Lustwandeln

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An verschiedenen Stellen

Nachdem die ´Götterspiele´ beendet waren, eilten die Knechte und Mägde zum Platz und räumten die Tische zur Seite. Der sechzigjährige Gartenmeister Rahjagoras stellte sich mit seiner Frau, die Bardin Nordrun, vor den versammelten Gästen und erhob die Stimme.

“Liebe Gäste, die Zeit zum Lustwandeln ist gekommen. Seit Generationen hegt und pflegt meine Familien den wunderschönen Lilienpark von Herzogenfurt. Die Tore sind geschlossen und nur uns gehört er heute ganz allein. Erfreut euch an den schönen Lilien, den Rahja-Schrein, dem Amphitheater und nutzt die Pavillons und Bänke zum verweilen. Sollte es euch dürsten oder der kleine Hunger euch erreichen, hat die Küchenmeisterin Victualia vor dem Küchenzelt einige Köstlichkeiten bereitgestellt.” Dann verneigte er sich. Dann erhob Nordrun ihre tiefe Stimme. “ Und im Sinne der Schönen werden meine Barden euch mit Musik begleiten. Zur Firunstunde bitten wir alle wieder zur Festwiese zu kommen, denn dann wird das Bankett eröffnet!” Mit einem Strahlen im Gesicht, verbeugte auch sie sich. Die Musikanten begannen an zu spielen.


Der junge Talfano sammelte all seinen Mut zusammen und ging zu Luzia von Keyserring zu. “Euer Wohlgeboren, würdet ihr mir die Ehre zuteil haben, mit mir zu lustwandeln?”, fragte er höflich.

Im selben Moment trat Lares von Mersingen hinter Talfano hervor und legte dem jungen Mann nonchalant die Hand auf die Schulter. “Baroness”, meinte er ohne große Umschweife und ohne den Altenberger groß zu berücksichtigen. “Ich würde mich über einen Spaziergang mit Euch sehr freuen. Es gilt noch eine Angelegenheit mit Eurem Vater zu erörtern, wenn ich mich richtig entsinne.”

Talfano schaute kurz irritiert. Selten spürte er es, aber das Altenberger Erbe schien aufzusteigen. “Verzeiht, euer Wohlgeboren von Mersingen, aber von euch habe ich solch eine impertinente Art als Letztes erwartet. Ich hatte gerade der Baroness meine Aufwartung gemacht. Dazu ist jetzt das lustwandeln da, hattet ihr die Worte des Geweihten nicht gehört?” Seine Stimme wurde langsam, aber stetig etwas lauter. Der Klang seiner Stimme zog eine weiter Person an. Sabea von Altenberg, die Hünin und Schwester Talfanos wurde hellhörig und setzte sich in Bewegung. Mit im Schlepptau hatte sie den Junker Thankred von Trollpfortz , den sie eingehakt hatte. “Gibt es hier ein Problem?”, fragte sie mit tiefer Stimme.

Thankred hielt sich derweil zurück. Sabea spürte jedoch die Anspannung in seiner Haltung. Der Trollpforzer beherrschte sich ihr zuliebe.

“Oh verzeiht”, überging Lares die beeindruckend prominente Erscheinung. Die körperliche Präsenz von Menschen war schon lange nicht mehr dazu angetan, ihn zu beeindrucken. “Mir war nicht aufgefallen, dass Ihr mit der Baroness gesprochen hättet, Herr...”, Lares drehte sich kurz nach Talfano um “Ihr gehört zur Familie der Gastgeber, stimmts? Ich hatte ja noch gar keine Gelegenheit mich für diese schöne Festivität zu bedanken. Nun denn. Ich denke, es ist galant, eine Dame wählen zu lassen, schließlich hat sie sich die Aufmerksamkeit unsererseits verdient.” Anstatt Talfanos oder Luzias Antwort abzuwarten sprach Sabea weiter. “Da habt ihr Recht, aber ich muss euch enttäuschen, eurer Wohlgeboren. Ich habe mich schon für jemanden entschieden.” Mit einem Seitenblick zu Thanked schmunzelte sie. Talfano entgegen entspannte sich wieder und schaute leicht flehend Luzia an. “Selbstverständlich sollte sie wählen, aber wenn sie jetzt wieder in die Obhut ihre Vaters möchte, dann frage ich später noch einmal.”

Der Junker indes so durch Sabeas Worte geschmeichelt, legte ihr die frei Hand auf die ihre, dort wo sie sich bei ihm eingehakt hatte.

Luzia war abwechselnd rot und kreidebleich geworden. Wie sollte sie denn nur reagieren? Sie war die Aufmerksamkeit von Männern nicht gewohnt. Und von mehreren erst recht nicht.... Es wäre höflicher mit Talfano zu gehen, immerhin hatte er zuerst gefragt- und er war der Gastgeber. Andererseits hatte sie sich sehr gerne mit Lares unterhalten und er hatte ihr die Möglichkeit eröffnet ihn zu begleiten. Außerdem sah sie wie geduldig und herzlich er mit Lissa umging, dadurch war sie ihm sehr zugeneigt. Kurz überlegte sie, sich zum Abort zu flüchten. Doch, was würde das ändern? Es wäre nur unehrlich. Gegenüber allen. Also nahm sie ihren Mut zusammen: “Werte Herren, ich möchte ehrlich mit Euch beiden sein. Ihr bringt mich in eine sehr schwierige Situation. Eine zudem sehr unbehagliche, die mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht gestatten würde, entspannt ...ähm… zu lustwandeln. Mit keinem von euch. Daher muss ich beide Angebote ablehnen. So leid es mir tut.” sie schluckte. Fuhr dann aber mit zunehmend fester Stimme fort: “Ich bin kein Pokal, um den man sich streiten muss. Und ich möchte auch keiner sein. Und ebensowenig bin ich eine Trophäe, die man präsentiert und dann in den Schrank stellt.” Sie schluckte. Ihr war eine Idee gekommen. Womöglich war sie kindisch, aber was sollte es: “Aber, was haltet ihr davon MITEINANDER spazieren zu gehen? Ihr könntet euch vertragen und euch klar darüber werden, dass jeder, der eine Frau wie ein Objekt behandelt, auch niemals mehr als ein Objekt bekommen wird.” Ihre Kehle fühlte sich trocken an. “Ich.. ich habe Durst. Ich hoffe… wir können später nocheinmal auf eure Angebote zurückkommen.” Sie drehte sich mit knallrotem Kopf um und marschierte in Richtung des Küchenzeltes.

Diese Abreibung hatte sich Lares eindeutig verdient. Zwar fühlte er sich ein Stückweit missverstanden, doch musste er zur Kenntnis nehmen, dass die Reaktion berechtigt war. Jetzt musste er mit dem status quo umgehen. Er konnte ihr nicht nachlaufen, das würde unhöflich, aufdringlich und ansonsten unmöglich wirken. Lares beäugte seinen ‘Kontrahenten’. Wenn das heute noch etwas werden sollte, dann musste er mit dem Hänfling wohl leben müssen. “Tja. Also dann. Wir sollten auf die Dame hier warten und in der Zwischenzeit vertragen, was sagt Ihr, Herr von Altenberg? Oder wünscht Ihr, die Baroness allein zu sprechen? Ich hatte den Vorzug, bereits zuvor mit ihr sprechen zu können. Es wäre egoistisch, Euch dies vorzuenthalten.”

Der Studioso war entsetzt. Was war hier geschehen? Hatte er sie wie ein Objekt behandelt? Und er konnte sich noch nicht einmal erklären. Wäre diese impertinente Junker nicht dazwischen gekommen. “Erkenntnis ist der Weg zur Besserung. Ich hoffe Ihr nehmt euch das zu Herzen.” Er blickte Luzia kurz hinterher. “Da ich nie im Streit mit Euch war, sehe ich keinen Grund sich zu vertragen. Ich wünsche euch ein schönes Fest.” Talfano schluckte seine Wut runter und ließ den Junker stehen.

Abschätzig schaute seine große Schwester der jungen Dame hinterher. Dann wanderte sie zu Lares. Eiskalt und von oben herab musterte sie ihn. “Thankred, genau das, was wir befürchtet haben. Wie wäre es, wenn ihr mir jetzt euren Streitkolben zeigen würdet?”

“Nichts lieber als das meine Teuerste”, sprach der Hüne nicht ohne Schalk in der Stimme. Das ‘lassen wir die Kinder alleine spielen’, dass er ebenfalls auf der Zunge hatte verkniff er sich in jenem Moment.

Thankred war einem Streit nicht abgeneigt, gerade den Mersinger, der zu verbalen Entgleisungen neigte, hätte er sich gern zur Brust genommen, Sabea jedoch, oder vielmehr die Aussicht auf ungestörte Zweisamkeit mit ihr, ließen die Auseinandersetzung mit diesem Lares uninteressant wirken. Der Junker war ein Mann klarer Prioritäten.

Als sich Sabea und der Troll umgedreht hatten, runzelte der Mersinger die Stirn. Einen Streitkolben zeigen? Was zum Henker hatten die beiden vor? Aber gut, das ging ihn nichts an und sonderlich interessieren tat es ihn auch nicht. Nur hatte er jetzt ein gravierendes Problem: Der Altenberger Hänfling hatte sich auch aus dem Staub gemacht. Das hieß am Ende des Tages wahrscheinlich: Kein Spaziergang mit niemandem. Na toll. Das hatte er wieder fein hinbekommen. Da hieß es immer, Frauen wollten erobert werden. Aber Luzia schien da aus einem anderen Holz geschnitzt. Sie war vielmehr das, was er suchte: Eine selbstbewusste, kluge Person, die sich nicht degradieren lassen wollte. Verständlich. Aber er hätte sie doch nicht diesem - Hanswurst überlassen dürfen. Eine ihm gänzlich unbekannte Eifersucht machte sich in Lares breit, die er sofort mit mentaler Gewalt zu ersticken suchte. Die Situation war nun einmal so, wie sie sich entwickelt hatte. Jetzt stand er da wie bestellt und nicht abgeholt. Zuerst blickte er dem Küchenzelt nach, doch als er Luzia nicht sehen konnte, ließ er seinen Blick schweifen. Er würde sich hier nicht wegbewegen, bis die Baroness wiedergekommen war - wie sonst sollte er erklären, dass der andere ich aus dem Staub gemacht hatte?

Lissa sah ihren Schwertvater etwas niedergeschlagen an. “Denkt ihr, es wäre jetzt ein guter Moment, die hohe Dame von Wasserthal zu bitten, mich ihrem Bruder vorzustellen?” Sie hatte das Gefühl Lares wollte vielleicht für den Moment lieber alleine sein.

“Die hohe Dame von Wasserthal wird wahrscheinlich gerade mit dem Herr vom Traurigen Stein lustwandeln”, sagte der Mersinger etwas geknickt. Da allerdings sah er den Ritter auf sich zukommen...

***

Die wuchtige Praiosgeweihte Praiona schaute sich verträumt um. ´Welcher Prinz wird wohl als erstes mich hofieren?´ Ein seliges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Sie wartete eine Weile, aber es schien keiner zu kommen. Ohne sich weitere darüber Gedanken zu machen, lief sie in den Park und genoss die Sonne und die Blumen. Wenn der Prinz nicht zu ihr kommt, so kommt sie zu ihm.

***

Als Durinja von Altenberg von ihrem kurzen Spaziergang mit Linnart vom Traurigen Stein zur Festwiese wieder kam, schaute sie sich um und wartete, ob ein Mann sie zum Lustwandeln fordern würde.

Es sollte bloß ein Drittel Stundenglas dauern, bis sie eben jenen Mann erneut auf der Festwiese vernehmen konnte, doch hatte sich der Ausdruck auf seinem Antlitz grundlegend geändert. Linnart wirkte in Gedanken und das selbstsichere Lächeln, das ihn den ganzen Tag ausgezeichnet hatte, war verschwunden. In seiner Rechten trug er darüber hinaus einen Weinkelch mit sich, an dem er auf seinem Weg hinunter gelegentlich nippte. Stets verzog er danach seine Lippen und signalisierte damit wohl, dass er mit dem Geschmack des Traubensaftes nicht zufrieden war. Der Bannstrahler schien sie keines Blickes zu würdigen, während er den anderen Anwesenden zumindest ein gezwungenes Lächeln schenkte. Der Ritter war ein schlechter Schauspieler, das konnte Durinja schon recht früh erkennen. Er blieb ein paar Schritt von ihr entfernt stehen und lehnte sich gegen die Außensäule eines Pavillons. Dabei winkelte er sein rechtes Bein an und stützte es entspannt dagegen. Als sich ihre Blicke nach einigen Augenblicken trafen, prostete er der Altenbergerin zu, doch ließ er sich sonst zu keiner äußerlichen Regung hinreißen.

Durinja hatte nur von weitem das Drama beobachtet. Sie war immer überrascht darüber wie der Herr Praios zu listigen Mittel griff, um die Wahrheit ans Licht zu führen. Andersine tat ihr ein wenig leid, denn Linnart war wirklich nichts für sie. Der Kummer, der erst nach dem Traviabund gekommen wäre, wäre viel schmerzhafter gewesen. Allerdings nahm sie der Ritterin ihr traviagefälliges Gehabe ganz ab. Es dauerte nicht lange bis sie sich an den Hals eines anderen schmiss, sei es nur von falsch eingeschätzter Enttäuschung gesteuert. Und dieser Mersinger … der spielte sein eigenes Spiel. Er konnte es vielleicht von den meisten verbergen, aber den lüsternen Blick, den er den Damen zu warf, sagte ihr alles. Und da machte er auch keine Ausnahme bei der Wasserthalerin. Wie es aber schien war er nun hinter der blutjungen Baronstochter hinterher. Und was würde erst geschehen, wenn seine Pagin erst zum erblühen kam? Auch diese traviatugend-vorheuchelnden Ritter waren ihr bekannt. Schon als kleines Mädchen war sie im Visier dieser. Sie sah zu Linnart rüber, der wie ein geprügelter Hund zu ihr rüber schaute. Sicherlich gab er ihr jetzt die Schuld an der verschmähten Liebe. Die zornigen Blicke der anderen waren ihr auch nicht entgangen. Dennoch ließ sie das ganze unberührt, denn fast niemand mochte in eine Spiegel blicken und an seinen eigene Verfehlungen erinnert zu werden. Langsam schritt sie Richtung Park. Sollte Linnart jetzt schon bereit für sie sein, wird er ihr folgen. Und wenn nicht, der Tag war ja noch lang.

Die Augenbrauen des jungen Mannes schoben sich zusammen. Selbst jetzt wollte sie ihn noch herausfordern … sein Blick hing für einige Moment am wiegenden Becken der sich entfernenden Zofe, dann sah er in seinen, inzwischen leeren Weinbecher. Er seufzte. Nein, so leicht kam sie ihm nicht aus. Linnart stellte sein Trinkgefäß ab und folgte ihr in den Park.

Das Knirschen seiner Schritte auf dem Kies waren unüberhörbar. Sie blieb stehen und betrachtete ein paar Lilien. Erst im letzten Moment drehte sie sich zu ihm. “Linnart, ich hätte nicht erwartet euch so schnell wieder zu sehen. Ich war gerade auf dem Weg dem Junker von Mersingen meine Aufwartung zu machen.” Mit leichten Lächeln und unnahbaren Gesichtsausdruck schaute sie ihn an.

Als der Mersinger zur Sprache kam, zog er seine Augenbraue hoch, doch ließ er sich sonst nichts anmerken. “So hast DU das nicht, Durinja …”, Linnart verzog kurz seinen Mundwinkel, “... und ich dachte, dass das …”, er wies auf ihr Geschenk an seinem Hals, “... genau dazu führen sollte.” Sein Blick löste sich von ihr und lag auf dem Lilienfeld vor ihnen. “Als ich den Mersinger zuletzt gesehen habe, hat er mir versprochen mit Andesine zu sprechen. Vielleicht findest du ihn dort, wiewohl ich es dir nicht raten würde sie aufzusuchen.”

“War ich das? Es tut mir leid, doch der Kuss war unerwartet stürmisch. Doch ich hatte das bei euch besser wissen müssen. Rahja steckt euch sozusagen im Blute.”Nun blickte sie neugierig. “Wieso sollte ich den Junker nicht aufsuchen?”

Linnart zog abermals seine Augenbrauen hoch. “Du kannst den Junker gerne aufsuchen, doch solltest du dich von Andesine fernhalten. Da die beiden mit großer Wahrscheinlichkeit zusammen sind … naja … du kannst es dir denken.” “Ich habe nur gesehen, wie sie Lares umarmt hatte, aber dann wütend davon lief. Und um Ehrlich zu sein. Ich habe keine Angst vor einer Andesine oder irgendjemand anderes. Ich weiß wer ich bin. So nun sagt mir, Linnart. Warum seid ihr zu mir gekommen?”

“Kannst du dir das nicht denken?”, gab er knapp zur Antwort. “Und bitte lass das Ihrzen weg. Eine Frau sollte einen Mann, der ein Mal ihrer Leidenschaft am Hals trägt, nicht so förmlich ansprechen. Nenn mich einfach Linnart.”

“Nun gut, nenn mich Durinja. Sehr erfreut, Linnart.” Sie schmunzelte. “Nun warum bist du hier? Um mir doch den Hof zu machen? Mich zu verführen? Oder einfach nur zum Plaudern? Ich bin gespannt, welcher Grund es davon ist.”

Er hasste sich innerlich für die folgende Antwort, doch musste es sein. “Und wenn es alle drei Gründe sind?” Er hob seine Augenbrauen und kurz schien es als verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln.

Sie wandte sich ab. “Dann werde ich dich in einen der Gründe enttäuschen müssen. “Also entscheide dich.” Durinja setzte ihren Weg fort.

Durinja konnte es nicht sehen, doch rollte der Bannstrahler mit seinen Augen. Zögerlich setzte er sich in Bewegung. Eigentlich hätte er sie gehen lassen sollen. Soll sie doch den Mersinger mit ihrer Anwesenheit beehren. “Nun denn …”, antwortete er, “... gut. Über das Plaudern sind wir beide wohl schon hinaus und was die anderen beiden Punkte angeht …”, er atmete tief durch. Es fiel ihm nicht leicht das folgende auszusprechen, “... sieh es als meine Werbung um deine Hand.”

Ihre Augen wurden groß. “Linnart, ich nehme euer Werben an.” Durinja nahm ihn an die Hand. “Ich hoffe du hast begriffen, dass du dich bei mir nicht verstellen musst. Du bist wer du bist. Zusammen werden wir das Haus vom Traurigen Stein zu Ehrfurcht und Größe bringen. Das kann ich dir versprechen. Und meine Liebe sei dir gewiss. Und nun schau nicht mehr so traurig. ”Sie lachte und diesmal war es erfüllt von warmer Herzlichkeit.” Durinja ergriff seine Hand und zog ihn mit sich.

Der Bannstrahler lächelte ihr zu. Der Ausdruck auf seinem Antlitz war nicht der ehrlichste. Götter, was hatte er nur getan? Doch war es war wohl das einzig richtige. Praios und Rahja hatten ihm vor Augen geführt, wer er wirklich war und Frauen wie die Wasserthalerin würde er ständig nur verletzen. Um Liebe ging es gegenwärtig nicht mehr - diese starb mit Andesines gebrochenem Herzen. “Durinja, warte …”, er hielt sie zurück, zog sie schwungvoll an sich heran und umarmte sie. Die Altenbergerin konnte fühlen, dass er schwer atmete, “... ich möchte mit deinem Vater sprechen …”, flüsterte Linnart ihr dann zu, als sie sich voneinander lösten, “... es soll schon alles Hand und Fuß haben. Ich muss auch ihn um deine Hand bitten.”

“Wenn das so ist, dann lass uns zurück zur Festwiese. Mein Vater ist dort.” Sie drehte um.

“Ja, es würde mir sehr viel bedeuten …”, bestätigte der Bannstrahler, dann legte er ihre Hand in die seine und schlang seine Finger zwischen die ihren.

***

Sylvette hatte sich ein schattiges Plätzchen gesucht und sich dort auf einer Bank niedergelassen. Mit überschlagenen Beinen da und genoss das schöne Wetter. Sie hatte es nicht eilig mit dem Spaziergang durch den Park. Viel interessanter für sie war die Frage wer sie dazu auffordern würde? Sehr wahrscheinlich dieser selbstbewusste junge Mann, Amiel von Altenberg der ihr auf Augenhöhe begegnete und sie mit Käse fütterte. Und dann war da noch Ingeras von Leihenhof, dieser devote Bursche, den zu formen eine echte Herausforderung sein würde. Sie war gespannt, ob und wie er um sie kämpfen würde. Als er bei der Traviaprüfung seine Abscheu gegenüber Käse überwunden hat, war Sylvette stolz auf ihn gewesen. Ein ungewohntes Gefühl für sie und doch hatte es sich gut angefühlt.

Auch wenn er sich im Hintergrund aufhielt, hatte er Sylvette nicht aus dem Auge gelassen. Erst wollte er mit seiner Schwester gehen, die sich entschlossen hatte mit dem alten Mann in den Park zu gehen. Aber ihr Blick war ihm unmissverständlich. Sie wollte allein sein. Das kam ihm recht, denn nun trat er aus dem Schatten und ging auf die Wasserthalerin zu. Der pummelige Altenberger war im Küchenzelt zugange. Die Gelegenheit war die Richtige. Elfengleich schritt er auf Sylvette zu. “Sylvette! Habt ihr Lust ein wenig die Zeit miteinander zu verbringen?” fragte er sie direkt.

Erfreut lächelte sie Ingeras an. Hatte der Bursche doch den Mut gefunden sie um diesen Spaziergang zu bitten. “Aber liebend gerne, Ingeras.” Sie streckte ihm auffordernd beide Hände entgegen, damit er ihr beim Aufstehen helfen konnte. “Wonach steht Euch der Sinn?”

“Wie wäre es mit dem … Rahjaschrein?” leicht unterwürfig schaute er sie an. Das Wort ´Herrin´ verdrückte er sich.

Ihr Lächeln wurde breiter. “Eine interessante Wahl. Du wirst mir doch auf dem Weg dahin sicherlich erklären können, wieso du gerade diesen Ort gewählt hast.” Sylvette trat näher an Ingeras heran und hakte sich bei ihm unter.

Während sie liefen, sog er ihren Duft ein. Wie sinnlich sie war. Und ihr Griff so … kräftig. “Ich dachte der Ort der Göttin der Liebe und Leiden … Schaft würde euch gefallen.”

Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie ihn geduzt hatte, erst jetzt kam es ihr. Es war einfach so natürlich gewesen ihn so anzusprechen. Doch er schien es gar nicht mitbekommen zu haben. Jetzt wollte sie aber ein wenig mit ihm spielen. Während sie noch gingen, versicherte sich Sylvette, dass sie unbeobachtet waren. Erst dann drängte sie sich etwas an ihn heran und flüsterte leise in sein Ohr. “Was den nun, Liebe und Leiden oder Liebe und Leidenschaft? Ich bin neugierig.” Zur Bekräftigung ihrer Worte ließ sie erst ihre Zunge über seine Ohrmuschel gleiten, bevor sie ihn sanft ins Ohrläppchen biss.

Ingeras wurde es heiß und kalt. Dies Frau machte ihn wahnsinnig. Glücklicherweise hatte er sich dazu entschieden, sein Hemd weiterhin lang herunterhängen zu lassen. Er wusste, dass er wegen bestimmten Merkmalen unerwünschte Aufmerksamkeit bekam. “Liebe und Leiden sind für mich eins, Sylvette.” Er wagte ein Blick zu ihr herüber und bemerkte das sie am Schrein der Rahja ankamen.

***

Elvan von Altenberg wollte sicher gehen, dass seine Mutter ihn sah, da er in Begleitung einer Frau war, bevor er den Spaziergang mit Rahjalind antrat. Aber seine Mutter war nicht der einzige Grund warum er sich umschaute. Er suchte Vitold und war neugierig, ob er auch jemanden zum lustwandeln in den Park führen würde.

Die Novizin hatte sich beim Altenberger eingehakt, doch schweifte ihr Blick in weite Ferne. Als keine anderen Gäste um sie waren, wandte sie sich zu ihm um, ohne dabei stehen zu bleiben. “Also der Herr Vitold …”, fiel sie mit der Tür ins Haus, “... Ihr habt Euch gut mit ihm verstanden, habe ich nicht recht?”

Als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, fühlte der Schreiber sich ertappt. “Oh, ja natürlich … ein interessanter Mann. Er erinnert mich an unseren Herzog.” gestand er.

“An den Herzog …”, wiederholte Rahjalind, “... was für ein stattlicher, hübscher Mann. Meint Ihr nicht auch?”

Elvan lächelte und ein Strahlen hielt in seinem Blick Einzug. “Absolut. Und diese schönen kräftigen Hände die er hat. Ich war ja erst vor kurzem bei Hofe und habe seine Kinder portraitiert” sagte er stolz.

“Was für eine Ehre …”, sie schenkte ihm ein herzliches Lächeln, “... und ja, über die … Hände … seiner Hoheit habe ich schon einiges gehört. Unter uns …”, flüsterte sie ihm dann, begleitet von einem wissenden Lächeln ins Ohr, “... habt Ihr denn schon eine Favoritin hier auf der Brautschau?” Elvan überlegte kurz. “Die almadanische Hofdame wäre eine gute Partie. Wir sind beide in Elenvina” Selbstsicher nickte er.

"Herr Elvan …", rügte Rahjalind ihn gespielt, "... ich meinte nicht wen Ihr denkt ehelichen zu müssen, weil man es so von Euch erwartet … ich meinte viel mehr für wen Ihr Euch selbst am ehesten erwärmen könnt." Die Novizin blieb hartnäckig. "Ihr könnt ehrlich zu mir sein. Wir sind unter uns … wenn Ihr Euch jemandem anvertrauen wollt … wer wäre besser dafür geeignet als eine Dienerin der Göttin der Liebe?"

Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. Es gibt nichts zum anvertrauen. Hat euch Bruder Rahjel geschickt? “ Mit leichten gerötet Wangen lief er etwas schneller.

Sie schüttelte zur Antwort ihr Haupt. "Nein ich bin von mir selbst aus hier. Ich fühle, dass Ihr Euch in eine Rolle zwängen wollt, die Ihr nicht spielen könnt." Rahjalinds Stimme war von einen auf den anderen Herzschlag von Mitgefühl geschwängert. "Ich werde Euch nicht damit behelligen, wenn Ihr nicht darüber sprechen wollt. Mir wurde heute schon einmal gesagt, dass ich dazu neige Menschen zu … äh … quälen. Nur eines …", sie leckte sich die Lippen, "... verleugnet nicht Euch selbst. Und da spreche ich jetzt gar nicht von Liebesdingen. Sogar der Herr Praios sieht es nicht gern wenn man sich selbst in eine Rolle zu zwängen versucht." Die Novizin blickte nach vorne. "Ich kann Euch nur meine Hilfe und meinen Beistand anbieten. Es lässt sich für alles eine Lösung finden. Ich möchte nur nicht, dass Ihr unglücklich seid."

Nachdenklich schaute er sie an und steuerte einen Pavillon an.

***

Der Junker von Liannon, Lucrann von Leihenhof, schaute sich nach der Novizin Rahjalind um. Doch entdecken konnte er sie nicht. Der Tharf rann ihm immer noch durch die Adern und er war in sehr guter Laune … und mutig. Da fiel ihm die dunkle Schöhnheit auf. Galant machte er sich auf zu ihr und machte einen formvollendeten Knicks. “Edle Dame, Cavalliere und Junker Lucrann von Leihenhof zu Liannon. Ich hatte mich gerade gefragt, ob ich die Grazie, wie ihr es seid, zum lustwandeln bitten kann?” Lucrann war hoch gewachsen, dabei von schlanker-sehniger Statur, ja fast dürr zu bezeichnen. Sein Gesicht war scharf geschnitten, wahrte dabei aber eine annähernd herzförmige Form und wurde von einem Busch aus sorgsam geschnittenen, dunkelbraunen Haaren eingerahmt. In diesem Gesicht leuchteten ein Paar wacher, meerblauer Augen, leicht schräg gestellt, und erinnerten den Kundigen an die Augen von Nivesen. Doch wirklich auffällig an dem Junker waren seine großen Hände mit den langen kräftigen Fingern. Seine Kleidung war einfarbig gehalten und zeugten von der Verwendung eines teuren Hesindigo-Blau. Und so trug der Junker ein aufwändigen Brokatwams mit abgesetzten Ärmeln, sowie Hosen, die etwa bis Kniehöhe gepludert waren, dazu Stiefel aus weichem Leder und ein Barett mit Federschmuck. Als Schmuck trug er einen einzigen tropfenförmigen Ohrring am linken Ohr. Eine Pomander hing an einer schmalen Kette, dessen Abschlussring an seinem Finger steckte und den herrlichen Geruch von Rose verbreitete.

Offensichtlich war es Melisande nicht vergönnt, ‘unbeschadet’ zu ihrer Baronin zurückzukehren. ALlerdings hatte sie es ja ein wenig darauf angelegt. Sie schaute den Junker an. Immerhin gehörte er zu den besser gekleideten Personen hier auf dem Fest. Mal sehen, ob er die horasische Lebensart nicht nur imitierte, sondern tatsächlich verinnerlicht hatte.

“Euer Wohlgeboren, Ihr dürft. Ich bin Signora Melisande della Yaborim, aber das wisst Ihr sicher bereits.” Sie lächelte den Junker freundlich-einladend an. Ihre weißen, regelmäßigen Zähne bildeten in der Sonne einen starken Kontrast zum Dunkel ihrer Haut.

Lucrann hielt ihr den Arm hin und führte sie in Richtung eines Pavillons.

***

Die Ritterin Alana von Altenberg schaute sich um. Nun war sie hier, ihr Bruder beschäftigt. Doch an den Tisch der ungeliebten Verwandten wollte sie nicht. Ein Spaziergang wäre ganz willkommen. Die Wasserthaler Ritterin fand sie interessant, doch war diese nicht auf der Wiese zu finden. Doch der Krieger Arsan war da. Immerhin hatte sie ihn schon am Tisch der Rondra etwas begutachten können. Kurzerhand entschied sie sich zu ihm rüber zu gehen. “Thomundson. Habt ihr schon Pläne?” fragte Alana ganz direkt.

Nach Lustwandeln hatte dem Krieger bisher eigentlich noch nicht der Sinn gestanden, jedoch kam ihm die Gelegenheit sich die Beine zu vertreten sehr gelegen. Der Ruf seines Namens und die Frage nach seinen Plänen, versprachen allerdings dass er dabei womöglich Gesellschaft haben würde. “Spezielle Pläne hatte ich keine, aber eventuell wollt Ihr Euch gemeinsam mit mir ein wenig die Füße vertreten?”

“Ich bin dabei, wir könnten uns den See oder das Amphitheater anschauen.” Doch bevor beide los gingen, besorgte die Ritterin den beiden zwei Humpen Bier. “Für den Durst unterwegs.” Sie Lachte und betrat den Kiesweg. “Und wie schaut es aus , jemand ins Auge gefasst zum umwerben? Am Tisch der Rondra gab es ja nicht viele Möglichkeiten.” Neugierig schaute sie den Krieger an.

Den Humpen dankend entgegennehmend wies er mit diesem in Richtung des Sees. “Ich fürchte es ist nicht unbedingt leicht, überraschenderweise scheint ein Leben im Herzen von Nordgratenfels für die wenigsten Damen verlockend zu sein.” Gab Arsan zurück und klang dabei nicht so, als wäre er tatsächlich ob des soeben genannten Umstandes überrascht. “Zugegeben es waren tatsächlich nur wenige Personen am Tisch der Leuin, doch ist es das wehrhafte Wesen der Herrin das die Leute am Leben hält. Und bei Euch?”

“Ja, mir geht es genau so und ihr habt recht. Doch mein ´Haus´ steht Rondra nicht besonders nahe. Nun, ich bin auch nur hier, um meinem Bruder einen Gefallen zu tun.” Dabei deutete sie auf den Geweihten der Rahja. “Ich glaube, dass der Traviabund nichts für mich ist. Mir reicht die Liebe zu Rondra” Verschwörerisch zwinkerte die Ritterin ihm zu.

“Erfüllt die Liebe zu Rondra nicht die Herzen der meisten aufrechten Recken? Mein Vater sagte mir jedoch einst, das diese Liebe mit Rondras Leidenschaft verbrennen kann. Sie kann uns mit ihrer Hitze versengen oder ausgebrannt als ein Häufchen Asche zurücklassen. Es ist das Herdfeuer das wir nach einem hitzigen Gefecht herbeisehnen, das uns Halt und Heimat ist und wie sollten die von uns errungenen Ehren die Zeit überdauern wenn nicht durch künftige Generationen?” Verlegen kratzte er sich am Kinn. “Ich glaube mein Vater war gelegentlich etwas Rührselig, allerdings vermute ich, auch wenn ihr kein Interesse an einem Traviabund habt, wird Eure Familie Euch gern vermählt sehen wollen - zumal mit einem Bruder als Diener der holden Rahja ein Sproß bereits als verloren gelten dürfte.“

´Ja, das leidliche Thema´ ging es ihr durch den Kopf. Den einzigen Menschen den sie sich je als Partner für einen Bund vorstellen konnte, war eine Frau. Doch diese war unerreichbar. “Sicherlich habt ihr Recht. Nun es gibt bestimmt eine Dame für Euch für den Traviabund?” Alana dachte dabei an die Ahnwachter Schwestern. Endlich am See angekommen, zog sie tief die frische Luft ein. Dann fiel ihr die junge Baroness von Keyssering im Gras sitzend auf. “Was haltet ihr von der jungen Eisensteinerin?” fragte sie Arsan.

Arsan musterte die Ritterin, versuchte das Wesen hinter ihrer äußeren Fassade zu erkennen - allerdings wusste er sehr wohl darum, dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt war. “Ich muss zugeben unter den Kandidatinnen niemanden erkannt zu haben, der zu meinem Lebensumständen passen würde.” Die Ruhe und den Frieden, den dieser See ausstrahlte, genießend ließ er sich Zeit mit der weiteren Antwort. “Nun sie ist jung und sicherlich ansehnlich... “ Versuchte er einen Anfang zu finden. “Aus gutem Haus, Hochadel sogar! Vermutlich jedoch eher wenig daran interessiert sich in dicht bewaldete Ecken der Landgrafschaft, mehrere Praiosläufe von der nächsten Stadt entfernt, niederzulassen.” Nachdenklich nippte er an seinem Bier. “Und was sagt Ihr zu den Werbern? Vermochte einer der Werber Eurer Interesse zu wecken oder eine Werberin?” Auch wenn die Kirche der gütigen Travia es nicht gern sah und aus einer solchen Verbindung kein Erbe ergehen konnte, so war es kein Einzelfall - dafür jedoch meist als Liaison, neben dem der Erblinie sichernden Bund, geführt.

“Mir geht es genauso. Und ich habe auch nicht vor jemanden zu suchen. Ich bin mir sicher, das meine Verwandten genug Bündnisse heute eingehen werden.” Nun setzte sie sich ins Gras und steckte sich. Die weiblichen Reize die sie damit preisgab, schien Alana nicht zu beachten. Irgendetwas sagte ihr, das der junge Mann begriffen hatte. “Hochadel? Ihr greift hoch Thomundson. Da bleiben ja nur die Baroness von Keyssering und die nicht anwesende Baroness von Firnholz übrig. Wenn die aber wie ihre Mutter aussieht, dann verstehe ich, dass hier keine Interesse hat.” Frech grinste sie den Krieger an.

Sich neben der Altenbergerin im Gras niederlassend, behielt der Krieger den See weiter im Blick. “Ich denke nicht, das ich nach dem Hochadel greifen werde…” Korrigierte er das scheinbare Missverständnis. “Ich möchte weiter leben, wo ich es derzeit tue - in Waidwacht, im ruhigen und abgeschiedenen Firun von Vairningen. Doch das Leben dort ist nicht jedermanns Sache. Vom Hochadel hält es nur jene in Nordgratenfels, die dort ihre Lehen haben und selbst deren Familienmitglieder suchen ihr Glück bereitwillig andererorts.” Arsan lehnte sich nach hinten und blickte nun gen Himmelszelt. Kurz nur betrachtete er die vorbeiziehenden Wolken, eh sein Blick durch einen hoch fliegenden Vogel eingefangen wurde. “Ohne Eurer Familie zu nahe treten zu wollen, doch wurden hier vornehmlich Stadtblumen vorgestellt. Zierliche Pflänzchen die mit der Härte in meiner Heimat nicht zurechtkommen würden. Sie schätzen lediglich die Freiheiten ihres Standes, machen jedoch nicht den Eindruck auf mich diese Freiheiten auch mit der Klinge in der Hand verteidigen zu können.”

Der Hochadel mochte ein schöner Traum für politisch Engagierte sein, die den Rückhalt und den Namen für ihren Aufstieg brauchten. Doch er hatte nichts zu bieten, dass den Erhalt seinen Namens in dieser Verbindung rechtgertigen würde und diesen galt es doch zu erhalten.

***

Milian von Altenberg, der Höfling aus Gratenfels, wartete ein wenig ab. Eigentlich sollte er sich ja der Baronin von Schweinsfold anbiedern, doch die Pläne seines ungeliebten Oheims Limbrinus von Schweinsfold zu folgen, behagte ihm nicht. Die Baronin Thalissa hingegen war gleichwertig interessant und fiel auch genau in seinen Geschmack, den er bei Frauen hatte. Ihre Zofe war durchaus eine eine schöne und interessante Frau, aber leider vom Stand her nicht das was er suchte. Der horasische Gecke hatte sich an ihren Fersen geheftet. Er konnte Lucrann jetzt schon nicht ausstehen. Nun, er mußte etwas wagen. Kurzerhand ging er zum Tisch der Älteren. Milian verbeugte sich vor der Baronin, die nun ohne Zofe und Leibwächter war. “Euer Hochgeboren di Triavus. Ich bin der hoher Herr Milian von Altenberg. Ich hatte mich gefragt, ob ich euch vielleicht auf ein kurzweil in den Park einladen darf, um gemeinsam die Wunder dieses zu staunen?” fragte der gutaussehende Mann.

Thalissa hatte sich gerade angefangen zu langweilen und selbst schon überlegt, ob sie einen kleinen Spaziergang machen sollte. Sie blickte auf und sah Milian überlegend an. Dieser wäre nun nicht ihre erste Wahl bei der Suche nach einem Gesprächspartner gewesen, schienen ihr seine Ambitionen doch zu offensichtlich. Andererseits konnte man so vielleicht gleich klare Verhältnisse schaffen … und sich dabei noch ein wenig amüsieren. “Und? Was habt Ihr Euch geantwortet?” erwiderte sie daher mit leicht schelmischem Lächeln.

Er beantwortete ebenfalls mit einem schelmischen Lächeln. “Das ihr einstimmt. Wollen wir?” Milian hielt ihr seine Rechte entgegen.

Elegant erhob sich Thalissa und hakte sich bei Milian unter. “Na, wenn ihr zwei euch einig seid, kann ich ja wohl kaum etwas dagegen sagen”, antwortete die Baronin, immer noch spielerisch. Als sie unter dem Pavillon hervortraten, gleißten ihre blonden, kunstvoll geflochtenen Haare in der Sonne und die obere ‘Taghälfte’ ihres Kleides erstrahlte in einem Blau, welches mit dem des wolkenlosen Himmels wetteiferte, während die ‘Nachthälfte’ noch dunkler, fast schwarz erschien. “Nun, Herr von Altenberg, welche Wunder im Park wollt Ihr mir zeigen?”

Milian schaute sie charmant an. “Habt ihr schon den See mit der Lilienprinzessin gesehen? Ein angenehmer Ort mit einer kühlen Brise!”

“Das Protokoll hat mich bisher im Pavillon des Hochadels festgehalten”, antwortete Thalissa schmunzelnd. “Also - nein, ich habe den See noch nicht gesehen, aber eine kühle Brise käme mir sehr gelegen.”

***

Die Rektorin der Rechtsschule aus Gratenfels, Prianna von Altenberg, schaute ihren Sohn hinterher, der die Baronin von Rieckenhausen zum Lustwandeln ausführte. Eine kühne Wahl, aber sie war sich nicht sicher, ob ihr Sohn nicht ein wenig zu hoch gegriffen hatte. Außerdem fand sie die Baronin wenig Interessant. Eine typische verwöhnte Hofdame aus dem Horasreich, die durch widrige Umstände auf den Thron einer Baronin in den Nordmarken gelandet war. Thalissa war eine Fremde und wird es wohl immer bleiben. In den kurzen Worten denen sie mit ihr gewechselt hatte, konnte sie heraushören, dass sie auch keine Interesse hatte, sich den lokalen Bräuchen zu stellen und anzunehmen. Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sie sein Werben erhören würde, dann könnte frau sich natürlich arrangieren. Prianna seufzte. Die Wahrheit war, dass ihr Sohn für die falschen, eher leichten Mädchen fiel. Doch es war an der Zeit, dass ihr Sohn sich durch eine praiosgewollte und traviagefällige Ehe, seine Position im Herzogtum einnehmen und sichern sollte. Sie schaute sich um und ihr Augenmerk fiel auf die Ahnenwachter Basen. Die strenge Endvierzigerin erhob sich und ging zu den beiden herüber. “Praios zum Gruße, die Damen!”

“Die Zwölfe zum Gruße, werte Dame!” Kam es von beiden Damen zugleich zurück, während sie höflich Knicksten. “Gibt es etwas das wir für Euch tun können, Edle Dame?” Fragte Aurelia, während Lechdane gleichzeitig sprach: “Ein schönes Fest hat Eure Familie hier vorbereitet.”

Prianna lächelte leicht und nickte wohlwollend. “Vielen Dank. Vater Winrich und Luminifer Ademar sind eine wahre Bereicherung.” Das sie den Geweihten der Rahja auslies, war kaum unbemerkt geblieben. “Ich war serh erfreut gleich zwei Damen aus euren Haus hier bei uns auf der Brautschau zu sehen. Nun, ich möchte ganz ehrlich zu euch sein. Eine Verbindung mit euren und meinem Haus, würde ich sehr begrüßen. Mein Sohn Milian ist ihnen schon aufgefallen?” fragte sie forsch.

“Eure Worte Ehren uns.” Gab Aurelia sogleich zurück. “Es gehört zur Tradition unserer Familie mit dem Adel der Nordmarken gute Beziehungen zu pflegen und, wie Ihr sicherlich wisst, auch durch die Vermählung unserer Angehörigen zu festigen.”

“Wenn ich mich Recht an die Vorstellungsrunde entsinne, …” Nahm Lechdane den Verweis auf Milan auf. “... so erfüllt Milan höfische Aufgaben am Hofe des Landgrafen. Tatsächlich fiel er mir dabei auf, da auch er in Gratenfels lebt.”

“Genau. Er dient dort dem Haushofmeister Winterspitz am Grafenhof. Und ich selbst bin die Rektorin der Rechtsschule. Ich als seine Mutter suche natürlich nach der besten Partie für unser Haus. Und um es geradeheraus zu sagen: ihr seid mir dabei aufgefallen. Könnt ihr euch solch eine Verbindung vorstellen, Aurelia?” Prianna schaute sie abwartend an.

“Meine eigenen Befindlichkeiten spielen nur eine nachrangige Rolle, auch wenn ich Euch hierbei eine bejahende Antwort geben kann.” Gab die junge Frau wahrheitsgemäß zurück. “Als man uns hierher entsandte, beschloss unser Familienoberhaupt, dass eine Verbindung der Häuser Ahnwacht und Altenberg für beide Seiten lohnenswert wäre.” Die Worte der jungen Frau mochten für ihr Alter hart klingen, mochten den Eindruck erwecken das ihr ihr eigenes Leben gleichgültig wäre doch entsprachen sie einfach nur der Wahrheit. Die Wahrheit die das Leben als Angehörige des Adelsstandes nun einmal mit sich brachte, sie waren politische Verhandlungsmasse ob es ihnen gefiel oder auch nicht.

Ein zufriedenes Lächeln machte sich auf dem Gesicht, der ansonst grimmigen Prianna, breit. “Ich mag eure direkte und beflissene Art. Dann mache ich es kurz. Würdet ihr im Namen des Götterfürsten Praios und der Nordmarken den Bund der Ehe mit meinem Sohn Milian von Altenberg eingehen?” fragte sie recht formal.

“Sofern Ihr gewillt seid die traditionellen Bedingungen zum Traviabund meiner Familie zu akzeptieren, ja.” Entgegnete Lechdane und klang dabei mehr als würde sie einen Handel schließen, als dass sie soeben über ihren möglichen Traviabund sprach.

Auf der Festwiese

Bis auf den Stäben mit den Wimpeln der vier Götter, war die Wiese wieder leer geräumt. Den Tisch für die Älteren hatte man stehen lassen und verführerische Düfte kamen vom Küchenzelt.

Noch bevor das Lustwandeln richtig begonnen hatte, kam Andesine von Wasserthal auch schon wieder zurück aus dem Park. Mit langsamen, beinahe unsicheren Schritten steuerte sie die verlassenen Tische unter dem Sonnensegel an. Die Ritterin wählte einen Platz im Schatten und ließ sich dort nieder, aber nicht bevor sie sich einen Krug mit dem Beerenschnaps und einen unbenutzten Becher gegriffen hatte. Mit zittriger Hand füllte sie den Becher und stellte ihn vor sich ab. Seitdem saß Andesine da und starrte den großen, ein Schank messenden Becher an. Was sollte sie tun? Das beste wäre es, wenn sie der Veranstaltung den Rücken kehren und zurück ins Hotel gehen würde. Ihr erster Gedanke zu dieser Brautschau hatte sich doch als der richtige erwiesen. Eine lächerliche Zeitverschwendung. Nein, es war viel mehr als das. Sie war verletzt worden, schwer sogar. Dabei hatte der Tag so gut begonnen und nun…

Traurig schloss die Wasserthalerin die Augen. Wie hatte sie sich nur so in Linnart täuschen können? So etwas würde ihr nie wieder passieren, schwor sie sich. Vielleicht sollte sie fortgehen um zu vergessen. Ein Noviziat in der Rondra-Kirche vielleicht oder noch besser bei den Golgariten? Löschten diese nicht das Gedächtnis jener die ihnen beitreten? Ein verlockender Gedanke. Noch immer betrachtete Andesine den randvollen Becher und schließlich griff sie danach, bereit den Schmerz mit einer großen Menge Schnaps zu betäuben.

Eigentlich war sie auf der Suche nach Linnart, dem sie Aureus vorstellen wollte. Aber seltsam, er schien verschwunden. Sicher war er mit Andesine, wahrscheinlich, in einem Pavillon. Den noch etwas verwirrten Aureus zog sie hinter sich her, da sah sie unter dem Sonnensegel eine bekannte Gestalt. Als sie nah genug war, hob sie den Arm. “Hohe Dame! Andesine!“ Diese war alleine und schien sie nicht zu hören. Kurzerhand setzten sich beide zu ihr, als die Dame gerade einen Humpen Schnaps in sich schüttete..

Aureus sah den Gesichtsausdruck, den er von vielen Kameraden und Kameradinnen des Feldzugs kannte, und blieb stehen:” Sina, ich glaube es wäre besser, wenn Du allein mit ihr sprichst. Ich glaube, sie braucht jetzt eine starke, weibliche Schulter.”

“Oh...aber bleib in der Nähe, ja ?” Nun sah sie auch, dass Andesines Zustand desolat war. Sie setzte sich zu ihr. “Ähm..Andesine ?” Sachte lege sie ihre Hand auf die der anderen Frau. “Sicher hat ER Mist gebaut. Kommt, erzählt es, das hilft. Und vielleicht kann man ja noch was retten.”

Andesine blinzelte die aufsteigenden Tränen weg. Sie hatte den Becher in einem Zug geleert und nun kämpfte sie mit der Schärfe des Schnapses, der sich ihre Kehle hinunter brannte und dabei jedweden anderen Schmerz einfach übertünchte. Sie verzog das Gesicht, griff dann abermals nach dem Krug und schenkte sich nach. Erst dann wandte sie sich der Almadanerin zu. “Wenn Ihr wissen wollte, was er angestellt hat, dann geht zu ihm und fragt ihn danach. Ich für meinen Teil möchte jetzt nur noch meine Ruhe.” Damit ergriff sie erneut den Becher um den Inhalt hinunter zu stürzen.

Die arme Frau hatte wohl etwas zu schnell und zu viel von Rahjas Gaben gekostet. “Wie ihr meint, wir sehen uns dann später.” Nachdenklich drehte sich Sina um und nahm Aureus bei der Hand. Sie lehnte sich etwas an ihn. “Da gab´s Ärger … kommst du noch schnell mit? Es soll nicht dein Schaden sein.” Sie zwinkerte ihm anzüglich zu.

***

Es hatte nicht lange gedauert, da schlenderte der Traurigsteiner wieder über die Festwiese. Alleine diesmal und mit ernster Miene, sowie mit hängendem Kopf. Sein Stolz ließ es ihm in diesem Moment nicht zu, noch mehr Emotion zu zeigen, doch lag ihm nichts daran sich hier noch weiter an der Festivität zu beteiligen. Sein Weg führte ihn hin zum Pavillon der Hochadeligen. Dort wusste er ja schon, dass ihn niemand stören würde, doch erregte der alleine stehende Lares von Mersingen in diesem Moment seine Aufmerksamkeit. Auch wenn der Bannstrahler in diesem Moment so aussah, als ob man ihm besser nicht zu nahe kommen sollte, hielt er auf den Mersinger zu.

Der Anblick des Bannstrahlers brachte Lares aus dem Konzept. Warum bei allen Niederhöllen war der hier? Und allein? Und warum so - niedergeschlagen, heruntergekommen, was auch immer? Der Mersinger schüttelte den Kopf und schlug die Stirne in Falten. “Herr vom Traurigen Stein, was, warum? Wo ist Andesine?”

Der Angesprochene biss seine Lippen aufeinander. Seine Augen glänzten und statt eine Antwort zu geben warf er einen Seitenblick auf Durinja, die ebenfalls auf der Festwiese stand. Da dämmerte dem Mersinger schon, was vorgefallen war und sein Gesicht verfinsterte sich von Wort zu Wort. “Ich weiß es nicht …”, flüsterte er, “... das letzte mal als ich sie sah, gab sie mir meinen Ring zurück und kehrte mir den Rücken zu.”

“Ihr...Ihr…”, Lares spuckte die Worte förmlich aus und wollte schon den Arm heben, um irgendetwas unüberlegtes zu tun, dann aber sah er in die tränenglänzenden Augen des Bannstrahlers und ließ seine Hand sinken. “Was habt Ihr getan? Sie liebt Euch, wisst Ihr das? Was habt Ihr gemacht? So spuckt es schon aus.”

Er nickte mit ernster Miene. “Ich habe sie verraten. Ich habe sie enttäuscht und das was ich nun in mir fühle, ist die gerechte Strafe dafür.”, antwortete Linnart immer noch geknickt. “Ich wollte mich ihr versprechen - hier und heute. Vorausgesetzt ihre Eltern würden zustimmen. Ich wollte mit Andesine morgen schon zu ihrer Familie reisen und dort um ihre Hand anhalten … doch …”, er stoppte und atmete tief durch, “... wollte ich mir davor noch selbst ein paar Fragen beantworten. Eine davon war, warum die Dame von Altenberg eine solche Wirkung auf mich hatte, obwohl die Herrin Rahja mich mit Andesine schon so reich gesegnet hatte. Ich suchte deshalb das Gespräch mit ihr …”, abermals stoppte der Ritter in seinen Ausführungen, “... doch blieb es eben nicht bei einem Gespräch … ich verlor mich im Moment und küsste sie.” Linnart atmete wieder tief durch. Der Mersinger konnte den inneren Kampf des Bannstrahlers förmlich fühlen. “Ich habe es Andesine natürlich gebeichtet, sie hat Ehrlichkeit verdient und ja … die gegenwärtige Situation ist das Resultat daraus.”

“Ihr seid ein verdammter Idiot. Wisst Ihr das?” Der Mersinger schüttelte traurig den Kopf. Er mochte Andesine. Sie hatte einen guten Mann verdient, einen, den sie mochte, der ihr zur Seite stand. Und Lares hatte den Eindruck, dass der Mann vor ihm genau der Richtige dafür gewesen war. Nicht ohne Grund hatte er den Bannstrahler zuvor aufgezogen - er wollte ihn anspornen, sich klug zu entscheiden und für die rechte Sache zu kämpfen. Aber diese Hofdame, diese Durinja war die namenlose Versuchung in Person. Das hatte der Mersinger schnell verstanden. Sie war die Verkörperung des Lasters, des Verrats. Der Bannstrahler war wohl zu schwach, um das zu sehen oder noch schlimmer war sehenden Auges der Versuchung verfallen. Aber Vorwürfe würden daran jetzt nichts ändern. Lares packte den Bannstrahler unterm Kinn. Der kleine Mann mit den schwarzen Haaren, der dem Traurigsteiner nur etwa bis zum Kinn ging, zwang ihn dazu, ihn in die Augen zu sehen. “Und das soll es jetzt gewesen sein? Ihr habt Andesine, dieser wunderbaren Frau, Eure vollkommene Dummheit gestanden und habt sie dann gehen lassen? Wollt Ihr wirklich den Rest Eures Lebens einen dummen Fehler bereuen müssen? Unser Herr PRAios straft, aber er straft gnädig. Ihr dagegen, Ihr bestraft Euch bis zum Tag Eures Todes, kann das sein? Was soll das? Hat man Euch in St. Aldec Euer Rückgrat gebrochen? Hat man da Kriecher aus Euch gemacht? Das wage ich doch herzlich zu bezweifeln. Wollt Ihr sie einfach kampflos aufgeben?”

