du hier auch deinen Frieden finden könntest."<br>
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Aldec schauderte es einen Moment bei der Vorstellung, wieder in die Gosse zurückgeschickt zu werden. Oh nein, da würde er nicht zurückgehen. “Meine Herrin findet sicherlich einen Mann, das muss bei einer so schönen Frau doch ganz leicht sein. Aber loswerden, das kann sie mich nicht.” Der Dicke wurde plötzlich wieder ganz ernst und ein schiefes, leicht bösartiges Grinsen durchschnitt sein Gesicht. “Sonst erzähle ich allen, woher ich komme und das wäre dann eine ganz große Schande für die Familie…”<br>
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Cupida ließ ihre Augenbrauen hochschnellen. "Für die Familie deiner Herrin?" War er nicht aus dem hiesigen Waisenhaus? Sie gab dem ersten Gedanken nach, der durch ihren Kopf schoss. "Bist du ein ungewollter Bastard eines Anverwandten deiner Herrin?"<br>
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Das Grinsen wurde schiefer. “Der edle Herr genießt und schweigt, so sagt man doch?”<br>
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Im Blick der jungen Frau schwang sowohl Neugier, als auch Sorge mit. “Ich rate dir vorsichtig zu sein, Aldec. Ein Adelshaus zu erpressen bekommt den wenigsten gut. Auch wird dein Wort gegen das der ihren stehen - bei was auch immer du vorhast zu erzählen. Es braucht nicht viel Fantasie um einschätzen zu können, wem man denn eher glauben wird.” Cupida hob ihre Augenbrauen, dann knuffte sie ihn an seinem speckigen Oberarm. “Pass einfach auf dich auf, ja?”<br>
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“Ich würde nie jemals irgendjemanden erpressen. Ich will nur ein kleines bisschen von dem Recht, das mir zusteht”, erwiderte er ernst. In diesem Moment hatte er nichts von dem zögerlichen, dicklichen Jungen, sondern erinnerte unterbewusst an eine andere Form seines Ichs - derer sich Cupida nicht bewusst war, die aber eine irritierende Ahnung in ihr hervorrief, wie ein Deja vu.<br>
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Aldec war ein seltsamer Mann. Cupida konnte seinem Wesen vom Moment ihrer ersten Begegnung an nicht wirklich folgen. Mal wirkte er unsicher und dümmlich wie ein kleines Kind, mal war er ekelhaft und arrogant wie seine Herrin und nun kam auch noch diese seltsame Selbstsicherheit dazu, die so gar nicht ins Bild passen mochte. Wer oder was war er? Und was meinte er mit dem 'Recht, das ihm zustünde'. Der Mann war ein Leibdiener, der Tag ein, Tag aus schikaniert wurde - so zumindest laut seinen eigenen Erzählungen. "Was steht dir denn zu, Aldec? Das Leben eines Dieners unter einer arroganten Herrin? Ist es das was du willst?"<br>
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“Besser als ein Leben in der Gosse. Davon hatte ich genug.”, meinte er versonnen. “Auch wenn sie manchmal zornig werden kann, so ist der Dienst bei ihr immer noch keine Qual. Ich weiß nicht, ob ich mich in einem anderen Beruf zurecht finden würde. Mit den Händen bin ich nicht so geschickt und sonderlich kräftig auch nicht. Aber ich kann gut zuhören - und ich höre gerne zu. Weil du gefragt hast, was mir zusteht: Ein würdiges Leben, ein tägliches Auskommen und ein Dach über dem Kopf. Mindestens.”<br>
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Abermals wanderten ihre Augenbrauen nach oben. "Ist es das was du für deine Herrin tust? Zuhören?" Cupida musste an seinen kläglichen Versuch von vorhin denken, ihre Gruppe am Schrein zu bespannen. Ob diese Durinja wusste, dass er wohl nur beschränkt dafür geeignet war andere auszuhören? Denn als Seelsorger, dem sie ihre Wünsche, Ängste und Nöte anvertraut, wird diese blasierte Schnepfe Aldec wohl nicht halten. "Wie du willst …", meinte die Akoluthin dann, "... auch hier müsstest du nicht in der Gosse leben. Du hättest zu essen, ein warmes Bett und ein Dach über den Kopf. Die Arbeit im Park, oder in der Pilgerherberge könntest du lernen. Du könntest dir eine Frau suchen, eine Familie gründen und ehrliche Arbeit verrichten." Sie zuckte mit ihren Schultern und war der Meinung, dass sie ihr Angebot nun schon oft genug platziert hatte. "Dann möchte ich dich nicht länger von deiner Herrin fern halten, vielleicht braucht sie dich ja heute noch."<br>
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Er nickte und wollte sich schon zum Gehen wenden, dann allerdings verharrte er einen Augenblick. “Danke dir. Ich bin es nicht gewohnt, dass sich jemand um mein Wohlergehen sorgt. Das rechne ich dir hoch an. Ich wünsche dir und Doratrava alles erdenklich Gute.” Er lächelte und winkte, als er, einen Bogen um den Festplatz schlagend, Richtung Schloss - und damit in Richtung der Gemächer seiner Herrin - davonging.<br>
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Wie hatten sie nur den Nachmittag verschlafen können? Dabei hatte sie doch die Zeit mit Folcrad, diesem süßen Knappen verbringen wollen. Aber jetzt nahte das Bankett und damit auch das - vorläufige - Ende ihrer gemeinsamen Zeit. Fecundaque umarmte Folcrad und drückte ihn fest an sich. Ihr Kinn auf seine Brust gestützt sah sie zu ihm auf. “Ich muss jetzt wieder zurück um nachher beim Bankett zu helfen. Werden wir uns später wiedersehen, nach dem Bankett?” Hoffnungsvoll sah sie ihn mit großen Augen an.<br>
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Wie konnte man nur einem solchen Blick widerstehen? Gar nicht. Und eigentlich wollte er diesem Blick auch nicht widerstehen. Er wollte, dass sie ihn immer so ansah. “Solange mein Schwertvater oder sein Baron mich nicht benötigen, werde ich Dich suchen.” Er küsste sie sanft auf ihre Lippen. “Zur Not schleiche ich mich heute Nacht aus dem Zelt und warte bei der Scheune auf Dich. Dann können wir noch einen Spaziergang im Madalicht durch den Park machen…, oder etwas ganz anderes, wenn Du willst”, sagte er kackfrech und zwinkerte ihr zu.<br>
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Ihre Antwort bestand darin, dass sie Folcrad nur noch fester an sich drückte, bevor sie ihn losließ. “Ich werde auf dich warten.” Es lag heute etwas in der Luft, etwas besonderes. Die Herrin Rahja zeigte heute deutlich ihr Wohlwollen und Fecundaque würde das heute Abend mit Folcrad feiern.<br>
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“Ich kann es kaum erwarten”, grinste er und zwinkerte ihr zu. Als sie sich nach ein paar Schritten umdrehte und ihm einen Luftkuss zuwarf, fing er ihn auf und drückte ihn fest an sein Herz. Sie strahlte über das ganze Gesicht, bevor sie sich umdrehte und mit einladend wiegenden Hüften weiterlief. Dann sah er ihr verträumt nach, wie sie eiligst Richtung Küchenzelt lief.<br>
  
 
=Das Amphitheater=
 
=Das Amphitheater=

Version vom 1. November 2022, 22:58 Uhr

Hier geht es zum Vorkapitel und hier zur Kapitelübersicht

An verschiedenen Stellen

Nachdem die ´Götterspiele´ beendet waren, eilten die Knechte und Mägde zum Platz und räumten die Tische zur Seite. Der sechzigjährige Gartenmeister Rahjagoras stellte sich mit seiner Frau, die Bardin Nordrun, vor den versammelten Gästen und erhob die Stimme.

“Liebe Gäste, die Zeit zum Lustwandeln ist gekommen. Seit Generationen hegt und pflegt meine Familien den wunderschönen Lilienpark von Herzogenfurt. Die Tore sind geschlossen und nur uns gehört er heute ganz allein. Erfreut euch an den schönen Lilien, den Rahja-Schrein, dem Amphitheater und nutzt die Pavillons und Bänke zum verweilen. Sollte es euch dürsten oder der kleine Hunger euch erreichen, hat die Küchenmeisterin Victualia vor dem Küchenzelt einige Köstlichkeiten bereitgestellt.” Dann verneigte er sich. Dann erhob Nordrun ihre tiefe Stimme. “ Und im Sinne der Schönen werden meine Barden euch mit Musik begleiten. Zur Firunstunde bitten wir alle wieder zur Festwiese zu kommen, denn dann wird das Bankett eröffnet!” Mit einem Strahlen im Gesicht, verbeugte auch sie sich. Die Musikanten begannen an zu spielen.


Der junge Talfano sammelte all seinen Mut zusammen und ging zu Luzia von Keyserring zu. “Euer Wohlgeboren, würdet ihr mir die Ehre zuteil haben, mit mir zu lustwandeln?”, fragte er höflich.

Im selben Moment trat Lares von Mersingen hinter Talfano hervor und legte dem jungen Mann nonchalant die Hand auf die Schulter. “Baroness”, meinte er ohne große Umschweife und ohne den Altenberger groß zu berücksichtigen. “Ich würde mich über einen Spaziergang mit Euch sehr freuen. Es gilt noch eine Angelegenheit mit Eurem Vater zu erörtern, wenn ich mich richtig entsinne.”

Talfano schaute kurz irritiert. Selten spürte er es, aber das Altenberger Erbe schien aufzusteigen. “Verzeiht, euer Wohlgeboren von Mersingen, aber von euch habe ich solch eine impertinente Art als Letztes erwartet. Ich hatte gerade der Baroness meine Aufwartung gemacht. Dazu ist jetzt das lustwandeln da, hattet ihr die Worte des Geweihten nicht gehört?” Seine Stimme wurde langsam, aber stetig etwas lauter. Der Klang seiner Stimme zog eine weiter Person an. Sabea von Altenberg, die Hünin und Schwester Talfanos wurde hellhörig und setzte sich in Bewegung. Mit im Schlepptau hatte sie den Junker Thankred von Trollpfortz , den sie eingehakt hatte. “Gibt es hier ein Problem?”, fragte sie mit tiefer Stimme.

Thankred hielt sich derweil zurück. Sabea spürte jedoch die Anspannung in seiner Haltung. Der Trollpforzer beherrschte sich ihr zuliebe.

“Oh verzeiht”, überging Lares die beeindruckend prominente Erscheinung. Die körperliche Präsenz von Menschen war schon lange nicht mehr dazu angetan, ihn zu beeindrucken. “Mir war nicht aufgefallen, dass Ihr mit der Baroness gesprochen hättet, Herr...”, Lares drehte sich kurz nach Talfano um “Ihr gehört zur Familie der Gastgeber, stimmts? Ich hatte ja noch gar keine Gelegenheit mich für diese schöne Festivität zu bedanken. Nun denn. Ich denke, es ist galant, eine Dame wählen zu lassen, schließlich hat sie sich die Aufmerksamkeit unsererseits verdient.” Anstatt Talfanos oder Luzias Antwort abzuwarten sprach Sabea weiter. “Da habt ihr Recht, aber ich muss euch enttäuschen, eurer Wohlgeboren. Ich habe mich schon für jemanden entschieden.” Mit einem Seitenblick zu Thanked schmunzelte sie. Talfano entgegen entspannte sich wieder und schaute leicht flehend Luzia an. “Selbstverständlich sollte sie wählen, aber wenn sie jetzt wieder in die Obhut ihre Vaters möchte, dann frage ich später noch einmal.”

Der Junker indes so durch Sabeas Worte geschmeichelt, legte ihr die frei Hand auf die ihre, dort wo sie sich bei ihm eingehakt hatte.

Luzia war abwechselnd rot und kreidebleich geworden. Wie sollte sie denn nur reagieren? Sie war die Aufmerksamkeit von Männern nicht gewohnt. Und von mehreren erst recht nicht.... Es wäre höflicher mit Talfano zu gehen, immerhin hatte er zuerst gefragt- und er war der Gastgeber. Andererseits hatte sie sich sehr gerne mit Lares unterhalten und er hatte ihr die Möglichkeit eröffnet ihn zu begleiten. Außerdem sah sie wie geduldig und herzlich er mit Lissa umging, dadurch war sie ihm sehr zugeneigt. Kurz überlegte sie, sich zum Abort zu flüchten. Doch, was würde das ändern? Es wäre nur unehrlich. Gegenüber allen. Also nahm sie ihren Mut zusammen: “Werte Herren, ich möchte ehrlich mit Euch beiden sein. Ihr bringt mich in eine sehr schwierige Situation. Eine zudem sehr unbehagliche, die mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht gestatten würde, entspannt ...ähm… zu lustwandeln. Mit keinem von euch. Daher muss ich beide Angebote ablehnen. So leid es mir tut.” sie schluckte. Fuhr dann aber mit zunehmend fester Stimme fort: “Ich bin kein Pokal, um den man sich streiten muss. Und ich möchte auch keiner sein. Und ebensowenig bin ich eine Trophäe, die man präsentiert und dann in den Schrank stellt.” Sie schluckte. Ihr war eine Idee gekommen. Womöglich war sie kindisch, aber was sollte es: “Aber, was haltet ihr davon MITEINANDER spazieren zu gehen? Ihr könntet euch vertragen und euch klar darüber werden, dass jeder, der eine Frau wie ein Objekt behandelt, auch niemals mehr als ein Objekt bekommen wird.” Ihre Kehle fühlte sich trocken an. “Ich.. ich habe Durst. Ich hoffe… wir können später nocheinmal auf eure Angebote zurückkommen.” Sie drehte sich mit knallrotem Kopf um und marschierte in Richtung des Küchenzeltes.

Diese Abreibung hatte sich Lares eindeutig verdient. Zwar fühlte er sich ein Stückweit missverstanden, doch musste er zur Kenntnis nehmen, dass die Reaktion berechtigt war. Jetzt musste er mit dem status quo umgehen. Er konnte ihr nicht nachlaufen, das würde unhöflich, aufdringlich und ansonsten unmöglich wirken. Lares beäugte seinen ‘Kontrahenten’. Wenn das heute noch etwas werden sollte, dann musste er mit dem Hänfling wohl leben müssen. “Tja. Also dann. Wir sollten auf die Dame hier warten und in der Zwischenzeit vertragen, was sagt Ihr, Herr von Altenberg? Oder wünscht Ihr, die Baroness allein zu sprechen? Ich hatte den Vorzug, bereits zuvor mit ihr sprechen zu können. Es wäre egoistisch, Euch dies vorzuenthalten.”

Der Studioso war entsetzt. Was war hier geschehen? Hatte er sie wie ein Objekt behandelt? Und er konnte sich noch nicht einmal erklären. Wäre diese impertinente Junker nicht dazwischen gekommen. “Erkenntnis ist der Weg zur Besserung. Ich hoffe Ihr nehmt euch das zu Herzen.” Er blickte Luzia kurz hinterher. “Da ich nie im Streit mit Euch war, sehe ich keinen Grund sich zu vertragen. Ich wünsche euch ein schönes Fest.” Talfano schluckte seine Wut runter und ließ den Junker stehen.

Abschätzig schaute seine große Schwester der jungen Dame hinterher. Dann wanderte sie zu Lares. Eiskalt und von oben herab musterte sie ihn. “Thankred, genau das, was wir befürchtet haben. Wie wäre es, wenn ihr mir jetzt euren Streitkolben zeigen würdet?”

“Nichts lieber als das meine Teuerste”, sprach der Hüne nicht ohne Schalk in der Stimme. Das ‘lassen wir die Kinder alleine spielen’, dass er ebenfalls auf der Zunge hatte verkniff er sich in jenem Moment.

Thankred war einem Streit nicht abgeneigt, gerade den Mersinger, der zu verbalen Entgleisungen neigte, hätte er sich gern zur Brust genommen, Sabea jedoch, oder vielmehr die Aussicht auf ungestörte Zweisamkeit mit ihr, ließen die Auseinandersetzung mit diesem Lares uninteressant wirken. Der Junker war ein Mann klarer Prioritäten.

Als sich Sabea und der Troll umgedreht hatten, runzelte der Mersinger die Stirn. Einen Streitkolben zeigen? Was zum Henker hatten die beiden vor? Aber gut, das ging ihn nichts an und sonderlich interessieren tat es ihn auch nicht. Nur hatte er jetzt ein gravierendes Problem: Der Altenberger Hänfling hatte sich auch aus dem Staub gemacht. Das hieß am Ende des Tages wahrscheinlich: Kein Spaziergang mit niemandem. Na toll. Das hatte er wieder fein hinbekommen. Da hieß es immer, Frauen wollten erobert werden. Aber Luzia schien da aus einem anderen Holz geschnitzt. Sie war vielmehr das, was er suchte: Eine selbstbewusste, kluge Person, die sich nicht degradieren lassen wollte. Verständlich. Aber er hätte sie doch nicht diesem - Hanswurst überlassen dürfen. Eine ihm gänzlich unbekannte Eifersucht machte sich in Lares breit, die er sofort mit mentaler Gewalt zu ersticken suchte. Die Situation war nun einmal so, wie sie sich entwickelt hatte. Jetzt stand er da wie bestellt und nicht abgeholt. Zuerst blickte er dem Küchenzelt nach, doch als er Luzia nicht sehen konnte, ließ er seinen Blick schweifen. Er würde sich hier nicht wegbewegen, bis die Baroness wiedergekommen war - wie sonst sollte er erklären, dass der andere ich aus dem Staub gemacht hatte?

Lissa sah ihren Schwertvater etwas niedergeschlagen an. “Denkt ihr, es wäre jetzt ein guter Moment, die hohe Dame von Wasserthal zu bitten, mich ihrem Bruder vorzustellen?” Sie hatte das Gefühl Lares wollte vielleicht für den Moment lieber alleine sein.

“Die hohe Dame von Wasserthal wird wahrscheinlich gerade mit dem Herr vom Traurigen Stein lustwandeln”, sagte der Mersinger etwas geknickt. Da allerdings sah er den Ritter auf sich zukommen...

***

Die wuchtige Praiosgeweihte Praiona schaute sich verträumt um. ´Welcher Prinz wird wohl als erstes mich hofieren?´ Ein seliges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Sie wartete eine Weile, aber es schien keiner zu kommen. Ohne sich weitere darüber Gedanken zu machen, lief sie in den Park und genoss die Sonne und die Blumen. Wenn der Prinz nicht zu ihr kommt, so kommt sie zu ihm.

***

Als Durinja von Altenberg von ihrem kurzen Spaziergang mit Linnart vom Traurigen Stein zur Festwiese wieder kam, schaute sie sich um und wartete, ob ein Mann sie zum Lustwandeln fordern würde.

Es sollte bloß ein Drittel Stundenglas dauern, bis sie eben jenen Mann erneut auf der Festwiese vernehmen konnte, doch hatte sich der Ausdruck auf seinem Antlitz grundlegend geändert. Linnart wirkte in Gedanken und das selbstsichere Lächeln, das ihn den ganzen Tag ausgezeichnet hatte, war verschwunden. In seiner Rechten trug er darüber hinaus einen Weinkelch mit sich, an dem er auf seinem Weg hinunter gelegentlich nippte. Stets verzog er danach seine Lippen und signalisierte damit wohl, dass er mit dem Geschmack des Traubensaftes nicht zufrieden war. Der Bannstrahler schien sie keines Blickes zu würdigen, während er den anderen Anwesenden zumindest ein gezwungenes Lächeln schenkte. Der Ritter war ein schlechter Schauspieler, das konnte Durinja schon recht früh erkennen. Er blieb ein paar Schritt von ihr entfernt stehen und lehnte sich gegen die Außensäule eines Pavillons. Dabei winkelte er sein rechtes Bein an und stützte es entspannt dagegen. Als sich ihre Blicke nach einigen Augenblicken trafen, prostete er der Altenbergerin zu, doch ließ er sich sonst zu keiner äußerlichen Regung hinreißen.

Durinja hatte nur von weitem das Drama beobachtet. Sie war immer überrascht darüber wie der Herr Praios zu listigen Mittel griff, um die Wahrheit ans Licht zu führen. Andersine tat ihr ein wenig leid, denn Linnart war wirklich nichts für sie. Der Kummer, der erst nach dem Traviabund gekommen wäre, wäre viel schmerzhafter gewesen. Allerdings nahm sie der Ritterin ihr traviagefälliges Gehabe ganz ab. Es dauerte nicht lange bis sie sich an den Hals eines anderen schmiss, sei es nur von falsch eingeschätzter Enttäuschung gesteuert. Und dieser Mersinger … der spielte sein eigenes Spiel. Er konnte es vielleicht von den meisten verbergen, aber den lüsternen Blick, den er den Damen zu warf, sagte ihr alles. Und da machte er auch keine Ausnahme bei der Wasserthalerin. Wie es aber schien war er nun hinter der blutjungen Baronstochter hinterher. Und was würde erst geschehen, wenn seine Pagin erst zum erblühen kam? Auch diese traviatugend-vorheuchelnden Ritter waren ihr bekannt. Schon als kleines Mädchen war sie im Visier dieser. Sie sah zu Linnart rüber, der wie ein geprügelter Hund zu ihr rüber schaute. Sicherlich gab er ihr jetzt die Schuld an der verschmähten Liebe. Die zornigen Blicke der anderen waren ihr auch nicht entgangen. Dennoch ließ sie das ganze unberührt, denn fast niemand mochte in eine Spiegel blicken und an seinen eigene Verfehlungen erinnert zu werden. Langsam schritt sie Richtung Park. Sollte Linnart jetzt schon bereit für sie sein, wird er ihr folgen. Und wenn nicht, der Tag war ja noch lang.

Die Augenbrauen des jungen Mannes schoben sich zusammen. Selbst jetzt wollte sie ihn noch herausfordern … sein Blick hing für einige Moment am wiegenden Becken der sich entfernenden Zofe, dann sah er in seinen, inzwischen leeren Weinbecher. Er seufzte. Nein, so leicht kam sie ihm nicht aus. Linnart stellte sein Trinkgefäß ab und folgte ihr in den Park.

Das Knirschen seiner Schritte auf dem Kies waren unüberhörbar. Sie blieb stehen und betrachtete ein paar Lilien. Erst im letzten Moment drehte sie sich zu ihm. “Linnart, ich hätte nicht erwartet euch so schnell wieder zu sehen. Ich war gerade auf dem Weg dem Junker von Mersingen meine Aufwartung zu machen.” Mit leichten Lächeln und unnahbaren Gesichtsausdruck schaute sie ihn an.

Als der Mersinger zur Sprache kam, zog er seine Augenbraue hoch, doch ließ er sich sonst nichts anmerken. “So hast DU das nicht, Durinja …”, Linnart verzog kurz seinen Mundwinkel, “... und ich dachte, dass das …”, er wies auf ihr Geschenk an seinem Hals, “... genau dazu führen sollte.” Sein Blick löste sich von ihr und lag auf dem Lilienfeld vor ihnen. “Als ich den Mersinger zuletzt gesehen habe, hat er mir versprochen mit Andesine zu sprechen. Vielleicht findest du ihn dort, wiewohl ich es dir nicht raten würde sie aufzusuchen.”

“War ich das? Es tut mir leid, doch der Kuss war unerwartet stürmisch. Doch ich hatte das bei euch besser wissen müssen. Rahja steckt euch sozusagen im Blute.”Nun blickte sie neugierig. “Wieso sollte ich den Junker nicht aufsuchen?”

Linnart zog abermals seine Augenbrauen hoch. “Du kannst den Junker gerne aufsuchen, doch solltest du dich von Andesine fernhalten. Da die beiden mit großer Wahrscheinlichkeit zusammen sind … naja … du kannst es dir denken.” “Ich habe nur gesehen, wie sie Lares umarmt hatte, aber dann wütend davon lief. Und um Ehrlich zu sein. Ich habe keine Angst vor einer Andesine oder irgendjemand anderes. Ich weiß wer ich bin. So nun sagt mir, Linnart. Warum seid ihr zu mir gekommen?”

“Kannst du dir das nicht denken?”, gab er knapp zur Antwort. “Und bitte lass das Ihrzen weg. Eine Frau sollte einen Mann, der ein Mal ihrer Leidenschaft am Hals trägt, nicht so förmlich ansprechen. Nenn mich einfach Linnart.”

“Nun gut, nenn mich Durinja. Sehr erfreut, Linnart.” Sie schmunzelte. “Nun warum bist du hier? Um mir doch den Hof zu machen? Mich zu verführen? Oder einfach nur zum Plaudern? Ich bin gespannt, welcher Grund es davon ist.”

Er hasste sich innerlich für die folgende Antwort, doch musste es sein. “Und wenn es alle drei Gründe sind?” Er hob seine Augenbrauen und kurz schien es als verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln.

Sie wandte sich ab. “Dann werde ich dich in einen der Gründe enttäuschen müssen. “Also entscheide dich.” Durinja setzte ihren Weg fort.

Durinja konnte es nicht sehen, doch rollte der Bannstrahler mit seinen Augen. Zögerlich setzte er sich in Bewegung. Eigentlich hätte er sie gehen lassen sollen. Soll sie doch den Mersinger mit ihrer Anwesenheit beehren. “Nun denn …”, antwortete er, “... gut. Über das Plaudern sind wir beide wohl schon hinaus und was die anderen beiden Punkte angeht …”, er atmete tief durch. Es fiel ihm nicht leicht das folgende auszusprechen, “... sieh es als meine Werbung um deine Hand.”

Ihre Augen wurden groß. “Linnart, ich nehme euer Werben an.” Durinja nahm ihn an die Hand. “Ich hoffe du hast begriffen, dass du dich bei mir nicht verstellen musst. Du bist wer du bist. Zusammen werden wir das Haus vom Traurigen Stein zu Ehrfurcht und Größe bringen. Das kann ich dir versprechen. Und meine Liebe sei dir gewiss. Und nun schau nicht mehr so traurig. ”Sie lachte und diesmal war es erfüllt von warmer Herzlichkeit.” Durinja ergriff seine Hand und zog ihn mit sich.

Der Bannstrahler lächelte ihr zu. Der Ausdruck auf seinem Antlitz war nicht der ehrlichste. Götter, was hatte er nur getan? Doch war es war wohl das einzig richtige. Praios und Rahja hatten ihm vor Augen geführt, wer er wirklich war und Frauen wie die Wasserthalerin würde er ständig nur verletzen. Um Liebe ging es gegenwärtig nicht mehr - diese starb mit Andesines gebrochenem Herzen. “Durinja, warte …”, er hielt sie zurück, zog sie schwungvoll an sich heran und umarmte sie. Die Altenbergerin konnte fühlen, dass er schwer atmete, “... ich möchte mit deinem Vater sprechen …”, flüsterte Linnart ihr dann zu, als sie sich voneinander lösten, “... es soll schon alles Hand und Fuß haben. Ich muss auch ihn um deine Hand bitten.”

“Wenn das so ist, dann lass uns zurück zur Festwiese. Mein Vater ist dort.” Sie drehte um.

“Ja, es würde mir sehr viel bedeuten …”, bestätigte der Bannstrahler, dann legte er ihre Hand in die seine und schlang seine Finger zwischen die ihren.

***

Sylvette hatte sich ein schattiges Plätzchen gesucht und sich dort auf einer Bank niedergelassen. Mit überschlagenen Beinen da und genoss das schöne Wetter. Sie hatte es nicht eilig mit dem Spaziergang durch den Park. Viel interessanter für sie war die Frage wer sie dazu auffordern würde? Sehr wahrscheinlich dieser selbstbewusste junge Mann, Amiel von Altenberg der ihr auf Augenhöhe begegnete und sie mit Käse fütterte. Und dann war da noch Ingeras von Leihenhof, dieser devote Bursche, den zu formen eine echte Herausforderung sein würde. Sie war gespannt, ob und wie er um sie kämpfen würde. Als er bei der Traviaprüfung seine Abscheu gegenüber Käse überwunden hat, war Sylvette stolz auf ihn gewesen. Ein ungewohntes Gefühl für sie und doch hatte es sich gut angefühlt.

Auch wenn er sich im Hintergrund aufhielt, hatte er Sylvette nicht aus dem Auge gelassen. Erst wollte er mit seiner Schwester gehen, die sich entschlossen hatte mit dem alten Mann in den Park zu gehen. Aber ihr Blick war ihm unmissverständlich. Sie wollte allein sein. Das kam ihm recht, denn nun trat er aus dem Schatten und ging auf die Wasserthalerin zu. Der pummelige Altenberger war im Küchenzelt zugange. Die Gelegenheit war die Richtige. Elfengleich schritt er auf Sylvette zu. “Sylvette! Habt ihr Lust ein wenig die Zeit miteinander zu verbringen?” fragte er sie direkt.

Erfreut lächelte sie Ingeras an. Hatte der Bursche doch den Mut gefunden sie um diesen Spaziergang zu bitten. “Aber liebend gerne, Ingeras.” Sie streckte ihm auffordernd beide Hände entgegen, damit er ihr beim Aufstehen helfen konnte. “Wonach steht Euch der Sinn?”

“Wie wäre es mit dem … Rahjaschrein?” leicht unterwürfig schaute er sie an. Das Wort ´Herrin´ verdrückte er sich.

Ihr Lächeln wurde breiter. “Eine interessante Wahl. Du wirst mir doch auf dem Weg dahin sicherlich erklären können, wieso du gerade diesen Ort gewählt hast.” Sylvette trat näher an Ingeras heran und hakte sich bei ihm unter.

Während sie liefen, sog er ihren Duft ein. Wie sinnlich sie war. Und ihr Griff so … kräftig. “Ich dachte der Ort der Göttin der Liebe und Leiden … Schaft würde euch gefallen.”

Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie ihn geduzt hatte, erst jetzt kam es ihr. Es war einfach so natürlich gewesen ihn so anzusprechen. Doch er schien es gar nicht mitbekommen zu haben. Jetzt wollte sie aber ein wenig mit ihm spielen. Während sie noch gingen, versicherte sich Sylvette, dass sie unbeobachtet waren. Erst dann drängte sie sich etwas an ihn heran und flüsterte leise in sein Ohr. “Was den nun, Liebe und Leiden oder Liebe und Leidenschaft? Ich bin neugierig.” Zur Bekräftigung ihrer Worte ließ sie erst ihre Zunge über seine Ohrmuschel gleiten, bevor sie ihn sanft ins Ohrläppchen biss.

Ingeras wurde es heiß und kalt. Dies Frau machte ihn wahnsinnig. Glücklicherweise hatte er sich dazu entschieden, sein Hemd weiterhin lang herunterhängen zu lassen. Er wusste, dass er wegen bestimmten Merkmalen unerwünschte Aufmerksamkeit bekam. “Liebe und Leiden sind für mich eins, Sylvette.” Er wagte ein Blick zu ihr herüber und bemerkte das sie am Schrein der Rahja ankamen.

***

Elvan von Altenberg wollte sicher gehen, dass seine Mutter ihn sah, da er in Begleitung einer Frau war, bevor er den Spaziergang mit Rahjalind antrat. Aber seine Mutter war nicht der einzige Grund warum er sich umschaute. Er suchte Vitold und war neugierig, ob er auch jemanden zum lustwandeln in den Park führen würde.

Die Novizin hatte sich beim Altenberger eingehakt, doch schweifte ihr Blick in weite Ferne. Als keine anderen Gäste um sie waren, wandte sie sich zu ihm um, ohne dabei stehen zu bleiben. “Also der Herr Vitold …”, fiel sie mit der Tür ins Haus, “... Ihr habt Euch gut mit ihm verstanden, habe ich nicht recht?”

Als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, fühlte der Schreiber sich ertappt. “Oh, ja natürlich … ein interessanter Mann. Er erinnert mich an unseren Herzog.” gestand er.

“An den Herzog …”, wiederholte Rahjalind, “... was für ein stattlicher, hübscher Mann. Meint Ihr nicht auch?”

Elvan lächelte und ein Strahlen hielt in seinem Blick Einzug. “Absolut. Und diese schönen kräftigen Hände die er hat. Ich war ja erst vor kurzem bei Hofe und habe seine Kinder portraitiert” sagte er stolz.

“Was für eine Ehre …”, sie schenkte ihm ein herzliches Lächeln, “... und ja, über die … Hände … seiner Hoheit habe ich schon einiges gehört. Unter uns …”, flüsterte sie ihm dann, begleitet von einem wissenden Lächeln ins Ohr, “... habt Ihr denn schon eine Favoritin hier auf der Brautschau?” Elvan überlegte kurz. “Die almadanische Hofdame wäre eine gute Partie. Wir sind beide in Elenvina” Selbstsicher nickte er.

"Herr Elvan …", rügte Rahjalind ihn gespielt, "... ich meinte nicht wen Ihr denkt ehelichen zu müssen, weil man es so von Euch erwartet … ich meinte viel mehr für wen Ihr Euch selbst am ehesten erwärmen könnt." Die Novizin blieb hartnäckig. "Ihr könnt ehrlich zu mir sein. Wir sind unter uns … wenn Ihr Euch jemandem anvertrauen wollt … wer wäre besser dafür geeignet als eine Dienerin der Göttin der Liebe?"

Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. Es gibt nichts zum anvertrauen. Hat euch Bruder Rahjel geschickt? “ Mit leichten gerötet Wangen lief er etwas schneller.

Sie schüttelte zur Antwort ihr Haupt. "Nein ich bin von mir selbst aus hier. Ich fühle, dass Ihr Euch in eine Rolle zwängen wollt, die Ihr nicht spielen könnt." Rahjalinds Stimme war von einen auf den anderen Herzschlag von Mitgefühl geschwängert. "Ich werde Euch nicht damit behelligen, wenn Ihr nicht darüber sprechen wollt. Mir wurde heute schon einmal gesagt, dass ich dazu neige Menschen zu … äh … quälen. Nur eines …", sie leckte sich die Lippen, "... verleugnet nicht Euch selbst. Und da spreche ich jetzt gar nicht von Liebesdingen. Sogar der Herr Praios sieht es nicht gern wenn man sich selbst in eine Rolle zu zwängen versucht." Die Novizin blickte nach vorne. "Ich kann Euch nur meine Hilfe und meinen Beistand anbieten. Es lässt sich für alles eine Lösung finden. Ich möchte nur nicht, dass Ihr unglücklich seid."

Nachdenklich schaute er sie an und steuerte einen Pavillon an.

***

Der Junker von Liannon, Lucrann von Leihenhof, schaute sich nach der Novizin Rahjalind um. Doch entdecken konnte er sie nicht. Der Tharf rann ihm immer noch durch die Adern und er war in sehr guter Laune … und mutig. Da fiel ihm die dunkle Schöhnheit auf. Galant machte er sich auf zu ihr und machte einen formvollendeten Knicks. “Edle Dame, Cavalliere und Junker Lucrann von Leihenhof zu Liannon. Ich hatte mich gerade gefragt, ob ich die Grazie, wie ihr es seid, zum lustwandeln bitten kann?” Lucrann war hoch gewachsen, dabei von schlanker-sehniger Statur, ja fast dürr zu bezeichnen. Sein Gesicht war scharf geschnitten, wahrte dabei aber eine annähernd herzförmige Form und wurde von einem Busch aus sorgsam geschnittenen, dunkelbraunen Haaren eingerahmt. In diesem Gesicht leuchteten ein Paar wacher, meerblauer Augen, leicht schräg gestellt, und erinnerten den Kundigen an die Augen von Nivesen. Doch wirklich auffällig an dem Junker waren seine großen Hände mit den langen kräftigen Fingern. Seine Kleidung war einfarbig gehalten und zeugten von der Verwendung eines teuren Hesindigo-Blau. Und so trug der Junker ein aufwändigen Brokatwams mit abgesetzten Ärmeln, sowie Hosen, die etwa bis Kniehöhe gepludert waren, dazu Stiefel aus weichem Leder und ein Barett mit Federschmuck. Als Schmuck trug er einen einzigen tropfenförmigen Ohrring am linken Ohr. Eine Pomander hing an einer schmalen Kette, dessen Abschlussring an seinem Finger steckte und den herrlichen Geruch von Rose verbreitete.

Offensichtlich war es Melisande nicht vergönnt, ‘unbeschadet’ zu ihrer Baronin zurückzukehren. ALlerdings hatte sie es ja ein wenig darauf angelegt. Sie schaute den Junker an. Immerhin gehörte er zu den besser gekleideten Personen hier auf dem Fest. Mal sehen, ob er die horasische Lebensart nicht nur imitierte, sondern tatsächlich verinnerlicht hatte.

“Euer Wohlgeboren, Ihr dürft. Ich bin Signora Melisande della Yaborim, aber das wisst Ihr sicher bereits.” Sie lächelte den Junker freundlich-einladend an. Ihre weißen, regelmäßigen Zähne bildeten in der Sonne einen starken Kontrast zum Dunkel ihrer Haut.

Lucrann hielt ihr den Arm hin und führte sie in Richtung eines Pavillons.

***

Die Ritterin Alana von Altenberg schaute sich um. Nun war sie hier, ihr Bruder beschäftigt. Doch an den Tisch der ungeliebten Verwandten wollte sie nicht. Ein Spaziergang wäre ganz willkommen. Die Wasserthaler Ritterin fand sie interessant, doch war diese nicht auf der Wiese zu finden. Doch der Krieger Arsan war da. Immerhin hatte sie ihn schon am Tisch der Rondra etwas begutachten können. Kurzerhand entschied sie sich zu ihm rüber zu gehen. “Thomundson. Habt ihr schon Pläne?” fragte Alana ganz direkt.

Nach Lustwandeln hatte dem Krieger bisher eigentlich noch nicht der Sinn gestanden, jedoch kam ihm die Gelegenheit sich die Beine zu vertreten sehr gelegen. Der Ruf seines Namens und die Frage nach seinen Plänen, versprachen allerdings dass er dabei womöglich Gesellschaft haben würde. “Spezielle Pläne hatte ich keine, aber eventuell wollt Ihr Euch gemeinsam mit mir ein wenig die Füße vertreten?”

“Ich bin dabei, wir könnten uns den See oder das Amphitheater anschauen.” Doch bevor beide los gingen, besorgte die Ritterin den beiden zwei Humpen Bier. “Für den Durst unterwegs.” Sie Lachte und betrat den Kiesweg. “Und wie schaut es aus , jemand ins Auge gefasst zum umwerben? Am Tisch der Rondra gab es ja nicht viele Möglichkeiten.” Neugierig schaute sie den Krieger an.

Den Humpen dankend entgegennehmend wies er mit diesem in Richtung des Sees. “Ich fürchte es ist nicht unbedingt leicht, überraschenderweise scheint ein Leben im Herzen von Nordgratenfels für die wenigsten Damen verlockend zu sein.” Gab Arsan zurück und klang dabei nicht so, als wäre er tatsächlich ob des soeben genannten Umstandes überrascht. “Zugegeben es waren tatsächlich nur wenige Personen am Tisch der Leuin, doch ist es das wehrhafte Wesen der Herrin das die Leute am Leben hält. Und bei Euch?”

“Ja, mir geht es genau so und ihr habt recht. Doch mein ´Haus´ steht Rondra nicht besonders nahe. Nun, ich bin auch nur hier, um meinem Bruder einen Gefallen zu tun.” Dabei deutete sie auf den Geweihten der Rahja. “Ich glaube, dass der Traviabund nichts für mich ist. Mir reicht die Liebe zu Rondra” Verschwörerisch zwinkerte die Ritterin ihm zu.

“Erfüllt die Liebe zu Rondra nicht die Herzen der meisten aufrechten Recken? Mein Vater sagte mir jedoch einst, das diese Liebe mit Rondras Leidenschaft verbrennen kann. Sie kann uns mit ihrer Hitze versengen oder ausgebrannt als ein Häufchen Asche zurücklassen. Es ist das Herdfeuer das wir nach einem hitzigen Gefecht herbeisehnen, das uns Halt und Heimat ist und wie sollten die von uns errungenen Ehren die Zeit überdauern wenn nicht durch künftige Generationen?” Verlegen kratzte er sich am Kinn. “Ich glaube mein Vater war gelegentlich etwas Rührselig, allerdings vermute ich, auch wenn ihr kein Interesse an einem Traviabund habt, wird Eure Familie Euch gern vermählt sehen wollen - zumal mit einem Bruder als Diener der holden Rahja ein Sproß bereits als verloren gelten dürfte.“

´Ja, das leidliche Thema´ ging es ihr durch den Kopf. Den einzigen Menschen den sie sich je als Partner für einen Bund vorstellen konnte, war eine Frau. Doch diese war unerreichbar. “Sicherlich habt ihr Recht. Nun es gibt bestimmt eine Dame für Euch für den Traviabund?” Alana dachte dabei an die Ahnwachter Schwestern. Endlich am See angekommen, zog sie tief die frische Luft ein. Dann fiel ihr die junge Baroness von Keyssering im Gras sitzend auf. “Was haltet ihr von der jungen Eisensteinerin?” fragte sie Arsan.

Arsan musterte die Ritterin, versuchte das Wesen hinter ihrer äußeren Fassade zu erkennen - allerdings wusste er sehr wohl darum, dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt war. “Ich muss zugeben unter den Kandidatinnen niemanden erkannt zu haben, der zu meinem Lebensumständen passen würde.” Die Ruhe und den Frieden, den dieser See ausstrahlte, genießend ließ er sich Zeit mit der weiteren Antwort. “Nun sie ist jung und sicherlich ansehnlich... “ Versuchte er einen Anfang zu finden. “Aus gutem Haus, Hochadel sogar! Vermutlich jedoch eher wenig daran interessiert sich in dicht bewaldete Ecken der Landgrafschaft, mehrere Praiosläufe von der nächsten Stadt entfernt, niederzulassen.” Nachdenklich nippte er an seinem Bier. “Und was sagt Ihr zu den Werbern? Vermochte einer der Werber Eurer Interesse zu wecken oder eine Werberin?” Auch wenn die Kirche der gütigen Travia es nicht gern sah und aus einer solchen Verbindung kein Erbe ergehen konnte, so war es kein Einzelfall - dafür jedoch meist als Liaison, neben dem der Erblinie sichernden Bund, geführt.

“Mir geht es genauso. Und ich habe auch nicht vor jemanden zu suchen. Ich bin mir sicher, das meine Verwandten genug Bündnisse heute eingehen werden.” Nun setzte sie sich ins Gras und steckte sich. Die weiblichen Reize die sie damit preisgab, schien Alana nicht zu beachten. Irgendetwas sagte ihr, das der junge Mann begriffen hatte. “Hochadel? Ihr greift hoch Thomundson. Da bleiben ja nur die Baroness von Keyssering und die nicht anwesende Baroness von Firnholz übrig. Wenn die aber wie ihre Mutter aussieht, dann verstehe ich, dass hier keine Interesse hat.” Frech grinste sie den Krieger an.

Sich neben der Altenbergerin im Gras niederlassend, behielt der Krieger den See weiter im Blick. “Ich denke nicht, das ich nach dem Hochadel greifen werde…” Korrigierte er das scheinbare Missverständnis. “Ich möchte weiter leben, wo ich es derzeit tue - in Waidwacht, im ruhigen und abgeschiedenen Firun von Vairningen. Doch das Leben dort ist nicht jedermanns Sache. Vom Hochadel hält es nur jene in Nordgratenfels, die dort ihre Lehen haben und selbst deren Familienmitglieder suchen ihr Glück bereitwillig andererorts.” Arsan lehnte sich nach hinten und blickte nun gen Himmelszelt. Kurz nur betrachtete er die vorbeiziehenden Wolken, eh sein Blick durch einen hoch fliegenden Vogel eingefangen wurde. “Ohne Eurer Familie zu nahe treten zu wollen, doch wurden hier vornehmlich Stadtblumen vorgestellt. Zierliche Pflänzchen die mit der Härte in meiner Heimat nicht zurechtkommen würden. Sie schätzen lediglich die Freiheiten ihres Standes, machen jedoch nicht den Eindruck auf mich diese Freiheiten auch mit der Klinge in der Hand verteidigen zu können.”

Der Hochadel mochte ein schöner Traum für politisch Engagierte sein, die den Rückhalt und den Namen für ihren Aufstieg brauchten. Doch er hatte nichts zu bieten, dass den Erhalt seinen Namens in dieser Verbindung rechtgertigen würde und diesen galt es doch zu erhalten.

***

Milian von Altenberg, der Höfling aus Gratenfels, wartete ein wenig ab. Eigentlich sollte er sich ja der Baronin von Schweinsfold anbiedern, doch die Pläne seines ungeliebten Oheims Limbrinus von Schweinsfold zu folgen, behagte ihm nicht. Die Baronin Thalissa hingegen war gleichwertig interessant und fiel auch genau in seinen Geschmack, den er bei Frauen hatte. Ihre Zofe war durchaus eine eine schöne und interessante Frau, aber leider vom Stand her nicht das was er suchte. Der horasische Gecke hatte sich an ihren Fersen geheftet. Er konnte Lucrann jetzt schon nicht ausstehen. Nun, er mußte etwas wagen. Kurzerhand ging er zum Tisch der Älteren. Milian verbeugte sich vor der Baronin, die nun ohne Zofe und Leibwächter war. “Euer Hochgeboren di Triavus. Ich bin der hoher Herr Milian von Altenberg. Ich hatte mich gefragt, ob ich euch vielleicht auf ein kurzweil in den Park einladen darf, um gemeinsam die Wunder dieses zu staunen?” fragte der gutaussehende Mann.

Thalissa hatte sich gerade angefangen zu langweilen und selbst schon überlegt, ob sie einen kleinen Spaziergang machen sollte. Sie blickte auf und sah Milian überlegend an. Dieser wäre nun nicht ihre erste Wahl bei der Suche nach einem Gesprächspartner gewesen, schienen ihr seine Ambitionen doch zu offensichtlich. Andererseits konnte man so vielleicht gleich klare Verhältnisse schaffen … und sich dabei noch ein wenig amüsieren. “Und? Was habt Ihr Euch geantwortet?” erwiderte sie daher mit leicht schelmischem Lächeln.

Er beantwortete ebenfalls mit einem schelmischen Lächeln. “Das ihr einstimmt. Wollen wir?” Milian hielt ihr seine Rechte entgegen.

Elegant erhob sich Thalissa und hakte sich bei Milian unter. “Na, wenn ihr zwei euch einig seid, kann ich ja wohl kaum etwas dagegen sagen”, antwortete die Baronin, immer noch spielerisch. Als sie unter dem Pavillon hervortraten, gleißten ihre blonden, kunstvoll geflochtenen Haare in der Sonne und die obere ‘Taghälfte’ ihres Kleides erstrahlte in einem Blau, welches mit dem des wolkenlosen Himmels wetteiferte, während die ‘Nachthälfte’ noch dunkler, fast schwarz erschien. “Nun, Herr von Altenberg, welche Wunder im Park wollt Ihr mir zeigen?”

Milian schaute sie charmant an. “Habt ihr schon den See mit der Lilienprinzessin gesehen? Ein angenehmer Ort mit einer kühlen Brise!”

“Das Protokoll hat mich bisher im Pavillon des Hochadels festgehalten”, antwortete Thalissa schmunzelnd. “Also - nein, ich habe den See noch nicht gesehen, aber eine kühle Brise käme mir sehr gelegen.”

***

Die Rektorin der Rechtsschule aus Gratenfels, Prianna von Altenberg, schaute ihren Sohn hinterher, der die Baronin von Rieckenhausen zum Lustwandeln ausführte. Eine kühne Wahl, aber sie war sich nicht sicher, ob ihr Sohn nicht ein wenig zu hoch gegriffen hatte. Außerdem fand sie die Baronin wenig Interessant. Eine typische verwöhnte Hofdame aus dem Horasreich, die durch widrige Umstände auf den Thron einer Baronin in den Nordmarken gelandet war. Thalissa war eine Fremde und wird es wohl immer bleiben. In den kurzen Worten denen sie mit ihr gewechselt hatte, konnte sie heraushören, dass sie auch keine Interesse hatte, sich den lokalen Bräuchen zu stellen und anzunehmen. Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sie sein Werben erhören würde, dann könnte frau sich natürlich arrangieren. Prianna seufzte. Die Wahrheit war, dass ihr Sohn für die falschen, eher leichten Mädchen fiel. Doch es war an der Zeit, dass ihr Sohn sich durch eine praiosgewollte und traviagefällige Ehe, seine Position im Herzogtum einnehmen und sichern sollte. Sie schaute sich um und ihr Augenmerk fiel auf die Ahnenwachter Basen. Die strenge Endvierzigerin erhob sich und ging zu den beiden herüber. “Praios zum Gruße, die Damen!”