Der derart Gescholtene ließ den Sermon seines Gegenübers über sich ergehen - mit unbewegter Miene. Als der Mersinger geendet hatte, schüttelte er sanft sein Haupt. “Es ist wohl besser so …”, gab er knapp zur Antwort, “... Ihr habt schon recht … wenn es eine Frau verdient hat, dass man um sie kämpft, dann Andesine. Doch was würde folgen? Vielleicht vergibt sie mir und dann? Ich habe Angst ihr wieder weh zu tun. Ich bin ein Mann voller Fehler, hoher Herr und diese wunderbare Frau hat den besten Partner verdient.” Linnart presste wieder seine Lippen aufeinander. “Ich sollte sie doch stärken, loyal an ihrer Seite stehen und ihr ein liebender Mann sein. Stattdessen habe ich sie bereits Stundengläser nach meinem Versprechen enttäuscht … ich weiß nicht ob sie nicht ohne mich besser dran ist.” Der Ritter blickte sich um, er konnte die Wasserthalerin nirgends ausmachen. “Mein Blut ist für seine Treulosigkeit bekannt … ich weiß nicht ob ich mich ändern kann. Darüber hinaus habe ich ihr geschworen, dass ich mich aus ihrem Leben zurückziehen werde. Das ist mein Sühneeid für meine Verfehlung.”

“Dann seid Ihr ein unverbesserlicher Narr, so, wie Ihr meint, es zu sein.” Lares rechte Faust ballte sich. Er hatte gute Lust, dem selbstmitleidigen Mann vor sich Vernunft einzuprügeln. So etwas sollte die Kirche seines Herrn repräsentieren? Eine Schande. “Meine Schwertmutter war Yolande von Mersingen. Sie war das Familienoberhaupt unseres Hauses. Ich diente über Jahre einem Geschöpf, dessen unsagbar finstere Natur jede Vorstellung übersteigt. Ich bin ihr Großneffe. Bin ich deswegen unrettbar verloren? Ich habe mir geschworen, bei dem Namen meines Hauses, bei dem Blut, das durch meine Adern fließt, Verrat niemals zu dulden. Niemand kann das besser, als derjenige, der mit Verrat aufgewachsen ist. Meint Ihr nicht, dass Ihr nicht in der Lage seid, zu lernen? Vielleicht braucht es dazu noch einmal einige Einheiten mit dem Rohrstock, aber besser, den Rohrstock zu spüren, als sein Leben lang uneinsichtig zu bleiben. Wenn Ihr Euren Eid, in Hast und unüberlegt gesprochen, nicht brechen wollt, dann werde ich mit Andesine reden. Wenn nicht Ihr, dann hat es wenigstens sie verdient!”

Kurz schien es als würde sich der Blick des Bannstrahlers etwas aufklaren. “Ich habe Euch gehört …”, bemerkte er nüchtern, “... doch hinkt Euer Vergleich etwas. Auch in meiner Familie gibt es Verräter. Mein Vetter Linnart von Halberg war einst junger, aufstrebender Baron von Kyndoch, doch ließ er sich, in einem Anfall von Großmannssucht, zu Verrat hinreißen und nahm seiner Familie damit alles … dennoch würde ich mich nicht als Verräter sehen. Meine Urgroßmutter Manola von Gerheim-Halberg rief sich während der Answinkrise zur Gräfin von Elenvina aus … dennoch bin ich nicht anmaßend, sondern demütig. Nein …”, er schüttelte bestimmt sein Haupt, “... das sind Dinge, die aus jedem einzelnen selbst kommen. Mein Problem mit den Frauen jedoch … es sitzt tiefer und es hat mich beunruhigt, dass Durinja dieses sofort erkannt hatte, während Andesine an das Gute in mir geglaubt hat und ich ihr deshalb das Herz gebrochen habe.” Beschwichtigend hob der junge Bannstrahler seine Hand. “Versteht mich nicht falsch, ich hätte alles versucht, das mir möglich ist, um Andesine jener Mann zu sein, den sie verdient, doch ist etwas in mir, das ich noch nie in meinem Leben unterdrücken konnte. Ja, vielleicht hätte das ihre Liebe und Geborgenheit aus mir ausgetrieben, doch kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. Andesine hatte recht … was nutzt ihr meine Liebe, wenn sie sich auf meine Treue nicht verlassen kann.” Es war selten, dass sich Linnart, außerhalb der Beichte, so deutlich zu seinen Schwächen bekannte und das auch noch vor einem ihm wildfremden. “Wenn Ihr mit Andesine sprechen möchtet, dann wäre ich Euch dankbar dafür. Bitte richtet ihr aus, dass ich für sie gebetet habe und es mir über alles leid tut.”

“Das werde ich tun, wenn Ihr mir ein Versprechen gebt: Ich kann mich nicht für einen Mann einsetzen, der von sich selbst denkt, dass er Fürsprache nicht würdig ist. Ich kann mich nur für einen Mann einsetzen, der seine Fehler erkennt und sich bemüht, an sich selbst zu arbeiten. Jeder von uns hat eine Schwäche, hoher Herr. Ihr, ich und sicherlich auch Andesine. Wir müssen nur lernen, mit unseren Fehlern zu leben und an uns zu arbeiten. Wollt Ihr mir und Euch diesen Gefallen tun?”

Linnart nickte. “Ja, das bin ich. Ich bin mir meiner Fehler bewusst und werde mit Sicherheit alles in meiner Macht stehende tun um diese abzustellen.” Der Ritter war immer noch ernst. Dennoch änderte dies nichts daran, dass seine Fehler gegenwärtig noch Bestand hatten und er Andesine wohl schon alleine deshalb verlieren würde. Er könnte doch nicht von ihr verlangen auf ihn zu warten bis er ein besserer Mensch war. “Werdet Ihr mit ihr sprechen?”

“Ja”, sagte Lares mit fester Stimme. Dann packte er den Traurigsteiner am Nacken und blickte ihm noch einmal aus seinen unangenehm schwarzen Augen tief in die seinen. “Und jetzt Kopf hoch. Einen gebrochenen Mann wird sie sicherlich nicht zurückhaben wollen.”

Kurz zwang sich Linnart zu einem Lächeln. “Wohl nicht”, meinte er knapp, ´wiewohl ich daran zweifle, ob sie so einen überhaupt noch einmal zurück haben wollte´, ließ er dann in Gedanken folgen. Er hatte schon genug Porzellan zerschlagen, doch wollte er, dass Andesine glücklich wurde - ja, das war sein Ausdruck von Liebe und Zuneigung. Er wollte, dass die hübsche Frau wieder lächelte und den Glauben an die Liebe nicht verlor. Ob Linnart selbst ein Teil ihrer Zukunft sein würde, hielt er für unwahrscheinlich, doch wusste er darum, dass die Wasserthalerin nun wohl jemand zum Reden brauchte und da war der Mersinger die perfekte Wahl. “Ich brauche dennoch noch etwas Zeit für mich, hoher Herr … ich muss meine Gedanken sortieren … alleine. Ich danke Euch jedoch für Eure Worte.”

Lares nickte und klopfte ihm auf die Schulter. Dann drehte er sich nach dem Küchenzelt um. Bevor er mit Andesine reden konnte musste er noch sein eigenes Problem aus der Welt schaffen. Das konnte heiter werden.

***

Lares hatte dem Traurigsteiner versucht, seinen Kopf zurecht zu richten, doch Luzia war noch immer nicht aus dem Küchenzelt zurückgekehrt. Er sah sich deshalb, so gut er es bei seiner Körpergröße vermochte, nach allen Seiten um. Wo war sie nur?

Die arme Lissa stand allerdings noch immer an seiner Seite und würde sich sicherlich langweilen. “Was meinst du, ich glaube, wir sollten die Dame von Wasserthal jetzt suchen gehen. Vielleicht bringen wir sie zusammen auf bessere Gedanken. Und vielleicht kann sie dich dann auch ihrem Bruder vorstellen, was meinst du?”

Lissa nickte.

Der Mersinger nahm seine Pagin bei der Hand, doch vorher sah er sich noch einmal nach Luzia um. Er konnte sie noch immer nicht sehen. “Meinst du, ich habe es vermasselt?”, fragte er dann kleinlaut.

Lissa schüttelte den Kopf. “Nein, ich glaube nicht. Und ihr.. habt mir gesagt, man soll seine Fehler zugeben, damit man sie wiedergutmachen kann. Und dass es immer Hoffnung dafür gibt.”

Der Mersinger lächelte und wuschelte ihr durch die Haare. “Weißt du, weil, ich glaub, ich habe deine Schwester gern.” Dann sah er sich nach Andesine um.

Das Kind grinste, sagte aber nichts, während auch ihre Augen wanderten, um die Ritterin zu erspähen.

Lares von Mersingen hatte einen kleinen Krug mit demselben Schnaps organisiert. Er setzte sich mit seiner Pagin Andesine gegenüber auf die Bank und schwieg. Er würde Andesine das Reden überlassen. Oder das Trinken.

Langsam ließ Andesine ihren Becher wieder sinken, noch bevor sie daraus getrunken hatte. Müde sah sie Lares und Lissa an. “Was macht ihr denn hier? Solltest du nicht mit der Schwester der jungen Dame hier durch den Park wandeln?” Andesine bemühte sich um einen freundlichen Ton in ihrer Stimme und sogar ein Lächeln.

“Prost”, erwiderte Lares und reckte ihr den Becher entgegen. Der Ton der irdenen Gefäße verursachte nur ein mattes Klacken. “Du solltest doch auch woanders sein, oder nicht? Meine Herzdame wurde von so vielen Männern, mich Rüpel eingeschlossen, belagert, dass sie sich entschlossen hat, reißaus zu nehmen. Ich kann sie gut verstehen. War nicht so klug. Ich war...ein bisschen eifersüchtig.” Er zuckte mit den Schultern, auch wenn ihm anzusehen war, dass ihn diese Geschichte nicht kalt ließ. “Aber irgendwann kommt sie wieder und werde eine Chance haben, mich anständig bei ihr zu entschuldigen. Bis dahin hatte Basilissa hier gedacht, dass du sie mit deinem Bruder bekannt machen könntest. Und ich hatte noch gesagt, dass der Herr vom traurigen Stein und du sicher was anderes zu tun habt, doch dann habe ich zuerst ihn gesehen. Und jetzt dich. Der Typ hat seinem Namen schon wieder alle Ehre gemacht, oder?”

Dieses mal hatte sie nur an dem Schnaps genippt und ansonsten Lares zugehört. Immerhin lenkte sie seine eigene Misere von ihrem Leid ab. Nur kehrte es mit doppelter Wucht wieder zurück als er den Namen des Bannstrahlers nannte. “Tja, er ist dem Ruf seiner Familie gerecht geworden, wenn man seinen Worten glauben darf.” Sie versuchte ein Lächeln, was kläglich misslang. “Wenigstens hast du noch eine Möglichkeit bei dir alles zum Guten zu wenden.” Mit einem Seufzen lehnte sie sich zurück und schob den Becher von sich fort. Mit ihren geröteten Augen sah sie Lissa freundlich an. “Ich hatte dir versprochen dich meinem Bruder vorzustellen. Lass uns zu ihm gehen. Eigentlich müsste er noch am Rondratisch sein.” Ihr Blick ging zum Tisch, allerdings konnte sie ihn gerade nicht ausmachen. “Hm, kann einer von euch den Rondrageweihten in der weißen Robe sehen?”

Lissa drehte den Kopf und schaute über die Menschen weg. “Ist er das dort?” Sie deutete in die Richtung, in der ihr Vater saß.

Die Ritterin kniff die Augen zusammen als sie dem ausgestrecktem Arm der Pagin folgte. “Ja, das ist er.” Mühsam erhob sich Andesine von ihrem Platz. “Kommt, ich stelle euch ihm vor.”

Lares erhob sich ebenfalls und folgte der Ritterin - er würde sich Zeit lassen, bis sich Andesine etwas beruhigt hatte.

***

Nach dem Gespräch im Pavillon auf der Festwiese angekommen, schnappte Linnart vom Traurigen Stein sich einen Krug Wein von einem der verlassenen Tische und den ersten ungebrauchten Kelch, den er finden konnte. Dann setzte der Bannstrahler sich auf eben jenen Platz, den er zuvor auch schon mit Durinja besetzte, streckte seine Beine von sich und füllte sein Trinkgefäß. Kurz kühlte er die Wunde an seinem Hals mit der Kälte des Zinns, dann nahm er einen ersten Schluck. Linnart unterdrückte den in ihm aufkommenden Impuls nach der Altenbergerin zu suchen um sie zur Rede zu stellen. Was nützte es schon? Es war seine Entscheidung gewesen sie zu küssen und ja … vielleicht war sie wirklich die einzige, die ihn verstand. Die Einzige, der er nicht weh tun konnte. Abermals folgte ein Schluck. ´Seltsam, was sie hier in diesen Breiten als Wein bezeichnen´, dachte der Ritter bei sich, doch war der Rebensaft gut genug um seine Enttäuschung zu ertränken.


Auf der Wiese angekommen, sah Sina sich ratlos um. Wohin? Sicher würde er geknickt Wein in sich kippen. Ihr Blick fiel zu dem Pavillon des Hochadels und energischen Schrittes ging sie zu dem erbärmlichen Bannstrahler. “Linnart! Was soll das? Jetzt benimm dich nicht wie ein Lappen und erzähl, was los war.” Die Frau hatte Feuer, dass musste man ihr lassen.

Der so Angesprochene stieß ein deutlich wahrnehmbares Seufzen aus. Er erkannte die nervig-quietschende Stimme Sinas sogleich. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Dennoch zwang er sich dazu nett und zuvorkommend zu bleiben, so schwer es in diesem Moment auch war. “Sina …”, er erhob sich von seiner Sitzgelegenheit, “... was für eine Überraschung? Äh … setz dich doch und dann erzähle was du meinst.”

Aureus nickte dem Bannstrahler zu, blieb aber stumm. Er nahm eine Stuhl und bot ihn Sina an, nachdem sie saß, suchte er sich auch einen Platz aus.

Erst jetzt bemerkte Linnart die Anwesenheit des Altenweiners. “Praios zum Gruße”, dankte er seinem Nicken.

“Praios zum Gruße, Ihr solltet sie nicht warten lassen, beachtet mich nicht weiter.”

Sina setzte sich erstaunlich ruhig. Es war ihr, als würde sie ihn schon länger kennen… “Ach, Aureus, kann sein, dass ich etwas, na ja. Hör weg, bevor es dich abschreckt - das ist gerade ein besonderer Fall.” Ungefragt trank sie etwas Wein aus seinem Kelch. “Andesine, deine ach so Heilige, hockt drüben, betrinkt sich und zieht ein trauriges Gesicht. Du hockst hier rum, dabei dachte ich, dich entweder mit der heiligen Andesine oder wundervollen Durinja zu treffen. Was ist passiert? Und schau mich bloß nicht so genervt an.” Noch immer war sie ruhig geblieben, doch konnte er eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner Tante in spe nicht leugnen.

Zu hören, dass Andesine litt, versetzte dem Ritter einen Stich. Andererseits musste ihm diese Tatsache von Anfang an klar gewesen sein. Er fühlte sich so schlecht, dass er nicht einmal auf Sinas Frechheiten eingehen konnte. Für den, bestimmt herablassend gewählten, Ausdruck 'Heilige' hätte er ihr normalerweise die Leviten gelesen. "Ich habe Andesine enttäuscht, das ist passiert und ja … ich habe mich mit beiden Frauen getroffen, obwohl ich nicht hätte sollen. Mein Herz hätte wissen sollen, wo es hin gehört, doch war ich dumm … übermütig und hab nun einen Scherbenhaufen hinterlassen." Er nahm einen Schluck Wein. "Mir gebührt jede Strafe dafür, die die Götter für richtig empfinden, doch Andesine hatte das nicht verdient, sie hat mich nicht verdient."

Die kleinere Frau hatte gespannt gelauscht. “So, Linnart. Begib dich bitte mal mit mir hier hinter nach hinten?” Sie deutete auf eine, durch gelagerte Waren und einen Tisch abgetrennte Ecke des Pavillons. Auffordern hielt sie ihm die Hand hin. “Na komm.”

Skeptisch erhob er sich von seiner Sitzgelegenheit und folgte ihr. Innerlich hoffte Linnart, dass Sinas Schwester ihr nicht zu ähnlich war. Sein armer Onkel - ob er wusste worauf er sich einließ?

Geschützt vor den Blicken der anderen schmierte Sina Linnart eine mit der flachen Hand auf die Backe. “So. Das hast du verdient. Und jetzt gehe ich davon aus, dass du mit beiden der schönen Göttin opfern willst. Nimm diese Schnepfe Durinja, die hat dir das eingebrockt, aber heirate sie bloss nicht. Verema würde ausflippen.” Sie war natürlich noch aus einem anderen Grund zornig, aber das war nicht wichtig. Und Linnart würde das schon aushalten.

Der Bannstrahler griff nach dem Handgelenk jener Hand, die ihn ohrfeigte. Sein Griff war fest, aber es war klar, dass es bloß eine Warnung sein sollte. "Du hast kein Recht Hand an mich zu legen …", presste er zwischen seinen Lippen hervor, "... und du kannst froh sein, dass ich niemals Hand an Frauen oder Männer lege, die mit körperlich so weit unterlegen sind." Ja, Andesine hätte ihn schlagen dürfen. Es war ihr Recht gewesen, ihrer Emotion freien Lauf zu lassen, doch Sina besaß dies nicht. "Und was ich weiter tun werde, hat dich nicht zu interessieren. Das ist meine Sache. Hast du sonst noch irgendwelche Ratschläge?", fragte er pampig. Sina kam hierher und war vom ersten Moment destruktiv. Wollte sie sich an seinem Leid ergötzen, oder was für Ziele verfolgte sie mit ihrem Gebaren?

“Die Strafe hattest du dir verdient. Aber anscheinend hat keiner den Mumm, dir mal den Kopf zurecht zu rücken. Damit war es auch erledigt, wie ich gesagt hatte.“ Sie blitzte ihn zornig an. “Der eine Vorschlag gefällt dir nicht?” Langsam wich die Aggression aus ihrer Stimme. “Was schlägst du vor? Und benimm dich. Du bist kein Bauerntrampel, der sich vor lauter Selbstmitleid vollaufen lässt. Du solltest dich hören. Voller Selbstmitleid und abweisend. Ich würde dir helfen wollen.”

"Über meine Bestrafung hast nicht du zu entscheiden …", warf er ein, "... das ist die Sache der Geschädigten, oder der Götter. Und nicht die der Schwägerin meines Onkels." Linnart war immer noch ernst. "Und welchen Vorschlag meinst du? Den, Durinja zu heiraten? Nach all dem?" Er wies beiläufig auf seine Wunde am Hals. "Sie hat diese Situation wohl bewusst erreichen wollen. Wahrscheinlich war es bloß ein Spiel. Sie wollte sich wohl beweisen, dass sie die junge Zuneigung zweier Menschen zerstören kann." Der Kiefer des Bannstrahlers arbeitete. "Warum sonst lässt sie mich nun, da sie die reife Frucht nur noch ernten bräuchte, links liegen? Würde ich nach ihren Regeln spielen, sollte ich sogleich zu ihrem Vater gehen und um ihre Hand anhalten. Dann würde auch sie mit den Folgen ihres Handelns leben müssen." Der Ritter schüttelte kurz seinen Kopf. "Wie willst du mir helfen?"

Sina schüttelte den Kopf und griff sachte nach Linnarts Unterarm. “Tante...das trifft es in weitestem Sinn...aber du hast mir nicht zugehört. Warum du auf so eine reingefallen bist, das verstehe ich nicht. Jetzt kannst du es zu Ende bringen, aber heirate sie nicht. Sie hatte ihren Spass und du kannst deinen haben.“ Mehr zu sich selbst flüsterte sie: ”Männer, so berechenbar, so dumm.” Lauter wandte sie sich wieder dem jungen Mann zu. “Ihr merkt das nie, ihr Kerle, dabei verletzt ihr dauernd. Schon alleine, indem ihr einer Durinja nachlauft und kein Auge für andere Frauen habt… Meinst du, das tut nicht weh?“ Es sind zum Glück nicht alle so, dachte sie. Der ist lieb und ist ihr auch nicht wie ein wilder Kater nachgelaufen.

"Bist du eifersüchtig?", fragte er verwundert. "Ja natürlich … das ist es." Kurz huschte ein Lächeln über seine Lippen. "Und das vor deinem Begleiter? Wieviele Männer möchtest du denn an deiner Ferse hängen haben?" Er kratzte sich an seiner Schläfe. "Nein, ich werde hier und heute sicher kein Herz mehr brechen. Ich würde auch nie aus Rache oder Berechnung mit einem anderen Menschen spielen. Egal wie übel mir dieser mitgespielt haben sollte."

“Wir hatten etwas vereinbart, aber das wird dir jetzt auch egal sein.” Sie seufzte.

"Ich weiß …", er nickte ihr zu, "... und das Angebot, dass ich dir helfe hier einen anständigen Mann zu finden gilt immer noch." Vielleicht würde er wenigstens etwas Gutes tun können.

“Komm, ich hoffe, dass er noch da ist…” Sie zwinkerte Linnart zu. “Manchmal sind Frauen nicht so still und brav, wie sie scheinen. Du hast was verpasst, ich bin keine von hier.”

Kurz zog er seine Augenbraue hoch, dann folgte er Sina zurück zum Tisch.

Der Altenweiner hatte seinen Platz nicht verlassen und trotz seiner Neugier hatte er es mit Mühe geschafft, nicht dem Gespräch zu lauschen. “Konntet ihr klären, was euch bewegte?”

Linnart wirkte auf die Frage hin wenig begeistert. Kurz zuckte seine Lippe, dann nickte er knapp. “Sina möchte Euch mir vorstellen”, bemerkte er dann mit einem Seitenblick auf die Almadanerin.

“Das ist Linnart vom Traurigen Stein, Bannstrahler und bald mein Neffe…” Sie äugte zu ihm hinüber, Spaß war bei ihm derzeit gefährlich. “Und schau, Linnart, das ist Aureus von Altenwein. Er war so nett, und hat mir etwas die Zeit vertrieben.”

“Wir kennen uns bereits aus dem Pavillon der Altenberger …”, gab Linnart zu verstehen, dennoch reichte er dem Junker noch einmal die Hand zum Gruß, “... freut mich Euch wieder zu sehen, hoher Herr. Ich hoffe Sina hat Euch nicht schon zu viel über mich erzählt”, versuchte er sich an einem Scherz, wiewohl sein immer noch ernster Gesichtsausdruck nicht so recht dazu passen mochte.

“Junker”, betonte er,” Aureus Praioslaus von Altenwein, es freut mich ebenso. Nein, das hat sie nicht, sollte es nicht genügen, dass ihr Bannstrahler seid und, zumindest theoretisch, über meine Schwester wacht?” Er lächelte freundlich.

“Eure Schwester ist ein Mitglied der Gemeinschaft des Lichts …”, fragte er nach, “... dann kann es gut sein, dass ich schon einmal mit ihr zu tun hatte. Wiewohl wir eher selten als Leibwächter tätig sind und häufiger der ausführende Arm der Kirche.” Er musterte den Junker eingehend. “Altenwein …”, wiederholte der Bannstrahler noch einmal, “... das sagt mir jetzt nichts. Wo genau befindet sich Euer Land?”

“Es liegt in der Baronie Schwertleihe. Meine Schwester war bis vor kurzem noch im Haus der Sonne zu Gratenfels. Derzeit verweilt sie der Rabenmark, das Licht des Herrn dort zu verbreiten.”

“Rabenmark … hmm …”, Linnart kratzte sich das Kinn, “... ich diente einst in der Sonnenmark. Die verderbten Lande können die Präsenz einer Dienerin des Gleißenden bestimmt gut gebrauchen.” Das noch junge Gespräch half dem Ritter seine Gedanken etwas zu lüften. “Ihr habt bestimmt schon die Direktheit Sinas kennen gelernt. Nun, ich möchte dem um nichts nachstehen und werde Euch ebenso begegnen. Die hohe Dame Artigas hat mich darum gebeten jene Männer zu begutachten, die ihr gefallen. Ihr könnte Euch also einerseits darüber freuen, dass Ihr offenbar ihre Gunst erworben habt, aber andererseits hoffe ich auch, dass Euch diese Unterhaltung nun nicht unangenehm geworden ist?”

“Sind wir nicht ständig Prüfungen unterworfen und blickt nicht auch jetzt der Herr auf uns hinab? Was wollt Ihr wissen?”

Er hob seine Hände in einer beschwichtigenden Geste. “Oh nein … das sollte keine Prüfung werden. Ich bin ja nicht Sinas Vater …”, er lächelte, “... ich bin nur das, was man hier am Ehesten als ´Familie´ für sie bezeichnen kann, auch wenn wir uns selbst erst heute kennengelernt haben. Ihre Schwester wird sozusagen meine Tante …” Linnarts Blick löste sich für einige Herzschläge vom Altenweiner und lag dann auf der Hofdame. “Auch liegt die Entscheidung natürlich bei Sina selbst und ich habe ihr versprochen sie lediglich zu beraten. Aber ich bin ehrlich mit Euch. Ich durfte Euch ja schon zuvor kurz kennen lernen. Ihr habt nicht gezögert der Lichtbringerin Praiona zur Hilfe zu kommen und Euch in meiner Gegenwart stets vorbildlich verhalten. Ich wüsste also nicht was gegen Euch sprechen sollte.”

Sina lächelte Linnart zum ersten Mal ehrlich dankbar an. Sie nickte beiden Männern zu und ging zum Neffen ihres Schwagers. “Das wird alles irgendwie. Wenn ich Verema besuche, dann schaut alles schon ganz anders aus.” Sie lehnte kurz ihren Kopf an seine Brust, streckte sich dann und gab ihm einen Kuss auf die Backe. “Machs gut, du Depp.” Lächelnd ging sie zu Aureus, der brav gewartet hatte und führte ihn bei der Hand mit sich. “Komm, du hast genug Zeit rumgesessen, ich zeige dir was.”

“Möge der Herr Euren Weg erleuchten”, verabschiedete sich der Junker und lächelte ihm freundlich zu.

Mit einer knappen Geste grüßte Linnart die beiden, dann setzte er sich wieder zu seinem Wein. Schon bald überkamen ihn wieder grüblerische Gedanken und er zweifelte nun erstmals daran ob es denn eine gute Idee war hier alleine zu sitzen und zu trinken. Es sollte nicht lange dauern, da nahm er sich ein Herz, füllte seinen Kelch mit Wein und schritt wieder hinaus auf die Festwiese. Dabei hoffte er Andesine nicht über den Weg zu laufen.


Während Sina den Altenweiner über die Wiese führte fragte dieser:”Wohin soll's denn gehen? Immer noch zum Küchenzelt?”

„Aber nicht doch ... komm einfach mit.“ Kurz ärgerte sie sich noch über ihren Verwandten. Mit etwas Glück würde sie dessen Hochzeit entgehen. Aureus war immer noch unbedarft, als sie ihn zu dem großen, hübschen Lilienfeld führte. Halb zog sie ihn, halb sank er hin, als sie sich auf einem Flecken zwischen den Blumen niederließen und sie ihm einen Kuss gab.

Angenehm überrascht erwiderte er ihren Kuss und fügte sanft eine leidenschaftliche Komponente hinzu. Seine Zungenspitze umspielte ihre Lippen, bis sie sich öffneten. Mit der einen Hand hielt er ihren Kopf und mit der anderen streichelte er ihren Arm, glitt hinab zum Handgelenk und legte seine Hand in ihre, die Finger ineinander geschlungen.

Die Beiden bemerkten kaum die kräftige Praiosgeweihte die dem Kiesweg folgte und kurz inne hielt, um den beiden Verliebten beim Austausch von Zärtlichkeiten zu zu schauen. Praiona seufze kurz. Traurig lief sie weiter und ließ ihren ´Prinzen´ hinter sich.

Aureus verharrte kurz, als er das Knirschen im Kies vernahm. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Als sich die Schritte wieder entfernten, spürte er ein weitaus größeres Verlangen als zuvor schon. Er streckte Sinas Arm über ihren Kopf und glitt dann mit seinen Fingern an ihrer Seite hinab, vom Handgelenk über den Arm, an der Brust entlang, weiter zur Hüfte und hinunter bis zum Knie. Dann fing er an ihr Kleid vorsichtig hochzuziehen. Als er den Saum spürte, glitt er ein Stück hinab und ließ seine Hand an der Innenseite ihres Beines wieder nach oben wandern.

Später…. Lagen sie mit ihren Kleidungsstücken bedeckt zwischen den Blumen. Es mochte bequemere Orte geben, aber es war gut so. Alles war gut, so wie es jetzt war. Sina stupste Aurus, der recht verträumt in den Himmel sah, an. “Aureus...Lass uns wieder was anziehen und dann, ja, wie geht es denn jetzt weiter ?” Er war so lieb, wie üblich hatte es gedauert, bis man sie in Erwägung zug. Aber auch das war nun egal.

“Ich glaube, Du hattest Hunger...also auf Essen”, grinste er frech. “Und vielleicht noch etwas Wein? Wir könnten uns einen Korb organisieren und uns hier irgendwo ins Gras setzen um den Sonnenuntergang zu bewundern. Wie wäre das?”

Sie sah ernst das Feld der Blumen an, aber die Götter würden es fügen. Irgendwie. “Es steht also nichts offizielles an? Ja dann, dann lass uns hier bleiben. Mit dem Korb, dem Essen und einer Decke.” Sie sah Aureus voller Wärme an und strich ihm durch das Haar. “Sollte ich nun auch Praios danken? Ich werde es tun, aber ich muss überlegen…” Sie stand etwas unsicher auf und hielt ihm die Hand entgegen. “Komm, das machen wir gemeinsam. Es gibt noch so viel, was wir nicht wissen.”

“Ehrlich gesagt, habe ich vergessen, ob noch etwas Offizielles ansteht, aber man wird uns schon rechtzeitig Bescheid geben. Und wir sollten allen Göttern danken, die an diesem Fest beteiligt waren”, lächelte er, während er sich erhob.

Sie hakte sich bei ihm unter, ja, man musste bei ihm noch etwas Forscher die Sache angehen. So schlenderten sie umher. „Und wenn es etwas Offizielles gibt, nehmen wir natürlich daran teil.wir haben Zeit, so die Götter es wollen.“ Sina biss sich auf die Unterlippe. „Was hältst du davon, wenn ich in Elenvina ein schönes Stück Bernstein besorge, ich lasse es segnen und in deinem Dorf soll ein Steinmetz eine Stele errichten, ich werde sie noch skizzieren. Für mehr wird das Geld nicht reichen, aber die Menschen hätten einen gesegneten Ort.“ Sie blieb stehen und drehte Aureus zu ihr. „Oder ist das nix? Zu einfallslos? Ich könnte Linnart fragen , so kommt er auf andere Gedanken. Aber um ehrlich zu sein hab ich gerade wenig Lust, ihn zu sehen.“

“Das würdest Du tun? Du kennst doch meine Schutzbefohlenen gar nicht. Das ist eine großzügige Geste und hervorragende Idee. Ich könnte Dich küssen, ach was, ich werde Dich küssen.” Und das tat er wild und innig. Dann sah er ihr tief in die Augen:”Sina, ich...ich”, er holte tief Luft und sank auf ein Knie:”Sina, aus dem Hause Artigas, möchtest Du den Traviabund mit mir eingehen?” Erwartungsvoll blickte er zu ihr hoch, die Sonne schien auf sie herab, eine leichte Brise strich über beide hinweg und der betörende Duft der Lilien umfing beide, wie ein samtenes Tuch. In der Ferne schnatterte eine Gans.

Sina strahlte Aureus an. “Darauf habe ich doch gewartet, du Depp. Jetzt lass uns schauen, was noch los ist, dann haben wir noch so viel zu bereden…” Die Zukunft im neuen Heim, die Hochzeit, die Katzen.. Und viel Harmonie. Und über den unromantischen Teil: den Ehevertrag.

Der Junker erhob sich und küsste sie. Dann nahm er ihre Hand und führte sie zurück zur Festwiese. Unterwegs hielt er Ausschau nach Vater Winrich. “Wieviel Familie hast Du eigentlich?”,wollte er wissen.

“Hatte ich das noch nicht gesagt?” Wohl nicht, oder er hatte, wie so viele Männer, seine Gedanken anderswo gehabt. So erwiderte sie knapp: “Ich habe einen Bruder, der mit unserem Barvermögen abgehauen ist und enterbt wurde. Eine Schwester, Verema Artigas. Sie wird Linnarts Onkel heiraten und ist Junkerin von Likan in Cres, außerdem Zuchtmeisterin in Elenvina. Und wie sieht es bei dir aus?"

“Oh! Ich dachte, da wären noch mehr. Nun, meine Mutter lebt noch. Sie wohnt jetzt bei meinem Cousin und ehemaligem Schwertvater, da ihre Schwester inzwischen verstorben ist. Und dann habe ich noch eine ältere Schwester, sie ist Praiosgeweihte in der Rabenmark. Ob und wo mein Vater noch lebt, weiß ich nicht. Auch nicht, ob er weitere Kinder gezeugt hat. Mmmmm. Wenn Deine Schwester keine Kinder hat, dann müssen wir unbedingt klären zu welchem Haus unsere Kinder dann zählen werden und wer was erbt. Es sei denn das Haus vom Traurigen Stein hat das bei Deiner Schwester schon getan. Schade, ich hatte gehofft, dass alle meine Nachkommen Altenweiner werden.”

Sie klopfte sich mit der Hand an die Stirn. ”Ach, das hatte ich doch gesagt, oder? Verema hat zwei Kinder. Dein Name wird also weiter bestehen. Sie sind von einem anderen Mann, aber der Linnartsteiner wird sie adoptieren, meinte meine Schwester.”

Aureus freute sich über diese Worte. “Dann ist ja alles geregelt, oder nicht?” Er schlenderte mit ihr Hand in Hand durch den Park und dachte schon darüber nach, welche Überraschung er ihr zur Hochzeit bereiten könnte.

***

Das Küchenzelt war immer noch voll im Gange, hatte aber eine Tafel ausgestellt mit kleinen Köstlichkeite und Getränke. Als Servusian den suchenden Blick der Baroness Keyserring sah, nährter er sich ihr schnell. “Euer Wohlgeboren, schön euch so schnell wiederzusehen. Wie kann ich euch helfen?” fragte er mit einem angenehmen Lächeln.

“Ich hätte gerne einen Krug Wasser.” sagte sie immer noch erregt und mit leuchtend roten Wangen. “Und - vielleicht könnt ihr mir einen Ort im Garten anempfehlen, wo man ein wenig Ruhe finden kann. Ich… brauche einen Moment für mich.”

Der gut-riechende, junge Mann ergriff einen Kelch und füllte ihn mit Wasser. Dann kam er um den Tisch herum. “Ich verstehe. Ich werde euch an den schönsten Ort im Park bringen. Wenn ihr mir bitte folgen würdet, Baroness von Keyserring?” Mit würdevollen Abstand stellte er sich neben sie.

Sie nickte und folgte dem jungen Mann, der mit ihrem Kelch in der Hand in Richtung des Gartens lief.

***

Rondradin, der gerade die Vögtin zurückgebracht hatte, hörte wie sich mehrere Personen näherten und als er sich umsah, erkannte er mit Erstaunen seine Schwester in Begleitung des Mersingers und seiner Pagin. Er entschuldigte sich für den Moment von den Anwesenden und ging ihnen ein paar Schritte entgegen. “Wollte ihr zu mir?” Andesine nickte. “Dies sind seine Wohlgeboren Lares von Mersingen und seine Pagin Basilissa von Keyserring. Ich hatte ihnen versprochen dich ihnen vorzustellen.” Andesine trat näher an ihren Bruder heran und flüsterte: “Zumal die junge Dame mit dir als Seelenheilkundigen sprechen will.” Überrascht musterte er Basilissa. “Es ist mir eine Freude deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Rondradin Wasir al’kam’Wahti von Wasserthal zu Wolfstrutz.” Damit verbeugte er galant vor der Pagin. Auch ihren Schwertvater grüßte er. Sie waren sich an diesem Tage schon mehrmals über den Weg gelaufen. “So sieht man sich wieder. Wie es scheint, haben sich die Wege von Euch und meiner Schwester tatsächlich gekreuzt.” Ihm war nicht entgangen, wie schlecht seine Schwester gerade aussah und dass sie nach Schnaps roch. Allerdings war dies weder Zeit noch Ort für ein Gespräch darüber. Außerdem schien sie sich soweit im Griff zu haben.

“Es ist mir eine Freude. Ich hoffe, Ihr konntet den Tag bisher genießen. Meine Pagin wollte Euch sprechen - und zwar ohne mich, was ich ihr gerne erlauben möchte.” Dann wandte sich Lares plötzlich an Andesine. Er griff sie vorsichtig aber bestimmt am Oberarm. “Dies ist gerade äußerst passend, nachdem wir beide ebenso einige wichtige Worte zu wechseln haben.” Der Blick des Mersingers war ernst, aber freundschaftlich.

“Wie Ihr wünscht.” meinte Rondradin freundlich und wandte sich dann Basilissa zu. “Nun, du möchtest mit mir sprechen? Lass uns da in den Schatten gehen. Dort können wir ungestört reden.” Er deutete auf das nun wieder verlassene Sonnensegel.

Das Mädchen wandte sich noch einmal zu Lares und Andesine um, als sich diese entfernen wollten. “Es ist doch so wie ihr es sagtet. Dass man, wenn man einen Fehler gemacht hat und ihn zugibt, die Möglichkeit bekommen kann ihn wieder gutzumachen?” Ihre Stimme klang wieder zweifelnd. “Ihr… würdet es doch beide auch so machen, oder? Jemanden eine neue Möglichkeit geben, wenn er einen Fehler gemacht hat?”

“Ja”, nickte der Mersinger.

Diese einfache Frage war gar nicht so leicht zu beantworten. Früher am Tag hätte sie Basilissa sofort zugestimmt, doch nun… Könnte sie Li… nein, diesen Namen wollte sie nicht aussprechen, geschweige denn denken. Trotzdem, nickte sie Basilissa zu, alles andere hätte das Kind nur verschreckt.

Die Pagin sah den beiden Erwachsenen hinterher und blickte dann betreten zu Boden. Der große trainierte Mann war ihr ein wenig unheimlich. Plötzlich wusste sie nichts zu sagen.

Rondradin setzte ein sanftes, wärmendes Lächeln auf und sah Basillissa geduldig an. Von ihm ging eine Aura der Ruhe und Geborgenheit aus. “Also Basilissa, was kann ich für dich tun? Egal was du mir erzählen willst, es bleibt unter uns.”

“Eure Schwester meinte, ich solle mit euch reden, weil ich… schlecht träume.” begann sie langsam. Sie wollte erstmal abwarten, wie er reagieren würde. “Und ihr würdet euch damit auskennen?”

Der Geweihte nickte langsam. Ein sanftmütiges Lächeln umspielte seine Lippen. “Du wirst also von Albträumen heimgesucht? Ich denke schon, dass ich dir helfen kann. Alles was ich über die Heilkunde der Seele weiß, habe ich bei den Noioniten erlernt.” Aufmunternd sah Rondradin die kleine Lissa an. “Möchtest du mir von deinen Träumen erzählen?”

Sie nickte zögerlich. “Es hat nach der Hochzeit meiner SChwester angefangen. Seitdem träume ich von Regibald. Er… er sagt mir in meinen Träumen, dass… ich es nicht verdiene… Ritterin zu werden.” Sie hatte es nun schon zum zweiten Mal am heutigen Tag ausgesprochen. Seinen Namen. Tränen traten ihr in die Augen und obwohl sie sich darum bemühte, schaffte sie es nicht, diese wegzublinzeln, sie liefen einfach aus den großen, dunklen Kinderaugen. Leise unter schluchzendem Glucksen hauchte sie: “Weil ich… Schuld bin. Dass er tot ist.” Sie rieb die Tränen aus ihren Augen, was ihr leidlich gelang und hickste weinend vor sich hin.


“Pscht, es ist gut, mein Kind. Lass die Tränen ruhig fließen.” Mitfühlend hatte Rondradin ihr den Arm um die Schultern gelegt. Seine Stimme hatte einen tiefen beruhigenden Ton angenommen. “Wer war denn dieser Regibald und wieso meinst du Schuld an seinem Tod zu haben?” Gespräche wie dieses hatte er schon geführt, aber meist mit Soldaten die Untergebene verloren hatten und noch nie mit einem Kind.

“Er war mein Zwillingsbruder. Wir hatten zum Geburtstag Ponies bekommen. Und als wir reiten gelernt hatten, wollten wir… wollte ich so gerne mal nachts in den Wald reiten. Ich… Er wollte nicht…. Aber… ich habe ihn.. Er ist nur mir zuliebe mitgekommen... “ Sie schniefte immer noch und ihre Worte kamen abgehackt und verwaschen aus ihrem Mündchen. “Es war dunkel… und gruselig. Und Regi ist… Sein Pferd ist durchgegangen und….dann ist er heruntergefallen. Und hat sich nicht bewegt. Ich konnte ihn nicht auf mein Pferd heben. Und er … war so schwer. Also bin ich heimgeritten, Hilfe holen. Aber … weil es so dunkel war, haben sie ihn nicht so schnell finden können. Und….sie haben gesagt…. Es sei zu spät gewesen.” Regi hatte recht. Sie waren nur wegen ihr im Wald gewesen. Und er war nun tot. Er und Tsalinde. “Vater war so wütend. So wütend. Und er hat Tsalinde die Schuld gegeben. Und .. er hat sie in den Kerker geworfen… doch sie ist dort gestorben...noch vor der Verhandlung… Dabei war es doch gar nicht ihre Schuld. Wir hatten uns doch weggeschlichen als sie geschlafen hat. Und Regi ist nur wegen mir mitgekommen. Also sind beide tot und es ist nur meine Schuld.” Sie schluchzte weiter. Sie hatte all das Vergessen. Bis diese grauenhafte Hochzeit stattgefunden hatte. Seitdem erschien Regi in ihren Träumen.

Still hatte Rondradin zugehört als Basilissa die schreckliche Geschichte ein zweites Mal an diesem Tag wiedergab. Auch nachdem sie geendet hatte, richtete er nicht sofort das Wort an sie, sondern hielt sie weiter in seinem Arm und streichelte über ihren Kopf, während sie weinte. Als die Tränen langsam versiegten richtete er das Wort an die kleine Pagin. “Und nun sucht dich dein Bruder in deinen Träumen heim und sagt, dass du kein Ritter sein darfst.” Aus den Tiefen seiner Robenärmel zog er Tüchlein hervor, welches er ihr darbot. “Es wird dich vielleicht überraschen, aber Gespräche wie dieses habe ich schon öfter geführt. Zugegeben, du bist die Jüngste, die mir eine solche Geschichte erzählte.” Sanftmütig sah Rondradin die Pagin an. “Aber bevor ich anfange, hätte ich noch zwei Fragen an dich. Hast du deinen Bruder oder Tsalinde mit deinen eigenen Händen getötet? Hast du ihnen den Tod gewünscht?”

Sie schüttelte den Kopf, während sie sich die Tränen abwusch.

“Gut. Jetzt sieh mich mal an.” Rondradin suchte Lissas Blick. “Du bist nicht schuld am Tod deines Bruders und auch nicht an dem Tsalindes. Ja, du bist mit ihm des Nachts ausgeritten, doch warst nicht du es, die dafür sorgte, dass er abgeworfen wurde. Und auch Tsalinde hast du nicht in den Kerker geworfen.” Behutsam griff er die kleinen Händchen und hielt sie in seinen großen, rauen Händen geborgen. “Basilissa von Keyserring, ich sehe in dir einen guten Menschen. Wenn das nicht so wäre, würdest du jetzt nicht neben mir sitzen und über dein Leiden sprechen. Lass dir gesagt sein, die Träume kommen nicht von deinem Bruder, sondern von dir selbst, weil du Schuldgefühle wegen der Ereignisse damals hast und dir selbst nicht verzeihen kannst. Es ist wichtig, dass du dir selbst verzeihst. Denn nur dann kann die Wunde hier,” dabei deutete er auf ihr Herz, “richtig verheilen. Verzeihen heißt aber nicht, dass du vergessen sollst. Die Erinnerung daran wirst du dein ganzes Leben mit dir tragen, aber es liegt an dir was du daraus machst. Es wird eine Narbe auf deiner Seele sein und mit der Zeit werden weitere hinzukommen. Jeder trägt solche Narben mit sich herum, auch ich habe welche.”

“Aber….” setzte sie an, senkte dann aber beschämt den Blick, immerhin sprach sie mit einem Geweihten. “Wäre ich nicht gewesen, wäre er im Bett geblieben. Und noch am Leben. Bin ich dann nicht Schuld? Ohne mein Zutun….” Die Kindertränen kullerten weiter die Wangen hinab.
“Ohne den nächtlichen Ritt wäre er vielleicht nicht in dieser Nacht gestorben sondern erst am nächsten Tag, bei einem Ausritt oder beim Schwimmen. Die Götter haben deinen Bruder zu sich gerufen und nun sitzt er dort bei ihnen und wacht über dich. Glaubst du denn, dass er glücklich wäre, wenn er sieht wie du dich selbst quälst? War er ein solcher Mensch? Ich glaube nicht. Ich glaube, er hat dich geliebt und er wäre traurig, dich jetzt so zu sehen.” Rondradin fasste sanft unter ihr Kinn und hob es ein wenig, damit er ihr in die Augen sehen konnte. “Seinen Tod kannst du nicht rückgängig machen, egal wie oft du es in Gedanken durchgehst. Dir bleibt nur eins: Lebe dein Leben, erfülle dir deine Träume und werde Ritterin. Später dann, wenn ihr euch in vielen Götterläufen wiedersehen werdet, kannst du ihm dann berichten, was du erlebt hast und auch er wird dir Geschichten zu erzählen haben. Er wird dir deswegen nicht böse sein, sondern sich für dich freuen.”

Langsam begannen die Tränen zu versiegen. Das kleine Kinn wippt in Richtung Brust. “Ich erinnere mich gar nicht mehr so gut an ihn. Ich weiss noch wie er gerochen hat, wenn er nachts in mein Bett gekrochen ist. Und dass ich ihn lieb hatte. Glaubt ihr ich werde ihn im göttlichen Paradies erkennen- vielleicht- habe ich ihn bis dahin vergessen?” Sie sah ihn mit ihren großen, dunklen, tränenverhangenen Augen an: “Aber wenn ich als Ritterin in Rondras Hallen einkehre, um auf die Schlacht am Ende aller Zeit zu warten, kann ich ihn dann trotzdem wiedersehen? Tsalinde sagte mir, er wird wie alle toten Kinder nach dem Tod hinter den Regenbogen ins Reich TSAs gelangen. Und dass er dort mit vielen Kindern spielen kann, den ganzen Tag.. Und dass es dort keine Regeln gibt. Das… hätte ihm sicher gut gefallen…” Sie seufzte leise: “Aber, dann sehe ich ihn niemals wieder, oder? Wenn wir nicht im selben Paradies sein werden? Oder sind die Paradiese verbunden, so dass man sich besuchen kann?” Sie dachte einen Moment nach und fügte leise an: “Ich glaube Tsalinde ist auch hinter den Regenbogen gegangen. Dann ist er dort wenigstens nicht einsam.”

“Ich glaube fest daran, dass es diese Möglichkeit gibt, denn die Zwölfe sind nicht grausam.” Er schmunzelte. “Außerdem hast du nicht eben selbst gesagt, dass die Herrin Tsa keine Regeln aufstellt? Sie wird es sicherlich möglich machen.” Rondradin lächelte sie aufmunternd an. “Mach dir keine Sorgen, ob du ihn erkennen wirst, dein Herz wird dir den Weg zu ihm zeigen und wer weiß, vielleicht wirst du auch Tsalinde wiedersehen. Aber du musst dein Leben leben und es nicht leichtfertig fortwerfen. Hast du verstanden?”

Die Kleine nickte. Sie hatte es Andesine nicht geglaubt, aber ihr Bruder war wirklich fähig zu heilen. Sie fühlte sich schon nicht mehr so traurig. “Das will ich nicht tun.”

Eine Augenbraue des Geweihten wanderte nach oben. “Was willst du nicht tun?” Fragte er ruhig nach.

“Ähm… mein Leben leichtfertig fortwerfen… so wie ihr sagtet” antwortete das Kind irritiert.

“Aber natürlich, bitte verzeih, der Tag war lang.” Er lächelte entschuldigend, dann besah sich der Geweihte zufrieden die kleine Gestalt vor sich. “Ich denke, du bist auf dem richtigen Weg.” Rondradin streichelte mit sanfter Hand über ihren Kopf.

“Hm” machte die kleine Pagin des Mersingers. Sie fühlte sich gut. Aber das tat sie meistens. Nur Nachts… kamen die Träume. “Was mache ich, wenn er wieder in meinem Traum zu mir kommt?”, fragte sie leise.

“Dann sag ihm, dass du für ihn eine Ritterin werden willst, damit er stolz auf dich sein kann. Wichtig ist, dass du an dich selbst glaubst und dir selbst vergibst. Und wenn du dann doch an ihn denkst, dann versuche an den schönen Erinnerungen festzuhalten.” Der Geweihte beugte sich etwas herunter um Basilissa besser in die Augen schauen zu können. “Basilissa du bist stark und hast Mut, dir wird es gelingen deinen Bruder zu besänftigen. Und falls du trotzdem noch irgendwelche Probleme hast, dann schick mir eine Nachricht nach Wolfstrutz und ich werde zu dir kommen und dir beistehen.”

Sie überlegte kurz und nickte. “Danke.”

Rondradin wollte noch etwas sagen, wurde aber dann vom Klatschen des Elterntischs abgelenkt. Scheinbar hatte gerade jemand erfolgreich um die Hand einer Dame angehalten. Moment, war das nicht Linnart vom Traurigen Stein und Durinja von Altenberg? War Andesine deshalb in so schlechter Verfassung? Er sah sich um, konnte sie aber nicht sehen. Stattdessen sah er aber wie Ademar von Leihenhof direkt auf sie zuhielt. Was er wohl von ihm wollte? “Mir scheint, seine Ehrwürden von Leihenhof will ein paar Worte mit mir wechseln. Warum nutzt du nicht die Zeit um dir die Tränen aus dem Gesicht zu waschen. In dem Krug da ist frisches Wasser, welches du dafür verwenden kannst und hier hast du noch ein Tuch von mir. Ich rede kurz mit seiner Ehrwürden, dann bringe ich dich zurück zu deinem Schwertvater.”


***

Andesine nickte und folgte Lares. Hoffentlich wollte er nicht über Linnart sprechen, sondern über Luzia. Das wäre für sie das wahrhaft angenehmere Gesprächsthema, bei dem sie sich vielleicht sogar gut fühlen würde. Am Rande des Parks stand eine Bank auf der sie sich niederließ und von der man auch das Sonnensegel erkennen konnte, wohin Lissa und Rondradin gerade gingen. Sie machte eine einladende Geste zu Lares.

Lares nahm neben ihr Platz, warf den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel, dessen intensives Blau nur von vereinzelten Wolken verhangen war. “Irgendwie ist das komisch”, lachte der Mersinger schief. “Eigentlich sollte ich mit der Baroness von Keyserring hier so sitzen und in den Himmel starren, oder nicht? Hast du mir jedenfalls geraten. Das war ein richtig guter Rat. Ich...bin eifersüchtig geworden. Eine Seite von mir, die ich nicht kenne. Aber stattdessen sitzen wir zwei wieder hier. Ja, das ist schon komisch.”

Die Ritterin sah Lares schief an. Auf was genau wollte er hinaus? “Lares, sowas kommt vor und es bedeutet doch auch, dass du wirklich was für sie empfindest. Nur darfst du dich nicht davon beherrschen lassen.” Andesine merkte wie der Alkohol langsam begann seine Wirkung zu entfalten. Sie war zwar durchaus trinkfest, aber das Viertel einer Flasche Schnaps in einem Zug forderte selbst bei ihr seinen Tribut. Das erste Anzeichen war, dass ihre Zunge schwerer wurde. Sie lehnte sich an die Rückenlehne der Bank und schloss die Augen. “Ich finde es schön, neben einem Freund sitzen zu können.” Meinte sie noch.

Plötzlich streichelte ihr etwas über den Handrücken. Kurz, aber fast zärtlich. Als sie ihre Augen öffnete erkannte sie eine kleine, schmale Eidechse, deren Haut im Sonnenschein in den Farben des Regenbogen schillerte. Es war deren langer Schwanz, der ihre Hand berührt hatte.

Augenblicklich zog Andesine ihre Hand zurück, nur die anerzogene Zurückhaltung gegenüber Geschöpfen, welche den Götter heilig waren, hinderte sie daran dem Tier einen Schlag zu verpassen. “Was soll das denn? Eidechsen? Hier? Verschwinde!”

Lares griff behände nach der Echse und versuchte sie am Schwanz zu packen. Doch auch bei ihm zeigte der Schnaps Wirkung, auch wenn er bei weitem weniger getrunken hatte als die hohe Dame. Deshalb verpasste er das Schwanzende um Haaresbreite. Er schnaubte, doch mehr, weil sich ein kehliges Lachen ankündigte. “Ein lustiges Tier. Hat sich sicherlich nicht ohne Grund zu dir verirrt. Magst du keine Eidechsen?”

Sie schüttelte den Kopf. Ein Fehler, wie sie sofort feststellen musste. “Ich mag gar keine Geschuppten.” Tatsächlich waren ihr diese Wesen unheimlich.

“Ob dich das Tier auch noch ärgern wollte? Wie geht es deinem Kopf?”

“Schnelle Kopfbewegungen sollte ich vermeiden, wie ich gerade bemerkt habe.” Wieder schlossen sich ihre Augen. “Langsam macht sich der Becher von vorhin bemerkbar.” Ein Auge öffnete sich zu einem Schlitz und betrachtete Lares. “Du wolltest doch gerade auf irgendwas raus, bevor wir unterbrochen wurden.”

“Ich wollte darauf hinaus, dass es es nicht wert ist, deinen hübschen Kopf kaputtzusaufen. Das war ne ganze Ecke, die du da vernichtet hast, nicht wahr?”

“Lares, du weißt wirklich was eine Frau hören möchte.” Ein leises Kichern stieg in ihrer Kehle auf. “Der Alkohol betäubt den Schmerz, das ist alles. Außerdem habe ich kein großes Verlangen weiter an dieser Brautschau teilzunehmen.” Sie öffnete beiden Augen und sah Lares direkt an. “Wie soll ich jetzt noch jemandem vertrauen können?”

“Warum vertraust du mir?”, antwortete Lares mit einer offenen Gegenfrage. “Weil wir Freunde sind? Was ist, wenn ich dir jetzt das Ohr abkaue mit Sätzen, die eine Frau hören möchte? Was ist, wenn ich dich einlullen möchte, um dich dann zu verführen?”

“Weil du mir beigesprungen bist, wo alle anderen einfach weggesehen haben. Außerdem habe ich dich mit deiner Pagin gesehen und habe eine gute Ahnung davon, was sie von dir hält.” Andesine lächelte Lares an. “Du bist die Ausnahme von den Männern hier.”

“Ich glaube, deine Lorbeeren habe ich nicht verdient.” Er lächelte zurück und hoffte, dass sie ihn für die nächsten Worte nicht auf den Scheiterhaufen wünschen würde. “Er ist ein Trottel. Ein unsagbarer Idiot.”

Ihr Miene verdüsterte sich wieder. “Lass gut sein. Ich will nicht über ihn reden oder auch nur an ihn denken.”

“Weiß ich. Deswegen habe ich ja gesagt, ich hab deine Lorbeeren nicht verdient.” Lares seufzte. Er wollte ihr nicht noch mehr weh tun, aber manchmal muss man durch. “Ich hab dem Trottel den Kopf gewaschen und zwar ordentlich. Er hat es einfach über sich ergehen lassen. Hat sich nicht gerührt, hat sich nicht beschwert, nicht gejammert. Er war einfach nur traurig. Er hat gesagt, er wäre unverbesserlich, hätte niemals irgendeine Frau verdient und noch vieles mehr. Er hat gesagt, er ist ein Mann voller Fehler.”

Ihre Augen blitzten gefährlich und sie stemmte sich von der Bank hoch. “Lares, ich mag dich sehr, aber lass es nun gut sein. Ich möchte heute nichts mehr von ihm sehen, hören oder sonstwie an ihn erinnert werden.”

Der Mersinger fürchtete ihren selbstzerstörerischen Zorn nicht. “Er hat gesagt, er will nur, dass du glücklich wirst und hat dafür gebetet.” Er blieb auf der Bank sitzen, sah nach oben und stählte sich für das, was auf ihn zukam. Nur weglaufen würde er sie nicht lassen.

“Ach da ist sie ja!”, kam Amiel von Altenberg zu den Beiden. Der Mann war an die 185 Halbfinger groß, hatte kräftige Schultern und wirkte wie ein Lebemann. Er trug sein dunkelbraunes und gewelltes Haar schulterlang, hatte einen gepflegten Bart, sinnliche, volle Lippen und seine sanften grünen Augen strahlten Ruhe aus. Am Leib trug er eine bestickte, grüne Tunika, der es nicht gelang, sein Schmerbäuchlein zu verbergen. Um den Hals trug er ein Amulett in Form einer Eidechse, die in allen Farben des Regenbogen schimmerte. Er strahlte über beide Ohren und deutete auf die Eidechse neben Andesine.

“Das ist Euer Tier?” wandte sich die noch immer finster dreinblickende Andesine an den Neuankömmling. Sein Name schwamm irgendwo in ihrem vom Alkohol vernebelten Verstand und war nicht greifbar. Sie erinnerte sich nur daran, dass er der Familie Altenberg angehörte. Mit einiger Mühe unterdrückte Andesine den Drang ihn anzufahren, was ihm einfiel ihr Gespräch zu stören.

“Nehmt bitte das Tier und lasst uns allein”, setzte der Mersinger hinzu. “Bitte.”

“Dieses ´Tier´ meine Liebe, ist das liebste Tier der jungen Göttin Tsa. Und wie es scheint hat Tsala gemerkt, dass ihr ein wenig Lebensfreude gebrauchen könnt.” Anstatt die schlechte Laune der Beiden anzunehmen, antwortet er nur mit einem Lächeln. Vorsichtig griff er nach der Echse, die aber geschwind über Lares Arm auf dessen Schulter flitzte.

Andesine sah von dem Altenberger zu Lares und so etwas wie eine Entschuldigung war in ihrem Blick erkennbar. “Ich ziehe mich zurück. Ich wünsche den Herrn noch einen schönen Tag.” Damit drehte sie sich um ging schnellen Schrittes in Richtung des Ausgangs davon. Sie hatte für heute genug. Lares war ein lieber Mensch, aber in seinem Drang helfen zu wollen, stand er den Geweihten in nichts nach und sowas konnte sie gerade überhaupt nicht gebrauchen, vor allem wenn sie dabei ständig an IHN erinnert wurde.

Lares sprang auf und spurtete ihr mit der Eidechse auf der Schulter hinterher. Er griff nach ihrem fliegenden Arm und versuchte, sie daran festzuhalten.

Diese Reaktion überraschte Amiel und bevor er Tsala erreichen konnte, sprang Lares auch schon hinfort. Amüsiert und sprachlos wartete er ab.

Die Ritterin hatte gar nicht die Absicht sich aufhalten zu lassen. “Lares, lass mich los!” Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien und lief einfach weiter. Auch auf die Gefahr hin, dass der Stoff ihres Kleids nachgeben würde, ließ sie nicht innehalten.

“Oh”, brachte Amiel hervor und ließ seine Hand vor den Mund wandern. ´ Tsa, wo hast du mich nur hinein poltern lassen´, waren seine Gedanken.

Bevor der Stoff des schönen Kleides riss ließ der Mersinger los und blieb stehen. “Andesine bitte lauf nicht davon”, rief er ihr nach. Er bezweifelte, dass das helfen würde.

“Dann hör auf über ihn zu sprechen! Wenn ich nie wieder mit ihm zu tun hätte, wäre das noch zu früh! Verstehst du?” Nun trat doch das ein, was sie bisher mit aller Macht verhindert wollte und Tränen rannen ihre Wangen hinab.

Lares trat nah an Andesine heran und legte ihr vorsichtig eine Hand auf den Arm, den er zuvor gepackt hatte. So direkt gegenüber wurde der Mersinger von der Wasserthalerin überragt. “Ist in Ordnung. Wir reden jetzt nicht mehr von ihm.” Dann legte er seinen zweiten Arm auf ihren anderen. Noch war es keine Umarmung, jedoch bot er ihr alle Freiheit, sich ihm an den Hals zu werfen, wenn sie das musste. “Ich will nicht, dass du weinen musst.”

Sie schlang ihre Arme um ihn und zog ihn zu sich heran, während sie zu schluchzen begann. “Dafür ist es zu spät.” kam es dumpf von Lares Schulter, wo ihr Kopf lag. Die körperliche Nähe tat ihr gut, nicht in einem rahjanischen Sinne, aber sie fühlte sich in seinen Armen geborgen. Mehr wollte sie gerade nicht, mehr brauchte sie auch gar nicht.

Der Mersinger strich ihr zärtlich über den Rücken und versuchte sie zu beruhigen, so gut es ging. Die Tränen rannen auf seine Schulter und durchnässten sein Wams. Das war ihm völlig egal. Jeder außenstehende sollte sich seinen Teil denken, dachte er bei sich. Sein Ruf was Frauengeschichten anging war ja eh schon ruiniert - und das völlig unverdient. Deswegen schwieg er und ließ sie an sich gedrückt weinen. Dabei roch er den Lavendel in ihren Haaren. Eigentlich war er ja schon schön blöde. Er spielte hier den Helden für einen Nichtsnutz und ließ sich die Prinzessin entgehen. Aber er spürte in dem Moment kein Verlangen, sondern wollte nur, dass es ihr gut ging. Und, dass Luzia sie so nicht sah, sonst würde ihm dasselbe Schicksal blühen wie Linnart.

Langsam beruhigte sich die Wasserthalerin in Lares Armen. Sie hob den Kopf und sah ihn mit verquollenen Augen an. “Danke Lares, du bist mir ein wahrer Freund. Aber jetzt habe ich dein Wams ruiniert.” Betroffen schaute sie auf die durchnässten Stellen auf seinem Garderobe. “Es tut mir leid.”

“Ach komm, das ist nicht der Rede wert.” Lares wischte sich lässig über die Schulter. “Magst du dich wieder hinsetzen und noch etwas reden - oder willst du noch einen Schnaps? Ich glaube ja nicht, dass dir das gut tun würde, aber du entscheidest.”

Andesine lächelte unter all den Tränen. “Du solltest mich jetzt hier ein wenig zur Ruhe kommen lassen und lieber deiner Baroness nachjagen. Schließlich bist du deswegen hier. Ich komme jetzt alleine zurecht, auch ohne Schnaps.” Sie war versucht ihn einen Kuss auf die Wange zu geben, aber sie wusste nicht, wie er darauf reagieren würde. “Na komm, such Luzia und werde glücklich.”

“Und was ist mit dir?”

“Ich bleibe hier und sammle meine Gedanken.”

“In Ordnung.” Lares lächelte, was sein finsteres Gesicht seltsam verzerrte. Dann strich er ihr zärtlich über die Wange. “Du hast dir alles Glück der Welt verdient. Hol es dir.” Dann wandte er sich ab und suchte Luzia in den Weiten des Parks.


Als Lares außer Sichtweite war näherte sich Amiel von Altenberg nochmals der Wasserthalerin.
Mit erhobenen Händen, mit der Handfläche voran, um zu signalisiere das er in Frieden kam. “Verzeiht, hohe Dame. Ich weiß … es ist nicht der richtige Moment für euch. Aber ich verspreche, ich habe nur gute Absichten.” Seine Augen waren vorsichtig geöffnet und sprachen nichts als Unschuld.

“Ihr schon wieder.” In ihrer Stimme schwang Resignation mit, doch war ihr Tonfall deutlich freundlicher als zuvor. Sie musterte ihn aus geröteten und verquollenen Augen. “Was kann ich für Euch tun?”

Der gemütliche Mann entspannte sich ein wenig und griff in seine Gürteltasche. Zum Vorschein kam ein kleines, orangefarbenes Tüchlein mit einer aufgestickten Gans darauf. “Hier, das ist für euch.” und reichte Andesine das Tuch. “Ich hatte gehoffte keine Tränen auf unseren Fest heute sehen zu müssen, aber ihr habt sicher eure Gründe. Ich hab genau das richtige für euch.” Er griff wieder in seine Tasche. “Und, verzeiht, ich bin Amiel. Ich konnte mich noch nicht vorstellen.” Dann hielt er ihr einen sonnengelben Bonbon entgegen. “Die sollen gegen Kummer helfen … hab ich gehört.” Nun lächelte er sie zuversichtlich an.

Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete sie die Bonbons, machte aber keine Anstalten diese oder das Tuch entgegenzunehmen. Den Kommentar, ob dies das Herz von Durinja von Altenberg sei, verkniff sie sich. Stattdessen bedachte sie ihn mit einem traurigen Lächeln. “Ich danke Euch für diese Geste, aber Ihr bemüht Euch umsonst.” Amiel betrachtete beide Gegenstände in seiner Hand und zuckte dann mit seinen Schultern. Er lachte kurz ein wenig für sich. “Bedauerlich. Der Bonbon ist richtig gut. Zumindest beruhigt es immer die unschuldigen Kinderseelen im Tempel” Dann steckte er das Tuch und den Bonbon zurück in seine Tasche. “Euer Bruder, seine Gnaden Rondradin scheint ein guter Freund der Familie zu werden. Vater Winrich schwärmt richtig von ihm. Nun ich schweife ab.” Abwartend schaute er sie an. “Ich bin eigentlich gekommen, um euch von etwas zu befreien.”

“Meint Ihr diese Echse? Die war doch hinten auf der Bank oder hat Lares sie vielleicht?” Sie sah an sich hinab, konnte das Tier aber nicht entdecken. "Der Herr von Mersingen ist in den Park gegangen." Langsam erhob die Wasserthalerin wieder von der Bank. "Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet."

“Gemach, gemach, hohe Dame. Eure Vermutung ist ganz richtig. Tsala zieht es immer zu Menschen die Tsa´s Fröhlichkeit bedarf. Wenn ihr kurz still stehen bleiben würdet? Es geht auch sehr schnell und ihr seid mich dann auch los.”

“Bleibt mir vom Leib.” Erwiderte die Ritterin drohend und machte einen Schritt zurück. “Euer Tier ist nicht bei mir.”

Langsam machte Amiel sich sorgen um die kleine Eidechse, wie es schien, ignorierte die aufgebrachte Ritterin, dass es sich hierbei um ein Geschöpf Tsa handelte. “Das würde ich gerne. Versucht euch zu beruhigen, den Tsala hat sich zwischen euren Schultern gesetzt. Und ich möchte sicher gerne, dass ihr sie nicht verletzt.” Langsam schlich sich ein ängstliches Lächeln in sein Gesicht.

“Zwischen meinen Schultern? Was sucht es da?” Mit Mühe unterdrückte Andesine den Wunsch das Tier einfach zu packen und von sich zu werfen. “Holt es und behaltet Eure Finger bei Euch.” Wie kam dieser Kerl überhaupt dazu ein solches Tier mit zu einer Brautschau zu bringen?

Erleichtert schritt er auf sie zu und griff geschickt nach der schlanken Eidechse. “Habt dank , hohe Dame. Möge Tsa immer mit euch sein!” sagte Amiel jetzt wieder freundlich.

***

Noch bevor der Altenberger gehen konnte, vernahmen die beiden ein fröhliches Summen und das Knirschen von Kies unter leichten Sohlen. Rahjalind vom Traurigen Stein hing immer noch den Gedanken an die drei Männer und die Scheune nach. Wenigstens ein kleiner Teil in ihr bereute ihre Entscheidung. Nun wollte sich die junge Rahjadienerin jedoch wieder unter das feiernde Volk mischen. Vielleicht würde sie ja noch ein Mann zum Spaziergang auffordern. Vielleicht gar Lucrann von Leihenhof? Sie lächelte beim Gedanken an den schlanken Junker. Oder sie traf ihren Bruder und Andesine. Rahjalind freute sich für die beiden, war die Wasserthalerin doch genau die Frau, die er gebraucht hat. Ruhig, liebevoll, herzlich, verantwortungsbewusst … sie war so anders als alle anderen bisherigen Frauen in seinem Leben.

Kurz schien es als würden ihre Gedanken ihr einen Streich spielen, als sie Andesine auf einer Bank und in Begleitung eines anderen Mannes sah. Bei näherem Hinsehen fielen der Novizin auch ihre geröteten, verweinten Augen auf. Sofort war ihr klar, was geschehen sein musste. Sie ballte zornig eine Faust und ging energisch und grußlos auf den dunkelhaarigen Mann und ihre Schwägerin in spe zu. “Ich bring ihn um …”, spie sie voll schier heiligem Zorn aus, “... wo ist er?”

Die Angesprochene nahm erst jetzt Rahjalind wahr. Sie war sichtlich überrascht von dem Zorn, welcher der Novizin innewohnte. “Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal.”

Sie nickte wissend, der Zorn verflog aus ihrem Antlitz, galt dieser doch nicht den hier Anwesenden … wobei … war das nicht? Sie musterte den Altenberger. “Ist es wegen seiner Schwester? Dieser …”, Rahjalind biss sich auf ihre Lippe, “... es tut mir so leid, das wird er mir büßen. Es ist immer dasselbe und ich dachte er würde sich für dich ändern.” Sie schüttelte enttäuscht ihr Haupt, dann schritt sie wie von unsichtbarer Hand geführt von dannen.

Schweigend verfolgte Andesine den Abgang Rahjalinds, während ihre Gedanken rasten. ‘Schwester’, hallte es durch ihren Kopf. ‘Schwester?’ Sie wandte sich Amiel nun vollständig zu und taxierte ihn mit blauen vor Zorn glühenden Augen. “Schwester? Durinja von Altenberg ist tatsächlich Eure Schwester und dann wagt Ihr es auch noch mir unter die Augen zu kommen? Nein, sogar mir Eure ‘Hilfe’ anzubieten?” Empörung und Wut kochten in ihr hoch. Ein wütendes Schnauben folgte. “Wagt es nicht mich nochmal anzusprechen!” Damit drehte sie sich um und ging fort. Sie musste weg von hier, ansonsten würde sie heute noch jemanden ernsthaft verletzen.

“Durinja? Nun, ich bin nicht meine Schwester …” zu mehr kam er nicht. Verwundert schaute er Rahjalind an und hielt dabei die regenbogenfarben schillernde Eidechse in der Hand.

Die Novizin war bestimmt schon zehn Schritt weit vom Altenberger entfernt, als sie stehen blieb und beide Hände zu Fäusten ballte. Sie atmete tief durch, ihre Wangen waren rot wie reife Tomaten. Kurz wandte sie sich zu Amiel um, vielleicht würde er ja zu ihr aufschließen wollen - der Mann war es schließlich nicht, der ihren Zorn verdiente.

Amiel verstand Rahjalinds Zeichen oder war es doch seine Neugierde? “Rahja zum Gruße, Schwester Rahjalind. Amiel mein Name. Wißt ihr was in die Wasserthalerin gefahren ist? Ich glaube meine Schwester muss sie wohl verärgert haben …. Und meine Tsala hatte sich auf ihren Rücken verfangen. Das mochte sie mit Sicherheit nicht.” Ratlos schaute er sie an.

Beinahe tat ihr der junge Mann, den sie vorhin so kurz angebunden angefahren hatte, in diesem Moment leid. Er konnte ja nichts für seine Schwester und in ihm ruhte eine sanfte Seele, das fühlte sie. Rahjalind liebte Tiere und sie verließ sich auf deren Urteil. Wenn die kleine Eidechse gerne beim Altenberger war, dann konnte dieser wohl kein schlechter Mensch sein. Sie lächelte bitter. “Mein Bruder ist in sie gefahren … fürchte ich …”, gab sie dann zurück, während ihr Blick auf der Eidechse in seiner Hand lag.

“Da haben wir anscheinend etwas gemeinsam … Sie ist nicht die erste Frau, die Durinja in Verzweiflung getrieben hat. Ein Glück sind mir Machtspielchen fern. “ Amiel schaute noch immer Andesine hinterher. “Euer Bruder ist der Bannstrahler, richtig?”

Sie nickte. “Ja und ein unverbesserlicher Idiot.” Sie dämpfte ihre Stimme. “Ich habe gesehen wie er Andesine angesehen hat. Ganz so als wäre sie das wertvollste Kleinod auf dem Dererund. Er würde es nie zugeben, aber ich denke er hatte sich in der wenigen Zeit, die sie gemeinsam hatten, in sie verliebt …”, Rahjalind presste ihre Lippen aufeinander und schüttelte enttäuscht seinen Kopf, “... und dennoch hat es nicht gereicht, das er sich für ein mal … einen Tag … zusammenreißt … nein … die Versuchung durch die Präsenz Eurer Schwester hat wohl ausgereicht, dass er wieder alles zerstört. Ich wusste es vom ersten Moment, da ich euer beider Vorstellung gesehen habe, dass sie eine große Prüfung für die junge Zuneigung meines Bruders zu Andesine sein würde. Ich hätte besser auf ihn aufpassen sollen.” Kurz dachte die Novizin daran, wie es Linnart wohl gerade gehen würde. “Es tut mir leid, dass ich Euch damit belaste, aber es tut gut mit jemandem darüber zu reden, der nicht direkt in die Sache involviert war.” Auch die Traurigsteinerin blickte kurz auf die sich entfernende Wasserthalerin. “Eure Schwester … wie ist die so?”, wollte sie dann wissen.

“Lust ein wenig zu gehen oder irgendwo zu sitzen, habt ihr schon das Amphitheater gesehen?” fragte er als erstes, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Rahjalind zwang sich zu einem Lächeln. “Sehr gerne”, bestätigte sie, dann hakte sie sich bei ihm unter.

***

Bevor Durinja von Altenberg wieder die Festwiese betrat, atmete sie tief durch, hob das Kinn an und ließ sich von Linnart vom Traurigen Stein vor den Tisch der Alten führen. Die Blicke der Gäste und Verwandten waren neugierig, manche sogar misstrauisch. Sie hielt direkt bei ihrem Vater an, der im Gespräch mit der Baronin Fedora von Firnholz und ihrer Tante Prianna, die Rektorin der Rechtsschule, war. Tassilo von Altenberg war ein gutaussehender, älterer Mann, der sein blondes Haar in einem ordentlichen Topfschnitt trug, auf dem ein graues Barett zierte. Der 3-Tage-Bart war akkurat und seine Nase war etwas größer, als beim Durchschnittsgesicht. Die grünen Augen zeugten von einem wachen Verstand und nur die leichte Fältchen um Augen und Mund verrieten, das er auf die 50 Götterläufe zu ging. Er trug ein einfaches, aber hochwertiges, graues Gelehrtengewand und trug einen auffälligen, silbernen Ring am rechten Ringfinger. Der Advocatur blickte neugierig auf.

Linnart konnte die Blicke der Anwesenden förmlich spüren, was nicht unbedingt zum Abbau seines Unwohlseins beitrug. Dennoch straffte er sich stolz und wirkte selbstsicher. “Euer Hochgeboren …”, er verbeugte sich leicht vor der Baronin von Firnholz, “... hohe Dame …”, dann wandte er sich der Rektorin zu, “... hoher Herr …”, grüßte er Tassilo zu guter letzt, “... mein Name ist Linnart vom Traurigen Stein. Ich bin Ritter vom Orden des Bannstrahl Praios´ und Erbe des Gutes Linnartstein in der Baronie Kyndoch. Mein …”, er bedachte Durinja neben ihm mit einem Seitenblick und hielt dabei immer noch ihre Hand, “... unser … Weg führt uns zu Euch, weil ich Euch um die Hand Eurer liebreizenden Tochter bitten möchte.”

Die Überraschung schien ihm kalt erwischt zu haben, den Tassilo reagierte erst einmal gar nicht. Dann wanderte ein fragender Blick zu seiner Tochter. Seine strenge Schwester schaute erst kritisch, dann anerkennend. “Oh, ja. Also wenn es auch der Wunsch meiner Tochter ist …”. Die schaute verliebt in Linnarts Richtung. “Ja, Vater. Er ist der Richtige!” Tassilo erhob sich von der Bank und kam auf den Bannstrahler zu. Er öffnete seine Arme. “Nun, dann habt ihr meinen Segen, Linnart vom Traurigen Stein!”

Der Ritter trat auf ihn zu und schloss den Altenberger in eine feste Umarmung. “Es wird Eurer Tochter an nichts fehlen, hoher Herr. Das schwöre ich Euch. Ich werde ihr der Ehemann sein, den sie verdient.” Dann löste er sich von seinem zukünftigen Schwiegervater. Linnarts Blick ging zurück zu Durinja. “Ich danke Euch für Euren Segen. Es lag mir sehr viel daran, dass die Familie meiner Zukünftigen so früh wie möglich in … unsere … Entscheidung eingebunden wird.” Prianna von Altenberg stand auf, winkte Ademar heran und fing an zu Klatschen. Ademar von Leihenhof, der Luminifer, kam näher, aber auch Vater Winrich von Altenberg-Sturmfels, der gerade mit einer Hähnchenkeule beschäftigt war, kamen zum Tisch. Nun fing auch der Praiosgeweihte an zu Klatschen und Vater Winrich entledigte sich der Keule und umarmte das Paar. Durinja machte eine vollendeten Knicks und schlang sich an den Arm ihres Verlobten. Mehr Leute fielen in das Klatschen ein.

Besagter Verlobter wollte nicht derart im Mittelpunkt stehen, was seltsam anmutete, scheute Linnart doch sonst die Aufmerksamkeit anderer nicht. Innerlich hoffte er, dass Andesine es nicht mitbekam. Er wollte ihrem Herzen nicht noch einen Stich versetzen. Es war wohl das Beste gewesen, dass er für immer aus ihrem Leben verschwand und der Bannstrahler hoffte, dass sie damit abschließen konnte und alle ihre Wünsche doch noch irgendwann in Erfüllung gingen. Er selbst würde auch damit umzugehen lernen. Die Zeit heilte eine jede Wunde. Linnart sah auf seine Verlobte. 'Wie glücklich sie wirkt', dachte er bei sich. Doch war es ehrlich? Oder nur ein Schauspiel? Der Ritter atmete tief durch, dann drehte er seine Durinja zu sich und schenkte ihr einen innigen Kuss.


***

Victualia vom Lilienhain, Küchenmeisterin der Baronin von Schweinsfold, ließ es sich nicht nehmen, den Verlobten und den anwesenden Gästen eine Runde eines Pfefferschnaps auszugeben. Genau genommen war Durinja ihre Base, auch wenn die meisten Altenberger sie nicht mehr zur Familie dazu zählten. Ihre Mutter Nordrun hatte mit der Heirat ihres Vaters Rahjagoras den Adelsstand aufgegeben. Etwas, was die Altenberger verhindern wollten. Und so zogen die Mägde und Knechte aus, das Getränk zu verteilen. Und so bekamen auch Amiel und Rahjalind einen Schnaps ausgehändigt.

Die Novizin war beschwingt. Das nette Gespräch mit Amiel hatte ihr geholfen, den Zorn auf ihren Bruder zumindest kurzfristig zu vergessen. Freundlich lächelnd nahm sie den Schnaps entgegen. "Danke …", meinte die Rahjadienerin an Victualia gewandt, "... gibt es vielleicht Grund zum Feiern?"

Die kräftige Frau schaute sie verwundert an. “Ja habt ihr die Neuigkeiten nicht gehört, Schwester Rahjalind? Euer Bruder hat gerade bei Tassilo von Altenberg um die Hand Amiel´s Schwester angehalten. Nun sind sie verlobt. Bei Travia, ist das nicht wunderbar?” Nun strahlte sie Beide an. Amiels fassungsloser Blick suchte Rahjalinds.

Die den Stumpen mit dem Schnaps daraufhin fallen ließ und dessen Inhalt über der Wiese verteilte. Ihre Rechte lag auf ihrem Mund und die schönen grünen Augen weiteten sich vor Schreck. "Er hat was?", fragte sie total perplex. "Dieser Hornochse …", zornig lag ihr Blick nun wieder auf der Küchenmeisterin, "... wo ist er?"

“Hornochse?” Wieder verwundert beantwortete sie Rahjalinds Frage, zeigte jedoch zum Tisch der Älteren. Dort stand Linnart mit Durinja am Arm in der Unterhaltung mit Tassilo und Prianna von Altenberg.

Die Novizin nickte ihr ernst zu. "Habt dank …", sie zwang sich zu einem Lächeln, doch lag ihr Blick bereits auf ihrem Bruder und seiner Verlobten. 'Diese Schlange', dachte sie bei sich, dann stapfte sie entschlossen zum Tisch der Älteren.

Auf eben jenem Tisch fühlte Linnart die drohende Gefahr auf sich zukommen, noch bevor er Rahjalind erspähen konnte. Durinja könnte fühlen, dass er sich von einen auf den anderen Moment anspannte und den Grund dafür, in Person der jungen Rahjadienerin, nur einen Moment später ausmachen. "Auf ein Wort …", presste Rahjalind zwischen ihren Zähnen hervor.

Amiel löste sich schon vorher von Rahjalind. Das war etwas, womit er nichts zu tun hatte … und wollte. Er entschied sich, seiner Base Victualia ins Küchenzelt zu folgen.

Durinja schenkte der Novizin ein entwaffnendes Lächeln. Dann raunte sie Linnart ins Ohr “Ich gebe euch einen Moment.” Sie küsste ihn auf die Wange und trat zu ihren Vater hinüber. Im Augenwinkel sah Rahjalind wie sich Vater Winrich mit einem breiten Lächeln in ihre Richtung aufmachte.

Die Traurigsteinerin schien Durinja keine Beachtung zu schenken. Stattdessen schob sie ihren Bruder weiter weg. Auch für Vater Winrich hatte sie keine Augen. So war es Linnart, der dem alternden Geweihten nickend grüßte.

Vater Winrich, der die Novizin beglückwünschen wollte, wunderte sich kurz, aber winkte dann ab. Lächelnd ging er zurück zu seinen Verwandten.

Hätte sich Linnart nicht nach wenigen Momenten gegen sie gestellt, Rahjalind hätte ihn bestimmt bis zum Tor des Parks geschoben. "Schwester ... Rahjalind ...", zischte er, "... du vergisst dich." Die Novizin ließ sich gegen ihn fallen, vergrub ihr Gesicht in seinem edlen Hemd und hämmerte mit ihrer rechten Faust gegen seine starke Brust. "Du vermaledeiter ...", kam es gedämpft aus ihrem Mund, "... du ... warum ..."

Linnart jedoch antwortete nicht. Stattdessen legte er seine starken Arme um ihren schmalen Körper und streichelte beruhigend über ihren Rücken. "Ich weiß ...", er verschluckte jene Worte beinahe und als Rahjalind sich von ihrem Bruder löste, fand sie in seinen sonst so fröhlich leuchtenden Augen nichts anderes als Schuldbewusstsein und Trauer. Ein Anblick, der der Novizin etwas den Wind aus ihren Segeln nahm, dennoch schüttelte sie enttäuscht ihren Kopf.

"Was ist passiert, Linnart? Mit Andesine und warum bist du mit ...", sie wies zum Tisch, "... IHR verlobt."

Er schluckte zur Antwort, schwieg jedoch.

"Sie hat dich doch geliebt und ...", die Novizin schob sein Kinn zurück, wollte er sich doch ihres Blickes entziehen, sodass er ihr wieder in die Augen sehen konnte, "... sieh mich an! Ich habe gesehen wie du sie angesehen hast ... Andesine ... wie es dich getroffen hatte, als sie deinen Kuss nicht erwidert hat ... das warst nicht du ... das ... das war ein anderer Linnart."

Er hob seine Augenbrauen, doch sollte der Ritter noch nicht zu Wort kommen. "Es war ein Linnart, der liebte ... der eine Frau anhimmelte ... ein Linnart, den Rahja berührt hatte und es war alles, das ich mir für meinen Bruder jemals gewünscht habe." Sie griff nach seiner Wange und streichelte sanft darüber. Der Bannstrahler atmete schwer, seine Augen glänzten. "Ich liebe dich, Bruder und ich will nicht, dass du ein Leben führst wie Vater und Mutter. Am Papier verheiratet, doch jeder für sich selbst. Ich wollte ... dich glücklich sehen und Andesine war der Weg in dieses Leben. Ich habe es gespürt und du sicher auch."

Linnart presste seine Lippen zusammen. Er nickte. "Ich habe sie verraten ... Andesine und das was ich ihr versprochen hatte."

Rahjalind schob ihre Augenbrauen zusammen. "Wie verraten?", fragte sie.

"Ich habe Durinja von Altenberg geküsst ...", er stoppte und wies auf einen Kratzer an seinem Hals, "... sie hat mich gekratzt und ich habe es Andesine gebeichtet. Sie gab mir meinen Ring zurück und wandte mir den Rücken zu", beichtete Linnart schuldbewusst.

"Du Idiot ... und du hast sie aufgegeben ...", sie schüttelte ihren Kopf, "... du hast nicht um sie gekämpft ... sie angefleht nicht zu gehen?"

"Ich habe ihr geschworen mich aus ihrem Leben fernzuhalten ...", flüsterte der Ritter, "... ich habe sie enttäuscht und das wäre immer zwischen uns gestanden. Ich habe sie, bereits Stundengläser nach meinem ersten Versprechen, enttäuscht und verletzt. Es ist das beste wenn ich mich von ihr fern halte."

"Bruder ...", warf Rahjalind empört ein, doch schnitt ihr der Bannstrahler ihr das Wort ab.

"Nein ...", er schüttelte resignierend seinen Kopf, "... eine Frau wie Andesine ist ein Schatz. Sie verdient das beste und nicht den Erstbesten. Ja, vielleicht hätte sie mir vergeben ... und dann ..?" Sein Blick löste sich von ihr und ging in weite Ferne. "Irgendwann hätte ich sie wieder enttäuscht und wieder ... und wieder. Ich kenne mich und meine Schwächen, Rahjalind und es war dumm Andesine überhaupt Hoffnungen zu machen." Er dachte an die Blicke, die sie ihm zuwarf. Die Liebe und Reinheit in ihren blauen Augen. Sogar als sie anzügliche Scherze machte, strahlte sie etwas so liebenswertes aus. Linnart schüttelte sein Haupt, um jene Gedanken aus seinen Kopf zu vertreiben und senkte seinen Blick, wohl aus Scham. "Durinja ... sie hat mich von Anfang an durchschaut, Rahjalind. Sie wusste welcher Mann ich bin und dennoch hat sie sich nicht von mir abgewendet. Ja, sie war sogar glücklich und hat mich angestrahlt, als ich um ihre Hand anhielt. Sie meinte, sie würde mich so akzeptieren wie ich bin und sie werde mich ... lieben."

Die Novizin verzog skeptisch ihre Mundwinkel. Kurz wandte sie sich zum Tisch der Älteren um. Sie atmete tief durch, dann wandte die Rahjadienerin sich wieder ihrem Bruder zu und streichelte abermals seine Wange. "Ach ... Linnart ...", sie nickte verstehend. Ihr war bewusst, dass ihr Bruder ein Opfer gebracht hat. Ein dummes, doch nutzte es nun nichts mehr. "Möchtest du das wirklich?"

Sein Blick klarte sich auf. Er nickte ihr entschlossen zu. "Ja, das will ich. Die Götter hielten mir mit Durinja einen Spiegel vor. Ich werde die Herausforderung annehmen. Vielleicht entsteht daraus etwas Gutes, Rahjalind. Sie ist nicht nur schön, sondern auch klug. Sie kämpft um das was sie sich in den Kopf gesetzt hat ...", er presste abermals seine Lippen aufeinander, "... ich wünsche ... nein ... ich verlange, dass du ihr eine Chance gibst, Schwester."

Der Kiefer der Novizin öffnete sich ungläubig. "N ..."

"Ich bitte dich nicht darum Rahjalind. Ich werde sie zur Frau nehmen. Ich werde sie respektieren und ihr ein liebevoller Mann sein und ich verlange von dir, dass du ihr auch mit dem Respekt begegnest, den sie als deine Schwägerin verdient. Dass ihr beiden Freunde werdet wünsche ich mir, doch kann ich es nicht von dir verlange."

Rahjalind legte ihre Stirn in Falten. Ihre Kiefermuskeln spannten sich. "Gut", kam es knapp.

"Danke, Schwester. Ich liebe dich", Linnart umarmte sie fest. Für gut 50 Herzschläge standen sie so auf der Festwiese. Zwei sich liebende Geschwister, dann hakte sich die Novizin bei ihrem großen Bruder unter und gemeinsam schritten sie zum Tisch der Älteren zurück.

Dort angekommen, warf ihr Linnart einen Seitenblick, gefolgt von einem Nicken zu. "Durinja ...", richtete Rahjalind das Wort an die Zofe, "... ich ... ich gratuliere dir zu eurer Verlobung." Ihr Antlitz wirkte immer noch zerknirscht, dennoch bot sie ihr mit offenen Armen eine Umarmung an. Auch Durinja öffnete ihre Arme. “Ich danke dir, Schwesterlein”. Wie eine Rose schmiegte sie sich in die Umarmung der Novizin, während die Fingernägel Durinjas durch den Stoff ihres Kleides spürte und sie an Dornen erinnerte.

Rahjalind schreckte dadurch etwas auf und wandte sich schräg ihrem Bruder zu, der die Szenerie glücklich lächelnd beobachtete. Es bedeutete ihm sehr viel, dass seine Schwester an seiner Seite stand und ihn in dem was er tat unterstützte. Deshalb unterdrückte die junge Rahjadienerin ihren ersten Impuls sich von Durinja wegzudrücken und setzte stattdessen ein schönes, aber falsches Lächeln auf. "Mach das beste daraus … Schwester."

***

Der Praiosgeweihte hatte erst jetzt einen Moment gefunden, um einen klaren Kopf zu finden. Wie es schien, waren die meisten Gäste miteinander Beschäftigt und es gab auch schon die erste Verlobung. Vater Winrich musste sehr zufrieden sein. Ademar wird es sich aber nicht nehmen lassen zu erwähnen, dass es zwei Schützlinge von seinem Tisch waren. Doch nun ging es um ihn. Er brauchte Rat, aber damit wollte er nicht zu Vater Winrich gehen und auch nicht zum Rahjageweihten. Also blieb ihm da nur Bruder Rondradin. Auch dieser war mit den Gläubigen beschäftigt, aber es schien nun, dass auch dieser eine freie Minute hatte. Zielstrebig ging Ademar auf ihn zu. “Rondra zum Gruße, euer Gnaden. Ich hatte mich gerade gefragt, ob ihr vielleicht einen Moment für einen Bruder im Glauben habt?” Der Geweihte des Praios wartete ab.

Rondradin erwartete ihn bereits mit einem freundlichen Lächeln auf seinen Zügen. “Praios zum Gruße, Bruder Ademar. Womit kann ich Euch helfen?” Insgeheim war er froh um diese Ablenkung, hatte er doch gerade noch fassungslos die Verlobung von Linnart und Durinja verfolgt.

Ademar lächelte zufrieden und legte seine Hand auf die kräftige Schulter Rondradins. “Ich bin froh, das ihr euch die Zeit nehmt. Lasst uns ein Stück gehen, es muss nicht weit sein.” Er hielt einen Knecht an, der gerade Pfefferschnaps verteilte. Der Geweihte nahm zwei und hielt einen Rondradin hin. Dieser lehnte den Schnaps dankend ab. “Ich brauche heute noch einen klaren Kopf, da ist der Schnaps nicht gerade förderlich. Bitte verzeiht.” Ademar schmunzelte und kippte sich beide recht schnell ´hinter´. Der Schauer der folgte und das kurze Ringen um Luft konnte der sonst so kontrollierte Leihenhofer nicht unterdrücken. “Kein Problem. Ich verstehe.”, hüstelte er ein wenig. Als sie ein Stück gelaufen waren, faltete der Geweihte der Sonne die Hände zusammen. “Ihr scheint mir der richtige zu sein, um mir bei einer Deutung zu helfen. Der Götterfürst hat mir während der Götterspiele ein Zeichen gesandt.” Ernst schaute er Rondradin an.

“Ihr ehrt mich. Was habt Ihr gesehen?” Das Lächeln war schmaler geworden und hatte einer Ernsthaftigkeit Platz gemacht. Fingerzeige der Götter waren etwas das Rondradin sehr ernst nahm, nicht zuletzt weil er selbst schon welche erhalten hatte.

“Nun, ich muß weiter ausholen. Gestern Nacht hatte ich einen wirren Traum und ich kann mich nur an Splitter erinnern. Es ging um einen Sternenfall, die Sonne und merkwürdigerweise Tanzschuhe...oder sich drehende Füße in Tanzschuhen.” Er stockte kurz. “Nun während des Götterspiels kam meine Glaubensschwester Praiona von Altenberg nach vorne um ein Buch der Rechtskunde auszuwählen. Ja, da ist es dann auch passiert. Ein Lichtstrahl blendete mich und mir war so, als ob viele Sterne fallen würden. Als mein Blick klar wurde sah ich SIE. Also, ich meine es war mehr als nur Sehen. Es war als ob ich ihre Seele und ihr Herz erkennen konnte. Ich kenne Praiona schon viele Jahre, wir dienen im selben Tempel. Eine unauffällige, auffällige Person. Doch was ich sah war lieblich, zart und gut.” Röte stieg ihm ins Gesicht. “Bei ihrer Vorstellung hatte sie ja einen Unfall. Sie stürzte vom Pavillon. Dabei ist mir aufgefallen, dass sie Tanzschuhe unter ihrer Robe trägt.” Rondradin merkte die Aufregung in seiner Stimme. “Was meint ihr, was es bedeuten könnte?”

Es dauerte einige Zeit, bevor Rondradin zu einer Antwort ansetzte. “Den Auftritt unserer Schwester im Glauben habe ich nicht gesehen, allerdings erinnere ich mich an sie als ich der Familie Altenberg meine Aufwartung machte. Ich hatte den Eindruck, dass sie in einer eigenen Welt lebt.” Um Zeit zu gewinnen, sah Rondradin sich um. Sein Blick wurde vom Dach des Rahja-Schreins angezogen, das im Licht der Sonne funkelte. Ein feines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er die von Ademar gesehenen Zeichen nochmals durchging. Ohne Zweifel, Rahja schenkte dieser Veranstaltung ihre Aufmerksamkeit und selbst ihr göttlicher Bruder konnte sich dem nicht ganz entziehen. Wie es schien, musste er sich später bei der Göttin der Liebe entschuldigen und ihr ein Opfer darbringen. Rondradin legte Ademar eine Hand auf die Schulter. "Sagt, war es wirklich ein Stern der in Eurer Vision fiel? Könnte es nicht auch ein kostbares Juwel gewesen sein oder war es vielleicht ein Funkenregen, der das Herz eines Menschen für etwas oder jemanden entflammen kann? Was habt Ihr empfunden als ihr diese Bilder empfangen habt? War es Furcht, eine Vorahnung kommenden Unheils oder vielleicht doch etwas Anderes, Schöneres?"

Still hörte Ademar zu. “Ja, ich verspürte keine Furcht oder Gefahr. Es war eigentlich ein glückseliges Gefühl. Etwas Gutes. Wie der erste Sonnenstrahl nach einer finsteren Nacht.”

Hinter Ademar trat eine geknickt wirkende Praiona von Altenberg auf den Kiesweg. Rondradins Lächeln wurde breiter. Er suchte den Blick Ademars. "Bruder Ademar, hat Euch der Herr Praios heute nicht das wahre Antlitz Praionas schauen lassen? Aber hattet Ihr das überhaupt nötig? Wusstet Ihr nicht schon längst um diese Schönheit, welche eurer Glaubensschwester innewohnt? Denkt darüber nach, Bruder." Ohne eine Antwort des Geweihten abzuwarten, drehte Rondradin ihn in Richtung Praionas. "Und jetzt solltet Ihr zu unserer Schwester im Glauben gehen. Sie bedarf der Zuwendung eines Freundes."


Aus seinen Gedanken gerissen, schaute Ademar auf und sah Praiona. Wieder stieg Röte in sein Gesicht und er schaute fassungslos den Geweihten der Rondra an. “Ihr meint doch nicht etwa, dass Praios mich auf Travias Pfaden … “ Mit offenem Mund und geweiteten Augen starrte er Rondradin an.

“Vergesst auch die Herrinnen Rahja und Rondra nicht. Aber ja, genau das meine ich.” Rondradin sah Ademar freundlich auffordernd an. “Redet mit Ihr und findet es heraus. Niemand zwingt Euch Ihr gleich einen Antrag zu machen oder ihr die Liebe zu gestehen. Geht hinüber, sprecht mit ihr und lauscht was euer Herz Euch mitteilt. Alles andere wird sich dann ergeben. Fasst Mut, geht hinüber und sprecht sie an.”

Rondradin bestätigte, was er sich schon gedacht hatte. ´Welch ungewöhnliche Vision. Oh, Herr Praios, was hast du mit uns vor?´ Ademar blickte kurz zur Sonne und drehte sich zu Praiona. “Danke, Rondradin. Ich übernehme dann von hier.” Dann schritt er auf seine Glaubensschwester zu. “Praiona, Schwester, hättet ihr Lust mit mir zu spazieren?” Mit überraschten Blick, fing sie an zu Lächeln und hakte sich bei Ademar ein.

Einen Moment schaute Rondradin den beiden still lächelnd nach. Sein Blick wanderte zum Sonnensegel, wo er Basilissa zurückgelassen hatte. Langsam sollte er sie zu ihrem Schwertvater bringen.

***

Wenn Rondradin gedacht hätte , dass er endlich seine Weges gehen könnte, so hatte er sich getäuscht. Die wohlklingende Stimme Rahjels erreichte sein Ohr. “Bruder Rondradin, welch ein Zufall, euch habe ich gesucht!”

“Bruder Rahjel, schön Euch zu sehen. Ich wollte mich für meine harschen Worte vorhin entschuldigen. Mein Schmerz sprach da aus mir, trotzdem hätte ich diese Worte niemals aussprechen dürfen.” Rondradin senkte demütig den Kopf.

“Aber Ihr habt mich gesucht?”

Der Geweihte der Liebholden umarmte Rondradin mit kräftigen Griff und küsste ihn auf die Wange. “Es gibt nichts zu entschuldigen. Auch wenn die Worte harsch waren, hat Rahja direkt aus euren Herzen gesprochen. Dann richtete er die Robe des Geweihten. “Ich habe mit Gelda gesprochen. Und sie konnte mich von euren Wünschen überzeugen. Ich werde den Ehebund gerne für euch beide heute segnen. Die plötzliche Entscheidung ist ganz im Zeichen der Göttin der Liebe.”

Rondradin erwiderte das Lächeln seines Glaubensbruders. “Habt Dank!” Leider galt ein Rahjabund nicht besonders viel unter Adligen und ihre Kinder hätten keine Legitimation. “Gerne würde ich uns von Euch trauen lassen, doch werden wir auch vor Travia einen Bund eingehen müssen. Ihr kennt ja das Recht.”

Gewinnend lächelte er vor sich hin und sprach nun ein wenig leiser. “Genau das hat Gelda auch gesagt. Und ich bin der Meinung wie sie. Vater Winrich wäre ein … Problem. Aber ich habe eine Lösung gefunden.” Listig schaute er Rondradin in die Augen. “Ich konnte einen Diener der Travia überzeugen, genauer gesagt eine Dienerin.”

“Aber Vater Winrich wird es doch mitbekommen, wenn ich um Geldas Hand bei ihren Eltern anhalte. Glaubt Ihr nicht, dass ich es ihm erklären und für unsere Sache gewinnen könnte?”

“Nun, vergesst nicht, dass ich aus dem selben Haus stamme. Und ich glaube, dass wir in der Sache auf die Hilfe von Bruder Phex zurückgreifen. Aber,” er machte eine kurze Pause, ” die Mutter Winrichs und Familienälteste, Mutter Elva, hat sich bereit erklärt. Sie wird auch daran arbeiten, dass ihr den Segen der Eltern vorher erbitten könnt. Ich werde mit ihr zusammen den Segen sprechen. Allerdings will sie sich mit euch vorher alleine unterhalten. Was sagt ihr?”

Rondradin wurde still als er alles überdachte. Er wollte Gelda zur Frau nehmen, mit jeder Faser seines Körpers. Aber war es richtig es auf die Art und Weise zu tun, die Bruder Rahjel vorschlug? Rondradin konnte sich damit nicht anfreunden. Es fühlte sich falsch an. Erst heiraten und dann ihre Eltern vor vollendete Tatsachen stellen oder dies in aller Heimlichkeit tun, damit Vater Winrich es nicht mitbekam? Nein, das konnte er nicht. Schließlich sah der Rondrianer auf und schüttelte den Kopf. “Nein, das geht nicht. Wie sähe es aus, wenn wir das in aller Heimlichkeit machen würden? Das würde das Ansehen unserer Familien nachhaltigen Schaden zufügen. Es reicht schon, dass ich die Verlobung mit Ravena von Rabenstein löse. Das ist Skandal genug. Lasst uns lieber einen Weg finden, wie ich Vater Winrich überzeugen kann. Reicht es nicht, wenn ich ihm erkläre, dass ein Bund, den Rahja gesät und der mit Travias Hilfe zur vollen Blüte erwächst, stabiler ist, als ein Bund der ohne Liebe geschlossen wird?”

Rahjel atmete tief durch und seufzte. “Ich hatte befürchtet dass ihr so denken würdet. Ehrlich gesagt, welcher Skandal wird größer sein? Ein Skandal wird es so oder so. Aber ich befürworte ihn, denn es ist offensichtlich der Wille der Göttin. Aber ich kann durchaus eure Worte folgen. Ich denke ihr solltet erst einmal mit unserem Familienoberhaupt sprechen. Es war Mutter Elva ein wichtiges Anliegen. Vielleicht haben wir danach Klarheit. Wenn jemand Vater Winrich überzeugen kann, dann seine Mutter.” Er legte wieder seinen Arm um den Geweihten. “Ich werde allerdings schon alles vorbereiten müssen, falls ihr zumindest mit dem Rahjabund zufrieden seit. Es wäre gut, wenn ihr zumindestens eine euch liebende Person, außer Gelda, als Zeugin dabei haben könntet. Es ist aber auch kein Problem, wenn nicht.”

“Lasst Euch Zeit, ich selbst muss mich auch noch um die junge Pagin dort drüben kümmern und nach meiner Schwester muss ich auch sehen. Ich weiß nicht was passiert ist, aber scheinbar ist der Mann, von dem ich dachte, dass er um ihre Hand anhalten wird, nun mit Durinja von Altenberg verlobt.” Ein Seufzer aus den Tiefen seiner Seele bahnte sich seinen Weg ins Freie. “Wo kann ich Mutter Elva finden?”

Etwas überrascht über die Verlobungsneuigkeiten, zog er die Augenbrauen zusammen. “Nun Mutter Elva wollte, dass ich euch zu dem Brunnen schicke, er liegt in einem Lilienfeld, hinter dem Küchenzelt. Sie wartet dort. Wenn ihr wollt, kann ich mich um die Pagin kümmern, bis ihr wieder da seid. Was wollt ihr machen?”

“Habt Dank für das Angebot, aber das Mädchen wurde mir von ihrem Schwertvater anvertraut. Das muss ich selbst erledigen. Aber da der Herr von Mersingen sich wohl ebenfalls im Park aufhalten wird, sollte es sich mit dem Besuch bei Mutter Elva ohne weiteres vereinbaren lassen.” Rondradin wollte sich schon verabschieden, da kam ihm eine Idee. “Aber ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr meine Schwester suchen und nachsehen könntet wie es ihr geht.”

“Wie ihr wünscht. Ich sage der Mutter, dass ihr noch einen Moment braucht. Und ich werde gerne nach eurer Schwester schauen.” Er klopfte Rondradin zum Abschied auf die Schulter.

***

Das Lustwandeln hatte bereits begonnen und die gerade noch an den Tischen der Götter versammelten Grüppchen waren zusehends in Auflösung begriffen. Ganz besonders die an der Tafel der Rahja. Ringards Blick ging zu den anderen Tischen.

Zu ihrer Verwunderung sah sie ihren Bruder gerade Hand in Hand mit der Novizin der Travia aus dem Hause Altenberg davon schlendern. 'Sieh an!?!' Dass ausgerechnet Nivard, ihr sonst so schüchterner Bruder Nivard, zwischen dem und Gelda vorhin ganz offensichtlich irgendetwas vorgefallen sein musste, jetzt ganz einträchtig mit einer Dame in den Park davon strebte, freute sie einerseits. Dass umgekehrt von ihr nur alle interessanten Männer, wegen derer sie sich nicht zuletzt an die Tafel Rahjas begeben hatte, wegeilten, weckte andererseits ihren Neid und dämpfte ihre durch den Tharf zwischenzeitig so köstliche Stimmung weiter.

Und dann nahm sie auch noch den aus der Ferne auf ihr ruhenden Blick ihrer Mutter wahr, der sich auffordernd in sie zu bohren schien.

Ringard beschloss trotzig, an diesem nicht haften zu bleiben, und sah sich stattdessen gewollt beiläufig um, bereit, ihren Schritt 'ganz zufällig' einem interessanten und ebenfalls unschlüssig wirkenden Herren zuzuwenden.