“Die Zwölfe zum Gruße, werte Dame!” Kam es von beiden Damen zugleich zurück, während sie höflich Knicksten. “Gibt es etwas das wir für Euch tun können, Edle Dame?” Fragte Aurelia, während Lechdane gleichzeitig sprach: “Ein schönes Fest hat Eure Familie hier vorbereitet.”

Prianna lächelte leicht und nickte wohlwollend. “Vielen Dank. Vater Winrich und Luminifer Ademar sind eine wahre Bereicherung.” Das sie den Geweihten der Rahja auslies, war kaum unbemerkt geblieben. “Ich war serh erfreut gleich zwei Damen aus euren Haus hier bei uns auf der Brautschau zu sehen. Nun, ich möchte ganz ehrlich zu euch sein. Eine Verbindung mit euren und meinem Haus, würde ich sehr begrüßen. Mein Sohn Milian ist ihnen schon aufgefallen?” fragte sie forsch.

“Eure Worte Ehren uns.” Gab Aurelia sogleich zurück. “Es gehört zur Tradition unserer Familie mit dem Adel der Nordmarken gute Beziehungen zu pflegen und, wie Ihr sicherlich wisst, auch durch die Vermählung unserer Angehörigen zu festigen.”

“Wenn ich mich Recht an die Vorstellungsrunde entsinne, …” Nahm Lechdane den Verweis auf Milan auf. “... so erfüllt Milan höfische Aufgaben am Hofe des Landgrafen. Tatsächlich fiel er mir dabei auf, da auch er in Gratenfels lebt.”

“Genau. Er dient dort dem Haushofmeister Winterspitz am Grafenhof. Und ich selbst bin die Rektorin der Rechtsschule. Ich als seine Mutter suche natürlich nach der besten Partie für unser Haus. Und um es geradeheraus zu sagen: ihr seid mir dabei aufgefallen. Könnt ihr euch solch eine Verbindung vorstellen, Aurelia?” Prianna schaute sie abwartend an.

“Meine eigenen Befindlichkeiten spielen nur eine nachrangige Rolle, auch wenn ich Euch hierbei eine bejahende Antwort geben kann.” Gab die junge Frau wahrheitsgemäß zurück. “Als man uns hierher entsandte, beschloss unser Familienoberhaupt, dass eine Verbindung der Häuser Ahnwacht und Altenberg für beide Seiten lohnenswert wäre.” Die Worte der jungen Frau mochten für ihr Alter hart klingen, mochten den Eindruck erwecken das ihr ihr eigenes Leben gleichgültig wäre doch entsprachen sie einfach nur der Wahrheit. Die Wahrheit die das Leben als Angehörige des Adelsstandes nun einmal mit sich brachte, sie waren politische Verhandlungsmasse ob es ihnen gefiel oder auch nicht.

Ein zufriedenes Lächeln machte sich auf dem Gesicht, der ansonst grimmigen Prianna, breit. “Ich mag eure direkte und beflissene Art. Dann mache ich es kurz. Würdet ihr im Namen des Götterfürsten Praios und der Nordmarken den Bund der Ehe mit meinem Sohn Milian von Altenberg eingehen?” fragte sie recht formal.

“Sofern Ihr gewillt seid die traditionellen Bedingungen zum Traviabund meiner Familie zu akzeptieren, ja.” Entgegnete Lechdane und klang dabei mehr als würde sie einen Handel schließen, als dass sie soeben über ihren möglichen Traviabund sprach.

Auf der Festwiese

Bis auf den Stäben mit den Wimpeln der vier Götter, war die Wiese wieder leer geräumt. Den Tisch für die Älteren hatte man stehen lassen und verführerische Düfte kamen vom Küchenzelt.

Noch bevor das Lustwandeln richtig begonnen hatte, kam Andesine von Wasserthal auch schon wieder zurück aus dem Park. Mit langsamen, beinahe unsicheren Schritten steuerte sie die verlassenen Tische unter dem Sonnensegel an. Die Ritterin wählte einen Platz im Schatten und ließ sich dort nieder, aber nicht bevor sie sich einen Krug mit dem Beerenschnaps und einen unbenutzten Becher gegriffen hatte. Mit zittriger Hand füllte sie den Becher und stellte ihn vor sich ab. Seitdem saß Andesine da und starrte den großen, ein Schank messenden Becher an. Was sollte sie tun? Das beste wäre es, wenn sie der Veranstaltung den Rücken kehren und zurück ins Hotel gehen würde. Ihr erster Gedanke zu dieser Brautschau hatte sich doch als der richtige erwiesen. Eine lächerliche Zeitverschwendung. Nein, es war viel mehr als das. Sie war verletzt worden, schwer sogar. Dabei hatte der Tag so gut begonnen und nun…

Traurig schloss die Wasserthalerin die Augen. Wie hatte sie sich nur so in Linnart täuschen können? So etwas würde ihr nie wieder passieren, schwor sie sich. Vielleicht sollte sie fortgehen um zu vergessen. Ein Noviziat in der Rondra-Kirche vielleicht oder noch besser bei den Golgariten? Löschten diese nicht das Gedächtnis jener die ihnen beitreten? Ein verlockender Gedanke. Noch immer betrachtete Andesine den randvollen Becher und schließlich griff sie danach, bereit den Schmerz mit einer großen Menge Schnaps zu betäuben.

Eigentlich war sie auf der Suche nach Linnart, dem sie Aureus vorstellen wollte. Aber seltsam, er schien verschwunden. Sicher war er mit Andesine, wahrscheinlich, in einem Pavillon. Den noch etwas verwirrten Aureus zog sie hinter sich her, da sah sie unter dem Sonnensegel eine bekannte Gestalt. Als sie nah genug war, hob sie den Arm. “Hohe Dame! Andesine!“ Diese war alleine und schien sie nicht zu hören. Kurzerhand setzten sich beide zu ihr, als die Dame gerade einen Humpen Schnaps in sich schüttete..

Aureus sah den Gesichtsausdruck, den er von vielen Kameraden und Kameradinnen des Feldzugs kannte, und blieb stehen:” Sina, ich glaube es wäre besser, wenn Du allein mit ihr sprichst. Ich glaube, sie braucht jetzt eine starke, weibliche Schulter.”

“Oh...aber bleib in der Nähe, ja ?” Nun sah sie auch, dass Andesines Zustand desolat war. Sie setzte sich zu ihr. “Ähm..Andesine ?” Sachte lege sie ihre Hand auf die der anderen Frau. “Sicher hat ER Mist gebaut. Kommt, erzählt es, das hilft. Und vielleicht kann man ja noch was retten.”

Andesine blinzelte die aufsteigenden Tränen weg. Sie hatte den Becher in einem Zug geleert und nun kämpfte sie mit der Schärfe des Schnapses, der sich ihre Kehle hinunter brannte und dabei jedweden anderen Schmerz einfach übertünchte. Sie verzog das Gesicht, griff dann abermals nach dem Krug und schenkte sich nach. Erst dann wandte sie sich der Almadanerin zu. “Wenn Ihr wissen wollte, was er angestellt hat, dann geht zu ihm und fragt ihn danach. Ich für meinen Teil möchte jetzt nur noch meine Ruhe.” Damit ergriff sie erneut den Becher um den Inhalt hinunter zu stürzen.

Die arme Frau hatte wohl etwas zu schnell und zu viel von Rahjas Gaben gekostet. “Wie ihr meint, wir sehen uns dann später.” Nachdenklich drehte sich Sina um und nahm Aureus bei der Hand. Sie lehnte sich etwas an ihn. “Da gab´s Ärger … kommst du noch schnell mit? Es soll nicht dein Schaden sein.” Sie zwinkerte ihm anzüglich zu.

***

Es hatte nicht lange gedauert, da schlenderte der Traurigsteiner wieder über die Festwiese. Alleine diesmal und mit ernster Miene, sowie mit hängendem Kopf. Sein Stolz ließ es ihm in diesem Moment nicht zu, noch mehr Emotion zu zeigen, doch lag ihm nichts daran sich hier noch weiter an der Festivität zu beteiligen. Sein Weg führte ihn hin zum Pavillon der Hochadeligen. Dort wusste er ja schon, dass ihn niemand stören würde, doch erregte der alleine stehende Lares von Mersingen in diesem Moment seine Aufmerksamkeit. Auch wenn der Bannstrahler in diesem Moment so aussah, als ob man ihm besser nicht zu nahe kommen sollte, hielt er auf den Mersinger zu.

Der Anblick des Bannstrahlers brachte Lares aus dem Konzept. Warum bei allen Niederhöllen war der hier? Und allein? Und warum so - niedergeschlagen, heruntergekommen, was auch immer? Der Mersinger schüttelte den Kopf und schlug die Stirne in Falten. “Herr vom Traurigen Stein, was, warum? Wo ist Andesine?”

Der Angesprochene biss seine Lippen aufeinander. Seine Augen glänzten und statt eine Antwort zu geben warf er einen Seitenblick auf Durinja, die ebenfalls auf der Festwiese stand. Da dämmerte dem Mersinger schon, was vorgefallen war und sein Gesicht verfinsterte sich von Wort zu Wort. “Ich weiß es nicht …”, flüsterte er, “... das letzte mal als ich sie sah, gab sie mir meinen Ring zurück und kehrte mir den Rücken zu.”

“Ihr...Ihr…”, Lares spuckte die Worte förmlich aus und wollte schon den Arm heben, um irgendetwas unüberlegtes zu tun, dann aber sah er in die tränenglänzenden Augen des Bannstrahlers und ließ seine Hand sinken. “Was habt Ihr getan? Sie liebt Euch, wisst Ihr das? Was habt Ihr gemacht? So spuckt es schon aus.”

Er nickte mit ernster Miene. “Ich habe sie verraten. Ich habe sie enttäuscht und das was ich nun in mir fühle, ist die gerechte Strafe dafür.”, antwortete Linnart immer noch geknickt. “Ich wollte mich ihr versprechen - hier und heute. Vorausgesetzt ihre Eltern würden zustimmen. Ich wollte mit Andesine morgen schon zu ihrer Familie reisen und dort um ihre Hand anhalten … doch …”, er stoppte und atmete tief durch, “... wollte ich mir davor noch selbst ein paar Fragen beantworten. Eine davon war, warum die Dame von Altenberg eine solche Wirkung auf mich hatte, obwohl die Herrin Rahja mich mit Andesine schon so reich gesegnet hatte. Ich suchte deshalb das Gespräch mit ihr …”, abermals stoppte der Ritter in seinen Ausführungen, “... doch blieb es eben nicht bei einem Gespräch … ich verlor mich im Moment und küsste sie.” Linnart atmete wieder tief durch. Der Mersinger konnte den inneren Kampf des Bannstrahlers förmlich fühlen. “Ich habe es Andesine natürlich gebeichtet, sie hat Ehrlichkeit verdient und ja … die gegenwärtige Situation ist das Resultat daraus.”

“Ihr seid ein verdammter Idiot. Wisst Ihr das?” Der Mersinger schüttelte traurig den Kopf. Er mochte Andesine. Sie hatte einen guten Mann verdient, einen, den sie mochte, der ihr zur Seite stand. Und Lares hatte den Eindruck, dass der Mann vor ihm genau der Richtige dafür gewesen war. Nicht ohne Grund hatte er den Bannstrahler zuvor aufgezogen - er wollte ihn anspornen, sich klug zu entscheiden und für die rechte Sache zu kämpfen. Aber diese Hofdame, diese Durinja war die namenlose Versuchung in Person. Das hatte der Mersinger schnell verstanden. Sie war die Verkörperung des Lasters, des Verrats. Der Bannstrahler war wohl zu schwach, um das zu sehen oder noch schlimmer war sehenden Auges der Versuchung verfallen. Aber Vorwürfe würden daran jetzt nichts ändern. Lares packte den Bannstrahler unterm Kinn. Der kleine Mann mit den schwarzen Haaren, der dem Traurigsteiner nur etwa bis zum Kinn ging, zwang ihn dazu, ihn in die Augen zu sehen. “Und das soll es jetzt gewesen sein? Ihr habt Andesine, dieser wunderbaren Frau, Eure vollkommene Dummheit gestanden und habt sie dann gehen lassen? Wollt Ihr wirklich den Rest Eures Lebens einen dummen Fehler bereuen müssen? Unser Herr PRAios straft, aber er straft gnädig. Ihr dagegen, Ihr bestraft Euch bis zum Tag Eures Todes, kann das sein? Was soll das? Hat man Euch in St. Aldec Euer Rückgrat gebrochen? Hat man da Kriecher aus Euch gemacht? Das wage ich doch herzlich zu bezweifeln. Wollt Ihr sie einfach kampflos aufgeben?”

Der derart Gescholtene ließ den Sermon seines Gegenübers über sich ergehen - mit unbewegter Miene. Als der Mersinger geendet hatte, schüttelte er sanft sein Haupt. “Es ist wohl besser so …”, gab er knapp zur Antwort, “... Ihr habt schon recht … wenn es eine Frau verdient hat, dass man um sie kämpft, dann Andesine. Doch was würde folgen? Vielleicht vergibt sie mir und dann? Ich habe Angst ihr wieder weh zu tun. Ich bin ein Mann voller Fehler, hoher Herr und diese wunderbare Frau hat den besten Partner verdient.” Linnart presste wieder seine Lippen aufeinander. “Ich sollte sie doch stärken, loyal an ihrer Seite stehen und ihr ein liebender Mann sein. Stattdessen habe ich sie bereits Stundengläser nach meinem Versprechen enttäuscht … ich weiß nicht ob sie nicht ohne mich besser dran ist.” Der Ritter blickte sich um, er konnte die Wasserthalerin nirgends ausmachen. “Mein Blut ist für seine Treulosigkeit bekannt … ich weiß nicht ob ich mich ändern kann. Darüber hinaus habe ich ihr geschworen, dass ich mich aus ihrem Leben zurückziehen werde. Das ist mein Sühneeid für meine Verfehlung.”

“Dann seid Ihr ein unverbesserlicher Narr, so, wie Ihr meint, es zu sein.” Lares rechte Faust ballte sich. Er hatte gute Lust, dem selbstmitleidigen Mann vor sich Vernunft einzuprügeln. So etwas sollte die Kirche seines Herrn repräsentieren? Eine Schande. “Meine Schwertmutter war Yolande von Mersingen. Sie war das Familienoberhaupt unseres Hauses. Ich diente über Jahre einem Geschöpf, dessen unsagbar finstere Natur jede Vorstellung übersteigt. Ich bin ihr Großneffe. Bin ich deswegen unrettbar verloren? Ich habe mir geschworen, bei dem Namen meines Hauses, bei dem Blut, das durch meine Adern fließt, Verrat niemals zu dulden. Niemand kann das besser, als derjenige, der mit Verrat aufgewachsen ist. Meint Ihr nicht, dass Ihr nicht in der Lage seid, zu lernen? Vielleicht braucht es dazu noch einmal einige Einheiten mit dem Rohrstock, aber besser, den Rohrstock zu spüren, als sein Leben lang uneinsichtig zu bleiben. Wenn Ihr Euren Eid, in Hast und unüberlegt gesprochen, nicht brechen wollt, dann werde ich mit Andesine reden. Wenn nicht Ihr, dann hat es wenigstens sie verdient!”

Kurz schien es als würde sich der Blick des Bannstrahlers etwas aufklaren. “Ich habe Euch gehört …”, bemerkte er nüchtern, “... doch hinkt Euer Vergleich etwas. Auch in meiner Familie gibt es Verräter. Mein Vetter Linnart von Halberg war einst junger, aufstrebender Baron von Kyndoch, doch ließ er sich, in einem Anfall von Großmannssucht, zu Verrat hinreißen und nahm seiner Familie damit alles … dennoch würde ich mich nicht als Verräter sehen. Meine Urgroßmutter Manola von Gerheim-Halberg rief sich während der Answinkrise zur Gräfin von Elenvina aus … dennoch bin ich nicht anmaßend, sondern demütig. Nein …”, er schüttelte bestimmt sein Haupt, “... das sind Dinge, die aus jedem einzelnen selbst kommen. Mein Problem mit den Frauen jedoch … es sitzt tiefer und es hat mich beunruhigt, dass Durinja dieses sofort erkannt hatte, während Andesine an das Gute in mir geglaubt hat und ich ihr deshalb das Herz gebrochen habe.” Beschwichtigend hob der junge Bannstrahler seine Hand. “Versteht mich nicht falsch, ich hätte alles versucht, das mir möglich ist, um Andesine jener Mann zu sein, den sie verdient, doch ist etwas in mir, das ich noch nie in meinem Leben unterdrücken konnte. Ja, vielleicht hätte das ihre Liebe und Geborgenheit aus mir ausgetrieben, doch kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. Andesine hatte recht … was nutzt ihr meine Liebe, wenn sie sich auf meine Treue nicht verlassen kann.” Es war selten, dass sich Linnart, außerhalb der Beichte, so deutlich zu seinen Schwächen bekannte und das auch noch vor einem ihm wildfremden. “Wenn Ihr mit Andesine sprechen möchtet, dann wäre ich Euch dankbar dafür. Bitte richtet ihr aus, dass ich für sie gebetet habe und es mir über alles leid tut.”

“Das werde ich tun, wenn Ihr mir ein Versprechen gebt: Ich kann mich nicht für einen Mann einsetzen, der von sich selbst denkt, dass er Fürsprache nicht würdig ist. Ich kann mich nur für einen Mann einsetzen, der seine Fehler erkennt und sich bemüht, an sich selbst zu arbeiten. Jeder von uns hat eine Schwäche, hoher Herr. Ihr, ich und sicherlich auch Andesine. Wir müssen nur lernen, mit unseren Fehlern zu leben und an uns zu arbeiten. Wollt Ihr mir und Euch diesen Gefallen tun?”

Linnart nickte. “Ja, das bin ich. Ich bin mir meiner Fehler bewusst und werde mit Sicherheit alles in meiner Macht stehende tun um diese abzustellen.” Der Ritter war immer noch ernst. Dennoch änderte dies nichts daran, dass seine Fehler gegenwärtig noch Bestand hatten und er Andesine wohl schon alleine deshalb verlieren würde. Er könnte doch nicht von ihr verlangen auf ihn zu warten bis er ein besserer Mensch war. “Werdet Ihr mit ihr sprechen?”

“Ja”, sagte Lares mit fester Stimme. Dann packte er den Traurigsteiner am Nacken und blickte ihm noch einmal aus seinen unangenehm schwarzen Augen tief in die seinen. “Und jetzt Kopf hoch. Einen gebrochenen Mann wird sie sicherlich nicht zurückhaben wollen.”

Kurz zwang sich Linnart zu einem Lächeln. “Wohl nicht”, meinte er knapp, ´wiewohl ich daran zweifle, ob sie so einen überhaupt noch einmal zurück haben wollte´, ließ er dann in Gedanken folgen. Er hatte schon genug Porzellan zerschlagen, doch wollte er, dass Andesine glücklich wurde - ja, das war sein Ausdruck von Liebe und Zuneigung. Er wollte, dass die hübsche Frau wieder lächelte und den Glauben an die Liebe nicht verlor. Ob Linnart selbst ein Teil ihrer Zukunft sein würde, hielt er für unwahrscheinlich, doch wusste er darum, dass die Wasserthalerin nun wohl jemand zum Reden brauchte und da war der Mersinger die perfekte Wahl. “Ich brauche dennoch noch etwas Zeit für mich, hoher Herr … ich muss meine Gedanken sortieren … alleine. Ich danke Euch jedoch für Eure Worte.”

Lares nickte und klopfte ihm auf die Schulter. Dann drehte er sich nach dem Küchenzelt um. Bevor er mit Andesine reden konnte musste er noch sein eigenes Problem aus der Welt schaffen. Das konnte heiter werden.

***

Lares hatte dem Traurigsteiner versucht, seinen Kopf zurecht zu richten, doch Luzia war noch immer nicht aus dem Küchenzelt zurückgekehrt. Er sah sich deshalb, so gut er es bei seiner Körpergröße vermochte, nach allen Seiten um. Wo war sie nur?

Die arme Lissa stand allerdings noch immer an seiner Seite und würde sich sicherlich langweilen. “Was meinst du, ich glaube, wir sollten die Dame von Wasserthal jetzt suchen gehen. Vielleicht bringen wir sie zusammen auf bessere Gedanken. Und vielleicht kann sie dich dann auch ihrem Bruder vorstellen, was meinst du?”

Lissa nickte.

Der Mersinger nahm seine Pagin bei der Hand, doch vorher sah er sich noch einmal nach Luzia um. Er konnte sie noch immer nicht sehen. “Meinst du, ich habe es vermasselt?”, fragte er dann kleinlaut.

Lissa schüttelte den Kopf. “Nein, ich glaube nicht. Und ihr.. habt mir gesagt, man soll seine Fehler zugeben, damit man sie wiedergutmachen kann. Und dass es immer Hoffnung dafür gibt.”

Der Mersinger lächelte und wuschelte ihr durch die Haare. “Weißt du, weil, ich glaub, ich habe deine Schwester gern.” Dann sah er sich nach Andesine um.

Das Kind grinste, sagte aber nichts, während auch ihre Augen wanderten, um die Ritterin zu erspähen.

Lares von Mersingen hatte einen kleinen Krug mit demselben Schnaps organisiert. Er setzte sich mit seiner Pagin Andesine gegenüber auf die Bank und schwieg. Er würde Andesine das Reden überlassen. Oder das Trinken.

Langsam ließ Andesine ihren Becher wieder sinken, noch bevor sie daraus getrunken hatte. Müde sah sie Lares und Lissa an. “Was macht ihr denn hier? Solltest du nicht mit der Schwester der jungen Dame hier durch den Park wandeln?” Andesine bemühte sich um einen freundlichen Ton in ihrer Stimme und sogar ein Lächeln.

“Prost”, erwiderte Lares und reckte ihr den Becher entgegen. Der Ton der irdenen Gefäße verursachte nur ein mattes Klacken. “Du solltest doch auch woanders sein, oder nicht? Meine Herzdame wurde von so vielen Männern, mich Rüpel eingeschlossen, belagert, dass sie sich entschlossen hat, reißaus zu nehmen. Ich kann sie gut verstehen. War nicht so klug. Ich war...ein bisschen eifersüchtig.” Er zuckte mit den Schultern, auch wenn ihm anzusehen war, dass ihn diese Geschichte nicht kalt ließ. “Aber irgendwann kommt sie wieder und werde eine Chance haben, mich anständig bei ihr zu entschuldigen. Bis dahin hatte Basilissa hier gedacht, dass du sie mit deinem Bruder bekannt machen könntest. Und ich hatte noch gesagt, dass der Herr vom traurigen Stein und du sicher was anderes zu tun habt, doch dann habe ich zuerst ihn gesehen. Und jetzt dich. Der Typ hat seinem Namen schon wieder alle Ehre gemacht, oder?”

Dieses mal hatte sie nur an dem Schnaps genippt und ansonsten Lares zugehört. Immerhin lenkte sie seine eigene Misere von ihrem Leid ab. Nur kehrte es mit doppelter Wucht wieder zurück als er den Namen des Bannstrahlers nannte. “Tja, er ist dem Ruf seiner Familie gerecht geworden, wenn man seinen Worten glauben darf.” Sie versuchte ein Lächeln, was kläglich misslang. “Wenigstens hast du noch eine Möglichkeit bei dir alles zum Guten zu wenden.” Mit einem Seufzen lehnte sie sich zurück und schob den Becher von sich fort. Mit ihren geröteten Augen sah sie Lissa freundlich an. “Ich hatte dir versprochen dich meinem Bruder vorzustellen. Lass uns zu ihm gehen. Eigentlich müsste er noch am Rondratisch sein.” Ihr Blick ging zum Tisch, allerdings konnte sie ihn gerade nicht ausmachen. “Hm, kann einer von euch den Rondrageweihten in der weißen Robe sehen?”

Lissa drehte den Kopf und schaute über die Menschen weg. “Ist er das dort?” Sie deutete in die Richtung, in der ihr Vater saß.

Die Ritterin kniff die Augen zusammen als sie dem ausgestrecktem Arm der Pagin folgte. “Ja, das ist er.” Mühsam erhob sich Andesine von ihrem Platz. “Kommt, ich stelle euch ihm vor.”

Lares erhob sich ebenfalls und folgte der Ritterin - er würde sich Zeit lassen, bis sich Andesine etwas beruhigt hatte.

***

Nach dem Gespräch im Pavillon auf der Festwiese angekommen, schnappte Linnart vom Traurigen Stein sich einen Krug Wein von einem der verlassenen Tische und den ersten ungebrauchten Kelch, den er finden konnte. Dann setzte der Bannstrahler sich auf eben jenen Platz, den er zuvor auch schon mit Durinja besetzte, streckte seine Beine von sich und füllte sein Trinkgefäß. Kurz kühlte er die Wunde an seinem Hals mit der Kälte des Zinns, dann nahm er einen ersten Schluck. Linnart unterdrückte den in ihm aufkommenden Impuls nach der Altenbergerin zu suchen um sie zur Rede zu stellen. Was nützte es schon? Es war seine Entscheidung gewesen sie zu küssen und ja … vielleicht war sie wirklich die einzige, die ihn verstand. Die Einzige, der er nicht weh tun konnte. Abermals folgte ein Schluck. ´Seltsam, was sie hier in diesen Breiten als Wein bezeichnen´, dachte der Ritter bei sich, doch war der Rebensaft gut genug um seine Enttäuschung zu ertränken.


Auf der Wiese angekommen, sah Sina sich ratlos um. Wohin? Sicher würde er geknickt Wein in sich kippen. Ihr Blick fiel zu dem Pavillon des Hochadels und energischen Schrittes ging sie zu dem erbärmlichen Bannstrahler. “Linnart! Was soll das? Jetzt benimm dich nicht wie ein Lappen und erzähl, was los war.” Die Frau hatte Feuer, dass musste man ihr lassen.

Der so Angesprochene stieß ein deutlich wahrnehmbares Seufzen aus. Er erkannte die nervig-quietschende Stimme Sinas sogleich. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Dennoch zwang er sich dazu nett und zuvorkommend zu bleiben, so schwer es in diesem Moment auch war. “Sina …”, er erhob sich von seiner Sitzgelegenheit, “... was für eine Überraschung? Äh … setz dich doch und dann erzähle was du meinst.”

Aureus nickte dem Bannstrahler zu, blieb aber stumm. Er nahm eine Stuhl und bot ihn Sina an, nachdem sie saß, suchte er sich auch einen Platz aus.

Erst jetzt bemerkte Linnart die Anwesenheit des Altenweiners. “Praios zum Gruße”, dankte er seinem Nicken.

“Praios zum Gruße, Ihr solltet sie nicht warten lassen, beachtet mich nicht weiter.”

Sina setzte sich erstaunlich ruhig. Es war ihr, als würde sie ihn schon länger kennen… “Ach, Aureus, kann sein, dass ich etwas, na ja. Hör weg, bevor es dich abschreckt - das ist gerade ein besonderer Fall.” Ungefragt trank sie etwas Wein aus seinem Kelch. “Andesine, deine ach so Heilige, hockt drüben, betrinkt sich und zieht ein trauriges Gesicht. Du hockst hier rum, dabei dachte ich, dich entweder mit der heiligen Andesine oder wundervollen Durinja zu treffen. Was ist passiert? Und schau mich bloß nicht so genervt an.” Noch immer war sie ruhig geblieben, doch konnte er eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner Tante in spe nicht leugnen.

Zu hören, dass Andesine litt, versetzte dem Ritter einen Stich. Andererseits musste ihm diese Tatsache von Anfang an klar gewesen sein. Er fühlte sich so schlecht, dass er nicht einmal auf Sinas Frechheiten eingehen konnte. Für den, bestimmt herablassend gewählten, Ausdruck 'Heilige' hätte er ihr normalerweise die Leviten gelesen. "Ich habe Andesine enttäuscht, das ist passiert und ja … ich habe mich mit beiden Frauen getroffen, obwohl ich nicht hätte sollen. Mein Herz hätte wissen sollen, wo es hin gehört, doch war ich dumm … übermütig und hab nun einen Scherbenhaufen hinterlassen." Er nahm einen Schluck Wein. "Mir gebührt jede Strafe dafür, die die Götter für richtig empfinden, doch Andesine hatte das nicht verdient, sie hat mich nicht verdient."

Die kleinere Frau hatte gespannt gelauscht. “So, Linnart. Begib dich bitte mal mit mir hier hinter nach hinten?” Sie deutete auf eine, durch gelagerte Waren und einen Tisch abgetrennte Ecke des Pavillons. Auffordern hielt sie ihm die Hand hin. “Na komm.”

Skeptisch erhob er sich von seiner Sitzgelegenheit und folgte ihr. Innerlich hoffte Linnart, dass Sinas Schwester ihr nicht zu ähnlich war. Sein armer Onkel - ob er wusste worauf er sich einließ?

Geschützt vor den Blicken der anderen schmierte Sina Linnart eine mit der flachen Hand auf die Backe. “So. Das hast du verdient. Und jetzt gehe ich davon aus, dass du mit beiden der schönen Göttin opfern willst. Nimm diese Schnepfe Durinja, die hat dir das eingebrockt, aber heirate sie bloss nicht. Verema würde ausflippen.” Sie war natürlich noch aus einem anderen Grund zornig, aber das war nicht wichtig. Und Linnart würde das schon aushalten.

Der Bannstrahler griff nach dem Handgelenk jener Hand, die ihn ohrfeigte. Sein Griff war fest, aber es war klar, dass es bloß eine Warnung sein sollte. "Du hast kein Recht Hand an mich zu legen …", presste er zwischen seinen Lippen hervor, "... und du kannst froh sein, dass ich niemals Hand an Frauen oder Männer lege, die mit körperlich so weit unterlegen sind." Ja, Andesine hätte ihn schlagen dürfen. Es war ihr Recht gewesen, ihrer Emotion freien Lauf zu lassen, doch Sina besaß dies nicht. "Und was ich weiter tun werde, hat dich nicht zu interessieren. Das ist meine Sache. Hast du sonst noch irgendwelche Ratschläge?", fragte er pampig. Sina kam hierher und war vom ersten Moment destruktiv. Wollte sie sich an seinem Leid ergötzen, oder was für Ziele verfolgte sie mit ihrem Gebaren?

“Die Strafe hattest du dir verdient. Aber anscheinend hat keiner den Mumm, dir mal den Kopf zurecht zu rücken. Damit war es auch erledigt, wie ich gesagt hatte.“ Sie blitzte ihn zornig an. “Der eine Vorschlag gefällt dir nicht?” Langsam wich die Aggression aus ihrer Stimme. “Was schlägst du vor? Und benimm dich. Du bist kein Bauerntrampel, der sich vor lauter Selbstmitleid vollaufen lässt. Du solltest dich hören. Voller Selbstmitleid und abweisend. Ich würde dir helfen wollen.”

"Über meine Bestrafung hast nicht du zu entscheiden …", warf er ein, "... das ist die Sache der Geschädigten, oder der Götter. Und nicht die der Schwägerin meines Onkels." Linnart war immer noch ernst. "Und welchen Vorschlag meinst du? Den, Durinja zu heiraten? Nach all dem?" Er wies beiläufig auf seine Wunde am Hals. "Sie hat diese Situation wohl bewusst erreichen wollen. Wahrscheinlich war es bloß ein Spiel. Sie wollte sich wohl beweisen, dass sie die junge Zuneigung zweier Menschen zerstören kann." Der Kiefer des Bannstrahlers arbeitete. "Warum sonst lässt sie mich nun, da sie die reife Frucht nur noch ernten bräuchte, links liegen? Würde ich nach ihren Regeln spielen, sollte ich sogleich zu ihrem Vater gehen und um ihre Hand anhalten. Dann würde auch sie mit den Folgen ihres Handelns leben müssen." Der Ritter schüttelte kurz seinen Kopf. "Wie willst du mir helfen?"

Sina schüttelte den Kopf und griff sachte nach Linnarts Unterarm. “Tante...das trifft es in weitestem Sinn...aber du hast mir nicht zugehört. Warum du auf so eine reingefallen bist, das verstehe ich nicht. Jetzt kannst du es zu Ende bringen, aber heirate sie nicht. Sie hatte ihren Spass und du kannst deinen haben.“ Mehr zu sich selbst flüsterte sie: ”Männer, so berechenbar, so dumm.” Lauter wandte sie sich wieder dem jungen Mann zu. “Ihr merkt das nie, ihr Kerle, dabei verletzt ihr dauernd. Schon alleine, indem ihr einer Durinja nachlauft und kein Auge für andere Frauen habt… Meinst du, das tut nicht weh?“ Es sind zum Glück nicht alle so, dachte sie. Der ist lieb und ist ihr auch nicht wie ein wilder Kater nachgelaufen.

"Bist du eifersüchtig?", fragte er verwundert. "Ja natürlich … das ist es." Kurz huschte ein Lächeln über seine Lippen. "Und das vor deinem Begleiter? Wieviele Männer möchtest du denn an deiner Ferse hängen haben?" Er kratzte sich an seiner Schläfe. "Nein, ich werde hier und heute sicher kein Herz mehr brechen. Ich würde auch nie aus Rache oder Berechnung mit einem anderen Menschen spielen. Egal wie übel mir dieser mitgespielt haben sollte."

“Wir hatten etwas vereinbart, aber das wird dir jetzt auch egal sein.” Sie seufzte.

"Ich weiß …", er nickte ihr zu, "... und das Angebot, dass ich dir helfe hier einen anständigen Mann zu finden gilt immer noch." Vielleicht würde er wenigstens etwas Gutes tun können.

“Komm, ich hoffe, dass er noch da ist…” Sie zwinkerte Linnart zu. “Manchmal sind Frauen nicht so still und brav, wie sie scheinen. Du hast was verpasst, ich bin keine von hier.”

Kurz zog er seine Augenbraue hoch, dann folgte er Sina zurück zum Tisch.

Der Altenweiner hatte seinen Platz nicht verlassen und trotz seiner Neugier hatte er es mit Mühe geschafft, nicht dem Gespräch zu lauschen. “Konntet ihr klären, was euch bewegte?”

Linnart wirkte auf die Frage hin wenig begeistert. Kurz zuckte seine Lippe, dann nickte er knapp. “Sina möchte Euch mir vorstellen”, bemerkte er dann mit einem Seitenblick auf die Almadanerin.

“Das ist Linnart vom Traurigen Stein, Bannstrahler und bald mein Neffe…” Sie äugte zu ihm hinüber, Spaß war bei ihm derzeit gefährlich. “Und schau, Linnart, das ist Aureus von Altenwein. Er war so nett, und hat mir etwas die Zeit vertrieben.”

“Wir kennen uns bereits aus dem Pavillon der Altenberger …”, gab Linnart zu verstehen, dennoch reichte er dem Junker noch einmal die Hand zum Gruß, “... freut mich Euch wieder zu sehen, hoher Herr. Ich hoffe Sina hat Euch nicht schon zu viel über mich erzählt”, versuchte er sich an einem Scherz, wiewohl sein immer noch ernster Gesichtsausdruck nicht so recht dazu passen mochte.

“Junker”, betonte er,” Aureus Praioslaus von Altenwein, es freut mich ebenso. Nein, das hat sie nicht, sollte es nicht genügen, dass ihr Bannstrahler seid und, zumindest theoretisch, über meine Schwester wacht?” Er lächelte freundlich.

“Eure Schwester ist ein Mitglied der Gemeinschaft des Lichts …”, fragte er nach, “... dann kann es gut sein, dass ich schon einmal mit ihr zu tun hatte. Wiewohl wir eher selten als Leibwächter tätig sind und häufiger der ausführende Arm der Kirche.” Er musterte den Junker eingehend. “Altenwein …”, wiederholte der Bannstrahler noch einmal, “... das sagt mir jetzt nichts. Wo genau befindet sich Euer Land?”

“Es liegt in der Baronie Schwertleihe. Meine Schwester war bis vor kurzem noch im Haus der Sonne zu Gratenfels. Derzeit verweilt sie der Rabenmark, das Licht des Herrn dort zu verbreiten.”

“Rabenmark … hmm …”, Linnart kratzte sich das Kinn, “... ich diente einst in der Sonnenmark. Die verderbten Lande können die Präsenz einer Dienerin des Gleißenden bestimmt gut gebrauchen.” Das noch junge Gespräch half dem Ritter seine Gedanken etwas zu lüften. “Ihr habt bestimmt schon die Direktheit Sinas kennen gelernt. Nun, ich möchte dem um nichts nachstehen und werde Euch ebenso begegnen. Die hohe Dame Artigas hat mich darum gebeten jene Männer zu begutachten, die ihr gefallen. Ihr könnte Euch also einerseits darüber freuen, dass Ihr offenbar ihre Gunst erworben habt, aber andererseits hoffe ich auch, dass Euch diese Unterhaltung nun nicht unangenehm geworden ist?”

“Sind wir nicht ständig Prüfungen unterworfen und blickt nicht auch jetzt der Herr auf uns hinab? Was wollt Ihr wissen?”

Er hob seine Hände in einer beschwichtigenden Geste. “Oh nein … das sollte keine Prüfung werden. Ich bin ja nicht Sinas Vater …”, er lächelte, “... ich bin nur das, was man hier am Ehesten als ´Familie´ für sie bezeichnen kann, auch wenn wir uns selbst erst heute kennengelernt haben. Ihre Schwester wird sozusagen meine Tante …” Linnarts Blick löste sich für einige Herzschläge vom Altenweiner und lag dann auf der Hofdame. “Auch liegt die Entscheidung natürlich bei Sina selbst und ich habe ihr versprochen sie lediglich zu beraten. Aber ich bin ehrlich mit Euch. Ich durfte Euch ja schon zuvor kurz kennen lernen. Ihr habt nicht gezögert der Lichtbringerin Praiona zur Hilfe zu kommen und Euch in meiner Gegenwart stets vorbildlich verhalten. Ich wüsste also nicht was gegen Euch sprechen sollte.”

Sina lächelte Linnart zum ersten Mal ehrlich dankbar an. Sie nickte beiden Männern zu und ging zum Neffen ihres Schwagers. “Das wird alles irgendwie. Wenn ich Verema besuche, dann schaut alles schon ganz anders aus.” Sie lehnte kurz ihren Kopf an seine Brust, streckte sich dann und gab ihm einen Kuss auf die Backe. “Machs gut, du Depp.” Lächelnd ging sie zu Aureus, der brav gewartet hatte und führte ihn bei der Hand mit sich. “Komm, du hast genug Zeit rumgesessen, ich zeige dir was.”

“Möge der Herr Euren Weg erleuchten”, verabschiedete sich der Junker und lächelte ihm freundlich zu.

Mit einer knappen Geste grüßte Linnart die beiden, dann setzte er sich wieder zu seinem Wein. Schon bald überkamen ihn wieder grüblerische Gedanken und er zweifelte nun erstmals daran ob es denn eine gute Idee war hier alleine zu sitzen und zu trinken. Es sollte nicht lange dauern, da nahm er sich ein Herz, füllte seinen Kelch mit Wein und schritt wieder hinaus auf die Festwiese. Dabei hoffte er Andesine nicht über den Weg zu laufen.


Während Sina den Altenweiner über die Wiese führte fragte dieser:”Wohin soll's denn gehen? Immer noch zum Küchenzelt?”

„Aber nicht doch ... komm einfach mit.“ Kurz ärgerte sie sich noch über ihren Verwandten. Mit etwas Glück würde sie dessen Hochzeit entgehen. Aureus war immer noch unbedarft, als sie ihn zu dem großen, hübschen Lilienfeld führte. Halb zog sie ihn, halb sank er hin, als sie sich auf einem Flecken zwischen den Blumen niederließen und sie ihm einen Kuss gab.

Angenehm überrascht erwiderte er ihren Kuss und fügte sanft eine leidenschaftliche Komponente hinzu. Seine Zungenspitze umspielte ihre Lippen, bis sie sich öffneten. Mit der einen Hand hielt er ihren Kopf und mit der anderen streichelte er ihren Arm, glitt hinab zum Handgelenk und legte seine Hand in ihre, die Finger ineinander geschlungen.

Die Beiden bemerkten kaum die kräftige Praiosgeweihte die dem Kiesweg folgte und kurz inne hielt, um den beiden Verliebten beim Austausch von Zärtlichkeiten zu zu schauen. Praiona seufze kurz. Traurig lief sie weiter und ließ ihren ´Prinzen´ hinter sich.

Aureus verharrte kurz, als er das Knirschen im Kies vernahm. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Als sich die Schritte wieder entfernten, spürte er ein weitaus größeres Verlangen als zuvor schon. Er streckte Sinas Arm über ihren Kopf und glitt dann mit seinen Fingern an ihrer Seite hinab, vom Handgelenk über den Arm, an der Brust entlang, weiter zur Hüfte und hinunter bis zum Knie. Dann fing er an ihr Kleid vorsichtig hochzuziehen. Als er den Saum spürte, glitt er ein Stück hinab und ließ seine Hand an der Innenseite ihres Beines wieder nach oben wandern.

Später…. Lagen sie mit ihren Kleidungsstücken bedeckt zwischen den Blumen. Es mochte bequemere Orte geben, aber es war gut so. Alles war gut, so wie es jetzt war. Sina stupste Aurus, der recht verträumt in den Himmel sah, an. “Aureus...Lass uns wieder was anziehen und dann, ja, wie geht es denn jetzt weiter ?” Er war so lieb, wie üblich hatte es gedauert, bis man sie in Erwägung zug. Aber auch das war nun egal.

“Ich glaube, Du hattest Hunger...also auf Essen”, grinste er frech. “Und vielleicht noch etwas Wein? Wir könnten uns einen Korb organisieren und uns hier irgendwo ins Gras setzen um den Sonnenuntergang zu bewundern. Wie wäre das?”

Sie sah ernst das Feld der Blumen an, aber die Götter würden es fügen. Irgendwie. “Es steht also nichts offizielles an? Ja dann, dann lass uns hier bleiben. Mit dem Korb, dem Essen und einer Decke.” Sie sah Aureus voller Wärme an und strich ihm durch das Haar. “Sollte ich nun auch Praios danken? Ich werde es tun, aber ich muss überlegen…” Sie stand etwas unsicher auf und hielt ihm die Hand entgegen. “Komm, das machen wir gemeinsam. Es gibt noch so viel, was wir nicht wissen.”

“Ehrlich gesagt, habe ich vergessen, ob noch etwas Offizielles ansteht, aber man wird uns schon rechtzeitig Bescheid geben. Und wir sollten allen Göttern danken, die an diesem Fest beteiligt waren”, lächelte er, während er sich erhob.

Sie hakte sich bei ihm unter, ja, man musste bei ihm noch etwas Forscher die Sache angehen. So schlenderten sie umher. „Und wenn es etwas Offizielles gibt, nehmen wir natürlich daran teil.wir haben Zeit, so die Götter es wollen.“ Sina biss sich auf die Unterlippe. „Was hältst du davon, wenn ich in Elenvina ein schönes Stück Bernstein besorge, ich lasse es segnen und in deinem Dorf soll ein Steinmetz eine Stele errichten, ich werde sie noch skizzieren. Für mehr wird das Geld nicht reichen, aber die Menschen hätten einen gesegneten Ort.“ Sie blieb stehen und drehte Aureus zu ihr. „Oder ist das nix? Zu einfallslos? Ich könnte Linnart fragen , so kommt er auf andere Gedanken. Aber um ehrlich zu sein hab ich gerade wenig Lust, ihn zu sehen.“

“Das würdest Du tun? Du kennst doch meine Schutzbefohlenen gar nicht. Das ist eine großzügige Geste und hervorragende Idee. Ich könnte Dich küssen, ach was, ich werde Dich küssen.” Und das tat er wild und innig. Dann sah er ihr tief in die Augen:”Sina, ich...ich”, er holte tief Luft und sank auf ein Knie:”Sina, aus dem Hause Artigas, möchtest Du den Traviabund mit mir eingehen?” Erwartungsvoll blickte er zu ihr hoch, die Sonne schien auf sie herab, eine leichte Brise strich über beide hinweg und der betörende Duft der Lilien umfing beide, wie ein samtenes Tuch. In der Ferne schnatterte eine Gans.

Sina strahlte Aureus an. “Darauf habe ich doch gewartet, du Depp. Jetzt lass uns schauen, was noch los ist, dann haben wir noch so viel zu bereden…” Die Zukunft im neuen Heim, die Hochzeit, die Katzen.. Und viel Harmonie. Und über den unromantischen Teil: den Ehevertrag.

Der Junker erhob sich und küsste sie. Dann nahm er ihre Hand und führte sie zurück zur Festwiese. Unterwegs hielt er Ausschau nach Vater Winrich. “Wieviel Familie hast Du eigentlich?”,wollte er wissen.

“Hatte ich das noch nicht gesagt?” Wohl nicht, oder er hatte, wie so viele Männer, seine Gedanken anderswo gehabt. So erwiderte sie knapp: “Ich habe einen Bruder, der mit unserem Barvermögen abgehauen ist und enterbt wurde. Eine Schwester, Verema Artigas. Sie wird Linnarts Onkel heiraten und ist Junkerin von Likan in Cres, außerdem Zuchtmeisterin in Elenvina. Und wie sieht es bei dir aus?"

“Oh! Ich dachte, da wären noch mehr. Nun, meine Mutter lebt noch. Sie wohnt jetzt bei meinem Cousin und ehemaligem Schwertvater, da ihre Schwester inzwischen verstorben ist. Und dann habe ich noch eine ältere Schwester, sie ist Praiosgeweihte in der Rabenmark. Ob und wo mein Vater noch lebt, weiß ich nicht. Auch nicht, ob er weitere Kinder gezeugt hat. Mmmmm. Wenn Deine Schwester keine Kinder hat, dann müssen wir unbedingt klären zu welchem Haus unsere Kinder dann zählen werden und wer was erbt. Es sei denn das Haus vom Traurigen Stein hat das bei Deiner Schwester schon getan. Schade, ich hatte gehofft, dass alle meine Nachkommen Altenweiner werden.”

Sie klopfte sich mit der Hand an die Stirn. ”Ach, das hatte ich doch gesagt, oder? Verema hat zwei Kinder. Dein Name wird also weiter bestehen. Sie sind von einem anderen Mann, aber der Linnartsteiner wird sie adoptieren, meinte meine Schwester.”

Aureus freute sich über diese Worte. “Dann ist ja alles geregelt, oder nicht?” Er schlenderte mit ihr Hand in Hand durch den Park und dachte schon darüber nach, welche Überraschung er ihr zur Hochzeit bereiten könnte.

***

Das Küchenzelt war immer noch voll im Gange, hatte aber eine Tafel ausgestellt mit kleinen Köstlichkeite und Getränke. Als Servusian den suchenden Blick der Baroness Keyserring sah, nährter er sich ihr schnell. “Euer Wohlgeboren, schön euch so schnell wiederzusehen. Wie kann ich euch helfen?” fragte er mit einem angenehmen Lächeln.

“Ich hätte gerne einen Krug Wasser.” sagte sie immer noch erregt und mit leuchtend roten Wangen. “Und - vielleicht könnt ihr mir einen Ort im Garten anempfehlen, wo man ein wenig Ruhe finden kann. Ich… brauche einen Moment für mich.”

Der gut-riechende, junge Mann ergriff einen Kelch und füllte ihn mit Wasser. Dann kam er um den Tisch herum. “Ich verstehe. Ich werde euch an den schönsten Ort im Park bringen. Wenn ihr mir bitte folgen würdet, Baroness von Keyserring?” Mit würdevollen Abstand stellte er sich neben sie.

Sie nickte und folgte dem jungen Mann, der mit ihrem Kelch in der Hand in Richtung des Gartens lief.

***

Rondradin, der gerade die Vögtin zurückgebracht hatte, hörte wie sich mehrere Personen näherten und als er sich umsah, erkannte er mit Erstaunen seine Schwester in Begleitung des Mersingers und seiner Pagin. Er entschuldigte sich für den Moment von den Anwesenden und ging ihnen ein paar Schritte entgegen. “Wollte ihr zu mir?” Andesine nickte. “Dies sind seine Wohlgeboren Lares von Mersingen und seine Pagin Basilissa von Keyserring. Ich hatte ihnen versprochen dich ihnen vorzustellen.” Andesine trat näher an ihren Bruder heran und flüsterte: “Zumal die junge Dame mit dir als Seelenheilkundigen sprechen will.” Überrascht musterte er Basilissa. “Es ist mir eine Freude deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Rondradin Wasir al’kam’Wahti von Wasserthal zu Wolfstrutz.” Damit verbeugte er galant vor der Pagin. Auch ihren Schwertvater grüßte er. Sie waren sich an diesem Tage schon mehrmals über den Weg gelaufen. “So sieht man sich wieder. Wie es scheint, haben sich die Wege von Euch und meiner Schwester tatsächlich gekreuzt.” Ihm war nicht entgangen, wie schlecht seine Schwester gerade aussah und dass sie nach Schnaps roch. Allerdings war dies weder Zeit noch Ort für ein Gespräch darüber. Außerdem schien sie sich soweit im Griff zu haben.

“Es ist mir eine Freude. Ich hoffe, Ihr konntet den Tag bisher genießen. Meine Pagin wollte Euch sprechen - und zwar ohne mich, was ich ihr gerne erlauben möchte.” Dann wandte sich Lares plötzlich an Andesine. Er griff sie vorsichtig aber bestimmt am Oberarm. “Dies ist gerade äußerst passend, nachdem wir beide ebenso einige wichtige Worte zu wechseln haben.” Der Blick des Mersingers war ernst, aber freundschaftlich.

“Wie Ihr wünscht.” meinte Rondradin freundlich und wandte sich dann Basilissa zu. “Nun, du möchtest mit mir sprechen? Lass uns da in den Schatten gehen. Dort können wir ungestört reden.” Er deutete auf das nun wieder verlassene Sonnensegel.

Das Mädchen wandte sich noch einmal zu Lares und Andesine um, als sich diese entfernen wollten. “Es ist doch so wie ihr es sagtet. Dass man, wenn man einen Fehler gemacht hat und ihn zugibt, die Möglichkeit bekommen kann ihn wieder gutzumachen?” Ihre Stimme klang wieder zweifelnd. “Ihr… würdet es doch beide auch so machen, oder? Jemanden eine neue Möglichkeit geben, wenn er einen Fehler gemacht hat?”

“Ja”, nickte der Mersinger.

Diese einfache Frage war gar nicht so leicht zu beantworten. Früher am Tag hätte sie Basilissa sofort zugestimmt, doch nun… Könnte sie Li… nein, diesen Namen wollte sie nicht aussprechen, geschweige denn denken. Trotzdem, nickte sie Basilissa zu, alles andere hätte das Kind nur verschreckt.

Die Pagin sah den beiden Erwachsenen hinterher und blickte dann betreten zu Boden. Der große trainierte Mann war ihr ein wenig unheimlich. Plötzlich wusste sie nichts zu sagen.

Rondradin setzte ein sanftes, wärmendes Lächeln auf und sah Basillissa geduldig an. Von ihm ging eine Aura der Ruhe und Geborgenheit aus. “Also Basilissa, was kann ich für dich tun? Egal was du mir erzählen willst, es bleibt unter uns.”

“Eure Schwester meinte, ich solle mit euch reden, weil ich… schlecht träume.” begann sie langsam. Sie wollte erstmal abwarten, wie er reagieren würde. “Und ihr würdet euch damit auskennen?”

Der Geweihte nickte langsam. Ein sanftmütiges Lächeln umspielte seine Lippen. “Du wirst also von Albträumen heimgesucht? Ich denke schon, dass ich dir helfen kann. Alles was ich über die Heilkunde der Seele weiß, habe ich bei den Noioniten erlernt.” Aufmunternd sah Rondradin die kleine Lissa an. “Möchtest du mir von deinen Träumen erzählen?”

Sie nickte zögerlich. “Es hat nach der Hochzeit meiner SChwester angefangen. Seitdem träume ich von Regibald. Er… er sagt mir in meinen Träumen, dass… ich es nicht verdiene… Ritterin zu werden.” Sie hatte es nun schon zum zweiten Mal am heutigen Tag ausgesprochen. Seinen Namen. Tränen traten ihr in die Augen und obwohl sie sich darum bemühte, schaffte sie es nicht, diese wegzublinzeln, sie liefen einfach aus den großen, dunklen Kinderaugen. Leise unter schluchzendem Glucksen hauchte sie: “Weil ich… Schuld bin. Dass er tot ist.” Sie rieb die Tränen aus ihren Augen, was ihr leidlich gelang und hickste weinend vor sich hin.


“Pscht, es ist gut, mein Kind. Lass die Tränen ruhig fließen.” Mitfühlend hatte Rondradin ihr den Arm um die Schultern gelegt. Seine Stimme hatte einen tiefen beruhigenden Ton angenommen. “Wer war denn dieser Regibald und wieso meinst du Schuld an seinem Tod zu haben?” Gespräche wie dieses hatte er schon geführt, aber meist mit Soldaten die Untergebene verloren hatten und noch nie mit einem Kind.

“Er war mein Zwillingsbruder. Wir hatten zum Geburtstag Ponies bekommen. Und als wir reiten gelernt hatten, wollten wir… wollte ich so gerne mal nachts in den Wald reiten. Ich… Er wollte nicht…. Aber… ich habe ihn.. Er ist nur mir zuliebe mitgekommen... “ Sie schniefte immer noch und ihre Worte kamen abgehackt und verwaschen aus ihrem Mündchen. “Es war dunkel… und gruselig. Und Regi ist… Sein Pferd ist durchgegangen und….dann ist er heruntergefallen. Und hat sich nicht bewegt. Ich konnte ihn nicht auf mein Pferd heben. Und er … war so schwer. Also bin ich heimgeritten, Hilfe holen. Aber … weil es so dunkel war, haben sie ihn nicht so schnell finden können. Und….sie haben gesagt…. Es sei zu spät gewesen.” Regi hatte recht. Sie waren nur wegen ihr im Wald gewesen. Und er war nun tot. Er und Tsalinde. “Vater war so wütend. So wütend. Und er hat Tsalinde die Schuld gegeben. Und .. er hat sie in den Kerker geworfen… doch sie ist dort gestorben...noch vor der Verhandlung… Dabei war es doch gar nicht ihre Schuld. Wir hatten uns doch weggeschlichen als sie geschlafen hat. Und Regi ist nur wegen mir mitgekommen. Also sind beide tot und es ist nur meine Schuld.” Sie schluchzte weiter. Sie hatte all das Vergessen. Bis diese grauenhafte Hochzeit stattgefunden hatte. Seitdem erschien Regi in ihren Träumen.

Still hatte Rondradin zugehört als Basilissa die schreckliche Geschichte ein zweites Mal an diesem Tag wiedergab. Auch nachdem sie geendet hatte, richtete er nicht sofort das Wort an sie, sondern hielt sie weiter in seinem Arm und streichelte über ihren Kopf, während sie weinte. Als die Tränen langsam versiegten richtete er das Wort an die kleine Pagin. “Und nun sucht dich dein Bruder in deinen Träumen heim und sagt, dass du kein Ritter sein darfst.” Aus den Tiefen seiner Robenärmel zog er Tüchlein hervor, welches er ihr darbot. “Es wird dich vielleicht überraschen, aber Gespräche wie dieses habe ich schon öfter geführt. Zugegeben, du bist die Jüngste, die mir eine solche Geschichte erzählte.” Sanftmütig sah Rondradin die Pagin an. “Aber bevor ich anfange, hätte ich noch zwei Fragen an dich. Hast du deinen Bruder oder Tsalinde mit deinen eigenen Händen getötet? Hast du ihnen den Tod gewünscht?”

Sie schüttelte den Kopf, während sie sich die Tränen abwusch.

“Gut. Jetzt sieh mich mal an.” Rondradin suchte Lissas Blick. “Du bist nicht schuld am Tod deines Bruders und auch nicht an dem Tsalindes. Ja, du bist mit ihm des Nachts ausgeritten, doch warst nicht du es, die dafür sorgte, dass er abgeworfen wurde. Und auch Tsalinde hast du nicht in den Kerker geworfen.” Behutsam griff er die kleinen Händchen und hielt sie in seinen großen, rauen Händen geborgen. “Basilissa von Keyserring, ich sehe in dir einen guten Menschen. Wenn das nicht so wäre, würdest du jetzt nicht neben mir sitzen und über dein Leiden sprechen. Lass dir gesagt sein, die Träume kommen nicht von deinem Bruder, sondern von dir selbst, weil du Schuldgefühle wegen der Ereignisse damals hast und dir selbst nicht verzeihen kannst. Es ist wichtig, dass du dir selbst verzeihst. Denn nur dann kann die Wunde hier,” dabei deutete er auf ihr Herz, “richtig verheilen. Verzeihen heißt aber nicht, dass du vergessen sollst. Die Erinnerung daran wirst du dein ganzes Leben mit dir tragen, aber es liegt an dir was du daraus machst. Es wird eine Narbe auf deiner Seele sein und mit der Zeit werden weitere hinzukommen. Jeder trägt solche Narben mit sich herum, auch ich habe welche.”

“Aber….” setzte sie an, senkte dann aber beschämt den Blick, immerhin sprach sie mit einem Geweihten. “Wäre ich nicht gewesen, wäre er im Bett geblieben. Und noch am Leben. Bin ich dann nicht Schuld? Ohne mein Zutun….” Die Kindertränen kullerten weiter die Wangen hinab.
“Ohne den nächtlichen Ritt wäre er vielleicht nicht in dieser Nacht gestorben sondern erst am nächsten Tag, bei einem Ausritt oder beim Schwimmen. Die Götter haben deinen Bruder zu sich gerufen und nun sitzt er dort bei ihnen und wacht über dich. Glaubst du denn, dass er glücklich wäre, wenn er sieht wie du dich selbst quälst? War er ein solcher Mensch? Ich glaube nicht. Ich glaube, er hat dich geliebt und er wäre traurig, dich jetzt so zu sehen.” Rondradin fasste sanft unter ihr Kinn und hob es ein wenig, damit er ihr in die Augen sehen konnte. “Seinen Tod kannst du nicht rückgängig machen, egal wie oft du es in Gedanken durchgehst. Dir bleibt nur eins: Lebe dein Leben, erfülle dir deine Träume und werde Ritterin. Später dann, wenn ihr euch in vielen Götterläufen wiedersehen werdet, kannst du ihm dann berichten, was du erlebt hast und auch er wird dir Geschichten zu erzählen haben. Er wird dir deswegen nicht böse sein, sondern sich für dich freuen.”

Langsam begannen die Tränen zu versiegen. Das kleine Kinn wippt in Richtung Brust. “Ich erinnere mich gar nicht mehr so gut an ihn. Ich weiss noch wie er gerochen hat, wenn er nachts in mein Bett gekrochen ist. Und dass ich ihn lieb hatte. Glaubt ihr ich werde ihn im göttlichen Paradies erkennen- vielleicht- habe ich ihn bis dahin vergessen?” Sie sah ihn mit ihren großen, dunklen, tränenverhangenen Augen an: “Aber wenn ich als Ritterin in Rondras Hallen einkehre, um auf die Schlacht am Ende aller Zeit zu warten, kann ich ihn dann trotzdem wiedersehen? Tsalinde sagte mir, er wird wie alle toten Kinder nach dem Tod hinter den Regenbogen ins Reich TSAs gelangen. Und dass er dort mit vielen Kindern spielen kann, den ganzen Tag.. Und dass es dort keine Regeln gibt. Das… hätte ihm sicher gut gefallen…” Sie seufzte leise: “Aber, dann sehe ich ihn niemals wieder, oder? Wenn wir nicht im selben Paradies sein werden? Oder sind die Paradiese verbunden, so dass man sich besuchen kann?” Sie dachte einen Moment nach und fügte leise an: “Ich glaube Tsalinde ist auch hinter den Regenbogen gegangen. Dann ist er dort wenigstens nicht einsam.”

“Ich glaube fest daran, dass es diese Möglichkeit gibt, denn die Zwölfe sind nicht grausam.” Er schmunzelte. “Außerdem hast du nicht eben selbst gesagt, dass die Herrin Tsa keine Regeln aufstellt? Sie wird es sicherlich möglich machen.” Rondradin lächelte sie aufmunternd an. “Mach dir keine Sorgen, ob du ihn erkennen wirst, dein Herz wird dir den Weg zu ihm zeigen und wer weiß, vielleicht wirst du auch Tsalinde wiedersehen. Aber du musst dein Leben leben und es nicht leichtfertig fortwerfen. Hast du verstanden?”

Die Kleine nickte. Sie hatte es Andesine nicht geglaubt, aber ihr Bruder war wirklich fähig zu heilen. Sie fühlte sich schon nicht mehr so traurig. “Das will ich nicht tun.”

Eine Augenbraue des Geweihten wanderte nach oben. “Was willst du nicht tun?” Fragte er ruhig nach.

“Ähm… mein Leben leichtfertig fortwerfen… so wie ihr sagtet” antwortete das Kind irritiert.

“Aber natürlich, bitte verzeih, der Tag war lang.” Er lächelte entschuldigend, dann besah sich der Geweihte zufrieden die kleine Gestalt vor sich. “Ich denke, du bist auf dem richtigen Weg.” Rondradin streichelte mit sanfter Hand über ihren Kopf.

“Hm” machte die kleine Pagin des Mersingers. Sie fühlte sich gut. Aber das tat sie meistens. Nur Nachts… kamen die Träume. “Was mache ich, wenn er wieder in meinem Traum zu mir kommt?”, fragte sie leise.

“Dann sag ihm, dass du für ihn eine Ritterin werden willst, damit er stolz auf dich sein kann. Wichtig ist, dass du an dich selbst glaubst und dir selbst vergibst. Und wenn du dann doch an ihn denkst, dann versuche an den schönen Erinnerungen festzuhalten.” Der Geweihte beugte sich etwas herunter um Basilissa besser in die Augen schauen zu können. “Basilissa du bist stark und hast Mut, dir wird es gelingen deinen Bruder zu besänftigen. Und falls du trotzdem noch irgendwelche Probleme hast, dann schick mir eine Nachricht nach Wolfstrutz und ich werde zu dir kommen und dir beistehen.”

Sie überlegte kurz und nickte. “Danke.”

Rondradin wollte noch etwas sagen, wurde aber dann vom Klatschen des Elterntischs abgelenkt. Scheinbar hatte gerade jemand erfolgreich um die Hand einer Dame angehalten. Moment, war das nicht Linnart vom Traurigen Stein und Durinja von Altenberg? War Andesine deshalb in so schlechter Verfassung? Er sah sich um, konnte sie aber nicht sehen. Stattdessen sah er aber wie Ademar von Leihenhof direkt auf sie zuhielt. Was er wohl von ihm wollte? “Mir scheint, seine Ehrwürden von Leihenhof will ein paar Worte mit mir wechseln. Warum nutzt du nicht die Zeit um dir die Tränen aus dem Gesicht zu waschen. In dem Krug da ist frisches Wasser, welches du dafür verwenden kannst und hier hast du noch ein Tuch von mir. Ich rede kurz mit seiner Ehrwürden, dann bringe ich dich zurück zu deinem Schwertvater.”


***

Andesine nickte und folgte Lares. Hoffentlich wollte er nicht über Linnart sprechen, sondern über Luzia. Das wäre für sie das wahrhaft angenehmere Gesprächsthema, bei dem sie sich vielleicht sogar gut fühlen würde. Am Rande des Parks stand eine Bank auf der sie sich niederließ und von der man auch das Sonnensegel erkennen konnte, wohin Lissa und Rondradin gerade gingen. Sie machte eine einladende Geste zu Lares.

Lares nahm neben ihr Platz, warf den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel, dessen intensives Blau nur von vereinzelten Wolken verhangen war. “Irgendwie ist das komisch”, lachte der Mersinger schief. “Eigentlich sollte ich mit der Baroness von Keyserring hier so sitzen und in den Himmel starren, oder nicht? Hast du mir jedenfalls geraten. Das war ein richtig guter Rat. Ich...bin eifersüchtig geworden. Eine Seite von mir, die ich nicht kenne. Aber stattdessen sitzen wir zwei wieder hier. Ja, das ist schon komisch.”

Die Ritterin sah Lares schief an. Auf was genau wollte er hinaus? “Lares, sowas kommt vor und es bedeutet doch auch, dass du wirklich was für sie empfindest. Nur darfst du dich nicht davon beherrschen lassen.” Andesine merkte wie der Alkohol langsam begann seine Wirkung zu entfalten. Sie war zwar durchaus trinkfest, aber das Viertel einer Flasche Schnaps in einem Zug forderte selbst bei ihr seinen Tribut. Das erste Anzeichen war, dass ihre Zunge schwerer wurde. Sie lehnte sich an die Rückenlehne der Bank und schloss die Augen. “Ich finde es schön, neben einem Freund sitzen zu können.” Meinte sie noch.

Plötzlich streichelte ihr etwas über den Handrücken. Kurz, aber fast zärtlich. Als sie ihre Augen öffnete erkannte sie eine kleine, schmale Eidechse, deren Haut im Sonnenschein in den Farben des Regenbogen schillerte. Es war deren langer Schwanz, der ihre Hand berührt hatte.

Augenblicklich zog Andesine ihre Hand zurück, nur die anerzogene Zurückhaltung gegenüber Geschöpfen, welche den Götter heilig waren, hinderte sie daran dem Tier einen Schlag zu verpassen. “Was soll das denn? Eidechsen? Hier? Verschwinde!”

Lares griff behände nach der Echse und versuchte sie am Schwanz zu packen. Doch auch bei ihm zeigte der Schnaps Wirkung, auch wenn er bei weitem weniger getrunken hatte als die hohe Dame. Deshalb verpasste er das Schwanzende um Haaresbreite. Er schnaubte, doch mehr, weil sich ein kehliges Lachen ankündigte. “Ein lustiges Tier. Hat sich sicherlich nicht ohne Grund zu dir verirrt. Magst du keine Eidechsen?”

Sie schüttelte den Kopf. Ein Fehler, wie sie sofort feststellen musste. “Ich mag gar keine Geschuppten.” Tatsächlich waren ihr diese Wesen unheimlich.

“Ob dich das Tier auch noch ärgern wollte? Wie geht es deinem Kopf?”

“Schnelle Kopfbewegungen sollte ich vermeiden, wie ich gerade bemerkt habe.” Wieder schlossen sich ihre Augen. “Langsam macht sich der Becher von vorhin bemerkbar.” Ein Auge öffnete sich zu einem Schlitz und betrachtete Lares. “Du wolltest doch gerade auf irgendwas raus, bevor wir unterbrochen wurden.”

“Ich wollte darauf hinaus, dass es es nicht wert ist, deinen hübschen Kopf kaputtzusaufen. Das war ne ganze Ecke, die du da vernichtet hast, nicht wahr?”

“Lares, du weißt wirklich was eine Frau hören möchte.” Ein leises Kichern stieg in ihrer Kehle auf. “Der Alkohol betäubt den Schmerz, das ist alles. Außerdem habe ich kein großes Verlangen weiter an dieser Brautschau teilzunehmen.” Sie öffnete beiden Augen und sah Lares direkt an. “Wie soll ich jetzt noch jemandem vertrauen können?”

“Warum vertraust du mir?”, antwortete Lares mit einer offenen Gegenfrage. “Weil wir Freunde sind? Was ist, wenn ich dir jetzt das Ohr abkaue mit Sätzen, die eine Frau hören möchte? Was ist, wenn ich dich einlullen möchte, um dich dann zu verführen?”

“Weil du mir beigesprungen bist, wo alle anderen einfach weggesehen haben. Außerdem habe ich dich mit deiner Pagin gesehen und habe eine gute Ahnung davon, was sie von dir hält.” Andesine lächelte Lares an. “Du bist die Ausnahme von den Männern hier.”

“Ich glaube, deine Lorbeeren habe ich nicht verdient.” Er lächelte zurück und hoffte, dass sie ihn für die nächsten Worte nicht auf den Scheiterhaufen wünschen würde. “Er ist ein Trottel. Ein unsagbarer Idiot.”

Ihr Miene verdüsterte sich wieder. “Lass gut sein. Ich will nicht über ihn reden oder auch nur an ihn denken.”

“Weiß ich. Deswegen habe ich ja gesagt, ich hab deine Lorbeeren nicht verdient.” Lares seufzte. Er wollte ihr nicht noch mehr weh tun, aber manchmal muss man durch. “Ich hab dem Trottel den Kopf gewaschen und zwar ordentlich. Er hat es einfach über sich ergehen lassen. Hat sich nicht gerührt, hat sich nicht beschwert, nicht gejammert. Er war einfach nur traurig. Er hat gesagt, er wäre unverbesserlich, hätte niemals irgendeine Frau verdient und noch vieles mehr. Er hat gesagt, er ist ein Mann voller Fehler.”

Ihre Augen blitzten gefährlich und sie stemmte sich von der Bank hoch. “Lares, ich mag dich sehr, aber lass es nun gut sein. Ich möchte heute nichts mehr von ihm sehen, hören oder sonstwie an ihn erinnert werden.”

Der Mersinger fürchtete ihren selbstzerstörerischen Zorn nicht. “Er hat gesagt, er will nur, dass du glücklich wirst und hat dafür gebetet.” Er blieb auf der Bank sitzen, sah nach oben und stählte sich für das, was auf ihn zukam. Nur weglaufen würde er sie nicht lassen.

“Ach da ist sie ja!”, kam Amiel von Altenberg zu den Beiden. Der Mann war an die 185 Halbfinger groß, hatte kräftige Schultern und wirkte wie ein Lebemann. Er trug sein dunkelbraunes und gewelltes Haar schulterlang, hatte einen gepflegten Bart, sinnliche, volle Lippen und seine sanften grünen Augen strahlten Ruhe aus. Am Leib trug er eine bestickte, grüne Tunika, der es nicht gelang, sein Schmerbäuchlein zu verbergen. Um den Hals trug er ein Amulett in Form einer Eidechse, die in allen Farben des Regenbogen schimmerte. Er strahlte über beide Ohren und deutete auf die Eidechse neben Andesine.

“Das ist Euer Tier?” wandte sich die noch immer finster dreinblickende Andesine an den Neuankömmling. Sein Name schwamm irgendwo in ihrem vom Alkohol vernebelten Verstand und war nicht greifbar. Sie erinnerte sich nur daran, dass er der Familie Altenberg angehörte. Mit einiger Mühe unterdrückte Andesine den Drang ihn anzufahren, was ihm einfiel ihr Gespräch zu stören.

“Nehmt bitte das Tier und lasst uns allein”, setzte der Mersinger hinzu. “Bitte.”

“Dieses ´Tier´ meine Liebe, ist das liebste Tier der jungen Göttin Tsa. Und wie es scheint hat Tsala gemerkt, dass ihr ein wenig Lebensfreude gebrauchen könnt.” Anstatt die schlechte Laune der Beiden anzunehmen, antwortet er nur mit einem Lächeln. Vorsichtig griff er nach der Echse, die aber geschwind über Lares Arm auf dessen Schulter flitzte.

Andesine sah von dem Altenberger zu Lares und so etwas wie eine Entschuldigung war in ihrem Blick erkennbar. “Ich ziehe mich zurück. Ich wünsche den Herrn noch einen schönen Tag.” Damit drehte sie sich um ging schnellen Schrittes in Richtung des Ausgangs davon. Sie hatte für heute genug. Lares war ein lieber Mensch, aber in seinem Drang helfen zu wollen, stand er den Geweihten in nichts nach und sowas konnte sie gerade überhaupt nicht gebrauchen, vor allem wenn sie dabei ständig an IHN erinnert wurde.

Lares sprang auf und spurtete ihr mit der Eidechse auf der Schulter hinterher. Er griff nach ihrem fliegenden Arm und versuchte, sie daran festzuhalten.

Diese Reaktion überraschte Amiel und bevor er Tsala erreichen konnte, sprang Lares auch schon hinfort. Amüsiert und sprachlos wartete er ab.

Die Ritterin hatte gar nicht die Absicht sich aufhalten zu lassen. “Lares, lass mich los!” Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien und lief einfach weiter. Auch auf die Gefahr hin, dass der Stoff ihres Kleids nachgeben würde, ließ sie nicht innehalten.

“Oh”, brachte Amiel hervor und ließ seine Hand vor den Mund wandern. ´ Tsa, wo hast du mich nur hinein poltern lassen´, waren seine Gedanken.

Bevor der Stoff des schönen Kleides riss ließ der Mersinger los und blieb stehen. “Andesine bitte lauf nicht davon”, rief er ihr nach. Er bezweifelte, dass das helfen würde.

“Dann hör auf über ihn zu sprechen! Wenn ich nie wieder mit ihm zu tun hätte, wäre das noch zu früh! Verstehst du?” Nun trat doch das ein, was sie bisher mit aller Macht verhindert wollte und Tränen rannen ihre Wangen hinab.

Lares trat nah an Andesine heran und legte ihr vorsichtig eine Hand auf den Arm, den er zuvor gepackt hatte. So direkt gegenüber wurde der Mersinger von der Wasserthalerin überragt. “Ist in Ordnung. Wir reden jetzt nicht mehr von ihm.” Dann legte er seinen zweiten Arm auf ihren anderen. Noch war es keine Umarmung, jedoch bot er ihr alle Freiheit, sich ihm an den Hals zu werfen, wenn sie das musste. “Ich will nicht, dass du weinen musst.”

Sie schlang ihre Arme um ihn und zog ihn zu sich heran, während sie zu schluchzen begann. “Dafür ist es zu spät.” kam es dumpf von Lares Schulter, wo ihr Kopf lag. Die körperliche Nähe tat ihr gut, nicht in einem rahjanischen Sinne, aber sie fühlte sich in seinen Armen geborgen. Mehr wollte sie gerade nicht, mehr brauchte sie auch gar nicht.

Der Mersinger strich ihr zärtlich über den Rücken und versuchte sie zu beruhigen, so gut es ging. Die Tränen rannen auf seine Schulter und durchnässten sein Wams. Das war ihm völlig egal. Jeder außenstehende sollte sich seinen Teil denken, dachte er bei sich. Sein Ruf was Frauengeschichten anging war ja eh schon ruiniert - und das völlig unverdient. Deswegen schwieg er und ließ sie an sich gedrückt weinen. Dabei roch er den Lavendel in ihren Haaren. Eigentlich war er ja schon schön blöde. Er spielte hier den Helden für einen Nichtsnutz und ließ sich die Prinzessin entgehen. Aber er spürte in dem Moment kein Verlangen, sondern wollte nur, dass es ihr gut ging. Und, dass Luzia sie so nicht sah, sonst würde ihm dasselbe Schicksal blühen wie Linnart.

Langsam beruhigte sich die Wasserthalerin in Lares Armen. Sie hob den Kopf und sah ihn mit verquollenen Augen an. “Danke Lares, du bist mir ein wahrer Freund. Aber jetzt habe ich dein Wams ruiniert.” Betroffen schaute sie auf die durchnässten Stellen auf seinem Garderobe. “Es tut mir leid.”

“Ach komm, das ist nicht der Rede wert.” Lares wischte sich lässig über die Schulter. “Magst du dich wieder hinsetzen und noch etwas reden - oder willst du noch einen Schnaps? Ich glaube ja nicht, dass dir das gut tun würde, aber du entscheidest.”

Andesine lächelte unter all den Tränen. “Du solltest mich jetzt hier ein wenig zur Ruhe kommen lassen und lieber deiner Baroness nachjagen. Schließlich bist du deswegen hier. Ich komme jetzt alleine zurecht, auch ohne Schnaps.” Sie war versucht ihn einen Kuss auf die Wange zu geben, aber sie wusste nicht, wie er darauf reagieren würde. “Na komm, such Luzia und werde glücklich.”

“Und was ist mit dir?”

“Ich bleibe hier und sammle meine Gedanken.”

“In Ordnung.” Lares lächelte, was sein finsteres Gesicht seltsam verzerrte. Dann strich er ihr zärtlich über die Wange. “Du hast dir alles Glück der Welt verdient. Hol es dir.” Dann wandte er sich ab und suchte Luzia in den Weiten des Parks.


Als Lares außer Sichtweite war näherte sich Amiel von Altenberg nochmals der Wasserthalerin.
Mit erhobenen Händen, mit der Handfläche voran, um zu signalisiere das er in Frieden kam. “Verzeiht, hohe Dame. Ich weiß … es ist nicht der richtige Moment für euch. Aber ich verspreche, ich habe nur gute Absichten.” Seine Augen waren vorsichtig geöffnet und sprachen nichts als Unschuld.

“Ihr schon wieder.” In ihrer Stimme schwang Resignation mit, doch war ihr Tonfall deutlich freundlicher als zuvor. Sie musterte ihn aus geröteten und verquollenen Augen. “Was kann ich für Euch tun?”

Der gemütliche Mann entspannte sich ein wenig und griff in seine Gürteltasche. Zum Vorschein kam ein kleines, orangefarbenes Tüchlein mit einer aufgestickten Gans darauf. “Hier, das ist für euch.” und reichte Andesine das Tuch. “Ich hatte gehoffte keine Tränen auf unseren Fest heute sehen zu müssen, aber ihr habt sicher eure Gründe. Ich hab genau das richtige für euch.” Er griff wieder in seine Tasche. “Und, verzeiht, ich bin Amiel. Ich konnte mich noch nicht vorstellen.” Dann hielt er ihr einen sonnengelben Bonbon entgegen. “Die sollen gegen Kummer helfen … hab ich gehört.” Nun lächelte er sie zuversichtlich an.

Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete sie die Bonbons, machte aber keine Anstalten diese oder das Tuch entgegenzunehmen. Den Kommentar, ob dies das Herz von Durinja von Altenberg sei, verkniff sie sich. Stattdessen bedachte sie ihn mit einem traurigen Lächeln. “Ich danke Euch für diese Geste, aber Ihr bemüht Euch umsonst.” Amiel betrachtete beide Gegenstände in seiner Hand und zuckte dann mit seinen Schultern. Er lachte kurz ein wenig für sich. “Bedauerlich. Der Bonbon ist richtig gut. Zumindest beruhigt es immer die unschuldigen Kinderseelen im Tempel” Dann steckte er das Tuch und den Bonbon zurück in seine Tasche. “Euer Bruder, seine Gnaden Rondradin scheint ein guter Freund der Familie zu werden. Vater Winrich schwärmt richtig von ihm. Nun ich schweife ab.” Abwartend schaute er sie an. “Ich bin eigentlich gekommen, um euch von etwas zu befreien.”

“Meint Ihr diese Echse? Die war doch hinten auf der Bank oder hat Lares sie vielleicht?” Sie sah an sich hinab, konnte das Tier aber nicht entdecken. "Der Herr von Mersingen ist in den Park gegangen." Langsam erhob die Wasserthalerin wieder von der Bank. "Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet."

“Gemach, gemach, hohe Dame. Eure Vermutung ist ganz richtig. Tsala zieht es immer zu Menschen die Tsa´s Fröhlichkeit bedarf. Wenn ihr kurz still stehen bleiben würdet? Es geht auch sehr schnell und ihr seid mich dann auch los.”

“Bleibt mir vom Leib.” Erwiderte die Ritterin drohend und machte einen Schritt zurück. “Euer Tier ist nicht bei mir.”

Langsam machte Amiel sich sorgen um die kleine Eidechse, wie es schien, ignorierte die aufgebrachte Ritterin, dass es sich hierbei um ein Geschöpf Tsa handelte. “Das würde ich gerne. Versucht euch zu beruhigen, den Tsala hat sich zwischen euren Schultern gesetzt. Und ich möchte sicher gerne, dass ihr sie nicht verletzt.” Langsam schlich sich ein ängstliches Lächeln in sein Gesicht.

“Zwischen meinen Schultern? Was sucht es da?” Mit Mühe unterdrückte Andesine den Wunsch das Tier einfach zu packen und von sich zu werfen. “Holt es und behaltet Eure Finger bei Euch.” Wie kam dieser Kerl überhaupt dazu ein solches Tier mit zu einer Brautschau zu bringen?

Erleichtert schritt er auf sie zu und griff geschickt nach der schlanken Eidechse. “Habt dank , hohe Dame. Möge Tsa immer mit euch sein!” sagte Amiel jetzt wieder freundlich.

***

Noch bevor der Altenberger gehen konnte, vernahmen die beiden ein fröhliches Summen und das Knirschen von Kies unter leichten Sohlen. Rahjalind vom Traurigen Stein hing immer noch den Gedanken an die drei Männer und die Scheune nach. Wenigstens ein kleiner Teil in ihr bereute ihre Entscheidung. Nun wollte sich die junge Rahjadienerin jedoch wieder unter das feiernde Volk mischen. Vielleicht würde sie ja noch ein Mann zum Spaziergang auffordern. Vielleicht gar Lucrann von Leihenhof? Sie lächelte beim Gedanken an den schlanken Junker. Oder sie traf ihren Bruder und Andesine. Rahjalind freute sich für die beiden, war die Wasserthalerin doch genau die Frau, die er gebraucht hat. Ruhig, liebevoll, herzlich, verantwortungsbewusst … sie war so anders als alle anderen bisherigen Frauen in seinem Leben.

Kurz schien es als würden ihre Gedanken ihr einen Streich spielen, als sie Andesine auf einer Bank und in Begleitung eines anderen Mannes sah. Bei näherem Hinsehen fielen der Novizin auch ihre geröteten, verweinten Augen auf. Sofort war ihr klar, was geschehen sein musste. Sie ballte zornig eine Faust und ging energisch und grußlos auf den dunkelhaarigen Mann und ihre Schwägerin in spe zu. “Ich bring ihn um …”, spie sie voll schier heiligem Zorn aus, “... wo ist er?”

Die Angesprochene nahm erst jetzt Rahjalind wahr. Sie war sichtlich überrascht von dem Zorn, welcher der Novizin innewohnte. “Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal.”

Sie nickte wissend, der Zorn verflog aus ihrem Antlitz, galt dieser doch nicht den hier Anwesenden … wobei … war das nicht? Sie musterte den Altenberger. “Ist es wegen seiner Schwester? Dieser …”, Rahjalind biss sich auf ihre Lippe, “... es tut mir so leid, das wird er mir büßen. Es ist immer dasselbe und ich dachte er würde sich für dich ändern.” Sie schüttelte enttäuscht ihr Haupt, dann schritt sie wie von unsichtbarer Hand geführt von dannen.

Schweigend verfolgte Andesine den Abgang Rahjalinds, während ihre Gedanken rasten. ‘Schwester’, hallte es durch ihren Kopf. ‘Schwester?’ Sie wandte sich Amiel nun vollständig zu und taxierte ihn mit blauen vor Zorn glühenden Augen. “Schwester? Durinja von Altenberg ist tatsächlich Eure Schwester und dann wagt Ihr es auch noch mir unter die Augen zu kommen? Nein, sogar mir Eure ‘Hilfe’ anzubieten?” Empörung und Wut kochten in ihr hoch. Ein wütendes Schnauben folgte. “Wagt es nicht mich nochmal anzusprechen!” Damit drehte sie sich um und ging fort. Sie musste weg von hier, ansonsten würde sie heute noch jemanden ernsthaft verletzen.

“Durinja? Nun, ich bin nicht meine Schwester …” zu mehr kam er nicht. Verwundert schaute er Rahjalind an und hielt dabei die regenbogenfarben schillernde Eidechse in der Hand.

Die Novizin war bestimmt schon zehn Schritt weit vom Altenberger entfernt, als sie stehen blieb und beide Hände zu Fäusten ballte. Sie atmete tief durch, ihre Wangen waren rot wie reife Tomaten. Kurz wandte sie sich zu Amiel um, vielleicht würde er ja zu ihr aufschließen wollen - der Mann war es schließlich nicht, der ihren Zorn verdiente.

Amiel verstand Rahjalinds Zeichen oder war es doch seine Neugierde? “Rahja zum Gruße, Schwester Rahjalind. Amiel mein Name. Wißt ihr was in die Wasserthalerin gefahren ist? Ich glaube meine Schwester muss sie wohl verärgert haben …. Und meine Tsala hatte sich auf ihren Rücken verfangen. Das mochte sie mit Sicherheit nicht.” Ratlos schaute er sie an.

Beinahe tat ihr der junge Mann, den sie vorhin so kurz angebunden angefahren hatte, in diesem Moment leid. Er konnte ja nichts für seine Schwester und in ihm ruhte eine sanfte Seele, das fühlte sie. Rahjalind liebte Tiere und sie verließ sich auf deren Urteil. Wenn die kleine Eidechse gerne beim Altenberger war, dann konnte dieser wohl kein schlechter Mensch sein. Sie lächelte bitter. “Mein Bruder ist in sie gefahren … fürchte ich …”, gab sie dann zurück, während ihr Blick auf der Eidechse in seiner Hand lag.

“Da haben wir anscheinend etwas gemeinsam … Sie ist nicht die erste Frau, die Durinja in Verzweiflung getrieben hat. Ein Glück sind mir Machtspielchen fern. “ Amiel schaute noch immer Andesine hinterher. “Euer Bruder ist der Bannstrahler, richtig?”

Sie nickte. “Ja und ein unverbesserlicher Idiot.” Sie dämpfte ihre Stimme. “Ich habe gesehen wie er Andesine angesehen hat. Ganz so als wäre sie das wertvollste Kleinod auf dem Dererund. Er würde es nie zugeben, aber ich denke er hatte sich in der wenigen Zeit, die sie gemeinsam hatten, in sie verliebt …”, Rahjalind presste ihre Lippen aufeinander und schüttelte enttäuscht seinen Kopf, “... und dennoch hat es nicht gereicht, das er sich für ein mal … einen Tag … zusammenreißt … nein … die Versuchung durch die Präsenz Eurer Schwester hat wohl ausgereicht, dass er wieder alles zerstört. Ich wusste es vom ersten Moment, da ich euer beider Vorstellung gesehen habe, dass sie eine große Prüfung für die junge Zuneigung meines Bruders zu Andesine sein würde. Ich hätte besser auf ihn aufpassen sollen.” Kurz dachte die Novizin daran, wie es Linnart wohl gerade gehen würde. “Es tut mir leid, dass ich Euch damit belaste, aber es tut gut mit jemandem darüber zu reden, der nicht direkt in die Sache involviert war.” Auch die Traurigsteinerin blickte kurz auf die sich entfernende Wasserthalerin. “Eure Schwester … wie ist die so?”, wollte sie dann wissen.

“Lust ein wenig zu gehen oder irgendwo zu sitzen, habt ihr schon das Amphitheater gesehen?” fragte er als erstes, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Rahjalind zwang sich zu einem Lächeln. “Sehr gerne”, bestätigte sie, dann hakte sie sich bei ihm unter.

***

Bevor Durinja von Altenberg wieder die Festwiese betrat, atmete sie tief durch, hob das Kinn an und ließ sich von Linnart vom Traurigen Stein vor den Tisch der Alten führen. Die Blicke der Gäste und Verwandten waren neugierig, manche sogar misstrauisch. Sie hielt direkt bei ihrem Vater an, der im Gespräch mit der Baronin Fedora von Firnholz und ihrer Tante Prianna, die Rektorin der Rechtsschule, war. Tassilo von Altenberg war ein gutaussehender, älterer Mann, der sein blondes Haar in einem ordentlichen Topfschnitt trug, auf dem ein graues Barett zierte. Der 3-Tage-Bart war akkurat und seine Nase war etwas größer, als beim Durchschnittsgesicht. Die grünen Augen zeugten von einem wachen Verstand und nur die leichte Fältchen um Augen und Mund verrieten, das er auf die 50 Götterläufe zu ging. Er trug ein einfaches, aber hochwertiges, graues Gelehrtengewand und trug einen auffälligen, silbernen Ring am rechten Ringfinger. Der Advocatur blickte neugierig auf.

Linnart konnte die Blicke der Anwesenden förmlich spüren, was nicht unbedingt zum Abbau seines Unwohlseins beitrug. Dennoch straffte er sich stolz und wirkte selbstsicher. “Euer Hochgeboren …”, er verbeugte sich leicht vor der Baronin von Firnholz, “... hohe Dame …”, dann wandte er sich der Rektorin zu, “... hoher Herr …”, grüßte er Tassilo zu guter letzt, “... mein Name ist Linnart vom Traurigen Stein. Ich bin Ritter vom Orden des Bannstrahl Praios´ und Erbe des Gutes Linnartstein in der Baronie Kyndoch. Mein …”, er bedachte Durinja neben ihm mit einem Seitenblick und hielt dabei immer noch ihre Hand, “... unser … Weg führt uns zu Euch, weil ich Euch um die Hand Eurer liebreizenden Tochter bitten möchte.”

Die Überraschung schien ihm kalt erwischt zu haben, den Tassilo reagierte erst einmal gar nicht. Dann wanderte ein fragender Blick zu seiner Tochter. Seine strenge Schwester schaute erst kritisch, dann anerkennend. “Oh, ja. Also wenn es auch der Wunsch meiner Tochter ist …”. Die schaute verliebt in Linnarts Richtung. “Ja, Vater. Er ist der Richtige!” Tassilo erhob sich von der Bank und kam auf den Bannstrahler zu. Er öffnete seine Arme. “Nun, dann habt ihr meinen Segen, Linnart vom Traurigen Stein!”

Der Ritter trat auf ihn zu und schloss den Altenberger in eine feste Umarmung. “Es wird Eurer Tochter an nichts fehlen, hoher Herr. Das schwöre ich Euch. Ich werde ihr der Ehemann sein, den sie verdient.” Dann löste er sich von seinem zukünftigen Schwiegervater. Linnarts Blick ging zurück zu Durinja. “Ich danke Euch für Euren Segen. Es lag mir sehr viel daran, dass die Familie meiner Zukünftigen so früh wie möglich in … unsere … Entscheidung eingebunden wird.” Prianna von Altenberg stand auf, winkte Ademar heran und fing an zu Klatschen. Ademar von Leihenhof, der Luminifer, kam näher, aber auch Vater Winrich von Altenberg-Sturmfels, der gerade mit einer Hähnchenkeule beschäftigt war, kamen zum Tisch. Nun fing auch der Praiosgeweihte an zu Klatschen und Vater Winrich entledigte sich der Keule und umarmte das Paar. Durinja machte eine vollendeten Knicks und schlang sich an den Arm ihres Verlobten. Mehr Leute fielen in das Klatschen ein.

Besagter Verlobter wollte nicht derart im Mittelpunkt stehen, was seltsam anmutete, scheute Linnart doch sonst die Aufmerksamkeit anderer nicht. Innerlich hoffte er, dass Andesine es nicht mitbekam. Er wollte ihrem Herzen nicht noch einen Stich versetzen. Es war wohl das Beste gewesen, dass er für immer aus ihrem Leben verschwand und der Bannstrahler hoffte, dass sie damit abschließen konnte und alle ihre Wünsche doch noch irgendwann in Erfüllung gingen. Er selbst würde auch damit umzugehen lernen. Die Zeit heilte eine jede Wunde. Linnart sah auf seine Verlobte. 'Wie glücklich sie wirkt', dachte er bei sich. Doch war es ehrlich? Oder nur ein Schauspiel? Der Ritter atmete tief durch, dann drehte er seine Durinja zu sich und schenkte ihr einen innigen Kuss.


***

Victualia vom Lilienhain, Küchenmeisterin der Baronin von Schweinsfold, ließ es sich nicht nehmen, den Verlobten und den anwesenden Gästen eine Runde eines Pfefferschnaps auszugeben. Genau genommen war Durinja ihre Base, auch wenn die meisten Altenberger sie nicht mehr zur Familie dazu zählten. Ihre Mutter Nordrun hatte mit der Heirat ihres Vaters Rahjagoras den Adelsstand aufgegeben. Etwas, was die Altenberger verhindern wollten. Und so zogen die Mägde und Knechte aus, das Getränk zu verteilen. Und so bekamen auch Amiel und Rahjalind einen Schnaps ausgehändigt.

Die Novizin war beschwingt. Das nette Gespräch mit Amiel hatte ihr geholfen, den Zorn auf ihren Bruder zumindest kurzfristig zu vergessen. Freundlich lächelnd nahm sie den Schnaps entgegen. "Danke …", meinte die Rahjadienerin an Victualia gewandt, "... gibt es vielleicht Grund zum Feiern?"

Die kräftige Frau schaute sie verwundert an. “Ja habt ihr die Neuigkeiten nicht gehört, Schwester Rahjalind? Euer Bruder hat gerade bei Tassilo von Altenberg um die Hand Amiel´s Schwester angehalten. Nun sind sie verlobt. Bei Travia, ist das nicht wunderbar?” Nun strahlte sie Beide an. Amiels fassungsloser Blick suchte Rahjalinds.

Die den Stumpen mit dem Schnaps daraufhin fallen ließ und dessen Inhalt über der Wiese verteilte. Ihre Rechte lag auf ihrem Mund und die schönen grünen Augen weiteten sich vor Schreck. "Er hat was?", fragte sie total perplex. "Dieser Hornochse …", zornig lag ihr Blick nun wieder auf der Küchenmeisterin, "... wo ist er?"

“Hornochse?” Wieder verwundert beantwortete sie Rahjalinds Frage, zeigte jedoch zum Tisch der Älteren. Dort stand Linnart mit Durinja am Arm in der Unterhaltung mit Tassilo und Prianna von Altenberg.

Die Novizin nickte ihr ernst zu. "Habt dank …", sie zwang sich zu einem Lächeln, doch lag ihr Blick bereits auf ihrem Bruder und seiner Verlobten. 'Diese Schlange', dachte sie bei sich, dann stapfte sie entschlossen zum Tisch der Älteren.

Auf eben jenem Tisch fühlte Linnart die drohende Gefahr auf sich zukommen, noch bevor er Rahjalind erspähen konnte. Durinja könnte fühlen, dass er sich von einen auf den anderen Moment anspannte und den Grund dafür, in Person der jungen Rahjadienerin, nur einen Moment später ausmachen. "Auf ein Wort …", presste Rahjalind zwischen ihren Zähnen hervor.

Amiel löste sich schon vorher von Rahjalind. Das war etwas, womit er nichts zu tun hatte … und wollte. Er entschied sich, seiner Base Victualia ins Küchenzelt zu folgen.

Durinja schenkte der Novizin ein entwaffnendes Lächeln. Dann raunte sie Linnart ins Ohr “Ich gebe euch einen Moment.” Sie küsste ihn auf die Wange und trat zu ihren Vater hinüber. Im Augenwinkel sah Rahjalind wie sich Vater Winrich mit einem breiten Lächeln in ihre Richtung aufmachte.

Die Traurigsteinerin schien Durinja keine Beachtung zu schenken. Stattdessen schob sie ihren Bruder weiter weg. Auch für Vater Winrich hatte sie keine Augen. So war es Linnart, der dem alternden Geweihten nickend grüßte.

Vater Winrich, der die Novizin beglückwünschen wollte, wunderte sich kurz, aber winkte dann ab. Lächelnd ging er zurück zu seinen Verwandten.

Hätte sich Linnart nicht nach wenigen Momenten gegen sie gestellt, Rahjalind hätte ihn bestimmt bis zum Tor des Parks geschoben. "Schwester ... Rahjalind ...", zischte er, "... du vergisst dich." Die Novizin ließ sich gegen ihn fallen, vergrub ihr Gesicht in seinem edlen Hemd und hämmerte mit ihrer rechten Faust gegen seine starke Brust. "Du vermaledeiter ...", kam es gedämpft aus ihrem Mund, "... du ... warum ..."

Linnart jedoch antwortete nicht. Stattdessen legte er seine starken Arme um ihren schmalen Körper und streichelte beruhigend über ihren Rücken. "Ich weiß ...", er verschluckte jene Worte beinahe und als Rahjalind sich von ihrem Bruder löste, fand sie in seinen sonst so fröhlich leuchtenden Augen nichts anderes als Schuldbewusstsein und Trauer. Ein Anblick, der der Novizin etwas den Wind aus ihren Segeln nahm, dennoch schüttelte sie enttäuscht ihren Kopf.