Ganz in ihr Konzept passend, obgleich tatsächlich unbeabsichtigt, kollidierte sie dabei mit Amiel von Altenberg zusammen. Dieser hatte gerade vom Küchenzelt eine Süßigkeit ergattert, die allerdings beim zusammenprall mit Ringard vom Teller rutschte und vor ihren Füßen landete. Selbst überrascht, bemerkte er nun die süße, junge Frau und der Unfall war sofort vergessen. “Oh Verzeihung, holde Dame!” brachte er mit einem warmen Lächeln heraus.

Ringard zuckte kurz erschrocken ob des Zusammenstoßes. Als sie ins Antlitz ihres Gegenüber sah, war der Schrecken jedoch sofort vergessen. Für einen Moment war sie gänzlich gefangen vom Anblick des warmherzig lächelnden jungen Mannes. "Aber Ihr braucht Euch doch nicht zu entschuldigen, wenn Ihr einer Dame Köstlichkeiten zu Füßen legt." gab Ringard lächelnd zurück. Die Röte Ihres Gesichtstones verriet ihre leichte Aufregung. Ohne den Blick von Amiel zu lösen, ging sie in die Knie, die Süßigkeit aufzuheben.

Amiel lachte herzlich. “Ihr gefallt mir, eine Frau mit Humor.” Er nahm ihr die Süßigkeit ab, pustete kurz darüber und steckte es sich in den Mund. “Amiel von Altenberg. Ihr seid aus dem Haus Tannenfels, richtig?” Der Altenberger überlegte kurz. ”Habt ihr Interesse mit mir lustzuwandeln?”

"Ja und ja." lautete Ringards erste, offensichtlich erfreute Antwort. "Ich bin Ringard von Tannenfels. Und es wäre mir eine große Freude, mit Euch lustzuwandeln." Sie deutete auf den leeren Teller: "Vielleicht können wir auf dem Weg noch mehr Köstlichkeiten auftun?" bevor sie sich, noch immer oder eher wieder vom Tharf beschwingt, bei Amiel unterhakte. "Und uns an einem schönen Plätzchen zu deren Verzehr niederlassen?"

“Das müßt ihr nicht zweimal sagen, schöne Ringard.” Er ging mit ihr zum Küchenzelt und ließ sich von der Küchenmeisterin Victualia eine Korb füllen und eine Decke aushändigen. “Laßt uns zur kleinen Festwiese gehen, dort ist es auch schön und wir haben nicht so viele Menschen um uns herum, was sagt ihr?” Erst jetzt fiel ihr die kleine Eidechse auf, die nun auf seiner Schulter ruhte.

“Das klingt nach einem sehr schönen Vorschlag!” stimmte Ringard errötend zu, sichtlich geschmeichelt vom Kompliment Amiels, da stutzte sie: “Ihr habt Besuch. Auf Eurer Schulter sitzt eine… eine kleine Eidechse. So zutraulich?” - “Wohin hast Du Dich denn verirrt?”, sprach sie dann das kleine Tier an. “Soll ich sie von Euch pflücken und ins Gebüsch setzen?”

“Das ist Tsala. Sie gehört zu mir. Nehmt sie ruhig.” bot er Ringard an.

Vorsichtig streckte Ringard die Hand entgegen und wartete einen Moment, bis die Eidechse ihre Füßchen auf diese setzte. “Sie fühlt sich ganz warm an.” merkte sie leise an. - “Oh, und sie kitzelt…” fügte sie kichernd hinzu.

***

Als die Hofdame Sina Artigas und der Junker Aureus von Altenwein zur Festwiese zurückkehrten, schien schon jemand auf sie zu warten. Etwas in sich gekehrt saß der Ingerimmgeweihte Belfionn vom Schlund auf einem Schemel und betrachtete einen Amethysten zwischen seinen Fingern. Als er der Hofdame gewahr wurde, lächelte er erwartungsvoll, stand auf und richtete sich zur vollen Größe auf.

Dem Junker entging nicht der hoffnungsfrohe Blick des Geweihten, auch nicht, dass er etwas kleines in Händen hielt. Fragend hob er eine Augenbraue:”Ingerimm zum Gruße, Euer Gnaden. Können wir Euch behilflich sein?”

Aureus nur beiläufig beachtend, hielt er den Blick weiter auf Sina. “ Von euch möchte ich nichts, euer Wohlgeboren. Ich möchte die edle Dame Artigas zum Lustwandeln führen. Es ist ja noch etwas Zeit bis zum Bankett.” Sichtlich hielt er den Amethysten. Der große, starke Mann mit den verzierten Brandnarben würde bedrohlich wirken, hätte er nicht diesen verliebten Blick.

Der Altenweiner seufzte, als er erkannte, welchen Stein Belfionn in Händen hielt. Er hatte völlig vergessen, dass es auch andere Bewerber gab, und nun? “Falls ihr der Sinn danach steht, wird meine Verlobte sicher gerne einen Spaziergang mit Euch wagen, Euer Gnaden, aber ich fürchte, sie wird Euch nicht mehr das geben können oder wollen, wonach Euch verlangt”, antwortete er mit ernst gemeintem Mitgefühl. Wohl wissend, dass seine Worte eine tiefe Wunde schlagen würden. Doch zumindest hatte er sie ausgesprochen, so dass der Geweihte auf ihn, und nicht auf sie, wütend sein würde. Sein Bild von Ihr würde keinen Schaden nehmen.

Belfionn blickte Sina fragend an:” Verlobte?” Im Inneren seines Herzens brach alles zusammen und er fragte Rahja, ob es ein Spiel mit seinen Gefühlen von ihr sei. “Dann hast du dich also schon entschieden, Sina. Wenn das deine Wahl ist, dann wünsche ich dir alles Gute. Falls du dich anders entscheiden solltest, dann findest du mich bei Dorcas.” Belfionn drückt ihr den Stein wieder in die Hand und entfernt sich von dem Paar.

Sina hielt Aureus Hand fest, sie hatte niemandem weh tun wollen, aber sie hatte sich dem Geweihten auch nie versprochen. Nein, sie war nicht so kalt, wie ER, der Bannstahler, der die arme Andesine schändlich enttäuscht hatte. Vielleicht hätte Belfionn ihr gefallen? “Aureus, ich wollte ihm nicht weh tun, aber er hat das falsch interpretiert.” “Das weiß ich doch. Und er wird es auch wissen, doch jetzt braucht er etwas Zeit. Wenn Du willst können wir mit Rahjel sprechen, dass er mit Belfionn redet. Wie wäre das?”

“Du meinst, er wird Rahjas Rat brauchen und , na er ist ja ein Bruder im Glauben, das könnte helfen.” Kurz kaute sie auf der Unterlippe. “Er wirkt etwas...emotional instabil, aber ich kenne ihn ja kaum. Wir sollten den Tag abwarten, der arme Rahjani wird noch viel zu tun haben…”

“Ich finde eher, er trägt es mit Fassung. Das spricht doch für ihn. Aber, Du hast recht, wir sollten warten.” Er lächelte traurig, wusste er doch zu genau, wie dem Geweihten gerade zumute war. “Sein Herz wird wieder heilen.”

***

Elvrun konnte es noch immer nicht glauben. Ihr Herz schlug noch immer höher. Sie betete inbrünstig zu Travia, dass ihre Base Gelda kein Problem werden wird. Als sie mit Nivard an der Hand auf die Festwiese trat, fühlte sie sofort die Augen der Gäste auf sie. Wie es schien, gab es schon einen Anlaß für die zurückgebliebenen Gäste, ein Pärchen zu beglückwünschen. Zu ihrer Überraschung sah sie ihre Base Durinja mit dem Bannstrahler Linnart am Arm. Ihre Mutter Maura war die erste die ihr zuwinkte, den misstrauischen Blick den sie Nivard zuwarf, konnte sie nicht verbergen.

Nivard konnte seine Aufregung nur schwer verbergen. Jetzt galt es, ihren Müttern zu eröffnen, dass Elvrun und er sich gefunden hatten, und vor allem Maura von Altenberg um ihren Segen für ihre Verlobung zu bitten. Er hatte in den letzten Wochen erfahren dürfen, dass ihm jene durchaus wohlgesonnen gegenüber stand, aber ihm war ebenfalls bewusst, dass nach seinen unverhohlenen Bemühungen um Gelda in den Tagen seit der Jagd in Nilsitz die Wendungen des heutigen Tages... wenigstens erklärungsbedürftig erscheinen mochten. Er konnte ihr Glück ja selbst nicht fassen. 'Aber die gütige Mutter Travia würde niemals so grausam sein, dieses Glück, zu dem sie selbst den Weg gewiesen hatte, an einer liebenden Mutter zerbrechen zu lassen.' machte Nivard sich Mut. Sanft drückte er Elvruns Hand und blickte ihr nochmals lächelnd in die Augen, dann schritten sie auf Maura zu. Wo war seine Mutter?


Etwas abseits stehend hatte Celissa von Tannenfels der ersten Verlobung beigewohnt - ein prächtig anmutendes Paar waren sie ja, der Bannstrahler vom traurigen Stein und Durinja von Altenberg. Aber weder der Schwiegersohn noch die Schwiegertochter, die sie sich selbst erhofft hätte. Ob ihre Kinder bereits jemand passenden kennengelernt hatten? Sie ließ ihren Blick suchend schweifen.

Kam da nicht gerade Nivard, mit einer jungen Dame an der Hand? Zu ihrer Verblüffung erkannte sie diese als eindeutig nicht jene Gelda, um die ihr Sohnemann so unbedingt werben wollte. Neugierig trat sie aus der Gruppe heraus und kam dem jungen Paar einige Schritt entgegen.

"Mutter!" begrüßte Nivard sie, nachdem dieser Elvrun zu Celissa geführt hatte, "darf ich Dir Elvrun vorstellen? Die Edle Dame Elvrun von Altenberg. Elvrun, ich freue mich, Dich mit meiner Mutter bekannt zu machen..." eher er noch etwas förmlicher "Ihrer Wohlgeboren Celissa von Tannenfels, der Edlen von Tannenfels." hinterherschob - er wollte, ja er durfte gleich nichts, rein gar nichts falsch machen. Und am besten sofort damit beginnen, nichts falsch zu machen. Erneut suchte er den Blickkontakt mit Elvrun, eher er seiner Mutter ganz direkt eröffnete:

"Elvrun und ich, wir haben durch der gütigen Mutter Wirken zusammengefunden,und nun ist es unser innigster Wunsch, den Bund vor Travia einzugehen!"

Celissa musterte die Novizin derweil in einer Mischung aus Neugier und Nachdenklichkeit. Die Art, wie Elvrun und Nivard sich bereits auf dem Weg zu ihr angesehen hatten und es auch jetzt taten, ja ihre Hände hielten, sagten ihr, was sie wissen musste. Und dass es eine Dienerin Travias war, auf die die Wahl Nivards gefallen war, stimmte sie ebenfalls freudig. Die junge Frau strahlte auch auf sie eine Güte und Wärme aus, die sie ihren Sohn verstehen ließ. Und hübsch war sie noch dazu. Den plötzlichen Sinneswandel musste er ihr dennoch erklären - später und unter vier Augen...

Celissas Nachdenklichkeit gab einem warmherzigen Lächeln Platz und jede Härte, die ihr die Jahrzehnte ins Gesicht geschliffen hatten, verschwand für den Moment aus ihren Zügen. "Ich bin sehr erfreut, Euch kennenzulernen, Elvrun von Altenberg!"

Elvrun wartete anständig, bis Nivard sie vorgestellt hatte. Zumindest hatte sie ihre Angst vor eine Ablehnung verloren, als sie Celissas warmherziges Lächeln sah. “ Die Freude ist auch meinerseits. Es ist ein Segen der gütigen Mutter, das ich Eurem Sohn begegnet bin. Und ich muss gestehen, seine Lieder haben ihren Weg direkt in mein Herz gefunden.”

Nun gesellte sich auch Maura von Altenberg dazu, der das Paar ebenfalls nicht entgangen war. Überrascht schaute sie den Krieger und ihre Tochter an. Es war dann an Elvrun das Gespräch zu übernehmen. “Oh, euer Wohlgeboren, das ist meine Mutter, die gelehrte Dame und Doctora Maura von Altenberg!” Dann drehte sie sich zu ihrere Mutter. “Nivard hat um mich geworben und ich habe … ja gesagt!” Mit glänzenden Augen versuchte sie ihre Mutter einzuschätzen. Maura unterdessen zählte bis Drei und atmete dann wieder. Dann strahlte sie und öffnete ihre Arme. “Bei Travia, das ist ja wunderschön!” Sie umarmte ihre Tochter und küsste sie auf die Wangen. Dann umarmte sie auch den Krieger. “Junger Mann, ihr habt mich getäuscht mit euren Absichten. Ich war gefasst euch in meiner Familie zu begrüßen, doch dachte ich nicht eure Schwiegermutter zu werden!” rügte sie ihn und gab auch ihn ein Kuss auf die Wange. Dann drehte sich Maura zu Celissa um. “Nun, was sagt ihr euer Wohlgeboren?”

“Heute ist ein Tag großer Freude für uns - ich bin sehr, sehr glücklich, Eure Tochter… Euch, Elvrun, in unserer Familie begrüßen zu dürfen” - ihr Blick wanderte dabei von Maura zu Elvrun und wieder zurück - “und unsere Häuser über unsere Kinder verbunden zu wissen.” Nach diesen Worten ging sie langsam auf Maura zu und umarmte zuerst diese in der gebotenen Behutsamkeit, ehe sie Elvrun und Nivard gemeinsam fest an sich drückte. “Und die Überraschung über die Absichten meines Sohnes ist auch ganz meinerseits, gelehrte Dame!” merkte sie danach mit einem leichten Grinsen und einem Seitenblick in Richtung Nivard an.

Dieser war innerlich noch ganz geschafft von der inneren Anspannung, ob ihre Mütter sie wohl gegenseitig annehmen würden, strahlte nun aber vor Glück und Erleichterung über den Segen Mauras für Elvrun und ihn und die herzliche Aufnahme, die ihre Verlobung gefunden hatte. “Die gütige Mutter hat mir erst heute offenbart, zu wem ich wirklich gehöre.” Er sah dabei Elvrun in die Augen. ”Aber nun bin ich der glücklichste Mann auf dem ganzen Derenrund!”

Zu Maura gewandt fuhr er fort: “Und ich werde immerzu alles daran setzen, Eurer Tochter ein guter Gemahl zu sein und sie glücklich zu machen, das gelobe ich Euch, mit all meinem Herzen!”

Elvrun drückte seine Hand und winkte dann ihren Oheim näher. Vater Winrich war schon von der ersten Verkündigung einer Verlobung in Hochstimmung, als er aber dann seine Nichte mit Nivard sah, konnte er nicht mehr an sich halten. Tränen kullerten ihm die Wangen hinunter. “Oh heilige Mutter, du hast unsere Gebete erhört. Elvrun und Nivard, es macht mich sehr glücklich.” Er umarmte die beiden.

Der frisch verlobte Krieger war sichtlich ergriffen und dankbar dafür, dass sich Vater Winrich ebenfalls so aufrichtig mit ihnen freute. Mit einem stillen Lächeln und einem Strahlen in den Augen nahm er dessen Umarmung entgegen und zeigte ihm, der daran mitgewirkt hatte, dass Elvrun und er zueinander gefunden hatte, nochmals seinen Dank.

Auch Celissa staunte und war insgeheim nicht nur ein bisschen stolz darüber, wie wohlgelitten ihr Zweitgeborener bei den Altenbergern zu sein schien. Sie hätte es kaum zu hoffen gewagt, dass diese Brautschau eine so wunderbare Entwicklung nehmen würde, und war sehr angetan von der Wahl ihres Sohnes. Sie fasste Vertrauen, dass Travia Nivard nicht nur mit Frau und baldigem Nachwuchs beschenken möge, sondern ihren Jungen durch diese auch zu Sesshaftigkeit und Einnahme eines gebührenden Platzes in den Nordmarken motivieren würde. Schöner hätte sie selbst es niemals arrangieren können.

"Ein wunderhübsches Paar geben sie ab, die beiden, nicht wahr?" merkte sie in Richtung Mauras an. "Ich freue mich bereits sehr, Elvrun und Euch gleich näher kennenzulernen. Ihr selbst scheint Nivard bereits länger zu kennen? Bislang hatte ich nur von seiner Freundschaft zu Eurem Sohn Elvan mitbekommen." “Wir haben uns in Nilsitz kennengelernt.” Sie griff nach einer Karaffe Wein. “Nennt mich Maura…” fing sie das Gespäch an. “Celissa...” lächelte die Tannenfelserin zurück und ließ sich nur zu gerne den Becher füllen, sich auf einen Plausch unter Müttern freuend.

In den Pavillons

Die verstreuten und meist von Rosenbüschen umgebenden Pavillons, waren alle gleich gebaut. Rund, umgeben mit Balustraden und Runddach, luden Bänke im inneren zum verweilen ein. Die Büsche und Rosenranken gaben ihnen eine romantische und verborgene Stimmung.

***

Sich am Arm des Bannstrahlers haltend, schritt Durinja und Linnart gemächlich auf dem weißen Kiesweg und zielten dabei einen der Pavillons an. Der Ritter war ein charmanter Begleiter. Er wählte ein angenehmes Tempo und seine Lippen zierte ein Lächeln. Als die beiden den Pavillon erreichten, drehte er die Zofe zu sich. “Ihr unterschätzt mich, Durinja …”, der Ausdruck auf seinem Antlitz war immer noch freundlich und charmant, “... und da Ihr meintet mich betreffend Eure Hausaufgaben gemacht zu haben, schmerzt mich dieser Umstand beinahe.”

Belustigend schaute sie ihn an. “Ich glaube nicht dass ich euch ´unterschätze´. Ich sehen eine große Zukunft in Euch, Linnart. So ihr das auch wollt. Aber ich denke, dass ihr mich unterschätzt.”

Er schüttelte seinen Kopf. Etwas zu energisch vielleicht. “Euch unterschätzen, nein …”, Linnart ließ ein Lächeln folgen, “... ich kenne Frauen wie Euch. Die wichtigste Frau in meinem Leben ist Euch sehr ähnlich. Sie hat mich aufgezogen und mir auch das Handwerkszeug mitgegeben, wie man am besten mit Frauen wie Ihr umgehen soll.” Der Bannstrahler machte eine bedeutungsschwangere Pause. “Doch habt Ihr etwas in Euch, das ihr gefehlt hat und immer noch fehlt. Ich sehe in Euch einen Ehrgeiz, der sehr selten ist. Das kann positiv sein … ich bin selbst ein sehr zielstrebiger Mensch, doch ist er in zu großen Dosen beizeiten auch destruktiv.”

Durinja lachte kurz. “Mein guter Linnart. Ich bin überrascht, dass ihr euch jetzt schon zu einem Urteil über mich hinreissen lässt. Ihr habt von meinem Ehrgeiz doch noch gar nichts zu spüren bekommen. Ich wäre dumm, jetzt schon zu viel zu wagen.” Sie schaute ihn an. “Ihr seid also wirklich ehrgeizig?” Lasst mich euch fragen, was stellt ihr euch für euren Namen, Haus und Familie vor? Wie soll eure Zukunft in den Nordmarken aussehen?”

Der Angesprochene überging ihre Fragen vorerst. “Wie meintet Ihr im Pavillon Eurer Familie? Die Frau von Dere hat Augen im Kopf …”, er schmunzelte, “... und der Mann von Dere ist mit einer annehmbaren Beobachtungsgabe gesegnet.” Linnart blickte in ihre einnehmenden Augen. “Es ist mir nicht entgangen, wem Ihr Eure Aufmerksamkeit schenkt und ich fühle mich geschmeichelt, dass Ihr mich als lohnenswertes Ziel auserkoren habt.” Kurz ging der Blick des Bannstrahlers dorthin, wo er den Rest der Gäste erwartete. “Nun zu Euren Fragen ... Könnt Ihr Euch noch erinnern, was ich Euch sagte? Ich kenne meinen Wert. Und nein, das war kein Ausdruck von Bescheidenheit. Ich bin hierher gekommen, weil mich meine Mutter und meine Schwester darum gebeten haben. Rahjalind zuliebe tat ich es, denn die Familie hat in meinen Augen einen sehr hohen Stellenwert, auch wenn unser Haus eher eine Fessel, denn ein wirklicher Antrieb für jedwede politische Ambition ist.” Abermals folgte ein Schmunzeln. “Ihr habt es richtig analysiert. Jung und politisch unbedeutend. Ich muss hier niemanden heiraten. In unserem Haus gibt es dahingehend keinen Zwang, die Freiheit ist uns das wichtigste Gut. Nein, wenn ich hier und heute entscheide, eine der hier Anwesenden zu ehelichen, dann wird das alleine meine Entscheidung sein. Und ich werde mich bestimmt nur der bestmöglichen Kandidatin versprechen. Und dabei spreche ich nicht vom klangvollsten Namen …”, Linnart schüttelte zur Bekräftigung seiner Worte seinen Kopf, “... nein, es geht mir einzig und alleine um die Eigenschaften, die die Frau in jene Verbindung mitbringen würde. Die Grenzen einer niederen Abstammung lassen sich mit Praios´ Hilfe durchbrechen. Auch seine Hoheit, unser geliebter Herzog, stammte gerüchteweise von Flusspiraten ab …”, er hob seine Schultern, “... nun strebe ich nicht nach solch hohen Zielen. Das tat mein Vetter … und Namensvetter … Linnart von Halberg und wurde dafür geächtet … oder meine Urgroßmutter Manola, die sich während der Answinkrise zur Gräfin von Elenvina ausrufen ließ … nein, ich möchte meine Familie als eine respektable Sippschaft etablieren. Man sollte bei unserem Namen nicht mehr an einen Gespielen Kaiserin´ Cellas oder an die Abkömmlinge eines unbedeutenden Rahjaheiligen denken.” Kurz ging der Blick des Ritters gen Alveran. “Eine Sache, die meinem Vater verwehrt blieb. Er war ein geachteter Kriegsheld und heiratete die richtige Frau … und dennoch hat er in dieser Hinsicht nichts erreicht.” Linnarts Augen nahmen ein seltsames Funkeln an. “Das ist mein Ziel und dafür möchte ich die richtige Partnerin finden. Ich kann keinen großen Namen bieten, auch gebieten wir nicht über tausende Schutzbefohlene. Die Herrin Rahja hat uns mit ertragreichen Weinbergen gesegnet, es wird uns nie an Gold fehlen. Schmuck … schöne Kleider … rauschende Feste … ja, eine Zofe wenn es sein muss … das kann ich meiner zukünftigen Partnerin bieten.” Er leckte seine Lippen. “Das und meinen Ehrgeiz, mein Pflichtbewusstsein und meine Loyalität …”, kurz strich seine Hand über Durinjas Oberarm und ihre Hüfte, doch ließ er sogleich wieder von ihr ab, “... und natürlich steht hier auch ein Mann voller Leidenschaft, der seine Frau mit jeder Faser seines Körpers begehren würde …”, er schüttelte seinen Kopf, “... und denkt Ihr, dass Ihr diese Frau sein könntet? Eine Frau, die mich stärkt, auf die ich mich verlassen kann und die mich ergänzt?” Fast schien es als würde seine Ausführung damit enden, als er noch einmal nachsetzte. “Ich denke, dass die hohe Dame von Wasserthal es wäre.” Ein seltsamer Weg, seine Rede zu beenden, doch war es berechnend. Linnart war ein Mann, der überzeugt werden wollte - er wollte den Kampfgeist sehen, den Charakter herauskitzeln und fühlen ob sie den Kopf in den Sand steckt, oder bereit dazu war, für das was sie wollte auch Opfer zu bringen - und sei es ihr Stolz.

Durinja hörte aufmerksam zu. “Gut, dass ihr eure Beobachtungsgabe hier benutzt. Aber wenn es um euer Urteilsvermögen geht, gibt es noch einiges zu lernen.” Jetzt wurde sie sehr ernst, wären sie mit ihm den Pavillon betrat. “Eure Mutter hat gut getan euch hierher zu schicken und ich bin mir sicher das ihr sehr wohl klar war, dass ihr eine Heirat nicht benötigt. Solche Veranstaltungen sind dazu da, Bündnisse zu schließen. Aber auch hier ist ein geschicktes Handeln von Nöten, denn es entscheidend sich schlußendlich über Freund und … Feind. Und wie ich heraus höre, wollten eure Eltern das Haus vom Traurigen Stein aufstreben lassen und einen besseren Ruf erlangen. Und da liegt die Hoffnung auf euch.” Nun setzte sie sich auf die Bank und schaute ihn von unten nach oben an. “Fast hätte ich gedacht ihr sprecht von mir, den all das was ihr euch wünscht erfülle ich und wünsche mir ebenfalls. Doch mit der Wahl der Wasserthalerin liegt ihr absolut falsch.” Mit Nachdruck zog sie ihn zu sich auf die Bank. “Die gute Andesine mag herzlich sein, ein verstecktes Feuer sogar. Aber ihre Ambitionen hören aber auch schon dort auf. Ein Heimchen. Ihr werdet es schwer haben, die Position eures Hauses zu verbessern. Der Ruf mag vielleicht sich verbessern … wenn dann die traviagefälligen Werte der Gemahlin übernehmen.” Durinjas Hand blieb auf seinem Oberschenkel liegen. “Und versteht mich nicht falsch. Ihr seid kein ´Ziel´. Ihr seid eine Möglichkeit, für beide Seiten. Aber sicher hab ich auch mein Auge auf jemand anderes, falls ihr diese nicht erkennt.” Ihr Ton wurde wieder lieblicher.

“Bestimmt habt Ihr das …”, pflichtete Linnart ihr bei, “... Frauen wie Ihr es seid, würden nie alles auf eine Karte setzen.” Er maß ihre schlanke Hand auf seinem Oberschenkel mit einer hochgezogenen Augenbraue, ließ sie aber liegen. “Doch schätzt Ihr die Situation in meiner Familie etwas falsch ein. Mutter …”, es schien als würde der Bannstrahler nach den richtigen Worten suchen, “... sie würde nicht zulassen, dass Andesine ihr das Heft aus der Hand nimmt. Oder Ihr … wiewohl ich denke, dass sie in Euch die größere Bedrohung sehen würde.” Er hob beschwichtigend seine Hand. “Das Leben in unserer Familie ist voller Herausforderungen, gepaart mit einer gehörigen Portion an Sturheit und leidenschaftlichen Streitereien. Mutter ihres Einflusses zu entheben wäre eine große Aufgabe meiner Zukünftigen. Ich bin im Kloster … das liegt nur ein halbes Stundenglas firunwärts unseres Landpalazzos, doch wird es mir nicht möglich sein ständig an der Seite meiner Frau zu sein. Sie muss sich durchsetzen können - auch alleine.” Kurz kaute der Ritter an seiner Unterlippe. “Andesine … mein erster Eindruck von ihr war … sie war so rein und gütig … brav wäre man fast gezwungen zu sagen … doch hat sie mir inzwischen auch etwas von dem Feuer gezeigt, das nötig wäre.” Linnart blickte Durinja in die Augen. “Ihr sagtet, dass Ihr mir diese Frau sein könntet, nach der ich mich sehne. Woran macht Ihr das fest? Was habt Ihr bisher für Erfahrungen gesammelt und wie würdet Ihr mir helfen können?”

Sie strich mit ihren Fingernagel sacht seinen Oberschenkel nach oben, hob dann aber wieder ihre Hand. “Eines solltet Ihr euch abgewöhnen, Linnart. Ihr vergleicht mich ständig ´mit Frauen wie Ihr es seid´. Erstens gibt es keine Frau, wie ich es bin. Zweitens, ich kann mir nur vorstellen, was Ihr damit meint und ich hoffe Praios hört Euch dabei nicht zu.” Sie drehte sich ein wenig weg, fasste sich dann aber wieder an ihre linke Brust. “Ich denke schon, dass ich eure Mutter gut einschätze. Mir würde es nie einfallen in ihre Quere zu kommen, mehr noch eine Verbündete zu sein. Aber um es auf den Punkt zu bringen:Iihr und eure zukünftige Gemahlin sind die Zukunft eures Hauses.” Durinja blickte ihn wieder mit ihren zweifarbigen Augen an. “Ihr könnt euch bei mir bedanken. Nur durch mich hat Andesine einiges durchscheinen lassen. Aber im Gegensatz zu ihr, brauch ich niemand der mich reizt, um zu offenbaren, wer ich bin. “ Dann griff sie nach einer seidigen Strähne ihres Haares. “Woran ich das festmache? Euer Gedächtnis ist kurzweilig. Erstens habe ich Augen im Kopf, zweitens habt ihr mir gerade erzählt was ihr möchtet. Und da treffen sich unsere Interessen.” Nun spielte sie mit der Strähne. “Und noch etwas. Ihr solltet herausfinden, wie die Wasserthalerin zu Rahja steht. So wie ich euch einschätze strebt ihr nach Travias Tugend der Treue, doch glaube ich nicht, dass ihr eurer Hausgöttin entsagen könnt. Mit ist das durchaus bewusst, und ich würde mich an kleinen Abenteuern eurerseits nicht stören.”

Linnart schüttelte daraufhin knapp sein Haupt. “Nein, dem kann und will ich nicht entsagen …”, bestätigte er, “... in unserer Familie ist der Glaube fest verwurzelt, dass Rahja uns in Person meines Urahnen erwählt hatte und ich denke, dass ein jeder Angehörige meiner Familie die Göttin in sich fühlt. Auch wenn man, wie ich, dem Gleißenden dient. Treue wäre für mich jedoch dennoch schön - da mag ich mich dann doch vom Rest meiner Familie unterscheiden. Wie Andesine dazu steht, weiß ich nicht. Ich hatte sie etwas früher am heutigen Tag mit meiner Zuneigung verschreckt …”, kurz hing der Ritter noch einem Gedanken nach, dann blickte er der Zofe in ihre einnehmenden Augen, “... was meine Mutter betrifft …”, er lächelte, “... Eure Worte in der Götter Ohren. Ich kann nur einem jeden und einer jeden viel Glück wünschen, wenn Adda sich in ihre Dinge hinein gepfuscht fühlt. Aber gut …”, Linnart ließ eine wegwerfende Handbewegung folgen, “... alles zu seiner Zeit. Erzählt mir doch von Eurer Familie. Euer Bruder ist auch hier, wenn ich mich recht erinnere.” Bei ihrer Vorstellung war sie in Begleitung eines jungen Mannes ins Rondeau gegangen, doch hatte er ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt.

“Gut das ihr fragt, ihr wolltet ja um meine Erfahrungen wissen.” Durinja ließ die Strähne fallen. “Die Altenberg sind eine Ministeralienfamilie und dementsprechend in der Bewegung und Kommunikation des Herzogtums integriert. Meine Großmutter und mein Onkel sind respektierte Angehörige der Traviageweihtenschaft, meine Tante Prianna hat starke Bindungen zur Praiosgeweihtenschaft. Mein Oheim Hamar ist der erste Kammerdiener in der Kanzley für Handel und Wandel. Mein Vater ist ein Rechtsgelehrter und mein Bruder ebenfalls. Ich selbst diene der Baroness von Immergrün, eine Botschafterin des Reiches mit besten Verbindungen im Adel. Ich denke, dass alles spricht dafür, das ich eine gute, aber harte Schule hinter mir habe.”

Der junge Ritter nickte ihr zu. “Harte Schule … ja wohl wahr, aber diese zahlt sich im späteren Leben stets aus. Auch ich ging, wie Ihr Euch wahrscheinlich denken könnt, durch eine sehr harte Schule im Orden. Im Kloster St. Aldec waren Abschriften, Gebet, Waffenübungen, Unterricht in der Rechts- und Magiekunde, sowie Züchtigungen mit dem Rohrstock an der Tagesordnung.” Er lächelte. “Aber es hat sich ausgezahlt. Es hat mich zu dem gemacht was ich jetzt bin. Ich diente bereits in Beilunk unter der Fürst-Illuminata und war bei meiner Erhebung in den Ritterstand der jüngste im Orden aus St. Aldec seit gut 60 Götterläufen. Der Abt hatte sogar anmerken lassen, mir demnächst den Titel als Cellerers zu verleihen, um mir mehr Verantwortung innerhalb von Orden und Kirche zu übertragen. Es spricht auch für Euch, dass Ihr nicht mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund aufgewachsen seid und Euren Weg gehen musstest.” Er wandte sich Durinja zu und musterte sie. “Ihr habt mir einiges zu denken gegeben … hohe Dame ... Ich bin ehrlich mit Euch, ich habe mich von Anfang an zu Euch hingezogen gefühlt …”, Linnart grinste, “... nein, das heißt nicht, dass ich Euch willenlos verfallen wäre. Ihr habt nur, als einzige der hier anwesenden Werberinnen, eine Ausstrahlung, die mir auch in der Vergangenheit stets zugesagt hat.” Der Ritter erhob sich von der Bank und bot der Zofe galant seine Hand an. “Nun beschleicht mich jedoch das schlechte Gewissen, Euch vom Protokoll und den anderen … Alternativen … zu meiner Person fernzuhalten.” Sie griff seine Hand und stand auf, ohne dabei nicht zu vergessen, so dicht vor ihm zu stehen, dass nur eine Feder dazwischen passen würde. “Ich hoffe doch, dass ihr mir nicht willenlos verfallen seid, das wäre doch sehr langweilig.” Dann öffnete sie ihre Lippen und näherte sich die seinen.

Sie konnte spüren, dass er tief durchatmete, dann fühlte sie seine Hand, die sanft ihren Hals entlang strich und sich um ihren Nacken legte. Es folgte ein kurzer, aber heftiger Kuss, bei welchem der Ritter nicht dem Einsatz seiner Zunge sparte. So schnell dieser Sturm der Zuneigung über sie kam, so schnell war es auch wieder vorbei. Als sich Linnart von ihr löste, schien es kurz so, als stünde ihm der Schreck in den Augen. Schreck über seine in diesem Moment fehlende Selbstbeherrschung. Ja, das Blut in seinen Adern geriet schnell in Wallung, doch klarte sich sein Antlitz schnell wieder auf und er ließ ein verschwörerisches Zwinkern folgen. “Gehen wir?”, fragte er in tiefem Ton und bot ihr seinen Arm dar.

Erst jetzt spürte er dass leichte Brennen an seinem Hals, der feine Kratzer den ihr Fingernagel , während des Kusses hinterließ. Durinja blicke ihn mit einem leidenschaftlichen Blick an. “Lass uns gehen.”

***

Der Schreiber Elvan und die Rahjanovizin Rahjalind liefen ein Stück in den Park hinein. Als sie beide alleine waren, steuerte er den Pavillon hinter dem Küchenzelt an. Er ging ihre Worte noch einmal in Gedanken durch. Elvan wußte was sie meinte. Die Gefühle Männer gegenüber waren stärker als zu Frauen, doch sie konnte seine Situation nicht nachempfinden. Sicher steht die Liebesgöttin für freie Gefühle, aber lässt sie jeglichen Stand und Verpflichtung außer Acht.

Seine Familie folgt den Geboten Praios und Travia, Rahja hatte da nur ein wenig Platz. Er war hier, um diesen ewigen Druck zu beenden. In dem er einen Ehebund eingehen würde. Aber abgesehen von seiner eigenen Situation, fühlte er, dass da mehr war, aber von ihrer Seite aus.

Elvan setzte sich mit ihr hin und nahm ihre Hand in seine. “Danke das ihr euch Sorgen macht, Rahjalind. Aber seid ihr sicher das es um mich geht? Ich kann verstehen, dass die Erwartungen an euch hoch sind, und die Geweihten vor eurer Weihe ein Auge auf euch haben. Ich kenne das von meinen Schwestern. Vorn meiner ältesten wird auch heute noch sehr viel erwartet. Und Elvrun hat nächstes Jahr ihre Weihe zur Geweihten der Travia. Jemand hat euch gesagt ihr würdet Menschen quälen? Wenn ihr reden möchtet, ich kann nur eure Worte zurück geben und euch meinen Beistand anbieten.” Verständnisvoll schaute er sie an.

Rahjalind schob daraufhin ihre Augenbrauen zusammen. ´Hatte der Mann gerade das Thema gewechselt …´, dachte sie bei sich und einen kleinen Teil in ihr schien diese Tatsache zu amüsieren. Sie lächelte ihn breit an. “Wisst Ihr warum ich der Göttin diene, Elvan …”, die Novizin wartete keine Antwort ab, “... um mich in den Dienst der Menschen und der Liebe zu stellen. Ich nehme mir nicht heraus, dass ich über den anderen stehe und genau deshalb fehlt mir auch der Antrieb all mein Handeln dem Ziel unterzuordnen, mich unbedingt vor meinen Kirchenoberen profilieren zu müssen.” Sie machte eine kurze Pause und schüttelte dabei ihr Haupt. “Nein, die Herrin soll entscheiden, sie soll mich prüfen … alleine sie weiß wie sehr ich sie liebe und bereit bin ihr alles unter zu ordnen.” Der Blick der jungen Rahjadienerin löste sich von ihm und ging in weite Ferne. “Rondradin von Wasserthal meinte, ich würde ihn quälen …”, plauderte sie dann los, “... ich wollte ihn dazu ermutigen für sich und seine Liebe zu kämpfen. Er war unglücklich und bereit dazu sich in eine Rolle zu zwingen, die er tief in sich nicht wollte.” Rahjalind schmunzelte. “Ich war dabei wohl etwas zu unnachgiebig, aber es scheint so als hätte er es sich zu Herzen genommen. Die Liebe findet immer einen Weg, Elvan … egal wie aussichtslos es scheint. Ihr müsst sie nur in Euer Herz lassen.” Nun lagen ihre großen grünen Augen wieder am Antlitz des Kalligraphen. “Und dort wo Rahja eine Türe schließt, öffnet sie oft auch eine neue … Eure Base Elvrun scheint sich gut mit dem hohen Herrn Nirvad zu verstehen. Ich habe die beiden vorhin gemeinsam flanieren gesehen. Noch vor einem halben Stundenglas stand ich mit ihm im Stall und versuchte ihn davon zu überzeugen, das Fest nicht zu verlassen.” Abermals folgte ein Lächeln. “Und nun könnt Ihr mir ja sagen wie ich Euch helfen kann.”

“Es schien fast so, dass euch die Worte Rondradins getroffen hätte. Aber so wie es sich anhört, habt ihr alles richtig gemacht.” Er lächelte. Und er wußte nun, was mit Gelda, Nivard und Rondradin los war. Ein bisschen wehmütig dachte er kurz an den jungen Krieger, aber freute sich dann für seine Schwester. “Aber wie ich schon sagte, es gibt nichts wo ihr mir helfen könnt. Obwohl”, Elvan machte eine kurze Pause,” vielleicht könnt ihr mir eine Wahl einer Braut helfen. Was glaubt ihr wer zu mir passen würde?”

“Natürlich …”, ging Rahjalind kurz auf erstere Bemerkung des Altenbergers ein, “... wer hört denn schon gerne, dass er in seiner Aufgabe für die Göttin andere Menschen bloß quält? Liebe tut nun auch schon einmal weh - das gehört dazu, eben weil es so ein intensives Gefühl ist und wir uns damit selbst so verletzlich machen.” Dann musterte die Novizin ihr Gegenüber eingehend. “Ich darf ehrlich zu Euch sein …”, sie wartete keine Antwort ab, “... der hohe Herr von Baldurstolz vergöttert Euch und ich habe auch die Euren Blicke bemerkt. Ich denke, dass er der Richtige wäre.” Sie lächelte. Elvans Gesicht brannte. Ja, sie wollte es nicht gehen lassen. “Leider ist er das nicht.”, erlaubte er sich die ehrlichen Worte. “Liebe ist etwas, das mit vertrauen kommt. Ich kenne den Ritter kaum. Und Begehren und Lust hat damit … heute … nichts zu tun. Ich suche eine Frau, mit der ich ein Bund eingehen kann. Kein Mann.” Nun war er ganz ernst.

Die Novizin zog eine Augenbraue hoch. “Ihr würdet es mir vielleicht nicht zutrauen, hoher Herr, aber der kleine aber feine Unterschied, den Ihr eben angesprochen habt, ist mir sehr wohl bekannt.” Ihr Blick schien für einen Moment wieder in weite Ferne gerichtet zu sein. “Ihr habt mir eine Frage gestellt und ich habe sie Euch beantwortet. Und ich weiß um Euer Ansinnen, dass Ihr eine Partnerschaft und keine unbedeutende Liebschaft sucht. Aus dem Blick des Herrn Vitold sprach so viel mehr als bloße Lust und Verlangen. Ihr hättet ihn sehen müssen als er sich von Euch zurückgewiesen fühlte … was ich in seinen Augen sah war Erschütterung und Trauer und nicht die Wut eines verschmähten Liebhabers.” Ihr Blick fiel zurück auf den Kalligraphen. “Wenn Ihr eine Frau sucht und wollt … dann seid bitte von Anfang an ehrlich betreffend Eurer Absichten. Ihr seid ein begehrenswerter Mann … auch für die Damenwelt. Macht keiner davon Hoffnungen, die Ihr dann nicht bereit seid zu erfüllen.”

Elvan stand auf. “Wollen wir weiter spazieren?” fragte er. Das sitzen mit ihr machte ihn nervös. Der Tharf zeigte noch immer Wirkung. Seine Gedanken kreisten um leidenschaftliche Küsse. Es war schwer, so ein ernstes Gespräch zu führen.

Als Antwort folgte ein Lächeln. “Sehr gerne, hoher Herr, wiewohl ich Euch nicht von den anderen Damen fernhalten möchte.” Sie hakte sich bei ihm ein und war gespannt wo er sie nun hinführen wollte. Den etwas skeptischen Gesichtsausdruck bei ihren letzten Worten konnte der Altenberger nicht vernehmen.

***

Roklan von Leihenhof war froh, sich endlich vom Tisch lösen zu können und den Park zu genießen … und ein Auge auf seine Verwandten zu haben. Er lief eine Weile über den schönen, weißen Kiesweg und steuerte ein Pavillon an, in welchem eine einsame Gestalt stand und seinen Blick über das wogende Blütenmeer schweifen ließ. Er war in Gedanken versunken und wandte den Neuankömmling den Rücken zu, so dass er ihn nicht kommen sah. ´Ist das nicht Vitold von Baldurstolz?´ Der Baron erinnerte sich, wie leidenschaftlich er den jungen Altenberger beim Tisch der Rahja geküsst hatte. Natürlich war ihm das nicht entgangen. Roklan kannte die Sorte Mann gut. Er gehörte selbst dazu. “Ist das nicht ein herrlicher Ausblick, Baldurstolz?” sprach er den Ritter an.

Überrascht wandte sich der Ritter um:”In der Tat, das ist es, Euer Hochgeboren.” Er lächelte und nahm Haltung an. “Was kann ich für Euch tun?”

“Entspannt euch, Ritter Vitold. Ich bin nur zufälli -g vorbei geschlendert. Wie sagt man so schön … wohin Rahja mich führen wollte.” Er zwinkerte ihm zu und ließ einen genaueren Blick zu.

Gerade die dreißig Götterläufe überschritten trug Roklan sein volles, braunes Haar kurz, auf dem die Baronskrone ruhte und seine Wangen waren frisch geschabt. Die klaren, braunen Augen, die etwas längliche, gerade Nase und das ausgeprägte Kinn gaben ihm etwas aristokratisches. Um den Hals trug er ein Schlangenhalsband aus Messing, das ihn als Consor der Hesinde-Kirche auswies. Sein teurer Brokatwams war in Grün- und Blautönen und das Wappen Galebquells, ein goldener, rechts stehender Widder auf blauen Grund, zierte auf seiner Herzseite. “Keine Dame von interesse?” fragte der Baron neugierig.

Der Baldurstolzer musterte Roklan von oben bis unten, bevor er antwortete:”Es ist nicht mein Wunsch mir eine Braut zu suchen. Vielmehr wünscht mein Baron einen legitimen Erben für mein Gut. Und ich fürchte, er wird es mir nehmen, wenn ich mich nicht darauf einlasse.” Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:”Außerdem, habe ich mich verliebt.”

Der Baron seufzte. “Es ist nunmal Praios Wille, das die ´Struktur´ erhalten bleibt. Und es ist nur das Wohlwollen eures Barons, dass er euer Haus weiterhin an dieser Stelle sehen möchte. Und es ist Travias Wille es mit einer Familie zu erhalten. Doch ich verstehe das Rahjas Wille oft ein andere ist. Aber ich kann euch versichern, es ist möglich, allen dreien gerecht zu werden.” Roklan lächelt ihn wissend an.

“Wie soll das gehen?”, fragte der Baldurstolzer und seine Augen zeigten Verzweiflung,”ein Traviabund entspricht einem Eid. Und ich breche keine Eide. Weder vor Menschen und erst recht nicht vor den Göttern!” Er atmete tief ein und schluckte offenbar seine Wut herunter:”Ich bin nur ein Mensch, ich kann nicht mehreren Herren dienen.”

“Ich bin an dem mir angestammten Platz Praios und bin im Traviabund mit meiner schönen Gemahlin Jileia. Ich bin ihr treu, wie ich es vor Travia geschworen habe. Aber die Göttin Rahja ist mir ebenfalls wichtig. Jileia weiß das und wir kamen zu einer Übereinstimmung. Da ich ihre Erlaubnis habe, wird auch kein Eid gebrochen.” Ein leichter anzüglicher Blick bahnte sich in die Augen des Barons. “Aber, falls dass für euch unmöglich ist Nachkommen zu zeugen, es gibt immer noch die Möglichkeit der Adoption oder einen Verwandten einzusetzen nach eurem Ableben.”

“Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Doch schätze ich meinen Baron so ein, dass er es nicht gestatten würde. Würde ich an höherer Stelle anfragen, könnte ich ihn mir zum Feind machen:” Ihm war der Blick nicht entgangen und er erwiderte ihn, überlegte, was er mit dem Leihenhofer alles anstellen würde. Doch musste er auch an Elvan denken und das Gefühl, dass er hatte, als jener sich von ihm abgewandt hatte. Sollte er es ihm heimzahlen? Auch, wenn das hier ein Rahjafest war und er ein freier Mann, würde der junge Schreiber dies sicher nicht gutheißen. Er biß sich auf die Unterlippe. Eine Geste, die ihn ungewollt verführerischer wirken ließ.

”Ich bin mir sicher es wird sich für euch fügen. Die Götter sind stets mit uns!” Optimistisch lächelte er. “Wollen wir ein wenig spazieren?” Der Baron machte eine einladende Geste.

“Gern”, lächelte der Baldurstolzer und schritt auf den Baron zu.

“Erzählt mir, Vitold. Wie steht ihr zu euren Baron? Wenn ich mich recht erinnere habt ihr auch einen weitere Verwandten mitgebracht.”, fragte während er mit dem Ritter weiter lief.

“Er ist mein Lehnsherr und ich sein treuer Vasall, warum fragt Ihr?” Vitold fand diese Frage ein wenig merkwürdig. “Reine Neugierde. Ist euer Verwandter schon versprochen?” “Ähm, Folcrad? Nein, der ist noch auf dem Markt. Käme er für eine Eurer Verwandten in Frage?” “Warum den nicht. Ich würde es sehr schade finden, Vitold. Er ist ja ungefähr in Lucastas Alter.”

“Er zählt nun schon sechzehn Lenze und macht sich bisher ganz gut. Er hat sich dem Orgilsbund angeschlossen und war bereits auf einem Feldzug”, berichtete Vitold nicht ohne Stolz.

“Das ist doch schon etwas. Wird er ein Erbe antreten? Lucasta steht die Würde einer Erbvögtin vor.”

“Sein Großvater hat ein Haus in Altenwein und ein kleines Feld. Vermutlich wird er es eines Tages erben, wenn sein Vater nicht mehr ist. Ich spiele aber schon länger mit dem Gedanken ihn zu meinem Erben zu machen, dann bliebe Hinterwald zumindest in der Familie.”

“ Wer spricht für Folcrad?” Er lächelte Vitold zuversichtlich an.

“Ich. Maldoram ist zwar das Familienoberhaupt, aber er ist krank und ich werde, an seines Sohnes statt, die Nachfolge antreten. Wenn Ihr also mit mir sprecht, so sprecht Ihr mit dem Hause Baldurstolz.”

“Sagt mir bescheid, falls ihr Interesse haben solltet und wir können die beiden zusammenführen und schauen, was meint ihr?”

“Interesse besteht durchaus. Falls es Eure Zeit erlaubt, könnten wir die Gelegenheit beim Schopfe packen. Wie wäre es morgen zur Traviastunde? Dann können sich die beiden kennenlernen.”

“Morgen? Wir sind heute bei einer Brautschau, dafür ist sie doch da. Wir können sie später zusammenführen.” Selbstzufrieden schaute er über die Lilienwiesen.

“Dann heute Abend also.”

***

Nach einer Weile des Spazierganges begegneten sich zwei Paare. Auf der einen Seite war es der Schreiber Elvan und die Rahjanovizin Rahjalind und auf der anderen der Baron Roklan und der Ritter Vitold. Ein leichtes Zucken fuhr dem Altenberger durch, als er Vitold sah. Auf der anderen Seite war es der Baron der anfing zu grinsen. “Schaut, Vitold. Ist das nicht der Altenberger und die Traurigsteinerin?

“Rahja zum Gruße, Euer Hochgeboren …”, freundlich knicksend begrüßte die Novizin erst den Baron, dann den Edlen neben ihm, “... Hoher Herr Vitold. Was für eine Freude. Wir haben gerade über Eure optische Ähnlichkeit zu unserem geliebten Herzog gesprochen.”

Der Ritter spürte wieder diesen Stich in seiner Brust und fühlte sich verraten. Doch wollte er wissen, wie sich die Situation entwickeln würde. “Rahja zum Gruße, Schülerin der Leidenschaft.” Er sprach zu ihr, doch blickte er Elvan unentwegt an.

Der seine Blicke beantwortete mit leichter Unsicherheit.

“Was haltet ihr davon ein wenig zusammen lustzuwandeln? Es gibt da eine Stelle im Park die man mir empfohlen hatte. Was sagt ihr?” schlug der Baron fort.

Rahjalind bedachte Elvan mit einem knappen Seitenblick. “Sehr gerne, Euer Hochgeboren”, nahm sie sich dann heraus für sich und den Schreiber zu antworten.

“Wunderbar!” Roklan hakte Rahjalind ein und ging mit ihr voran. “Schön euch kennenzulernen, Rahjalind. Ich konnte euch bis jetzt nur von weitem betrachten.” Er drehte sich kurz zu Vitold und zwinkerte ihm zu.

Elvan zuckte kurz mit den Schultern und ließ Rahjalind aus seinem Arm. Mutig gesellte er sich neben Vitold. “Schön euch wiederzusehen.” Er blickte ihn nicht dabei an, doch ein sanftes Lächeln zierte sein Gesicht.

Die Rahjadienerin störte sich daran nicht. Sie bedachte erst Vitold und Elvan mit einem Lächeln und wandte sich dann dem Baron zu. Erst hob sie ihre Schultern, dann zwinkerte sie dem Leihenhofer zu.

Der Ritter verlangsamte seinen Schritt und wartete bis der Abstand zwischen den Paaren größer war. Dann fragte er leise:”Warum, Elvan?”

“Warum, was?” verwundert fragte er den Ritter.

Der Baron von Leihenhof sprach weiter, gerade so laut, dass auch jeder der Flanierenden ihn hören konnte. “Die Heiter ist wahrlich unter uns heute. Und mich beschleicht der Verdacht, das es heute nicht jedem zuteil ist eine Braut zu finden, aber … dennoch einige die ihren Rausch und Freude erleben werden. Was meint ihr, Liebste?” Ein sinnlicher Blick traf die junge Frau.

“Mit dieser Annahme könnt Ihr richtig liegen, Hochgeboren …”, sie schmunzelte, “... ich bin schon froh wenn ich meinen Bruder hier heute unter die Haube bringe. Er hätte die harte Hand einer Frau dringend nötig. Und wie steht es um die Euren?”

Der Baldurstolzer spürte Zorn in sich aufsteigen. `Hatte er das eben ernsthaft gefragt?` “Deine Zurückweisung vorhin… Sie hat mich schwer getroffen.”

“Beruhigt euch, Vitold”, sagte Elvan mit gedeckter Stimme. “Ihr könnt nicht davon ausgehen, das jeder so … offen mit seinen … ihr wisst schon … umgeht. Ich habe sowas noch nie gemacht. Und”, flüsterte er weiter,” meine ganze Familie hat zu geschaut.” Wieder brannte Elvans Gesicht und hielt den Blick gesenkt.

Vitold seufzte: ”Glaubt Ihr wirklich für mich ist es leicht? Mein Baron ist hier. Er will, dass ich ihm einen Erben präsentiere, oder...vermutlich wird er mir mein Gut nehmen und es einem seiner `Freunde`überlassen. Sie werden gewiß nicht so gnädig mit den dortigen Bauern umgehen, wie ich. Und trotzdem habe ich mich verliebt. Seit wir uns dass erste mal sahen, geht Ihr mir nicht aus dem Kopf. Ich habe das noch nie gehabt.” Er blieb stehen und wandte sich dem Künstler zu. “Ich spüre, dass es richtig ist, Du nicht?”