"Was ist passiert, Linnart? Mit Andesine und warum bist du mit ...", sie wies zum Tisch, "... IHR verlobt."

Er schluckte zur Antwort, schwieg jedoch.

"Sie hat dich doch geliebt und ...", die Novizin schob sein Kinn zurück, wollte er sich doch ihres Blickes entziehen, sodass er ihr wieder in die Augen sehen konnte, "... sieh mich an! Ich habe gesehen wie du sie angesehen hast ... Andesine ... wie es dich getroffen hatte, als sie deinen Kuss nicht erwidert hat ... das warst nicht du ... das ... das war ein anderer Linnart."

Er hob seine Augenbrauen, doch sollte der Ritter noch nicht zu Wort kommen. "Es war ein Linnart, der liebte ... der eine Frau anhimmelte ... ein Linnart, den Rahja berührt hatte und es war alles, das ich mir für meinen Bruder jemals gewünscht habe." Sie griff nach seiner Wange und streichelte sanft darüber. Der Bannstrahler atmete schwer, seine Augen glänzten. "Ich liebe dich, Bruder und ich will nicht, dass du ein Leben führst wie Vater und Mutter. Am Papier verheiratet, doch jeder für sich selbst. Ich wollte ... dich glücklich sehen und Andesine war der Weg in dieses Leben. Ich habe es gespürt und du sicher auch."

Linnart presste seine Lippen zusammen. Er nickte. "Ich habe sie verraten ... Andesine und das was ich ihr versprochen hatte."

Rahjalind schob ihre Augenbrauen zusammen. "Wie verraten?", fragte sie.

"Ich habe Durinja von Altenberg geküsst ...", er stoppte und wies auf einen Kratzer an seinem Hals, "... sie hat mich gekratzt und ich habe es Andesine gebeichtet. Sie gab mir meinen Ring zurück und wandte mir den Rücken zu", beichtete Linnart schuldbewusst.

"Du Idiot ... und du hast sie aufgegeben ...", sie schüttelte ihren Kopf, "... du hast nicht um sie gekämpft ... sie angefleht nicht zu gehen?"

"Ich habe ihr geschworen mich aus ihrem Leben fernzuhalten ...", flüsterte der Ritter, "... ich habe sie enttäuscht und das wäre immer zwischen uns gestanden. Ich habe sie, bereits Stundengläser nach meinem ersten Versprechen, enttäuscht und verletzt. Es ist das beste wenn ich mich von ihr fern halte."

"Bruder ...", warf Rahjalind empört ein, doch schnitt ihr der Bannstrahler ihr das Wort ab.

"Nein ...", er schüttelte resignierend seinen Kopf, "... eine Frau wie Andesine ist ein Schatz. Sie verdient das beste und nicht den Erstbesten. Ja, vielleicht hätte sie mir vergeben ... und dann ..?" Sein Blick löste sich von ihr und ging in weite Ferne. "Irgendwann hätte ich sie wieder enttäuscht und wieder ... und wieder. Ich kenne mich und meine Schwächen, Rahjalind und es war dumm Andesine überhaupt Hoffnungen zu machen." Er dachte an die Blicke, die sie ihm zuwarf. Die Liebe und Reinheit in ihren blauen Augen. Sogar als sie anzügliche Scherze machte, strahlte sie etwas so liebenswertes aus. Linnart schüttelte sein Haupt, um jene Gedanken aus seinen Kopf zu vertreiben und senkte seinen Blick, wohl aus Scham. "Durinja ... sie hat mich von Anfang an durchschaut, Rahjalind. Sie wusste welcher Mann ich bin und dennoch hat sie sich nicht von mir abgewendet. Ja, sie war sogar glücklich und hat mich angestrahlt, als ich um ihre Hand anhielt. Sie meinte, sie würde mich so akzeptieren wie ich bin und sie werde mich ... lieben."

Die Novizin verzog skeptisch ihre Mundwinkel. Kurz wandte sie sich zum Tisch der Älteren um. Sie atmete tief durch, dann wandte die Rahjadienerin sich wieder ihrem Bruder zu und streichelte abermals seine Wange. "Ach ... Linnart ...", sie nickte verstehend. Ihr war bewusst, dass ihr Bruder ein Opfer gebracht hat. Ein dummes, doch nutzte es nun nichts mehr. "Möchtest du das wirklich?"

Sein Blick klarte sich auf. Er nickte ihr entschlossen zu. "Ja, das will ich. Die Götter hielten mir mit Durinja einen Spiegel vor. Ich werde die Herausforderung annehmen. Vielleicht entsteht daraus etwas Gutes, Rahjalind. Sie ist nicht nur schön, sondern auch klug. Sie kämpft um das was sie sich in den Kopf gesetzt hat ...", er presste abermals seine Lippen aufeinander, "... ich wünsche ... nein ... ich verlange, dass du ihr eine Chance gibst, Schwester."

Der Kiefer der Novizin öffnete sich ungläubig. "N ..."

"Ich bitte dich nicht darum Rahjalind. Ich werde sie zur Frau nehmen. Ich werde sie respektieren und ihr ein liebevoller Mann sein und ich verlange von dir, dass du ihr auch mit dem Respekt begegnest, den sie als deine Schwägerin verdient. Dass ihr beiden Freunde werdet wünsche ich mir, doch kann ich es nicht von dir verlange."

Rahjalind legte ihre Stirn in Falten. Ihre Kiefermuskeln spannten sich. "Gut", kam es knapp.

"Danke, Schwester. Ich liebe dich", Linnart umarmte sie fest. Für gut 50 Herzschläge standen sie so auf der Festwiese. Zwei sich liebende Geschwister, dann hakte sich die Novizin bei ihrem großen Bruder unter und gemeinsam schritten sie zum Tisch der Älteren zurück.

Dort angekommen, warf ihr Linnart einen Seitenblick, gefolgt von einem Nicken zu. "Durinja ...", richtete Rahjalind das Wort an die Zofe, "... ich ... ich gratuliere dir zu eurer Verlobung." Ihr Antlitz wirkte immer noch zerknirscht, dennoch bot sie ihr mit offenen Armen eine Umarmung an. Auch Durinja öffnete ihre Arme. “Ich danke dir, Schwesterlein”. Wie eine Rose schmiegte sie sich in die Umarmung der Novizin, während die Fingernägel Durinjas durch den Stoff ihres Kleides spürte und sie an Dornen erinnerte.

Rahjalind schreckte dadurch etwas auf und wandte sich schräg ihrem Bruder zu, der die Szenerie glücklich lächelnd beobachtete. Es bedeutete ihm sehr viel, dass seine Schwester an seiner Seite stand und ihn in dem was er tat unterstützte. Deshalb unterdrückte die junge Rahjadienerin ihren ersten Impuls sich von Durinja wegzudrücken und setzte stattdessen ein schönes, aber falsches Lächeln auf. "Mach das beste daraus … Schwester."

***

Der Praiosgeweihte hatte erst jetzt einen Moment gefunden, um einen klaren Kopf zu finden. Wie es schien, waren die meisten Gäste miteinander Beschäftigt und es gab auch schon die erste Verlobung. Vater Winrich musste sehr zufrieden sein. Ademar wird es sich aber nicht nehmen lassen zu erwähnen, dass es zwei Schützlinge von seinem Tisch waren. Doch nun ging es um ihn. Er brauchte Rat, aber damit wollte er nicht zu Vater Winrich gehen und auch nicht zum Rahjageweihten. Also blieb ihm da nur Bruder Rondradin. Auch dieser war mit den Gläubigen beschäftigt, aber es schien nun, dass auch dieser eine freie Minute hatte. Zielstrebig ging Ademar auf ihn zu. “Rondra zum Gruße, euer Gnaden. Ich hatte mich gerade gefragt, ob ihr vielleicht einen Moment für einen Bruder im Glauben habt?” Der Geweihte des Praios wartete ab.

Rondradin erwartete ihn bereits mit einem freundlichen Lächeln auf seinen Zügen. “Praios zum Gruße, Bruder Ademar. Womit kann ich Euch helfen?” Insgeheim war er froh um diese Ablenkung, hatte er doch gerade noch fassungslos die Verlobung von Linnart und Durinja verfolgt.

Ademar lächelte zufrieden und legte seine Hand auf die kräftige Schulter Rondradins. “Ich bin froh, das ihr euch die Zeit nehmt. Lasst uns ein Stück gehen, es muss nicht weit sein.” Er hielt einen Knecht an, der gerade Pfefferschnaps verteilte. Der Geweihte nahm zwei und hielt einen Rondradin hin. Dieser lehnte den Schnaps dankend ab. “Ich brauche heute noch einen klaren Kopf, da ist der Schnaps nicht gerade förderlich. Bitte verzeiht.” Ademar schmunzelte und kippte sich beide recht schnell ´hinter´. Der Schauer der folgte und das kurze Ringen um Luft konnte der sonst so kontrollierte Leihenhofer nicht unterdrücken. “Kein Problem. Ich verstehe.”, hüstelte er ein wenig. Als sie ein Stück gelaufen waren, faltete der Geweihte der Sonne die Hände zusammen. “Ihr scheint mir der richtige zu sein, um mir bei einer Deutung zu helfen. Der Götterfürst hat mir während der Götterspiele ein Zeichen gesandt.” Ernst schaute er Rondradin an.

“Ihr ehrt mich. Was habt Ihr gesehen?” Das Lächeln war schmaler geworden und hatte einer Ernsthaftigkeit Platz gemacht. Fingerzeige der Götter waren etwas das Rondradin sehr ernst nahm, nicht zuletzt weil er selbst schon welche erhalten hatte.

“Nun, ich muß weiter ausholen. Gestern Nacht hatte ich einen wirren Traum und ich kann mich nur an Splitter erinnern. Es ging um einen Sternenfall, die Sonne und merkwürdigerweise Tanzschuhe...oder sich drehende Füße in Tanzschuhen.” Er stockte kurz. “Nun während des Götterspiels kam meine Glaubensschwester Praiona von Altenberg nach vorne um ein Buch der Rechtskunde auszuwählen. Ja, da ist es dann auch passiert. Ein Lichtstrahl blendete mich und mir war so, als ob viele Sterne fallen würden. Als mein Blick klar wurde sah ich SIE. Also, ich meine es war mehr als nur Sehen. Es war als ob ich ihre Seele und ihr Herz erkennen konnte. Ich kenne Praiona schon viele Jahre, wir dienen im selben Tempel. Eine unauffällige, auffällige Person. Doch was ich sah war lieblich, zart und gut.” Röte stieg ihm ins Gesicht. “Bei ihrer Vorstellung hatte sie ja einen Unfall. Sie stürzte vom Pavillon. Dabei ist mir aufgefallen, dass sie Tanzschuhe unter ihrer Robe trägt.” Rondradin merkte die Aufregung in seiner Stimme. “Was meint ihr, was es bedeuten könnte?”

Es dauerte einige Zeit, bevor Rondradin zu einer Antwort ansetzte. “Den Auftritt unserer Schwester im Glauben habe ich nicht gesehen, allerdings erinnere ich mich an sie als ich der Familie Altenberg meine Aufwartung machte. Ich hatte den Eindruck, dass sie in einer eigenen Welt lebt.” Um Zeit zu gewinnen, sah Rondradin sich um. Sein Blick wurde vom Dach des Rahja-Schreins angezogen, das im Licht der Sonne funkelte. Ein feines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er die von Ademar gesehenen Zeichen nochmals durchging. Ohne Zweifel, Rahja schenkte dieser Veranstaltung ihre Aufmerksamkeit und selbst ihr göttlicher Bruder konnte sich dem nicht ganz entziehen. Wie es schien, musste er sich später bei der Göttin der Liebe entschuldigen und ihr ein Opfer darbringen. Rondradin legte Ademar eine Hand auf die Schulter. "Sagt, war es wirklich ein Stern der in Eurer Vision fiel? Könnte es nicht auch ein kostbares Juwel gewesen sein oder war es vielleicht ein Funkenregen, der das Herz eines Menschen für etwas oder jemanden entflammen kann? Was habt Ihr empfunden als ihr diese Bilder empfangen habt? War es Furcht, eine Vorahnung kommenden Unheils oder vielleicht doch etwas Anderes, Schöneres?"

Still hörte Ademar zu. “Ja, ich verspürte keine Furcht oder Gefahr. Es war eigentlich ein glückseliges Gefühl. Etwas Gutes. Wie der erste Sonnenstrahl nach einer finsteren Nacht.”

Hinter Ademar trat eine geknickt wirkende Praiona von Altenberg auf den Kiesweg. Rondradins Lächeln wurde breiter. Er suchte den Blick Ademars. "Bruder Ademar, hat Euch der Herr Praios heute nicht das wahre Antlitz Praionas schauen lassen? Aber hattet Ihr das überhaupt nötig? Wusstet Ihr nicht schon längst um diese Schönheit, welche eurer Glaubensschwester innewohnt? Denkt darüber nach, Bruder." Ohne eine Antwort des Geweihten abzuwarten, drehte Rondradin ihn in Richtung Praionas. "Und jetzt solltet Ihr zu unserer Schwester im Glauben gehen. Sie bedarf der Zuwendung eines Freundes."


Aus seinen Gedanken gerissen, schaute Ademar auf und sah Praiona. Wieder stieg Röte in sein Gesicht und er schaute fassungslos den Geweihten der Rondra an. “Ihr meint doch nicht etwa, dass Praios mich auf Travias Pfaden … “ Mit offenem Mund und geweiteten Augen starrte er Rondradin an.

“Vergesst auch die Herrinnen Rahja und Rondra nicht. Aber ja, genau das meine ich.” Rondradin sah Ademar freundlich auffordernd an. “Redet mit Ihr und findet es heraus. Niemand zwingt Euch Ihr gleich einen Antrag zu machen oder ihr die Liebe zu gestehen. Geht hinüber, sprecht mit ihr und lauscht was euer Herz Euch mitteilt. Alles andere wird sich dann ergeben. Fasst Mut, geht hinüber und sprecht sie an.”

Rondradin bestätigte, was er sich schon gedacht hatte. ´Welch ungewöhnliche Vision. Oh, Herr Praios, was hast du mit uns vor?´ Ademar blickte kurz zur Sonne und drehte sich zu Praiona. “Danke, Rondradin. Ich übernehme dann von hier.” Dann schritt er auf seine Glaubensschwester zu. “Praiona, Schwester, hättet ihr Lust mit mir zu spazieren?” Mit überraschten Blick, fing sie an zu Lächeln und hakte sich bei Ademar ein.

Einen Moment schaute Rondradin den beiden still lächelnd nach. Sein Blick wanderte zum Sonnensegel, wo er Basilissa zurückgelassen hatte. Langsam sollte er sie zu ihrem Schwertvater bringen.

***

Wenn Rondradin gedacht hätte , dass er endlich seine Weges gehen könnte, so hatte er sich getäuscht. Die wohlklingende Stimme Rahjels erreichte sein Ohr. “Bruder Rondradin, welch ein Zufall, euch habe ich gesucht!”

“Bruder Rahjel, schön Euch zu sehen. Ich wollte mich für meine harschen Worte vorhin entschuldigen. Mein Schmerz sprach da aus mir, trotzdem hätte ich diese Worte niemals aussprechen dürfen.” Rondradin senkte demütig den Kopf.

“Aber Ihr habt mich gesucht?”

Der Geweihte der Liebholden umarmte Rondradin mit kräftigen Griff und küsste ihn auf die Wange. “Es gibt nichts zu entschuldigen. Auch wenn die Worte harsch waren, hat Rahja direkt aus euren Herzen gesprochen. Dann richtete er die Robe des Geweihten. “Ich habe mit Gelda gesprochen. Und sie konnte mich von euren Wünschen überzeugen. Ich werde den Ehebund gerne für euch beide heute segnen. Die plötzliche Entscheidung ist ganz im Zeichen der Göttin der Liebe.”

Rondradin erwiderte das Lächeln seines Glaubensbruders. “Habt Dank!” Leider galt ein Rahjabund nicht besonders viel unter Adligen und ihre Kinder hätten keine Legitimation. “Gerne würde ich uns von Euch trauen lassen, doch werden wir auch vor Travia einen Bund eingehen müssen. Ihr kennt ja das Recht.”

Gewinnend lächelte er vor sich hin und sprach nun ein wenig leiser. “Genau das hat Gelda auch gesagt. Und ich bin der Meinung wie sie. Vater Winrich wäre ein … Problem. Aber ich habe eine Lösung gefunden.” Listig schaute er Rondradin in die Augen. “Ich konnte einen Diener der Travia überzeugen, genauer gesagt eine Dienerin.”

“Aber Vater Winrich wird es doch mitbekommen, wenn ich um Geldas Hand bei ihren Eltern anhalte. Glaubt Ihr nicht, dass ich es ihm erklären und für unsere Sache gewinnen könnte?”

“Nun, vergesst nicht, dass ich aus dem selben Haus stamme. Und ich glaube, dass wir in der Sache auf die Hilfe von Bruder Phex zurückgreifen. Aber,” er machte eine kurze Pause, ” die Mutter Winrichs und Familienälteste, Mutter Elva, hat sich bereit erklärt. Sie wird auch daran arbeiten, dass ihr den Segen der Eltern vorher erbitten könnt. Ich werde mit ihr zusammen den Segen sprechen. Allerdings will sie sich mit euch vorher alleine unterhalten. Was sagt ihr?”

Rondradin wurde still als er alles überdachte. Er wollte Gelda zur Frau nehmen, mit jeder Faser seines Körpers. Aber war es richtig es auf die Art und Weise zu tun, die Bruder Rahjel vorschlug? Rondradin konnte sich damit nicht anfreunden. Es fühlte sich falsch an. Erst heiraten und dann ihre Eltern vor vollendete Tatsachen stellen oder dies in aller Heimlichkeit tun, damit Vater Winrich es nicht mitbekam? Nein, das konnte er nicht. Schließlich sah der Rondrianer auf und schüttelte den Kopf. “Nein, das geht nicht. Wie sähe es aus, wenn wir das in aller Heimlichkeit machen würden? Das würde das Ansehen unserer Familien nachhaltigen Schaden zufügen. Es reicht schon, dass ich die Verlobung mit Ravena von Rabenstein löse. Das ist Skandal genug. Lasst uns lieber einen Weg finden, wie ich Vater Winrich überzeugen kann. Reicht es nicht, wenn ich ihm erkläre, dass ein Bund, den Rahja gesät und der mit Travias Hilfe zur vollen Blüte erwächst, stabiler ist, als ein Bund der ohne Liebe geschlossen wird?”

Rahjel atmete tief durch und seufzte. “Ich hatte befürchtet dass ihr so denken würdet. Ehrlich gesagt, welcher Skandal wird größer sein? Ein Skandal wird es so oder so. Aber ich befürworte ihn, denn es ist offensichtlich der Wille der Göttin. Aber ich kann durchaus eure Worte folgen. Ich denke ihr solltet erst einmal mit unserem Familienoberhaupt sprechen. Es war Mutter Elva ein wichtiges Anliegen. Vielleicht haben wir danach Klarheit. Wenn jemand Vater Winrich überzeugen kann, dann seine Mutter.” Er legte wieder seinen Arm um den Geweihten. “Ich werde allerdings schon alles vorbereiten müssen, falls ihr zumindest mit dem Rahjabund zufrieden seit. Es wäre gut, wenn ihr zumindestens eine euch liebende Person, außer Gelda, als Zeugin dabei haben könntet. Es ist aber auch kein Problem, wenn nicht.”

“Lasst Euch Zeit, ich selbst muss mich auch noch um die junge Pagin dort drüben kümmern und nach meiner Schwester muss ich auch sehen. Ich weiß nicht was passiert ist, aber scheinbar ist der Mann, von dem ich dachte, dass er um ihre Hand anhalten wird, nun mit Durinja von Altenberg verlobt.” Ein Seufzer aus den Tiefen seiner Seele bahnte sich seinen Weg ins Freie. “Wo kann ich Mutter Elva finden?”

Etwas überrascht über die Verlobungsneuigkeiten, zog er die Augenbrauen zusammen. “Nun Mutter Elva wollte, dass ich euch zu dem Brunnen schicke, er liegt in einem Lilienfeld, hinter dem Küchenzelt. Sie wartet dort. Wenn ihr wollt, kann ich mich um die Pagin kümmern, bis ihr wieder da seid. Was wollt ihr machen?”

“Habt Dank für das Angebot, aber das Mädchen wurde mir von ihrem Schwertvater anvertraut. Das muss ich selbst erledigen. Aber da der Herr von Mersingen sich wohl ebenfalls im Park aufhalten wird, sollte es sich mit dem Besuch bei Mutter Elva ohne weiteres vereinbaren lassen.” Rondradin wollte sich schon verabschieden, da kam ihm eine Idee. “Aber ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr meine Schwester suchen und nachsehen könntet wie es ihr geht.”

“Wie ihr wünscht. Ich sage der Mutter, dass ihr noch einen Moment braucht. Und ich werde gerne nach eurer Schwester schauen.” Er klopfte Rondradin zum Abschied auf die Schulter.

***

Das Lustwandeln hatte bereits begonnen und die gerade noch an den Tischen der Götter versammelten Grüppchen waren zusehends in Auflösung begriffen. Ganz besonders die an der Tafel der Rahja. Ringards Blick ging zu den anderen Tischen.

Zu ihrer Verwunderung sah sie ihren Bruder gerade Hand in Hand mit der Novizin der Travia aus dem Hause Altenberg davon schlendern. 'Sieh an!?!' Dass ausgerechnet Nivard, ihr sonst so schüchterner Bruder Nivard, zwischen dem und Gelda vorhin ganz offensichtlich irgendetwas vorgefallen sein musste, jetzt ganz einträchtig mit einer Dame in den Park davon strebte, freute sie einerseits. Dass umgekehrt von ihr nur alle interessanten Männer, wegen derer sie sich nicht zuletzt an die Tafel Rahjas begeben hatte, wegeilten, weckte andererseits ihren Neid und dämpfte ihre durch den Tharf zwischenzeitig so köstliche Stimmung weiter.

Und dann nahm sie auch noch den aus der Ferne auf ihr ruhenden Blick ihrer Mutter wahr, der sich auffordernd in sie zu bohren schien.

Ringard beschloss trotzig, an diesem nicht haften zu bleiben, und sah sich stattdessen gewollt beiläufig um, bereit, ihren Schritt 'ganz zufällig' einem interessanten und ebenfalls unschlüssig wirkenden Herren zuzuwenden.

Ganz in ihr Konzept passend, obgleich tatsächlich unbeabsichtigt, kollidierte sie dabei mit Amiel von Altenberg zusammen. Dieser hatte gerade vom Küchenzelt eine Süßigkeit ergattert, die allerdings beim zusammenprall mit Ringard vom Teller rutschte und vor ihren Füßen landete. Selbst überrascht, bemerkte er nun die süße, junge Frau und der Unfall war sofort vergessen. “Oh Verzeihung, holde Dame!” brachte er mit einem warmen Lächeln heraus.

Ringard zuckte kurz erschrocken ob des Zusammenstoßes. Als sie ins Antlitz ihres Gegenüber sah, war der Schrecken jedoch sofort vergessen. Für einen Moment war sie gänzlich gefangen vom Anblick des warmherzig lächelnden jungen Mannes. "Aber Ihr braucht Euch doch nicht zu entschuldigen, wenn Ihr einer Dame Köstlichkeiten zu Füßen legt." gab Ringard lächelnd zurück. Die Röte Ihres Gesichtstones verriet ihre leichte Aufregung. Ohne den Blick von Amiel zu lösen, ging sie in die Knie, die Süßigkeit aufzuheben.

Amiel lachte herzlich. “Ihr gefallt mir, eine Frau mit Humor.” Er nahm ihr die Süßigkeit ab, pustete kurz darüber und steckte es sich in den Mund. “Amiel von Altenberg. Ihr seid aus dem Haus Tannenfels, richtig?” Der Altenberger überlegte kurz. ”Habt ihr Interesse mit mir lustzuwandeln?”

"Ja und ja." lautete Ringards erste, offensichtlich erfreute Antwort. "Ich bin Ringard von Tannenfels. Und es wäre mir eine große Freude, mit Euch lustzuwandeln." Sie deutete auf den leeren Teller: "Vielleicht können wir auf dem Weg noch mehr Köstlichkeiten auftun?" bevor sie sich, noch immer oder eher wieder vom Tharf beschwingt, bei Amiel unterhakte. "Und uns an einem schönen Plätzchen zu deren Verzehr niederlassen?"

“Das müßt ihr nicht zweimal sagen, schöne Ringard.” Er ging mit ihr zum Küchenzelt und ließ sich von der Küchenmeisterin Victualia eine Korb füllen und eine Decke aushändigen. “Laßt uns zur kleinen Festwiese gehen, dort ist es auch schön und wir haben nicht so viele Menschen um uns herum, was sagt ihr?” Erst jetzt fiel ihr die kleine Eidechse auf, die nun auf seiner Schulter ruhte.

“Das klingt nach einem sehr schönen Vorschlag!” stimmte Ringard errötend zu, sichtlich geschmeichelt vom Kompliment Amiels, da stutzte sie: “Ihr habt Besuch. Auf Eurer Schulter sitzt eine… eine kleine Eidechse. So zutraulich?” - “Wohin hast Du Dich denn verirrt?”, sprach sie dann das kleine Tier an. “Soll ich sie von Euch pflücken und ins Gebüsch setzen?”

“Das ist Tsala. Sie gehört zu mir. Nehmt sie ruhig.” bot er Ringard an.

Vorsichtig streckte Ringard die Hand entgegen und wartete einen Moment, bis die Eidechse ihre Füßchen auf diese setzte. “Sie fühlt sich ganz warm an.” merkte sie leise an. - “Oh, und sie kitzelt…” fügte sie kichernd hinzu.

***

Als die Hofdame Sina Artigas und der Junker Aureus von Altenwein zur Festwiese zurückkehrten, schien schon jemand auf sie zu warten. Etwas in sich gekehrt saß der Ingerimmgeweihte Belfionn vom Schlund auf einem Schemel und betrachtete einen Amethysten zwischen seinen Fingern. Als er der Hofdame gewahr wurde, lächelte er erwartungsvoll, stand auf und richtete sich zur vollen Größe auf.

Dem Junker entging nicht der hoffnungsfrohe Blick des Geweihten, auch nicht, dass er etwas kleines in Händen hielt. Fragend hob er eine Augenbraue:”Ingerimm zum Gruße, Euer Gnaden. Können wir Euch behilflich sein?”

Aureus nur beiläufig beachtend, hielt er den Blick weiter auf Sina. “ Von euch möchte ich nichts, euer Wohlgeboren. Ich möchte die edle Dame Artigas zum Lustwandeln führen. Es ist ja noch etwas Zeit bis zum Bankett.” Sichtlich hielt er den Amethysten. Der große, starke Mann mit den verzierten Brandnarben würde bedrohlich wirken, hätte er nicht diesen verliebten Blick.

Der Altenweiner seufzte, als er erkannte, welchen Stein Belfionn in Händen hielt. Er hatte völlig vergessen, dass es auch andere Bewerber gab, und nun? “Falls ihr der Sinn danach steht, wird meine Verlobte sicher gerne einen Spaziergang mit Euch wagen, Euer Gnaden, aber ich fürchte, sie wird Euch nicht mehr das geben können oder wollen, wonach Euch verlangt”, antwortete er mit ernst gemeintem Mitgefühl. Wohl wissend, dass seine Worte eine tiefe Wunde schlagen würden. Doch zumindest hatte er sie ausgesprochen, so dass der Geweihte auf ihn, und nicht auf sie, wütend sein würde. Sein Bild von Ihr würde keinen Schaden nehmen.

Belfionn blickte Sina fragend an:” Verlobte?” Im Inneren seines Herzens brach alles zusammen und er fragte Rahja, ob es ein Spiel mit seinen Gefühlen von ihr sei. “Dann hast du dich also schon entschieden, Sina. Wenn das deine Wahl ist, dann wünsche ich dir alles Gute. Falls du dich anders entscheiden solltest, dann findest du mich bei Dorcas.” Belfionn drückt ihr den Stein wieder in die Hand und entfernt sich von dem Paar.

Sina hielt Aureus Hand fest, sie hatte niemandem weh tun wollen, aber sie hatte sich dem Geweihten auch nie versprochen. Nein, sie war nicht so kalt, wie ER, der Bannstahler, der die arme Andesine schändlich enttäuscht hatte. Vielleicht hätte Belfionn ihr gefallen? “Aureus, ich wollte ihm nicht weh tun, aber er hat das falsch interpretiert.” “Das weiß ich doch. Und er wird es auch wissen, doch jetzt braucht er etwas Zeit. Wenn Du willst können wir mit Rahjel sprechen, dass er mit Belfionn redet. Wie wäre das?”

“Du meinst, er wird Rahjas Rat brauchen und , na er ist ja ein Bruder im Glauben, das könnte helfen.” Kurz kaute sie auf der Unterlippe. “Er wirkt etwas...emotional instabil, aber ich kenne ihn ja kaum. Wir sollten den Tag abwarten, der arme Rahjani wird noch viel zu tun haben…”

“Ich finde eher, er trägt es mit Fassung. Das spricht doch für ihn. Aber, Du hast recht, wir sollten warten.” Er lächelte traurig, wusste er doch zu genau, wie dem Geweihten gerade zumute war. “Sein Herz wird wieder heilen.”

***

Elvrun konnte es noch immer nicht glauben. Ihr Herz schlug noch immer höher. Sie betete inbrünstig zu Travia, dass ihre Base Gelda kein Problem werden wird. Als sie mit Nivard an der Hand auf die Festwiese trat, fühlte sie sofort die Augen der Gäste auf sie. Wie es schien, gab es schon einen Anlaß für die zurückgebliebenen Gäste, ein Pärchen zu beglückwünschen. Zu ihrer Überraschung sah sie ihre Base Durinja mit dem Bannstrahler Linnart am Arm. Ihre Mutter Maura war die erste die ihr zuwinkte, den misstrauischen Blick den sie Nivard zuwarf, konnte sie nicht verbergen.

Nivard konnte seine Aufregung nur schwer verbergen. Jetzt galt es, ihren Müttern zu eröffnen, dass Elvrun und er sich gefunden hatten, und vor allem Maura von Altenberg um ihren Segen für ihre Verlobung zu bitten. Er hatte in den letzten Wochen erfahren dürfen, dass ihm jene durchaus wohlgesonnen gegenüber stand, aber ihm war ebenfalls bewusst, dass nach seinen unverhohlenen Bemühungen um Gelda in den Tagen seit der Jagd in Nilsitz die Wendungen des heutigen Tages... wenigstens erklärungsbedürftig erscheinen mochten. Er konnte ihr Glück ja selbst nicht fassen. 'Aber die gütige Mutter Travia würde niemals so grausam sein, dieses Glück, zu dem sie selbst den Weg gewiesen hatte, an einer liebenden Mutter zerbrechen zu lassen.' machte Nivard sich Mut. Sanft drückte er Elvruns Hand und blickte ihr nochmals lächelnd in die Augen, dann schritten sie auf Maura zu. Wo war seine Mutter?


Etwas abseits stehend hatte Celissa von Tannenfels der ersten Verlobung beigewohnt - ein prächtig anmutendes Paar waren sie ja, der Bannstrahler vom traurigen Stein und Durinja von Altenberg. Aber weder der Schwiegersohn noch die Schwiegertochter, die sie sich selbst erhofft hätte. Ob ihre Kinder bereits jemand passenden kennengelernt hatten? Sie ließ ihren Blick suchend schweifen.

Kam da nicht gerade Nivard, mit einer jungen Dame an der Hand? Zu ihrer Verblüffung erkannte sie diese als eindeutig nicht jene Gelda, um die ihr Sohnemann so unbedingt werben wollte. Neugierig trat sie aus der Gruppe heraus und kam dem jungen Paar einige Schritt entgegen.

"Mutter!" begrüßte Nivard sie, nachdem dieser Elvrun zu Celissa geführt hatte, "darf ich Dir Elvrun vorstellen? Die Edle Dame Elvrun von Altenberg. Elvrun, ich freue mich, Dich mit meiner Mutter bekannt zu machen..." eher er noch etwas förmlicher "Ihrer Wohlgeboren Celissa von Tannenfels, der Edlen von Tannenfels." hinterherschob - er wollte, ja er durfte gleich nichts, rein gar nichts falsch machen. Und am besten sofort damit beginnen, nichts falsch zu machen. Erneut suchte er den Blickkontakt mit Elvrun, eher er seiner Mutter ganz direkt eröffnete:

"Elvrun und ich, wir haben durch der gütigen Mutter Wirken zusammengefunden,und nun ist es unser innigster Wunsch, den Bund vor Travia einzugehen!"

Celissa musterte die Novizin derweil in einer Mischung aus Neugier und Nachdenklichkeit. Die Art, wie Elvrun und Nivard sich bereits auf dem Weg zu ihr angesehen hatten und es auch jetzt taten, ja ihre Hände hielten, sagten ihr, was sie wissen musste. Und dass es eine Dienerin Travias war, auf die die Wahl Nivards gefallen war, stimmte sie ebenfalls freudig. Die junge Frau strahlte auch auf sie eine Güte und Wärme aus, die sie ihren Sohn verstehen ließ. Und hübsch war sie noch dazu. Den plötzlichen Sinneswandel musste er ihr dennoch erklären - später und unter vier Augen...

Celissas Nachdenklichkeit gab einem warmherzigen Lächeln Platz und jede Härte, die ihr die Jahrzehnte ins Gesicht geschliffen hatten, verschwand für den Moment aus ihren Zügen. "Ich bin sehr erfreut, Euch kennenzulernen, Elvrun von Altenberg!"

Elvrun wartete anständig, bis Nivard sie vorgestellt hatte. Zumindest hatte sie ihre Angst vor eine Ablehnung verloren, als sie Celissas warmherziges Lächeln sah. “ Die Freude ist auch meinerseits. Es ist ein Segen der gütigen Mutter, das ich Eurem Sohn begegnet bin. Und ich muss gestehen, seine Lieder haben ihren Weg direkt in mein Herz gefunden.”

Nun gesellte sich auch Maura von Altenberg dazu, der das Paar ebenfalls nicht entgangen war. Überrascht schaute sie den Krieger und ihre Tochter an. Es war dann an Elvrun das Gespräch zu übernehmen. “Oh, euer Wohlgeboren, das ist meine Mutter, die gelehrte Dame und Doctora Maura von Altenberg!” Dann drehte sie sich zu ihrere Mutter. “Nivard hat um mich geworben und ich habe … ja gesagt!” Mit glänzenden Augen versuchte sie ihre Mutter einzuschätzen. Maura unterdessen zählte bis Drei und atmete dann wieder. Dann strahlte sie und öffnete ihre Arme. “Bei Travia, das ist ja wunderschön!” Sie umarmte ihre Tochter und küsste sie auf die Wangen. Dann umarmte sie auch den Krieger. “Junger Mann, ihr habt mich getäuscht mit euren Absichten. Ich war gefasst euch in meiner Familie zu begrüßen, doch dachte ich nicht eure Schwiegermutter zu werden!” rügte sie ihn und gab auch ihn ein Kuss auf die Wange. Dann drehte sich Maura zu Celissa um. “Nun, was sagt ihr euer Wohlgeboren?”

“Heute ist ein Tag großer Freude für uns - ich bin sehr, sehr glücklich, Eure Tochter… Euch, Elvrun, in unserer Familie begrüßen zu dürfen” - ihr Blick wanderte dabei von Maura zu Elvrun und wieder zurück - “und unsere Häuser über unsere Kinder verbunden zu wissen.” Nach diesen Worten ging sie langsam auf Maura zu und umarmte zuerst diese in der gebotenen Behutsamkeit, ehe sie Elvrun und Nivard gemeinsam fest an sich drückte. “Und die Überraschung über die Absichten meines Sohnes ist auch ganz meinerseits, gelehrte Dame!” merkte sie danach mit einem leichten Grinsen und einem Seitenblick in Richtung Nivard an.

Dieser war innerlich noch ganz geschafft von der inneren Anspannung, ob ihre Mütter sie wohl gegenseitig annehmen würden, strahlte nun aber vor Glück und Erleichterung über den Segen Mauras für Elvrun und ihn und die herzliche Aufnahme, die ihre Verlobung gefunden hatte. “Die gütige Mutter hat mir erst heute offenbart, zu wem ich wirklich gehöre.” Er sah dabei Elvrun in die Augen. ”Aber nun bin ich der glücklichste Mann auf dem ganzen Derenrund!”

Zu Maura gewandt fuhr er fort: “Und ich werde immerzu alles daran setzen, Eurer Tochter ein guter Gemahl zu sein und sie glücklich zu machen, das gelobe ich Euch, mit all meinem Herzen!”

Elvrun drückte seine Hand und winkte dann ihren Oheim näher. Vater Winrich war schon von der ersten Verkündigung einer Verlobung in Hochstimmung, als er aber dann seine Nichte mit Nivard sah, konnte er nicht mehr an sich halten. Tränen kullerten ihm die Wangen hinunter. “Oh heilige Mutter, du hast unsere Gebete erhört. Elvrun und Nivard, es macht mich sehr glücklich.” Er umarmte die beiden.

Der frisch verlobte Krieger war sichtlich ergriffen und dankbar dafür, dass sich Vater Winrich ebenfalls so aufrichtig mit ihnen freute. Mit einem stillen Lächeln und einem Strahlen in den Augen nahm er dessen Umarmung entgegen und zeigte ihm, der daran mitgewirkt hatte, dass Elvrun und er zueinander gefunden hatte, nochmals seinen Dank.

Auch Celissa staunte und war insgeheim nicht nur ein bisschen stolz darüber, wie wohlgelitten ihr Zweitgeborener bei den Altenbergern zu sein schien. Sie hätte es kaum zu hoffen gewagt, dass diese Brautschau eine so wunderbare Entwicklung nehmen würde, und war sehr angetan von der Wahl ihres Sohnes. Sie fasste Vertrauen, dass Travia Nivard nicht nur mit Frau und baldigem Nachwuchs beschenken möge, sondern ihren Jungen durch diese auch zu Sesshaftigkeit und Einnahme eines gebührenden Platzes in den Nordmarken motivieren würde. Schöner hätte sie selbst es niemals arrangieren können.

"Ein wunderhübsches Paar geben sie ab, die beiden, nicht wahr?" merkte sie in Richtung Mauras an. "Ich freue mich bereits sehr, Elvrun und Euch gleich näher kennenzulernen. Ihr selbst scheint Nivard bereits länger zu kennen? Bislang hatte ich nur von seiner Freundschaft zu Eurem Sohn Elvan mitbekommen." “Wir haben uns in Nilsitz kennengelernt.” Sie griff nach einer Karaffe Wein. “Nennt mich Maura…” fing sie das Gespäch an. “Celissa...” lächelte die Tannenfelserin zurück und ließ sich nur zu gerne den Becher füllen, sich auf einen Plausch unter Müttern freuend.

In den Pavillons

Die verstreuten und meist von Rosenbüschen umgebenden Pavillons, waren alle gleich gebaut. Rund, umgeben mit Balustraden und Runddach, luden Bänke im inneren zum verweilen ein. Die Büsche und Rosenranken gaben ihnen eine romantische und verborgene Stimmung.

***

Sich am Arm des Bannstrahlers haltend, schritt Durinja und Linnart gemächlich auf dem weißen Kiesweg und zielten dabei einen der Pavillons an. Der Ritter war ein charmanter Begleiter. Er wählte ein angenehmes Tempo und seine Lippen zierte ein Lächeln. Als die beiden den Pavillon erreichten, drehte er die Zofe zu sich. “Ihr unterschätzt mich, Durinja …”, der Ausdruck auf seinem Antlitz war immer noch freundlich und charmant, “... und da Ihr meintet mich betreffend Eure Hausaufgaben gemacht zu haben, schmerzt mich dieser Umstand beinahe.”

Belustigend schaute sie ihn an. “Ich glaube nicht dass ich euch ´unterschätze´. Ich sehen eine große Zukunft in Euch, Linnart. So ihr das auch wollt. Aber ich denke, dass ihr mich unterschätzt.”

Er schüttelte seinen Kopf. Etwas zu energisch vielleicht. “Euch unterschätzen, nein …”, Linnart ließ ein Lächeln folgen, “... ich kenne Frauen wie Euch. Die wichtigste Frau in meinem Leben ist Euch sehr ähnlich. Sie hat mich aufgezogen und mir auch das Handwerkszeug mitgegeben, wie man am besten mit Frauen wie Ihr umgehen soll.” Der Bannstrahler machte eine bedeutungsschwangere Pause. “Doch habt Ihr etwas in Euch, das ihr gefehlt hat und immer noch fehlt. Ich sehe in Euch einen Ehrgeiz, der sehr selten ist. Das kann positiv sein … ich bin selbst ein sehr zielstrebiger Mensch, doch ist er in zu großen Dosen beizeiten auch destruktiv.”

Durinja lachte kurz. “Mein guter Linnart. Ich bin überrascht, dass ihr euch jetzt schon zu einem Urteil über mich hinreissen lässt. Ihr habt von meinem Ehrgeiz doch noch gar nichts zu spüren bekommen. Ich wäre dumm, jetzt schon zu viel zu wagen.” Sie schaute ihn an. “Ihr seid also wirklich ehrgeizig?” Lasst mich euch fragen, was stellt ihr euch für euren Namen, Haus und Familie vor? Wie soll eure Zukunft in den Nordmarken aussehen?”

Der Angesprochene überging ihre Fragen vorerst. “Wie meintet Ihr im Pavillon Eurer Familie? Die Frau von Dere hat Augen im Kopf …”, er schmunzelte, “... und der Mann von Dere ist mit einer annehmbaren Beobachtungsgabe gesegnet.” Linnart blickte in ihre einnehmenden Augen. “Es ist mir nicht entgangen, wem Ihr Eure Aufmerksamkeit schenkt und ich fühle mich geschmeichelt, dass Ihr mich als lohnenswertes Ziel auserkoren habt.” Kurz ging der Blick des Bannstrahlers dorthin, wo er den Rest der Gäste erwartete. “Nun zu Euren Fragen ... Könnt Ihr Euch noch erinnern, was ich Euch sagte? Ich kenne meinen Wert. Und nein, das war kein Ausdruck von Bescheidenheit. Ich bin hierher gekommen, weil mich meine Mutter und meine Schwester darum gebeten haben. Rahjalind zuliebe tat ich es, denn die Familie hat in meinen Augen einen sehr hohen Stellenwert, auch wenn unser Haus eher eine Fessel, denn ein wirklicher Antrieb für jedwede politische Ambition ist.” Abermals folgte ein Schmunzeln. “Ihr habt es richtig analysiert. Jung und politisch unbedeutend. Ich muss hier niemanden heiraten. In unserem Haus gibt es dahingehend keinen Zwang, die Freiheit ist uns das wichtigste Gut. Nein, wenn ich hier und heute entscheide, eine der hier Anwesenden zu ehelichen, dann wird das alleine meine Entscheidung sein. Und ich werde mich bestimmt nur der bestmöglichen Kandidatin versprechen. Und dabei spreche ich nicht vom klangvollsten Namen …”, Linnart schüttelte zur Bekräftigung seiner Worte seinen Kopf, “... nein, es geht mir einzig und alleine um die Eigenschaften, die die Frau in jene Verbindung mitbringen würde. Die Grenzen einer niederen Abstammung lassen sich mit Praios´ Hilfe durchbrechen. Auch seine Hoheit, unser geliebter Herzog, stammte gerüchteweise von Flusspiraten ab …”, er hob seine Schultern, “... nun strebe ich nicht nach solch hohen Zielen. Das tat mein Vetter … und Namensvetter … Linnart von Halberg und wurde dafür geächtet … oder meine Urgroßmutter Manola, die sich während der Answinkrise zur Gräfin von Elenvina ausrufen ließ … nein, ich möchte meine Familie als eine respektable Sippschaft etablieren. Man sollte bei unserem Namen nicht mehr an einen Gespielen Kaiserin´ Cellas oder an die Abkömmlinge eines unbedeutenden Rahjaheiligen denken.” Kurz ging der Blick des Ritters gen Alveran. “Eine Sache, die meinem Vater verwehrt blieb. Er war ein geachteter Kriegsheld und heiratete die richtige Frau … und dennoch hat er in dieser Hinsicht nichts erreicht.” Linnarts Augen nahmen ein seltsames Funkeln an. “Das ist mein Ziel und dafür möchte ich die richtige Partnerin finden. Ich kann keinen großen Namen bieten, auch gebieten wir nicht über tausende Schutzbefohlene. Die Herrin Rahja hat uns mit ertragreichen Weinbergen gesegnet, es wird uns nie an Gold fehlen. Schmuck … schöne Kleider … rauschende Feste … ja, eine Zofe wenn es sein muss … das kann ich meiner zukünftigen Partnerin bieten.” Er leckte seine Lippen. “Das und meinen Ehrgeiz, mein Pflichtbewusstsein und meine Loyalität …”, kurz strich seine Hand über Durinjas Oberarm und ihre Hüfte, doch ließ er sogleich wieder von ihr ab, “... und natürlich steht hier auch ein Mann voller Leidenschaft, der seine Frau mit jeder Faser seines Körpers begehren würde …”, er schüttelte seinen Kopf, “... und denkt Ihr, dass Ihr diese Frau sein könntet? Eine Frau, die mich stärkt, auf die ich mich verlassen kann und die mich ergänzt?” Fast schien es als würde seine Ausführung damit enden, als er noch einmal nachsetzte. “Ich denke, dass die hohe Dame von Wasserthal es wäre.” Ein seltsamer Weg, seine Rede zu beenden, doch war es berechnend. Linnart war ein Mann, der überzeugt werden wollte - er wollte den Kampfgeist sehen, den Charakter herauskitzeln und fühlen ob sie den Kopf in den Sand steckt, oder bereit dazu war, für das was sie wollte auch Opfer zu bringen - und sei es ihr Stolz.

Durinja hörte aufmerksam zu. “Gut, dass ihr eure Beobachtungsgabe hier benutzt. Aber wenn es um euer Urteilsvermögen geht, gibt es noch einiges zu lernen.” Jetzt wurde sie sehr ernst, wären sie mit ihm den Pavillon betrat. “Eure Mutter hat gut getan euch hierher zu schicken und ich bin mir sicher das ihr sehr wohl klar war, dass ihr eine Heirat nicht benötigt. Solche Veranstaltungen sind dazu da, Bündnisse zu schließen. Aber auch hier ist ein geschicktes Handeln von Nöten, denn es entscheidend sich schlußendlich über Freund und … Feind. Und wie ich heraus höre, wollten eure Eltern das Haus vom Traurigen Stein aufstreben lassen und einen besseren Ruf erlangen. Und da liegt die Hoffnung auf euch.” Nun setzte sie sich auf die Bank und schaute ihn von unten nach oben an. “Fast hätte ich gedacht ihr sprecht von mir, den all das was ihr euch wünscht erfülle ich und wünsche mir ebenfalls. Doch mit der Wahl der Wasserthalerin liegt ihr absolut falsch.” Mit Nachdruck zog sie ihn zu sich auf die Bank. “Die gute Andesine mag herzlich sein, ein verstecktes Feuer sogar. Aber ihre Ambitionen hören aber auch schon dort auf. Ein Heimchen. Ihr werdet es schwer haben, die Position eures Hauses zu verbessern. Der Ruf mag vielleicht sich verbessern … wenn dann die traviagefälligen Werte der Gemahlin übernehmen.” Durinjas Hand blieb auf seinem Oberschenkel liegen. “Und versteht mich nicht falsch. Ihr seid kein ´Ziel´. Ihr seid eine Möglichkeit, für beide Seiten. Aber sicher hab ich auch mein Auge auf jemand anderes, falls ihr diese nicht erkennt.” Ihr Ton wurde wieder lieblicher.