Elvan schaute ein wenig skeptisch. “Wir kennen uns doch erst wenige Wassermasse. Aber ich kann euch vergewissern, ihr habt meine Zuneigung, Vitold.” Elvan war vorsichtig. Rahja war schnell, aber auch vergänglich.

“Genau das ist es ja, ich habe das Gefühl, als würden wir uns schon ewig kennen, als gehörten wir zusammen. Das habe ich bei keinem Menschen zuvor gespürt. Es...es zerreisst mich förmlich von innen und doch möchte ich den ganzen Tag nur jubeln.” Er blickte Elvan tief in die Augen. “Und das Ihr so zurückhaltend seid, weil Ihr Eure Familie nicht enttäuschen wollt, dass ...kann ich verstehen, aber...es ist ein Dolchstoß in mein Herz.”

Er entlockte ein Schmunzel in Elvans Gesicht. “Ihr müsst verzeihen und verstehen. Ihr seid kein dummer Mann, Vitold. Rahja ist anscheinend nicht so wild bei mir, wie bei euch. Aureus hat mir erzählt das er anscheinend ähnliches bei euch ausgelöst hat.” Nun schaute er ihm tief in die Augen.

“Aureus? Ihr meint Altenwein?”, er musste plötzlich herzhaft lachen und strich sich eine Träne aus dem Auge. “Nein, der war nur ein Appetithäppchen. Aber,” er wurde wieder etwas ernster,”er hatte den Mumm mich abzuweisen. Ich sehe ihn inzwischen als Freund und necke ihn ein wenig. Ich glaube, der braucht noch gelegentlich jemandem zu dem er aufsehen kann und der ihm zur Seite steht. Ihr hingegen seid etwas besonderes, einzigartiges.”

Nun war Elvans Lächeln aufrichtig. Wie durch ein Zufall berührten sich ihre Schultern.

Vitold war erleichtert und froh. Er nahm Elvan kurz in den Arm, wie es unter Freunden üblich ist. “Lasst uns noch ein wenig den Park geniessen.”

“Da wird sich bestimmt eine für ihn finden, er ist ja eine gute Partie. Wie sieht es mit euch aus? Welchen der Tugenden eurer Göttin verspürt ihr?” fragte Roklan.

Die Angesprochene wog ihren Kopf hin und her. “Naja, Ihr kennt meinen Bruder nicht … er hat das Talent dafür alles was ihm zwischenmenschlich gut tun würde zu zerschlagen … aber er hat hier jemanden kennengelernt, die ihm passen würde ...”, sie ließ ein Schulterzucken folgen, “... ich bin offen für alles und lege mich wie stets in die Hände der Göttin. Wenn sie wünscht, dass ich hier einen Ehemann finde, wird sie mir ein Zeichen senden.” Rahjalind musterte den Baron mit einem verstohlenen Seitenblick. Machte er ihr etwa gerade Avancen?

“Für alles Offensein. Das gefällt mir, Rahjalind. Ich bin mir sicher, ihr habt das heute schon unzählige male gehört: Ich seit eine schöne Frau wie eine Blüte die sich gerade geöffnet hat.” Mit sinnlich geöffneten Lippen schaute er sie an.

Sie kicherte vergnügt. “Nun nicht so oft wie Ihr denkt, Hochgeboren …”, sie blickte ihn von der Seite aus großen grünen Augen an, “... ich habe es jetzt genauso oft gehört wie den Hinweis, ich solle doch bitte aufhören die Menschen zu quälen.” Rahjalinds Blick wurde interessierter. “Sagt weiß Eure Ehefrau, dass Ihr junge Frauen mit Komplimenten überschüttet?” Der Ton war nur gespielt vorwurfsvoll. Es stellte für Roklan keine Herausforderung dar das zu erkennen.

Nun musste er kichern. “Es ist ja nicht irgendeine Frau. Es ist eine Dienerin der Lieblichen. Das ist ein großer Unterschied. Meine Jileia wäre enttäuscht wenn ich euch keines machen würde.” Dann blieb er stehen deutete auf einasden großen Schuppen. “Wir sind da, ich würde mir den gerne näher anschauen. Seid ihr dabei?” fragte Roklan einladend, schaute sich aber auch vorsichtig um.

Nun folgte ein glockenhelles Lachen. “Ein Schuppen, Euer Hochgeboren …”, fragte Rahjalind in deutlich vernehmbarem Ton, dann spielte sie mit einer Haarsträhne, “... ich würde Euch anlügen wenn ich meine, dass ich abgeneigt wäre … doch bin ich keine Milchmagd, die sich in einem Holzschuppen besteigen lässt.” Wieder spielte sie die Empörung und sie war gut darin. Das Augenzwinkern am Ende verriet sie dann doch noch. “Lasst Euch was einfallen, dann überlege ich es mir.”

Roklan lachte wieder. “Wer sagt das es um euch geht, meine liebe? Nun, es geht um ein Abenteuer und ich hoffe doch das die Liebholde mit uns ist.!” Der Baron ging voran und öffnete die Tür. Verschwörerisch schaute er alle an.

Rahjalind schob daraufhin skeptisch ihre Augenbrauen zusammen. “Was habt Ihr vor?”, wollte sie wissen. Normalerweise war sie für jeden Spaß zu haben, doch gänzlich unwissend wollte sie sich einer Situation dann doch nicht hingeben.

Elvan schaute Rahjalind und Vitold verwundert an, doch er glaubte an Autorität. ´Wenn der Baron ruft, ruft der Baron.´ Mutig schritt er zur Scheune.

Der Baron öffnete die die Knöpfe von seinem Kragen. “Die Liebholde ruft.”, war seine Antwort. Lustvoll schaute er den Schreiber an, dem er die Tür offen hielt. Derselbe Blick traf dann auch Rahjalind und Vitold.

“Ähm Elvan, dürfte ich Euch kurz sprechen, bevor wir dem Ruf des Barons Folge leisten?”

Er wartete kurz und schaute Vitold überrascht an.

Er flüsterte dem Jüngeren zu:”Ich denke seine Wohlgeboren möchte dort drinnen mit uns beiden Rahja huldigen. Möchtest Du das wirklich?”

Der Schreiber musste an einen Traum denken, den er erst vor kurzem hatte. Der Herzog und seine Ritter in einer Therme. Er wußte wenn er jetzt nicht die Gelegenheit ergreifen würde, würde er nie wissen, ob seine Gefühle richtig waren. Also nickte er nur.

“Also gut, ich passe auf Dich auf. Du musst nichts machen, was Du nicht willst.” Er lächelte sanft.

Die Skepsis war der Rahjadienerin nicht aus ihrem Gesicht gewichen. Beinahe hilflos wirkte sie in diesem Moment, während ihr Blick zwischen Roklan und den noch unentschlossenen Vitold hin und her ging. “Ähmm …”, sie öffnete ihre Mund, “... nein.” Ein Fluchtinstinkt bemächtigte die junge Frau. Rahjalind war dabei alles andere als Prüde aufgewachsen. Sie war eine Dienerin der schönen Göttin und ihre Familie veranstaltete regelmäßig Orgien … dennoch fühlte sich es gegenwärtig nicht richtig an. “Wenn Ihr meinen Segen braucht, gerne …”, langsam fasste sie wieder klare Gedanken, “... aber ich bleibe dabei. Kein Holzschuppen.”

Enttäuscht blickte er zurück. “So kann man sich täuschen, ich hatte auf eure Hilfe gehofft. Und soweit ich weiß gibt es keinen anderen Ort im Park, der vor fremden Augen schützt. Ich bin mir sicher das Rahja auch mit mir in einem ´Holzschuppen´ ist.” Er lächelte ihr nochmals zu, winkte Vitold und verschwand im Schuppen.

“Sonst immer gerne, Euer Hochgeboren. Mein Angebot für Euch steht …”, wiewohl sie dachte, dass dieses jetzt von seiner Seite aus hinfällig war, “... möge die Liebliche mit Euch sein … Euch Dreien.” Sie blickte den Männern noch ein paar Augenblicke lang lächelnd zu, dann machte sie sich auf den Rückweg zur Festwiese.

Der Ritter ging als letztes und verriegelte die Tür. Er wollte nicht, dass sie bei ihrer `Huldigung`gestört wurden.

Den Kater der Baronin von Schweinsfold sah er allerdings nicht, der sich im letzten Moment einen Weg ins Innere bahnte.

***


Rondradin folgte der Vögtin in den Park, vorbei an den Lilienfeldern und Rosenbüschen, bis sie schließlich einen einsamen Pavillon erreichten. Kurz sah er sich um ob auch wirklich niemand in der Nähe war, aber es schien tatsächlich so als ob sie allein wären. Der Geweihte trat etwas näher an die Junkerin heran, ohne ihr zu Nahe zu kommen. “Ich danke Euch für dieses Gespräch, Wohlgeboren.” Wie sollte er dieses Gespräch eröffnen? Auf dem Weg hierher hatte er verschiedene Eröffnungen im Geiste durchgespielt, aber eine mit der er zufrieden war, hatte ihm nicht einfallen wollen. Jetzt, da er vor der Mutter Boromadas stand, war sein Mund zudem staubtrocken. “Ich sollte vielleicht damit beginnen, dass es um Eure Tochter Boromada geht, welche derzeit in Rabenstein ihre Knappenzeit verbringt. Eins vorneweg, es geht ihr gut.”

´Aha, daher weht der Wind. Wollte er für einen Verwandten um die Hand ihrer Tochter werben?´ Alrike zog sich ihre schwarze Junkerstracht straff. “Stimmt. Mir wurde zugetragen das ihr beste Verbindungen ins Haus Rabenstein habt. Ich hörte von einer Verlobung. Ich nehme an ihr seit Boromada in Nilsitz begegnet? Nun, um was genau geht es? Redet ihr als Vertreter der Himmlischen, für den Baron von Rabenstein oder für euer Haus?” Ihr misstrauischer und mürrischer Blick war unverändert.

Er neigte anerkennend den Kopf. “Ihr seid gut informiert. Heute stehe ich als Vertreter des Barons von Rabensteins, der Baroness von Meilingen und des Hauses Wasserthal vor Euch. In der Tat habe ich Eure Tochter in Nilsitz kennengelernt. Ich hatte meinen Vetter, Palinor von Wasserthal bei mir, welcher gerade Knappe bei Durahja vom Berg ist.” Er schloss die Augen und atmete tief durch, bevor er weitersprach: “ Eure Tochter und mein Vetter lernten sich kennen und verliebten sich ineinander. Während der Knappenherr Eurer Tochter und ich selbst auf der Jagd waren, kamen sich die beiden näher und nun, wie soll ich es ausdrücken? Sie kamen überein ihre Unschuld gemeinsam auf Rahjas Altar zu opfern.” Damit war es raus, oder zumindest das, weshalb er hierhergekommen war. Der Brief brannte beinahe ein Loch in seine Tasche, jedenfalls fühlte es sich für ihn so an. Aber erst mal sollte die Mutter Boromadas dies verdauen.

Hätte Rondradin eine Reaktion der Junkerin erwartet, so musste es ihn enttäuschen nichts dergleichen zu bekommen. Aber trotzdem gab es etwas. Von nicht allzu weiter Ferne war das zornige Krächzen eines Raben zu hören. “Beide kamen also überein, die Unschuld meiner Tochter auf einem Altar der Lieblichen zu opfern.”, sagte sie trocken und ihre raubvogelartigen Augen zogen sich misstrauisch zusammen.

“Sie haben sich gegenseitig ihre Unschuld geschenkt.” Das Thema war Rondradin unangenehm, was durch den Blick der Vögtin noch verstärkt wurde. Auch das Krächzen des Raben trug nicht dazu bei das mulmige Gefühl im Magen zu verbessern. “Eigentlich kam ich her um Euch im Namen der Schwerteltern beider Knappen und meines Hauses um Verzeihung zu bitten.” Er suchte den Blick der Vögtin. “Vorhin habe ich einen Brief des Barons von Rabenstein erhalten. Ich weiß nicht wie ich es Euch schonend beibringen könnte, deswegen sage ich frei heraus. Eure Tochter trägt das Kind meines Vettern unterm Herzen.”

Die Junkerin drehte sich von Rondradin weg und stützte sich mit den Händen an der Balustrade des Pavillons ab. “So, der Baron von Rabenstein bittet also um … Verzeihung?” zischte sie.

Er schüttelte den Kopf. “Darüber sind wir hinaus, denkt Ihr nicht?” fragte Rondradin mit sanfter, ruhiger Stimme. “Natürlich bitten wir alle um Entschuldigung, weil wir die Aufsicht über die beiden Knappen vernachlässigt und damit das alles haben geschehen lassen. Doch nun können wir auch nichts mehr an der Situation ändern. Es bleibt uns nur noch nach einer Lösung für diese neue Entwicklung zu suchen, mit denen alle Beteiligten leben können.” Rondradin trat neben Alrike und sah auf das vor ihm liegende Panorama hinaus. “Die beiden lieben sich, das hat mir Palinor mehrfach bestätigt und ich habe es ihrer beiden Blick gesehen. “ Scharf drehte sie sich um. “Lieben sich?” fauchte sie hervor. In ihren Augen lag ein unberechenbares Feuer. Die Enttäuschung stand ihr im Gesicht. Allerdings entspannten sich ihre Züge nur einige Augenblicke später. “Wir beide wissen, das hier ist Politik. Boromada ist aus keinem einfachen Haus. Meine Mutter war die Baronin von Schweinsfold, meine Nichte Selinde die Neue. Mein Gemahl ist der Tempelvorsteher des hiesigen Borontempels. Ihr könnt euch vorstellen, dass wir einige Feinde haben, die auf solch einen Vorfall nur gewartet haben.” Alrike schaute kurz zum Himmel oder sah sie auch den großen Raben, der auf dem Baum hockte. “Ich will ehrlich sein mit Euch, euer Gnaden. Glaubt ihr das euer Haus die Machtposition der neuen Baronin stärken könnte, durch eine Bindung der beiden?” Es war schwer für Rondradin einzuschätzen ob es Hoffnung oder Missachtung in ihrem Blick war.

“Es stimmt, unser Haus ist noch nicht besonders alt und hat sich auch nicht groß über die Grenzen Meilingens hinaus ausgebreitet. Trotzdem haben wir Verbindungen zu solch Häusern wie Grauningen, Föhrenstieg und Wirselbach. Die Baronsfamilie von Meilingen vertraut uns seit über Hundert Götterläufen ihr Leben an. Unser Haus steht eng zusammen und wenn einer Hilfe benötigt, kommen alle zusammen. Palinor ist ein aufrechter junger Mann, der gerade seine Knappenzeit bei Baroness Durahja vom Berg, ableistet. Er ist der zukünftige Edle von Gut Pappeln und das kommende Familienoberhaupt. Seine Feuertaufe hatte er bereits während des Rabenmarkfeldzugs des Barons von Hlûthars Wacht und er ist dem Orgilsbund, einem aufstrebenden Ritterorden, beigetreten.” Voller Leidenschaft hatte Rondradin von seiner Familie gesprochen, doch nun zwang er sich zur Ruhe. “Wir würden Eure Baronin unterstützen und vielleicht könnten wir auch Baronin Tsaja vom Berg zu einem Bündnis mit Schweinsfold bewegen. Der Einfluss von Haus Wasserthal reicht vielleicht nicht über Meilingen hinaus, aber in Meilingen sind wir eine feste Größe.”

Alrike überlegte. “Boromada ist die Erbin der Junkerei Herzogenfurt. Meine Mutter hat mir diese zu meiner Hochzeit übergeben, damit ich der Baronin nahe sein und das mein Haus stark und treu an ihrere Seite sein kann. Es wird unabkömmlich sein, dass meine Tochter hier als Junkerin walten muss. Ich sehe keine Möglichkeit, das sie als Edlengemahlin auf Gut Pappeln leben kann. Das versteht ihr doch? “

“Natürlich, aber ich habe doch gar nichts in diese Richtung verlangt. Ich will ehrlich sein. Mir geht es vordergründig um das Wohl von Boromada, Palinor und ihrem Kind, und dass sie die Möglichkeit erhalten gemeinsam glücklich zu werden. Das mag seltsam anmuten, aber sowas liegt mir nunmal am Herzen. Und wenn das bedeutet, dass Palinor vorwiegend als Junkergemahl in Herzogenfurt bei Boromada leben soll, dann Isoll es eben so sein.”

“Verzeiht, euer Gnaden. Die Nachricht ist schwer … zu verdauen. Und ich muss leider voraus denken. Ich denke hier und jetzt läßt sich keine vernünftige Lösung finden. Ich muss sagen, dass ich sehr enttäuscht von Boromadas Schwertvater bin. Ich habe meine Tochter in seinen Schutz überlassen. Das hätte verhindert werden können. “ Bitterkeit schwang in ihrere Stimme mit. “Leider geht es hier nicht nur um mein Haus, sondern auch dass der Baronin von Schweinsfold.” Alrike schwieg für einen Moment.

“Hättet Ihr einen Vorschlag, wie wir das lösen können?” Rondradin wusste nicht so recht was er noch vorschlagen könnte ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen oder ob die Vögtin auf irgendwas bestimmtes hinaus wollte.

“Ich werde eine Depesche aufsetzen lassen und werde euch auch eine übergeben. Dieses Übel können wir nur in Person lösen. Ich will den Baron sprechen und auch die Schwertmutter dieses … eures Vetters. Es ist möglich, dass die Baronin von Schweinsfold selbst über die Angelegenheit ihrer Nichte mitentscheiden möchte.” Alrike wirkte blasser als vorher.

Rondradin stieß einen Seufzer aus. “Wie Ihr wünscht Wohlgeboren. Nun ja, vielleicht ist es auch besser so. Darf ich Euch zurück geleiten?”

“Geht ruhig, ich brauche noch einen Moment für mich alleine.”

***

Während Lucrann von Leihenhof und die Zofe Melisande della Yaborim einen der Pavillons im Park steuerte, kam ihnen eine besorgte Vögtin entgegen. Diese musterte Lucrann kurz, ging aber ihren Weg schleunigst weiter. Melisande kannte diesen Ausdruck von ihrer Baronin. Jedesmal, wenn es schlechte Neuigkeiten gab. “Nun sagt Signora, stammt ihr aus Drol oder einen anderen Teil des Südens des Horasreiches?” holte der Junker sie aus ihren Gedanken.

“Drôl trifft es nicht ganz”, schmunzelte Melisande. Die Vögtin ignorierte sie, da sie mit dieser nichts zu schaffen hatte. “Aber mit dem Süden habt Ihr schon recht, das lässt sich ja kaum verbergen, nur nicht ganz so weit. Ich komme aus Neetha.” Kurz war sie versucht, weiteren Fragen gleich zuvorzukommen, aber nein, der Junker und Cavalliere sollte sich seine Informationen verdienen. “Und Ihr? Wie kommt es, dass Ihr im Horasreich zur Knappschaft wart? Und was für große Taten habt Ihr dort vollbracht?” Melisande hatte seine Vorstellung gesehen und konnte sich noch erinnern, nicht zuletzt wegen der horasischen Verbindungen des Mannes.

“Signor Darion Amarinto, Oberhaupt des Hauses Amarinto und Signor von Amarinto in der grangoranischen Baronie Sewamund hat sich meiner angenomme nach gemeinsamer Verhandlung mit meinem Oheim Riobhan von Galebquell. Dort habe ich die Geheimnisse des Rittertums erlernt. Ich habe Tatsächlich einiges im Krieg der Drachen erreicht. Leider bindet mich eine Eid, darüber nicht zu sprechen. Seitdem allerdings darf ich mich Cavaliere nennen.

Nach meinem Ritterschlag bin ich wieder in die Nordmarken zurückgekehrt, um mein Erbe als Junker anzutreten. Und nun bin ich hier. Was hat euch in die Dienste der Baronin verschlagen?” fragte Lucrann höflich.

Melisande machte einen Schmollmund. “Och, immer wenn es spannend wird, heißt es ‘Darüber darf ich nicht sprechen, weil ich einen Eid geschworen habe’. Ich möchte gar nicht wissen, wieviel interessante Geschichten auf diese Weise schon mit ins Grab genommen wurden.”

Dann lächelte die Zofe wieder. “Ach, die Baronin kennt meinen Vater aus Vinsalt. Mein Vater war der Meinung, ich müsse ein wenig von der Welt sehen, solange ich jung sei, und just da suchte die frisch ernannte Baronin von Rickenhausen eine Zofe, und so fügte sich eins ins andere.” Dass dabei noch die eine oder andere Verwicklung im Spiel gewesen war, verbarg Melisande allerdings sorgsam, das würde sie niemandem leichtfertig auf die Nase binden.

Sie wechselte wieder das Thema: “Wohlgeboren, wenn Ihr über Eure Zeit im Krieg der Drachen nichts berichten dürft, was gibt es denn dann, mit dem Ihr eine neugierige, abenteuerlustige, junge Dame vom Tod durch Langeweile bewahren könnt?” Sie schenkte dem Junker einen schnippischen Augenaufschlag ihrer langen, dunklen Wimpern.

Lucrann überlegte. “Seit ich wieder hier bin, verbringe ich viel Zeit am Hof in Elenvina. Ich weiß nicht ob euch Hofklatsch interessiert?”

“Wenn er interessant ist?” erwiderte Melisande lächelnd. Wobei Hofklatsch durchaus auch für ihre Herrin interessant sein konnte, war Rickenhausen doch recht weit von Elenvina entfernt, so dass es nicht immer einfach war, auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

“Nichts womit ich euch heute langweilen möchte.” Lucrann merkte, wie schleppend das Gespräch mit der Zofe war. Sie war schön, aber auch uninteressant. Hätte er doch bloß nicht die Novizin aus den Augen verloren. Bewußt schlug er einen Bogen, um zurück zur Festwiese zu spazieren. “Nun, ich bin eigentlich froh unvermählt zu sein. Ich denke ich sollte mir auch noch Zeit lassen. Und ihr?”


“Ich habe ebenfalls keine Eile”, erwiderte Melisande mit leicht schiefem Schmunzeln. Sie hatte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, kein ernsthaft an ihr interessierter Mann würde so etwas sagen. Und Männer, die zwar interessiert an ihr waren, aber nicht ernsthaft, nun, die würde sie nach Kräften von sich fernhalten. “Aber ich denke, ich sollte langsam wieder zu meiner Herrin zurückkehren, sonst lässt sie mich noch suchen. Habt Dank für den schönen Spaziergang - und viel Erfolg, bei was auch immer.” Die Zofe lächelte nun wieder schelmisch und knickste zum Abschied.

***

Flora vom Lilienhain, die jüngste Tochter des Gartenmeisters, hatte einen Korb mit Wein und Früchten gepackt, dazu eine Decke. Ihr war klar worauf der Baron von Eisenstein aus war und so nahm sie den Sud vom Rahjalieb zu sich. Ihr selbst war das kleine Abenteuer willkommen, die letzten Tage war sie im Garten beschäftigt, um die Brautschau vorzubereiten und die Zeit der Göttin der Liebe in ihren heiligen Tagen zu huldigen, rann ihr durch die Finger. Sie betete zu der Liebholden, dass der erfahrene Mann ein guter Liebhaber wäre. Mit Vorfreude holte sie den Baron ab und brachte ihn in eine abgelegene Stelle des Parks. Weite Felder von Lilien, doch gab es hier Rosenbüsche, die neugierigen Blicken im Wege standen. Und dann gab es noch den Schuppen. Die niedliche, blonde Frau schaute ihn sinnlich an, ließ es aber an ihm, das Gespräch zu führen.

Rajodan sah sie etwas distanziert an. Dann huschte ein arrogantes Grinsen über seine Züge, das schon auf soviele Frauen unwiderstehlich gewirkt hatte. Nicht auf alle. Aber auf eine ausreichende Menge von ihnen. Es war seine Aura, die zog genau die an, die er mochte: Jung, abenteuerlustig und willig, sich unterwerfen zu lassen. Das, was ihnen bei diesen weichgespülten, bartlosen Jungspunden ihres eigenen Alters fehlte. “Nun, wohin führt ihr mich, Flora. Ich darf dich doch Flora nennen?”

“Aber natürlich, euer Hochgeboren. Ich dachte wir könnte uns hier im Schatten hinter den Hecken niederlassen oder wenn ihr möchtet … könnte ich euch den Schuppen zeigen ?” Lasziv schaute sie ihn an.

Er hob amüsiert einen Mundwinkel: “Es ist schöner hier draussen unter dem Praiosmal. Und eure Schönheit in einer düsternen Kate verstecken, scheint mir Rahja nicht sehr ergeben. Oder habt ihr etwas an euch, das man aus der Nähe nicht offenbaren sollte- Im Lichte des Götterfürsten?” Er trat ein Stück näher an sie heran. “Ein Furunkel etwa?”. Und noch ein Stück: “Oder eine Warze.” Schließlich stand er kaum zwei Handbreit vor ihr: “Oder ein unansehnliches Geburtsmal?” Seine dunklen Augen betrachteten die junge Frau voll sexueller Gier. Wie ein Adler seine Beute, kurz bevor er sich niederwarf, um nach ihr zu greifen. Er strahlte genau soviel Rohheit aus, wie Flora erwartet hatte. Die körperliche Gier, die er empfand ließ die Luft zwischen beiden flimmern: “Lasst uns in die Schatten der Hecken gehen. Dort will ich begutachten, was es zu verstecken geben könnte- oder auch nicht.”

Flora lachte. Kokett öffnete sie ein wenig ihre Bluse, drehte sich aber dann um, um dann die Decke hinter der Hecke auszubreiten. Die Gärtnerin war sich bewusst, dass ihr Rock nun ihren schönen, runden Hintern betonte.

Unverhohlen begutachtete der Ältere die junge Frau. Aber er vermied jede Berührung- noch. Er wollte die Anspannung steigern. Gewandt ließ er sich auf der Decke nieder und blickte sie auffordernd an.

Flora räkelte sich auf der Decke und ließ ihre Bluse von ihren Schultern gleiten. Sie offenbarte ein Paar fester Brüste, die noch kein Alter oder Mutterschaft kannten. Herausfordernd schaute sie sich den Baron an und nestelte mit ihren nackten Füßen an seinem Hosenbund.

“Ohne Mieder hinauszugehen ist aber sehr frivol, junge Dame.” sagte der Eisensteiner gefährlich leise, während er ihren Fuß griff. “Hat euch noch nie jemand gesagt wie ungezogen das ist?”

Sie lachte glockenklar auf. ”Oh, Herr Baron. Im Rahjamond ist doch nichts ungezogen. Vorsichtig raffte sie den Rock über ihre Knie. Eindeutig trug die Gärtnerin auch keine Unterwäsche, wie Rajodan sehen konnte.

Er hielt immer noch ihren Fuß in der Hand und mit einem Ruck zog er sie zu sich hinüber, so dass ihr Schoß fast auf seinem zum liegen kam. Dann nestelte er an einem Beutel an seiner Hose und reichte ihr, was sie bereits eingenommen hatte. Fordernd strich seine freie Hand ihren Oberschenkel entlang.

Sanft deutete sie ihm den Beutel zu Seite zu legen. “Eine Frau, die den Gaben Rahjas zu frönen weiß, ist vorbereitet. Außerdem wäre das Rahjalieb jetzt schon ein wenig zu spät.” Mit forschen Griff öffnete sie ihm die Hose.

Doch er fing ihre Hand ab, ehe sie enthüllen konnte, wie sehr er sie begehrte und schüttelte den Kopf. “Oh, nein. Zu spät wäre es nicht, meine liebe Flora.” Er strich mit erstaunlicher Leichtigkeit mit seinem Daumen über die empfindliche Stelle an ihrem Handgelenk, an der die BLutbahnen so nahe an der Oberfläche lagen, dass es fast war, als berühre er das Blut, das in ihr pulsierte. “Zuviel kann man nicht nehmen. Und es würde mich sehr beruhigen.” Sein Daumen verweilte kurz neben jener Stelle und liebkoste ihr Gelenk in kleinen kreisenden Bewegungen, wodurch er immer wieder kurz jene Stelle berührte. Gleichzeitig hielt er ihr das eine hin, was ihn davon abhielt sie hier und jetzt zu nehmen.

Das Misstrauen des Barons zur Seite schiebend, griff sie in den Beutel und nahm sich einige der Blüten und zerkaute sie. Dann öffnete sie die Beine und er sah, dass sich die Blüte öffnete.

Grinsend kam er über sie.

***

Immer noch erfüllt vom Rausch des Liebesspiel, nahm er einen Schluck von seinem Wein und zog sich seine Hose an. Sein Oberkörper glänzte vom Schweiß und Roklan beobachtete die beiden jungen Männer die nackt, Arm in Arm, im Heu eingeschlafen waren. Er hatte die beiden bei ihrem Liebesspiel kaum gestört und hatte es genossen zu zuschauen. Etwas bedauerlich war es, das Rahjalind nicht dabei gewesen war. Wie schöne wäre es gewesen, sich den Rausch der Holden im beisein seiner Diener hinzugeben. Vorsichtig zog er seine Wams über und verließ leise den Schuppen. Vom frischen Windzug wachte Vitold als erster auf.

Vitold war erschöpft, aber glücklich. Der Baron hatte sich nicht, wie erwartet, aufgedrängt, sondern die beiden den Augenblick genießen lassen. Es war ein langes, ausdauerndes Liebesspiel gewesen, bei dem er dem Jüngeren einiges beigebracht hatte, doch wusste er, dass noch viel auf ihn warten würde. Des öfteren musste er den ungestümen, nach Liebe und Lust hungernden Schreiber zurückhalten, sonst wäre es frühzeitig beendet gewesen.

Nun aber lagen sie im Stroh. Roklan war gerade entschwunden und der Ritter nahm sich die Zeit sein Gegenüber genauer zu betrachten. Der wohlgeformte Körper, die feingliedrigen Hände, das schöne Gesicht. Der friedliche Gesichtsausdruck des Schlafenden, die sanfte Bewegung seiner schweiß glänzenden Brust. Er konnte ihn stundenlang ansehen und wünschte sich, immer neben ihm aufwachen zu dürfen. Sanft strich er eine Strähne des inzwischen zerzausten Haares aus Elvans Stirn.

Vitolds Berührung holte Elvan aus seinem kurzen Schlaf. Er brauchte einen Moment, um sich zu erinnern wo er war. Als seine Augen die des Ritters trafen erfüllte es seine Brust mit Wärme. Er griff nach dessen Wange und zog ihn zu sich herunter, um ihn zu küssen. Er musste sich eingestehen, dass er davon nicht genug bekommen konnte. Er erhob sich und griff schamhaft nach seiner Kleidung. “Ich … ich glaube wir sollten zurück zum Fest. Meine Familie wundert sich bestimmt schon.” Langsam verflog der Traum und die Wirklichkeit holte ihn ein. Er spürte den kalten Zug der durch sein Herz zog. War es das richtige was sie getan haben? Konnte er das haben für immer, aber seine Familie enttäuschen? Elvan musste sicher gehen. “Kommst du … oder bleibst du hier noch?”

“Wenn Du es wirklich willst, dann bleibe ich immer an Deiner Seite.” Im Gesicht des Ritters war abzulesen, dass er es ernst meinte und er sich gleichzeitig vor einer niederschmetternden Antwort fürchtete. Er hielt den Schreiber an seinem Handgelenk fest und sah ihm tief in die Augen:”Du sollst wissen, dass ich es ernst meine. Selbst wenn mir der Baron mein Lehen wieder nimmt. Aber, es ist Deine Wahl.”

Elvan spürte wie ihm die Bemerkung des Baldurstolz unangenehm war. Er fühlte sich angezogen, Rahja ging ihm durch und durch. Doch war es Liebe? Die Liebe wie es die Herrin Travia spendete? Der Schreiber konnte sich hier und jetzt nicht entscheiden. Oder wollte nicht? Er antwortete nur mit einem verhaltenen Lächeln. “Solch eine Wahl kann nicht bei mir liegen, Vitold. Ich muss zurück zu meiner Familie.” Er löste sich von dem Ritter und ging aus dem Schuppen.

Schweren Herzens ließ er ihn gehen. Nahm etwas Stroh und wischte sich den Schweiß von seinem muskulösen Körper, bevor er sich wieder ankleidete. Dann wurde er wieder ganz der Soldat, der er war und ging mit unbewegter Miene zurück zum Fest. Wenn Elvan ihn vermissen würde, würde er sich sicher bei ihm melden. Wenn nicht, dann nicht. Dann musste er Wohl oder Übel eine Scheinehe mit einer Frau eingehen. Er konnte nur hoffen, dass sowohl Rahja, als auch Travia dem jungen Mann den rechten Weg weisen würden. Wenn die Menschen der elfischen Liebe aufgeschlossener Gegenüber stehen würden, dann würde er augenblicklich zu Elvans Eltern gehen und um seine Hand anhalten, doch die Menschen waren nicht aufgeschlossen und der Schreiber würde vor Scham in Grund und Boden versinken, wenn Vitold solches tun würde. Doch, die Entscheidung lag bei dem jungen Mann. Er hatte ihm die Hand gereicht, ergreifen musste er sie selbst.

Der Rahja-Schrein

Auf einem Hügel, der umgeben war mit Rosenbüschen,zierte auf dessen Mitte ein viereckigen Pavillon: der Schrein der Rahja!. Das Dach war rot gestrichen, die Wände in weiss und der Eingang war offen mit einem halbrunden Durchgang. Das Innere des Schreins wurde von einem ovalen Holzschnitt dominiert, der an der Wand gegenüber des Einganges angebracht war. Meisterhaft war die Holde bar jeder Kleidung dargestellt, wie sie durch eine Feld von Lilien wanderte und dabei frei ihre Arme in den Himmel hob. Ihr Haar war mit roter Farbe bemalt und gaben ihr etwas leidenschaftliches. Vor dem Schnitt war eine Schale, gefüllt mit Rosenwasser. Links und rechts davon gab es Bänke, die Paare zum Kurzweil einluden. Zu Füßen der Schale war eine rosafarbene Marmorplatte eingelassen, auf dem Gläubige Opfergaben hinterließen und so lagen dort Blumen, Flakons mit Parfum, kleine Schmuckstücke und ein hölzerner Kunstgegenstand der einem Phallus nachgestellt wurde.


Nachdem Linnart die Zofe Durinja wieder wohlbehalten an der Festwiese abgeliefert hat, machte er sich auf zum Schrein der Liebesgöttin. Hier hatte er sich mit Andesine verabredet. Den ganzen Weg über hatte er ein flaues Gefühl in seiner Magengegend. War er zu weit gegangen? Und dann dieser Kratzer am Hals. Er würde ehrlich zu ihr sein. Der Ritter wollte ein Gespräch mit jener Frau, die die einzige war, welche sich noch zwischen ihn und die Wasserthalerin stellen konnte, bevor er sich ihr versprach. Ja, Linnart war davon überzeugt gewesen, Andesine heute einen Antrag zu machen und sie, sofern ihre Eltern in weiterer Folge zugestimmt hätten, zu ehelichen. Er wollte sich nur selbst noch ein paar Fragen beantworten, doch war er nun wirklich klüger geworden? Außer, dass es ihm nun schlecht ging, hatte sich nichts geändert. So sah man den jungen Bannstrahler das erste Mal an diesem Tag geknickt, als er sich im Schrein auf eine steinerne Bank setzte um auf Andesine zu warten.

Beschwingt kam Andesine auf den Schrein und Linnart zu. Erst freudestrahlend, dann mit verblassendem Lächeln und deutlich langsamer, als sie seine Haltung und Gesichtsausdruck sah. Sie musterte ihn eingehend und kam, so direkt vor ihm stehend, nicht umhin den Kratzer zu bemerken. “Was ist los?”

Eine Frage, die ihn aus seinen grüblerischen Gedanken riss. Er sah zu Andesine auf und das flaue Gefühl in seinem Magen nahm nun eine zuvor noch nicht dagewesene Intensität an. Wie sehr er diesen Moment seit ihrem Beisammensein unter dem Sonnensegel herbeigesehnt hatte und dennoch … sein Blick wirkte stumpf. Er wusste, dass er sie nun wohl enttäuschen würde, doch stand es für den Ritter außer Frage, dass er ehrlich blieb und den Konsequenzen offen entgegen trat. “Bitte setz dich zu mir.” Linnart erhob sich von der Bank und machte eine einladende Geste.

Entgegen seiner Bitte blieb sie stehen. “Ich frage dich nochmals. Was ist los?” Ein Hauch von Misstrauen hatte sich in ihre Stimme geschlichen. Das war nicht das Treffen das sie sich vorgestellt hatte. Irgendwas war im Busch und dieser schuldbewusste Ausdruck auf seinem Gesicht...

“Ich werde ehrlich mit dir sein, Andesine … denn nichts anderes hast du verdient … Ehrlichkeit und Loyalität …”, Linnart dämpfte seine Stimme. Es war ihm bewusst, dass auch andere Personen hier anwesend waren, dennoch sprach er weiter. Ja zu seinen Taten hatte man zu stehen, auch wenn jeder andere Mensch auf dem Dererund es erfahren würde. “Als du dich mit dem Herrn von Mersingen unterhalten hast, habe ich das Gespräch mit Durinja von Altenberg gesucht. Ich wollte mir selbst ein paar Fragen beantworten, bevor ich mich dir verspreche …”, er biss sich kurz auf die Unterlippe und es schien als würde er nach den richtigen Worten suchen, “... wir gingen zum Pavillon dort hinten und unterhielten uns über die Zukunft und welche Ziele und Wünsche wir für unsere Leben verfolgten … als ich dann den Drang verspürte zu unserem Treffen hierher zu kommen, bat ich ihr an sie zurück zur Festwiese zu bringen.” Linnart atmete tief durch. “Ich half ihr galant hoch … dann verlor ich mich allem Anschein nach im Moment und küsste sie …”, der Ritter wies auf seine Wunde, “... doch gab sie mir das hier mit. Wohl berechnend und wissend, dass es mich dir gegenüber in Schwierigkeiten bringen würde, doch hätte ich es dir auch so nicht verheimlicht.” Er stoppte und sah sie aus seinen milden Augen an, die in diesem Moment schuldbewusst glänzten. “Ich habe dich damit enttäuscht und so etwas hast gerade du nicht verdient. Du warst doch erst der Grund dafür, dass ich in dieser Veranstaltung mehr sah, als eine, mir von Mutter auferlegte … Pflicht.” Sein Körper straffte sich, er war bereit dafür ihre Emotionen abzubekommen - verdient hatte er es allemal. “Wenn du mir den Ring zurückgeben willst, dann verstehe ich das. Ich werde dich nie wieder mit meiner Anwesenheit behelligen, das schwöre ich dir.”

Mit unbewegter Miene hörte sich Andesine die Erklärung des Bannstrahlers an. Als er geendet hatte, sah sie ihn an und nickte. “Ich danke dir für deine Ehrlichkeit.” Dann trat sie dicht an ihn heran, packte ihm am Kragen und zog seinen Kopf zu sich herunter. Ihr Kuss war wild, stürmisch, erfüllt von schier unbezähmbaren Verlangen und flammender Leidenschaft. Doch schließlich löste sich die Ritterin von dem Bannstrahler und sah ihn traurig an. “Das war nur ein Vorgeschmack dessen, was du hättest haben können. Du hättest nur diese letzte Prüfung bestehen müssen. Was bringt mir deine Ehrlichkeit, wenn es mit deiner Treue nicht weit her ist? Selbst wenn ich dir hier und jetzt vergeben würde, wie oft müsste ich dir in der Zukunft erneut vergeben?” Nicht ein mal war Andesine laut geworden, ruhig sprach sie alles aus, auch wenn eine tiefe Traurigkeit sich ihrer Stimme bemächtigt hatte. Sie schüttelte den Kopf. “Ich dachte hier meinen Seelenverwandten getroffen zu haben, doch wie es scheint, habe ich mich geirrt.” Schweren Herzens drehte sie sich um und ging langsam zurück in Richtung Festwiese. Ein leises Klirren erklang als der Ring auf die Bank prallte und liegen blieb.

Dieser presste seine Lippen zusammen und blickte ihr nach. Traurig, doch auch in dem Wissen, dass er es wohl verdient hatte. Nein, er würde ihr nicht nachlaufen. Dass er sie hier und jetzt auf solch brutale Art und Weise verloren hatte, war die Konsequenz seines Handelns. So wie einst der Rohrstock im Kloster, doch tat dies ungleich mehr weh. Er griff nach dem Ring, doch steckte er sich diesen nicht wieder an seinen Finger. Stattdessen, zog er auch den gegengleichen von seiner anderen Hand ab, stand auf und verließ den Schrein der Schönen.

***

Oh ja, der Junge war eindeutig dem Aspekt der Gefesselten Rahja zugetan. “Lass uns den Schrein ansehen.” Sie übernahm die Führung und führte den Leihenhofer in das kleine Gebäude. Sylvette blieb vor dem Holzschnitt der Göttin stehen und während Ingeras den Schnitt betrachtete, sah sie sich um. Waren sie hier auch wirklich alleine?

Der Schrein war bis auf die beiden verlassen und ein leichter Duft von Sandelholz lag in der Luft. Aber dennoch hörte sie zwei Stimmen, die sich leise miteinander unterhielten. Nach der Einschätzung der Hofdame kamen diese von hinter dem Schrein bei den Rosenbüschen.

Ingeras folgte der Wasserthalerin willentlich. Er liebte es wie sie die Richtung angab.

“Du bleibst hier und wartest auf mich. Ich muss kurz etwas nachschauen.” Sylvette bedachte den Jungen mit einem strengen Blick, was ihm sicherlich gefallen würde, und ging leise zur Rückseite des Schreins um herauszufinden wer denn ausgerechnet hier ein Gespräch führen musste.

“Wie du wünschst, Her .. Sylvette.” Mit gesenktem Haupt suchte er sich die dunkelste Ecke im Schrein und stellte sich wartend hin.

Vorsichtig ging Sylvette um den Schrein herum und sah zwei Leute mang den Büschen. Es war der Rahjageweihte Rahjel und die greise Traviageweihte Mutter Elva. Leise und bedächtig redete er auf sie ein, die seine Worte misstrauisch folgte. Dieser Ort war gewählt worden, um im Geheimen zu sprechen.

Die alte Vettel konnte Sylvette jetzt gar nicht gebrauchen, der Rahjageweihte hingegen wäre vielleicht gar nicht so ungelegen gekommen. Bedächtig zog sich Sylvette wieder zum Schrein zurück. Sie setzte sich auf eine der Bänke und bedeutete Ingeras sich neben sie zu setzen.

Als er das tat, nahm sie seine Hände in die ihrigen und sah ihm direkt in die Augen. “Ingeras, hast du schon einer Frau beigelegen?” Ingeras stand auf und ging in die Knie, ließ ihre Hand dabei nicht los. Unterwürfig schaute er sie an. “Ja, Sylvette. Schon seit vielen Jahren diene ich den Frauen.”

Sylvette war ehrlich überrascht ob seiner Antwort, eigentlich war sie davon ausgegangen, dass Ingeras noch unberührt war. Vor allem, wenn man bedachte wie er auf ihr Dekollete reagiert hatte. Ein wenig schade war es schon, aber auf der anderen Seite…

Sie betrachtete den vor ihr knienden Jungen nahm die Einzelheiten seines Gesichts in sich auf. Dabei stahl sich ein feines Lächeln auf ihr Antlitz. “Weshalb kniest du denn vor mir? Glaubst du ich würde dich nicht mögen, weil du schon Rahja gehuldigt hast?” “Oh nicht doch. Aber ich bin genau dort, um dir am besten zu dienen, Sylvette.” Seine zarten, langen Finger strichen vorsichtig an ihrem Bein, langsam sich ihren Stiefeln nähernd. Er zog tief die Luft ein, um Sylvettes Duft in sich aufzunehmen.

Was genau hatte er vor? Sylvette lehnte sich zurück und ließ Ingeras vorläufig weitermachen. Sie merkte aber bereits jetzt wie ihr Körper auf seine Berührungen reagierte.

Seine Wange näherte sich den hohen Reiterstiefeln. Er liebte den Geruch von Leder, etwas das seine Erregung nur verstärkte. Während er sich an den schmutzigen Stiefeln schmiegte wanderten seine Hände an ihren Oberschenkeln hoch. “Ihr könnt mir alles befehlen, Sylvette.”, flüsterte er.

Es wäre so einfach sich gehen und Ingeras machen zu lassen. Aber das war nicht das, was sie für sich und den Leihenhofer wollte. Nein, sie wollte ihn unter ihre Fittiche nehmen und ihn zu einem Mann formen. Auch wenn ihr Körper in Flammen stand und nach mehr schrie, sie musste ihn bremsen. Deswegen griff sie mit beiden Händen sein Gesicht. Ihr Kuss war wild, beinahe schon brutal und sie biss ihn in die Unterlippe, bevor sie ihn wieder freigab. “Wirklich alles? Was, wenn ich dir befehlen würde, dich bis zu unserer Hochzeitsnacht in Enthaltsamkeit zu üben?” Ihr brutaler Kuss löste eine Explosion von Rausch in ihm aus. “Alles Sylvette. Ihr seid meine Rahja. Wenn das euer Wunsch ist, so werde ich enthaltsam sein. Aber euer Wunsch muss nicht für euch gelten.” Er fühle sich so klein und das machte ihn groß.

“Dann ist dies mein Befehl an dich und auch gleichzeitig ein Versprechen. Ich werde mich ebenfalls in Enthaltsamkeit üben, denn nur du allein wirst mir zu Diensten sein dürfen.” Sylvettes Lächeln wurder breiter. “Nun, dann weißt du ja, was du als Nächstes zu tun hast.”

Schwer atmend erhob er sich wieder. Seine Erregung versuchte er erst gar nicht zu verbergen.

Ingeras nahm sie bei der Hand und zog sie nach oben. “Bei Rahja, ich werde um eure Hand anhalten.” Er war ihr so dicht, dass nur eine Feder zwischen ihnen gepasst hätte.

Sie war sich seiner Nähe sehr bewusst und auch wenn ihr Körper sich nach einer Vereinigung sehnte und seinem entgegenstreben wollte, ließ Sylvette dieses nicht zu. Stattdessen warf sie ihm einen ermutigenden Blick zu. Anstatt darüber zu reden, dass er ihr einen Antrag machen wollte, hätte er das doch schon längst in die Tat umsetzen können.

Ingeras versuchte ihren nächsten Wunsch von den Augen abzulesen und dann verstand er. Er ließ sich hart auch die Knie fallen, der dumpfe Aufprall war kaum zu überhören und Sylvette konnte sich nur vorstellen, das es schmerzhaft war. Doch der Leihenhofer gab nur ein lustvolles Stöhnen von sich, beugte sich vor, küsste ihre staubigen Stiefel und schaute sie dann wieder ergeben an. “Sylvette von Wasserthal, wollt ihr meine Frau sein? Mich zu eurem dienenden Ehemann erheben? Vor Rahja und Travia, ich schwöre auf meinem Blute auf ewig euch zu dienen, zu verwöhnen, und der Mann zu sein, den ihr wollt!” Erwartungsvoll wartete er auf ihre Antwort.

Sie griff ihn am Kinn und küsste ihn. “Ja, ich will. Hier vor Rahja und Travia bekunde ich, dass ich dich zu meinen Gemahl nehmen werde.” Sie ergriff seine Hände und zog ihn beim Aufstehen mit auf die Füße. “Mit wem aus deiner Familie müssen wir sprechen?” “Roklan, er ist das Oberhaupt unseres Hauses.” Ein Seufzer schreckte die Beiden kurz auf. Im Eingang des Schreines stand Bruder Rahjel. “Verzeiht, ich wollte nicht stören. Gepriesen sei Rahja!” Mit weit geöffneten Armen kam er auf Beide zu, küsste und umarmte sie.

Sylvette schenkte ihm ein erfreutes Lächeln. “Ihr stört doch nicht, Euer Ehrwürden. Ingeras hat mir gerade einen Antrag gemacht und ich habe ihn angenommen. Allerdings müssen wir erst noch die Erlaubnis seines Onkels einholen.” Sie strahlte geradezu. “Wenn Ihr später Zeit habt, würde ich gerne mit Euch sprechen.”

“Selbstverständlich.” sagte der Geweihte und machte den Weg frei für die beiden.

***

Nach der ´Aussöhnung´ mit der Zukünftigen ihres Bruders, war Rahjalind noch einen Moment am Rande der Festwiese stehen geblieben und hatte die beiden beim Tisch der Älteren beobachtet. Linnart begab sich sofort wieder an die Seite Durinjas, streichelte ihr sanft über Rücken und Hüfte und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr. Seine Verlobte lächelte, dann hielt sie sich wieder an seinem Arm fest, als hätte sie Sorge er würde ihr davonlaufen - wie eine Fliege, die sich doch noch aus dem Netz der Spinne zu befreien versuchte. Sie seufzte. Nun, vielleicht war es ja auch gar nicht so dumm, ihn hier und heute festzuhalten. Wer weiß zu welchen Dummheiten sich ihr großer Bruder noch hinreißen ließe. Rahjalind stand nun nicht mehr der Sinn nach Gesellschaft. Sie brauchte einen Moment und erinnerte sich an den kleinen Rahjaschrein beim See. Ja, etwas Zwiesprache mit ihrer Göttin würde jetzt wohl helfen. Einige Momente später betrat sie das inzwischen verwaiste Monument ihrer Herrin, setzte sich auf eine Bank und schloss ihre Augen.

Das Krächzen eines Raben störte ihren Moment. Sie hörte auch das Flüstern einer Stimme, die hinter dem Schrein herkam.

'Hmmm', Rahjalind seufzte unwillig, dann obsiegte ihre Neugier und sie erhob sich von der Bank. Wie eine Katze schlich sie hinter den Schrein, auf der Suche nach dem Urheber der Stimme.

Hinter dem Schrein bei den Rosenbüschen, stand die schwarz gekleidete Gestalt einer blonden Frau. Der Kurzhaarschnitt und der Schnitt des typischen Junkerwarms, wies sie als die Junkerin von Herzogenfurt, Vögtin von Schweinsfold aus. Wie es schien hatte sie zu dem prächtigen Kolkraben gesprochen, der sich nun von ihrem rechten Unterarm in die Lüfte hob. Alrike von Henjasburg drehte sich mit besorgten Gesichtsausdruck um, verengte aber ihre mandelförmigen Augen misstrauisch, als sie die Novizin entdeckte.

Kurz lag der Blick der Novizin auf dem prachtvollen Tier und ihre Lippen verzogen sich sogleich zu einem herzlichen Lächeln, das Misstrauen der Junkerin ignorierend. "Euer Hochgeboren …", Rahjalind knickste formvollendet, "... bitte entschuldigt. Ich wollte Euch nicht stören." Kurz meinte Alrike dann doch einen leichten Anflug von Unsicherheit über das Antlitz der Rahjadienerin huschen zu sehen. Das sorgenvolle Gesicht der Adeligen verleitete sie zu einer zusätzlichen Frage. "Kann ich Euch vielleicht helfen?"

Alrikes Nachmittag war voller schlechter Nachrichten. Erst berichtete der Rondrageweihte von ihre ältesten Tochter, die nun unehelich schwanger war von einem Wasserthaler Knappen, dann erzählte ihr Vertrauter Malvado, dass eine Gruppe Gäste von einer Fee hinter ein Feentor gelockt wurde. Würden jetzt nicht geschickte Entscheidungen getroffen werden, würden schwere Zeiten auf sie und die Baronie Schweinsfold zukommen. Und nun stand da auch noch dieses neugierige, junge Ding. Und dann auch noch die Schwester eines Bannstrahlers. Schlechter konnte es gar nicht kommen. Mit mürrischen Gesichtsausdruck kam sie auf sie zu. “Nicht doch, Schwester. Ihr stört nicht. Wie läuft das Lustwandeln?”, fragte sie noch immer mit genervter Tonlage.

Abermals ließ die junge Novizin ein herzliches Lächeln folgen. Es war ihre bevorzugte Weise, auf reservierte und mürrische Menschen zuzugehen. “Ach das Lustwandeln …”, Rahjalind seufzte, “... der Herr Amiel von Altenberg hat mich zu einem schönen Picknick im Amphitheater eingeladen. Das war sehr nett … doch hat mein Bruder alles kaputt gemacht … jetzt bin ich froh darüber gewesen ein paar Momente für mich zu haben”, plauderte sie los. Auf ihrer Zunge brannte die eine oder andere Frage, doch zwang sich die Rahjadienerin dazu sich vor der Vögtin zurückzuhalten.

Eigentlich sollte sie die junge Novizin ihren Weg gehen lassen, doch ihre Neugierde obsiegte. “Was hat euer Bruder kaputt gemacht? Ist die Verbindung zu dem Altenberger nicht erwünscht?” Alrike verlor ein wenig von ihrer Kühle.

Rahjalind kicherte. “Nein, er hat meine gute Laune kaputt gemacht”, ein Satz der nicht wirklich zu ihrem Lächeln passte. “Der Herr von Altenberg hatte mich sowieso nicht als geeignete Ehefrau empfunden. Darüber hinaus sind wir ja jetzt schon mit den Altenbergern ... verbunden.” Kurz verzogen sich die Mundwinkel der Novizin.

“Ist das überhaupt möglich bei einer Dienerin der fröhlichen Göttin?”Nun zeichnete sich ein Schmunzel auf ihren schmalen Lippen. “Was könnte eure Laune ruinieren? Seid ihr hier seid, habt ihr nichts als gute Laune verbreitet. Ich bin eine gute Beobachterin.”

Rahjalind wog ihren Kopf hin und her. “Nun ja. Am Ende des Tages sind auch wir Dienerinnen der Lieblichen bloß einfache Menschen … mit allen Stärken und Schwächen”, sie lächelte, dann atmete sie tief durch, “mein Bruder hat heute das Herz eines sehr lieben Menschen gebrochen und ist gerade dabei sich selbst zu geißeln … und seine Familie gleich mit dazu.” Kurz schüttelte die Novizin ihr Haupt, dann machte sie einen Knicks - ein Zeichen der Dankbarkeit. “Ich danke Euch für Eure schönen Worte, Hochgeboren … doch weiß ich nicht ob ich bisher nur gute Laune verbreitet habe. Seine Gnaden von Wasserthal meinte ich quäle ihn und auch die junge Dame Ringard von Tannenfels wirkte eher so als würde sie mir den Hals umdrehen wollen.” Rahjalind zwinkerte der Vögtin zu, dann ließ sie ein beinahe schüchternes Lächeln folgen.

Bei der Erwähnung des Namen Wasserthals verließ das Schmunzeln Alrikes Gesicht. Falls es keine andere Lösung gab, wäre sie wohl bald mit dieser eher unbedeutenden Familie verbunden. “Wenn es um Politik geht, werden Herzen gebrochen. Aber das ist etwas, dass euch als Geweihte der Liebholden nicht kümmern sollte. Am Ende des Tages müssen wir uns unseren Taten stellen. Mein Rat ist an euch, folgt den Pfaden eurer Göttin und kümmert euch genau um das. Überlasst Politik den anderen. Und ihr als Geweihte könnt euch darum kümmern mit der Kraft eurer Göttin dass sich eure Familie nicht geißeln muss. Ich bin mir sicher ihr findet einen Weg.” Alrike gab ihr Zeichen die Büsche zu verlassen, um wieder auf den Kiesweg zu gehen.

Rahjalind blickte einige Momente schweigend auf Alrike, sodass lediglich das knirschende Geräusch von Sohlen auf Kieselsteinen zu hören war. "Ihr habt recht …", bestätigte sie dann, "... deshalb habe ich meinem Bruder auch meine Unterstützung zugesagt … nicht politisch, sondern als Schwester. Er liebt mich und es würde ihm das Herz brechen wenn ich nicht an seiner Seite stünde. Auch wenn es mir im gegenwärtigen Fall sehr schwer fällt, Hochgeboren. Aber ich danke Euch für Euren Rat."

“Welche Altenbergerin hat er gefreit? Und wem wurde das Herz gebrochen?” fragte sie nach und signalisierte dass das Gespräch noch nicht zu Ende war.

"Durinja von Altenberg ist die … Glückliche …", gab Rahjalind zur Antwort. Im Grunde genommen war das nicht einmal gelogen. Linnart war ein toller Mann und bestimmt konnte sie mit ihm glücklich werden, so ihr daran gelegen war. "Anfangs hatte er der hohen Dame Andesine von Wasserthal den Hof gemacht. Angeblich verbunden mit einem Versprechen, das er in weiterer Folge gebrochen hatte." Die Novizin war sich jedoch sicher, dass es kein Verlobungsversprechen war … nein, so etwas würde ihr Bruder nicht brechen. Rahjalind war in ihren Worten sehr offen und es verwunderte sie, warum sich die Hochadelige für die Dramen kleiner Familien interessierte. "Der Rabe …", der Blick der Traurigsteinerin suchte das prächtige Tier, " … wie heißt er denn?"

“Auch wenn ihr das nicht hören möchtet, aber politisch gesehen, hat er wohl einen guten Griff getan. Die junge Hofdame ist uns auch schon aufgefallen und wir überlegen, sie an unseren Hof zu holen. Ambitioniert und überzeugend, dabei nicht zimperlich. Gute Qualitäten. Die Familie Wasserthal mag es lieber im Schatten zu bleiben.” Bei der Erwähnung des Raben öffneten sich ihre Augen ein wenig weiter. Sie hatte gehofft, das die Novizin als Nebensächlichkeit abtun würde. Ein gefährliches Detail, das im Ohr eines Bannstrahlers für eine Katastrophe sorgen könnte. “Mein Gemahl ist der Tempelvorsteher des hiesigen Borontempels. Wir wohnen im Uhlenturm. Die nähe zu Boron läßt die Raben in unserer Nähe nisten. Wusstet ihr das Kolkraben besonders intelligent sind? Man kann ihnen sogar Sätze beibringen. Wir nennen ihn Malvado.” Den Bezug auf die Boronkirche zu lenken, würde hoffentlich reichen, das sie nichts weiter hinterfragen würde.

"Ich möchte, dass mein Bruder glücklich ist. Er hätte es verdient …", Alrike konnte einen leichten Anflug von Trotz in ihrer Stimme vernehmen, "… was sie unserer Familie an Qualitäten bringt ist für mich nur von sekundärer Bedeutung. Wichtig ist, dass sie gut zu meinem Bruder ist." Rahjalind schien sich mit der Begründung der Junkerin betreffend des Rabens zufrieden zu geben. Zumindest ließ sie sich nichts anmerken. "Er ist ein sehr schönes Tier …", bemerkte sie stattdessen, "... wisst Ihr ich vertraue den Tieren manchmal mehr als den Menschen, wenn es darum geht wessen Seele in jemandem schlummert." Sie lächelte vielsagend. "Tiere suchen selten freiwillig den Kontakt zu schlechten Menschen. Vor allem intelligente Tiere nicht."

“Da gebe euch recht. Die Baronin denkt darüber nach einen Rahja-Tempel in Herzogenfurt bauen zu lassen. Gartenmeister Rahjagoras haben wir den Schrein im Park zu verdanken. Die Ruine des Praiostempel würde eine gute Stelle sein.” und wechselte damit das Thema.

Nun musste die junge Novizin schmunzeln. "Das ist eine sehr schöne Geste. Möge die Liebliche es Euch und der Baronin vergelten." Während sie gingen, dreht sich die junge Frau einmal um die eigene Achse. "Dieser Ort hier ist von Rahja erfüllt, ein Tempel wäre schön. Aber die Ruine eines Praiostempels … das ist … gewagt, Euer Hochgeboren." Rahjalind nahm sich einiges heraus die Vögtin so direkt darauf anzusprechen, das war ihr bewusst. "Es wird nicht jedem gefallen. Die Kirche des Götterfürsten ist mächtig. Auch uns schlug damals Kritik entgegen als wir der Lieblichen einen Tempel stifteten."

Die Vögtin nickte verständnisvoll. “Nun, es ist bis jetzt nur eine Idee. Dennoch, die Ruine steht dort schon mehr als zwanzig Jahren. Es wäre eine schöne Geste, es auch wieder den Zwölfen zu weihen. Und wer weiß, vielleicht könntet ihr ja eines Tages dort euren Dienst ableisten.”

Rahjalind verharrte in ihrem Schritt. "Ich … äh …", stammelte sie, "... ich danke Euch für dieses Angebot." Als ein solches verstand sie die Aussage der Vögtin nämlich. "Es ehrt mich, doch läge diese Entscheidung nicht bei mir alleine. Alegretta müsste dem auch zustimmen. Selbst wenn ich dann meine Weihe empfangen habe, unterstehe ich immer noch ihrem Tempel." Langsam nahm die junge Frau wieder ihren Schritt auf. Es lag noch so weit in der Zukunft und wer weiß was bis dahin geschah. "Wieso denkt Ihr denn, dass ich eine gute Wahl dafür wäre?"

Die Vögtin lachte kurz. “Nur ein Gedanke. Ich glaube ihr werdet eine gute Dienerin der Liebholden werden.” Dass sie als Verbündete eines Tages wichtig sein könnte, falls ihr Bruder der Bannstrahler ein Problem werden sollte, verschwieg sie. “Und nun entschuldigt mich bitte, Rahjalind. Ich muss ich weiter um die … Politik kümmern. Und das Bankett beginnt bald.” Mit einer aufmunternden Geste berührte sie die Novizin an der Schulter und ging.

"Es war mir eine Freude, Euer Hochgeboren", Rahjalind knickste höflich, dann überlegte sie wohin sie ihr Weg als nächstes führen mochte. In ihr steigerte sich der Wunsch nach Andesine zu suchen, doch würde sie ihre Anwesenheit überhaupt verkraften? Sie wollte ihr Trost spenden, doch würde sie diesen annehmen? Die Novizin war sich unschlüssig.

Der See der Lilienprinzessin

Ein See mit klaren und spiegelnden Wasser, auf dem Wasserrosen blühten. Drei prächtige und alte Weiden standen am Ufer und die Wiese darum, lud ein zum verweilen. Ein großer Pavillon beherbergte eine steinerne Statue, die die Lilienprinzessin und ihren menschlichen Geliebten beim Liebkosen darstellte. Traditionell hinterlassen hier Liebespärchen kleine Geschenke, um den Segen der Liebesgöttin zu erbeten. Hier an diesem Ort besagt die Legende, dass einst eine Fee aus dem Teich stieg, um hier mit ihrem menschlichen Geliebten zu leben. Das sie damit ihre Unsterblichkeit aufgab, gilt ein jedem als höchtses Gut eines Liebesbeweises.

***

Vom Schrein kommend näherte sich ein geknickt wirkender Mann in weißem Hemd und mit dunklen Hosen. Eines der ersten Dinge, die er in Herzogenfurt gehört hatte war die Mär von der Lilienprinzessin und dass Liebespaare an ihrem Schrein Geschenke hinterließen, um um die Gunst der schönen Göttin zu bitten. Linnart vom Traurigen Stein kniete sich vor der Statue hin und ließ die beiden Ringe aus seiner offenen Handfläche gleiten. Das Geschmeide aus Weißgold war wohl ein Vermögen wert, doch konnte alles Gold dieser Welt kein gebrochenes Herz aufwiegen. Er sprach ein Gebet zur schönen Göttin … nicht für sich, sondern für Andesine, der er das Herz gebrochen hatte. Nichts wünschte er sich sehnlicher in diesem Moment, als dass sie jenes Glück finden mochte, das sie sich wünschte.

***

Lucasta von Leihenhof war überrascht. Sie hatte den Edlen von Hottenbusch falsch eingeschätzt. Je weiter sie in den Park liefen fiel ihr auf, dass ihm seine väterliche Art sehr gefiel. Genau genommen, kannte sie so etwas nicht. Ihre Mutter gab den Ton an und ihr Vater und Geschwister folgten. Tar´anam schien ihr zu zuhören, nahm sie ernst und überließ ihr die Führung. Intuitiv zielte sie den See an, von dem sich die Leute hier erzählten. “Und was sagt ihr?“ Sie deutete auf die Figur der Lilienprinzessin. “Hat sie einen Fehler begangen, als sie ihre Unsterblichkeit für die Liebe aufgegeben hat?” Neugierig schaute sie den Edlen an.

Innerlich musste der alte Krieger schmunzeln. Prüfungen, Prüfungen. Wobei er nicht gedacht hätte, dass ihm das Geplänkel mit Lucasta Spaß machen würde. Doch je länger sie zusammen unterwegs waren, desto lockerer wurde er, desto mehr wurde ihm bewusst, was er für ein Leben immer im Dienst aufgegeben hatte. Andererseits hatte er es ja genau deshalb getan, damit er im Zweifelsfall seine Loyalität nicht teilen musste. Nun, Thalissa hatte ihn in dieses Spiel geworfen, möglicherweise musste sie mit den Konsequenzen leben, falls sich solche ergaben.

“Das ist schwer zu beantworten”, erwiderte Tar’anam nach kurzem Überlegen. “Wenn ihr sterbliches Leben ihr Glück und Erfüllung gebracht hat, dann hat sich das durchaus gelohnt, würde ich sagen. Doch ich kenne die Legende nicht, also weiß ich nicht, ob es so war - oder ob überhaupt jemand weiß, wie ihr Leben als Mensch ausgesehen hat.” Wieder flackerte ein kurzes Lächeln über seine Züge. “Und Ihr, würdet Ihr die Unsterblichkeit für die Liebe aufgeben?”

“Hmmm. Eine gute Frage.”Nachdenklich lehnte sie sich an die Balustrade des Pavillons und verschränkte die Arme vor der Brust. “Unsterblichkeit hört sich gut an. Doch ich denke, irgendwann muss auch Schluss sein. Und in die himmlischen Paradiese eingehen ist doch was. In welches würdet ihr hinwollen?”

Wieder gab Tar’anam sich einen Moment, um zu überlegen. Das war jetzt keine so einfache Frage, wie es sich im ersten Moment anhörte. Doch dem Mädchen nun alle Aspekte darzulegen, die für ihn damit verbunden waren, führte zu weit … zumindest jetzt gerade. Dieser Tag war nicht dafür gedacht, langatmige philosophische Diskussionen zu führen.

“Es wird Euch vielleicht überraschen, Lucasta … aber wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich Hesindes Hain wählen.” Mehr sagte er nicht, sondern sah Lucasta nun gespannt an.

“Ich bin nicht überrascht. Ihr seit weise. Da liegt die gelehrte Hesinde nahe. Ich hab es mit Travias Herberge. Meine Familie ist zwar unerträglich, aber alleine will ich auch nicht sein. Und manchmal sind sie ja ganz in Ordnung.” Jetzt lachte Lucasta über ihre Gedanken. “Erzählt mir von euren zu Hause. Gibt es jemand der dort auf euch wartet?”

Tar’anam war nun seinerseits überrascht von Lucastas Reaktion und hob anerkennend eine Augenbraue. Doch was ihre Frage anging … “Meint Ihr Hottenbusch? Da gibt es nicht viel zu erzählen. Als Leibwächterin der Baronin von Rickenhausen bin ich ja ständig unterwegs und dort zuhause, wo ihr Weg sie hinführt. Das Lehen hat mir ihre Vorgängerin, Biora Tagan” - hier huschte ein seltsamer, undeutbarer Ausdruck über das Gesicht des Kriegers, doch war die Regung so schnell wieder vorbei, dass Lucasta sie nicht greifen konnte - “verliehen, für meine Dienste, denn ich war zehn Jahre auch ihr Leibwächter, und um meine Position als Anführer und Ausbilder der Landwehrtruppen zu stärken. Ja, ich habe dort ein kleines Anwesen, aber wahrscheinlich hätte ich Schwierigkeiten, keinen Raum zu vergessen, wenn ich es Euch beschreiben sollte. Und nein, niemand wartet auf mich. Ich habe keine Familie, und als Leibwächter, der jeden Tag sterben kann, ist das auch nicht das Schlechteste.” Er lächelte ein wenig zynisch. “Wobei - sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sich das mit der Familie in Kürze ändert, dann … müsste ich möglicherweise über meine Prioritäten nachdenken.” Ob Thalissa wohl über solcherart Konsequenzen nachgedacht hatte, als sie ihn so leichtfertig den Werbern zugesellt hatte? Wahrscheinlich nicht.

Eher ihrer Intuituion zu verschulden griff sie nach seinem Arm und schaute betroffen. “Das wäre zu traurig. Jeder hat eine eigene Familie verdient. Auch ihr, Tar´anam.” Zum erstenmal kam durch, dass Lucasta doch reifer war, als es schien.

Tar’anam war auf’s Neue erstaunt von Lucastas Reaktion und Berührung, ließ es aber geschehen. Auch ihre Aussage ließ er für den Moment unkommentiert.

“Aber nun zu Eurer Familie, Lucasta. Erzählt mir von ihr. Schließlich soilte ich ja … vorbereitet sein.” Wieder zierte ein ganz untypisches, feines Lächeln das Gesicht des Edlen.

Nun ich gehöre zu den Leihenhof, die meisten kennen Ivetta von Leihenhof und Baron Roklan von Leihenhof. Meine Mutter Raxia ist die Ervögtin von Niedergalebra und mein Vater ist der Erbvogt von Brickenklamm aus dem Haus Schleiffenröchte. Mutter war erst Grafengardistin und später bei der Flussgarde. Nun ist sie Vögtin und übt ihre Arbeit sehr beflissen aus. Wir alle wohnen da.” Auch sie schenkte ihm ein Lächeln.

“Gut, jetzt weiß ich um die Mitglieder Eurer Familie und wo sie wohnen.” Tar’anam schmunzelte ein wenig. “Aber was meintet Ihr vorhin damit, Eure Familie sei unerträglich?”

Lucasta biss sich auf die Unterlippe. Dann entschied sie Tar´anam zu vertrauen. “Meine Mutter bestimmt alles. Als ob wir auf einem Kasernenhof leben würden. Mein Vetter Roklan ist da nicht besser. Wegen ihm sind wir auch hier und sind angehalten einen Ehepartner zu finden. Selbst das Kleid das ich trage ist nur etwas abgelegtes von meiner Mutter. Mein Bruder kann nichts alleine Entscheiden und von meinem Vater kann man auch nichts erwarten. Der macht alles was Mutter will.” Ein trotziger Gesichtsausdruck legte sich über ihr Gesicht.

“Das hört sich ja wahrlich nicht so erhebend an”, erwiderte der Krieger mit gerunzelter Stirn. “Da müsst Ihr Roklan von Leihenhof ja fast dankbar dafür sein, Euch zu dieser Brautschau gedrängt zu haben.” Nun schmunzelte Tar’anam wieder leicht. Wenn er nicht aufpasste, wurde das noch zur Gewohnheit. “Jetzt müsst Ihr nur noch den Richtigen finden.” Er sah ihr direkt in die Augen.

Und sie erwiderte diesen Blick. ´ Konnte es sein?´ Lucasta betrachtete sich den Edlen genauer. Ja er war ein alter Mann. Aber er sah gut aus und sie fühlte sich sicher bei ihm. Und genau genommen ist er genauso einsam wie sie es ist. “Ich würde euer Gut gut verwalten, etwas worin ich jetzt schon gut bin. Und wenn ihr nach hause kommt, seid ihr nicht alleine.” ließ sie die Worte aus sich heraus.

Tar’anam war kein Jungspund mehr, der sich Hals über Kopf verliebte. Aber er hatte Augen im Kopf und ein gerüttelt Maß an Lebenserfahrung, wenn auch nicht ausgeprägt in Rahjas Domäne, so hatte er doch irgendwie kommen sehen, was nun geschah. Und doch war er nun zum dritten Mal überrascht worden, einerseits, weil Lucasta das Angebot tatsächlich machte, andererseits, weil es sich … gut anfühlte. Tar’anam war noch immer weit davon entfernt, verliebt zu sein, aber nach allem, was er von dem jungen Mädchen in der kurzen Zeit ihres Beisammenseins gesehen und gehört hatte, konnte er sich vorstellen, dass das nur eine Frage der Zeit war. Aber um diese Vorstellung zu verifizieren, musste er dafür sorgen, dass sie Wirklichkeit werden konnte.

Tar’anam nahm Lucastas beide Hände in die seinen. Seine Hände fühlten sich rau an, schwielig, aber kräftig, die Hände eines Kriegers. Dann schob er alle Bedenken über die Zukunft und seine Loyalitäten beiseite und fesselte ihren Blick erneut. “Wenn … Ihr mein Gut auch verwalten wollt, wenn Ihr die Frau sein wollt, die auf mich wartet, wenn ich nach Hause komme - und wenn Ihr die Frau sein wollt, die unsere Kinder großzieht, dann … muss ich Euch fragen: wollt Ihr meine Frau werden, Lucasta von Leihenhof?”

Sie hätte nie erwartet das solch ein Edler Herr jemals um ihre Hand anhalten würde. Die Röte schoss ihr ins Gesicht. Immerhin war das hier ihre Entscheidung. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er sie zu nichts zwingen würde. Und sie wäre die alleinige Herrin auf dem Gut. Ja, sie sollte ihren Vetter danken. Aber würde ihre Familie den Edlen akzeptieren? Immerhin könnte er ihr Großvater sein. Das gewohnt trotzige Gefühl stieg wieder auf. Ihre Entscheidung, nicht der ihrer Familie! “Tar’anam sin Corsacca, Edler von Hottenbusch, ich nehme euren Antrag an. Bei Travia schwöre ich, euch eine gute Ehefrau und Mutter unserer Kinder zu sein!” sagte sie mit stolz erhobenem Haupt.

Sie hatte es tatsächlich getan. Irgendwie konnte Tar’anam es kaum glauben, dass sein Leben sich so plötzlich von Grund auf ändern konnte. Doch war es nicht schon immer so gewesen? Jeder Kampf hätte sein Leben nicht nur ändern, sondern beenden können, und wie viele Kämpfe hatte er schon geschlagen? Nun, dies hier war ein Kampf ganz anderer Art. Und wie alle Kämpfe in seinem Leben gedachte er auch diesen zu gewinnen. “Und ich schwöre Euch bei Travia, ein guter Ehemann und Vater unserer Kinder zu sein.” Dann nahm er die junge Frau in den Arm und gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.

Sanfter als sie dachte, denn sie hätte es sich schlimmer vorgestellt. Ihre Lippen zusammengepresst, beantwortete sie den Kuß. Es war nichts anders als wenn ihr Vater sie auf die Wangen küsste.

Dann gewannen zunächst wieder praktische Erwägungen die Oberhand. “Normalerweise wäre nun der Moment, Eure Eltern um ihre Zustimmung zu bitten”, begann Tar’anam mit leicht zweifelnder Stimme und ging auch wie selbstverständlich zum vertrauten ‘Du’ über. “Aber nach dem, was du mir vorhin von deiner Familie erzählt hast, sehe ich da gewisse Schwierigkeiten auf uns zukommen. Wir könnten alternativ zu Hochwürden Winrich von Altenberg-Sturmfels gehen. Was meinst du?”

Leicht schwindelig von diesem überraschenden Moment, brauchte sie kurz, um ihre Gedanken zu ordnen.”Ich denke … das ist eine gute Idee. Roklan können wir dann immer noch fragen.” Sie nahm ihn an die Hand und ging zurück zur Festwiese.

Tar’anam war sich bewusst, dass er hier ein sehr zartes und verletzliches Pflänzchen in den Händen hielt. Hoffentlich bereute Lucasta nicht morgen, was sie heute geschworen hatte. Gut, dass sie nun zum Travia-Hochgeweihten gingen, der würde sicher ein Auge dafür haben, wie ernst es der jungen Dame - trotz ihres Schwurs - war. Andererseits … sollte er sie nicht unterschätzen. Sie hatte sich gut geschlagen auf einem für sie sicherlich gänzlich fremden Parkett. Er sollte stolz auf sie sein. Sie war ja nun seine zukünftige Frau.

***

Eine Weile lief der hübsche Diener voran, immer wieder sich versichernd, dass es der Baroness gut ginge und ihm folgte. Servusian brachte sie zu dem schönen See mit der Statue der Lilienprinzessin. “Hier sind wir, der schönste Ort im Park! Schließt die Augen, zieht die Luft durch die Nase und lauscht dem Wiegen der Bäume und Blumen im Wind und ihr werdet verstehen!”
Sie dankte dem Diener, nahm ihm den Krug aus der Hand und blieb dann alleine an diesem hübschen Ort. Verschämt blickte sie sich um und als niemand zu sehen war, liess sie sich auf dem Boden nieder. Verschränkte ihre Arme im Nacken und sich selbst auf dem so fleichgewordenen Ruhekissen nieder. Sie schloss die Augen und konzentriere sich auf ihre Atmung. Was eine Misere. Dieser Tag. Und doch gänzlich anders.

Wieder ging eine kurze Böe durch die Luft und ließ das Schilf am See rascheln. Dann fiel ihr das junge Mädchen auf, das wohl in ihrem Alter war. Gehüllt war sie in einem weiß-blauen seidenen Kleid, der Kopf umhüllt von einer Kopfbedeckung die nur das Gesicht und einige Strähnen ihres roten Haares freigaben. Ihre Haut war so hell wie feinstes Porzellan, edle, aber die noch junge Gesichtszüge zeugten von einem starken Willen, der Mund war kirschrot bemalt. Sie schien glücklich und sammelte ein paar schöne Lilien. Als sie Luzia im Gras liegen sah, hob sie ihre Hand zum Gruße.

Luzi setze sich auf und winkte zurück. Eine Frau. Damit war ihr Gegenüber wohl ungefährlich. Womöglich eine Leidensgenossin.

Gelda strich sich eine Strähne aus dem Haar und blieb bei der unbekümmerten jungen Frau stehen. “Ich bin Gelda von Altenberg, euer Wohlgeboren. Hat euch niemand zum lustwandeln geladen?” fragte diese neugierig.

“Das wäre schön gewesen.” seufzte die junge Frau. “Euch? Mögt ihr euch zu mir setzen.”

“Oh sehr gerne.” Gelda legte die Blumen ins Gras und setzte sich zu der Baroness. “Ich bin geflüchtet, um ehrlich zu sein. Ich möchte den Herren keine falsche Hoffnung machen. Ich habe meinen Liebsten schon gefunden.” Keine Schwere und kein Widerwille war in ihren Worten zu erkennen. “Ich hätte fast geglaubt mein Bruder würde euch fragen. Der Mut muss ihn wohl verlassen haben. “

“Oh, stimmt, ihr seid die Schwester Talfanos, nicht wahr?” Sie schluckte. “Ja, er hat mich gefragt, dann kam aber… ein weiterer Herr und beide gerieten darüber in Streit, wer mit mir spazieren gehen dürfe.” Ein Seufzen folgte. “Ich habe Ihnen gesagt, dass ich mich nicht wohlfühle, wenn ich wie … wie ein Objekt behandelt würde.” Sie suchte Geldas Blick. “Es lag mir fern, euren Bruder zu verletzen. Ihr könnt ihm von mir ausrichten, dass dies nicht in meinem Sinn war. Aber… ich weiss nicht, wie es euch geht. Ich… habe keine Erfahrung damit, wenn Männer… ich meine, versteht ihr was ich meine? Ich habe ihnen allen gesagt, dass ich nur auf Vaters Wunsch hier bin und mich nicht vermählen möchte. Ich dachte, dass Ehrlichkeit die höchste Trumpfkarte sei. Aber, das scheint niemanden interessiert zu haben.” Sie zögerte ein wenig. Genausowenig wie mit Männern hatte sie mit Frauen Erfahrung. Sie hatte keine Freundinnen oder Vertraute. “Falls ihr möchtet und es euch nicht als Verrat gegen euren Bruder vorkommt, bleibt doch hier und wir unterhalten uns ein wenig?”

Gelda legte ihren Kopf schräg in den Nacken. “Ach, macht euch keine Sorgen um Talfi. Das wird er schon überleben. Aber ich verstehe, was ihr meint. Meine Eltern haben auf diese Brautschau für uns Altenberger bestanden. Ich bin sogar vor einigen Monden weggelaufen, um dem hier zu entgehen …” Ihr Blick wanderte in die Ferne. “Aber zwei Leute mussten mich darauf bringen, dass man Herausforderungen annehmen sollte und nicht davor wegzulaufen. “

Luzia seufzte. Da hatte die andere recht. “Ich wünschte nur, ich hätte etwas mehr Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen zu heiraten. Also.. ich meine, nicht im Allgemeinen, sondern im Moment. Ich fühle mich noch nicht ...wie eine richtige Erwachsene, versteht Ihr?” Sie zögerte: “Aber erzählt mir von eurem Abenteuer? Wohin seid ihr gegangen, als ihr fortlaufen wolltet. Wielange ward ihr weg? Und wer hat euch zurückgebracht? Waren eure Eltern sehr wütend?” Sie dachte kurz darüber nach, wie ihre Eltern reagieren würde. Es war nicht schwer sich das vorzustellen. Vater wäre wütend und Mutter würde es nicht einmal bemerken. Ihre älteste Schwester wäre ausser sich vor Sorge- Nur noch wenige Wochen, dann würde Prianna ebenfalls verheiratet sein. Ihre beiden älteren Schwestern wären dann bei ihren Gatten, Lissa und Adelke fort, um sich ausbilden zu lassen. Nur sie würde zurück bleiben. Neugierig sah sie Gelda an. “Verzeiht, wenn ich zu neugierig bin.”

Gelda lachte. “Nur zu, Wohlgeboren. Ich bin auch immer neugierig.” Sie wurde ein wenig ernster. “Es hatte mich sehr erschrocken, als meine Eltern mir von den Plänen der Brautschau erzählt haben. Ich dachte, dass erstmal Sabea, die Ältere, dran ist. Aber das wir gleich alle drei gleichzeitig verheiratet werden sollen, war unerwartet. Nun, ich muss gestehen, dass hat mir Angst eingejagt. Ich bin dann zum Stall, habe mir Aschefell gegriffen und bin davon geritten. Und dass mitten im Firun. Ich wollte einfach nur weg.” Kurze dachte Gelda nach. “Eine große Dummheit. Firun war ja besonders gnadenlos dieses Jahr. Ich musste absteigen, verlor Aschefell und wäre fast im Schneesturm erfroren. Aber die Schwanengleiche hat mir das Leben gerettet.” Ein Lächeln umschmeichelte der Altenbergerin Lippen. “Die Geweihte Nia hatte mich gefunden und mich auch wieder nach Hause gebracht. Sie war die Erste die mir sagte ich soll die Herausforderungen des Lebens annehmen. Nur so kann ich selbst bestimmen.” Dann nahm sie eine Lilie auf und roch daran. “Natürlich waren meine Eltern nicht froh über meinen Alleingang, aber sie sind nie lange böse. Und der zweite war der Geweihte der Rondra, Rondradin von Wasserthal. Ihn habe ich bei der Jagd von Nilsitz kennengelernt. Ich folgte seinem Rat und bin überraschend zur Jagdkönigin gekürt worden. Ich hätte nie gedacht, jemals einen ´Großen Schröter´ zu erlegen. Seitdem bin ich mir gewiss, dass Ifirn mit mir ist. “ Dann schaute sie wieder Luzia an. “Erzählt mir von euch, was habt ihr erlebt oder würdet gerne erleben?”

“Ich bin in Obena aufgewachsen, mit meinen vier Schwestern.” Sie überlegte einen Moment: “Aber ausser, dass jede von uns einige Wochen in die Hesindeschule gegangen ist und einige Zeit auf Rickenbach verbracht hat, um Reiten zu lernen, war ich immer nur in Obena. Bis auf die wenigen Male, die ich Vater nach Elenvina begleitet habe, war ich auch fast noch nirgends ausserhalb unserer Baronie. Zur Hochzeit meiner Schwester war ich mit meiner Familie natürlich in Hlutharswacht, wo sie nun lebt. Und jetzt bin ich offensichtlich hier. Aber ansonsten...” An die verfluchte Hochzeit mochte sie lieber nicht denken und zuckte beiläufig mit den Achseln. “Aber wisst ihr- Ich mag unsere Wälder und die Jagd. Vater nimmt mich oft mit, wenn er hinaus geht. Reiten und den Wind im Haar spüren.” Sie lachte die andere an. “Mehr will ich eigentlich gar nicht.” Ernst fuhr sie fort: “Mich graut es davor, vielleicht irgendwann in einer Stadt leben zu müssen. Weg von den Bergen.” Sie machte eine kurze Pause:

“Vater hat eine Affinität zu schönen Dingen. Er sammelt Kunst und es sind auch oft Künstler bei uns im Schloss. Außerdem veranstaltet er fast jedes Jahr zwei Feste, zu denen junge, unbekannte Künstler aufspielen. Er versteht nicht, dass mich das nicht übermäßig fasziniert. Oder -besser gesagt- es ist ihm egal.” Dann sah sie die andere forschend an:

“Aber, wenn ihr die Jagdkönigin geworden seid, dann seid ihr sicher auch begeistert vom Wald und der Freiheit der Jagd, nicht? Immerhin ist dies auch die Domäne der Ifirn?”

“Ja! Und seit der Jagd bin ich mir der neuen Leidenschaft gewiss. Nun ich hoffe, ihr werdet weiter auf dem Land bleiben können. Aber ihr habt es schon schwer. Ich wünschte ich könnte euch helfen. Gibt es denn, außer meinen Bruder, jemand interessanten?” Bevor Luzia antworten konnte sprach Gelda gedankenverloren weiter. “Es gibt da einen Freund, Nivard von Tannenfels, der um meine Hand werben wollte. Mein Herz schlug aber für jemand anderen. Erst dachte ich, das meine Herausforderung daran lag, jemanden zu heiraten, den ich mag, aber nicht liebe. Bevor ich in den Park kam, habe ich aber erkannt, dass die Herausforderung jene ist, den Menschen zu heiraten, den ich liebe, auch wenn es bedeutet einen Skandal auszulösen.”
“Wieso einen Skandal? Ist es jemand so weit unter eurem Stand?” Gelda stockte kurz und lief Rot an. Hatte sie zu viel erzählt? Konnte sie der jungen Frau vertrauen? “Oh … also nein. Nun mein Geliebter hatte sich einer anderen Frau versprochen. Ihm wurde das aber auch aufgezwungen. Nun wollen wir heiraten.” Mit gesenktem Blick schaute sie Luzia an.

Die Baroness runzelte die Stirn, was zu einer leicht gekräuselten Nase führte. "Hat er die andere…. Ich meine ist sie schwanger von ihm?“ Gelda schüttelte den Kopf. “So weit ich das weiß, sind die sich nur einmal begegnet … und so gut kennen sie sich nicht.

"Dann hat er schon den Verlobungsvertrag gezeichnet? In der Regel… muss dann der Brautpreis noch gezahlt werden, aber… wartet, verzeiht. Es geht nicht um ein rechtliches Problem, nicht wahr?" Sie atmete tief durch. “Praios sei dank, hat er das nicht. Es war ein kurzes Versprechen mit dem Vater der Verlobten. Und rechtlich gesehen hat meine Familie ja viele gute Rechtsgelehrte. Aber ihr habt recht, Baroness, es ist eher eine moralische Frage. Zumal die Verlobte höheren Standes ist.” Die Altenbergerin senkte ihren Blick.

"Ist ihre Familie so mächtig, dass ihr Repressalien fürchtet?“

“Ich bin weniger um meine Familie besorgt, sondern eher um den Ruf meines Zukünftigen. Aber ich werde an seiner Seite stehen. Komme was wolle.” Gelda reckte ihr Kinn und blickte ernst.
“Habt ihr schonmal jemand getroffen, der euer Herz schneller schlagen ließ. Jemanden, den ihr ständig an eurer Seite haben möchtet?” fragte sie nun neugierig.

Luzia schüttelte den Kopf.”Ich möchte… das auch nicht. Kann das Herz einen nicht schnell hinters Licht führen? Ebenso wie… die Lust. Rahja… ist die Göttin der Hingabe, nicht der Beständigkeit. Wie lange kennt ihr denn euren ähm… Geliebten schon?”

“Seit letzten Ingerimm, euer Wohlgeboren. Aber ich bin mir sicher , das es was Beständiges ist.” Dann fiel ihr Blick über Luzias Schulter und erblickte Rondradin in einiger Entfernung. Wie stieg ihr Röte ins Gesicht und sie winkte ihm verliebt zu. Dann blinzelte sie Luzia entschuldigend an.

Rondradin sagte ein paar Worte zu dem Mädchen im Pagenalter, dass dann knapp nickte und in Richtung des Mersingers lief. Dann lächelte Rondradin glücklich in Geldas Richtung und machte einen Schritt in ihre Richtung.

Luzia zuckte ein wenig mit den Augenbrauen, als sie das hörte. Ein Mond? Oder weniger. Langsam sollte man annehmen, hier an diesem Ort sei irgendetwas im Wasser. Die Menschen schienen hier viel zu schnell den anderen zu verfallen. Und kopflos zu werden. Als sie Geldas Blick folgte und den Rondradiener erblickte, der Gelda verliebt anlächelte, verstand sie das Problem der beiden besser. Sie überlegte, ob sie aufstehen und gehen sollte, damit die beiden ihre Ruhe hatten. Aber sie kam nicht dazu den Gedanken weiter zu spinnen, denn der große Mann warf ihr noch einen letzten verliebten Blick zu, bevor er Luzias Schwester zu deren Schwertvater folgte, der sich offenbar in einem Streitgespräch mit zwei anderen Gästen befand.

“Ich verstehe”, konstatierte die Baroness. “Verzeiht die Frage, aber … woher wisst ihr um die Beständigkeit eurer Gefühle? Nicht alles, was Rahja zusammenführt, muss Travia binden.” Neugierig sah sie die andere an: “Was macht euch so sicher, dass er der ist, dem ihr euch bis zum Ende eures Lebens- oder seines Lebens vermutlich eher- versprechen wollt?”

Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Gesprächspartnerin. “Dafür habe ich keine Erklärung. Ich weiß es einfach. Nun, ich habe noch einige Sachen zum Vorbereiten. Ich hoffe für euch, dass ihr die Herausforderung hier annehmt, nur so könnt ihr selbst Entscheiden.” Gelda griff die Blumen und erhob sich. “Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt, Baroness Luzia.” Mit ehrlichem Blick schaute sie diese an.

“Ich danke euch. Und viel… Glück für eure Liebe.” Sie lächelte der anderen zum Abschied nach und legte sich dann wieder zurück ins Gras - sah in den Himmel.

***

Lares irrte derweil im gesamten Park umher. Das Areal war riesig - gefühlt jedenfalls. Er würde Stunden brauchen, ehe er alles abgeklappert hatte. Beim Küchenzelt war sie inicht, auf der Festwiese war sie nicht, am Schrein war sie nicht… Irgendwann erreichte er den kleinen See, doch ohne Luzia zu sehen. Er hatte den Eindruck, völlig allein zu sein und in diesem Moment fühlte er sich einsam. Er ließ sich ins Gras sinken, legte seinen Kopf auf die Erde und blickte gen Himmel - in die strahlende Sonne.

Geblendet von dieser nahm er die leichtfüßigen Schritte war und eine Silhouette schob sich für die Praiosscheibe. Wie eine strahlende Aureole schmiegten sich die Sonnenstrahlen um das Haupt der Frau.

Lares blinzelte, dann schirmte er seine Augen vor der Sonne ab. Was war das für eine Figur. “Verzeiht, wer seid Ihr?”

Langsam gewöhnten sich Lares Augen an den geworfenen Schatten. Seidige, aber kräftige dunkle Locken umrahmten ein rundes Gesicht, dass ihn liebevoll anlächelte. Ihre großen und ausdrucksstarken grün-braunen Augen strahlten vor Freude und ein glucksendes Lachen begleitete sie. Die etwas mehr als 100 Stein schwere Frau erkannte er als die Praiosgeweihte Praiona von Altenberg. “Ich bin die liebliche Braut auf die ihr gewartet habt, euer Wohlgeboren!”, antwortete sie und setzte sich zu ihm ins Gras.

Den dürren Ritter riss die Erscheinung aus seiner sonnengeprägten Lethargie. Ein Schreck durchfuhr alle seine Glieder. Verdattert und von der Praiosscheibe noch immer leicht benebelt glotzte er die Altenbergerin an. “Ähm, und Euer Name ist?”

Die Geweihte nahm ihre Filzmütze ab, und schüttelte ihre Locken. “Wir war doch zusammen am Praiostisch, euer Wohlgeboren von Mersingen.Es war rührend wie ihr euch um das Kind gekümmert hat, um es vor der Katze zu schützen. Wie ein wahrer Held.” das glucksende Lachen folgte wieder.

“Ach, Ihr, Eure...die Sphärenkugeln. Genau!”, Lares erinnerte sich. “Ihr wart es, dessen Licht die Augen meines lieben Lehrers Ademar traf. Danke Euch. Ich fürchte, meine Heldenhaftigkeit war da völlig verschwendet. Ich habe die Zeichen des Herrn falsch gedeutet. Mir fehlt der Einblick in seine goldene Herrlichkeit, die Euch zuteil wird.” Lares runzelte die Stirn. “Wollt Ihr Platz nehmen? Ich denke doch, Ihr sucht mich mit einem Anliegen auf.”

“Ich wollte euch kennenlernen.” Praiona schmunzelte. “Habt ihr wirklich falsch gedeutet? Vielleicht hatte das Zeichen ja für jeden Anwesenden eine eigene Bedeutung. Das Licht hat mich ja erst auf euch Aufmerksam gemacht. Tanzt ihr gerne?”

“Nein, das würde ich nicht behaupten. Ich bin kein sonderlich geschickter Tänzer - außer, Ihr gebt mir ein Schwert in die Hand.” Schalkhaft schaute sie ihn tief in die Augen. “Wenn ich ein Schwert wäre, könntet ihr mich also führen?“

“Ihr seid jedoch kein Schwert”, stellte Lares recht Offensichtliches klar. “Ich möchte ehrlich zu Euch sein.”, meinte er dann so freundlich er konnte - ein Charakterzug, den man dem kleinen Mann mit den dunklen Haaren, dem finsteren Gesicht und den tiefen Geheimratsecken kaum abnahm. “Am heutigen Tag waren schon zu viele Menschen unehrlich zueinander. Das Auge des Herrn PRAios schaut heute nicht mit Wohlwollen auf diesen Garten. Doch ich will nicht zu den Lügnern und Betrügern gehören. Ich fürchte, Ihr werdet in mir nicht das finden, was Ihr Euch erhofft. Ich werde nicht Euer Gatte werden. Mein Herz ist schon an eine andere verloren - aber die finde ich nicht, warum auch immer. Ich fürchte, dazu muss ich erst auf PHExens Pfaden wandeln.”

Auch wenn sich Enttäuschung in ihren Blick schlich, war sie recht schnell gefasst. Zurückweisung war etwas, das Praiona ihr ganzes Leben lang gewohnt war. Sie setzte sich wieder gerade hin und war wieder voll und ganz die Geweihte des Götterfürsten. “Ich schätze eure Ehrlichkeit. Doch ihr maßt euch einiges an, Herr Junker. Ihr seid einer der Letzten der beurteilen kann, ob der Herr Praios wohlwollend auf den Garten schaut oder nicht. Und ihr widersprecht euch. Ihr wollt zu keinen Betrügern gehören, doch stellt gleich in Aussicht die Pfade des Listigen zu gehen, um die umworbene Frau zu finden. Das ist alles andere als praiosgefällig. Prüft euer Herz und Worte bevor ihr urteilt.” Praiona hatte gänzlich ihre verspielte Art verloren. Ernst schaute sie Lares an.

“Nein, nein”, jetzt musste Lares schmunzeln. “Ihr missversteht mich: Ich meinte, ich muss scheinbar Pfade wandeln, die ich nicht finden kann, weil sie mir so fremd sind. Und vor mir verborgen. Ich hätte mich einfacher ausdrücken sollen. Ich habe sie verloren und der Park kommt mir plötzlich riesig vor. Aber warum meint Ihr, dass ich meinen Mund zu voll nehme?” Diesen Vorwurf wollte er sich dann doch nicht kommentarlos gefallen lassen.

“Wie ihr seht, eine klare Wortwahl verhindert Missverständnisse. Um zu eurer Beurteilung zurück zu kommen. Ihr könnt nicht darüber urteilen, ob der Herr Praios wohlwollend auf dieses Fest schaut oder nicht. Und muss ich euch daran erinnern, das ihr selbst glaubt, dass Zeichen des Herrn nicht verstanden zu haben? Wie könnt ihr dann den Willen des Herrn bemessen?” Wie ein Fels blieb sie bei ihrer Aussage.

Die Beweisführung war stichhaltig, das musste der Mersinger anerkennen. Einigermaßen überzeugt nickte er. “Eine kluge Überlegung. Mit einer Schwachstelle: Was ist, wenn meine Mutmaßung, was das Zeichen anbetraf, doch nicht falsch war? Ich sagt ja selbst, dass Zweideutigkeiten Missverständnisse hervorrufen.” ´Gut er wandert langsam auf den richtigen Pfad´. Sie verkniff den Mund ein wenig. “Sagt mir, wie ihr das Zeichen verstanden habt und warum ihr denkt das es eine Fehldeutung eurerseits war.”

Lares berichtete ihr von seiner Überlegung, der Fingerzeig des Herrn hätte zwar den Anwesenden gegolten, habe aber die Katze gemeint, die sie zum straucheln brachte. Er schilderte ebenso knapp, dass er der Auffassung war, es sei ein Hinweis auf Madas Kräfte gewesen. “Aber ich hatte danach eine Unterredung mit Ademar. Er meinte, das Licht habe ihm gegolten. Ihm ganz persönlich. Vielleicht hat er Recht und ich habe da etwas auf mich bezogen, das vielmehr ihn betraf. Oder Ihr habt Recht und für jeden wollte das Zeichen etwas anderes sagen. Für mich zum Beispiel, das Gefahr droht.” “Und, drohte Gefahr?” stellte sie die nächste Frage.

“Eine Gefahr hat sich nicht realisiert. Nicht, dass ich es gemerkt hätte, jedenfalls. Ob eine Gefahr gedroht hat? Ach, ich weiß nicht. Ihr wärt beinahe gestolpert, aber das wird es ja nicht gewesen sein.” Lares stieß hier an seine Grenzen. Genau diese Fragen hatte er drei- oder viermal hin- und hergewälzt und war immer an diesem Punkt angekommen. Dann musste er sich um Andesine kümmern und wollte Luzia nicht im Regen stehen lassen und...hatte die Fragen ad acta gelegt.

“Es drohte also keine Gefahr. Glaubt ihr denn wirklich, das Madas Kräfte in Anwesenheit einer Zeremonie des Götterfürsten UND zwei seiner Geweihte überhaupt wirken konnte? Und es war wirklich nur eine Katze.” Nun erhob sie belehrend ihren Zeigefinger. “Mit all dem Wissen ist es sonnenklar, dass hier kein zweideutiges Missverständnis sein kann. Dementsprechend auch keine Schwachstelle.” Die Blickte kurz zur Sonne und seufzte.”Ihr solltet euch beim Götterfürsten entschuldigen, euer Wohlgeboren.”

Er nickte angesichts der überzeugenden Beweisführung der Praiotin - und wahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass es sich um eine Praiotin handelte. Dann sprach er ein knappes Stoßgebet mit dem er sich zu seinen Unzulänglichkeiten und Fehlern bekannte und Besserung gelobte. “Ich danke Euch. Ihr habt mit ein wenig Klarheit geschenkt. Wenn Ihr das gleiche Talent habt, Frauen aufzuspüren, dann stünde ich tief in Eurer Schuld.”

“Um wen handelt es sich. Wer ist den die Herzensdame?” fragte sie, jetzt wieder weniger streng, nach.

“Ich suche die Baroness von Keyserring.”, antwortete er aufrichtig.

Schwerfällig erhob Praiona sich. “Es ist Zeit das ich weiter ziehe. Danke für eure Zeit, Lares von Mersingen.” Ihre Stimme wirkte traurig. “Ihr solltet nach Elenvina kommen und mehr über den Götterfürsten lernen. Und bitte, behauptet nicht noch einmal das der Herr nicht wohlwollend über dieses Fest schaut. Öffnet eure Augen, Lares. Folgt dem Sonnenschein. Und erkennt dass Luzia von Keyserring dort drüben auf der Wiese die Sonne genießt.” Sie deutete auf die zwei Frauen die sich nicht allzu weit, liegend auf der Wiese unterhielten. “Und bleibt bitte bei der Ehrlichkeit.” Sie begann ein Lied zu summen und ging.

“Wie, was, äh…”, stotterte der Mersinger der Geweihten hinterher. Das konnte doch nicht… Da vorne, nicht weit von seinem Standort entfernt, saß Luzia mit einer anderen jungen Dame im Gras. Sie schienen sich ungestört zu unterhalten. Er wollte nicht denselben Fehler noch einmal machen und vor lauter ungestümen Eifer aufdringlich wirken, also wartete er in aller Seelenruhe und in gebührendem Abstand darauf, dass die beiden ihr Gespräch beendet haben würden. Er übte sich also in Geduld und blieb an seinem Platz am Teich sitzen.

***

Nach einem kurzen Spaziergang über den schönen, weißen Kiesweg erreichte der Edelmann Milian von Altenberg mit der Baronin Thalissa von Rieckenhausen am Arm, die Wiese am See der Lilienprinzessin. Wie versprochen zog eine Brise kühler Luft auf und kühlte die Beiden. Ja, irgendetwas magisches lag über diesen Ort. Vorsichtig wollte Milian Thalissa zu dem See bringen, als beiden der Mann auffiel, der zwei junge Damen, die eine Baroness Luzia von Keyssering und die andere Gelda von Altenberg, in einigem Abstand beobachtete. Verwundert schaute Milian die Baronin an. Während Lares erst jetzt die Neuankömmlinge wahr nahm.

Lares warf den Herrschaften einen höflichen Gruß zu, insbesondere der Baronin von Rickenhausen, mit der er in der Vergangenheit schon hinlänglich Erfahrungen gesammelt hatte - nur gute, würde er selbstverständlich sagen. Aber sein Augenmerk galt den beiden jungen Damen. Noch eine Gelegenheit würde er sich nicht entgehen lassen. Doch das Gespräch schien nicht enden zu wollen. Lares würde sich in Geduld üben müssen, sah er ein.

Thalissa grüßte ebenso höflich zurück, doch da der Mersinger offenbar gerade anderweitig beschäftigt war, verzichtete sie darauf, das Wort an ihn zu richten. Statt dessen sah sie Milian an. “Schön ist es hier, Ihr habt nicht zuviel versprochen. Aber Ihr scheint überrascht zu sein, den Herrn von Mersingen hier zu treffen, oder die beiden Damen, oder alle drei?”

“Verzeiht, euer Hochgeboren. Ihr solltet natürlich meine ganze Aufmerksamkeit bekommen. Ich finde nur, dass der Junker etwas viel Interesse hat, an den beiden noch ´recht jungen´ Damen. Mir scheint es, dass er sie beobachtet. Das rothaarige Mädchen ist Gelda, meine Base. Und ich denke ich muss nicht erwähnen, dass daneben die Baroness von Keyserring sitzt. Eine Dame den Hof machen das ist eine Sache, doch lüstern zu beobachten eine andere. Meint ihr nicht?” Besorgt schaute er Thalissa an. Ob es echt war oder nur gespielt, vermeinte sie nicht zu unterscheiden.

Die Baronin hatte zwar schon mehrfach mit dem Mersinger zu tun gehabt, aber was seine charakterliche Integrität Frauen gegenüber anging, wusste sie nicht Bescheid. Allerdings gab es Gerüchte … “Warum fragt Ihr ihn nicht?” Thalissa lächelte Milian herausfordernd an. “Ich kann seinen Blick leider nicht so eindeutig deuten wie Ihr.” Milian nickte nachdenklich. “Ich bin überrascht, ich hörte von eure Tätigkeit als Criminal-Ermittlerin. Schult sich da der Blick nicht?” , fragte er freundlich. Er machte einen Schritt auf den Junker zu. “Heda, Wohlgeboren von Mersingen. Braucht ihr Hilfe, um den Damen eine Aufwartung zu machen oder warum dieses phexische Verhalten?” Fragte er direkt mit erhobener Augenbraue.

Der Altenberger machte sich gerade unbeliebt bei ihr, aber das sollte Thalissa nicht stören, bestärkte sie es doch darin, sich nicht zu sehr mit ihm einzulassen, was sie sowieso nicht vorgehabt hatte. Was hätte es dem edlen Herrn wohl sagen müssen, wenn sie als (ehemalige) Criminal-Ermittlerin an Blick und Haltung des Mersingers nichts eindeutig Unschickliches findes konnte?

Lares wandte sich um, wobei seine zusammengekniffenen Augenbrauen verrieten, was er von dieser Frage dachte. “Entschuldigt, Wohlgeboren von Altenberg”, erwiderte er höflich, aber kalt “ich fühle mich von ‘heda’ nicht wirklich angesprochen. Ihr wollt wissen, warum ich höflich warte, bis die Damen ihr Gespräch beendet haben? Nun zum einen, weil es sich so geziemt und zum anderen, weil forsches Auftreten mir bei einer der Damen am heutigen Tage bereits nicht zum Erfolg verholfen hat. Das hat mich schmerzlich daran erinnert, dass der Mann von Welt sein Temperament zu zügeln weiß.”

Milian antwortete nur mit einem Lächeln. Seine Wortwahl war nicht ohne Berechnung gesetzt. Und sein Konkurrent hat genauso reagiert wie erwartet. “Wir können nur hoffen dass ihr dieser ´Mann von Welt seit´ , den ein Mann mit Anstand könnte besorgt sein, dass eine Dame von Stand und Unschuld in bedrohlicher Situation sein könnte. Ich habe heute schon beobachtet wie einer Dame der Ruf befleckt wurde. Also müßt ihr verstehen Junker von Mersingen, dass ich Aug und Ohren offen habe. Das geziemt sich als Edelmann, wie ich einer bin.” Das Lächeln wurde breiter und er verneigte sich leicht vor seiner Begleiterin.