“Bestimmt habt Ihr das …”, pflichtete Linnart ihr bei, “... Frauen wie Ihr es seid, würden nie alles auf eine Karte setzen.” Er maß ihre schlanke Hand auf seinem Oberschenkel mit einer hochgezogenen Augenbraue, ließ sie aber liegen. “Doch schätzt Ihr die Situation in meiner Familie etwas falsch ein. Mutter …”, es schien als würde der Bannstrahler nach den richtigen Worten suchen, “... sie würde nicht zulassen, dass Andesine ihr das Heft aus der Hand nimmt. Oder Ihr … wiewohl ich denke, dass sie in Euch die größere Bedrohung sehen würde.” Er hob beschwichtigend seine Hand. “Das Leben in unserer Familie ist voller Herausforderungen, gepaart mit einer gehörigen Portion an Sturheit und leidenschaftlichen Streitereien. Mutter ihres Einflusses zu entheben wäre eine große Aufgabe meiner Zukünftigen. Ich bin im Kloster … das liegt nur ein halbes Stundenglas firunwärts unseres Landpalazzos, doch wird es mir nicht möglich sein ständig an der Seite meiner Frau zu sein. Sie muss sich durchsetzen können - auch alleine.” Kurz kaute der Ritter an seiner Unterlippe. “Andesine … mein erster Eindruck von ihr war … sie war so rein und gütig … brav wäre man fast gezwungen zu sagen … doch hat sie mir inzwischen auch etwas von dem Feuer gezeigt, das nötig wäre.” Linnart blickte Durinja in die Augen. “Ihr sagtet, dass Ihr mir diese Frau sein könntet, nach der ich mich sehne. Woran macht Ihr das fest? Was habt Ihr bisher für Erfahrungen gesammelt und wie würdet Ihr mir helfen können?”

Sie strich mit ihren Fingernagel sacht seinen Oberschenkel nach oben, hob dann aber wieder ihre Hand. “Eines solltet Ihr euch abgewöhnen, Linnart. Ihr vergleicht mich ständig ´mit Frauen wie Ihr es seid´. Erstens gibt es keine Frau, wie ich es bin. Zweitens, ich kann mir nur vorstellen, was Ihr damit meint und ich hoffe Praios hört Euch dabei nicht zu.” Sie drehte sich ein wenig weg, fasste sich dann aber wieder an ihre linke Brust. “Ich denke schon, dass ich eure Mutter gut einschätze. Mir würde es nie einfallen in ihre Quere zu kommen, mehr noch eine Verbündete zu sein. Aber um es auf den Punkt zu bringen:Iihr und eure zukünftige Gemahlin sind die Zukunft eures Hauses.” Durinja blickte ihn wieder mit ihren zweifarbigen Augen an. “Ihr könnt euch bei mir bedanken. Nur durch mich hat Andesine einiges durchscheinen lassen. Aber im Gegensatz zu ihr, brauch ich niemand der mich reizt, um zu offenbaren, wer ich bin. “ Dann griff sie nach einer seidigen Strähne ihres Haares. “Woran ich das festmache? Euer Gedächtnis ist kurzweilig. Erstens habe ich Augen im Kopf, zweitens habt ihr mir gerade erzählt was ihr möchtet. Und da treffen sich unsere Interessen.” Nun spielte sie mit der Strähne. “Und noch etwas. Ihr solltet herausfinden, wie die Wasserthalerin zu Rahja steht. So wie ich euch einschätze strebt ihr nach Travias Tugend der Treue, doch glaube ich nicht, dass ihr eurer Hausgöttin entsagen könnt. Mit ist das durchaus bewusst, und ich würde mich an kleinen Abenteuern eurerseits nicht stören.”

Linnart schüttelte daraufhin knapp sein Haupt. “Nein, dem kann und will ich nicht entsagen …”, bestätigte er, “... in unserer Familie ist der Glaube fest verwurzelt, dass Rahja uns in Person meines Urahnen erwählt hatte und ich denke, dass ein jeder Angehörige meiner Familie die Göttin in sich fühlt. Auch wenn man, wie ich, dem Gleißenden dient. Treue wäre für mich jedoch dennoch schön - da mag ich mich dann doch vom Rest meiner Familie unterscheiden. Wie Andesine dazu steht, weiß ich nicht. Ich hatte sie etwas früher am heutigen Tag mit meiner Zuneigung verschreckt …”, kurz hing der Ritter noch einem Gedanken nach, dann blickte er der Zofe in ihre einnehmenden Augen, “... was meine Mutter betrifft …”, er lächelte, “... Eure Worte in der Götter Ohren. Ich kann nur einem jeden und einer jeden viel Glück wünschen, wenn Adda sich in ihre Dinge hinein gepfuscht fühlt. Aber gut …”, Linnart ließ eine wegwerfende Handbewegung folgen, “... alles zu seiner Zeit. Erzählt mir doch von Eurer Familie. Euer Bruder ist auch hier, wenn ich mich recht erinnere.” Bei ihrer Vorstellung war sie in Begleitung eines jungen Mannes ins Rondeau gegangen, doch hatte er ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt.

“Gut das ihr fragt, ihr wolltet ja um meine Erfahrungen wissen.” Durinja ließ die Strähne fallen. “Die Altenberg sind eine Ministeralienfamilie und dementsprechend in der Bewegung und Kommunikation des Herzogtums integriert. Meine Großmutter und mein Onkel sind respektierte Angehörige der Traviageweihtenschaft, meine Tante Prianna hat starke Bindungen zur Praiosgeweihtenschaft. Mein Oheim Hamar ist der erste Kammerdiener in der Kanzley für Handel und Wandel. Mein Vater ist ein Rechtsgelehrter und mein Bruder ebenfalls. Ich selbst diene der Baroness von Immergrün, eine Botschafterin des Reiches mit besten Verbindungen im Adel. Ich denke, dass alles spricht dafür, das ich eine gute, aber harte Schule hinter mir habe.”

Der junge Ritter nickte ihr zu. “Harte Schule … ja wohl wahr, aber diese zahlt sich im späteren Leben stets aus. Auch ich ging, wie Ihr Euch wahrscheinlich denken könnt, durch eine sehr harte Schule im Orden. Im Kloster St. Aldec waren Abschriften, Gebet, Waffenübungen, Unterricht in der Rechts- und Magiekunde, sowie Züchtigungen mit dem Rohrstock an der Tagesordnung.” Er lächelte. “Aber es hat sich ausgezahlt. Es hat mich zu dem gemacht was ich jetzt bin. Ich diente bereits in Beilunk unter der Fürst-Illuminata und war bei meiner Erhebung in den Ritterstand der jüngste im Orden aus St. Aldec seit gut 60 Götterläufen. Der Abt hatte sogar anmerken lassen, mir demnächst den Titel als Cellerers zu verleihen, um mir mehr Verantwortung innerhalb von Orden und Kirche zu übertragen. Es spricht auch für Euch, dass Ihr nicht mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund aufgewachsen seid und Euren Weg gehen musstest.” Er wandte sich Durinja zu und musterte sie. “Ihr habt mir einiges zu denken gegeben … hohe Dame ... Ich bin ehrlich mit Euch, ich habe mich von Anfang an zu Euch hingezogen gefühlt …”, Linnart grinste, “... nein, das heißt nicht, dass ich Euch willenlos verfallen wäre. Ihr habt nur, als einzige der hier anwesenden Werberinnen, eine Ausstrahlung, die mir auch in der Vergangenheit stets zugesagt hat.” Der Ritter erhob sich von der Bank und bot der Zofe galant seine Hand an. “Nun beschleicht mich jedoch das schlechte Gewissen, Euch vom Protokoll und den anderen … Alternativen … zu meiner Person fernzuhalten.” Sie griff seine Hand und stand auf, ohne dabei nicht zu vergessen, so dicht vor ihm zu stehen, dass nur eine Feder dazwischen passen würde. “Ich hoffe doch, dass ihr mir nicht willenlos verfallen seid, das wäre doch sehr langweilig.” Dann öffnete sie ihre Lippen und näherte sich die seinen.

Sie konnte spüren, dass er tief durchatmete, dann fühlte sie seine Hand, die sanft ihren Hals entlang strich und sich um ihren Nacken legte. Es folgte ein kurzer, aber heftiger Kuss, bei welchem der Ritter nicht dem Einsatz seiner Zunge sparte. So schnell dieser Sturm der Zuneigung über sie kam, so schnell war es auch wieder vorbei. Als sich Linnart von ihr löste, schien es kurz so, als stünde ihm der Schreck in den Augen. Schreck über seine in diesem Moment fehlende Selbstbeherrschung. Ja, das Blut in seinen Adern geriet schnell in Wallung, doch klarte sich sein Antlitz schnell wieder auf und er ließ ein verschwörerisches Zwinkern folgen. “Gehen wir?”, fragte er in tiefem Ton und bot ihr seinen Arm dar.

Erst jetzt spürte er dass leichte Brennen an seinem Hals, der feine Kratzer den ihr Fingernagel , während des Kusses hinterließ. Durinja blicke ihn mit einem leidenschaftlichen Blick an. “Lass uns gehen.”

***

Der Schreiber Elvan und die Rahjanovizin Rahjalind liefen ein Stück in den Park hinein. Als sie beide alleine waren, steuerte er den Pavillon hinter dem Küchenzelt an. Er ging ihre Worte noch einmal in Gedanken durch. Elvan wußte was sie meinte. Die Gefühle Männer gegenüber waren stärker als zu Frauen, doch sie konnte seine Situation nicht nachempfinden. Sicher steht die Liebesgöttin für freie Gefühle, aber lässt sie jeglichen Stand und Verpflichtung außer Acht.

Seine Familie folgt den Geboten Praios und Travia, Rahja hatte da nur ein wenig Platz. Er war hier, um diesen ewigen Druck zu beenden. In dem er einen Ehebund eingehen würde. Aber abgesehen von seiner eigenen Situation, fühlte er, dass da mehr war, aber von ihrer Seite aus.

Elvan setzte sich mit ihr hin und nahm ihre Hand in seine. “Danke das ihr euch Sorgen macht, Rahjalind. Aber seid ihr sicher das es um mich geht? Ich kann verstehen, dass die Erwartungen an euch hoch sind, und die Geweihten vor eurer Weihe ein Auge auf euch haben. Ich kenne das von meinen Schwestern. Vorn meiner ältesten wird auch heute noch sehr viel erwartet. Und Elvrun hat nächstes Jahr ihre Weihe zur Geweihten der Travia. Jemand hat euch gesagt ihr würdet Menschen quälen? Wenn ihr reden möchtet, ich kann nur eure Worte zurück geben und euch meinen Beistand anbieten.” Verständnisvoll schaute er sie an.

Rahjalind schob daraufhin ihre Augenbrauen zusammen. ´Hatte der Mann gerade das Thema gewechselt …´, dachte sie bei sich und einen kleinen Teil in ihr schien diese Tatsache zu amüsieren. Sie lächelte ihn breit an. “Wisst Ihr warum ich der Göttin diene, Elvan …”, die Novizin wartete keine Antwort ab, “... um mich in den Dienst der Menschen und der Liebe zu stellen. Ich nehme mir nicht heraus, dass ich über den anderen stehe und genau deshalb fehlt mir auch der Antrieb all mein Handeln dem Ziel unterzuordnen, mich unbedingt vor meinen Kirchenoberen profilieren zu müssen.” Sie machte eine kurze Pause und schüttelte dabei ihr Haupt. “Nein, die Herrin soll entscheiden, sie soll mich prüfen … alleine sie weiß wie sehr ich sie liebe und bereit bin ihr alles unter zu ordnen.” Der Blick der jungen Rahjadienerin löste sich von ihm und ging in weite Ferne. “Rondradin von Wasserthal meinte, ich würde ihn quälen …”, plauderte sie dann los, “... ich wollte ihn dazu ermutigen für sich und seine Liebe zu kämpfen. Er war unglücklich und bereit dazu sich in eine Rolle zu zwingen, die er tief in sich nicht wollte.” Rahjalind schmunzelte. “Ich war dabei wohl etwas zu unnachgiebig, aber es scheint so als hätte er es sich zu Herzen genommen. Die Liebe findet immer einen Weg, Elvan … egal wie aussichtslos es scheint. Ihr müsst sie nur in Euer Herz lassen.” Nun lagen ihre großen grünen Augen wieder am Antlitz des Kalligraphen. “Und dort wo Rahja eine Türe schließt, öffnet sie oft auch eine neue … Eure Base Elvrun scheint sich gut mit dem hohen Herrn Nirvad zu verstehen. Ich habe die beiden vorhin gemeinsam flanieren gesehen. Noch vor einem halben Stundenglas stand ich mit ihm im Stall und versuchte ihn davon zu überzeugen, das Fest nicht zu verlassen.” Abermals folgte ein Lächeln. “Und nun könnt Ihr mir ja sagen wie ich Euch helfen kann.”

“Es schien fast so, dass euch die Worte Rondradins getroffen hätte. Aber so wie es sich anhört, habt ihr alles richtig gemacht.” Er lächelte. Und er wußte nun, was mit Gelda, Nivard und Rondradin los war. Ein bisschen wehmütig dachte er kurz an den jungen Krieger, aber freute sich dann für seine Schwester. “Aber wie ich schon sagte, es gibt nichts wo ihr mir helfen könnt. Obwohl”, Elvan machte eine kurze Pause,” vielleicht könnt ihr mir eine Wahl einer Braut helfen. Was glaubt ihr wer zu mir passen würde?”

“Natürlich …”, ging Rahjalind kurz auf erstere Bemerkung des Altenbergers ein, “... wer hört denn schon gerne, dass er in seiner Aufgabe für die Göttin andere Menschen bloß quält? Liebe tut nun auch schon einmal weh - das gehört dazu, eben weil es so ein intensives Gefühl ist und wir uns damit selbst so verletzlich machen.” Dann musterte die Novizin ihr Gegenüber eingehend. “Ich darf ehrlich zu Euch sein …”, sie wartete keine Antwort ab, “... der hohe Herr von Baldurstolz vergöttert Euch und ich habe auch die Euren Blicke bemerkt. Ich denke, dass er der Richtige wäre.” Sie lächelte. Elvans Gesicht brannte. Ja, sie wollte es nicht gehen lassen. “Leider ist er das nicht.”, erlaubte er sich die ehrlichen Worte. “Liebe ist etwas, das mit vertrauen kommt. Ich kenne den Ritter kaum. Und Begehren und Lust hat damit … heute … nichts zu tun. Ich suche eine Frau, mit der ich ein Bund eingehen kann. Kein Mann.” Nun war er ganz ernst.

Die Novizin zog eine Augenbraue hoch. “Ihr würdet es mir vielleicht nicht zutrauen, hoher Herr, aber der kleine aber feine Unterschied, den Ihr eben angesprochen habt, ist mir sehr wohl bekannt.” Ihr Blick schien für einen Moment wieder in weite Ferne gerichtet zu sein. “Ihr habt mir eine Frage gestellt und ich habe sie Euch beantwortet. Und ich weiß um Euer Ansinnen, dass Ihr eine Partnerschaft und keine unbedeutende Liebschaft sucht. Aus dem Blick des Herrn Vitold sprach so viel mehr als bloße Lust und Verlangen. Ihr hättet ihn sehen müssen als er sich von Euch zurückgewiesen fühlte … was ich in seinen Augen sah war Erschütterung und Trauer und nicht die Wut eines verschmähten Liebhabers.” Ihr Blick fiel zurück auf den Kalligraphen. “Wenn Ihr eine Frau sucht und wollt … dann seid bitte von Anfang an ehrlich betreffend Eurer Absichten. Ihr seid ein begehrenswerter Mann … auch für die Damenwelt. Macht keiner davon Hoffnungen, die Ihr dann nicht bereit seid zu erfüllen.”

Elvan stand auf. “Wollen wir weiter spazieren?” fragte er. Das sitzen mit ihr machte ihn nervös. Der Tharf zeigte noch immer Wirkung. Seine Gedanken kreisten um leidenschaftliche Küsse. Es war schwer, so ein ernstes Gespräch zu führen.

Als Antwort folgte ein Lächeln. “Sehr gerne, hoher Herr, wiewohl ich Euch nicht von den anderen Damen fernhalten möchte.” Sie hakte sich bei ihm ein und war gespannt wo er sie nun hinführen wollte. Den etwas skeptischen Gesichtsausdruck bei ihren letzten Worten konnte der Altenberger nicht vernehmen.

***

Roklan von Leihenhof war froh, sich endlich vom Tisch lösen zu können und den Park zu genießen … und ein Auge auf seine Verwandten zu haben. Er lief eine Weile über den schönen, weißen Kiesweg und steuerte ein Pavillon an, in welchem eine einsame Gestalt stand und seinen Blick über das wogende Blütenmeer schweifen ließ. Er war in Gedanken versunken und wandte den Neuankömmling den Rücken zu, so dass er ihn nicht kommen sah. ´Ist das nicht Vitold von Baldurstolz?´ Der Baron erinnerte sich, wie leidenschaftlich er den jungen Altenberger beim Tisch der Rahja geküsst hatte. Natürlich war ihm das nicht entgangen. Roklan kannte die Sorte Mann gut. Er gehörte selbst dazu. “Ist das nicht ein herrlicher Ausblick, Baldurstolz?” sprach er den Ritter an.

Überrascht wandte sich der Ritter um:”In der Tat, das ist es, Euer Hochgeboren.” Er lächelte und nahm Haltung an. “Was kann ich für Euch tun?”

“Entspannt euch, Ritter Vitold. Ich bin nur zufälli -g vorbei geschlendert. Wie sagt man so schön … wohin Rahja mich führen wollte.” Er zwinkerte ihm zu und ließ einen genaueren Blick zu.

Gerade die dreißig Götterläufe überschritten trug Roklan sein volles, braunes Haar kurz, auf dem die Baronskrone ruhte und seine Wangen waren frisch geschabt. Die klaren, braunen Augen, die etwas längliche, gerade Nase und das ausgeprägte Kinn gaben ihm etwas aristokratisches. Um den Hals trug er ein Schlangenhalsband aus Messing, das ihn als Consor der Hesinde-Kirche auswies. Sein teurer Brokatwams war in Grün- und Blautönen und das Wappen Galebquells, ein goldener, rechts stehender Widder auf blauen Grund, zierte auf seiner Herzseite. “Keine Dame von interesse?” fragte der Baron neugierig.

Der Baldurstolzer musterte Roklan von oben bis unten, bevor er antwortete:”Es ist nicht mein Wunsch mir eine Braut zu suchen. Vielmehr wünscht mein Baron einen legitimen Erben für mein Gut. Und ich fürchte, er wird es mir nehmen, wenn ich mich nicht darauf einlasse.” Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:”Außerdem, habe ich mich verliebt.”

Der Baron seufzte. “Es ist nunmal Praios Wille, das die ´Struktur´ erhalten bleibt. Und es ist nur das Wohlwollen eures Barons, dass er euer Haus weiterhin an dieser Stelle sehen möchte. Und es ist Travias Wille es mit einer Familie zu erhalten. Doch ich verstehe das Rahjas Wille oft ein andere ist. Aber ich kann euch versichern, es ist möglich, allen dreien gerecht zu werden.” Roklan lächelt ihn wissend an.

“Wie soll das gehen?”, fragte der Baldurstolzer und seine Augen zeigten Verzweiflung,”ein Traviabund entspricht einem Eid. Und ich breche keine Eide. Weder vor Menschen und erst recht nicht vor den Göttern!” Er atmete tief ein und schluckte offenbar seine Wut herunter:”Ich bin nur ein Mensch, ich kann nicht mehreren Herren dienen.”

“Ich bin an dem mir angestammten Platz Praios und bin im Traviabund mit meiner schönen Gemahlin Jileia. Ich bin ihr treu, wie ich es vor Travia geschworen habe. Aber die Göttin Rahja ist mir ebenfalls wichtig. Jileia weiß das und wir kamen zu einer Übereinstimmung. Da ich ihre Erlaubnis habe, wird auch kein Eid gebrochen.” Ein leichter anzüglicher Blick bahnte sich in die Augen des Barons. “Aber, falls dass für euch unmöglich ist Nachkommen zu zeugen, es gibt immer noch die Möglichkeit der Adoption oder einen Verwandten einzusetzen nach eurem Ableben.”

“Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Doch schätze ich meinen Baron so ein, dass er es nicht gestatten würde. Würde ich an höherer Stelle anfragen, könnte ich ihn mir zum Feind machen:” Ihm war der Blick nicht entgangen und er erwiderte ihn, überlegte, was er mit dem Leihenhofer alles anstellen würde. Doch musste er auch an Elvan denken und das Gefühl, dass er hatte, als jener sich von ihm abgewandt hatte. Sollte er es ihm heimzahlen? Auch, wenn das hier ein Rahjafest war und er ein freier Mann, würde der junge Schreiber dies sicher nicht gutheißen. Er biß sich auf die Unterlippe. Eine Geste, die ihn ungewollt verführerischer wirken ließ.

”Ich bin mir sicher es wird sich für euch fügen. Die Götter sind stets mit uns!” Optimistisch lächelte er. “Wollen wir ein wenig spazieren?” Der Baron machte eine einladende Geste.

“Gern”, lächelte der Baldurstolzer und schritt auf den Baron zu.

“Erzählt mir, Vitold. Wie steht ihr zu euren Baron? Wenn ich mich recht erinnere habt ihr auch einen weitere Verwandten mitgebracht.”, fragte während er mit dem Ritter weiter lief.

“Er ist mein Lehnsherr und ich sein treuer Vasall, warum fragt Ihr?” Vitold fand diese Frage ein wenig merkwürdig. “Reine Neugierde. Ist euer Verwandter schon versprochen?” “Ähm, Folcrad? Nein, der ist noch auf dem Markt. Käme er für eine Eurer Verwandten in Frage?” “Warum den nicht. Ich würde es sehr schade finden, Vitold. Er ist ja ungefähr in Lucastas Alter.”

“Er zählt nun schon sechzehn Lenze und macht sich bisher ganz gut. Er hat sich dem Orgilsbund angeschlossen und war bereits auf einem Feldzug”, berichtete Vitold nicht ohne Stolz.

“Das ist doch schon etwas. Wird er ein Erbe antreten? Lucasta steht die Würde einer Erbvögtin vor.”

“Sein Großvater hat ein Haus in Altenwein und ein kleines Feld. Vermutlich wird er es eines Tages erben, wenn sein Vater nicht mehr ist. Ich spiele aber schon länger mit dem Gedanken ihn zu meinem Erben zu machen, dann bliebe Hinterwald zumindest in der Familie.”

“ Wer spricht für Folcrad?” Er lächelte Vitold zuversichtlich an.

“Ich. Maldoram ist zwar das Familienoberhaupt, aber er ist krank und ich werde, an seines Sohnes statt, die Nachfolge antreten. Wenn Ihr also mit mir sprecht, so sprecht Ihr mit dem Hause Baldurstolz.”

“Sagt mir bescheid, falls ihr Interesse haben solltet und wir können die beiden zusammenführen und schauen, was meint ihr?”

“Interesse besteht durchaus. Falls es Eure Zeit erlaubt, könnten wir die Gelegenheit beim Schopfe packen. Wie wäre es morgen zur Traviastunde? Dann können sich die beiden kennenlernen.”

“Morgen? Wir sind heute bei einer Brautschau, dafür ist sie doch da. Wir können sie später zusammenführen.” Selbstzufrieden schaute er über die Lilienwiesen.

“Dann heute Abend also.”

***

Nach einer Weile des Spazierganges begegneten sich zwei Paare. Auf der einen Seite war es der Schreiber Elvan und die Rahjanovizin Rahjalind und auf der anderen der Baron Roklan und der Ritter Vitold. Ein leichtes Zucken fuhr dem Altenberger durch, als er Vitold sah. Auf der anderen Seite war es der Baron der anfing zu grinsen. “Schaut, Vitold. Ist das nicht der Altenberger und die Traurigsteinerin?

“Rahja zum Gruße, Euer Hochgeboren …”, freundlich knicksend begrüßte die Novizin erst den Baron, dann den Edlen neben ihm, “... Hoher Herr Vitold. Was für eine Freude. Wir haben gerade über Eure optische Ähnlichkeit zu unserem geliebten Herzog gesprochen.”

Der Ritter spürte wieder diesen Stich in seiner Brust und fühlte sich verraten. Doch wollte er wissen, wie sich die Situation entwickeln würde. “Rahja zum Gruße, Schülerin der Leidenschaft.” Er sprach zu ihr, doch blickte er Elvan unentwegt an.

Der seine Blicke beantwortete mit leichter Unsicherheit.

“Was haltet ihr davon ein wenig zusammen lustzuwandeln? Es gibt da eine Stelle im Park die man mir empfohlen hatte. Was sagt ihr?” schlug der Baron fort.

Rahjalind bedachte Elvan mit einem knappen Seitenblick. “Sehr gerne, Euer Hochgeboren”, nahm sie sich dann heraus für sich und den Schreiber zu antworten.

“Wunderbar!” Roklan hakte Rahjalind ein und ging mit ihr voran. “Schön euch kennenzulernen, Rahjalind. Ich konnte euch bis jetzt nur von weitem betrachten.” Er drehte sich kurz zu Vitold und zwinkerte ihm zu.

Elvan zuckte kurz mit den Schultern und ließ Rahjalind aus seinem Arm. Mutig gesellte er sich neben Vitold. “Schön euch wiederzusehen.” Er blickte ihn nicht dabei an, doch ein sanftes Lächeln zierte sein Gesicht.

Die Rahjadienerin störte sich daran nicht. Sie bedachte erst Vitold und Elvan mit einem Lächeln und wandte sich dann dem Baron zu. Erst hob sie ihre Schultern, dann zwinkerte sie dem Leihenhofer zu.

Der Ritter verlangsamte seinen Schritt und wartete bis der Abstand zwischen den Paaren größer war. Dann fragte er leise:”Warum, Elvan?”

“Warum, was?” verwundert fragte er den Ritter.

Der Baron von Leihenhof sprach weiter, gerade so laut, dass auch jeder der Flanierenden ihn hören konnte. “Die Heiter ist wahrlich unter uns heute. Und mich beschleicht der Verdacht, das es heute nicht jedem zuteil ist eine Braut zu finden, aber … dennoch einige die ihren Rausch und Freude erleben werden. Was meint ihr, Liebste?” Ein sinnlicher Blick traf die junge Frau.

“Mit dieser Annahme könnt Ihr richtig liegen, Hochgeboren …”, sie schmunzelte, “... ich bin schon froh wenn ich meinen Bruder hier heute unter die Haube bringe. Er hätte die harte Hand einer Frau dringend nötig. Und wie steht es um die Euren?”

Der Baldurstolzer spürte Zorn in sich aufsteigen. `Hatte er das eben ernsthaft gefragt?` “Deine Zurückweisung vorhin… Sie hat mich schwer getroffen.”

“Beruhigt euch, Vitold”, sagte Elvan mit gedeckter Stimme. “Ihr könnt nicht davon ausgehen, das jeder so … offen mit seinen … ihr wisst schon … umgeht. Ich habe sowas noch nie gemacht. Und”, flüsterte er weiter,” meine ganze Familie hat zu geschaut.” Wieder brannte Elvans Gesicht und hielt den Blick gesenkt.

Vitold seufzte: ”Glaubt Ihr wirklich für mich ist es leicht? Mein Baron ist hier. Er will, dass ich ihm einen Erben präsentiere, oder...vermutlich wird er mir mein Gut nehmen und es einem seiner `Freunde`überlassen. Sie werden gewiß nicht so gnädig mit den dortigen Bauern umgehen, wie ich. Und trotzdem habe ich mich verliebt. Seit wir uns dass erste mal sahen, geht Ihr mir nicht aus dem Kopf. Ich habe das noch nie gehabt.” Er blieb stehen und wandte sich dem Künstler zu. “Ich spüre, dass es richtig ist, Du nicht?”

Elvan schaute ein wenig skeptisch. “Wir kennen uns doch erst wenige Wassermasse. Aber ich kann euch vergewissern, ihr habt meine Zuneigung, Vitold.” Elvan war vorsichtig. Rahja war schnell, aber auch vergänglich.

“Genau das ist es ja, ich habe das Gefühl, als würden wir uns schon ewig kennen, als gehörten wir zusammen. Das habe ich bei keinem Menschen zuvor gespürt. Es...es zerreisst mich förmlich von innen und doch möchte ich den ganzen Tag nur jubeln.” Er blickte Elvan tief in die Augen. “Und das Ihr so zurückhaltend seid, weil Ihr Eure Familie nicht enttäuschen wollt, dass ...kann ich verstehen, aber...es ist ein Dolchstoß in mein Herz.”

Er entlockte ein Schmunzel in Elvans Gesicht. “Ihr müsst verzeihen und verstehen. Ihr seid kein dummer Mann, Vitold. Rahja ist anscheinend nicht so wild bei mir, wie bei euch. Aureus hat mir erzählt das er anscheinend ähnliches bei euch ausgelöst hat.” Nun schaute er ihm tief in die Augen.

“Aureus? Ihr meint Altenwein?”, er musste plötzlich herzhaft lachen und strich sich eine Träne aus dem Auge. “Nein, der war nur ein Appetithäppchen. Aber,” er wurde wieder etwas ernster,”er hatte den Mumm mich abzuweisen. Ich sehe ihn inzwischen als Freund und necke ihn ein wenig. Ich glaube, der braucht noch gelegentlich jemandem zu dem er aufsehen kann und der ihm zur Seite steht. Ihr hingegen seid etwas besonderes, einzigartiges.”

Nun war Elvans Lächeln aufrichtig. Wie durch ein Zufall berührten sich ihre Schultern.

Vitold war erleichtert und froh. Er nahm Elvan kurz in den Arm, wie es unter Freunden üblich ist. “Lasst uns noch ein wenig den Park geniessen.”

“Da wird sich bestimmt eine für ihn finden, er ist ja eine gute Partie. Wie sieht es mit euch aus? Welchen der Tugenden eurer Göttin verspürt ihr?” fragte Roklan.

Die Angesprochene wog ihren Kopf hin und her. “Naja, Ihr kennt meinen Bruder nicht … er hat das Talent dafür alles was ihm zwischenmenschlich gut tun würde zu zerschlagen … aber er hat hier jemanden kennengelernt, die ihm passen würde ...”, sie ließ ein Schulterzucken folgen, “... ich bin offen für alles und lege mich wie stets in die Hände der Göttin. Wenn sie wünscht, dass ich hier einen Ehemann finde, wird sie mir ein Zeichen senden.” Rahjalind musterte den Baron mit einem verstohlenen Seitenblick. Machte er ihr etwa gerade Avancen?

“Für alles Offensein. Das gefällt mir, Rahjalind. Ich bin mir sicher, ihr habt das heute schon unzählige male gehört: Ich seit eine schöne Frau wie eine Blüte die sich gerade geöffnet hat.” Mit sinnlich geöffneten Lippen schaute er sie an.

Sie kicherte vergnügt. “Nun nicht so oft wie Ihr denkt, Hochgeboren …”, sie blickte ihn von der Seite aus großen grünen Augen an, “... ich habe es jetzt genauso oft gehört wie den Hinweis, ich solle doch bitte aufhören die Menschen zu quälen.” Rahjalinds Blick wurde interessierter. “Sagt weiß Eure Ehefrau, dass Ihr junge Frauen mit Komplimenten überschüttet?” Der Ton war nur gespielt vorwurfsvoll. Es stellte für Roklan keine Herausforderung dar das zu erkennen.

Nun musste er kichern. “Es ist ja nicht irgendeine Frau. Es ist eine Dienerin der Lieblichen. Das ist ein großer Unterschied. Meine Jileia wäre enttäuscht wenn ich euch keines machen würde.” Dann blieb er stehen deutete auf einasden großen Schuppen. “Wir sind da, ich würde mir den gerne näher anschauen. Seid ihr dabei?” fragte Roklan einladend, schaute sich aber auch vorsichtig um.

Nun folgte ein glockenhelles Lachen. “Ein Schuppen, Euer Hochgeboren …”, fragte Rahjalind in deutlich vernehmbarem Ton, dann spielte sie mit einer Haarsträhne, “... ich würde Euch anlügen wenn ich meine, dass ich abgeneigt wäre … doch bin ich keine Milchmagd, die sich in einem Holzschuppen besteigen lässt.” Wieder spielte sie die Empörung und sie war gut darin. Das Augenzwinkern am Ende verriet sie dann doch noch. “Lasst Euch was einfallen, dann überlege ich es mir.”

Roklan lachte wieder. “Wer sagt das es um euch geht, meine liebe? Nun, es geht um ein Abenteuer und ich hoffe doch das die Liebholde mit uns ist.!” Der Baron ging voran und öffnete die Tür. Verschwörerisch schaute er alle an.

Rahjalind schob daraufhin skeptisch ihre Augenbrauen zusammen. “Was habt Ihr vor?”, wollte sie wissen. Normalerweise war sie für jeden Spaß zu haben, doch gänzlich unwissend wollte sie sich einer Situation dann doch nicht hingeben.

Elvan schaute Rahjalind und Vitold verwundert an, doch er glaubte an Autorität. ´Wenn der Baron ruft, ruft der Baron.´ Mutig schritt er zur Scheune.

Der Baron öffnete die die Knöpfe von seinem Kragen. “Die Liebholde ruft.”, war seine Antwort. Lustvoll schaute er den Schreiber an, dem er die Tür offen hielt. Derselbe Blick traf dann auch Rahjalind und Vitold.

“Ähm Elvan, dürfte ich Euch kurz sprechen, bevor wir dem Ruf des Barons Folge leisten?”

Er wartete kurz und schaute Vitold überrascht an.

Er flüsterte dem Jüngeren zu:”Ich denke seine Wohlgeboren möchte dort drinnen mit uns beiden Rahja huldigen. Möchtest Du das wirklich?”

Der Schreiber musste an einen Traum denken, den er erst vor kurzem hatte. Der Herzog und seine Ritter in einer Therme. Er wußte wenn er jetzt nicht die Gelegenheit ergreifen würde, würde er nie wissen, ob seine Gefühle richtig waren. Also nickte er nur.

“Also gut, ich passe auf Dich auf. Du musst nichts machen, was Du nicht willst.” Er lächelte sanft.

Die Skepsis war der Rahjadienerin nicht aus ihrem Gesicht gewichen. Beinahe hilflos wirkte sie in diesem Moment, während ihr Blick zwischen Roklan und den noch unentschlossenen Vitold hin und her ging. “Ähmm …”, sie öffnete ihre Mund, “... nein.” Ein Fluchtinstinkt bemächtigte die junge Frau. Rahjalind war dabei alles andere als Prüde aufgewachsen. Sie war eine Dienerin der schönen Göttin und ihre Familie veranstaltete regelmäßig Orgien … dennoch fühlte sich es gegenwärtig nicht richtig an. “Wenn Ihr meinen Segen braucht, gerne …”, langsam fasste sie wieder klare Gedanken, “... aber ich bleibe dabei. Kein Holzschuppen.”

Enttäuscht blickte er zurück. “So kann man sich täuschen, ich hatte auf eure Hilfe gehofft. Und soweit ich weiß gibt es keinen anderen Ort im Park, der vor fremden Augen schützt. Ich bin mir sicher das Rahja auch mit mir in einem ´Holzschuppen´ ist.” Er lächelte ihr nochmals zu, winkte Vitold und verschwand im Schuppen.

“Sonst immer gerne, Euer Hochgeboren. Mein Angebot für Euch steht …”, wiewohl sie dachte, dass dieses jetzt von seiner Seite aus hinfällig war, “... möge die Liebliche mit Euch sein … Euch Dreien.” Sie blickte den Männern noch ein paar Augenblicke lang lächelnd zu, dann machte sie sich auf den Rückweg zur Festwiese.

Der Ritter ging als letztes und verriegelte die Tür. Er wollte nicht, dass sie bei ihrer `Huldigung`gestört wurden.

Den Kater der Baronin von Schweinsfold sah er allerdings nicht, der sich im letzten Moment einen Weg ins Innere bahnte.

***


Rondradin folgte der Vögtin in den Park, vorbei an den Lilienfeldern und Rosenbüschen, bis sie schließlich einen einsamen Pavillon erreichten. Kurz sah er sich um ob auch wirklich niemand in der Nähe war, aber es schien tatsächlich so als ob sie allein wären. Der Geweihte trat etwas näher an die Junkerin heran, ohne ihr zu Nahe zu kommen. “Ich danke Euch für dieses Gespräch, Wohlgeboren.” Wie sollte er dieses Gespräch eröffnen? Auf dem Weg hierher hatte er verschiedene Eröffnungen im Geiste durchgespielt, aber eine mit der er zufrieden war, hatte ihm nicht einfallen wollen. Jetzt, da er vor der Mutter Boromadas stand, war sein Mund zudem staubtrocken. “Ich sollte vielleicht damit beginnen, dass es um Eure Tochter Boromada geht, welche derzeit in Rabenstein ihre Knappenzeit verbringt. Eins vorneweg, es geht ihr gut.”

´Aha, daher weht der Wind. Wollte er für einen Verwandten um die Hand ihrer Tochter werben?´ Alrike zog sich ihre schwarze Junkerstracht straff. “Stimmt. Mir wurde zugetragen das ihr beste Verbindungen ins Haus Rabenstein habt. Ich hörte von einer Verlobung. Ich nehme an ihr seit Boromada in Nilsitz begegnet? Nun, um was genau geht es? Redet ihr als Vertreter der Himmlischen, für den Baron von Rabenstein oder für euer Haus?” Ihr misstrauischer und mürrischer Blick war unverändert.

Er neigte anerkennend den Kopf. “Ihr seid gut informiert. Heute stehe ich als Vertreter des Barons von Rabensteins, der Baroness von Meilingen und des Hauses Wasserthal vor Euch. In der Tat habe ich Eure Tochter in Nilsitz kennengelernt. Ich hatte meinen Vetter, Palinor von Wasserthal bei mir, welcher gerade Knappe bei Durahja vom Berg ist.” Er schloss die Augen und atmete tief durch, bevor er weitersprach: “ Eure Tochter und mein Vetter lernten sich kennen und verliebten sich ineinander. Während der Knappenherr Eurer Tochter und ich selbst auf der Jagd waren, kamen sich die beiden näher und nun, wie soll ich es ausdrücken? Sie kamen überein ihre Unschuld gemeinsam auf Rahjas Altar zu opfern.” Damit war es raus, oder zumindest das, weshalb er hierhergekommen war. Der Brief brannte beinahe ein Loch in seine Tasche, jedenfalls fühlte es sich für ihn so an. Aber erst mal sollte die Mutter Boromadas dies verdauen.

Hätte Rondradin eine Reaktion der Junkerin erwartet, so musste es ihn enttäuschen nichts dergleichen zu bekommen. Aber trotzdem gab es etwas. Von nicht allzu weiter Ferne war das zornige Krächzen eines Raben zu hören. “Beide kamen also überein, die Unschuld meiner Tochter auf einem Altar der Lieblichen zu opfern.”, sagte sie trocken und ihre raubvogelartigen Augen zogen sich misstrauisch zusammen.

“Sie haben sich gegenseitig ihre Unschuld geschenkt.” Das Thema war Rondradin unangenehm, was durch den Blick der Vögtin noch verstärkt wurde. Auch das Krächzen des Raben trug nicht dazu bei das mulmige Gefühl im Magen zu verbessern. “Eigentlich kam ich her um Euch im Namen der Schwerteltern beider Knappen und meines Hauses um Verzeihung zu bitten.” Er suchte den Blick der Vögtin. “Vorhin habe ich einen Brief des Barons von Rabenstein erhalten. Ich weiß nicht wie ich es Euch schonend beibringen könnte, deswegen sage ich frei heraus. Eure Tochter trägt das Kind meines Vettern unterm Herzen.”

Die Junkerin drehte sich von Rondradin weg und stützte sich mit den Händen an der Balustrade des Pavillons ab. “So, der Baron von Rabenstein bittet also um … Verzeihung?” zischte sie.

Er schüttelte den Kopf. “Darüber sind wir hinaus, denkt Ihr nicht?” fragte Rondradin mit sanfter, ruhiger Stimme. “Natürlich bitten wir alle um Entschuldigung, weil wir die Aufsicht über die beiden Knappen vernachlässigt und damit das alles haben geschehen lassen. Doch nun können wir auch nichts mehr an der Situation ändern. Es bleibt uns nur noch nach einer Lösung für diese neue Entwicklung zu suchen, mit denen alle Beteiligten leben können.” Rondradin trat neben Alrike und sah auf das vor ihm liegende Panorama hinaus. “Die beiden lieben sich, das hat mir Palinor mehrfach bestätigt und ich habe es ihrer beiden Blick gesehen. “ Scharf drehte sie sich um. “Lieben sich?” fauchte sie hervor. In ihren Augen lag ein unberechenbares Feuer. Die Enttäuschung stand ihr im Gesicht. Allerdings entspannten sich ihre Züge nur einige Augenblicke später. “Wir beide wissen, das hier ist Politik. Boromada ist aus keinem einfachen Haus. Meine Mutter war die Baronin von Schweinsfold, meine Nichte Selinde die Neue. Mein Gemahl ist der Tempelvorsteher des hiesigen Borontempels. Ihr könnt euch vorstellen, dass wir einige Feinde haben, die auf solch einen Vorfall nur gewartet haben.” Alrike schaute kurz zum Himmel oder sah sie auch den großen Raben, der auf dem Baum hockte. “Ich will ehrlich sein mit Euch, euer Gnaden. Glaubt ihr das euer Haus die Machtposition der neuen Baronin stärken könnte, durch eine Bindung der beiden?” Es war schwer für Rondradin einzuschätzen ob es Hoffnung oder Missachtung in ihrem Blick war.

“Es stimmt, unser Haus ist noch nicht besonders alt und hat sich auch nicht groß über die Grenzen Meilingens hinaus ausgebreitet. Trotzdem haben wir Verbindungen zu solch Häusern wie Grauningen, Föhrenstieg und Wirselbach. Die Baronsfamilie von Meilingen vertraut uns seit über Hundert Götterläufen ihr Leben an. Unser Haus steht eng zusammen und wenn einer Hilfe benötigt, kommen alle zusammen. Palinor ist ein aufrechter junger Mann, der gerade seine Knappenzeit bei Baroness Durahja vom Berg, ableistet. Er ist der zukünftige Edle von Gut Pappeln und das kommende Familienoberhaupt. Seine Feuertaufe hatte er bereits während des Rabenmarkfeldzugs des Barons von Hlûthars Wacht und er ist dem Orgilsbund, einem aufstrebenden Ritterorden, beigetreten.” Voller Leidenschaft hatte Rondradin von seiner Familie gesprochen, doch nun zwang er sich zur Ruhe. “Wir würden Eure Baronin unterstützen und vielleicht könnten wir auch Baronin Tsaja vom Berg zu einem Bündnis mit Schweinsfold bewegen. Der Einfluss von Haus Wasserthal reicht vielleicht nicht über Meilingen hinaus, aber in Meilingen sind wir eine feste Größe.”

Alrike überlegte. “Boromada ist die Erbin der Junkerei Herzogenfurt. Meine Mutter hat mir diese zu meiner Hochzeit übergeben, damit ich der Baronin nahe sein und das mein Haus stark und treu an ihrere Seite sein kann. Es wird unabkömmlich sein, dass meine Tochter hier als Junkerin walten muss. Ich sehe keine Möglichkeit, das sie als Edlengemahlin auf Gut Pappeln leben kann. Das versteht ihr doch? “

“Natürlich, aber ich habe doch gar nichts in diese Richtung verlangt. Ich will ehrlich sein. Mir geht es vordergründig um das Wohl von Boromada, Palinor und ihrem Kind, und dass sie die Möglichkeit erhalten gemeinsam glücklich zu werden. Das mag seltsam anmuten, aber sowas liegt mir nunmal am Herzen. Und wenn das bedeutet, dass Palinor vorwiegend als Junkergemahl in Herzogenfurt bei Boromada leben soll, dann Isoll es eben so sein.”

“Verzeiht, euer Gnaden. Die Nachricht ist schwer … zu verdauen. Und ich muss leider voraus denken. Ich denke hier und jetzt läßt sich keine vernünftige Lösung finden. Ich muss sagen, dass ich sehr enttäuscht von Boromadas Schwertvater bin. Ich habe meine Tochter in seinen Schutz überlassen. Das hätte verhindert werden können. “ Bitterkeit schwang in ihrere Stimme mit. “Leider geht es hier nicht nur um mein Haus, sondern auch dass der Baronin von Schweinsfold.” Alrike schwieg für einen Moment.

“Hättet Ihr einen Vorschlag, wie wir das lösen können?” Rondradin wusste nicht so recht was er noch vorschlagen könnte ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen oder ob die Vögtin auf irgendwas bestimmtes hinaus wollte.

“Ich werde eine Depesche aufsetzen lassen und werde euch auch eine übergeben. Dieses Übel können wir nur in Person lösen. Ich will den Baron sprechen und auch die Schwertmutter dieses … eures Vetters. Es ist möglich, dass die Baronin von Schweinsfold selbst über die Angelegenheit ihrer Nichte mitentscheiden möchte.” Alrike wirkte blasser als vorher.

Rondradin stieß einen Seufzer aus. “Wie Ihr wünscht Wohlgeboren. Nun ja, vielleicht ist es auch besser so. Darf ich Euch zurück geleiten?”

“Geht ruhig, ich brauche noch einen Moment für mich alleine.”

***

Während Lucrann von Leihenhof und die Zofe Melisande della Yaborim einen der Pavillons im Park steuerte, kam ihnen eine besorgte Vögtin entgegen. Diese musterte Lucrann kurz, ging aber ihren Weg schleunigst weiter. Melisande kannte diesen Ausdruck von ihrer Baronin. Jedesmal, wenn es schlechte Neuigkeiten gab. “Nun sagt Signora, stammt ihr aus Drol oder einen anderen Teil des Südens des Horasreiches?” holte der Junker sie aus ihren Gedanken.

“Drôl trifft es nicht ganz”, schmunzelte Melisande. Die Vögtin ignorierte sie, da sie mit dieser nichts zu schaffen hatte. “Aber mit dem Süden habt Ihr schon recht, das lässt sich ja kaum verbergen, nur nicht ganz so weit. Ich komme aus Neetha.” Kurz war sie versucht, weiteren Fragen gleich zuvorzukommen, aber nein, der Junker und Cavalliere sollte sich seine Informationen verdienen. “Und Ihr? Wie kommt es, dass Ihr im Horasreich zur Knappschaft wart? Und was für große Taten habt Ihr dort vollbracht?” Melisande hatte seine Vorstellung gesehen und konnte sich noch erinnern, nicht zuletzt wegen der horasischen Verbindungen des Mannes.

“Signor Darion Amarinto, Oberhaupt des Hauses Amarinto und Signor von Amarinto in der grangoranischen Baronie Sewamund hat sich meiner angenomme nach gemeinsamer Verhandlung mit meinem Oheim Riobhan von Galebquell. Dort habe ich die Geheimnisse des Rittertums erlernt. Ich habe Tatsächlich einiges im Krieg der Drachen erreicht. Leider bindet mich eine Eid, darüber nicht zu sprechen. Seitdem allerdings darf ich mich Cavaliere nennen.

Nach meinem Ritterschlag bin ich wieder in die Nordmarken zurückgekehrt, um mein Erbe als Junker anzutreten. Und nun bin ich hier. Was hat euch in die Dienste der Baronin verschlagen?” fragte Lucrann höflich.

Melisande machte einen Schmollmund. “Och, immer wenn es spannend wird, heißt es ‘Darüber darf ich nicht sprechen, weil ich einen Eid geschworen habe’. Ich möchte gar nicht wissen, wieviel interessante Geschichten auf diese Weise schon mit ins Grab genommen wurden.”

Dann lächelte die Zofe wieder. “Ach, die Baronin kennt meinen Vater aus Vinsalt. Mein Vater war der Meinung, ich müsse ein wenig von der Welt sehen, solange ich jung sei, und just da suchte die frisch ernannte Baronin von Rickenhausen eine Zofe, und so fügte sich eins ins andere.” Dass dabei noch die eine oder andere Verwicklung im Spiel gewesen war, verbarg Melisande allerdings sorgsam, das würde sie niemandem leichtfertig auf die Nase binden.

Sie wechselte wieder das Thema: “Wohlgeboren, wenn Ihr über Eure Zeit im Krieg der Drachen nichts berichten dürft, was gibt es denn dann, mit dem Ihr eine neugierige, abenteuerlustige, junge Dame vom Tod durch Langeweile bewahren könnt?” Sie schenkte dem Junker einen schnippischen Augenaufschlag ihrer langen, dunklen Wimpern.