Thalissas Lächeln war eher bedeckt, tatsächlich konnte es Milian gar nicht sehen, verdeckte der geöffnete Fächer doch gerade ihr halbes Gesicht. Interessiert verfolgte sie den weiteren Austausch der beiden Herren.

Interessant, dachte sich Lares. “Ja, habt Ihr? Das ist äußerst bedauerlich! Für Eure Umsicht bin ich dankbar. Sagt, welcher Rüpel beschmutzte die Ehre einer der anwesenden Damen? Ich musste ebenfalls einen Herren an die Regeln des Anstands erinnern, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Ich hoffe, Euch waren PRAios und TRAvia da eher hold?”

Noch bevor die anderen antworten konnten, registrierte Lares die kleine, blonde Gestalt, die zieltgerichtet auf ihn zustapfte. Gefolgt von dem Rondradiener, bei dem er sie vorhin gelassen hatte.

***

Das Lustwandeln hatte er sich anders vorgestellt, musste Rondradin sich schmunzelnd eingestehen, als er mit der jungen Dame neben sich durch den Park flanierte. Es schien Basilissa soweit gut zu gehen, was ihn freute und er war guter Hoffnung, dass sie in Zukunft von weiteren Albträumen verschont bleiben würde.

Sein Blick glitt von links nach rechts. Der Park wurde seinem Namen wirklich gerecht, überall wuchsen Lilien und zugleich strahlte er etwas friedvolles, beruhigendes aus. Als sie den See erreichten, fanden sich auch endlich den Schwertvater der Pagin. Aber dieser war nicht allein. Da waren noch andere Grüppchen. Zum einen die Baronin von Rickenhausen, zuletzt waren sie sich kurz in Nilsitz begegnet und der Mann neben ihm musste aus dem Haus Altenberg stammen, jedenfalls hatte Rondradin ihn vorhin an deren Tisch gesehen. Was ihm allerdings den Atem verschlug waren die beiden jungen Frauen, die auf der Wiese saßen. Luzia von Keyserring nahm er dabei kaum wahr, galt seine Aufmerksamkeit doch diesem Lichtgeschöpf, seiner einzig wahren Liebe, Gelda von Altenberg. Auch wenn sie mit dem Rücken zu ihm saß, so war es doch unverkennbar sie. Mit Mühe konnte er seinen Blick von ihr lösen und Basilissa zuwenden. “Da wären wir. Siehst du? Da vorne sitzt dein Schwertvater. Soll ich mit ihm über deine Träume sprechen?”

Sie nickte langsam bevor sie sich in Lares Richtung wandte.

“Lauf doch zu ihm. Ich komme sofort nach.” Rondradin blieb einen Moment stehen und nahm dies friedliche Szenerie in sich auf. Wunderschön.

***

Lissa registrierte, dass Lares im Gespräch mit zwei weiteren Herrschaften stand und verlangsamte ihren Schritt. Sie lächelte ihm entgegen. Irgendwie fühlte sie sich besser als vorhin noch.

Stellte der Junker sich dumm oder war er so von sich eingenommen, dass seine impertinente Art die beiden Frauen so aus der Ferne zu ´beobachten´ gegen jeglicher Etikette ging. “Ich sprach von euch. Ihr solltet die Damen nicht so aus der Ferne ´bespannen´, es wirkt missverständlich.” Mit erhobener Augenbraue, nahm nun auch Milian die Pagin war.


“Ach, ich dachte, Ihr sprecht von zwei verschiedenen Personen. Aber das muss Eure unpräzise Ausdrucksweise sein. Ich habe verstanden, dass Ihr mein respektvolles Zuwarten missverstanden habt - und ich bin Euch dankbar für die offenen Worte. Wir wollen ja nicht, dass noch andere diesem ‘Missverständnis’ unterliegen, nicht wahr?”, säuselte Lares, dann wandte er sich ab und sein Gesicht klarte ob seiner zufriedenen Pagin auf. “Hallo Basilissa, hast du mit dem Herrn von Wasserthal reden können, so, wie du dir das gewünscht hast? Der Herr hier meint, wenn ich auf deine Schwester warte, dann ist das unzüchtig. Findest du das auch?” Er deutete beiläufig auf Milan.

“Äh.” Das Kind sah seinen Schwertvater irritiert an: “Ja, ich habe mit seiner Gnaden reden können und ähm… ich glaube nicht, aber… “ sie zuckte mit den Achseln. Sie hatte noch nicht gelernt, was man sich in Bezug auf das andere Geschlecht leisten durfte. Einzig, dass sich Menschen in bezug auf diese Frage häufig uneins waren, hatte sie bereits registriert.

Thalissa nickte Rondradin und Basilissa grüßend zu, hielt sich ansonsten aber weiter heraus aus dem Hahnenkampf. Denn nichts anderes war dies in ihren Augen. Solange es nicht zu weit führte, war es zumindest unterhaltsam - und aufschlussreich.

“Na, dann ist es ja gut”, sagte Lares zu Lissa und widmete sich nun ganz seiner Pagin. “Was hat der Herr von Wasserthal denn gesagt - oder ist das ein Geheimnis?”

Milian schüttelte ungläubig seinen Kopf, lächelte dann aber wieder versöhnlich. “Nun gut. Ich denke dann ist ja alles geklärt.”

Lächelnd schloss Rondradin zu der Gruppe auf. “Rondra zum Gruße. Ich hoffe Ihr genießt die friedvolle Atmosphäre, welche an diesem Ort vorherrscht.”

Der Edelmann verneigte sich.”Euer Gnaden, Rondra sei gegrüßt!”

“Ach, da ist er ja! Herr von Wasserthal, ich schulde Euch meinen aufrichtigsten Dank. Basilissa war sehr betrübt, als wir sie zu Euch brachten. Ihr müsst nicht nur mit dem Schwert geschickt sein, ganz offensichtlich. Sagt, wie geht es Eurer Schwester? Hat sie sich wieder einigermaßen gefangen? Ich habe sie eine ganze Weile nicht mehr gesehen.”

“Ich versuche nur meinem Schwertnamen gerecht zu werden, das ist alles.” Winkte Rondradin ab. “Meine Schwester habe ich zuletzt mit Euch zusammen gesehen. Ihr wisst vermutlich besser als ich wie es ihr geht. Aber wahrscheinlich hat sie sich zurückgezogen nachdem der Herr vom Traurigen Stein seine Verlobung mit Durinja von Altenberg bekannt gegeben hat.”

Lissas Augen wurden groß, als der Rondradiener sprach und sah ungläubig zu Lares hinüber.

Lares Gesicht wurde in Sekunden finster wie die schwärzeste Nacht. Seine beiden Fäuste ballten sich, sein Kiefer mahlte. Für einen langen Augenblick starrte er Rondradin einfach nur an, während man seine Zähne knirschen hören konnte. Dann brach es langsam aber schrecklich aus ihm hervor. “Könntet Ihr das bitte wiederholen? Ich muss mich verhört haben. Was...hat...dieser...einfältige…?”

Überrascht von der Reaktion seines Gegenübers wiederholte der Geweihte seine Worte: “Linnart vom Traurigen Stein hat sich mit Durinja von Altenberg verlobt. Ich hatte gehofft, Ihr könnt mir sagen, warum sie und nicht Andesine seine Braut ist.”

“Oh dieser vermaledeite, dreimal verfluchte Mistkerl!!!”, schrie Lares plötzlich unbeherrscht und ersichtlich zornig. Der Ruf aus tiefster Kehle war für jeden in der Umgebung vernehmbar. Sogar Basilissa schreckte zusammen - ihr sonst zugewandter Schwertvater war plötzlich wie ausgewechselt. “Oh ja, ich kann Euch ganz genau sagen, warum dieser untreue Bastard Eure bemitleidenswerte Schwester verschmäht hat: Er hat sie kein halbes Stundenglas, nachdem er ihr seine unverbrüchliche Liebe geschworen hat, hintergangen. Mit Eurer”, er starrte einen kurzen Moment Milan an “Verwandtschaft.” Auf seiner Stirn pochte eine dicke, blaue Ader. “Und nicht nur Eure Schwester - auch mich hat diese Brut einer Ratte belogen! Ich habe ihm ein Versprechen abgerungen, das Versprechen, an sich und seiner zügellosen Kontrolllosigkeit zu arbeiten, um Eurer Schwester willen! Eure Schwester ist ein guter Mensch! Das hat sie nicht verdient! Ich habe gehofft - nein, ich habe von ihm verlangt, sich um Eure Schwester zu bemühen. Es reicht, dass dieser Widerling ihr EINMAL das Herz gebrochen hat. Aber das?” Der wütende Mersinger musste einen Moment durchschnaufen, so außer Atem war er. “Herr von Wasserthal”, sprach er dann gedehnt. “Ich muss Euch darum bitten, mir als Geweihter der Herrin des Ehrenhaften Zweikampfs zur Seite zu stehen. Dieses Verhalten verlangt nach Satisfaktion.”

Unwillkürlich trat Thalissa bei diesem Ausbruch einen Schritt zurück. Dass der Mersinger aufbrausend sein konnte, wenn auch erst nach einer Weile, hatte sie erst kurz vor der Brautschau erfahren dürfen, aber was verband ihn denn mit Rondradins Schwester? Oder war er etwa … selbst in sie verliebt? Sie widerstand ihrem ersten Impuls, sich zurückzuziehen, denn zumindest hier war der See nun nicht mehr sonderlich friedlich, sondern machte nur noch einen weiteren Schritt zurück, um ihre Ohren zu schonen, Sie warf einen Blick zu den beiden Frauen, die Lares beobachtet hatte. Das hier konnten diese ja kaum überhört haben.

Auch Milian machte eine Schritt weg von dem Mersinger. Ungewollt schlich sich ein leichtes Schmunzeln in sein Gesicht. Durinja hat es also geschafft. Auch wenn er sich meistens nicht grün mit seiner Base war, konnte er nicht anders, als gewissen Stolz zu empfinden. Sollte diese Hochzeit stattfinden, so hatte sie einen guten Schritt nach vorne gemacht. Das widerum ihn daran erinnerte, dass er nicht so weit war. Die Baronin von Rickenhausen war ganz nett und trug einen guten Titel, aber er bezweifelte, dass er sie für sich gewinnen konnte. Zu sehr war sie dem höfischen Spiel der Nordmarken verschlossen. Und wer weiß, vielleicht hielt sie sich auch nicht lange auf ihrem Thron. Nun, jetzt hat sie ja einen guten Vorgeschmack bekommen, wie es hier läuft. Milian war froh darüber, dass der Junker vor allen seine Haltung verlor.

Die Verwandlung, die Lares von Mersingen durchmachte war erstaunlich und gewiss einschüchternd. Rondradin hätte nicht gedacht, dass der Mersinger wirklich so viel für Andesine empfand, oder war es der gekränkte Stolz, weil der Linnartsteiner sich nicht an sein Versprechen hielt? Jetzt da er den Wutausbruch Lares beobachtete, stellte der Geweihte erstaunt fest, dass er selbst völlig ruhig blieb. Nun ja, er war Andesines Bruder und als solcher empfand er auch einen Zorn gegenüber dem Bannstrahler, aber dieser war weit von dem entfernt, was sein Gegenüber gerade empfand. Er wusste nur eins. Sollte Andesine Satisfaktion wünschen, würde sie diese selbst einfordern. Deshalb hob Rondradin beschwichtigend die Hände. “Gemach, es ist keinem geholfen - auch Andesine nicht - wenn Ihr voller Zorn zu diesem Mann marschiert und ihn lautstark fordert. Beruhigt und sammelt Euch. Wenn Ihr diesen Linnart fordern wollt, stehe ich Euch gerne zur Seite, wobei ich als Schiedsrichter wohl eine passende Rolle einnehmen würde. Allerdings bitte ich im Sinne dieser Veranstaltung darum, dieses Duell erst morgen anzusetzen.” Rondradin trat zu Lares und legte ihm die Hand auf die Schulter. “Ich danke Euch, dass Ihr erneut für meine Schwester eintreten wollt. Ihr seid ihr ein wahrer Freund.”

Lares Augen wurden einen Moment groß, dann kurz schmal, dann sah er verschämt zur Seite. “Nein. Nicht in Wut”, presste er hervor. “So einfach werde ich ihm das nicht machen. Morgen. Ja. Morgen.” Das Leder seines Gürtels, den seine rechte Faust malträtierte, knirschte leidvoll. “Ich...Sagt ihr nichts davon. Bitte. Ich will nicht, dass sie...Das ist eine Sache zwischen dieser traurigen Gestalt und mir.” Sein Gesicht war vollends bleich, seine Stimme dünn geworden. Der Mersinger gemahnte an eine stehende Leiche und der Hauch des Hausgottes seiner Familie umwehte ihn.

“Ihr solltet vielleicht selbst mit ihr sprechen. Mir schien es als vertraue sie Euch.” Der Rondrianer nickte dem Mersinger dankbar zu.

“Oh, ich…” Lares warf den Kopf in den Nacken und wischte sich mit einer Hand über das Gesicht. “Gut. Werde ich. Lissa?”

“Sagt Baronin, wollen wir uns vielleicht einen friedlicheren Ort suchen?”, fragte Milian die Baronin von Rickenhausen.

Das Schauspiel schien zu Ende zu sein, sonderlich viel Freude hatte Thalissa daraus aber nicht ziehen können, sah es doch so aus, als würde es wegen … übertriebener Befindlichkeiten auch noch zu einem Duell kommen. Nun, das war letztendlich nicht ihr Problem und sie vertraute auf Rondradin, dass es nicht zum Schlimmsten kommen würde.

“Gerne”, antwortete die Baronin daher. “Was wollt Ihr mir als nächstes zeigen?”

“Es gibt hier ein Amphitheater, ich hoffe da wird es keine Befindlichen Gäste geben. “Er lächelte sie an, bot wieder sein Arm an und lief mit ihr hinfort.

***

Lissa sah ihren Schwertvater irritiert an: “Hm. Ja. Wolltet ihr noch mit seiner Gnaden sprechen? Soll ich euch derweil etwas zu trinken oder einen dieser Körbe besorgen?” bot sie eilfertig an.

“Nein, das meinte ich nicht. Entschuldige bitte. Magst du bitte deiner Schwester etwas von mir ausrichten? Ich würde mich freuen, wenn deine Schwester und ich in einem halben Stundenglas einige Worte miteinander sprechen könnten. Wenn es die Schicklichkeit erlaubt, würde es mich freuen, wenn wir drei dabei allein sein könnten. Es wäre mir wichtig. Doch zuvor muss ich einer Freundin - bitte betone das - meinerseits eine Nachricht überbringen.” Lissa nickte. “Danke euch nochmals für eure Hilfe, euer Gnaden.” Dann wandte sie sich ab, um zu ihrer Schwester zu laufen, hielt aber kurz inne: “Hoher Herr, soll ich bei meiner Schwester auf euch warten?”

Dann wandte sich der Mersinger erneut Rondradin zu. “Ihr habt Recht, wenn Ihr sagt, wir sollten diese Angelegenheit morgen klären. Es wäre wichtig, einen geeigneten Ort zu finden. Dem Kontrahenten obliegt die Wahl der Waffen. Ich wäre geehrt, wenn Ihr das Duell mit Eurem scharfen Auge und dem Segen der Sturmherrin überwachtet. Ich werde gehen und Eure Schwester suchen. Wisst ihr zufällig, wo sie sich aufhalten könnte? Wo ist Eure Familie untergekommen? Wenn sie nicht mehr hier ist, so fürchte ich, wird sie womöglich den Festplatz verlassen haben.”


“Ihr könntet Bruder Rahjel fragen, ob er sie gefunden hat. Ansonsten bliebe nur noch das Hotel ‘Zum Herzog’ in dem wir untergekommen sind.” Mit einem Male wirkte der Geweihte unheimlich müde. “Ich wünschte, ich könnte selber nach ihr sehen, aber es scheint als ob halb Dere heute etwas von mir will. Eigentlich sollte ich schon auf dem Weg zu einem Treffen sein.” Er sah auf und blickte Lares direkt an. “Ich danke Euch für eure Hilfe. Das werde ich Euch nicht vergessen und morgen werde ich über Euer Duell wachen.” Lares nickte grimmig, dann wandte er sich zum Gehen, als plötzlich ein Rabe über der Versammlung krähte.

***

Luzia von Keyserring genoß es, wieder allein zu sein. Einen Moment lang zumindest. Sie mochte Menschen, das freilich. Aber dennoch - zu lange mochte sie sie doch nicht um sich haben. Das Alleinsein war für sie wie die Luft zum Atmen.

Sie lächelte still in den Himmel, der sein wolkenloses Dach in zartem Blau über sie spannte.

Der wütende Ausbruch, die laute Stimme, von Lares von Mersingen, störte ihren friedlichen Moment der Stille. In Sichtweite, sah sie eine Gruppe Menschen vor der Lares zeterte.

Sie bemühte sich wegzuhören und schnappte dennoch Gesprächsfetzen auf: Traurigenstein, Andesine, Satisfaktion, Duell. Was ging dort vor`? War Lares an dieser Andesine interessiert und dieser andere hatte sie ihm weggeschnappt? Ein kleiner Stich durchfuhr sie. So musste es wohl sein. Leise seufzte sie. Sie hatte sich schon gefreut, mit ihm und Lissa ein wenig reisen zu dürfen. Das war es wohl, was sie störte. Sie schloss die Augen und versuchte die Stimmen auszublenden und als die Lautstärke abebbte, atmete sie still und leise. Sie war eingenickt. Kurze Zeit danach spürte sie ein leichtes Tippen unter ihrer Schuhsohle. “Lissa.” stöhnte sie auf, als sie ihre jüngere Schwester erblickte und setzte sich auf.

“Ich soll dir etwas von meinem Schwertvater ausrichten. Er möchte, dass wir uns in einem halben Stundenglas treffen.” “Wer wir?” “Na, wir beide mit ihm.” Luzi nickte zögerlich. “Und dann…” “Ähm… möchte er mit dir sprechen?” “Ah.” “Und ich soll dir bestellen, dass er zuvor noch… mit einer Freundin etwas klären möchte.” So. eine Freundin? Sie spürte wieder diesen unliebsamen Stachel: “Es war sehr wichtig, dass ich das mit der Freundin sage.” Luzia runzelte die Stirn: “Danke Lissa. Magst du dich solange hierher setzen?” Die kleine schüttelte energisch den Kopf: “Nein. Ich gehe wieder hinüber.” “Gut ich bleibe hier.”

Dann ließ Lissa ihre Schwester alleine, die sich wieder zurücklehnte und die Augen schloss.

***

Malvado hatte Alrike verstanden. Die jungen Leute mussten wieder aus dem Feenreich zurückkehren. Der Kolkrabe kannte die Feenwelt, ein Ort den er schon öfter besucht hatte. Wieder konzentrierte er sich und spürte das magische Tor. Mit einem Krächzen zielte er genau auf die Weiden am See zu und verschwand zwischen den Bäumen.

Das Amulett des Geweihten Rondradin glimmte kurz auf und zeichnete sich so unter der Robe und dem Wappenrock deutlich ab, was der jungen Pagin Basilissa nicht entgangen war.

Sie sprang ein Stück zurück. Und sah verstört zu Rondradin hinauf. Was hatte das zu bedeuten?

“Basilissa was ist?”, meinte Lares und runzelte die Stirn. Was war ihm entgangen? Eigentlich wollte er sich gerade aufmachen, um Andesine zu suchen. Ein Vorzeichen?

Auch Rondradin bedachte die Pagin mit einem fragenden Blick. Seine Aufmerksamkeit hatte dem Raben gegolten, den er für ein schlechtes Omen hielt.

“Verzeiht. Das… das Amulett hat plötzlich geleuchtet. Oder… das dachte ich zumindest. Vielleicht war es nur die Sonne?” Ja, so musste es sein.

“Welches Amulett meinst du?” Lares sah ganz kurz an sich herunter, wohl wissend, dass er kein Amulett trug.

“Meinst du das Meinige?” Rondradin griff sich an die Stelle wo das Amulett unter seiner Robe verborgen lag. Es ging keine Hitze davon aus, auch wenn es sich warm anfühlte. Konnte es sein oder doch nur die Sonne?

“Ja.” sagte das Kind. “Ich konnte es unter eurer Robe sehen, weil es … geglommen ist. Aber nur kurz. Was… bedeutet das?”

Es war ungewöhnlich, bisher hatte es nur zu leuchten begonnen, wenn er… Konnte es sein, dass der Rabe mehr war und sich da zwischen den Bäumen ein…

Ihm wurde bewusst, dass der Blick Basillissas immer noch auf ihm lag und auch Lares schien es nach einer Antwort zu verlangen. “Du musst keine Angst haben, Basilissa. Es könnte hier in der Nähe einen Zugang zur Feenwelt geben. Was, wenn man die Geschichte des Parks bedenkt, sehr wahrscheinlich ist. Das Beste wird sein, du bleibst in der Nähe deines Schwertvaters. Laufe nicht allein durch den Park.” Der Blick Rondradins ging zu Lares. “Vielleicht wird uns heute Abend jemand aus der Anderswelt einen Besuch abstatten, aber ich sehe gerade keine Gefahr für die Gäste.”

Oh das hatte er gerade noch gebraucht. “Seid Ihr sicher, dass momentan keine Gefahr besteht? Ich muss doch nach Andesine sehen - Lissa, geh derweil zu deiner Schwester und richte ihr aus, was ich gesagt habe. Ich warte solange auf dich. Wenn hier Madas Gezücht kreucht und fleucht, dann lasse ich dich nicht mehr aus den Augen.” Hmm, vielleicht war er mit der Katze doch richtig gelegen. Der nagende Zweifel kehrte in seinen Kopf zurück.

Rondradin schloss die Augen. Schon wieder ein neues Problem. Schon wieder etwas, das ihn von Gelda fernhielt. Schon wieder … War es denn zuviel verlangt einfach mal ein Viertel Stundenglas seine Ruhe zu haben? Aber es dem armen Mersinger aufbürden, das wollte er dann auch nicht. Mit einem tiefen Seufzer meinte er dann: “Ich kümmere mich darum.” Er hob zum Abschied die Hand. “Wir werden uns später beim Bankett wiedersehen.” Dann zog er los, die Augen nach der Vögtin oder der Baronin dieser Lande offenhaltend.

Lares grüßte den Rondrianer zum Abschied, dann wartete er einmütig - und ein wenig nervös - auf die Rückkehr seiner Pagin.

“Ich habe es ihr ausgerichtet. Sie wird dort auf uns warten.” meldete die Kleine als sie kurz nach ihrem Aufbruch zurück kehrte.

“Danke dir. Das hast du gut gemacht. Hoffentlich müssen wir sie nicht zu lange warten lassen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, was deine Schwester angeht. Eigentlich sollte ich jetzt bei ihr weilen und ihr einen kleinen Ausflug mit uns schmackhaft machen, meinst du nicht auch? Aber stattdessen verhält sich dieser vermaledeite Geck...ach entschuldige, diese Wörter sind alles andere als angemessen im Beisein einer jungen Dame.” Lares lachte verkrampft. Oh warum konnte die Welt nicht einfacher sein? Warum nur? Aber natürlich: Weil sie es nicht war, verdammt. “Komm, gehen wir Andesine suchen. Und danach knöpfen wir uns den Traurigsteiner vor.” Mit einem grimmig-determinierten Gesichtsausdruck packte Lares Lissa bei der Hand und führte sie in Richtung Ausgang des Festgeländes.

***

Das Rauschen der Blätter und Blumen im Wind wandelten sich zu leisen, musikalischen Klängen. Nicht die gewohnten Lieder der Barden, sondern eher fremdländisch, wild aber dennoch lustig. Als Luzia ihre Augen wieder öffnete, war das Praiosmal am Himmel verschwunden und rosa Wölkchen zierte diesen. Sie lag noch immer auf der Wiese umgeben von weiten Feldern bunter Lilien. Der See und die Weiden waren noch da, aber alles andere war verschwunden. Eine Gruppe junger Menschen liefen vorsichtig, auf die Bäume zu und einer nach dem anderen verschwanden zwischen ihnen. Nur einer blieb stehen und drehte sich um. Der schlanke Jüngling hatte rabenschwarzes Haar, aus dem kleine Federn hervor lugten, bleiche Haut und tiefschwarzen Augen. Sein Gesicht wirkte hart, aber auf fremder Art anziehend. Er war nackt, wobei größere, dunkle Federn seinen Schambereich verdeckten. Schwungfedern sprießen ihm vom Nacken, über den Schultern zu den Oberarmen bis zu den Handrücken. Mit überraschten Blick kam er auf sie zu.

Die junge Frau rieb sich die Augen, schlief sie noch? Was war das für ein absonderlicher Traum? Sie zwickte sich selbst in den Unterarm. Sie spürte das Ziepen ihrer eigenen Nägel und wich angstvoll vor dem absonderlichen Wesen zurück.

“Nicht doch, holde Jungfer. Ich tu dir nichts.”, sagte der Rabenmann, doch seine Stimme hörte sich fern an, wie in einem Traum. Erst jetzt bemerkte Luzia, das neben ihr sie selbst lag und schlief. “Wie machst du das?”, fragte er neugierig.

“Wo bin ich?” fragte sie ängstlich. “Ist das ein Traum? Was willst du von mir - was mache ich denn hier?” sprudelte es aus Luzia heraus. Er dachte kurz nach und legte dann ein Lächeln auf. “Ja es ist nur ein Traum. Schließe die Augen schönes Kind.” Sagte er sanft.

Skeptisch sah sie ihn an: “Wie? Ich bin zweimal da. Eigentlich schlafe ich dort.” Was war er? Hatte er sie in eine andere Welt gelockt, um ihr etwas anzutun? “Wo bin ich hier? Was… wer bist du?” Sie lief langsam rückwärts auf ihren schlafenden Körper zu und tippte ihn mit ihrem Schuh an, ohne den Rabenmann aus den Augen zu lassen.

Erst jetzt bemerkte sie, das sie leicht durchscheinend war. Ihr eigener Körper war kein Widerstand für ihren Schuh. Der Rabenmann blieb an seiner Stelle stehen. “Malvado ist mein Name. Ich passe auf die unschuldigen Seelen auf.” Tiefgründig schaute er sie mit seinen schwarzen Augen an.

“Was heißt das? Und wo bin ich? Seid Ihr ein Sendbote Borons? Ist dies eine Traumwelt? Wieso ist es hier so ..wirklich?” Nur langsam wich die Panik aus ihrer Stimme.

Malvado nickte nur. Ja, du bist in einer Traumwelt. Aber du gehörst hier nicht hin. Also schließ die Augen … und wache auf!” Das fremdartige, schöne Gesicht schien vertrauensselig.

Konnte sie es wagen? Vorsichtig schloss sie die Augen. Sie würde sie sofort wieder öffnen. Vielleicht sprach er die Wahrheit? Wenn nicht, wäre sie ihm so oder so hilflos ausgeliefert.

Als die junge Baroness ihre Augen wieder öffnete, sah sie wieder das gewohnte Praiosmal und befand sich auf der Wiese am See. Langsam klärten sich ihre Sinne. ´Was für ein seltsamer Traum´, ging es ihr durch die Gedanken. Dann bemerkte sie, dass sie nicht mehr alleine auf der Wiese lag. Neben ihr im Gras schlummerte zwei junge Männer und drei junge Frauen. Zumindest Zwei kannte sie vom Sehen. Der Knappe Folcrad von Baldurstolz und die Gauklerin Doratrava. In der Ferne hörte sie das Krächzen eines Raben.

Wie merkwürdig , sie war alleine gewesen, als sie eingenickt war. Und nun? Sie setzte sich auf und sah sich verstohlen um. War dies wieder ein Traum? Sie zwickte sich leicht. Alles sah aus wie zuvor. Sie war zurück? Oder?

Das Rauschen des Windes und die kitzelnde Wärme des Praiosmal holte auch die anderen jungen Leute aus ihrem Schlaf. Doch alles was von ihrem Abenteuer blieb waren ferne Erinnerungen an einen fantastischen Traum. Nur Eine erinnerte sich daran was geschehen war, doch wusste sie, dass es für die Eine oder den Anderen besser war, es als Traum zu belassen.

Cupida streckte alle Viere von sich und stieß mit ihrer Rechten gegen etwas warmes Weiches. Es sah aus als wäre sie eingeschlafen. Was für ein seltsamer Traum. Die junge Frau öffnete ihre Augen und das erste, das ihr ins Auge stach war Aldecs fülliger Leib nahe an ihr. Kurz wich sie schreckhaft vor ihm zurück. Was tat er denn hier? Bei ihr? Panisch sprang sie auf und nestelte sie an ihrem Kleid herum. Er würde sich doch nicht an ihr vergangen haben? Nein. Sie verwarf jenen Gedanken sofort wieder. "Hey Aldec, aufwachen!" Mit der Fußspitze stieß ihn die junge Lilienhainerin sanft in die Seite, dann erspähte sie den Rest ihrer Gruppe.

Aldec drehte sich auf die Seite und kuschelte sich in seinen speckigen Oberarm. “Hmm...noch ein bisschen…”, murmelte er schlaftrunken. Als ihn die Schuhspitze berührte, fuhr er hoch. “Was, wie, wo? Ach du… welche Stunde haben wir es? Ich muss doch; meine Herrin!” Der dicke Mann warf den Kopf hin und her.

"Sssssh … ssssshhh …", versuchte die Akoluthin ihn zu beruhigen. "Es scheint als wären wir eingeschlafen. Ich weiß nicht welche Stunde wir haben …", wie Rondras Blitz schlug es in ihre Gedanken ein, "... Dora! Wir wollten sie doch suchen. Wo ist sie?"

“Da vorne liegt sie doch”, murmelte der Knappe schlaftrunken und rieb sich die Augen. Dann gähnte er herzhaft und fuhr fort:”Warum schreit Ihr denn so?” Offenbar hatte er noch nicht begriffen, was geschehen war.

Die junge Frau nahm die Worte Folcrads zum Anlass und stürzte hin zur Gauklerin. Die Sorge nach ihr war der letzte geordnete Gedanke, den sie in ihrem Kopf hatte. "Dora … geht es dir gut? Wo warst du denn?", fragte Cupida zusammenhanglos.

Sie alle schienen sich zu kennen. Luzi fühlte sich fehl am Platz und zog sich etwas in den Schatten des nächstliegenden Baumes zurück, von wo aus sie die anderen argwöhnisch begutachtete.

Fecundaque schreckte aus ihrem Traum auf. Irgendwas daran hatte ihr nicht gefallen, auch wenn sie nicht mehr wusste was. Neben ihr hatte sich Folcrad aufgesetzt. Sie erinnerte sich an die schönen Momente, die sie zusammen mit dem Knappen hier im Park erlebt hatte. Wie sie sich gegenseitig mit dem Weichkäse in Beerensauce gefüttert hatten, zum Beispiel. Und auch, dass sie heute Abend etwas Besonderes mit ihm vorhatte. Aber da war noch was anderes. Ach ja, sie hatten nach Doratrava sehen wollen. War sie das nicht da vorne? Erleichtert seufzte sie auf und zog an Folcrads Ärmel. “Hilfst du mir auf, mein Galan?”

“Aber gewiss”, grinste er und stand auf. Mit einer übertriebenen Verbeugung reichte er ihr seine Hand und half ihr beim Aufstehen. Plötzlich verharrte er und starrte in Richtung eines Baumes. Er kniff die Augen zusammen und murmelte: ”Ist sie das, oder nicht?” Dann fasste er einen Entschluss und rief: ”Euer Wohlgeboren Luzia, seid Ihr das?”

“Ja.” kam es fast scheu aus dem Schatten des Baumes. “Ich hatte einen merkwürdigen Traum und dann bin ich erwacht. Ich habe nicht lange geschlafen. Und ihr alle ward nicht hier als ich eben eingenickt bin. Das weiss ich sicher.”

“Was, wie, Wohlgeboren?!”, schrak Aldec zusammen und kauerte sich nach besten Kräften hinter den nächsten Baum. Nur dass dieser kaum eine Chance bot, seine massige Gestalt zu verdecken. ‘Sie darf mich nicht sehen, sonst bin ich verloren!’, dachte er panisch.

“Wir haben auch geträumt”, sagte er langsam,”möchtet Ihr nicht näher treten?”

“Nein.” wisperte es aus der Ecke. “Mir gefällt es hier ganz gut.”

“Ach kommt schon, ich stelle Euch alle vor. Nachher beim Bankett haben wir dazu keine Gelegenheit mehr. Wann hat man schon Gelegenheit eine waschechte Baroness kennen zu lernen?”

“Nein.” kam es, diesmal trotziger: “Ich möchte gerne hier bleiben.” Sie sah sich die fünf Leute genau an. Ein seltsamer Haufen.

“Gut, wenn das Euer Wunsch ist”, achselzuckend wandte sich Folcrad wieder den anderen zu.

***

Der Geweihte der Rondra musste nicht weit gehen, als er diesmal das kurze Aufglimmen von Wärme seines Amuletts spürte. Der angenehme kühle Wind, der ihm vom See aus erreichte, ließ seinen Blick über die Wiese gleiten. Dann fiel sein Blick auf eine Gruppe von schlafenden, jungen Menschen. Darunter erkannte er Doratrava.

Doratrava schlug die Augen auf, als Cupida sie ansprach. Warum hatte sie denn geschlafen? Da durchfluteten plötzlich seltsame Traumbilder ihren Geist. Doch für einen Traum fühlten diese sich sehr … greifbar an. “Cupida!” rief sie, als die Erinnerung sie überkam. “Wir sind doch … wir haben doch …” Doch als ihr die Umgebung wieder bewusst wurde, als sie die Verwirrung auf den Gesichtern der anderen und auch auf Cupidas sah, schloss sie den Mund schnell wieder. Sie wussten nicht mehr … und vermutlich war es besser so. Ein schneller Blick zu Fecundaque und Folcrad offenbarte ihr, dass auch die beiden sich an nichts mehr zu erinnern schienen. Rahja sei Dank!

Schnell stand sie auf und trat auf Cupida zu. “Pst, ich war nur ein wenig spazieren unter den Bäumen am See.” Dann nutzte sie die Gelegenheit, dass gerade niemand auf sie zu achten schien, und gab Cupida einen schnellen, aber leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. Den herankommenden Geweihten hatte sie noch gar nicht gesehen.

Als sich die beiden jungen Frauen voneinander lösten, fiel Doratrava der skeptische Gesichtsausdruck Cupidas ins Auge. Kurz schien es als fechte die junge Akoluthin einen inneren Kampf aus, dann rang sie sich zu einem Lächeln durch. "Nun, jetzt haben wir dich ja wieder gefunden." Sie sah auf und bemerkte den näher kommenden Rondrianer. "Euer Gnaden … es scheint als haben wir die Hälfte des Festes in Borons Armen verbracht. Wisst Ihr welche Stunde wir haben?"

Mehr neugierig als besorgt hatte Rondradin zunächst seine Schritte in Doratravas Richtung gelenkt. Als er allerdings sah wie sie der jungen Frau neben sich einen leidenschaftlichen Kuss gab, war er versucht sich umzudrehen und ihnen etwas Privatsphäre zu lassen. Doch der Ruf der jungen Frau hielt ihn davon ab. “Ich kann euch die genaue Uhrzeit leider nicht nennen, aber derzeit findet immer noch das Lustwandeln durch den Park statt, wenn das hilft.”

“Oh Rahja und Boron sei Dank …”, antwortete die junge Lilienhainerin dem Geweihten. Allem Anschein nach hatten sie nicht allzu viel verpasst. Ja, vielleicht war das kollektive Nickerchen jener Gruppe, für die Cupdia eigentlich verantwortlich war, niemandem aufgefallen. Sie hoffte es.

Ein leiser Stich der Enttäuschung fuhr durch Doratravas Brust, da ihre Freundin den Kuss nicht mit derselben Leidenschaft erwiderte. Gut, ihre Ausrede war auch nicht sonderlich einfallsreich gewesen und Cupida hatte wahrscheinlich gespürt, dass sie nicht die ganze Wahrheit sprach, vielleicht war sie ihrerseits enttäuscht über Doratravas Unaufrichtigkeit. Aber hier, vor allen Leuten und vor allem vor denen, denen das Vergessen gut tat, konnte sie nicht mit Cupida darüber sprechen.

Statt dessen wandte sie sich dem Geweihten zu, um von sich abzulenken. “Rondradin, schön dich zu sehen. Was treibt dich hierher? Lustwandelst du ganz allein, oder suchst du jemanden dafür?” Sie lächelte schelmisch.

Cupida beruhigte sich langsam wieder, griff nach Doratravas Hand und schlang ihre Finger zwischen die ihrer Freundin als sie den Rondrianer musterte.

‘So hat also auch Doratrava jemanden gefunden, ich freu mich für sie.’ dachte Rondradin bei sich als er das Paar vor sich stehen sah. Die kleine Stichelei der Gauklerin nahm er mit Humor, nichts anderes hatte er von ihr erwartet. Normalerweise hätte er zurückgestichelt und dafür einen Ellbogen in den Rippen riskiert, doch nicht in Anwesenheit von jemanden den er nicht kannte. Daher schüttelte er nur den Kopf. “Ich wünschte, dafür wäre Zeit gewesen, aber stattdessen lauert überall nur Arbeit und Pflichten auf mich.” Sein freundlicher Blick traf Cupida. “Dürfte ich Doratrava für einen Moment entführen? Ihr erhaltet sie gleich wohlbehalten zurück.”

Die Angesprochene lächelte ihm zu. “Wenn Ihr mir das versprecht, Euer Gnaden. Wie könnte ich Euch diesen Wunsch verwehren …”, ihr Blick ging weiter zur Gauklerin, “... so Dora das auch möchte?”

“Rondradin wird mich nicht fressen, versprochen”, gab Doratrava mit keckem Lächeln zurück und drückte die Hand ihrer Freundin, bevor sie losließ. Dann wandte sie sich wieder dem Geweihten zu. “Was gibt es denn?” fragte sie unbefangen.

Rondradin führte Doratrava ein paar Schritt weg von der kleinen Gruppe. “Eine ganze Menge.” meinte er, während sie gingen. “Hast du etwas seltsames bemerkt? Ein Feentor vielleicht? Ich bin mir sicher, dass hier eines in der Nähe ist und ich weiß nicht ob es gefährlich für die Anwesenden ist. Deshalb wollte ich dich bitten deine Freunde hier wegzubringen, bevor noch etwas passiert. Feen sind zwar im Allgemeinen nicht bösartig, aber es gibt Ausnahmen. Aber deshalb wollte ich dich eigentlich nicht sprechen. Was ich dir jetzt sage muss vorerst unter uns bleiben.” Mit einem Mal wirkte Rondradin etwas verlegen und auch schuldbewusst. “Gelda und ich werden heiraten und die Verlobung mit Ravena von Rabenstein werde ich lösen.”

Mit großen Augen starrte Doratrava den Geweihten an, im ersten Moment sprachlos. “Äh … was … Gelda? Ich dachte, Nivard … und du seist mit einer Rabensteinerin verlobt? Was? Verlobung lösen? Geht sowas?” stotterte sie dann völlig perplex. Sie hatte noch nie in ihrem Leben einen Gedanken daran verschwendet, wie das mit dem Heiraten eigentlich funktionierte, schon gar nicht in Adelskreisen, aber Rondradin schien es nicht ganz wohl in seiner Haut zu sein.

Tatsächlich sah er recht betreten drein als Doratrava auf Nivard zu sprechen kam. “Nivard hat es hart getroffen. Aber wie es scheint hat er mit Elvans Schwester jemand Neues gefunden.” Aber sein Gesicht hellte sich schnell wieder auf. “Das mit Gelda und mir hat sich einfach so ergeben. Wir lieben uns seit Nilsitz und die Trennung für einen Mond hat uns das nur noch mehr bewusst gemacht, ebenso wie diese Brautschau.”

“Puuuh…” machte Doratrava, die ein wenig brauchte, um diese Wendung der Dinge zu verarbeiten, ging es hier doch um ihre Freunde, denen sie kein Leid wünschte. “Na, dann hoffen wir mal, dass das mit Nivard und Elvans Schwester funktioniert und nicht nur die kurzfristige Suche nach Trost ist … ich muss irgendwann heute mal mit ihm sprechen, wir haben uns heute außer von weitem noch gar nicht gesehen.” Sie machte eine kleine Pause, dann umarmte sie Rondradin spontan. “Na, dann muss ich dir wohl nochmal gratulieren. Aber nicht, dass das zur Gewohnheit wird.” Sie zwinkerte verschmitzt.

Sichtlich erleichtert erwiderte der Geweihte die Umarmung seiner Freundin. “Das wird es nicht. Gelda ist die Eine.” Da er wusste wie Doratrava normalerweise auf Körperkontakt reagierte, entließ er sie schnell wieder aus seinen Armen und grinste sie an.

“Aber lass uns jetzt nochmal aufs Feentor zurück kommen.”

“Ja, es gibt ein Feentor”, kam Doratrava dann auf den ersten Teil von Rondradins Anliegen zurück. “Woher weißt du das? - Egal, es ist jetzt zu und es kann nichts mehr passieren. Ein paar Leute haben einen kleinen Ausflug gemacht und können sich zum Glück an nichts mehr erinnern außer vielleicht an einen seltsamen Traum.” Sie sah Rondradin halb erwartungsvoll, halb misstrauisch an.

“Ich habe meine Mittel und Wege.” Er zwinkerte ihr zu, unwillig ihr mehr zu verraten. “Ein paar Leute, Doratrava? Etwa die Gruppe da hinten und auch du selbst? Wobei, du scheinst dich ja daran zu erinnern.” Rondradin entspannte sich wieder. Würde es ein Problem geben, hätte Doratrava ihn bestimmt darauf angesprochen.

“Mittel und Wege, soso”, meinte Doratrava, immer noch ein wenig misstrauisch, denn näher mit Feentoren und dergleichen bekannt zu sein, gehörte ihres Wissens nach nicht zum Allgemeingut, auch nicht bei Rondrageweihten - oder überhaupt bei Geweihten. Wie auch immer … “Ich, Cupida, Fecundaque, Folcrad und dieser seltsame Aldec dort”, präzisierte sie ihre Angaben und deutete auf die entsprechenden Personen. “Und dann kam ein seltsamer Mann mit schwarzen Federn statt Haaren und hat uns alle wieder abgeholt. Den sehe ich hier aber nirgends …”

So so, ein Mann mit schwarzen Federn. Könnte das der Rabe gewesen sein, den er vorhin in Richtung der Bäume hatte fliegen sehen? “Das Tor, ist es bei den Weiden da hinten? Wie habt ihr es geöffnet, war das auch der Rabe, ich meine der Mann mit den Federn? Aber viel wichtiger ist die Frage ob es euch allen wirklich gut geht!” Die Fragen strömten nur so aus Rondradin heraus.

“Ja, es ist bei den Weiden, und ja, soweit ich weiß, geht es allen gut, mir sowieso. Ich würde die anderen aber jetzt nicht so mit Fragen löchern wie du das mit mir gerade tust, nicht dass doch noch ein paar Erinnerungen hochkommen, die lieber vergraben bleiben”, mahnte die Gauklerin. “Geöffnet hat das Tor ein gewisser Salgar, der ist hier wohl der Torwächter und Halbdryade. Eigentlich wollte er nur mich entführen, wieso auch immer, die anderen kamen aber nach, als ich verschwunden war, und sind dann irgendwie auch in das Tor gestolpert. So, zufrieden jetzt?” Doratrava stemmte die Hände in die Hüften und sah Rondradin herausfordernd ins Gesicht. Was sollte denn die ganze Fragerei? Wenn Rondradin nicht ein so guter Freund wäre, hätte sie gar nichts gesagt.

Der empörte Gesichtsausdruck und ihre herausfordernde Haltung machten dem Geweihten deutlich, dass er Doratravas Geduld gehörig strapaziert hatte. “Schon gut, ich höre ja schon auf. Wenn du mir versicherst, dass es allen gut geht und euch nichts Schlimmes passiert ist, soll mir das reichen.” Er deutete auf die Gruppe und Cupida. “Lass uns zurückgehen.” Das Händchenhalten mit Cupida fiel ihm wieder ein. “Kann es sein, dass du und …” er nickte in Richtung Cupida, “euch näher gekommen seid? Ihr habt euch an den Händen gehalten.”

Zunächst war Doratrava erleichtert,dass Rondradin mit der Fragerei aufhörte, aber das war wohl ein Trugschluss gewesen. “Kann es sein, dass das den Beschützer der Welt nichts angeht?” fragte sie daher schnippisch zurück.

Rondradin lachte. “Den vielleicht nicht, aber vielleicht einen Freund, der sich freuen würde, wenn eine Freundin ihr Glück gefunden hätte.” Es tat gut, sich mit Doratrava zu unterhalten.
“Dann sag diesem Freund, dass ich tatsächlich eine gewisse Zuneigung zu Cupida verspüre, aber ob ich gleich mein ‘Glück’ gefunden habe, wie auch immer das aussehen mag, das wird sich noch zeigen!” Doratrava wurde ein wenig rosa im Gesicht. Sie war sich selbst darüber klar, dass sie mit ihrer Schnoddrigkeit nur ihre Verlegenheit in Liebesdingen überspielen wollte.

“Dann sagt dir dieser Freund, dass er dir alles Glück auf Dere wünscht.” Ein aufrichtiges Lächeln begleiteten seine Worte und er stupste sie leicht mit der Schulter an, als sie nebeneinander liefen.

Doratrava revanchierte sich mit einem Ellenbogenstoß, der schon deshalb kräftig ausfiel, weil der Geweihte mit seiner Rüstung sonst gar nichts spürte. Um so größer war die Überraschung als der Ellbogen nicht, wie sonst, sein Kettenhemd sondern seine Rippen traf. Instinktiv hatte der Geweihte zwar versucht etwas von der Wucht abzufangen, aber der harte Treffer zeigte trotzdem Wirkung. “Spinnst du?” wollte Rondradin wissen, während er seine schmerzenden Rippen abtastete. Ein Rippenbruch hätte ihm gerade noch gefehlt.

“Ups!” Doratrava hielt sich den ebenso schmerzenden Ellbogen, aber das hatte sie ja erwartet. Doch dass der Geweihte heute ausnahmsweise seine Rüstung nicht trug, hatte sie ganz vergessen. Sie wurde noch ein wenig rosafarbener im Gesicht. “Entschuldigung, du hast ja gar kein Kettenhemd an heute …” Doch gleich darauf kehrte der Schalk in ihre Augen zurück. “Aber ich wusste nicht, dass man einen großen Rondrageweihten so leicht umhauen kann. Das muss ich mir merken.” Sie zwinkerte Rondradin zu.

“Warte nur, irgendwann lege ich dich doch noch übers Knie.” drohte der Geweihte mit einer offensichtlich gespielten zornigen Miene. Auch wenn sie manchmal etwas über die Stränge schlug, man konnte ihr einfach nicht lange böse sein. “Und jetzt, lass einen Mann in Würde leiden und geh zu deiner Freundin.” Er machte eine verscheuchende Geste mit der Hand.

Sie sagte nichts, sondern lächelte nur still in sich hinein, dann winkte sie Rondradin zum Abschied, bevor sie sich wieder Cupida zugesellte und deren Hand wie zur Bestätigung erneut ergriff.

Die junge Lilienhainerin mit der roten Mähne erwartete die Gauklerin bereits mit einem fröhlichen Lächeln und drückte ihre Hand. “Dora … du musst mir sagen, solltest du irgendwo gebraucht werden. Also beim Bankett oder so. Ich will dich nicht davon abhalten deinen Pflichten nachzukommen.” Mit dem Zeigefinger ihrer freien Linken ´malte´ sie verlegen Muster auf den Boden. “Mein Angebot mit dem Schrein heute Abend steht noch.”

Der Rondrianer hob seine Hand zum Abschied und ging dann weiter.

Stimmt, da war ja noch etwas … vor lauter Feentoren und Kribbeln im Bauch sollte Doratrava wohl nicht vernachlässigen, wofür sie eigentlich angestellt worden war. Sanft strich sie Cupida eine Strähne aus dem Gesicht und küsste sie, nicht leidenschaftlich und fordernd, sondern zärtlich und mehr verheißend. “Das freut mich, und ich will deiner Einladung gerne folgen, sobald meine Pflichten es zulassen. Aber jetzt - sollte ich wohl wirklich mal nach Nordrun sehen, schließlich soll ich ja noch ein wenig von meinen Künsten zeigen.” Sie lächelte neckisch. “Der Schrein … meinst du, wir sind da heute Abend ungestört?”

Es folgte ein vielsagendes Lächeln. "Wir werden es sehen. Sollte dem nicht so sein, dann kenne ich schon den einen oder anderen Platz, wo wir bestimmt alleine sind." Ihr Blick ging hinüber zu den anderen. Als sie Aldec sah, der sich hinter einem Baum versteckte - ein Versuch, der ob der Leibesfülle des Dieners von Anfang an zum Scheitern verurteilt war - verzog sie kurz ihren Mund. Dann erhob Cupida sich aus der Wiese. "Na dann, auf auf ...", meinte sie freudig, "... nicht dass du wegen mir wirklich noch Ärger bekommst." Flüsternd setzte sie hinzu: "Ich freue mich auf später, lass mich nicht zu lange warten."

Doratrava winkte noch einmal mit vorfreudigem Lächeln, dann war sie auch schon weg.


Als die Gauklerin sich in Richtung ihrer Pflichten verabschiedet hatte, ging Cupida hinüber zum Leibdiener Aldec. Sein ängstliches Gebaren dauerte sie. "Aldec, ist alles in Ordnung? Warum versteckst du dich? Ist es wegen deiner Herrin?"

Aldec bekam erst einmal einen kleinen Schreck, bis er sah, dass es Cupida war, die ihn ansprach. Ein einzelnes kurzes Nicken folgte.

Sie setzte sich an seine Seite und zeigte dem jungen Mann eine Fürsorglichkeit, die dieser ihr eigentlich gar nicht zugetraut hatte. "Was denkst du denn, dass dir passieren wird? Behandelt sie dich schlecht?" Sie biss sich auf ihre Unterlippe. "Wenn du möchtest rede ich mit Vater. Wir könnten hier im Park noch einen Knecht benötigen."

“Das ist lieb, aber das möchte ich nicht. Nein, sie wird mich wahrscheinlich wieder anschreien und sagen, wie dumm, tollpatschig und faul ich bin. Naja, das wäre jetzt jedenfalls nichts neues. Ich diene ihr eigentlich ja gern, wenn sie nicht manchmal so schrecklich gemein wäre.” Dann schaute der pausbäckige Mann weg. “Ein bisschen habe ich mir das ja selbst zuzuschreiben. Wenn ich einfach machen würde, was sie sagt, dann würde sicherlich auch nichts schlechtes passieren.” Offensichtlich schämte er sich, wobei nicht klar wurde, wofür eigentlich. “Macht dir eigentlich die Arbeit im Garten hier Spaß?”

Die Akoluthin nickte etwas skeptisch. Sie kannte Aldecs Herrin nur vom Sehen, doch reichte ihr das auch schon. Die Frau war eine böse Hexe, oder ein Dämon … alleine diese bösen Augen … Cupida schüttelte sich, dann lächelte sie. "Die Arbeit hier im Garten gefällt mir sehr gut. Ich kümmere mich gerne um die Rosen und den Schrein. Und die Pflanzen und Tiere hier im Park sind mir so lieb, ich würde sie fast schon als meine Freunde bezeichnen." Sie nickte um ihre heraus sprudelnden Worte zu bekräftigen. "Ich könnte mir nichts schöneres vorstellen." Die junge Frau ließ lächelnd ihre Worte nachhallen, dann wurde sie wieder etwas ernster. " Wenn deine Herrin hier heute einen Mann findet …", sie verzog kurz ihren Mundwinkel, irgendeinen der armen Seelen würde diese Spinne bestimmt einfangen, "... was tust du denn wenn sie deine Dienste nicht mehr benötigt? Überlege dir mein Angebot, ich denke dass du hier auch deinen Frieden finden könntest."

Aldec schauderte es einen Moment bei der Vorstellung, wieder in die Gosse zurückgeschickt zu werden. Oh nein, da würde er nicht zurückgehen. “Meine Herrin findet sicherlich einen Mann, das muss bei einer so schönen Frau doch ganz leicht sein. Aber loswerden, das kann sie mich nicht.” Der Dicke wurde plötzlich wieder ganz ernst und ein schiefes, leicht bösartiges Grinsen durchschnitt sein Gesicht. “Sonst erzähle ich allen, woher ich komme und das wäre dann eine ganz große Schande für die Familie…”

Cupida ließ ihre Augenbrauen hochschnellen. "Für die Familie deiner Herrin?" War er nicht aus dem hiesigen Waisenhaus? Sie gab dem ersten Gedanken nach, der durch ihren Kopf schoss. "Bist du ein ungewollter Bastard eines Anverwandten deiner Herrin?"

Das Grinsen wurde schiefer. “Der edle Herr genießt und schweigt, so sagt man doch?”