Lucrann überlegte. “Seit ich wieder hier bin, verbringe ich viel Zeit am Hof in Elenvina. Ich weiß nicht ob euch Hofklatsch interessiert?”

“Wenn er interessant ist?” erwiderte Melisande lächelnd. Wobei Hofklatsch durchaus auch für ihre Herrin interessant sein konnte, war Rickenhausen doch recht weit von Elenvina entfernt, so dass es nicht immer einfach war, auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

“Nichts womit ich euch heute langweilen möchte.” Lucrann merkte, wie schleppend das Gespräch mit der Zofe war. Sie war schön, aber auch uninteressant. Hätte er doch bloß nicht die Novizin aus den Augen verloren. Bewußt schlug er einen Bogen, um zurück zur Festwiese zu spazieren. “Nun, ich bin eigentlich froh unvermählt zu sein. Ich denke ich sollte mir auch noch Zeit lassen. Und ihr?”


“Ich habe ebenfalls keine Eile”, erwiderte Melisande mit leicht schiefem Schmunzeln. Sie hatte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, kein ernsthaft an ihr interessierter Mann würde so etwas sagen. Und Männer, die zwar interessiert an ihr waren, aber nicht ernsthaft, nun, die würde sie nach Kräften von sich fernhalten. “Aber ich denke, ich sollte langsam wieder zu meiner Herrin zurückkehren, sonst lässt sie mich noch suchen. Habt Dank für den schönen Spaziergang - und viel Erfolg, bei was auch immer.” Die Zofe lächelte nun wieder schelmisch und knickste zum Abschied.

***

Flora vom Lilienhain, die jüngste Tochter des Gartenmeisters, hatte einen Korb mit Wein und Früchten gepackt, dazu eine Decke. Ihr war klar worauf der Baron von Eisenstein aus war und so nahm sie den Sud vom Rahjalieb zu sich. Ihr selbst war das kleine Abenteuer willkommen, die letzten Tage war sie im Garten beschäftigt, um die Brautschau vorzubereiten und die Zeit der Göttin der Liebe in ihren heiligen Tagen zu huldigen, rann ihr durch die Finger. Sie betete zu der Liebholden, dass der erfahrene Mann ein guter Liebhaber wäre. Mit Vorfreude holte sie den Baron ab und brachte ihn in eine abgelegene Stelle des Parks. Weite Felder von Lilien, doch gab es hier Rosenbüsche, die neugierigen Blicken im Wege standen. Und dann gab es noch den Schuppen. Die niedliche, blonde Frau schaute ihn sinnlich an, ließ es aber an ihm, das Gespräch zu führen.

Rajodan sah sie etwas distanziert an. Dann huschte ein arrogantes Grinsen über seine Züge, das schon auf soviele Frauen unwiderstehlich gewirkt hatte. Nicht auf alle. Aber auf eine ausreichende Menge von ihnen. Es war seine Aura, die zog genau die an, die er mochte: Jung, abenteuerlustig und willig, sich unterwerfen zu lassen. Das, was ihnen bei diesen weichgespülten, bartlosen Jungspunden ihres eigenen Alters fehlte. “Nun, wohin führt ihr mich, Flora. Ich darf dich doch Flora nennen?”

“Aber natürlich, euer Hochgeboren. Ich dachte wir könnte uns hier im Schatten hinter den Hecken niederlassen oder wenn ihr möchtet … könnte ich euch den Schuppen zeigen ?” Lasziv schaute sie ihn an.

Er hob amüsiert einen Mundwinkel: “Es ist schöner hier draussen unter dem Praiosmal. Und eure Schönheit in einer düsternen Kate verstecken, scheint mir Rahja nicht sehr ergeben. Oder habt ihr etwas an euch, das man aus der Nähe nicht offenbaren sollte- Im Lichte des Götterfürsten?” Er trat ein Stück näher an sie heran. “Ein Furunkel etwa?”. Und noch ein Stück: “Oder eine Warze.” Schließlich stand er kaum zwei Handbreit vor ihr: “Oder ein unansehnliches Geburtsmal?” Seine dunklen Augen betrachteten die junge Frau voll sexueller Gier. Wie ein Adler seine Beute, kurz bevor er sich niederwarf, um nach ihr zu greifen. Er strahlte genau soviel Rohheit aus, wie Flora erwartet hatte. Die körperliche Gier, die er empfand ließ die Luft zwischen beiden flimmern: “Lasst uns in die Schatten der Hecken gehen. Dort will ich begutachten, was es zu verstecken geben könnte- oder auch nicht.”

Flora lachte. Kokett öffnete sie ein wenig ihre Bluse, drehte sich aber dann um, um dann die Decke hinter der Hecke auszubreiten. Die Gärtnerin war sich bewusst, dass ihr Rock nun ihren schönen, runden Hintern betonte.

Unverhohlen begutachtete der Ältere die junge Frau. Aber er vermied jede Berührung- noch. Er wollte die Anspannung steigern. Gewandt ließ er sich auf der Decke nieder und blickte sie auffordernd an.

Flora räkelte sich auf der Decke und ließ ihre Bluse von ihren Schultern gleiten. Sie offenbarte ein Paar fester Brüste, die noch kein Alter oder Mutterschaft kannten. Herausfordernd schaute sie sich den Baron an und nestelte mit ihren nackten Füßen an seinem Hosenbund.

“Ohne Mieder hinauszugehen ist aber sehr frivol, junge Dame.” sagte der Eisensteiner gefährlich leise, während er ihren Fuß griff. “Hat euch noch nie jemand gesagt wie ungezogen das ist?”

Sie lachte glockenklar auf. ”Oh, Herr Baron. Im Rahjamond ist doch nichts ungezogen. Vorsichtig raffte sie den Rock über ihre Knie. Eindeutig trug die Gärtnerin auch keine Unterwäsche, wie Rajodan sehen konnte.

Er hielt immer noch ihren Fuß in der Hand und mit einem Ruck zog er sie zu sich hinüber, so dass ihr Schoß fast auf seinem zum liegen kam. Dann nestelte er an einem Beutel an seiner Hose und reichte ihr, was sie bereits eingenommen hatte. Fordernd strich seine freie Hand ihren Oberschenkel entlang.

Sanft deutete sie ihm den Beutel zu Seite zu legen. “Eine Frau, die den Gaben Rahjas zu frönen weiß, ist vorbereitet. Außerdem wäre das Rahjalieb jetzt schon ein wenig zu spät.” Mit forschen Griff öffnete sie ihm die Hose.

Doch er fing ihre Hand ab, ehe sie enthüllen konnte, wie sehr er sie begehrte und schüttelte den Kopf. “Oh, nein. Zu spät wäre es nicht, meine liebe Flora.” Er strich mit erstaunlicher Leichtigkeit mit seinem Daumen über die empfindliche Stelle an ihrem Handgelenk, an der die BLutbahnen so nahe an der Oberfläche lagen, dass es fast war, als berühre er das Blut, das in ihr pulsierte. “Zuviel kann man nicht nehmen. Und es würde mich sehr beruhigen.” Sein Daumen verweilte kurz neben jener Stelle und liebkoste ihr Gelenk in kleinen kreisenden Bewegungen, wodurch er immer wieder kurz jene Stelle berührte. Gleichzeitig hielt er ihr das eine hin, was ihn davon abhielt sie hier und jetzt zu nehmen.

Das Misstrauen des Barons zur Seite schiebend, griff sie in den Beutel und nahm sich einige der Blüten und zerkaute sie. Dann öffnete sie die Beine und er sah, dass sich die Blüte öffnete.

Grinsend kam er über sie.

***

Immer noch erfüllt vom Rausch des Liebesspiel, nahm er einen Schluck von seinem Wein und zog sich seine Hose an. Sein Oberkörper glänzte vom Schweiß und Roklan beobachtete die beiden jungen Männer die nackt, Arm in Arm, im Heu eingeschlafen waren. Er hatte die beiden bei ihrem Liebesspiel kaum gestört und hatte es genossen zu zuschauen. Etwas bedauerlich war es, das Rahjalind nicht dabei gewesen war. Wie schöne wäre es gewesen, sich den Rausch der Holden im beisein seiner Diener hinzugeben. Vorsichtig zog er seine Wams über und verließ leise den Schuppen. Vom frischen Windzug wachte Vitold als erster auf.

Vitold war erschöpft, aber glücklich. Der Baron hatte sich nicht, wie erwartet, aufgedrängt, sondern die beiden den Augenblick genießen lassen. Es war ein langes, ausdauerndes Liebesspiel gewesen, bei dem er dem Jüngeren einiges beigebracht hatte, doch wusste er, dass noch viel auf ihn warten würde. Des öfteren musste er den ungestümen, nach Liebe und Lust hungernden Schreiber zurückhalten, sonst wäre es frühzeitig beendet gewesen.

Nun aber lagen sie im Stroh. Roklan war gerade entschwunden und der Ritter nahm sich die Zeit sein Gegenüber genauer zu betrachten. Der wohlgeformte Körper, die feingliedrigen Hände, das schöne Gesicht. Der friedliche Gesichtsausdruck des Schlafenden, die sanfte Bewegung seiner schweiß glänzenden Brust. Er konnte ihn stundenlang ansehen und wünschte sich, immer neben ihm aufwachen zu dürfen. Sanft strich er eine Strähne des inzwischen zerzausten Haares aus Elvans Stirn.

Vitolds Berührung holte Elvan aus seinem kurzen Schlaf. Er brauchte einen Moment, um sich zu erinnern wo er war. Als seine Augen die des Ritters trafen erfüllte es seine Brust mit Wärme. Er griff nach dessen Wange und zog ihn zu sich herunter, um ihn zu küssen. Er musste sich eingestehen, dass er davon nicht genug bekommen konnte. Er erhob sich und griff schamhaft nach seiner Kleidung. “Ich … ich glaube wir sollten zurück zum Fest. Meine Familie wundert sich bestimmt schon.” Langsam verflog der Traum und die Wirklichkeit holte ihn ein. Er spürte den kalten Zug der durch sein Herz zog. War es das richtige was sie getan haben? Konnte er das haben für immer, aber seine Familie enttäuschen? Elvan musste sicher gehen. “Kommst du … oder bleibst du hier noch?”

“Wenn Du es wirklich willst, dann bleibe ich immer an Deiner Seite.” Im Gesicht des Ritters war abzulesen, dass er es ernst meinte und er sich gleichzeitig vor einer niederschmetternden Antwort fürchtete. Er hielt den Schreiber an seinem Handgelenk fest und sah ihm tief in die Augen:”Du sollst wissen, dass ich es ernst meine. Selbst wenn mir der Baron mein Lehen wieder nimmt. Aber, es ist Deine Wahl.”

Elvan spürte wie ihm die Bemerkung des Baldurstolz unangenehm war. Er fühlte sich angezogen, Rahja ging ihm durch und durch. Doch war es Liebe? Die Liebe wie es die Herrin Travia spendete? Der Schreiber konnte sich hier und jetzt nicht entscheiden. Oder wollte nicht? Er antwortete nur mit einem verhaltenen Lächeln. “Solch eine Wahl kann nicht bei mir liegen, Vitold. Ich muss zurück zu meiner Familie.” Er löste sich von dem Ritter und ging aus dem Schuppen.

Schweren Herzens ließ er ihn gehen. Nahm etwas Stroh und wischte sich den Schweiß von seinem muskulösen Körper, bevor er sich wieder ankleidete. Dann wurde er wieder ganz der Soldat, der er war und ging mit unbewegter Miene zurück zum Fest. Wenn Elvan ihn vermissen würde, würde er sich sicher bei ihm melden. Wenn nicht, dann nicht. Dann musste er Wohl oder Übel eine Scheinehe mit einer Frau eingehen. Er konnte nur hoffen, dass sowohl Rahja, als auch Travia dem jungen Mann den rechten Weg weisen würden. Wenn die Menschen der elfischen Liebe aufgeschlossener Gegenüber stehen würden, dann würde er augenblicklich zu Elvans Eltern gehen und um seine Hand anhalten, doch die Menschen waren nicht aufgeschlossen und der Schreiber würde vor Scham in Grund und Boden versinken, wenn Vitold solches tun würde. Doch, die Entscheidung lag bei dem jungen Mann. Er hatte ihm die Hand gereicht, ergreifen musste er sie selbst.

Der Rahja-Schrein

Auf einem Hügel, der umgeben war mit Rosenbüschen,zierte auf dessen Mitte ein viereckigen Pavillon: der Schrein der Rahja!. Das Dach war rot gestrichen, die Wände in weiss und der Eingang war offen mit einem halbrunden Durchgang. Das Innere des Schreins wurde von einem ovalen Holzschnitt dominiert, der an der Wand gegenüber des Einganges angebracht war. Meisterhaft war die Holde bar jeder Kleidung dargestellt, wie sie durch eine Feld von Lilien wanderte und dabei frei ihre Arme in den Himmel hob. Ihr Haar war mit roter Farbe bemalt und gaben ihr etwas leidenschaftliches. Vor dem Schnitt war eine Schale, gefüllt mit Rosenwasser. Links und rechts davon gab es Bänke, die Paare zum Kurzweil einluden. Zu Füßen der Schale war eine rosafarbene Marmorplatte eingelassen, auf dem Gläubige Opfergaben hinterließen und so lagen dort Blumen, Flakons mit Parfum, kleine Schmuckstücke und ein hölzerner Kunstgegenstand der einem Phallus nachgestellt wurde.


Nachdem Linnart die Zofe Durinja wieder wohlbehalten an der Festwiese abgeliefert hat, machte er sich auf zum Schrein der Liebesgöttin. Hier hatte er sich mit Andesine verabredet. Den ganzen Weg über hatte er ein flaues Gefühl in seiner Magengegend. War er zu weit gegangen? Und dann dieser Kratzer am Hals. Er würde ehrlich zu ihr sein. Der Ritter wollte ein Gespräch mit jener Frau, die die einzige war, welche sich noch zwischen ihn und die Wasserthalerin stellen konnte, bevor er sich ihr versprach. Ja, Linnart war davon überzeugt gewesen, Andesine heute einen Antrag zu machen und sie, sofern ihre Eltern in weiterer Folge zugestimmt hätten, zu ehelichen. Er wollte sich nur selbst noch ein paar Fragen beantworten, doch war er nun wirklich klüger geworden? Außer, dass es ihm nun schlecht ging, hatte sich nichts geändert. So sah man den jungen Bannstrahler das erste Mal an diesem Tag geknickt, als er sich im Schrein auf eine steinerne Bank setzte um auf Andesine zu warten.

Beschwingt kam Andesine auf den Schrein und Linnart zu. Erst freudestrahlend, dann mit verblassendem Lächeln und deutlich langsamer, als sie seine Haltung und Gesichtsausdruck sah. Sie musterte ihn eingehend und kam, so direkt vor ihm stehend, nicht umhin den Kratzer zu bemerken. “Was ist los?”

Eine Frage, die ihn aus seinen grüblerischen Gedanken riss. Er sah zu Andesine auf und das flaue Gefühl in seinem Magen nahm nun eine zuvor noch nicht dagewesene Intensität an. Wie sehr er diesen Moment seit ihrem Beisammensein unter dem Sonnensegel herbeigesehnt hatte und dennoch … sein Blick wirkte stumpf. Er wusste, dass er sie nun wohl enttäuschen würde, doch stand es für den Ritter außer Frage, dass er ehrlich blieb und den Konsequenzen offen entgegen trat. “Bitte setz dich zu mir.” Linnart erhob sich von der Bank und machte eine einladende Geste.

Entgegen seiner Bitte blieb sie stehen. “Ich frage dich nochmals. Was ist los?” Ein Hauch von Misstrauen hatte sich in ihre Stimme geschlichen. Das war nicht das Treffen das sie sich vorgestellt hatte. Irgendwas war im Busch und dieser schuldbewusste Ausdruck auf seinem Gesicht...

“Ich werde ehrlich mit dir sein, Andesine … denn nichts anderes hast du verdient … Ehrlichkeit und Loyalität …”, Linnart dämpfte seine Stimme. Es war ihm bewusst, dass auch andere Personen hier anwesend waren, dennoch sprach er weiter. Ja zu seinen Taten hatte man zu stehen, auch wenn jeder andere Mensch auf dem Dererund es erfahren würde. “Als du dich mit dem Herrn von Mersingen unterhalten hast, habe ich das Gespräch mit Durinja von Altenberg gesucht. Ich wollte mir selbst ein paar Fragen beantworten, bevor ich mich dir verspreche …”, er biss sich kurz auf die Unterlippe und es schien als würde er nach den richtigen Worten suchen, “... wir gingen zum Pavillon dort hinten und unterhielten uns über die Zukunft und welche Ziele und Wünsche wir für unsere Leben verfolgten … als ich dann den Drang verspürte zu unserem Treffen hierher zu kommen, bat ich ihr an sie zurück zur Festwiese zu bringen.” Linnart atmete tief durch. “Ich half ihr galant hoch … dann verlor ich mich allem Anschein nach im Moment und küsste sie …”, der Ritter wies auf seine Wunde, “... doch gab sie mir das hier mit. Wohl berechnend und wissend, dass es mich dir gegenüber in Schwierigkeiten bringen würde, doch hätte ich es dir auch so nicht verheimlicht.” Er stoppte und sah sie aus seinen milden Augen an, die in diesem Moment schuldbewusst glänzten. “Ich habe dich damit enttäuscht und so etwas hast gerade du nicht verdient. Du warst doch erst der Grund dafür, dass ich in dieser Veranstaltung mehr sah, als eine, mir von Mutter auferlegte … Pflicht.” Sein Körper straffte sich, er war bereit dafür ihre Emotionen abzubekommen - verdient hatte er es allemal. “Wenn du mir den Ring zurückgeben willst, dann verstehe ich das. Ich werde dich nie wieder mit meiner Anwesenheit behelligen, das schwöre ich dir.”

Mit unbewegter Miene hörte sich Andesine die Erklärung des Bannstrahlers an. Als er geendet hatte, sah sie ihn an und nickte. “Ich danke dir für deine Ehrlichkeit.” Dann trat sie dicht an ihn heran, packte ihm am Kragen und zog seinen Kopf zu sich herunter. Ihr Kuss war wild, stürmisch, erfüllt von schier unbezähmbaren Verlangen und flammender Leidenschaft. Doch schließlich löste sich die Ritterin von dem Bannstrahler und sah ihn traurig an. “Das war nur ein Vorgeschmack dessen, was du hättest haben können. Du hättest nur diese letzte Prüfung bestehen müssen. Was bringt mir deine Ehrlichkeit, wenn es mit deiner Treue nicht weit her ist? Selbst wenn ich dir hier und jetzt vergeben würde, wie oft müsste ich dir in der Zukunft erneut vergeben?” Nicht ein mal war Andesine laut geworden, ruhig sprach sie alles aus, auch wenn eine tiefe Traurigkeit sich ihrer Stimme bemächtigt hatte. Sie schüttelte den Kopf. “Ich dachte hier meinen Seelenverwandten getroffen zu haben, doch wie es scheint, habe ich mich geirrt.” Schweren Herzens drehte sie sich um und ging langsam zurück in Richtung Festwiese. Ein leises Klirren erklang als der Ring auf die Bank prallte und liegen blieb.

Dieser presste seine Lippen zusammen und blickte ihr nach. Traurig, doch auch in dem Wissen, dass er es wohl verdient hatte. Nein, er würde ihr nicht nachlaufen. Dass er sie hier und jetzt auf solch brutale Art und Weise verloren hatte, war die Konsequenz seines Handelns. So wie einst der Rohrstock im Kloster, doch tat dies ungleich mehr weh. Er griff nach dem Ring, doch steckte er sich diesen nicht wieder an seinen Finger. Stattdessen, zog er auch den gegengleichen von seiner anderen Hand ab, stand auf und verließ den Schrein der Schönen.

***

Oh ja, der Junge war eindeutig dem Aspekt der Gefesselten Rahja zugetan. “Lass uns den Schrein ansehen.” Sie übernahm die Führung und führte den Leihenhofer in das kleine Gebäude. Sylvette blieb vor dem Holzschnitt der Göttin stehen und während Ingeras den Schnitt betrachtete, sah sie sich um. Waren sie hier auch wirklich alleine?

Der Schrein war bis auf die beiden verlassen und ein leichter Duft von Sandelholz lag in der Luft. Aber dennoch hörte sie zwei Stimmen, die sich leise miteinander unterhielten. Nach der Einschätzung der Hofdame kamen diese von hinter dem Schrein bei den Rosenbüschen.

Ingeras folgte der Wasserthalerin willentlich. Er liebte es wie sie die Richtung angab.

“Du bleibst hier und wartest auf mich. Ich muss kurz etwas nachschauen.” Sylvette bedachte den Jungen mit einem strengen Blick, was ihm sicherlich gefallen würde, und ging leise zur Rückseite des Schreins um herauszufinden wer denn ausgerechnet hier ein Gespräch führen musste.

“Wie du wünschst, Her .. Sylvette.” Mit gesenktem Haupt suchte er sich die dunkelste Ecke im Schrein und stellte sich wartend hin.

Vorsichtig ging Sylvette um den Schrein herum und sah zwei Leute mang den Büschen. Es war der Rahjageweihte Rahjel und die greise Traviageweihte Mutter Elva. Leise und bedächtig redete er auf sie ein, die seine Worte misstrauisch folgte. Dieser Ort war gewählt worden, um im Geheimen zu sprechen.

Die alte Vettel konnte Sylvette jetzt gar nicht gebrauchen, der Rahjageweihte hingegen wäre vielleicht gar nicht so ungelegen gekommen. Bedächtig zog sich Sylvette wieder zum Schrein zurück. Sie setzte sich auf eine der Bänke und bedeutete Ingeras sich neben sie zu setzen.

Als er das tat, nahm sie seine Hände in die ihrigen und sah ihm direkt in die Augen. “Ingeras, hast du schon einer Frau beigelegen?” Ingeras stand auf und ging in die Knie, ließ ihre Hand dabei nicht los. Unterwürfig schaute er sie an. “Ja, Sylvette. Schon seit vielen Jahren diene ich den Frauen.”

Sylvette war ehrlich überrascht ob seiner Antwort, eigentlich war sie davon ausgegangen, dass Ingeras noch unberührt war. Vor allem, wenn man bedachte wie er auf ihr Dekollete reagiert hatte. Ein wenig schade war es schon, aber auf der anderen Seite…

Sie betrachtete den vor ihr knienden Jungen nahm die Einzelheiten seines Gesichts in sich auf. Dabei stahl sich ein feines Lächeln auf ihr Antlitz. “Weshalb kniest du denn vor mir? Glaubst du ich würde dich nicht mögen, weil du schon Rahja gehuldigt hast?” “Oh nicht doch. Aber ich bin genau dort, um dir am besten zu dienen, Sylvette.” Seine zarten, langen Finger strichen vorsichtig an ihrem Bein, langsam sich ihren Stiefeln nähernd. Er zog tief die Luft ein, um Sylvettes Duft in sich aufzunehmen.

Was genau hatte er vor? Sylvette lehnte sich zurück und ließ Ingeras vorläufig weitermachen. Sie merkte aber bereits jetzt wie ihr Körper auf seine Berührungen reagierte.

Seine Wange näherte sich den hohen Reiterstiefeln. Er liebte den Geruch von Leder, etwas das seine Erregung nur verstärkte. Während er sich an den schmutzigen Stiefeln schmiegte wanderten seine Hände an ihren Oberschenkeln hoch. “Ihr könnt mir alles befehlen, Sylvette.”, flüsterte er.

Es wäre so einfach sich gehen und Ingeras machen zu lassen. Aber das war nicht das, was sie für sich und den Leihenhofer wollte. Nein, sie wollte ihn unter ihre Fittiche nehmen und ihn zu einem Mann formen. Auch wenn ihr Körper in Flammen stand und nach mehr schrie, sie musste ihn bremsen. Deswegen griff sie mit beiden Händen sein Gesicht. Ihr Kuss war wild, beinahe schon brutal und sie biss ihn in die Unterlippe, bevor sie ihn wieder freigab. “Wirklich alles? Was, wenn ich dir befehlen würde, dich bis zu unserer Hochzeitsnacht in Enthaltsamkeit zu üben?” Ihr brutaler Kuss löste eine Explosion von Rausch in ihm aus. “Alles Sylvette. Ihr seid meine Rahja. Wenn das euer Wunsch ist, so werde ich enthaltsam sein. Aber euer Wunsch muss nicht für euch gelten.” Er fühle sich so klein und das machte ihn groß.

“Dann ist dies mein Befehl an dich und auch gleichzeitig ein Versprechen. Ich werde mich ebenfalls in Enthaltsamkeit üben, denn nur du allein wirst mir zu Diensten sein dürfen.” Sylvettes Lächeln wurder breiter. “Nun, dann weißt du ja, was du als Nächstes zu tun hast.”

Schwer atmend erhob er sich wieder. Seine Erregung versuchte er erst gar nicht zu verbergen.

Ingeras nahm sie bei der Hand und zog sie nach oben. “Bei Rahja, ich werde um eure Hand anhalten.” Er war ihr so dicht, dass nur eine Feder zwischen ihnen gepasst hätte.

Sie war sich seiner Nähe sehr bewusst und auch wenn ihr Körper sich nach einer Vereinigung sehnte und seinem entgegenstreben wollte, ließ Sylvette dieses nicht zu. Stattdessen warf sie ihm einen ermutigenden Blick zu. Anstatt darüber zu reden, dass er ihr einen Antrag machen wollte, hätte er das doch schon längst in die Tat umsetzen können.

Ingeras versuchte ihren nächsten Wunsch von den Augen abzulesen und dann verstand er. Er ließ sich hart auch die Knie fallen, der dumpfe Aufprall war kaum zu überhören und Sylvette konnte sich nur vorstellen, das es schmerzhaft war. Doch der Leihenhofer gab nur ein lustvolles Stöhnen von sich, beugte sich vor, küsste ihre staubigen Stiefel und schaute sie dann wieder ergeben an. “Sylvette von Wasserthal, wollt ihr meine Frau sein? Mich zu eurem dienenden Ehemann erheben? Vor Rahja und Travia, ich schwöre auf meinem Blute auf ewig euch zu dienen, zu verwöhnen, und der Mann zu sein, den ihr wollt!” Erwartungsvoll wartete er auf ihre Antwort.

Sie griff ihn am Kinn und küsste ihn. “Ja, ich will. Hier vor Rahja und Travia bekunde ich, dass ich dich zu meinen Gemahl nehmen werde.” Sie ergriff seine Hände und zog ihn beim Aufstehen mit auf die Füße. “Mit wem aus deiner Familie müssen wir sprechen?” “Roklan, er ist das Oberhaupt unseres Hauses.” Ein Seufzer schreckte die Beiden kurz auf. Im Eingang des Schreines stand Bruder Rahjel. “Verzeiht, ich wollte nicht stören. Gepriesen sei Rahja!” Mit weit geöffneten Armen kam er auf Beide zu, küsste und umarmte sie.

Sylvette schenkte ihm ein erfreutes Lächeln. “Ihr stört doch nicht, Euer Ehrwürden. Ingeras hat mir gerade einen Antrag gemacht und ich habe ihn angenommen. Allerdings müssen wir erst noch die Erlaubnis seines Onkels einholen.” Sie strahlte geradezu. “Wenn Ihr später Zeit habt, würde ich gerne mit Euch sprechen.”

“Selbstverständlich.” sagte der Geweihte und machte den Weg frei für die beiden.

***

Nach der ´Aussöhnung´ mit der Zukünftigen ihres Bruders, war Rahjalind noch einen Moment am Rande der Festwiese stehen geblieben und hatte die beiden beim Tisch der Älteren beobachtet. Linnart begab sich sofort wieder an die Seite Durinjas, streichelte ihr sanft über Rücken und Hüfte und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr. Seine Verlobte lächelte, dann hielt sie sich wieder an seinem Arm fest, als hätte sie Sorge er würde ihr davonlaufen - wie eine Fliege, die sich doch noch aus dem Netz der Spinne zu befreien versuchte. Sie seufzte. Nun, vielleicht war es ja auch gar nicht so dumm, ihn hier und heute festzuhalten. Wer weiß zu welchen Dummheiten sich ihr großer Bruder noch hinreißen ließe. Rahjalind stand nun nicht mehr der Sinn nach Gesellschaft. Sie brauchte einen Moment und erinnerte sich an den kleinen Rahjaschrein beim See. Ja, etwas Zwiesprache mit ihrer Göttin würde jetzt wohl helfen. Einige Momente später betrat sie das inzwischen verwaiste Monument ihrer Herrin, setzte sich auf eine Bank und schloss ihre Augen.

Das Krächzen eines Raben störte ihren Moment. Sie hörte auch das Flüstern einer Stimme, die hinter dem Schrein herkam.

'Hmmm', Rahjalind seufzte unwillig, dann obsiegte ihre Neugier und sie erhob sich von der Bank. Wie eine Katze schlich sie hinter den Schrein, auf der Suche nach dem Urheber der Stimme.

Hinter dem Schrein bei den Rosenbüschen, stand die schwarz gekleidete Gestalt einer blonden Frau. Der Kurzhaarschnitt und der Schnitt des typischen Junkerwarms, wies sie als die Junkerin von Herzogenfurt, Vögtin von Schweinsfold aus. Wie es schien hatte sie zu dem prächtigen Kolkraben gesprochen, der sich nun von ihrem rechten Unterarm in die Lüfte hob. Alrike von Henjasburg drehte sich mit besorgten Gesichtsausdruck um, verengte aber ihre mandelförmigen Augen misstrauisch, als sie die Novizin entdeckte.

Kurz lag der Blick der Novizin auf dem prachtvollen Tier und ihre Lippen verzogen sich sogleich zu einem herzlichen Lächeln, das Misstrauen der Junkerin ignorierend. "Euer Hochgeboren …", Rahjalind knickste formvollendet, "... bitte entschuldigt. Ich wollte Euch nicht stören." Kurz meinte Alrike dann doch einen leichten Anflug von Unsicherheit über das Antlitz der Rahjadienerin huschen zu sehen. Das sorgenvolle Gesicht der Adeligen verleitete sie zu einer zusätzlichen Frage. "Kann ich Euch vielleicht helfen?"

Alrikes Nachmittag war voller schlechter Nachrichten. Erst berichtete der Rondrageweihte von ihre ältesten Tochter, die nun unehelich schwanger war von einem Wasserthaler Knappen, dann erzählte ihr Vertrauter Malvado, dass eine Gruppe Gäste von einer Fee hinter ein Feentor gelockt wurde. Würden jetzt nicht geschickte Entscheidungen getroffen werden, würden schwere Zeiten auf sie und die Baronie Schweinsfold zukommen. Und nun stand da auch noch dieses neugierige, junge Ding. Und dann auch noch die Schwester eines Bannstrahlers. Schlechter konnte es gar nicht kommen. Mit mürrischen Gesichtsausdruck kam sie auf sie zu. “Nicht doch, Schwester. Ihr stört nicht. Wie läuft das Lustwandeln?”, fragte sie noch immer mit genervter Tonlage.

Abermals ließ die junge Novizin ein herzliches Lächeln folgen. Es war ihre bevorzugte Weise, auf reservierte und mürrische Menschen zuzugehen. “Ach das Lustwandeln …”, Rahjalind seufzte, “... der Herr Amiel von Altenberg hat mich zu einem schönen Picknick im Amphitheater eingeladen. Das war sehr nett … doch hat mein Bruder alles kaputt gemacht … jetzt bin ich froh darüber gewesen ein paar Momente für mich zu haben”, plauderte sie los. Auf ihrer Zunge brannte die eine oder andere Frage, doch zwang sich die Rahjadienerin dazu sich vor der Vögtin zurückzuhalten.

Eigentlich sollte sie die junge Novizin ihren Weg gehen lassen, doch ihre Neugierde obsiegte. “Was hat euer Bruder kaputt gemacht? Ist die Verbindung zu dem Altenberger nicht erwünscht?” Alrike verlor ein wenig von ihrer Kühle.

Rahjalind kicherte. “Nein, er hat meine gute Laune kaputt gemacht”, ein Satz der nicht wirklich zu ihrem Lächeln passte. “Der Herr von Altenberg hatte mich sowieso nicht als geeignete Ehefrau empfunden. Darüber hinaus sind wir ja jetzt schon mit den Altenbergern ... verbunden.” Kurz verzogen sich die Mundwinkel der Novizin.

“Ist das überhaupt möglich bei einer Dienerin der fröhlichen Göttin?”Nun zeichnete sich ein Schmunzel auf ihren schmalen Lippen. “Was könnte eure Laune ruinieren? Seid ihr hier seid, habt ihr nichts als gute Laune verbreitet. Ich bin eine gute Beobachterin.”

Rahjalind wog ihren Kopf hin und her. “Nun ja. Am Ende des Tages sind auch wir Dienerinnen der Lieblichen bloß einfache Menschen … mit allen Stärken und Schwächen”, sie lächelte, dann atmete sie tief durch, “mein Bruder hat heute das Herz eines sehr lieben Menschen gebrochen und ist gerade dabei sich selbst zu geißeln … und seine Familie gleich mit dazu.” Kurz schüttelte die Novizin ihr Haupt, dann machte sie einen Knicks - ein Zeichen der Dankbarkeit. “Ich danke Euch für Eure schönen Worte, Hochgeboren … doch weiß ich nicht ob ich bisher nur gute Laune verbreitet habe. Seine Gnaden von Wasserthal meinte ich quäle ihn und auch die junge Dame Ringard von Tannenfels wirkte eher so als würde sie mir den Hals umdrehen wollen.” Rahjalind zwinkerte der Vögtin zu, dann ließ sie ein beinahe schüchternes Lächeln folgen.

Bei der Erwähnung des Namen Wasserthals verließ das Schmunzeln Alrikes Gesicht. Falls es keine andere Lösung gab, wäre sie wohl bald mit dieser eher unbedeutenden Familie verbunden. “Wenn es um Politik geht, werden Herzen gebrochen. Aber das ist etwas, dass euch als Geweihte der Liebholden nicht kümmern sollte. Am Ende des Tages müssen wir uns unseren Taten stellen. Mein Rat ist an euch, folgt den Pfaden eurer Göttin und kümmert euch genau um das. Überlasst Politik den anderen. Und ihr als Geweihte könnt euch darum kümmern mit der Kraft eurer Göttin dass sich eure Familie nicht geißeln muss. Ich bin mir sicher ihr findet einen Weg.” Alrike gab ihr Zeichen die Büsche zu verlassen, um wieder auf den Kiesweg zu gehen.

Rahjalind blickte einige Momente schweigend auf Alrike, sodass lediglich das knirschende Geräusch von Sohlen auf Kieselsteinen zu hören war. "Ihr habt recht …", bestätigte sie dann, "... deshalb habe ich meinem Bruder auch meine Unterstützung zugesagt … nicht politisch, sondern als Schwester. Er liebt mich und es würde ihm das Herz brechen wenn ich nicht an seiner Seite stünde. Auch wenn es mir im gegenwärtigen Fall sehr schwer fällt, Hochgeboren. Aber ich danke Euch für Euren Rat."

“Welche Altenbergerin hat er gefreit? Und wem wurde das Herz gebrochen?” fragte sie nach und signalisierte dass das Gespräch noch nicht zu Ende war.

"Durinja von Altenberg ist die … Glückliche …", gab Rahjalind zur Antwort. Im Grunde genommen war das nicht einmal gelogen. Linnart war ein toller Mann und bestimmt konnte sie mit ihm glücklich werden, so ihr daran gelegen war. "Anfangs hatte er der hohen Dame Andesine von Wasserthal den Hof gemacht. Angeblich verbunden mit einem Versprechen, das er in weiterer Folge gebrochen hatte." Die Novizin war sich jedoch sicher, dass es kein Verlobungsversprechen war … nein, so etwas würde ihr Bruder nicht brechen. Rahjalind war in ihren Worten sehr offen und es verwunderte sie, warum sich die Hochadelige für die Dramen kleiner Familien interessierte. "Der Rabe …", der Blick der Traurigsteinerin suchte das prächtige Tier, " … wie heißt er denn?"

“Auch wenn ihr das nicht hören möchtet, aber politisch gesehen, hat er wohl einen guten Griff getan. Die junge Hofdame ist uns auch schon aufgefallen und wir überlegen, sie an unseren Hof zu holen. Ambitioniert und überzeugend, dabei nicht zimperlich. Gute Qualitäten. Die Familie Wasserthal mag es lieber im Schatten zu bleiben.” Bei der Erwähnung des Raben öffneten sich ihre Augen ein wenig weiter. Sie hatte gehofft, das die Novizin als Nebensächlichkeit abtun würde. Ein gefährliches Detail, das im Ohr eines Bannstrahlers für eine Katastrophe sorgen könnte. “Mein Gemahl ist der Tempelvorsteher des hiesigen Borontempels. Wir wohnen im Uhlenturm. Die nähe zu Boron läßt die Raben in unserer Nähe nisten. Wusstet ihr das Kolkraben besonders intelligent sind? Man kann ihnen sogar Sätze beibringen. Wir nennen ihn Malvado.” Den Bezug auf die Boronkirche zu lenken, würde hoffentlich reichen, das sie nichts weiter hinterfragen würde.

"Ich möchte, dass mein Bruder glücklich ist. Er hätte es verdient …", Alrike konnte einen leichten Anflug von Trotz in ihrer Stimme vernehmen, "… was sie unserer Familie an Qualitäten bringt ist für mich nur von sekundärer Bedeutung. Wichtig ist, dass sie gut zu meinem Bruder ist." Rahjalind schien sich mit der Begründung der Junkerin betreffend des Rabens zufrieden zu geben. Zumindest ließ sie sich nichts anmerken. "Er ist ein sehr schönes Tier …", bemerkte sie stattdessen, "... wisst Ihr ich vertraue den Tieren manchmal mehr als den Menschen, wenn es darum geht wessen Seele in jemandem schlummert." Sie lächelte vielsagend. "Tiere suchen selten freiwillig den Kontakt zu schlechten Menschen. Vor allem intelligente Tiere nicht."

“Da gebe euch recht. Die Baronin denkt darüber nach einen Rahja-Tempel in Herzogenfurt bauen zu lassen. Gartenmeister Rahjagoras haben wir den Schrein im Park zu verdanken. Die Ruine des Praiostempel würde eine gute Stelle sein.” und wechselte damit das Thema.

Nun musste die junge Novizin schmunzeln. "Das ist eine sehr schöne Geste. Möge die Liebliche es Euch und der Baronin vergelten." Während sie gingen, dreht sich die junge Frau einmal um die eigene Achse. "Dieser Ort hier ist von Rahja erfüllt, ein Tempel wäre schön. Aber die Ruine eines Praiostempels … das ist … gewagt, Euer Hochgeboren." Rahjalind nahm sich einiges heraus die Vögtin so direkt darauf anzusprechen, das war ihr bewusst. "Es wird nicht jedem gefallen. Die Kirche des Götterfürsten ist mächtig. Auch uns schlug damals Kritik entgegen als wir der Lieblichen einen Tempel stifteten."

Die Vögtin nickte verständnisvoll. “Nun, es ist bis jetzt nur eine Idee. Dennoch, die Ruine steht dort schon mehr als zwanzig Jahren. Es wäre eine schöne Geste, es auch wieder den Zwölfen zu weihen. Und wer weiß, vielleicht könntet ihr ja eines Tages dort euren Dienst ableisten.”

Rahjalind verharrte in ihrem Schritt. "Ich … äh …", stammelte sie, "... ich danke Euch für dieses Angebot." Als ein solches verstand sie die Aussage der Vögtin nämlich. "Es ehrt mich, doch läge diese Entscheidung nicht bei mir alleine. Alegretta müsste dem auch zustimmen. Selbst wenn ich dann meine Weihe empfangen habe, unterstehe ich immer noch ihrem Tempel." Langsam nahm die junge Frau wieder ihren Schritt auf. Es lag noch so weit in der Zukunft und wer weiß was bis dahin geschah. "Wieso denkt Ihr denn, dass ich eine gute Wahl dafür wäre?"

Die Vögtin lachte kurz. “Nur ein Gedanke. Ich glaube ihr werdet eine gute Dienerin der Liebholden werden.” Dass sie als Verbündete eines Tages wichtig sein könnte, falls ihr Bruder der Bannstrahler ein Problem werden sollte, verschwieg sie. “Und nun entschuldigt mich bitte, Rahjalind. Ich muss ich weiter um die … Politik kümmern. Und das Bankett beginnt bald.” Mit einer aufmunternden Geste berührte sie die Novizin an der Schulter und ging.

"Es war mir eine Freude, Euer Hochgeboren", Rahjalind knickste höflich, dann überlegte sie wohin sie ihr Weg als nächstes führen mochte. In ihr steigerte sich der Wunsch nach Andesine zu suchen, doch würde sie ihre Anwesenheit überhaupt verkraften? Sie wollte ihr Trost spenden, doch würde sie diesen annehmen? Die Novizin war sich unschlüssig.

Der See der Lilienprinzessin

Ein See mit klaren und spiegelnden Wasser, auf dem Wasserrosen blühten. Drei prächtige und alte Weiden standen am Ufer und die Wiese darum, lud ein zum verweilen. Ein großer Pavillon beherbergte eine steinerne Statue, die die Lilienprinzessin und ihren menschlichen Geliebten beim Liebkosen darstellte. Traditionell hinterlassen hier Liebespärchen kleine Geschenke, um den Segen der Liebesgöttin zu erbeten. Hier an diesem Ort besagt die Legende, dass einst eine Fee aus dem Teich stieg, um hier mit ihrem menschlichen Geliebten zu leben. Das sie damit ihre Unsterblichkeit aufgab, gilt ein jedem als höchtses Gut eines Liebesbeweises.

***

Vom Schrein kommend näherte sich ein geknickt wirkender Mann in weißem Hemd und mit dunklen Hosen. Eines der ersten Dinge, die er in Herzogenfurt gehört hatte war die Mär von der Lilienprinzessin und dass Liebespaare an ihrem Schrein Geschenke hinterließen, um um die Gunst der schönen Göttin zu bitten. Linnart vom Traurigen Stein kniete sich vor der Statue hin und ließ die beiden Ringe aus seiner offenen Handfläche gleiten. Das Geschmeide aus Weißgold war wohl ein Vermögen wert, doch konnte alles Gold dieser Welt kein gebrochenes Herz aufwiegen. Er sprach ein Gebet zur schönen Göttin … nicht für sich, sondern für Andesine, der er das Herz gebrochen hatte. Nichts wünschte er sich sehnlicher in diesem Moment, als dass sie jenes Glück finden mochte, das sie sich wünschte.

***

Lucasta von Leihenhof war überrascht. Sie hatte den Edlen von Hottenbusch falsch eingeschätzt. Je weiter sie in den Park liefen fiel ihr auf, dass ihm seine väterliche Art sehr gefiel. Genau genommen, kannte sie so etwas nicht. Ihre Mutter gab den Ton an und ihr Vater und Geschwister folgten. Tar´anam schien ihr zu zuhören, nahm sie ernst und überließ ihr die Führung. Intuitiv zielte sie den See an, von dem sich die Leute hier erzählten. “Und was sagt ihr?“ Sie deutete auf die Figur der Lilienprinzessin. “Hat sie einen Fehler begangen, als sie ihre Unsterblichkeit für die Liebe aufgegeben hat?” Neugierig schaute sie den Edlen an.

Innerlich musste der alte Krieger schmunzeln. Prüfungen, Prüfungen. Wobei er nicht gedacht hätte, dass ihm das Geplänkel mit Lucasta Spaß machen würde. Doch je länger sie zusammen unterwegs waren, desto lockerer wurde er, desto mehr wurde ihm bewusst, was er für ein Leben immer im Dienst aufgegeben hatte. Andererseits hatte er es ja genau deshalb getan, damit er im Zweifelsfall seine Loyalität nicht teilen musste. Nun, Thalissa hatte ihn in dieses Spiel geworfen, möglicherweise musste sie mit den Konsequenzen leben, falls sich solche ergaben.

“Das ist schwer zu beantworten”, erwiderte Tar’anam nach kurzem Überlegen. “Wenn ihr sterbliches Leben ihr Glück und Erfüllung gebracht hat, dann hat sich das durchaus gelohnt, würde ich sagen. Doch ich kenne die Legende nicht, also weiß ich nicht, ob es so war - oder ob überhaupt jemand weiß, wie ihr Leben als Mensch ausgesehen hat.” Wieder flackerte ein kurzes Lächeln über seine Züge. “Und Ihr, würdet Ihr die Unsterblichkeit für die Liebe aufgeben?”

“Hmmm. Eine gute Frage.”Nachdenklich lehnte sie sich an die Balustrade des Pavillons und verschränkte die Arme vor der Brust. “Unsterblichkeit hört sich gut an. Doch ich denke, irgendwann muss auch Schluss sein. Und in die himmlischen Paradiese eingehen ist doch was. In welches würdet ihr hinwollen?”

Wieder gab Tar’anam sich einen Moment, um zu überlegen. Das war jetzt keine so einfache Frage, wie es sich im ersten Moment anhörte. Doch dem Mädchen nun alle Aspekte darzulegen, die für ihn damit verbunden waren, führte zu weit … zumindest jetzt gerade. Dieser Tag war nicht dafür gedacht, langatmige philosophische Diskussionen zu führen.

“Es wird Euch vielleicht überraschen, Lucasta … aber wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich Hesindes Hain wählen.” Mehr sagte er nicht, sondern sah Lucasta nun gespannt an.

“Ich bin nicht überrascht. Ihr seit weise. Da liegt die gelehrte Hesinde nahe. Ich hab es mit Travias Herberge. Meine Familie ist zwar unerträglich, aber alleine will ich auch nicht sein. Und manchmal sind sie ja ganz in Ordnung.” Jetzt lachte Lucasta über ihre Gedanken. “Erzählt mir von euren zu Hause. Gibt es jemand der dort auf euch wartet?”

Tar’anam war nun seinerseits überrascht von Lucastas Reaktion und hob anerkennend eine Augenbraue. Doch was ihre Frage anging … “Meint Ihr Hottenbusch? Da gibt es nicht viel zu erzählen. Als Leibwächterin der Baronin von Rickenhausen bin ich ja ständig unterwegs und dort zuhause, wo ihr Weg sie hinführt. Das Lehen hat mir ihre Vorgängerin, Biora Tagan” - hier huschte ein seltsamer, undeutbarer Ausdruck über das Gesicht des Kriegers, doch war die Regung so schnell wieder vorbei, dass Lucasta sie nicht greifen konnte - “verliehen, für meine Dienste, denn ich war zehn Jahre auch ihr Leibwächter, und um meine Position als Anführer und Ausbilder der Landwehrtruppen zu stärken. Ja, ich habe dort ein kleines Anwesen, aber wahrscheinlich hätte ich Schwierigkeiten, keinen Raum zu vergessen, wenn ich es Euch beschreiben sollte. Und nein, niemand wartet auf mich. Ich habe keine Familie, und als Leibwächter, der jeden Tag sterben kann, ist das auch nicht das Schlechteste.” Er lächelte ein wenig zynisch. “Wobei - sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sich das mit der Familie in Kürze ändert, dann … müsste ich möglicherweise über meine Prioritäten nachdenken.” Ob Thalissa wohl über solcherart Konsequenzen nachgedacht hatte, als sie ihn so leichtfertig den Werbern zugesellt hatte? Wahrscheinlich nicht.

Eher ihrer Intuituion zu verschulden griff sie nach seinem Arm und schaute betroffen. “Das wäre zu traurig. Jeder hat eine eigene Familie verdient. Auch ihr, Tar´anam.” Zum erstenmal kam durch, dass Lucasta doch reifer war, als es schien.

Tar’anam war auf’s Neue erstaunt von Lucastas Reaktion und Berührung, ließ es aber geschehen. Auch ihre Aussage ließ er für den Moment unkommentiert.

“Aber nun zu Eurer Familie, Lucasta. Erzählt mir von ihr. Schließlich soilte ich ja … vorbereitet sein.” Wieder zierte ein ganz untypisches, feines Lächeln das Gesicht des Edlen.

Nun ich gehöre zu den Leihenhof, die meisten kennen Ivetta von Leihenhof und Baron Roklan von Leihenhof. Meine Mutter Raxia ist die Ervögtin von Niedergalebra und mein Vater ist der Erbvogt von Brickenklamm aus dem Haus Schleiffenröchte. Mutter war erst Grafengardistin und später bei der Flussgarde. Nun ist sie Vögtin und übt ihre Arbeit sehr beflissen aus. Wir alle wohnen da.” Auch sie schenkte ihm ein Lächeln.

“Gut, jetzt weiß ich um die Mitglieder Eurer Familie und wo sie wohnen.” Tar’anam schmunzelte ein wenig. “Aber was meintet Ihr vorhin damit, Eure Familie sei unerträglich?”

Lucasta biss sich auf die Unterlippe. Dann entschied sie Tar´anam zu vertrauen. “Meine Mutter bestimmt alles. Als ob wir auf einem Kasernenhof leben würden. Mein Vetter Roklan ist da nicht besser. Wegen ihm sind wir auch hier und sind angehalten einen Ehepartner zu finden. Selbst das Kleid das ich trage ist nur etwas abgelegtes von meiner Mutter. Mein Bruder kann nichts alleine Entscheiden und von meinem Vater kann man auch nichts erwarten. Der macht alles was Mutter will.” Ein trotziger Gesichtsausdruck legte sich über ihr Gesicht.

“Das hört sich ja wahrlich nicht so erhebend an”, erwiderte der Krieger mit gerunzelter Stirn. “Da müsst Ihr Roklan von Leihenhof ja fast dankbar dafür sein, Euch zu dieser Brautschau gedrängt zu haben.” Nun schmunzelte Tar’anam wieder leicht. Wenn er nicht aufpasste, wurde das noch zur Gewohnheit. “Jetzt müsst Ihr nur noch den Richtigen finden.” Er sah ihr direkt in die Augen.

Und sie erwiderte diesen Blick. ´ Konnte es sein?´ Lucasta betrachtete sich den Edlen genauer. Ja er war ein alter Mann. Aber er sah gut aus und sie fühlte sich sicher bei ihm. Und genau genommen ist er genauso einsam wie sie es ist. “Ich würde euer Gut gut verwalten, etwas worin ich jetzt schon gut bin. Und wenn ihr nach hause kommt, seid ihr nicht alleine.” ließ sie die Worte aus sich heraus.

Tar’anam war kein Jungspund mehr, der sich Hals über Kopf verliebte. Aber er hatte Augen im Kopf und ein gerüttelt Maß an Lebenserfahrung, wenn auch nicht ausgeprägt in Rahjas Domäne, so hatte er doch irgendwie kommen sehen, was nun geschah. Und doch war er nun zum dritten Mal überrascht worden, einerseits, weil Lucasta das Angebot tatsächlich machte, andererseits, weil es sich … gut anfühlte. Tar’anam war noch immer weit davon entfernt, verliebt zu sein, aber nach allem, was er von dem jungen Mädchen in der kurzen Zeit ihres Beisammenseins gesehen und gehört hatte, konnte er sich vorstellen, dass das nur eine Frage der Zeit war. Aber um diese Vorstellung zu verifizieren, musste er dafür sorgen, dass sie Wirklichkeit werden konnte.

Tar’anam nahm Lucastas beide Hände in die seinen. Seine Hände fühlten sich rau an, schwielig, aber kräftig, die Hände eines Kriegers. Dann schob er alle Bedenken über die Zukunft und seine Loyalitäten beiseite und fesselte ihren Blick erneut. “Wenn … Ihr mein Gut auch verwalten wollt, wenn Ihr die Frau sein wollt, die auf mich wartet, wenn ich nach Hause komme - und wenn Ihr die Frau sein wollt, die unsere Kinder großzieht, dann … muss ich Euch fragen: wollt Ihr meine Frau werden, Lucasta von Leihenhof?”

Sie hätte nie erwartet das solch ein Edler Herr jemals um ihre Hand anhalten würde. Die Röte schoss ihr ins Gesicht. Immerhin war das hier ihre Entscheidung. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er sie zu nichts zwingen würde. Und sie wäre die alleinige Herrin auf dem Gut. Ja, sie sollte ihren Vetter danken. Aber würde ihre Familie den Edlen akzeptieren? Immerhin könnte er ihr Großvater sein. Das gewohnt trotzige Gefühl stieg wieder auf. Ihre Entscheidung, nicht der ihrer Familie! “Tar’anam sin Corsacca, Edler von Hottenbusch, ich nehme euren Antrag an. Bei Travia schwöre ich, euch eine gute Ehefrau und Mutter unserer Kinder zu sein!” sagte sie mit stolz erhobenem Haupt.

Sie hatte es tatsächlich getan. Irgendwie konnte Tar’anam es kaum glauben, dass sein Leben sich so plötzlich von Grund auf ändern konnte. Doch war es nicht schon immer so gewesen? Jeder Kampf hätte sein Leben nicht nur ändern, sondern beenden können, und wie viele Kämpfe hatte er schon geschlagen? Nun, dies hier war ein Kampf ganz anderer Art. Und wie alle Kämpfe in seinem Leben gedachte er auch diesen zu gewinnen. “Und ich schwöre Euch bei Travia, ein guter Ehemann und Vater unserer Kinder zu sein.” Dann nahm er die junge Frau in den Arm und gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.

Sanfter als sie dachte, denn sie hätte es sich schlimmer vorgestellt. Ihre Lippen zusammengepresst, beantwortete sie den Kuß. Es war nichts anders als wenn ihr Vater sie auf die Wangen küsste.

Dann gewannen zunächst wieder praktische Erwägungen die Oberhand. “Normalerweise wäre nun der Moment, Eure Eltern um ihre Zustimmung zu bitten”, begann Tar’anam mit leicht zweifelnder Stimme und ging auch wie selbstverständlich zum vertrauten ‘Du’ über. “Aber nach dem, was du mir vorhin von deiner Familie erzählt hast, sehe ich da gewisse Schwierigkeiten auf uns zukommen. Wir könnten alternativ zu Hochwürden Winrich von Altenberg-Sturmfels gehen. Was meinst du?”

Leicht schwindelig von diesem überraschenden Moment, brauchte sie kurz, um ihre Gedanken zu ordnen.”Ich denke … das ist eine gute Idee. Roklan können wir dann immer noch fragen.” Sie nahm ihn an die Hand und ging zurück zur Festwiese.

Tar’anam war sich bewusst, dass er hier ein sehr zartes und verletzliches Pflänzchen in den Händen hielt. Hoffentlich bereute Lucasta nicht morgen, was sie heute geschworen hatte. Gut, dass sie nun zum Travia-Hochgeweihten gingen, der würde sicher ein Auge dafür haben, wie ernst es der jungen Dame - trotz ihres Schwurs - war. Andererseits … sollte er sie nicht unterschätzen. Sie hatte sich gut geschlagen auf einem für sie sicherlich gänzlich fremden Parkett. Er sollte stolz auf sie sein. Sie war ja nun seine zukünftige Frau.

***

Eine Weile lief der hübsche Diener voran, immer wieder sich versichernd, dass es der Baroness gut ginge und ihm folgte. Servusian brachte sie zu dem schönen See mit der Statue der Lilienprinzessin. “Hier sind wir, der schönste Ort im Park! Schließt die Augen, zieht die Luft durch die Nase und lauscht dem Wiegen der Bäume und Blumen im Wind und ihr werdet verstehen!”
Sie dankte dem Diener, nahm ihm den Krug aus der Hand und blieb dann alleine an diesem hübschen Ort. Verschämt blickte sie sich um und als niemand zu sehen war, liess sie sich auf dem Boden nieder. Verschränkte ihre Arme im Nacken und sich selbst auf dem so fleichgewordenen Ruhekissen nieder. Sie schloss die Augen und konzentriere sich auf ihre Atmung. Was eine Misere. Dieser Tag. Und doch gänzlich anders.

Wieder ging eine kurze Böe durch die Luft und ließ das Schilf am See rascheln. Dann fiel ihr das junge Mädchen auf, das wohl in ihrem Alter war. Gehüllt war sie in einem weiß-blauen seidenen Kleid, der Kopf umhüllt von einer Kopfbedeckung die nur das Gesicht und einige Strähnen ihres roten Haares freigaben. Ihre Haut war so hell wie feinstes Porzellan, edle, aber die noch junge Gesichtszüge zeugten von einem starken Willen, der Mund war kirschrot bemalt. Sie schien glücklich und sammelte ein paar schöne Lilien. Als sie Luzia im Gras liegen sah, hob sie ihre Hand zum Gruße.

Luzi setze sich auf und winkte zurück. Eine Frau. Damit war ihr Gegenüber wohl ungefährlich. Womöglich eine Leidensgenossin.

Gelda strich sich eine Strähne aus dem Haar und blieb bei der unbekümmerten jungen Frau stehen. “Ich bin Gelda von Altenberg, euer Wohlgeboren. Hat euch niemand zum lustwandeln geladen?” fragte diese neugierig.

“Das wäre schön gewesen.” seufzte die junge Frau. “Euch? Mögt ihr euch zu mir setzen.”

“Oh sehr gerne.” Gelda legte die Blumen ins Gras und setzte sich zu der Baroness. “Ich bin geflüchtet, um ehrlich zu sein. Ich möchte den Herren keine falsche Hoffnung machen. Ich habe meinen Liebsten schon gefunden.” Keine Schwere und kein Widerwille war in ihren Worten zu erkennen. “Ich hätte fast geglaubt mein Bruder würde euch fragen. Der Mut muss ihn wohl verlassen haben. “

“Oh, stimmt, ihr seid die Schwester Talfanos, nicht wahr?” Sie schluckte. “Ja, er hat mich gefragt, dann kam aber… ein weiterer Herr und beide gerieten darüber in Streit, wer mit mir spazieren gehen dürfe.” Ein Seufzen folgte. “Ich habe Ihnen gesagt, dass ich mich nicht wohlfühle, wenn ich wie … wie ein Objekt behandelt würde.” Sie suchte Geldas Blick. “Es lag mir fern, euren Bruder zu verletzen. Ihr könnt ihm von mir ausrichten, dass dies nicht in meinem Sinn war. Aber… ich weiss nicht, wie es euch geht. Ich… habe keine Erfahrung damit, wenn Männer… ich meine, versteht ihr was ich meine? Ich habe ihnen allen gesagt, dass ich nur auf Vaters Wunsch hier bin und mich nicht vermählen möchte. Ich dachte, dass Ehrlichkeit die höchste Trumpfkarte sei. Aber, das scheint niemanden interessiert zu haben.” Sie zögerte ein wenig. Genausowenig wie mit Männern hatte sie mit Frauen Erfahrung. Sie hatte keine Freundinnen oder Vertraute. “Falls ihr möchtet und es euch nicht als Verrat gegen euren Bruder vorkommt, bleibt doch hier und wir unterhalten uns ein wenig?”

Gelda legte ihren Kopf schräg in den Nacken. “Ach, macht euch keine Sorgen um Talfi. Das wird er schon überleben. Aber ich verstehe, was ihr meint. Meine Eltern haben auf diese Brautschau für uns Altenberger bestanden. Ich bin sogar vor einigen Monden weggelaufen, um dem hier zu entgehen …” Ihr Blick wanderte in die Ferne. “Aber zwei Leute mussten mich darauf bringen, dass man Herausforderungen annehmen sollte und nicht davor wegzulaufen. “

Luzia seufzte. Da hatte die andere recht. “Ich wünschte nur, ich hätte etwas mehr Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen zu heiraten. Also.. ich meine, nicht im Allgemeinen, sondern im Moment. Ich fühle mich noch nicht ...wie eine richtige Erwachsene, versteht Ihr?” Sie zögerte: “Aber erzählt mir von eurem Abenteuer? Wohin seid ihr gegangen, als ihr fortlaufen wolltet. Wielange ward ihr weg? Und wer hat euch zurückgebracht? Waren eure Eltern sehr wütend?” Sie dachte kurz darüber nach, wie ihre Eltern reagieren würde. Es war nicht schwer sich das vorzustellen. Vater wäre wütend und Mutter würde es nicht einmal bemerken. Ihre älteste Schwester wäre ausser sich vor Sorge- Nur noch wenige Wochen, dann würde Prianna ebenfalls verheiratet sein. Ihre beiden älteren Schwestern wären dann bei ihren Gatten, Lissa und Adelke fort, um sich ausbilden zu lassen. Nur sie würde zurück bleiben. Neugierig sah sie Gelda an. “Verzeiht, wenn ich zu neugierig bin.”

Gelda lachte. “Nur zu, Wohlgeboren. Ich bin auch immer neugierig.” Sie wurde ein wenig ernster. “Es hatte mich sehr erschrocken, als meine Eltern mir von den Plänen der Brautschau erzählt haben. Ich dachte, dass erstmal Sabea, die Ältere, dran ist. Aber das wir gleich alle drei gleichzeitig verheiratet werden sollen, war unerwartet. Nun, ich muss gestehen, dass hat mir Angst eingejagt. Ich bin dann zum Stall, habe mir Aschefell gegriffen und bin davon geritten. Und dass mitten im Firun. Ich wollte einfach nur weg.” Kurze dachte Gelda nach. “Eine große Dummheit. Firun war ja besonders gnadenlos dieses Jahr. Ich musste absteigen, verlor Aschefell und wäre fast im Schneesturm erfroren. Aber die Schwanengleiche hat mir das Leben gerettet.” Ein Lächeln umschmeichelte der Altenbergerin Lippen. “Die Geweihte Nia hatte mich gefunden und mich auch wieder nach Hause gebracht. Sie war die Erste die mir sagte ich soll die Herausforderungen des Lebens annehmen. Nur so kann ich selbst bestimmen.” Dann nahm sie eine Lilie auf und roch daran. “Natürlich waren meine Eltern nicht froh über meinen Alleingang, aber sie sind nie lange böse. Und der zweite war der Geweihte der Rondra, Rondradin von Wasserthal. Ihn habe ich bei der Jagd von Nilsitz kennengelernt. Ich folgte seinem Rat und bin überraschend zur Jagdkönigin gekürt worden. Ich hätte nie gedacht, jemals einen ´Großen Schröter´ zu erlegen. Seitdem bin ich mir gewiss, dass Ifirn mit mir ist. “ Dann schaute sie wieder Luzia an. “Erzählt mir von euch, was habt ihr erlebt oder würdet gerne erleben?”

“Ich bin in Obena aufgewachsen, mit meinen vier Schwestern.” Sie überlegte einen Moment: “Aber ausser, dass jede von uns einige Wochen in die Hesindeschule gegangen ist und einige Zeit auf Rickenbach verbracht hat, um Reiten zu lernen, war ich immer nur in Obena. Bis auf die wenigen Male, die ich Vater nach Elenvina begleitet habe, war ich auch fast noch nirgends ausserhalb unserer Baronie. Zur Hochzeit meiner Schwester war ich mit meiner Familie natürlich in Hlutharswacht, wo sie nun lebt. Und jetzt bin ich offensichtlich hier. Aber ansonsten...” An die verfluchte Hochzeit mochte sie lieber nicht denken und zuckte beiläufig mit den Achseln. “Aber wisst ihr- Ich mag unsere Wälder und die Jagd. Vater nimmt mich oft mit, wenn er hinaus geht. Reiten und den Wind im Haar spüren.” Sie lachte die andere an. “Mehr will ich eigentlich gar nicht.” Ernst fuhr sie fort: “Mich graut es davor, vielleicht irgendwann in einer Stadt leben zu müssen. Weg von den Bergen.” Sie machte eine kurze Pause:

“Vater hat eine Affinität zu schönen Dingen. Er sammelt Kunst und es sind auch oft Künstler bei uns im Schloss. Außerdem veranstaltet er fast jedes Jahr zwei Feste, zu denen junge, unbekannte Künstler aufspielen. Er versteht nicht, dass mich das nicht übermäßig fasziniert. Oder -besser gesagt- es ist ihm egal.” Dann sah sie die andere forschend an:

“Aber, wenn ihr die Jagdkönigin geworden seid, dann seid ihr sicher auch begeistert vom Wald und der Freiheit der Jagd, nicht? Immerhin ist dies auch die Domäne der Ifirn?”

“Ja! Und seit der Jagd bin ich mir der neuen Leidenschaft gewiss. Nun ich hoffe, ihr werdet weiter auf dem Land bleiben können. Aber ihr habt es schon schwer. Ich wünschte ich könnte euch helfen. Gibt es denn, außer meinen Bruder, jemand interessanten?” Bevor Luzia antworten konnte sprach Gelda gedankenverloren weiter. “Es gibt da einen Freund, Nivard von Tannenfels, der um meine Hand werben wollte. Mein Herz schlug aber für jemand anderen. Erst dachte ich, das meine Herausforderung daran lag, jemanden zu heiraten, den ich mag, aber nicht liebe. Bevor ich in den Park kam, habe ich aber erkannt, dass die Herausforderung jene ist, den Menschen zu heiraten, den ich liebe, auch wenn es bedeutet einen Skandal auszulösen.”
“Wieso einen Skandal? Ist es jemand so weit unter eurem Stand?” Gelda stockte kurz und lief Rot an. Hatte sie zu viel erzählt? Konnte sie der jungen Frau vertrauen? “Oh … also nein. Nun mein Geliebter hatte sich einer anderen Frau versprochen. Ihm wurde das aber auch aufgezwungen. Nun wollen wir heiraten.” Mit gesenktem Blick schaute sie Luzia an.

Die Baroness runzelte die Stirn, was zu einer leicht gekräuselten Nase führte. "Hat er die andere…. Ich meine ist sie schwanger von ihm?“ Gelda schüttelte den Kopf. “So weit ich das weiß, sind die sich nur einmal begegnet … und so gut kennen sie sich nicht.

"Dann hat er schon den Verlobungsvertrag gezeichnet? In der Regel… muss dann der Brautpreis noch gezahlt werden, aber… wartet, verzeiht. Es geht nicht um ein rechtliches Problem, nicht wahr?" Sie atmete tief durch. “Praios sei dank, hat er das nicht. Es war ein kurzes Versprechen mit dem Vater der Verlobten. Und rechtlich gesehen hat meine Familie ja viele gute Rechtsgelehrte. Aber ihr habt recht, Baroness, es ist eher eine moralische Frage. Zumal die Verlobte höheren Standes ist.” Die Altenbergerin senkte ihren Blick.

"Ist ihre Familie so mächtig, dass ihr Repressalien fürchtet?“

“Ich bin weniger um meine Familie besorgt, sondern eher um den Ruf meines Zukünftigen. Aber ich werde an seiner Seite stehen. Komme was wolle.” Gelda reckte ihr Kinn und blickte ernst.
“Habt ihr schonmal jemand getroffen, der euer Herz schneller schlagen ließ. Jemanden, den ihr ständig an eurer Seite haben möchtet?” fragte sie nun neugierig.

Luzia schüttelte den Kopf.”Ich möchte… das auch nicht. Kann das Herz einen nicht schnell hinters Licht führen? Ebenso wie… die Lust. Rahja… ist die Göttin der Hingabe, nicht der Beständigkeit. Wie lange kennt ihr denn euren ähm… Geliebten schon?”

“Seit letzten Ingerimm, euer Wohlgeboren. Aber ich bin mir sicher , das es was Beständiges ist.” Dann fiel ihr Blick über Luzias Schulter und erblickte Rondradin in einiger Entfernung. Wie stieg ihr Röte ins Gesicht und sie winkte ihm verliebt zu. Dann blinzelte sie Luzia entschuldigend an.

Rondradin sagte ein paar Worte zu dem Mädchen im Pagenalter, dass dann knapp nickte und in Richtung des Mersingers lief. Dann lächelte Rondradin glücklich in Geldas Richtung und machte einen Schritt in ihre Richtung.

Luzia zuckte ein wenig mit den Augenbrauen, als sie das hörte. Ein Mond? Oder weniger. Langsam sollte man annehmen, hier an diesem Ort sei irgendetwas im Wasser. Die Menschen schienen hier viel zu schnell den anderen zu verfallen. Und kopflos zu werden. Als sie Geldas Blick folgte und den Rondradiener erblickte, der Gelda verliebt anlächelte, verstand sie das Problem der beiden besser. Sie überlegte, ob sie aufstehen und gehen sollte, damit die beiden ihre Ruhe hatten. Aber sie kam nicht dazu den Gedanken weiter zu spinnen, denn der große Mann warf ihr noch einen letzten verliebten Blick zu, bevor er Luzias Schwester zu deren Schwertvater folgte, der sich offenbar in einem Streitgespräch mit zwei anderen Gästen befand.

“Ich verstehe”, konstatierte die Baroness. “Verzeiht die Frage, aber … woher wisst ihr um die Beständigkeit eurer Gefühle? Nicht alles, was Rahja zusammenführt, muss Travia binden.” Neugierig sah sie die andere an: “Was macht euch so sicher, dass er der ist, dem ihr euch bis zum Ende eures Lebens- oder seines Lebens vermutlich eher- versprechen wollt?”

Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Gesprächspartnerin. “Dafür habe ich keine Erklärung. Ich weiß es einfach. Nun, ich habe noch einige Sachen zum Vorbereiten. Ich hoffe für euch, dass ihr die Herausforderung hier annehmt, nur so könnt ihr selbst Entscheiden.” Gelda griff die Blumen und erhob sich. “Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt, Baroness Luzia.” Mit ehrlichem Blick schaute sie diese an.

“Ich danke euch. Und viel… Glück für eure Liebe.” Sie lächelte der anderen zum Abschied nach und legte sich dann wieder zurück ins Gras - sah in den Himmel.

***

Lares irrte derweil im gesamten Park umher. Das Areal war riesig - gefühlt jedenfalls. Er würde Stunden brauchen, ehe er alles abgeklappert hatte. Beim Küchenzelt war sie inicht, auf der Festwiese war sie nicht, am Schrein war sie nicht… Irgendwann erreichte er den kleinen See, doch ohne Luzia zu sehen. Er hatte den Eindruck, völlig allein zu sein und in diesem Moment fühlte er sich einsam. Er ließ sich ins Gras sinken, legte seinen Kopf auf die Erde und blickte gen Himmel - in die strahlende Sonne.

Geblendet von dieser nahm er die leichtfüßigen Schritte war und eine Silhouette schob sich für die Praiosscheibe. Wie eine strahlende Aureole schmiegten sich die Sonnenstrahlen um das Haupt der Frau.

Lares blinzelte, dann schirmte er seine Augen vor der Sonne ab. Was war das für eine Figur. “Verzeiht, wer seid Ihr?”

Langsam gewöhnten sich Lares Augen an den geworfenen Schatten. Seidige, aber kräftige dunkle Locken umrahmten ein rundes Gesicht, dass ihn liebevoll anlächelte. Ihre großen und ausdrucksstarken grün-braunen Augen strahlten vor Freude und ein glucksendes Lachen begleitete sie. Die etwas mehr als 100 Stein schwere Frau erkannte er als die Praiosgeweihte Praiona von Altenberg. “Ich bin die liebliche Braut auf die ihr gewartet habt, euer Wohlgeboren!”, antwortete sie und setzte sich zu ihm ins Gras.

Den dürren Ritter riss die Erscheinung aus seiner sonnengeprägten Lethargie. Ein Schreck durchfuhr alle seine Glieder. Verdattert und von der Praiosscheibe noch immer leicht benebelt glotzte er die Altenbergerin an. “Ähm, und Euer Name ist?”

Die Geweihte nahm ihre Filzmütze ab, und schüttelte ihre Locken. “Wir war doch zusammen am Praiostisch, euer Wohlgeboren von Mersingen.Es war rührend wie ihr euch um das Kind gekümmert hat, um es vor der Katze zu schützen. Wie ein wahrer Held.” das glucksende Lachen folgte wieder.

“Ach, Ihr, Eure...die Sphärenkugeln. Genau!”, Lares erinnerte sich. “Ihr wart es, dessen Licht die Augen meines lieben Lehrers Ademar traf. Danke Euch. Ich fürchte, meine Heldenhaftigkeit war da völlig verschwendet. Ich habe die Zeichen des Herrn falsch gedeutet. Mir fehlt der Einblick in seine goldene Herrlichkeit, die Euch zuteil wird.” Lares runzelte die Stirn. “Wollt Ihr Platz nehmen? Ich denke doch, Ihr sucht mich mit einem Anliegen auf.”

“Ich wollte euch kennenlernen.” Praiona schmunzelte. “Habt ihr wirklich falsch gedeutet? Vielleicht hatte das Zeichen ja für jeden Anwesenden eine eigene Bedeutung. Das Licht hat mich ja erst auf euch Aufmerksam gemacht. Tanzt ihr gerne?”

“Nein, das würde ich nicht behaupten. Ich bin kein sonderlich geschickter Tänzer - außer, Ihr gebt mir ein Schwert in die Hand.” Schalkhaft schaute sie ihn tief in die Augen. “Wenn ich ein Schwert wäre, könntet ihr mich also führen?“

“Ihr seid jedoch kein Schwert”, stellte Lares recht Offensichtliches klar. “Ich möchte ehrlich zu Euch sein.”, meinte er dann so freundlich er konnte - ein Charakterzug, den man dem kleinen Mann mit den dunklen Haaren, dem finsteren Gesicht und den tiefen Geheimratsecken kaum abnahm. “Am heutigen Tag waren schon zu viele Menschen unehrlich zueinander. Das Auge des Herrn PRAios schaut heute nicht mit Wohlwollen auf diesen Garten. Doch ich will nicht zu den Lügnern und Betrügern gehören. Ich fürchte, Ihr werdet in mir nicht das finden, was Ihr Euch erhofft. Ich werde nicht Euer Gatte werden. Mein Herz ist schon an eine andere verloren - aber die finde ich nicht, warum auch immer. Ich fürchte, dazu muss ich erst auf PHExens Pfaden wandeln.”

Auch wenn sich Enttäuschung in ihren Blick schlich, war sie recht schnell gefasst. Zurückweisung war etwas, das Praiona ihr ganzes Leben lang gewohnt war. Sie setzte sich wieder gerade hin und war wieder voll und ganz die Geweihte des Götterfürsten. “Ich schätze eure Ehrlichkeit. Doch ihr maßt euch einiges an, Herr Junker. Ihr seid einer der Letzten der beurteilen kann, ob der Herr Praios wohlwollend auf den Garten schaut oder nicht. Und ihr widersprecht euch. Ihr wollt zu keinen Betrügern gehören, doch stellt gleich in Aussicht die Pfade des Listigen zu gehen, um die umworbene Frau zu finden. Das ist alles andere als praiosgefällig. Prüft euer Herz und Worte bevor ihr urteilt.” Praiona hatte gänzlich ihre verspielte Art verloren. Ernst schaute sie Lares an.

“Nein, nein”, jetzt musste Lares schmunzeln. “Ihr missversteht mich: Ich meinte, ich muss scheinbar Pfade wandeln, die ich nicht finden kann, weil sie mir so fremd sind. Und vor mir verborgen. Ich hätte mich einfacher ausdrücken sollen. Ich habe sie verloren und der Park kommt mir plötzlich riesig vor. Aber warum meint Ihr, dass ich meinen Mund zu voll nehme?” Diesen Vorwurf wollte er sich dann doch nicht kommentarlos gefallen lassen.

“Wie ihr seht, eine klare Wortwahl verhindert Missverständnisse. Um zu eurer Beurteilung zurück zu kommen. Ihr könnt nicht darüber urteilen, ob der Herr Praios wohlwollend auf dieses Fest schaut oder nicht. Und muss ich euch daran erinnern, das ihr selbst glaubt, dass Zeichen des Herrn nicht verstanden zu haben? Wie könnt ihr dann den Willen des Herrn bemessen?” Wie ein Fels blieb sie bei ihrer Aussage.

Die Beweisführung war stichhaltig, das musste der Mersinger anerkennen. Einigermaßen überzeugt nickte er. “Eine kluge Überlegung. Mit einer Schwachstelle: Was ist, wenn meine Mutmaßung, was das Zeichen anbetraf, doch nicht falsch war? Ich sagt ja selbst, dass Zweideutigkeiten Missverständnisse hervorrufen.” ´Gut er wandert langsam auf den richtigen Pfad´. Sie verkniff den Mund ein wenig. “Sagt mir, wie ihr das Zeichen verstanden habt und warum ihr denkt das es eine Fehldeutung eurerseits war.”

Lares berichtete ihr von seiner Überlegung, der Fingerzeig des Herrn hätte zwar den Anwesenden gegolten, habe aber die Katze gemeint, die sie zum straucheln brachte. Er schilderte ebenso knapp, dass er der Auffassung war, es sei ein Hinweis auf Madas Kräfte gewesen. “Aber ich hatte danach eine Unterredung mit Ademar. Er meinte, das Licht habe ihm gegolten. Ihm ganz persönlich. Vielleicht hat er Recht und ich habe da etwas auf mich bezogen, das vielmehr ihn betraf. Oder Ihr habt Recht und für jeden wollte das Zeichen etwas anderes sagen. Für mich zum Beispiel, das Gefahr droht.” “Und, drohte Gefahr?” stellte sie die nächste Frage.

“Eine Gefahr hat sich nicht realisiert. Nicht, dass ich es gemerkt hätte, jedenfalls. Ob eine Gefahr gedroht hat? Ach, ich weiß nicht. Ihr wärt beinahe gestolpert, aber das wird es ja nicht gewesen sein.” Lares stieß hier an seine Grenzen. Genau diese Fragen hatte er drei- oder viermal hin- und hergewälzt und war immer an diesem Punkt angekommen. Dann musste er sich um Andesine kümmern und wollte Luzia nicht im Regen stehen lassen und...hatte die Fragen ad acta gelegt.

“Es drohte also keine Gefahr. Glaubt ihr denn wirklich, das Madas Kräfte in Anwesenheit einer Zeremonie des Götterfürsten UND zwei seiner Geweihte überhaupt wirken konnte? Und es war wirklich nur eine Katze.” Nun erhob sie belehrend ihren Zeigefinger. “Mit all dem Wissen ist es sonnenklar, dass hier kein zweideutiges Missverständnis sein kann. Dementsprechend auch keine Schwachstelle.” Die Blickte kurz zur Sonne und seufzte.”Ihr solltet euch beim Götterfürsten entschuldigen, euer Wohlgeboren.”

Er nickte angesichts der überzeugenden Beweisführung der Praiotin - und wahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass es sich um eine Praiotin handelte. Dann sprach er ein knappes Stoßgebet mit dem er sich zu seinen Unzulänglichkeiten und Fehlern bekannte und Besserung gelobte. “Ich danke Euch. Ihr habt mit ein wenig Klarheit geschenkt. Wenn Ihr das gleiche Talent habt, Frauen aufzuspüren, dann stünde ich tief in Eurer Schuld.”

“Um wen handelt es sich. Wer ist den die Herzensdame?” fragte sie, jetzt wieder weniger streng, nach.

“Ich suche die Baroness von Keyserring.”, antwortete er aufrichtig.

Schwerfällig erhob Praiona sich. “Es ist Zeit das ich weiter ziehe. Danke für eure Zeit, Lares von Mersingen.” Ihre Stimme wirkte traurig. “Ihr solltet nach Elenvina kommen und mehr über den Götterfürsten lernen. Und bitte, behauptet nicht noch einmal das der Herr nicht wohlwollend über dieses Fest schaut. Öffnet eure Augen, Lares. Folgt dem Sonnenschein. Und erkennt dass Luzia von Keyserring dort drüben auf der Wiese die Sonne genießt.” Sie deutete auf die zwei Frauen die sich nicht allzu weit, liegend auf der Wiese unterhielten. “Und bleibt bitte bei der Ehrlichkeit.” Sie begann ein Lied zu summen und ging.

“Wie, was, äh…”, stotterte der Mersinger der Geweihten hinterher. Das konnte doch nicht… Da vorne, nicht weit von seinem Standort entfernt, saß Luzia mit einer anderen jungen Dame im Gras. Sie schienen sich ungestört zu unterhalten. Er wollte nicht denselben Fehler noch einmal machen und vor lauter ungestümen Eifer aufdringlich wirken, also wartete er in aller Seelenruhe und in gebührendem Abstand darauf, dass die beiden ihr Gespräch beendet haben würden. Er übte sich also in Geduld und blieb an seinem Platz am Teich sitzen.

***

Nach einem kurzen Spaziergang über den schönen, weißen Kiesweg erreichte der Edelmann Milian von Altenberg mit der Baronin Thalissa von Rieckenhausen am Arm, die Wiese am See der Lilienprinzessin. Wie versprochen zog eine Brise kühler Luft auf und kühlte die Beiden. Ja, irgendetwas magisches lag über diesen Ort. Vorsichtig wollte Milian Thalissa zu dem See bringen, als beiden der Mann auffiel, der zwei junge Damen, die eine Baroness Luzia von Keyssering und die andere Gelda von Altenberg, in einigem Abstand beobachtete. Verwundert schaute Milian die Baronin an. Während Lares erst jetzt die Neuankömmlinge wahr nahm.

Lares warf den Herrschaften einen höflichen Gruß zu, insbesondere der Baronin von Rickenhausen, mit der er in der Vergangenheit schon hinlänglich Erfahrungen gesammelt hatte - nur gute, würde er selbstverständlich sagen. Aber sein Augenmerk galt den beiden jungen Damen. Noch eine Gelegenheit würde er sich nicht entgehen lassen. Doch das Gespräch schien nicht enden zu wollen. Lares würde sich in Geduld üben müssen, sah er ein.

Thalissa grüßte ebenso höflich zurück, doch da der Mersinger offenbar gerade anderweitig beschäftigt war, verzichtete sie darauf, das Wort an ihn zu richten. Statt dessen sah sie Milian an. “Schön ist es hier, Ihr habt nicht zuviel versprochen. Aber Ihr scheint überrascht zu sein, den Herrn von Mersingen hier zu treffen, oder die beiden Damen, oder alle drei?”

“Verzeiht, euer Hochgeboren. Ihr solltet natürlich meine ganze Aufmerksamkeit bekommen. Ich finde nur, dass der Junker etwas viel Interesse hat, an den beiden noch ´recht jungen´ Damen. Mir scheint es, dass er sie beobachtet. Das rothaarige Mädchen ist Gelda, meine Base. Und ich denke ich muss nicht erwähnen, dass daneben die Baroness von Keyserring sitzt. Eine Dame den Hof machen das ist eine Sache, doch lüstern zu beobachten eine andere. Meint ihr nicht?” Besorgt schaute er Thalissa an. Ob es echt war oder nur gespielt, vermeinte sie nicht zu unterscheiden.

Die Baronin hatte zwar schon mehrfach mit dem Mersinger zu tun gehabt, aber was seine charakterliche Integrität Frauen gegenüber anging, wusste sie nicht Bescheid. Allerdings gab es Gerüchte … “Warum fragt Ihr ihn nicht?” Thalissa lächelte Milian herausfordernd an. “Ich kann seinen Blick leider nicht so eindeutig deuten wie Ihr.” Milian nickte nachdenklich. “Ich bin überrascht, ich hörte von eure Tätigkeit als Criminal-Ermittlerin. Schult sich da der Blick nicht?” , fragte er freundlich. Er machte einen Schritt auf den Junker zu. “Heda, Wohlgeboren von Mersingen. Braucht ihr Hilfe, um den Damen eine Aufwartung zu machen oder warum dieses phexische Verhalten?” Fragte er direkt mit erhobener Augenbraue.

Der Altenberger machte sich gerade unbeliebt bei ihr, aber das sollte Thalissa nicht stören, bestärkte sie es doch darin, sich nicht zu sehr mit ihm einzulassen, was sie sowieso nicht vorgehabt hatte. Was hätte es dem edlen Herrn wohl sagen müssen, wenn sie als (ehemalige) Criminal-Ermittlerin an Blick und Haltung des Mersingers nichts eindeutig Unschickliches findes konnte?

Lares wandte sich um, wobei seine zusammengekniffenen Augenbrauen verrieten, was er von dieser Frage dachte. “Entschuldigt, Wohlgeboren von Altenberg”, erwiderte er höflich, aber kalt “ich fühle mich von ‘heda’ nicht wirklich angesprochen. Ihr wollt wissen, warum ich höflich warte, bis die Damen ihr Gespräch beendet haben? Nun zum einen, weil es sich so geziemt und zum anderen, weil forsches Auftreten mir bei einer der Damen am heutigen Tage bereits nicht zum Erfolg verholfen hat. Das hat mich schmerzlich daran erinnert, dass der Mann von Welt sein Temperament zu zügeln weiß.”

Milian antwortete nur mit einem Lächeln. Seine Wortwahl war nicht ohne Berechnung gesetzt. Und sein Konkurrent hat genauso reagiert wie erwartet. “Wir können nur hoffen dass ihr dieser ´Mann von Welt seit´ , den ein Mann mit Anstand könnte besorgt sein, dass eine Dame von Stand und Unschuld in bedrohlicher Situation sein könnte. Ich habe heute schon beobachtet wie einer Dame der Ruf befleckt wurde. Also müßt ihr verstehen Junker von Mersingen, dass ich Aug und Ohren offen habe. Das geziemt sich als Edelmann, wie ich einer bin.” Das Lächeln wurde breiter und er verneigte sich leicht vor seiner Begleiterin.

Thalissas Lächeln war eher bedeckt, tatsächlich konnte es Milian gar nicht sehen, verdeckte der geöffnete Fächer doch gerade ihr halbes Gesicht. Interessiert verfolgte sie den weiteren Austausch der beiden Herren.

Interessant, dachte sich Lares. “Ja, habt Ihr? Das ist äußerst bedauerlich! Für Eure Umsicht bin ich dankbar. Sagt, welcher Rüpel beschmutzte die Ehre einer der anwesenden Damen? Ich musste ebenfalls einen Herren an die Regeln des Anstands erinnern, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Ich hoffe, Euch waren PRAios und TRAvia da eher hold?”

Noch bevor die anderen antworten konnten, registrierte Lares die kleine, blonde Gestalt, die zieltgerichtet auf ihn zustapfte. Gefolgt von dem Rondradiener, bei dem er sie vorhin gelassen hatte.

***

Das Lustwandeln hatte er sich anders vorgestellt, musste Rondradin sich schmunzelnd eingestehen, als er mit der jungen Dame neben sich durch den Park flanierte. Es schien Basilissa soweit gut zu gehen, was ihn freute und er war guter Hoffnung, dass sie in Zukunft von weiteren Albträumen verschont bleiben würde.

Sein Blick glitt von links nach rechts. Der Park wurde seinem Namen wirklich gerecht, überall wuchsen Lilien und zugleich strahlte er etwas friedvolles, beruhigendes aus. Als sie den See erreichten, fanden sich auch endlich den Schwertvater der Pagin. Aber dieser war nicht allein. Da waren noch andere Grüppchen. Zum einen die Baronin von Rickenhausen, zuletzt waren sie sich kurz in Nilsitz begegnet und der Mann neben ihm musste aus dem Haus Altenberg stammen, jedenfalls hatte Rondradin ihn vorhin an deren Tisch gesehen. Was ihm allerdings den Atem verschlug waren die beiden jungen Frauen, die auf der Wiese saßen. Luzia von Keyserring nahm er dabei kaum wahr, galt seine Aufmerksamkeit doch diesem Lichtgeschöpf, seiner einzig wahren Liebe, Gelda von Altenberg. Auch wenn sie mit dem Rücken zu ihm saß, so war es doch unverkennbar sie. Mit Mühe konnte er seinen Blick von ihr lösen und Basilissa zuwenden. “Da wären wir. Siehst du? Da vorne sitzt dein Schwertvater. Soll ich mit ihm über deine Träume sprechen?”

Sie nickte langsam bevor sie sich in Lares Richtung wandte.

“Lauf doch zu ihm. Ich komme sofort nach.” Rondradin blieb einen Moment stehen und nahm dies friedliche Szenerie in sich auf. Wunderschön.

***

Lissa registrierte, dass Lares im Gespräch mit zwei weiteren Herrschaften stand und verlangsamte ihren Schritt. Sie lächelte ihm entgegen. Irgendwie fühlte sie sich besser als vorhin noch.

Stellte der Junker sich dumm oder war er so von sich eingenommen, dass seine impertinente Art die beiden Frauen so aus der Ferne zu ´beobachten´ gegen jeglicher Etikette ging. “Ich sprach von euch. Ihr solltet die Damen nicht so aus der Ferne ´bespannen´, es wirkt missverständlich.” Mit erhobener Augenbraue, nahm nun auch Milian die Pagin war.


“Ach, ich dachte, Ihr sprecht von zwei verschiedenen Personen. Aber das muss Eure unpräzise Ausdrucksweise sein. Ich habe verstanden, dass Ihr mein respektvolles Zuwarten missverstanden habt - und ich bin Euch dankbar für die offenen Worte. Wir wollen ja nicht, dass noch andere diesem ‘Missverständnis’ unterliegen, nicht wahr?”, säuselte Lares, dann wandte er sich ab und sein Gesicht klarte ob seiner zufriedenen Pagin auf. “Hallo Basilissa, hast du mit dem Herrn von Wasserthal reden können, so, wie du dir das gewünscht hast? Der Herr hier meint, wenn ich auf deine Schwester warte, dann ist das unzüchtig. Findest du das auch?” Er deutete beiläufig auf Milan.

“Äh.” Das Kind sah seinen Schwertvater irritiert an: “Ja, ich habe mit seiner Gnaden reden können und ähm… ich glaube nicht, aber… “ sie zuckte mit den Achseln. Sie hatte noch nicht gelernt, was man sich in Bezug auf das andere Geschlecht leisten durfte. Einzig, dass sich Menschen in bezug auf diese Frage häufig uneins waren, hatte sie bereits registriert.

Thalissa nickte Rondradin und Basilissa grüßend zu, hielt sich ansonsten aber weiter heraus aus dem Hahnenkampf. Denn nichts anderes war dies in ihren Augen. Solange es nicht zu weit führte, war es zumindest unterhaltsam - und aufschlussreich.

“Na, dann ist es ja gut”, sagte Lares zu Lissa und widmete sich nun ganz seiner Pagin. “Was hat der Herr von Wasserthal denn gesagt - oder ist das ein Geheimnis?”

Milian schüttelte ungläubig seinen Kopf, lächelte dann aber wieder versöhnlich. “Nun gut. Ich denke dann ist ja alles geklärt.”

Lächelnd schloss Rondradin zu der Gruppe auf. “Rondra zum Gruße. Ich hoffe Ihr genießt die friedvolle Atmosphäre, welche an diesem Ort vorherrscht.”

Der Edelmann verneigte sich.”Euer Gnaden, Rondra sei gegrüßt!”

“Ach, da ist er ja! Herr von Wasserthal, ich schulde Euch meinen aufrichtigsten Dank. Basilissa war sehr betrübt, als wir sie zu Euch brachten. Ihr müsst nicht nur mit dem Schwert geschickt sein, ganz offensichtlich. Sagt, wie geht es Eurer Schwester? Hat sie sich wieder einigermaßen gefangen? Ich habe sie eine ganze Weile nicht mehr gesehen.”

“Ich versuche nur meinem Schwertnamen gerecht zu werden, das ist alles.” Winkte Rondradin ab. “Meine Schwester habe ich zuletzt mit Euch zusammen gesehen. Ihr wisst vermutlich besser als ich wie es ihr geht. Aber wahrscheinlich hat sie sich zurückgezogen nachdem der Herr vom Traurigen Stein seine Verlobung mit Durinja von Altenberg bekannt gegeben hat.”

Lissas Augen wurden groß, als der Rondradiener sprach und sah ungläubig zu Lares hinüber.

Lares Gesicht wurde in Sekunden finster wie die schwärzeste Nacht. Seine beiden Fäuste ballten sich, sein Kiefer mahlte. Für einen langen Augenblick starrte er Rondradin einfach nur an, während man seine Zähne knirschen hören konnte. Dann brach es langsam aber schrecklich aus ihm hervor. “Könntet Ihr das bitte wiederholen? Ich muss mich verhört haben. Was...hat...dieser...einfältige…?”

Überrascht von der Reaktion seines Gegenübers wiederholte der Geweihte seine Worte: “Linnart vom Traurigen Stein hat sich mit Durinja von Altenberg verlobt. Ich hatte gehofft, Ihr könnt mir sagen, warum sie und nicht Andesine seine Braut ist.”

“Oh dieser vermaledeite, dreimal verfluchte Mistkerl!!!”, schrie Lares plötzlich unbeherrscht und ersichtlich zornig. Der Ruf aus tiefster Kehle war für jeden in der Umgebung vernehmbar. Sogar Basilissa schreckte zusammen - ihr sonst zugewandter Schwertvater war plötzlich wie ausgewechselt. “Oh ja, ich kann Euch ganz genau sagen, warum dieser untreue Bastard Eure bemitleidenswerte Schwester verschmäht hat: Er hat sie kein halbes Stundenglas, nachdem er ihr seine unverbrüchliche Liebe geschworen hat, hintergangen. Mit Eurer”, er starrte einen kurzen Moment Milan an “Verwandtschaft.” Auf seiner Stirn pochte eine dicke, blaue Ader. “Und nicht nur Eure Schwester - auch mich hat diese Brut einer Ratte belogen! Ich habe ihm ein Versprechen abgerungen, das Versprechen, an sich und seiner zügellosen Kontrolllosigkeit zu arbeiten, um Eurer Schwester willen! Eure Schwester ist ein guter Mensch! Das hat sie nicht verdient! Ich habe gehofft - nein, ich habe von ihm verlangt, sich um Eure Schwester zu bemühen. Es reicht, dass dieser Widerling ihr EINMAL das Herz gebrochen hat. Aber das?” Der wütende Mersinger musste einen Moment durchschnaufen, so außer Atem war er. “Herr von Wasserthal”, sprach er dann gedehnt. “Ich muss Euch darum bitten, mir als Geweihter der Herrin des Ehrenhaften Zweikampfs zur Seite zu stehen. Dieses Verhalten verlangt nach Satisfaktion.”

Unwillkürlich trat Thalissa bei diesem Ausbruch einen Schritt zurück. Dass der Mersinger aufbrausend sein konnte, wenn auch erst nach einer Weile, hatte sie erst kurz vor der Brautschau erfahren dürfen, aber was verband ihn denn mit Rondradins Schwester? Oder war er etwa … selbst in sie verliebt? Sie widerstand ihrem ersten Impuls, sich zurückzuziehen, denn zumindest hier war der See nun nicht mehr sonderlich friedlich, sondern machte nur noch einen weiteren Schritt zurück, um ihre Ohren zu schonen, Sie warf einen Blick zu den beiden Frauen, die Lares beobachtet hatte. Das hier konnten diese ja kaum überhört haben.

Auch Milian machte eine Schritt weg von dem Mersinger. Ungewollt schlich sich ein leichtes Schmunzeln in sein Gesicht. Durinja hat es also geschafft. Auch wenn er sich meistens nicht grün mit seiner Base war, konnte er nicht anders, als gewissen Stolz zu empfinden. Sollte diese Hochzeit stattfinden, so hatte sie einen guten Schritt nach vorne gemacht. Das widerum ihn daran erinnerte, dass er nicht so weit war. Die Baronin von Rickenhausen war ganz nett und trug einen guten Titel, aber er bezweifelte, dass er sie für sich gewinnen konnte. Zu sehr war sie dem höfischen Spiel der Nordmarken verschlossen. Und wer weiß, vielleicht hielt sie sich auch nicht lange auf ihrem Thron. Nun, jetzt hat sie ja einen guten Vorgeschmack bekommen, wie es hier läuft. Milian war froh darüber, dass der Junker vor allen seine Haltung verlor.

Die Verwandlung, die Lares von Mersingen durchmachte war erstaunlich und gewiss einschüchternd. Rondradin hätte nicht gedacht, dass der Mersinger wirklich so viel für Andesine empfand, oder war es der gekränkte Stolz, weil der Linnartsteiner sich nicht an sein Versprechen hielt? Jetzt da er den Wutausbruch Lares beobachtete, stellte der Geweihte erstaunt fest, dass er selbst völlig ruhig blieb. Nun ja, er war Andesines Bruder und als solcher empfand er auch einen Zorn gegenüber dem Bannstrahler, aber dieser war weit von dem entfernt, was sein Gegenüber gerade empfand. Er wusste nur eins. Sollte Andesine Satisfaktion wünschen, würde sie diese selbst einfordern. Deshalb hob Rondradin beschwichtigend die Hände. “Gemach, es ist keinem geholfen - auch Andesine nicht - wenn Ihr voller Zorn zu diesem Mann marschiert und ihn lautstark fordert. Beruhigt und sammelt Euch. Wenn Ihr diesen Linnart fordern wollt, stehe ich Euch gerne zur Seite, wobei ich als Schiedsrichter wohl eine passende Rolle einnehmen würde. Allerdings bitte ich im Sinne dieser Veranstaltung darum, dieses Duell erst morgen anzusetzen.” Rondradin trat zu Lares und legte ihm die Hand auf die Schulter. “Ich danke Euch, dass Ihr erneut für meine Schwester eintreten wollt. Ihr seid ihr ein wahrer Freund.”

Lares Augen wurden einen Moment groß, dann kurz schmal, dann sah er verschämt zur Seite. “Nein. Nicht in Wut”, presste er hervor. “So einfach werde ich ihm das nicht machen. Morgen. Ja. Morgen.” Das Leder seines Gürtels, den seine rechte Faust malträtierte, knirschte leidvoll. “Ich...Sagt ihr nichts davon. Bitte. Ich will nicht, dass sie...Das ist eine Sache zwischen dieser traurigen Gestalt und mir.” Sein Gesicht war vollends bleich, seine Stimme dünn geworden. Der Mersinger gemahnte an eine stehende Leiche und der Hauch des Hausgottes seiner Familie umwehte ihn.

“Ihr solltet vielleicht selbst mit ihr sprechen. Mir schien es als vertraue sie Euch.” Der Rondrianer nickte dem Mersinger dankbar zu.

“Oh, ich…” Lares warf den Kopf in den Nacken und wischte sich mit einer Hand über das Gesicht. “Gut. Werde ich. Lissa?”

“Sagt Baronin, wollen wir uns vielleicht einen friedlicheren Ort suchen?”, fragte Milian die Baronin von Rickenhausen.

Das Schauspiel schien zu Ende zu sein, sonderlich viel Freude hatte Thalissa daraus aber nicht ziehen können, sah es doch so aus, als würde es wegen … übertriebener Befindlichkeiten auch noch zu einem Duell kommen. Nun, das war letztendlich nicht ihr Problem und sie vertraute auf Rondradin, dass es nicht zum Schlimmsten kommen würde.

“Gerne”, antwortete die Baronin daher. “Was wollt Ihr mir als nächstes zeigen?”

“Es gibt hier ein Amphitheater, ich hoffe da wird es keine Befindlichen Gäste geben. “Er lächelte sie an, bot wieder sein Arm an und lief mit ihr hinfort.

***

Lissa sah ihren Schwertvater irritiert an: “Hm. Ja. Wolltet ihr noch mit seiner Gnaden sprechen? Soll ich euch derweil etwas zu trinken oder einen dieser Körbe besorgen?” bot sie eilfertig an.

“Nein, das meinte ich nicht. Entschuldige bitte. Magst du bitte deiner Schwester etwas von mir ausrichten? Ich würde mich freuen, wenn deine Schwester und ich in einem halben Stundenglas einige Worte miteinander sprechen könnten. Wenn es die Schicklichkeit erlaubt, würde es mich freuen, wenn wir drei dabei allein sein könnten. Es wäre mir wichtig. Doch zuvor muss ich einer Freundin - bitte betone das - meinerseits eine Nachricht überbringen.” Lissa nickte. “Danke euch nochmals für eure Hilfe, euer Gnaden.” Dann wandte sie sich ab, um zu ihrer Schwester zu laufen, hielt aber kurz inne: “Hoher Herr, soll ich bei meiner Schwester auf euch warten?”

 Dann wandte sich der Mersinger erneut Rondradin zu. “Ihr habt Recht, wenn Ihr sagt, wir sollten diese Angelegenheit morgen klären. Es wäre wichtig, einen geeigneten Ort zu finden. Dem Kontrahenten obliegt die Wahl der Waffen. Ich wäre geehrt, wenn Ihr das Duell mit Eurem scharfen Auge und dem Segen der Sturmherrin überwachtet. Ich werde gehen und Eure Schwester suchen. Wisst ihr zufällig, wo sie sich aufhalten könnte? Wo ist Eure Familie untergekommen? Wenn sie nicht mehr hier ist, so fürchte ich, wird sie womöglich den Festplatz verlassen haben.”


“Ihr könntet Bruder Rahjel fragen, ob er sie gefunden hat. Ansonsten bliebe nur noch das Hotel ‘Zum Herzog’ in dem wir untergekommen sind.” Mit einem Male wirkte der Geweihte unheimlich müde. “Ich wünschte, ich könnte selber nach ihr sehen, aber es scheint als ob halb Dere heute etwas von mir will. Eigentlich sollte ich schon auf dem Weg zu einem Treffen sein.” Er sah auf und blickte Lares direkt an. “Ich danke Euch für eure Hilfe. Das werde ich Euch nicht vergessen und morgen werde ich über Euer Duell wachen.” Lares nickte grimmig, dann wandte er sich zum Gehen, als plötzlich ein Rabe über der Versammlung krähte.

***

Luzia von Keyserring genoß es, wieder allein zu sein. Einen Moment lang zumindest. Sie mochte Menschen, das freilich. Aber dennoch - zu lange mochte sie sie doch nicht um sich haben. Das Alleinsein war für sie wie die Luft zum Atmen.

Sie lächelte still in den Himmel, der sein wolkenloses Dach in zartem Blau über sie spannte.

Der wütende Ausbruch, die laute Stimme, von Lares von Mersingen, störte ihren friedlichen Moment der Stille. In Sichtweite, sah sie eine Gruppe Menschen vor der Lares zeterte.

Sie bemühte sich wegzuhören und schnappte dennoch Gesprächsfetzen auf: Traurigenstein, Andesine, Satisfaktion, Duell. Was ging dort vor`? War Lares an dieser Andesine interessiert und dieser andere hatte sie ihm weggeschnappt? Ein kleiner Stich durchfuhr sie. So musste es wohl sein. Leise seufzte sie. Sie hatte sich schon gefreut, mit ihm und Lissa ein wenig reisen zu dürfen. Das war es wohl, was sie störte. Sie schloss die Augen und versuchte die Stimmen auszublenden und als die Lautstärke abebbte, atmete sie still und leise. Sie war eingenickt. Kurze Zeit danach spürte sie ein leichtes Tippen unter ihrer Schuhsohle. “Lissa.” stöhnte sie auf, als sie ihre jüngere Schwester erblickte und setzte sich auf.

“Ich soll dir etwas von meinem Schwertvater ausrichten. Er möchte, dass wir uns in einem halben Stundenglas treffen.” “Wer wir?” “Na, wir beide mit ihm.” Luzi nickte zögerlich. “Und dann…” “Ähm… möchte er mit dir sprechen?” “Ah.” “Und ich soll dir bestellen, dass er zuvor noch… mit einer Freundin etwas klären möchte.” So. eine Freundin? Sie spürte wieder diesen unliebsamen Stachel: “Es war sehr wichtig, dass ich das mit der Freundin sage.” Luzia runzelte die Stirn: “Danke Lissa. Magst du dich solange hierher setzen?” Die kleine schüttelte energisch den Kopf: “Nein. Ich gehe wieder hinüber.” “Gut ich bleibe hier.”

Dann ließ Lissa ihre Schwester alleine, die sich wieder zurücklehnte und die Augen schloss.

***

Malvado hatte Alrike verstanden. Die jungen Leute mussten wieder aus dem Feenreich zurückkehren. Der Kolkrabe kannte die Feenwelt, ein Ort den er schon öfter besucht hatte. Wieder konzentrierte er sich und spürte das magische Tor. Mit einem Krächzen zielte er genau auf die Weiden am See zu und verschwand zwischen den Bäumen.

Das Amulett des Geweihten Rondradin glimmte kurz auf und zeichnete sich so unter der Robe und dem Wappenrock deutlich ab, was der jungen Pagin Basilissa nicht entgangen war.

Sie sprang ein Stück zurück. Und sah verstört zu Rondradin hinauf. Was hatte das zu bedeuten?

“Basilissa was ist?”, meinte Lares und runzelte die Stirn. Was war ihm entgangen? Eigentlich wollte er sich gerade aufmachen, um Andesine zu suchen. Ein Vorzeichen?

Auch Rondradin bedachte die Pagin mit einem fragenden Blick. Seine Aufmerksamkeit hatte dem Raben gegolten, den er für ein schlechtes Omen hielt.

“Verzeiht. Das… das Amulett hat plötzlich geleuchtet. Oder… das dachte ich zumindest. Vielleicht war es nur die Sonne?” Ja, so musste es sein.

“Welches Amulett meinst du?” Lares sah ganz kurz an sich herunter, wohl wissend, dass er kein Amulett trug.

“Meinst du das Meinige?” Rondradin griff sich an die Stelle wo das Amulett unter seiner Robe verborgen lag. Es ging keine Hitze davon aus, auch wenn es sich warm anfühlte. Konnte es sein oder doch nur die Sonne?

“Ja.” sagte das Kind. “Ich konnte es unter eurer Robe sehen, weil es … geglommen ist. Aber nur kurz. Was… bedeutet das?”

Es war ungewöhnlich, bisher hatte es nur zu leuchten begonnen, wenn er… Konnte es sein, dass der Rabe mehr war und sich da zwischen den Bäumen ein…

Ihm wurde bewusst, dass der Blick Basillissas immer noch auf ihm lag und auch Lares schien es nach einer Antwort zu verlangen. “Du musst keine Angst haben, Basilissa. Es könnte hier in der Nähe einen Zugang zur Feenwelt geben. Was, wenn man die Geschichte des Parks bedenkt, sehr wahrscheinlich ist. Das Beste wird sein, du bleibst in der Nähe deines Schwertvaters. Laufe nicht allein durch den Park.” Der Blick Rondradins ging zu Lares. “Vielleicht wird uns heute Abend jemand aus der Anderswelt einen Besuch abstatten, aber ich sehe gerade keine Gefahr für die Gäste.”

Oh das hatte er gerade noch gebraucht. “Seid Ihr sicher, dass momentan keine Gefahr besteht? Ich muss doch nach Andesine sehen - Lissa, geh derweil zu deiner Schwester und richte ihr aus, was ich gesagt habe. Ich warte solange auf dich. Wenn hier Madas Gezücht kreucht und fleucht, dann lasse ich dich nicht mehr aus den Augen.” Hmm, vielleicht war er mit der Katze doch richtig gelegen. Der nagende Zweifel kehrte in seinen Kopf zurück.

Rondradin schloss die Augen. Schon wieder ein neues Problem. Schon wieder etwas, das ihn von Gelda fernhielt. Schon wieder … War es denn zuviel verlangt einfach mal ein Viertel Stundenglas seine Ruhe zu haben? Aber es dem armen Mersinger aufbürden, das wollte er dann auch nicht. Mit einem tiefen Seufzer meinte er dann: “Ich kümmere mich darum.” Er hob zum Abschied die Hand. “Wir werden uns später beim Bankett wiedersehen.” Dann zog er los, die Augen nach der Vögtin oder der Baronin dieser Lande offenhaltend.

Lares grüßte den Rondrianer zum Abschied, dann wartete er einmütig - und ein wenig nervös - auf die Rückkehr seiner Pagin.

“Ich habe es ihr ausgerichtet. Sie wird dort auf uns warten.” meldete die Kleine als sie kurz nach ihrem Aufbruch zurück kehrte.

“Danke dir. Das hast du gut gemacht. Hoffentlich müssen wir sie nicht zu lange warten lassen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, was deine Schwester angeht. Eigentlich sollte ich jetzt bei ihr weilen und ihr einen kleinen Ausflug mit uns schmackhaft machen, meinst du nicht auch? Aber stattdessen verhält sich dieser vermaledeite Geck...ach entschuldige, diese Wörter sind alles andere als angemessen im Beisein einer jungen Dame.” Lares lachte verkrampft. Oh warum konnte die Welt nicht einfacher sein? Warum nur? Aber natürlich: Weil sie es nicht war, verdammt. “Komm, gehen wir Andesine suchen. Und danach knöpfen wir uns den Traurigsteiner vor.” Mit einem grimmig-determinierten Gesichtsausdruck packte Lares Lissa bei der Hand und führte sie in Richtung Ausgang des Festgeländes.

***

Das Rauschen der Blätter und Blumen im Wind wandelten sich zu leisen, musikalischen Klängen. Nicht die gewohnten Lieder der Barden, sondern eher fremdländisch, wild aber dennoch lustig. Als Luzia ihre Augen wieder öffnete, war das Praiosmal am Himmel verschwunden und rosa Wölkchen zierte diesen. Sie lag noch immer auf der Wiese umgeben von weiten Feldern bunter Lilien. Der See und die Weiden waren noch da, aber alles andere war verschwunden. Eine Gruppe junger Menschen liefen vorsichtig, auf die Bäume zu und einer nach dem anderen verschwanden zwischen ihnen. Nur einer blieb stehen und drehte sich um. Der schlanke Jüngling hatte rabenschwarzes Haar, aus dem kleine Federn hervor lugten, bleiche Haut und tiefschwarzen Augen. Sein Gesicht wirkte hart, aber auf fremder Art anziehend. Er war nackt, wobei größere, dunkle Federn seinen Schambereich verdeckten. Schwungfedern sprießen ihm vom Nacken, über den Schultern zu den Oberarmen bis zu den Handrücken. Mit überraschten Blick kam er auf sie zu.

Die junge Frau rieb sich die Augen, schlief sie noch? Was war das für ein absonderlicher Traum? Sie zwickte sich selbst in den Unterarm. Sie spürte das Ziepen ihrer eigenen Nägel und wich angstvoll vor dem absonderlichen Wesen zurück.

“Nicht doch, holde Jungfer. Ich tu dir nichts.”, sagte der Rabenmann, doch seine Stimme hörte sich fern an, wie in einem Traum. Erst jetzt bemerkte Luzia, das neben ihr sie selbst lag und schlief. “Wie machst du das?”, fragte er neugierig.

“Wo bin ich?” fragte sie ängstlich. “Ist das ein Traum? Was willst du von mir - was mache ich denn hier?” sprudelte es aus Luzia heraus. Er dachte kurz nach und legte dann ein Lächeln auf. “Ja es ist nur ein Traum. Schließe die Augen schönes Kind.” Sagte er sanft.

Skeptisch sah sie ihn an: “Wie? Ich bin zweimal da. Eigentlich schlafe ich dort.” Was war er? Hatte er sie in eine andere Welt gelockt, um ihr etwas anzutun? “Wo bin ich hier? Was… wer bist du?” Sie lief langsam rückwärts auf ihren schlafenden Körper zu und tippte ihn mit ihrem Schuh an, ohne den Rabenmann aus den Augen zu lassen.

Erst jetzt bemerkte sie, das sie leicht durchscheinend war. Ihr eigener Körper war kein Widerstand für ihren Schuh. Der Rabenmann blieb an seiner Stelle stehen. “Malvado ist mein Name. Ich passe auf die unschuldigen Seelen auf.” Tiefgründig schaute er sie mit seinen schwarzen Augen an.

“Was heißt das? Und wo bin ich? Seid Ihr ein Sendbote Borons? Ist dies eine Traumwelt? Wieso ist es hier so ..wirklich?” Nur langsam wich die Panik aus ihrer Stimme.

Malvado nickte nur. Ja, du bist in einer Traumwelt. Aber du gehörst hier nicht hin. Also schließ die Augen … und wache auf!” Das fremdartige, schöne Gesicht schien vertrauensselig.

Konnte sie es wagen? Vorsichtig schloss sie die Augen. Sie würde sie sofort wieder öffnen. Vielleicht sprach er die Wahrheit? Wenn nicht, wäre sie ihm so oder so hilflos ausgeliefert.

Als die junge Baroness ihre Augen wieder öffnete, sah sie wieder das gewohnte Praiosmal und befand sich auf der Wiese am See. Langsam klärten sich ihre Sinne. ´Was für ein seltsamer Traum´, ging es ihr durch die Gedanken. Dann bemerkte sie, dass sie nicht mehr alleine auf der Wiese lag. Neben ihr im Gras schlummerte zwei junge Männer und drei junge Frauen. Zumindest Zwei kannte sie vom Sehen. Der Knappe Folcrad von Baldurstolz und die Gauklerin Doratrava. In der Ferne hörte sie das Krächzen eines Raben.

Wie merkwürdig , sie war alleine gewesen, als sie eingenickt war. Und nun? Sie setzte sich auf und sah sich verstohlen um. War dies wieder ein Traum? Sie zwickte sich leicht. Alles sah aus wie zuvor. Sie war zurück? Oder?

Das Rauschen des Windes und die kitzelnde Wärme des Praiosmal holte auch die anderen jungen Leute aus ihrem Schlaf. Doch alles was von ihrem Abenteuer blieb waren ferne Erinnerungen an einen fantastischen Traum. Nur Eine erinnerte sich daran was geschehen war, doch wusste sie, dass es für die Eine oder den Anderen besser war, es als Traum zu belassen.

Cupida streckte alle Viere von sich und stieß mit ihrer Rechten gegen etwas warmes Weiches. Es sah aus als wäre sie eingeschlafen. Was für ein seltsamer Traum. Die junge Frau öffnete ihre Augen und das erste, das ihr ins Auge stach war Aldecs fülliger Leib nahe an ihr. Kurz wich sie schreckhaft vor ihm zurück. Was tat er denn hier? Bei ihr? Panisch sprang sie auf und nestelte sie an ihrem Kleid herum. Er würde sich doch nicht an ihr vergangen haben? Nein. Sie verwarf jenen Gedanken sofort wieder. "Hey Aldec, aufwachen!" Mit der Fußspitze stieß ihn die junge Lilienhainerin sanft in die Seite, dann erspähte sie den Rest ihrer Gruppe.

Aldec drehte sich auf die Seite und kuschelte sich in seinen speckigen Oberarm. “Hmm...noch ein bisschen…”, murmelte er schlaftrunken. Als ihn die Schuhspitze berührte, fuhr er hoch. “Was, wie, wo? Ach du… welche Stunde haben wir es? Ich muss doch; meine Herrin!” Der dicke Mann warf den Kopf hin und her.

"Sssssh … ssssshhh …", versuchte die Akoluthin ihn zu beruhigen. "Es scheint als wären wir eingeschlafen. Ich weiß nicht welche Stunde wir haben …", wie Rondras Blitz schlug es in ihre Gedanken ein, "... Dora! Wir wollten sie doch suchen. Wo ist sie?"

“Da vorne liegt sie doch”, murmelte der Knappe schlaftrunken und rieb sich die Augen. Dann gähnte er herzhaft und fuhr fort:”Warum schreit Ihr denn so?” Offenbar hatte er noch nicht begriffen, was geschehen war.

Die junge Frau nahm die Worte Folcrads zum Anlass und stürzte hin zur Gauklerin. Die Sorge nach ihr war der letzte geordnete Gedanke, den sie in ihrem Kopf hatte. "Dora … geht es dir gut? Wo warst du denn?", fragte Cupida zusammenhanglos.

Sie alle schienen sich zu kennen. Luzi fühlte sich fehl am Platz und zog sich etwas in den Schatten des nächstliegenden Baumes zurück, von wo aus sie die anderen argwöhnisch begutachtete.

Fecundaque schreckte aus ihrem Traum auf. Irgendwas daran hatte ihr nicht gefallen, auch wenn sie nicht mehr wusste was. Neben ihr hatte sich Folcrad aufgesetzt. Sie erinnerte sich an die schönen Momente, die sie zusammen mit dem Knappen hier im Park erlebt hatte. Wie sie sich gegenseitig mit dem Weichkäse in Beerensauce gefüttert hatten, zum Beispiel. Und auch, dass sie heute Abend etwas Besonderes mit ihm vorhatte. Aber da war noch was anderes. Ach ja, sie hatten nach Doratrava sehen wollen. War sie das nicht da vorne? Erleichtert seufzte sie auf und zog an Folcrads Ärmel. “Hilfst du mir auf, mein Galan?”

“Aber gewiss”, grinste er und stand auf. Mit einer übertriebenen Verbeugung reichte er ihr seine Hand und half ihr beim Aufstehen. Plötzlich verharrte er und starrte in Richtung eines Baumes. Er kniff die Augen zusammen und murmelte: ”Ist sie das, oder nicht?” Dann fasste er einen Entschluss und rief: ”Euer Wohlgeboren Luzia, seid Ihr das?”

“Ja.” kam es fast scheu aus dem Schatten des Baumes. “Ich hatte einen merkwürdigen Traum und dann bin ich erwacht. Ich habe nicht lange geschlafen. Und ihr alle ward nicht hier als ich eben eingenickt bin. Das weiss ich sicher.”

“Was, wie, Wohlgeboren?!”, schrak Aldec zusammen und kauerte sich nach besten Kräften hinter den nächsten Baum. Nur dass dieser kaum eine Chance bot, seine massige Gestalt zu verdecken. ‘Sie darf mich nicht sehen, sonst bin ich verloren!’, dachte er panisch.

“Wir haben auch geträumt”, sagte er langsam,”möchtet Ihr nicht näher treten?”

“Nein.” wisperte es aus der Ecke. “Mir gefällt es hier ganz gut.”

“Ach kommt schon, ich stelle Euch alle vor. Nachher beim Bankett haben wir dazu keine Gelegenheit mehr. Wann hat man schon Gelegenheit eine waschechte Baroness kennen zu lernen?”

“Nein.” kam es, diesmal trotziger: “Ich möchte gerne hier bleiben.” Sie sah sich die fünf Leute genau an. Ein seltsamer Haufen.

“Gut, wenn das Euer Wunsch ist”, achselzuckend wandte sich Folcrad wieder den anderen zu.

***

Der Geweihte der Rondra musste nicht weit gehen, als er diesmal das kurze Aufglimmen von Wärme seines Amuletts spürte. Der angenehme kühle Wind, der ihm vom See aus erreichte, ließ seinen Blick über die Wiese gleiten. Dann fiel sein Blick auf eine Gruppe von schlafenden, jungen Menschen. Darunter erkannte er Doratrava.

Doratrava schlug die Augen auf, als Cupida sie ansprach. Warum hatte sie denn geschlafen? Da durchfluteten plötzlich seltsame Traumbilder ihren Geist. Doch für einen Traum fühlten diese sich sehr … greifbar an. “Cupida!” rief sie, als die Erinnerung sie überkam. “Wir sind doch … wir haben doch …” Doch als ihr die Umgebung wieder bewusst wurde, als sie die Verwirrung auf den Gesichtern der anderen und auch auf Cupidas sah, schloss sie den Mund schnell wieder. Sie wussten nicht mehr … und vermutlich war es besser so. Ein schneller Blick zu Fecundaque und Folcrad offenbarte ihr, dass auch die beiden sich an nichts mehr zu erinnern schienen. Rahja sei Dank!

Schnell stand sie auf und trat auf Cupida zu. “Pst, ich war nur ein wenig spazieren unter den Bäumen am See.” Dann nutzte sie die Gelegenheit, dass gerade niemand auf sie zu achten schien, und gab Cupida einen schnellen, aber leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. Den herankommenden Geweihten hatte sie noch gar nicht gesehen.

Als sich die beiden jungen Frauen voneinander lösten, fiel Doratrava der skeptische Gesichtsausdruck Cupidas ins Auge. Kurz schien es als fechte die junge Akoluthin einen inneren Kampf aus, dann rang sie sich zu einem Lächeln durch. "Nun, jetzt haben wir dich ja wieder gefunden." Sie sah auf und bemerkte den näher kommenden Rondrianer. "Euer Gnaden … es scheint als haben wir die Hälfte des Festes in Borons Armen verbracht. Wisst Ihr welche Stunde wir haben?"

Mehr neugierig als besorgt hatte Rondradin zunächst seine Schritte in Doratravas Richtung gelenkt. Als er allerdings sah wie sie der jungen Frau neben sich einen leidenschaftlichen Kuss gab, war er versucht sich umzudrehen und ihnen etwas Privatsphäre zu lassen. Doch der Ruf der jungen Frau hielt ihn davon ab. “Ich kann euch die genaue Uhrzeit leider nicht nennen, aber derzeit findet immer noch das Lustwandeln durch den Park statt, wenn das hilft.”

“Oh Rahja und Boron sei Dank …”, antwortete die junge Lilienhainerin dem Geweihten. Allem Anschein nach hatten sie nicht allzu viel verpasst. Ja, vielleicht war das kollektive Nickerchen jener Gruppe, für die Cupdia eigentlich verantwortlich war, niemandem aufgefallen. Sie hoffte es.

Ein leiser Stich der Enttäuschung fuhr durch Doratravas Brust, da ihre Freundin den Kuss nicht mit derselben Leidenschaft erwiderte. Gut, ihre Ausrede war auch nicht sonderlich einfallsreich gewesen und Cupida hatte wahrscheinlich gespürt, dass sie nicht die ganze Wahrheit sprach, vielleicht war sie ihrerseits enttäuscht über Doratravas Unaufrichtigkeit. Aber hier, vor allen Leuten und vor allem vor denen, denen das Vergessen gut tat, konnte sie nicht mit Cupida darüber sprechen.

Statt dessen wandte sie sich dem Geweihten zu, um von sich abzulenken. “Rondradin, schön dich zu sehen. Was treibt dich hierher? Lustwandelst du ganz allein, oder suchst du jemanden dafür?” Sie lächelte schelmisch.

Cupida beruhigte sich langsam wieder, griff nach Doratravas Hand und schlang ihre Finger zwischen die ihrer Freundin als sie den Rondrianer musterte.

‘So hat also auch Doratrava jemanden gefunden, ich freu mich für sie.’ dachte Rondradin bei sich als er das Paar vor sich stehen sah. Die kleine Stichelei der Gauklerin nahm er mit Humor, nichts anderes hatte er von ihr erwartet. Normalerweise hätte er zurückgestichelt und dafür einen Ellbogen in den Rippen riskiert, doch nicht in Anwesenheit von jemanden den er nicht kannte. Daher schüttelte er nur den Kopf. “Ich wünschte, dafür wäre Zeit gewesen, aber stattdessen lauert überall nur Arbeit und Pflichten auf mich.” Sein freundlicher Blick traf Cupida. “Dürfte ich Doratrava für einen Moment entführen? Ihr erhaltet sie gleich wohlbehalten zurück.”

Die Angesprochene lächelte ihm zu. “Wenn Ihr mir das versprecht, Euer Gnaden. Wie könnte ich Euch diesen Wunsch verwehren …”, ihr Blick ging weiter zur Gauklerin, “... so Dora das auch möchte?”

“Rondradin wird mich nicht fressen, versprochen”, gab Doratrava mit keckem Lächeln zurück und drückte die Hand ihrer Freundin, bevor sie losließ. Dann wandte sie sich wieder dem Geweihten zu. “Was gibt es denn?” fragte sie unbefangen.

Rondradin führte Doratrava ein paar Schritt weg von der kleinen Gruppe. “Eine ganze Menge.” meinte er, während sie gingen. “Hast du etwas seltsames bemerkt? Ein Feentor vielleicht? Ich bin mir sicher, dass hier eines in der Nähe ist und ich weiß nicht ob es gefährlich für die Anwesenden ist. Deshalb wollte ich dich bitten deine Freunde hier wegzubringen, bevor noch etwas passiert. Feen sind zwar im Allgemeinen nicht bösartig, aber es gibt Ausnahmen. Aber deshalb wollte ich dich eigentlich nicht sprechen. Was ich dir jetzt sage muss vorerst unter uns bleiben.” Mit einem Mal wirkte Rondradin etwas verlegen und auch schuldbewusst. “Gelda und ich werden heiraten und die Verlobung mit Ravena von Rabenstein werde ich lösen.”

Mit großen Augen starrte Doratrava den Geweihten an, im ersten Moment sprachlos. “Äh … was … Gelda? Ich dachte, Nivard … und du seist mit einer Rabensteinerin verlobt? Was? Verlobung lösen? Geht sowas?” stotterte sie dann völlig perplex. Sie hatte noch nie in ihrem Leben einen Gedanken daran verschwendet, wie das mit dem Heiraten eigentlich funktionierte, schon gar nicht in Adelskreisen, aber Rondradin schien es nicht ganz wohl in seiner Haut zu sein.

Tatsächlich sah er recht betreten drein als Doratrava auf Nivard zu sprechen kam. “Nivard hat es hart getroffen. Aber wie es scheint hat er mit Elvans Schwester jemand Neues gefunden.” Aber sein Gesicht hellte sich schnell wieder auf. “Das mit Gelda und mir hat sich einfach so ergeben. Wir lieben uns seit Nilsitz und die Trennung für einen Mond hat uns das nur noch mehr bewusst gemacht, ebenso wie diese Brautschau.”

“Puuuh…” machte Doratrava, die ein wenig brauchte, um diese Wendung der Dinge zu verarbeiten, ging es hier doch um ihre Freunde, denen sie kein Leid wünschte. “Na, dann hoffen wir mal, dass das mit Nivard und Elvans Schwester funktioniert und nicht nur die kurzfristige Suche nach Trost ist … ich muss irgendwann heute mal mit ihm sprechen, wir haben uns heute außer von weitem noch gar nicht gesehen.” Sie machte eine kleine Pause, dann umarmte sie Rondradin spontan. “Na, dann muss ich dir wohl nochmal gratulieren. Aber nicht, dass das zur Gewohnheit wird.” Sie zwinkerte verschmitzt.

Sichtlich erleichtert erwiderte der Geweihte die Umarmung seiner Freundin. “Das wird es nicht. Gelda ist die Eine.” Da er wusste wie Doratrava normalerweise auf Körperkontakt reagierte, entließ er sie schnell wieder aus seinen Armen und grinste sie an.

“Aber lass uns jetzt nochmal aufs Feentor zurück kommen.”

“Ja, es gibt ein Feentor”, kam Doratrava dann auf den ersten Teil von Rondradins Anliegen zurück. “Woher weißt du das? - Egal, es ist jetzt zu und es kann nichts mehr passieren. Ein paar Leute haben einen kleinen Ausflug gemacht und können sich zum Glück an nichts mehr erinnern außer vielleicht an einen seltsamen Traum.” Sie sah Rondradin halb erwartungsvoll, halb misstrauisch an.

“Ich habe meine Mittel und Wege.” Er zwinkerte ihr zu, unwillig ihr mehr zu verraten. “Ein paar Leute, Doratrava? Etwa die Gruppe da hinten und auch du selbst? Wobei, du scheinst dich ja daran zu erinnern.” Rondradin entspannte sich wieder. Würde es ein Problem geben, hätte Doratrava ihn bestimmt darauf angesprochen.

“Mittel und Wege, soso”, meinte Doratrava, immer noch ein wenig misstrauisch, denn näher mit Feentoren und dergleichen bekannt zu sein, gehörte ihres Wissens nach nicht zum Allgemeingut, auch nicht bei Rondrageweihten - oder überhaupt bei Geweihten. Wie auch immer … “Ich, Cupida, Fecundaque, Folcrad und dieser seltsame Aldec dort”, präzisierte sie ihre Angaben und deutete auf die entsprechenden Personen. “Und dann kam ein seltsamer Mann mit schwarzen Federn statt Haaren und hat uns alle wieder abgeholt. Den sehe ich hier aber nirgends …”

So so, ein Mann mit schwarzen Federn. Könnte das der Rabe gewesen sein, den er vorhin in Richtung der Bäume hatte fliegen sehen? “Das Tor, ist es bei den Weiden da hinten? Wie habt ihr es geöffnet, war das auch der Rabe, ich meine der Mann mit den Federn? Aber viel wichtiger ist die Frage ob es euch allen wirklich gut geht!” Die Fragen strömten nur so aus Rondradin heraus.

“Ja, es ist bei den Weiden, und ja, soweit ich weiß, geht es allen gut, mir sowieso. Ich würde die anderen aber jetzt nicht so mit Fragen löchern wie du das mit mir gerade tust, nicht dass doch noch ein paar Erinnerungen hochkommen, die lieber vergraben bleiben”, mahnte die Gauklerin. “Geöffnet hat das Tor ein gewisser Salgar, der ist hier wohl der Torwächter und Halbdryade. Eigentlich wollte er nur mich entführen, wieso auch immer, die anderen kamen aber nach, als ich verschwunden war, und sind dann irgendwie auch in das Tor gestolpert. So, zufrieden jetzt?” Doratrava stemmte die Hände in die Hüften und sah Rondradin herausfordernd ins Gesicht. Was sollte denn die ganze Fragerei? Wenn Rondradin nicht ein so guter Freund wäre, hätte sie gar nichts gesagt.

Der empörte Gesichtsausdruck und ihre herausfordernde Haltung machten dem Geweihten deutlich, dass er Doratravas Geduld gehörig strapaziert hatte. “Schon gut, ich höre ja schon auf. Wenn du mir versicherst, dass es allen gut geht und euch nichts Schlimmes passiert ist, soll mir das reichen.” Er deutete auf die Gruppe und Cupida. “Lass uns zurückgehen.” Das Händchenhalten mit Cupida fiel ihm wieder ein. “Kann es sein, dass du und …” er nickte in Richtung Cupida, “euch näher gekommen seid? Ihr habt euch an den Händen gehalten.”

Zunächst war Doratrava erleichtert,dass Rondradin mit der Fragerei aufhörte, aber das war wohl ein Trugschluss gewesen. “Kann es sein, dass das den Beschützer der Welt nichts angeht?” fragte sie daher schnippisch zurück.

Rondradin lachte. “Den vielleicht nicht, aber vielleicht einen Freund, der sich freuen würde, wenn eine Freundin ihr Glück gefunden hätte.” Es tat gut, sich mit Doratrava zu unterhalten.
“Dann sag diesem Freund, dass ich tatsächlich eine gewisse Zuneigung zu Cupida verspüre, aber ob ich gleich mein ‘Glück’ gefunden habe, wie auch immer das aussehen mag, das wird sich noch zeigen!” Doratrava wurde ein wenig rosa im Gesicht. Sie war sich selbst darüber klar, dass sie mit ihrer Schnoddrigkeit nur ihre Verlegenheit in Liebesdingen überspielen wollte.

“Dann sagt dir dieser Freund, dass er dir alles Glück auf Dere wünscht.” Ein aufrichtiges Lächeln begleiteten seine Worte und er stupste sie leicht mit der Schulter an, als sie nebeneinander liefen.

Doratrava revanchierte sich mit einem Ellenbogenstoß, der schon deshalb kräftig ausfiel, weil der Geweihte mit seiner Rüstung sonst gar nichts spürte. Um so größer war die Überraschung als der Ellbogen nicht, wie sonst, sein Kettenhemd sondern seine Rippen traf. Instinktiv hatte der Geweihte zwar versucht etwas von der Wucht abzufangen, aber der harte Treffer zeigte trotzdem Wirkung. “Spinnst du?” wollte Rondradin wissen, während er seine schmerzenden Rippen abtastete. Ein Rippenbruch hätte ihm gerade noch gefehlt.

“Ups!” Doratrava hielt sich den ebenso schmerzenden Ellbogen, aber das hatte sie ja erwartet. Doch dass der Geweihte heute ausnahmsweise seine Rüstung nicht trug, hatte sie ganz vergessen. Sie wurde noch ein wenig rosafarbener im Gesicht. “Entschuldigung, du hast ja gar kein Kettenhemd an heute …” Doch gleich darauf kehrte der Schalk in ihre Augen zurück. “Aber ich wusste nicht, dass man einen großen Rondrageweihten so leicht umhauen kann. Das muss ich mir merken.” Sie zwinkerte Rondradin zu.

“Warte nur, irgendwann lege ich dich doch noch übers Knie.” drohte der Geweihte mit einer offensichtlich gespielten zornigen Miene. Auch wenn sie manchmal etwas über die Stränge schlug, man konnte ihr einfach nicht lange böse sein. “Und jetzt, lass einen Mann in Würde leiden und geh zu deiner Freundin.” Er machte eine verscheuchende Geste mit der Hand.

Sie sagte nichts, sondern lächelte nur still in sich hinein, dann winkte sie Rondradin zum Abschied, bevor sie sich wieder Cupida zugesellte und deren Hand wie zur Bestätigung erneut ergriff.

Die junge Lilienhainerin mit der roten Mähne erwartete die Gauklerin bereits mit einem fröhlichen Lächeln und drückte ihre Hand. “Dora … du musst mir sagen, solltest du irgendwo gebraucht werden. Also beim Bankett oder so. Ich will dich nicht davon abhalten deinen Pflichten nachzukommen.” Mit dem Zeigefinger ihrer freien Linken ´malte´ sie verlegen Muster auf den Boden. “Mein Angebot mit dem Schrein heute Abend steht noch.”

Der Rondrianer hob seine Hand zum Abschied und ging dann weiter.

Stimmt, da war ja noch etwas … vor lauter Feentoren und Kribbeln im Bauch sollte Doratrava wohl nicht vernachlässigen, wofür sie eigentlich angestellt worden war. Sanft strich sie Cupida eine Strähne aus dem Gesicht und küsste sie, nicht leidenschaftlich und fordernd, sondern zärtlich und mehr verheißend. “Das freut mich, und ich will deiner Einladung gerne folgen, sobald meine Pflichten es zulassen. Aber jetzt - sollte ich wohl wirklich mal nach Nordrun sehen, schließlich soll ich ja noch ein wenig von meinen Künsten zeigen.” Sie lächelte neckisch. “Der Schrein … meinst du, wir sind da heute Abend ungestört?”

Es folgte ein vielsagendes Lächeln. "Wir werden es sehen. Sollte dem nicht so sein, dann kenne ich schon den einen oder anderen Platz, wo wir bestimmt alleine sind." Ihr Blick ging hinüber zu den anderen. Als sie Aldec sah, der sich hinter einem Baum versteckte - ein Versuch, der ob der Leibesfülle des Dieners von Anfang an zum Scheitern verurteilt war - verzog sie kurz ihren Mund. Dann erhob Cupida sich aus der Wiese. "Na dann, auf auf ...", meinte sie freudig, "... nicht dass du wegen mir wirklich noch Ärger bekommst." Flüsternd setzte sie hinzu: "Ich freue mich auf später, lass mich nicht zu lange warten."

Doratrava winkte noch einmal mit vorfreudigem Lächeln, dann war sie auch schon weg.


Als die Gauklerin sich in Richtung ihrer Pflichten verabschiedet hatte, ging Cupida hinüber zum Leibdiener Aldec. Sein ängstliches Gebaren dauerte sie. "Aldec, ist alles in Ordnung? Warum versteckst du dich? Ist es wegen deiner Herrin?"

Aldec bekam erst einmal einen kleinen Schreck, bis er sah, dass es Cupida war, die ihn ansprach. Ein einzelnes kurzes Nicken folgte.

Sie setzte sich an seine Seite und zeigte dem jungen Mann eine Fürsorglichkeit, die dieser ihr eigentlich gar nicht zugetraut hatte. "Was denkst du denn, dass dir passieren wird? Behandelt sie dich schlecht?" Sie biss sich auf ihre Unterlippe. "Wenn du möchtest rede ich mit Vater. Wir könnten hier im Park noch einen Knecht benötigen."

“Das ist lieb, aber das möchte ich nicht. Nein, sie wird mich wahrscheinlich wieder anschreien und sagen, wie dumm, tollpatschig und faul ich bin. Naja, das wäre jetzt jedenfalls nichts neues. Ich diene ihr eigentlich ja gern, wenn sie nicht manchmal so schrecklich gemein wäre.” Dann schaute der pausbäckige Mann weg. “Ein bisschen habe ich mir das ja selbst zuzuschreiben. Wenn ich einfach machen würde, was sie sagt, dann würde sicherlich auch nichts schlechtes passieren.” Offensichtlich schämte er sich, wobei nicht klar wurde, wofür eigentlich. “Macht dir eigentlich die Arbeit im Garten hier Spaß?”

Die Akoluthin nickte etwas skeptisch. Sie kannte Aldecs Herrin nur vom Sehen, doch reichte ihr das auch schon. Die Frau war eine böse Hexe, oder ein Dämon … alleine diese bösen Augen … Cupida schüttelte sich, dann lächelte sie. "Die Arbeit hier im Garten gefällt mir sehr gut. Ich kümmere mich gerne um die Rosen und den Schrein. Und die Pflanzen und Tiere hier im Park sind mir so lieb, ich würde sie fast schon als meine Freunde bezeichnen." Sie nickte um ihre heraus sprudelnden Worte zu bekräftigen. "Ich könnte mir nichts schöneres vorstellen." Die junge Frau ließ lächelnd ihre Worte nachhallen, dann wurde sie wieder etwas ernster. " Wenn deine Herrin hier heute einen Mann findet …", sie verzog kurz ihren Mundwinkel, irgendeinen der armen Seelen würde diese Spinne bestimmt einfangen, "... was tust du denn wenn sie deine Dienste nicht mehr benötigt? Überlege dir mein Angebot, ich denke dass du hier auch deinen Frieden finden könntest."

Aldec schauderte es einen Moment bei der Vorstellung, wieder in die Gosse zurückgeschickt zu werden. Oh nein, da würde er nicht zurückgehen. “Meine Herrin findet sicherlich einen Mann, das muss bei einer so schönen Frau doch ganz leicht sein. Aber loswerden, das kann sie mich nicht.” Der Dicke wurde plötzlich wieder ganz ernst und ein schiefes, leicht bösartiges Grinsen durchschnitt sein Gesicht. “Sonst erzähle ich allen, woher ich komme und das wäre dann eine ganz große Schande für die Familie…”

Cupida ließ ihre Augenbrauen hochschnellen. "Für die Familie deiner Herrin?" War er nicht aus dem hiesigen Waisenhaus? Sie gab dem ersten Gedanken nach, der durch ihren Kopf schoss. "Bist du ein ungewollter Bastard eines Anverwandten deiner Herrin?"

Das Grinsen wurde schiefer. “Der edle Herr genießt und schweigt, so sagt man doch?”

Im Blick der jungen Frau schwang sowohl Neugier, als auch Sorge mit. “Ich rate dir vorsichtig zu sein, Aldec. Ein Adelshaus zu erpressen bekommt den wenigsten gut. Auch wird dein Wort gegen das der ihren stehen - bei was auch immer du vorhast zu erzählen. Es braucht nicht viel Fantasie um einschätzen zu können, wem man denn eher glauben wird.” Cupida hob ihre Augenbrauen, dann knuffte sie ihn an seinem speckigen Oberarm. “Pass einfach auf dich auf, ja?”

“Ich würde nie jemals irgendjemanden erpressen. Ich will nur ein kleines bisschen von dem Recht, das mir zusteht”, erwiderte er ernst. In diesem Moment hatte er nichts von dem zögerlichen, dicklichen Jungen, sondern erinnerte unterbewusst an eine andere Form seines Ichs - derer sich Cupida nicht bewusst war, die aber eine irritierende Ahnung in ihr hervorrief, wie ein Deja vu.

Aldec war ein seltsamer Mann. Cupida konnte seinem Wesen vom Moment ihrer ersten Begegnung an nicht wirklich folgen. Mal wirkte er unsicher und dümmlich wie ein kleines Kind, mal war er ekelhaft und arrogant wie seine Herrin und nun kam auch noch diese seltsame Selbstsicherheit dazu, die so gar nicht ins Bild passen mochte. Wer oder was war er? Und was meinte er mit dem 'Recht, das ihm zustünde'. Der Mann war ein Leibdiener, der Tag ein, Tag aus schikaniert wurde - so zumindest laut seinen eigenen Erzählungen. "Was steht dir denn zu, Aldec? Das Leben eines Dieners unter einer arroganten Herrin? Ist es das was du willst?"

“Besser als ein Leben in der Gosse. Davon hatte ich genug.”, meinte er versonnen. “Auch wenn sie manchmal zornig werden kann, so ist der Dienst bei ihr immer noch keine Qual. Ich weiß nicht, ob ich mich in einem anderen Beruf zurecht finden würde. Mit den Händen bin ich nicht so geschickt und sonderlich kräftig auch nicht. Aber ich kann gut zuhören - und ich höre gerne zu. Weil du gefragt hast, was mir zusteht: Ein würdiges Leben, ein tägliches Auskommen und ein Dach über dem Kopf. Mindestens.”

Abermals wanderten ihre Augenbrauen nach oben. "Ist es das was du für deine Herrin tust? Zuhören?" Cupida musste an seinen kläglichen Versuch von vorhin denken, ihre Gruppe am Schrein zu bespannen. Ob diese Durinja wusste, dass er wohl nur beschränkt dafür geeignet war andere auszuhören? Denn als Seelsorger, dem sie ihre Wünsche, Ängste und Nöte anvertraut, wird diese blasierte Schnepfe Aldec wohl nicht halten. "Wie du willst …", meinte die Akoluthin dann, "... auch hier müsstest du nicht in der Gosse leben. Du hättest zu essen, ein warmes Bett und ein Dach über den Kopf. Die Arbeit im Park, oder in der Pilgerherberge könntest du lernen. Du könntest dir eine Frau suchen, eine Familie gründen und ehrliche Arbeit verrichten." Sie zuckte mit ihren Schultern und war der Meinung, dass sie ihr Angebot nun schon oft genug platziert hatte. "Dann möchte ich dich nicht länger von deiner Herrin fern halten, vielleicht braucht sie dich ja heute noch."

Er nickte und wollte sich schon zum Gehen wenden, dann allerdings verharrte er einen Augenblick. “Danke dir. Ich bin es nicht gewohnt, dass sich jemand um mein Wohlergehen sorgt. Das rechne ich dir hoch an. Ich wünsche dir und Doratrava alles erdenklich Gute.” Er lächelte und winkte, als er, einen Bogen um den Festplatz schlagend, Richtung Schloss - und damit in Richtung der Gemächer seiner Herrin - davonging.


Wie hatten sie nur den Nachmittag verschlafen können? Dabei hatte sie doch die Zeit mit Folcrad, diesem süßen Knappen verbringen wollen. Aber jetzt nahte das Bankett und damit auch das - vorläufige - Ende ihrer gemeinsamen Zeit. Fecundaque umarmte Folcrad und drückte ihn fest an sich. Ihr Kinn auf seine Brust gestützt sah sie zu ihm auf. “Ich muss jetzt wieder zurück um nachher beim Bankett zu helfen. Werden wir uns später wiedersehen, nach dem Bankett?” Hoffnungsvoll sah sie ihn mit großen Augen an.

Wie konnte man nur einem solchen Blick widerstehen? Gar nicht. Und eigentlich wollte er diesem Blick auch nicht widerstehen. Er wollte, dass sie ihn immer so ansah. “Solange mein Schwertvater oder sein Baron mich nicht benötigen, werde ich Dich suchen.” Er küsste sie sanft auf ihre Lippen. “Zur Not schleiche ich mich heute Nacht aus dem Zelt und warte bei der Scheune auf Dich. Dann können wir noch einen Spaziergang im Madalicht durch den Park machen…, oder etwas ganz anderes, wenn Du willst”, sagte er kackfrech und zwinkerte ihr zu.

Ihre Antwort bestand darin, dass sie Folcrad nur noch fester an sich drückte, bevor sie ihn losließ. “Ich werde auf dich warten.” Es lag heute etwas in der Luft, etwas besonderes. Die Herrin Rahja zeigte heute deutlich ihr Wohlwollen und Fecundaque würde das heute Abend mit Folcrad feiern.

“Ich kann es kaum erwarten”, grinste er und zwinkerte ihr zu. Als sie sich nach ein paar Schritten umdrehte und ihm einen Luftkuss zuwarf, fing er ihn auf und drückte ihn fest an sein Herz. Sie strahlte über das ganze Gesicht, bevor sie sich umdrehte und mit einladend wiegenden Hüften weiterlief. Dann sah er ihr verträumt nach, wie sie eiligst Richtung Küchenzelt lief.

Das Amphitheater

Die kleine Festwiese mit Zelten

Am Brunnen mit dem 'Fest der Nymphen'

Außerhalb des Festgeländes

Des Wandelns Ende

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