Im Blick der jungen Frau schwang sowohl Neugier, als auch Sorge mit. “Ich rate dir vorsichtig zu sein, Aldec. Ein Adelshaus zu erpressen bekommt den wenigsten gut. Auch wird dein Wort gegen das der ihren stehen - bei was auch immer du vorhast zu erzählen. Es braucht nicht viel Fantasie um einschätzen zu können, wem man denn eher glauben wird.” Cupida hob ihre Augenbrauen, dann knuffte sie ihn an seinem speckigen Oberarm. “Pass einfach auf dich auf, ja?”

“Ich würde nie jemals irgendjemanden erpressen. Ich will nur ein kleines bisschen von dem Recht, das mir zusteht”, erwiderte er ernst. In diesem Moment hatte er nichts von dem zögerlichen, dicklichen Jungen, sondern erinnerte unterbewusst an eine andere Form seines Ichs - derer sich Cupida nicht bewusst war, die aber eine irritierende Ahnung in ihr hervorrief, wie ein Deja vu.

Aldec war ein seltsamer Mann. Cupida konnte seinem Wesen vom Moment ihrer ersten Begegnung an nicht wirklich folgen. Mal wirkte er unsicher und dümmlich wie ein kleines Kind, mal war er ekelhaft und arrogant wie seine Herrin und nun kam auch noch diese seltsame Selbstsicherheit dazu, die so gar nicht ins Bild passen mochte. Wer oder was war er? Und was meinte er mit dem 'Recht, das ihm zustünde'. Der Mann war ein Leibdiener, der Tag ein, Tag aus schikaniert wurde - so zumindest laut seinen eigenen Erzählungen. "Was steht dir denn zu, Aldec? Das Leben eines Dieners unter einer arroganten Herrin? Ist es das was du willst?"

“Besser als ein Leben in der Gosse. Davon hatte ich genug.”, meinte er versonnen. “Auch wenn sie manchmal zornig werden kann, so ist der Dienst bei ihr immer noch keine Qual. Ich weiß nicht, ob ich mich in einem anderen Beruf zurecht finden würde. Mit den Händen bin ich nicht so geschickt und sonderlich kräftig auch nicht. Aber ich kann gut zuhören - und ich höre gerne zu. Weil du gefragt hast, was mir zusteht: Ein würdiges Leben, ein tägliches Auskommen und ein Dach über dem Kopf. Mindestens.”

Abermals wanderten ihre Augenbrauen nach oben. "Ist es das was du für deine Herrin tust? Zuhören?" Cupida musste an seinen kläglichen Versuch von vorhin denken, ihre Gruppe am Schrein zu bespannen. Ob diese Durinja wusste, dass er wohl nur beschränkt dafür geeignet war andere auszuhören? Denn als Seelsorger, dem sie ihre Wünsche, Ängste und Nöte anvertraut, wird diese blasierte Schnepfe Aldec wohl nicht halten. "Wie du willst …", meinte die Akoluthin dann, "... auch hier müsstest du nicht in der Gosse leben. Du hättest zu essen, ein warmes Bett und ein Dach über den Kopf. Die Arbeit im Park, oder in der Pilgerherberge könntest du lernen. Du könntest dir eine Frau suchen, eine Familie gründen und ehrliche Arbeit verrichten." Sie zuckte mit ihren Schultern und war der Meinung, dass sie ihr Angebot nun schon oft genug platziert hatte. "Dann möchte ich dich nicht länger von deiner Herrin fern halten, vielleicht braucht sie dich ja heute noch."

Er nickte und wollte sich schon zum Gehen wenden, dann allerdings verharrte er einen Augenblick. “Danke dir. Ich bin es nicht gewohnt, dass sich jemand um mein Wohlergehen sorgt. Das rechne ich dir hoch an. Ich wünsche dir und Doratrava alles erdenklich Gute.” Er lächelte und winkte, als er, einen Bogen um den Festplatz schlagend, Richtung Schloss - und damit in Richtung der Gemächer seiner Herrin - davonging.


Wie hatten sie nur den Nachmittag verschlafen können? Dabei hatte sie doch die Zeit mit Folcrad, diesem süßen Knappen verbringen wollen. Aber jetzt nahte das Bankett und damit auch das - vorläufige - Ende ihrer gemeinsamen Zeit. Fecundaque umarmte Folcrad und drückte ihn fest an sich. Ihr Kinn auf seine Brust gestützt sah sie zu ihm auf. “Ich muss jetzt wieder zurück um nachher beim Bankett zu helfen. Werden wir uns später wiedersehen, nach dem Bankett?” Hoffnungsvoll sah sie ihn mit großen Augen an.

Wie konnte man nur einem solchen Blick widerstehen? Gar nicht. Und eigentlich wollte er diesem Blick auch nicht widerstehen. Er wollte, dass sie ihn immer so ansah. “Solange mein Schwertvater oder sein Baron mich nicht benötigen, werde ich Dich suchen.” Er küsste sie sanft auf ihre Lippen. “Zur Not schleiche ich mich heute Nacht aus dem Zelt und warte bei der Scheune auf Dich. Dann können wir noch einen Spaziergang im Madalicht durch den Park machen…, oder etwas ganz anderes, wenn Du willst”, sagte er kackfrech und zwinkerte ihr zu.

Ihre Antwort bestand darin, dass sie Folcrad nur noch fester an sich drückte, bevor sie ihn losließ. “Ich werde auf dich warten.” Es lag heute etwas in der Luft, etwas besonderes. Die Herrin Rahja zeigte heute deutlich ihr Wohlwollen und Fecundaque würde das heute Abend mit Folcrad feiern.

“Ich kann es kaum erwarten”, grinste er und zwinkerte ihr zu. Als sie sich nach ein paar Schritten umdrehte und ihm einen Luftkuss zuwarf, fing er ihn auf und drückte ihn fest an sein Herz. Sie strahlte über das ganze Gesicht, bevor sie sich umdrehte und mit einladend wiegenden Hüften weiterlief. Dann sah er ihr verträumt nach, wie sie eiligst Richtung Küchenzelt lief.

Das Amphitheater

Das kleine Amphitheater war ein alter Bau, der aus bosparanischen Zeiten stammte. Gänzlich aus weiß-gräulichen Marmor geschlagen, waren die Spuren des Alters nicht zu übersehen. Bis zu 50 Besucher hätten hier platz, um eine Vorstellung auf dem zentralen und am tiefsten gelegen Platz beizuwohnen. Ein Ereignis, dass ziemlich selten vorkam. Meistens lauschen einzelne Paare einem Barden oder Bänkelsänger beim musizieren . Heute jedoch hatte sich nur die alte Bardin Nordrun vom Lilienhain hier eingefunden, die hier mit ihrer Knicklaute und tiefen Stimme Liebeslieder zum besten gab.

***

Hand in Hand liefen die Travianovizin Elvrun und der Krieger Nivard eine Weile schweigend in den Park. “Lass uns eine Weile schweigen und den Spaziergang genießen”, hatte sie gesagt, als sie die Festwiese verlassen hatten. Sie genoß die Sonne, den Duft der Blumen und das Rauschen der sich wiegenden Lilien im Wind. Als Nivard die ersten Worte der singenden Bardin hörte, hatte er eine Ahnung wohin Elvrun ihn brachte. Nach einer Weile war er sich ganz sicher: das alte Amphitheater!

Nivard lächelte Elvrun an, als ihm gewahr wurde, wohin es sie zog. Gemeinsam setzten sie sich am Rand des Halbrunds nieder und ließen sich ein Weilchen still von den vorgetragenen Weisen Nordruns verzaubern. Wie sehr Elvrun in der sanften Poesie schwelgte. Auch ohne eigene Worte waren sie sich hier nahe und verstanden sich. Und er spürte voll Freude, dass er sicher auch mit seinen Liedern und Gedichten ihre Seele zu erreichen vermochte. Sanft legte er seinen Arm um sie und zog sie sachte zu sich.

Sie ließ die Nähe zu, so geborgen hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. “Erzählt mir mehr von euch Nivard.Erzählt mir von eurer Heimat.” fragte Elvrun.

"Meine Heimat liegt tief verborgen im Tann, in den dichten Wäldern im Osten der Baronie Ambelmund." fing er an. "Wenn Ihr von Ambelmund oder Vairningen aus im Schatten der Bäume über den gewundenen Kiepenpfad ankommt, hört Ihr schon von weitem den Glasbach wild zwischen den hoch aufragenden Sandsteinfelsen rauschen, und der Duft von Holzkohle und unserer Glashütte kommt Euch entgegen. Tannenfels selbst ist ein kleines Dorf, das geschützt in einem etwas höheren Seitental liegt, behütet vom Wehrturm, in dem und dessen Gelass meine Familie schon seit Jahrhunderten lebt. Auch wenn es dort zuletzt recht leer geworden ist - mein älterer Bruder Rondrard ist zwar nach seinem Ritterschlag und seiner Heckenzeit wieder zurückgekehrt und übt sich im Schutz und der Verwaltung des Guts, dafür weilt meine Mutter inzwischen zumeist in Ambelmund und meine Schwestern und ich sind alle im Herzogtum verstreut - Libgard wie Ihr eine Novizin der Travia bei Gratenfels, Ringard, die Ihr vorhin gesehen habt, in Ambelmund, und Silfrun an der Praiosschule zu Gratenfels, bei Eurer Muhme." Er vergewisserte sich rasch, Elvrun nicht zu langweilen, und fuhr dann fort:

"In Tannenfels gibt es im Übrigen auch einen Traviaschrein - im Kiepenhaus - denn die gütige Mutter wird bei uns hoch gehalten. Im Sommer freuen wir uns über alle Gäste, die den Weg durch die Wildnis zu uns finden, und im Winter rücken alle im Dorf zusammen, um uns gegenseitig Wärme und Schutz gegen Firuns Unbilden zu geben. Die Wälder beschenken uns - mit Holz, Wildbret, Honig und Nahrung für unser Vieh - aber sie fordern uns auch hart durch ihre Kargheit und Unzugänglichkeit, manch gefährliches Getier und zuweilen die Goblins, mit denen wir uns das Land teilen und wir mal mehr, mal weniger gut auskommen. Außerdem bergen sie manches Geheimnis. Zum Beispiel, woher meine jüngste Schwester Silfrun stammt - Mutter fand sie als Neugeborene in den Wäldern, als elternloses Bündel, alleingelassen in der Kälte und Wildnis, und ganz sicher nicht aus unserem Dorf. Wie auch immer sie dorthin gelangte..."

Nivard hielt kurz inne und sah Elvrun prüfend an, fürchtete er doch, in seinen Beschreibungen zu weit abzuschweifen. Er hatte noch gar nichts über sich selbst erzählt - wenigstens direkt, denn sagte die Heimat nicht auch viel über einen Menschen aus? Aber er brannte zugleich auch darauf, mehr über Elvrun zu erfahren.

In Elvruns grünen Augen schien ein warmes Feuer zu glimmen. “Es hört sich an, dass die Familie in eurer Heimat größer werden sollte, ein Ort an dem die heilige Mutter benötigt und geliebt wird. Gibt es den einen Traviatempel in der Nähe? Ich würde gerne eure Heimat mit eignen Augen sehen, Nivard. Und sagt, was habt ihr euch für eure Zukunft vorgestellt?” Die Neugierde war in Elvruns Gesicht geschrieben.

Nivard wurde es ganz warm ums Herz, als er in Elvruns Augen blickte. “Und ich brenne darauf, Euch meine Heimat zu zeigen, Elvrun. Leider kann ich Euch in Tannenfels und auch in der Baronie Ambelmund nur zu Schreinen Travias führen - aber in den Nachbarbaronien, in Tommelsbeuge und in Vairningen, gibt es auch Tempel der gütigen Mutter.” Er sah sie nachdenklich an. Ob sie sich vorstellen konnte, mit ihm...

“Ich kann mir gut vorstellen, irgendwann wieder auf Dauer in meine Heimat, zu meiner Familie zurückzukehren. - Ich bin zwar nach Abschluss der Kadettenschule den Plötzbognern beigetreten - ich wollte mich einerseits beweisen und andererseits zunächst in Elenvina ansässig bleiben.” Aufgrund seines Schwurs, den er im vergangenen Sommer der Herzogenmutter Grimberta gegenüber geleistet hatte, durfte er Elvrun leider noch nicht von jenem Geheimnis berichten, das ihn auch mit ihrem Bruder Elvan und ihrem Vater Juno verband, und das ihn nicht zuletzt in der Kapitale der Nordmarken gehalten hatte. “Als Krieger kann ich aber auch im Norden des Herzogtums ein Auskommen finden… eines, bei dem ich auch mehr bei meiner Gemahlin und meinen Kindern sein könnte, denn als Geleitschützer.”

“Habt Ihr denn schon Wünsche für die Zeit nach Eurer Weihe, Elvrun?” Nivards Herz schlug aufgeregter. “Käme es… käme es für Euch in Frage, von Elenvina aus gen Nordgratenfels zu ziehen? … Mit mir?” Nivard spürte, dass er umgekehrt aber auch Elvrun folgen würde, überallhin - wenn es sein musste selbst bis in Orkland.

Nivard sprach ihr aus der Seele. Jeden Tag bat sie Travia um Vergebung. Sie war sich nun sicher das die gütige Mutter ihr Nivard geschickt hatte. Bei ihm könnte sie Ruhe und Frieden finden, auch wenn es bedeutet weit weg von der Metropole zu leben. “Oh Nivard. Wo ich bin, ist auch Travia. Natürlich würde mir das nichts ausmachen in Nordgratenfels zu leben. Überall kann es ein Heim geben.” Nun errötete sie ein wenig. “Kann es sein, dass ihr mir den Hof macht?”

Wo Elvrun ist, ist auch Travia. - Ja, so war es! Und wo sie ist, da will auch ich sein!

"Es mag verrückt klingen, und ich hätte es noch vor wenigen Stunden selbst kaum geglaubt, aber heute haben mich Rahja und Travia auf ihre ganz eigene Weise berührt und mir offenbart, zu wem ich gehöre. Sie haben mir den Weg zu Euch gezeigt, Elvrun, und seit ich bei Euch bin, ist mir, als wäre ich... daheim."

Nivard ließ einen weiteren langen Moment die Wärme, die aus ihren grünen Augen strahlte, auf sein Herz wirken.

Sie hatte ihn unter allen schönen Orten in diesem Park an genau diesen geführt, und in diesem Augenblick gehörte er nur ihnen beiden. Nordrun war gerade dabei, ihr jüngstes Lied ausklingen zu lassen. Es war Zeit, seinem Herzen zu folgen.

"Elvrun, entschuldigt Ihr mich bitte für einen ganz kurzen Moment." bat Nivard sie, ihre Hand nochmals sanft drückend.

Dann eilte er hinab zur Bardin und fragte sie, ob sie ihn auf der Laute begleiten könne, mit der Melodie einer alten, wohl nur in Nordgratenfels leidlich bekannten Ballade. Nachdem Nordrun diese zu seiner freudigen Überraschung tatsächlich kannte und seinen Wunsch bejaht hatte, sammelte er sich nochmals kurz, seinen Mut ebenso wie seine Gedanken und Gefühle, dann wandte er sich wieder Elvrun zu.

Sie waren ja gar nicht mehr alleine, wurde im jäh gewahr - Amiel und Rahjalind hatten sich in einiger Entfernung dazu gesellt. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Er hatte vor Grimberta, dem Muschelfürsten und Ignilde gesungen, hatte vor der hoch- und wohl- und hochwohlgeborenen Jagdgesellschaft in Nilsitz vorgetragen, zahlreiche Lieder auf der Anreise hierher intoniert, die noch vor allem für Geldas Ohren bestimmt waren.

Doch keines zuvor und wohl keines danach, das spürte er, würde so wichtig sein wie dieses. Auch wenn die Verse nicht abschließend geschliffen sein mochten, wollte er in ihnen sein Herz offenbaren.

Ein wenig flau war ihm zunächst durchaus, als er vor sie trat, doch nahm ihm die Wärme Elvruns erwartungsvoll auf ihn blickender Augen die Furcht. Und er begann zu singen.

“Kennen uns nur wen'ge Stunden,
doch will nie mehr zurück.
Dass ich Euch hier hab gefunden,
ist mein größtes Glück.
Verschlungen waren meine Wege,
stand verloren im Gesträuch,
bis guter Göttinnen Segen
mich führten hin zu Euch.”

Noch vor dem ersten Kehrvers hatten Nordruns Spiel und Nivards Gesang harmonisch zusammengefunden.

“Oh ich glaub'
ja ich glaube, sie ist hier,
Zukunft voll von Glück,
Zukunft von Dir und mir.

Ob in Schloss oder Waldklause,
der Ort zählt für mich nicht.
In Euch seh ich mein Zuhause,
Ihr seid mein helles Licht.
Alles werd' ich dafür geben,
dass ich Euer Schutz und Halt,
in Treue zu Euch all mein Leben,
Travias Liebe nimmt Gestalt.

Oh ich glaub'
ja ich glaube, sie ist hier,
Zukunft voll von Glück,
Zukunft von Dir und mir.

Ob Rondrikan und Stürme wehn,
ihr Wüten gar viel zerstört,
Ob Fluten komm'n und Brände gehn,
unser Wir nur wird gestärkt!”

Während der letzten Verse war Nivard ganz zu Elvrun gegangen. Er ergriff ihre Hand und kniete sich vor ihr nieder, bevor er in die letzte Strophe einsetzte. Ohne darüber nachzudenken, warf er nun auch das “Euch” und “Ihr” endgültig über Bord:

“Im Angesicht aller Gewalten,
was ich will weiß ich genau.
Um Deine Hand will ich anhalten,
bitte werde meine Frau!
Oh Elvrun, Dir gilt mein Versprechen,
es rührt ganz tief in mir,
werd' Dein Herz Dir niemals brechen,
denn meins gehört für immer Dir.

Oh ich glaub'
ja ich glaube, sie ist hier,
Zukunft voll von Glück,
Zukunft von Dir und mir.
Dir und mir.”


Die Novizin der heiligen Mutter war sichtlich gerührt. Noch nie hat ihr jemand ein Lied gewidmet. ´Oh Travia, ich danke dir!´ Tränen ließen ihr die Wangen hinunter, doch ihr Gesicht zeigte nichts als Freude. Ja, Nivard war von ihrer Göttin gesandt. Ihre Buße war ein Segen. Nachdem er geendet hatte, stand sie auf und kam auf ihn zu. “Ja ich will!” Glücklich, aber weinend fiel sie ihm in den Arm und legte ihren Kopf auf seine Brust. Sie hielt ihn fest, so stark, als ob sie Angst hätte, er würde verschwinden.

‘Sie hat Ja gesagt!’ Nivards Herz überschlug sich schier vor Freude, und überglücklich schloss er Elvrun in seine Arme, drückte sie ebenso an sich, wie diese ihn festhielt. Seine rechte Hand legte er sanft auf ihren Hinterkopf, und er wiegte sie sachte, während er die Lider schloss und Elvrun lange auf ihre Stirn küsste. Auch seine Augen füllten sich mit Tränen, und er dankte Travia still für ihr Glück.

Am liebsten hätte er sich niemals mehr aus ihrer Umarmung gelöst.

***

Amiel von Altenberg ließ sich einen Korb geben, in dem er eine Flasche Wein, Kelche, Käse und Früchte stellte. Dann lief er kurz mit Rahjalind zum Theater und setzte sich dort auf die Stufen. Alleine waren sie nicht. Die Bardin Nordrun sang und spielte und am anderen Ende saß seine Base Elvrun mit dem jungen Krieger Nivard von Tannenfels. Erst jetzt, nachdem Wein eingegossen und Früchte ausgepackt waren, beantwortete er Rahjalinds Fragen. “Eure Bruder ist euer Bruder und meine Schwester meine Schwester. Das hat absolut nichts mit uns zu tun. Ich glaube nicht dass ihr etwas verhindern hätte können. Und ist es nicht so, das er genauso handelt, wie es Rahja gefällt?” .

Sie zuckte zur Antwort mit ihren Schultern. Es stimmte schon ... Rahja segnete ihr Haus besonders reich … und dass dabei eben auch das Blut der Angehörigen leichter in Wallung geriet als beim Durchschnitt, gehörte wohl dazu. Das galt für Linnart, genauso wie für sie selbst. “Ihr habt wohl recht. Ich dachte nur …”, sie stoppte und fuhr mit ihrem Zeigefinger über den steinernen Boden der Treppe, “... es hätte ihm gut getan. Er hatte schon genügend Durinjas in seinem Leben. Hoffentlich heiratet er sie nicht …”, nun lächelte die Rahjadienerin ehrlich, “... doch sagt an. Gibt es denn für Euch schon eine Dame, der Ihr den Hof machen wollt?” Kurz fiel Rahjalinds Blick auf Nivard und Elvrun. Sie lächelte den beiden zu.

Er lachte laut auf. “Na so schlimm ist Durinja nicht. Wenn sie erstmal deine Freundin ist, läßt sich nichts an dich kommen. Da kämpft sie wie eine Löwin. Hinter dem schönen Gesicht, steckt ein kluger Kopf. Und wer weiß, vielleicht ist sie genau was er braucht. Nun, glaubt ihr, das jemand der traviagefällige Tugend folgt, mit jemanden wie euer Bruder glücklich wird. Ich kann mir nicht vorstellen, das ihr von den rahjanischen Tugenden abraten würdet, oder liege ich da falsch? Ich halte Treue in Ehren. Aber ich bin da halt anders. “ Er nahm ein Schluck vom Wein.

“Nun unterschätzt Ihr meinen Bruder aber, hoher Herr …”, sie lächelte, “... Linnart ist ein sehr liebevoller, fürsorglicher und starker Mann, der seine Frau bestimmt einmal sehr glücklich machen wird. Er hat halt auch seine Fehler … wie wir alle. Genauso wie ich, wie Ihr oder auch Andesine. Nun ja, vielleicht sollte es eben nicht sein. Meiner Kopfwäsche kommt er jedoch nicht aus, das kann ich Euch versprechen und auch Eure Schwester muss ich mir wohl noch zur Brust nehmen.” Rahjalind prostete ihm zu. “Doch nun erzählt. Ihr haltet traviagefällige Tugenden in hohen Ehren, dann muss der heutige Anlass für Euch ja ein sehr erfreulicher sein. Gibt es denn schon eine Dame, die Euer Interesse geweckt hat?”

“Ich hoffe ihr versteht mich nicht falsch. Ich gehe nur nachdem was ihr erzählt habt. Ich bin euren Bruder noch nicht begegnet. Also ihr hattet so etwas für euren Bruder vorgestellt.” Amiel deutete auf die beiden Turteltauben Elvrun und Nivard. “Nun, es gab bis jetzt eine die Interessant war. Lustigerweise ebenfalls eine Wasserthalerin. Sylvette von Wasserthal. Und von der Vorstellung her Sina Artigas und vielleicht Ringard von Tannenfels.” ER drückte sich eine Traube in den Mund. “Natürlich seit ihr auch interessant”, fügte er noch an.

“Ja?”, fragte sie lächelnd nach, “Obwohl ich so gar nicht Eurem ersehnten Bild entspreche?” Sie kicherte und blickte auf Nivard und Elvrun. “Wenn Ihr die anderen Damen interessant findet, warum sitzt Ihr dann hier mit einer Dienerin Rahjas, die Euch wohl schon aus beruflichen Gründen niemals eine treue Frau sein kann?” Rahjalind schob ihre Augenbrauen hoch, doch wartete sie keine Antwort ab. “Habt Ihr keine Sorge, dass Euch bei den Damen jemand zuvor kommt?” Amüsiert schaute er Rahjalind an. “Könnt ihr nicht? Ich dachte es gibt auch treue Schwüre in eurer Geweihtenschaft. Nun den Dienst an Rahja zu tun, wie ihr es macht, sehe ich nicht als Treuebruch. Das ist nun mal die Aufgabe einer Geweihten der Liebholden. Allerdings möchte ich viele Kinder, eine große Familie. Das wiederum könnte euch hinderlich sein, bei eurem Dienst im Tempel, oder? Und zu den Damen. Ich nehme das entspannt, ganz wie meine Göttin Tsa. Es wird kommen, wie es kommt. Das Leben genießen.” Dabei krabbelte die Eidechsen auf den Korb zu.

“Nun wenn Euch das nicht stören würde …”, sie hob ihre Augenbrauen und nahm abermals einen Schluck vom Wein, “... dann habt Ihr dafür meinen Respekt. Das können nicht vielen. Wieviele Männer hier auf der Brautschau würden mich schon als geeignete Partie sehen. Was meint Ihr?” Sie wartete vorerst keine Antwort ab. “Was jedoch die Kinder angeht … ich kann mir schon vorstellen ein paar Kinder zu haben … viele wird schwierig, aus Gründen, die Ihr schon selbst genannt habt.”

Wieder lachte er laut auf. “Habt ihr gerade damit gesagt, dass ich euch den Hof machen kann? Ein paar Kinder gehen auch. Und welche Adoptieren. Das würde Tsa gefallen.”

“Ihr dürft es versuchen, doch warne ich Euch …”, sie zwinkerte ihm zu, “... leicht bin ich nicht zu haben.”

Amiel deutete auf Nivard. “Ein Poet und Krieger bin ich nicht. Ich kenne mich mit Gesetzen aus, aber am besten bin ich in der Küche. Wenn ihr jemanden an eurer Seite haben möchtet, der treu zu euch steht, die Familie zusammenhält, weiß zu feiern und kann euch alles zubereitet was euer Herz … und Bauch begehrt. Dann bin ich der Richtige. Wenn das so ist, sagt mir wie ich euer Herz und Hand gewinnen kann. “ Nun schaute er sie aus seinen smaragdgrünen Augen liebevoll an.

“Ach hoher Herr, dafür haben wir doch das Personal. Nie würde ich von meinem Mann verlangen den Kochlöffel zu schwingen.” Sie lächelte frech. “Wie stellt Ihr Euch denn Euer weiteres Leben vor? Außer den vielen Kindern meinte ich. Würdet Ihr Elenvina verlassen?”

“Mich bekommt man nicht aus der Küche, ihr habt noch nichts gekostet, was ich zubereitet habe. Aber ja, natürlich. Mein Zuhause ist dort, wo meine Familie ist. “

“Sind denn die Gesetze Eure Leidenschaft?”, fragte sie interessiert. “Ihr arbeitet im Traviatempel und seid ein Anhänger der Tsa. Da ergibt sich ein interessantes Bild, wenn Ihr mich fragt.”

“Nun die Arbeit im Traviatempel ist halt meine Arbeit als Rechtsgelehrter. Da aber mein Onkel diesen leitet, ist es wie Familie. Ich kümmer mich nebenbei um die Waisenkinder und der Armenküche. Aber ich glaube an die Freiheit und die Lebensfreude. Ich bin immer offen für neue Ideen. Deswegen bin ich mir sicher, dass ich dort nicht ewig sein werde.” In welchen Tempel wollte ihr nach euer Weihe wirken? Oder macht ihr es wie mein Verwandter Bruder Rahjel und wandert durchs Land?

“Ich diene im kleinen Rebentempel in meiner Heimat Linnartstein. Meine Familie hat der Göttin dieses Haus gestiftet. Als Dank für ihre Gaben und ihren Segen. Dem Tempel werde ich wohl auch nach meiner Weihe treu bleiben. Ich kann ja Alegretta unmöglich alleine lassen …”, sie lächelte herzlich, “... wart Ihr schon einmal in Kyndoch? Kennt Ihr meine Heimat?” Rahjalind lächelte ihn an. Amiel schien ihr wie ein sehr bodenständiger Mann. So bodenständig, dass er so gar nicht in das Bild ihrer Familie passte. Aber vielleicht war gerade das eine willkommene Besonderheit.

“Es wird mir eine Freude sein, ihn eines Tages zu sehen. Auch wenn ihr mich nicht als Verlobter erwählen würdet. Ich habe es mir zur kleinen Aufgabe gemacht, alle Tempel der Nordmarken zu besuchen. “ Amiel griff wieder zu der Eidechse und ließ sie seinen Ärmel hoch wandern. “Und ja, ich war schon mal in Kyndoch. Einer meiner ersten Aufträge für meinem Oheim. Ich musste einige Urkunden in den dortigen Traviatempel bringen. Eine anständige Stadt würde ich sagen. Und wart ihr schonmal in Elenvina? Dort bauen sie gerade einen Rahjatempel.”

Rahjalind kicherte. "Nein hoher Herr … nicht die Stadt Kyndoch. Die Baronie. Es ist wunderschön, vor allem unser Land dort. Die Weinberge … ihr solltet sie sehen, wenn sie im Herbst ihr orangenes Kleid tragen, das dann im Licht des Praiosmales leuchtet …", die junge Frau geriet ins schwärmen, "... Elenvina kenne ich. Großmutter und Großvater leben dort. Und so weit ist es nicht von uns. Zwei Tage zu Pferd über die Reichsstraße." Sie lächelte. "Ich hoffe doch Euch irgendwann bei uns im Tempel begrüßen zu dürfen. Seid Ihr denn ein Kunstfreund? Wir haben oft auch Barden und Sänger zu Gast."

“Ob ich Kunst liebe? Was für eine Frage, die Gaukler und Barden sind mir die liebsten in Elenvina! Ratet warum ich diesen Ort ausgewählt habe!” Amiel fing an, die junge Frau richtig zu mögen. Das konnte sie ihm auch von seinem Blick ablesen.

Er konnte Freude über seine Antwort aus ihrem Gesicht ablesen. "Ich male auch sehr gerne … vor allem die Tiere in unserem Tempelgarten. Vögel mag ich besonders gerne … sie sind der Inbegriff der Freiheit. Auch liebe ich es zu musizieren und zu singen. Ich spiele die Handharfe … und ich liebe es zu tanzen." Rahjalind sah Amiel erwartungsvoll an. "Könnt Ihr tanzen?" Von einen auf den anderen Moment rief Nivards Vortrag die Aufmerksamkeit der Rahjadienerin auf den Plan. "Seht nur, wie schön. Kaum zu glauben, dass jener liebestolle Mann das Fest vor einem Stundenglas noch verlassen wollte. Die Herrin Rahja hat manchmal einen ganz eigenen Humor wie es scheint."

“Oh, fantastisch! Der Tannenfelser kann dichten und singen.” Fast wollte Amiel aufspringen und Beifall klatschen, doch dann war ihm klar, dass er den Moment der beiden Verliebten nicht stören wollte. “Er singt gerade für meine Base Elvrun. Die Einzige in der Familie die mir auch eine Freundin ist. Und die Bardin ist meine Tante Nordrun.”, flüsterte er Rahjalind zu.

“Dient sie im selben Tempel wie Ihr?”, fragte die Novizin interessiert. “Und warum ist sie die einzige, der Ihr so nahe steht, dass Ihr sie als Freundin bezeichnen würdet?” Das interessierte die Rahjadienerin, hatte sie den Altenberger doch als Familienmenschen eingeschätzt.

“Verstehen tue ich mich mit allen, doch sind mir meine Großmutter, mein Oheim Winrich und Elvrun am nächsten. Nun ich und Elvrun … haben schon einiges zusammen erlebt. Ich weiß, dass ich ihr alles anvertrauen kann. Und sie mir natürlich.” Sein Blick wanderte wieder zu seiner Base. “Ich bin echt glücklich für sie.” Den ehrlich gemeinten Worten schwang ein wenig Traurigkeit bei.

“Oh ich verstehe …”, sie lächelte und nickte, “... für mich war dieser Mensch immer mein Bruder. Er hat immer schon auf mich aufgepasst und war für mich da, egal um was es ging.” Rahjalinds Blick folgte dem Amriels und lag nun auch auf Elvrun. “Nivard ist ein guter Mann. Er wird sie sehr gut behandeln”, kommentierte sie. “Also …”, der Blick der Novizin lag nun wieder auf Amiel, “... Eure Tanzkünste. Ihr schuldet mir noch eine Antwort.” Amiel sprang auf, während sich Tsala auf seine Schulter flüchtete. Er reichte ihr seine Hand. “Wir können gerne ein Tänzchen wagen.” Er lächelte sie charmant an.

Rahjalind erwiderte sein Lächeln. Auch sie stand auf und gab ihm dann einen knappen Kuss auf seine Lippen. “Am Abend dann …”, flüsterte sie und blickte kurz auf Nivard und Elvrun, “... wir sollten ihren Moment nicht stören. Und Ihr könnt Euch inzwischen auch über die anderen Damen Gedanken machen. Was hält Ihr davon?”

Amiel nickte. “Ihr habt recht. Und um ehrlich zu sein Rahjalind. Ihr seid eine bezaubernde Frau und wir haben einiges gemeinsam. Aber ich denke, dass ihr noch an keinen Ehebund denken solltet. Eure Weihe und die Zeit danach, da wird so viel auf euch zukommen. Wundervolle Zeiten. Ich hoffe ihr seid mir der Worte nicht böse.” Er ergriff ihre Hand und küßte sie. “Ich wiederum bin angehalten eine Verlobte zu finden. Und hier bindet mich tatsächlich ein Versprechen. Eines das ich gewillt bin zu halten. “

Die junge Rahjadienerin lächelte und nickte verstehend. “Nun … da habt Ihr recht und mein Weg hierher war auch nicht unbedingt vom Glauben getrieben, hier und heute einen Ehemann zu finden. Es ging mir mehr um meinen Bruder … aber …”, sie stoppte kurz, “... sollte mir Rahja dennoch jemanden schicken, dann wird er Verständnis dafür haben und vielleicht auch einer längeren Verlobungszeit zustimmen. Wer weiß.” Die Traurigsteinerin hob ihre Schultern. “Nun denn, ich möchte nicht, dass Ihr wegen mir Euer Versprechen nicht halten könnt. Lasst uns zurück zur Festwiese. Was meint Ihr?”

“Wegen euch verpasse ich nichts, jeder Moment mit dir, Rahjalind, ist es wert. Aber gerne, lasst uns zur Wiese zurückkehren.” Er hakte sich bei ihr ein.

“Ich freue mich über … deine ... schönen Worte, Amiel. Doch nun sollten wir dir eine Braut finden. Wenn du möchtest helfe ich dir dabei.” Sie schritt lächelnd an seiner Seite in Richtung Festwiese.”Gerne!”.

***

Als Thalissa und Milian das Theater erreichten, waren sie alleine … bis auf die Bardin Nordrun. Die ältere Frau war gerade dabei ihre Laute zu stimmen. Als sie ihren Neffen mit der Baronin sah, verneigte sie sich. “Wollt ihr das ich etwas für euch spiele, euer Hochgeboren?”

Thalissa nickte der Bardin grüßend zu. “Warum nicht”, lächelte die Baronin. “Ich schulde dem Edlen noch einen Tanz.” Sie wandte sich Milian zu. “Wenn Ihr möchtet, könnt Ihr ihn jetzt gleich einfordern, da uns so unverhofft musikalische Begleitung angeboten wird.” Wobei sich Thalissa nicht sicher war, ob ‘unverhofft’ zutraf, möglicherweise hatte Milian ja gewusst, dass die Bardin sich hier aufhielt und auf Gäste wartete.

Galant verbeugte sich Milian, ergriff ihre Hand und begann den Tanz. Nordrun zögerte nicht lange und stimmte den ´Fasarentanz´ an. Eine beliebte Melodie in den höheren Kreisen, ein wilder doch freudiger Paartanz. Milian war angenehm von Thalissa überrascht. Sie hatte etwas an sich, das er mochte. Nicht als Objekt einer Begierde, aber als Mensch.

Thalissa war eine gute, aber keine herausragende Tänzerin, dennoch liebte sie den Tanz und musste wieder einmal feststellen, dass sie das Vergnügen viel zu selten hatte. Zudem stellte sie angenehm berührt fest, dass der Edle sie nicht unziemlich bedrängte, was sie ihm hoch anrechnete, so dass sie den Tanz unbeschwert genießen konnte. Allerdings musste sie bald ebenfalls feststellen, dass hier, wo es keinen Schatten gab, die sommerliche Sonne erbarmungslos auf dem Platz des Theaters herabbrannte und ihr bald die Schweißperlen auf die Stirn trieb.

Als Nordrun das Stück beendete, hob Thalissa daher eine Hand. Sie nickte der Bardin dankend und freundlich lächelnd zu, dann wandte sie sich wieder an Milian. “Habt Dank für diesen Tanz, doch ich fürchte, wenn ich heute noch zu etwas zu gebrauchen sein soll, sollten wir jetzt wieder zu weniger erhitzenden Tätigkeiten zurückkehren.” Tatsächlich atmete die gut trainierte Baronin kaum schneller als vorher, doch die Schweißperlen auf ihrer Stirn waren nicht zu übersehen.

“Es war mir eine Ehre, Baronin!”” Er verneigte sich und auch seine Stirn glänzte. “Lasst uns zurückkehren und etwas trinken. Praios meint es ein wenig zu gut mit uns.” Milian überlegte. Irgendetwas hatte sich zwischen den beiden während des Tanzes gelockert. Sein Gefühl sagte ihm, dass hier die Wahrheit am besten angelegt war. “Ihre Hochgeboren. Darf ich ehrlich mit euch sein? Und bitte nehmt mir meine Worte nicht allzu persönlich. “

“Das ist eine hervorragende Idee - und Ihr sollt sogar offen sein”, beschied ihm Thalissa. Was kam wohl jetzt? Ihre gelöste Stimmung wich gleich wieder bedeckter Vorsicht, als sie den Edlen abwartend ansah.

“Ihr seid eine wunderschöne Frau und eine äußerst gute Partie. Aber ein Edelmann kann nur Hoffen und ich glaube ein Werben wäre für mich vergebene Mühe.” Mit gespielter Enttäuschung im Blick schaute er die Baronin an. “Es ist eigentlich nicht meine Art so schnell aufzugeben, aber ich habe das Gefühl, das wir beide uns aus anderen Gründen kennenlernten sollten.” Jetzt lächelte er wieder und wirkte erleichtert.

Auch Thalissa war innerlich erleichtert, dass der Edle eingesehen hatte, auf verlorenem Posten zu stehen, was eine Verbindung zwischen ihnen anging. Aber er verstand es weiterhin, sie neugierig zu machen. “Dann bin ich gespannt, was für Gründe das sein könnten?” gab sie interessiert zurück.

“Ich glaube wir könnten uns in der Zukunft helfen. Ihr seid neu in den Nordmarken und ich weiß, dass der Grafenhof euch als Emporkömmling betracht. Jeden Freund den ihr dort machen könnt, wird euch später helfen.” Er wurde ernst. “Auch ich werde dort nur als Spielstein betrachtet, den man wieder loswird, wenn sein nutzen getan ist. Doch ehrlich gesagt, ist dass nicht mein Plan. Aber auch ich brauche dazu Verbündete.” Nun schaute er Thalissa wieder an.

Die Baronin überlegte. Soweit sie wusste, war Milian nicht gerade an exponierter Stelle am Grafenhof zu finden, aber das mochte auch ein Vorteil sein. Zudem war seine Mutter nicht unwichtig. Und außerdem war sie doch genau deswegen zu dieser Brautschau gekommen: um ihre Nachbarn besser kennenzulernen und Bekanntschaften und Bündnisse zu knüpfen. Und das war ein Anfang. Thalissa streckte die Hand aus und lächelte. “Nun denn, Ihr habt mich überzeugt: auf gute Zusammenarbeit!”

Zufrieden verbeugte er sich vor Thalissa. “Auf eine ruhmreiche Zukunft!”

Die kleine Festwiese mit Zelten

Umgeben von den prächtigen Lilienfeldern liegt die kleine Festwiese. Der gepflegte Rasen dient heute allerdings als Lagerstätte einiger Besucher der Brautschau und so sieht man einige bunte Zelte auf ihr stehen.


Sabea genoss die Brise die auf der kleinen Wiese wehte. Unbekümmert steckte sie die Arme in Luft und rollte ihren Kopf bis der Nacken knackte. Dann blickte sie den Junker an. Mit jedem Augenblick mit dem sie Thankred verbrachte, gefiel er ihr mehr und mehr. “Wie es ausschaut sind wir hier alleine. Welches ist dein Zelt, Thankred?”, duzte sie ihn.

Diesem gefiel die vertraute Art Sabeas. Er hob die Hand und deutete in Richtung eines am Wiesenrand stehenden Zeltes, dass gut und gerne für sechs Personen Platz bieten musste. Es war einfach geschnitten und in einem schlichten, irdenen Ton gehalten. Müde wehte das Banner des Junkers von einer der Abspannseile, dort wo sich der Eingang befinden musste, im Wind.

“Meine Waffenknechte schlafen für gewöhnlich mit mir im Zelt, deswegen ist es so groß. Ich pflege einen engen Kontakt zu meinen Untergebenen. Wenn man sich auf jemanden verlassen muss, ist es besser ihn genau zu kennen. Zudem hält Loyalität, die auf Gemeinsamkeiten, manchmal gar Freundschaft beruht länger als bloße Befehlsgewalt.”

Anerkennend nickte sie ihm zu und ging auf das Zelt zu. Lange betrachte sie sein Wappen und schien es zu studieren. Dann strich sie über die Zeltplane, ganz so, als ob sie die Qualität des Stoffes prüfen würde. “Nun, Herr Junker, wollen sie einer Dame euren Palast von innen zeigen?” Neugierig schaute sie ihn an.

“Nun”, setzte Thankred darauf mit leicht süffisanten Lächeln an. “Nur, wenn ihr auf die Anstandsdame verzichten könnt. Die werde ich ‘leider’ nicht herbeizaubern können.”

Er hob das Stück Plane, dass den Eingang darstellte an und trat beiseite, so dass Sabea hineingehen konnte.

Sabea schnaubte verächtlich. ”Anstandsdame? Brauch ich nicht.” Die große Frau betrat das Zelt und schaute sich um.

Der Junker lachte leise. “Warum hatte ich eine solche Antwort nur erwartet?” Eine rein rhetorische Frage an sich selbst. Er folgte ihr mit etwas Abstand.

Drinnen herrschte Halbdunkel. Die gewachseten Zeltplanen hielten das Licht ab. Einzig die Schlitze am Eingang ließen noch etwas Sonnenlicht herein.

Sabea erkannte drei einfache Lager am Boden, Decken ausgelegt auf Fellen und einen Klappstuhl. Gegen ihn waren ein großer eisenbeschlagener Rundschild gelehnt, der Thankreds Wappen trug, darauf lag beschriebener Streitkolben. Eine Waschschüssel und ein Krug standen auf einem weiteren solchen Stuhl in einer anderen Ecke. In einem Wehrgehänge, dass an einer der Zeltstangen befestigt war erkannte sie ein Schwert samt Scheide. Bogen ohne aufgelegte Sehnen, ebenso wie Pfeilköcher standen gegen die Plane gelegt am Boden. Das war es schon.

Zufrieden lächelte Sabea. “Es gefällt mir. Alles was das Herz begehrt.” Sie strich mit ihren Fingern über den Schild und betrachtete dann sein Wappen. “Habt ihr dafür als Vorlage gedient?” Mit einem Schmunzeln schaute sie ihn an.

Er erwiderte ihren Blick offen, ja fast ein wenig ‘herausfordernd.’

“Einer meiner Vorfahren würde ich vermuten”, kommentierte Thankred amüsiert. Der Junker zuckte wie beiläufig mit den Schultern und trat einen Schritt näher an Sabea heran. “Meine Untertanen nennen mich hinter vorgehaltener Hand schlicht “den Schrat”. Er lachte leise. “Irgendetwas muss also doch dran sein. Ich trage dieses Erbe mit Stolz.”

Sabea lachte kernig. “Die Männer eures Hauses müssen stattlich sein. Unsere Kinder werden den Wappen würdig werden.” Nach diesem Kommentar, schaute sie ihn wieder herausfordernd an.

Ganz nah stand Thankred nun bei ihr. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht.

“Das werden sie”, bestätigte er ganz leise, aber mit einer seiner Stimme innewohnenden Überzeugung, die keinen Zweifel zuließ.

Thankreds großen Hände fanden ihre Taille. Sachte aber dennoch bestimmt zog er Sabea an sich, um sie zu küssen. Als Thankred sie packte, ging ein Feuer der Lust durch ihren Körper. Noch nie hatte ein Mann sie so kräftig und mutig gepackt. Es gab noch einen Test den er bestehen musste. Bevor sie seinen Kuß antwortete, hielt sie kurz inne und konzentrierte sich. Nach einem Augenblick der Stille erfüllte das Donnern eines gewaltigen Furzes das Zelt. Ihr Blick war noch immer herausfordernd und abwartend.

Kurz blitzte Überraschung in den Augen des Junkers, doch dann lachte er tief und kehlig. Mehr als die humorvoll ausgesprochene ‘Drohung’: “Meine Rache wird furchtbar sein”, hatte er dazu nicht zu sagen.

Dann endlich, küsste er sie. Voller wilder leidenschaft stürzte die Altenbergerin auf den Trollpforter.

***

Nach einem kurzen Spaziergang erreichten Ringrad von Tannenfels und Amiel von Altenberg die kleine Festwiese. Auf dem satten Gras in einiger Entfernung zu den Zelten und Lilienfeldern breitete der Altenberger die Decke aus. “Gefällte es euch hier?” fragte er die junge Dame.

“Hier ist es wirklich schön!” erwiderte Ringard, die die kleinen Eidechsenfüßchen auf sich krabbeln spürte. “Tsala scheint ebenso neugierig wie zutraulich zu sein! Ihr müsst mir erzählen, wie sie zu Euch gelangt ist.”

Amiel legte sich auf den Rücken. “Im letzten Sommer war eine Gauklergruppe in Elenvina. Nun, die Akrobatin Gunilla war in bester Hoffnung, und als der Tsatag sich näherte, war es Vater Winrich, der die kleine Tsala zur Welt brachte. Ich habe ihm geholfen, es war meine erste Geburt.” Nun grinste er und griff nach eine von Ringards Strähnen. Vorsichtig spielte er mit ihr und betrachtete sich das schimmern im Sonnenlicht. “Als ich der Mutter das Kind überreichte, fiel mir die kleine Echse auf, die sich auf einer Fensterbank versteckt hatte. Seitdem ist sie bei mir. Ich glaube, dass die junge Göttin sie geschickt hat. Ich habe sie Tsala getauft, so wie das Neugeborene. Sagt Ringard, wollt ihr auch Kinder?”

Langsam ließ sie sich neben Amiel in Gras sinken und sah diesen versonnen an. Tsala nahm die veränderte Position zum Anlass, Ringard weiter zu erkunden. Die junge Frau war überrascht, welch starke Empfindungen die leise trippelnden Füßchen des doch so leichten Tierchens erzeugten. Auch die Grashalme, die sie sonst kaum wahrgenommen hätte, der Duft der Wiese und die Wärme des von der Sonne beschienenen Bodens wirkten dem Tharf geschuldet viel intensiver, als sie es sonst wahrgenommen hätte. Sie atmete langsam ein und genoss, wie sich in die Gerüche ihrer natürlichen Umgebung der angenehm würzige Duft Amiels mengte.

“Eure erste Geburt?” fragte sie leise nach. “Seid Ihr noch weitere Male als Geburtshelfer im Einsatz gewesen, seit Euch Tsa berührt hat? Ich beneide Euch um Euer Erleben des Wirkens der jungen Göttin!” “Und ja, ich hoffe, dereinst auch selbst von Tsa beschenkt zu werden, gerne auch mehrfach” fügte sie träumerisch hinzu.

“Ja, ganze fünfe sogar. Und eines Tages bringe ich meine eigenen mit zur Welt. Wisst ihr Ringard, ich bin tatsächlich heute hier, um eine Braut und zukünftige Mutter meiner Kinder zu finden. Nicht wie so manch anderer hier. “ Amiel war ihr nahe und genoss den Duft ihres blumigen Haars.

“Fünf Geburten schon? Dann wird Eure Gemahlin bei Euch in besten Händen sein. Ihr seid ja bereits ein richtiger Geburtshelfer!” Mit einem warmen Lächeln vernahm Ringard die Absichten Amiels für den heutigen Tag. Sie rollte sich auf die Seite, so dass sie Amiel besser ins Gesicht sehen konnte, und geriet dabei ganz unwillkürlich in Tuchfühlung. “Dann ist unser Streben heute dasselbe” erwiderte sie leise und mit errötenden Wangen - “auch ich hoffe, hier meinen Gemahl zu finden.” Die letzten Worte hatte sie beinahe gehaucht. Sanft strich sie ein welkes Blatt aus seinem Haar.

Amiel hatte ein gutes Gefühl bei Ringard. “Eigentlich bin ich Rechtsgelehrter und bin im Dienste meines Oheims, Vater Winrich. Die Arbeit im Traviatempel erlaubt mir, auch andere Tätigkeiten wahr zu nehmen. Könnt ihr euch vorstellen in Elenvina zu leben?”, fragte er ganz direkt.

Ringards Herz machte einen Hüpfer angesichts dieser Frage: “Oh ja, das könnte ich mir. Sehr gut sogar. Ich weiß meine Heimat zwar durchaus zu schätzen - in ihr liegen meine Wurzeln. Aber ich möchte wachsen und mehr sehen von dieser Welt, Neues erfahren, Dinge erleben, die mir Ambelmund und auch Nordgratenfels nicht bieten können. In Elenvina pulsiert dagegen das Leben.” Sie geriet ins Schwärmen, dann verstummte sie und ließ ihre Auge versonnen über sein Gesicht streifen. Mit leiser Stimme fuhr sie fort: “Genau wie in Euch. Ich kann mir vorstellen, dass an Eurer Seite selbst Nordgratenfels wieder abwechslungsreich werden würde.”

Nun ließ er die Eidechse wieder in seine Hand krabbeln. “Könntet ihr … du dir vorstellen, den Bund mit mir einzugehen?”, fragte er unschuldig und legte seinen Blick mit seinen samtbraunen Augen in den ihren.

Zwei bläulich strahlenden Sternen im Grau des frühen Morgens gleichend verschmolzen ihre Augen ganz mit den seinen. “Ja, oh Amiel, das könnte ich… das wünsche ich mir!” Langsam kamen Ringard und Amiel sich immer näher. Kurz bevor sich ihre Lippen berührten, schloss sie die Augen.

Es war nicht ihr erster Kuss am heutigen Tage. Aber der erste, der wahrhaftig war. Der erste, der sich richtig anfühlte.

Am Brunnen mit dem 'Fest der Nymphen'

Etwas abgelegen, zwischen hügeligen Lilienfeldern, stand ein alter Brunnen. Ein Relief, das sich um den Rand des Brunnens zog, zeigte ein Fest von Nymphen und Fabelwesen. Viele Verliebte zog es hierher, um einen Kreuzer hineinzuwerfen und die Nymphen um einen Wunsch zu bitten.

***

Ihr schneeweißes Haar bewegte sich leicht im Wind, wären ihre greisen, doch kräftigen Hände über den Stein des Brunnen strich. Elva mochten den Ort, er strahlte Ruhe aus und die Lilienfelder waren hier besonders bunt. Ihre ganze Nachkommenschaft war hier, um sich einen Partner für den Bund des Lebens zu finden. Es war fast Ironie, dass ausgerechnet Rahja in vielen ihrer Enkel, die Herzen bewegte. Ihr ganzes Leben lang fühlte sich verhöhnt von der Göttin der Liebe und hatte sich voll und ganz mit Travia arrangiert. Doch ihr Lebensabend rückte näher und es war an der Zeit, auch mit Rahja ihren Frieden zu schließen. Und es war Zeit Wahrheiten auszusprechen. Geduldig wartete sie auf Rondradin von Wasserthal.

Mit gemischten Gefühlen trat Rondradin vor die greise Geweihte der gütigen Herdmutter und verbeugte sich. "Travia zum Gruße, Mutter Elva. Ich bin Rondradin Wasir al'Kam'wahti von Wasserthal zu Wolfstrutz. Bruder Rahjel sagte, Ihr wollt mit mir sprechen."

Die ernste Frau musterte ihn von oben bis unten, setzte dann ein herzliches Lächeln auf und umarmte ihn mütterlich. “Ich habe gehört ihr wollt meine Enkeltochter Gelda ehelichen. Wie ehrlich meint ihr das?”fragte sie direkt.

Rondradin erwiderte die Umarmung. Auf ihre Frage hin suchte er den Blick der Geweihten. “Selten gab es etwas in meinem Leben dessen ich mir so sicher war. Ich liebe Gelda von ganzem Herzen.”

Prüfend suchte die Alte seinen Blick. “Da ihr bald zu meiner Familie gehören werdet, möcht ich mit dem Du weitermachen, Rondradin. Du kannst mich Mutter oder einfach nur Elva nennen.” sagte sie bestimmend. Dann wurde sie ernst.”Ich weiß um deine Verlobung mit der Baroness von Rabenstein. Was glaubst du, was ich dazu sagen muss?”

“Das dies ein Problem darstellt, welches es zu lösen gilt. Ich hatte überlegt, dass ich die Aufkündigung des Verlöbnisses auf dem Bankett bekannt gebe. Allerdings müsste der Baron von Rabenstein dann auch öffentlich reagieren, allein schon um sein Gesicht zu wahren. Deswegen werde ich ihm einen Brief schreiben und ihm meine Beweggründe schildern.” Rondradin war ebenfalls ernst geworden.

“Eine reife Überlegung und der richtige Weg.” Elva drehte sich zum Brunnen und schaute in die Tiefe. “Eigentlich müsste ich es dir ausreden. Eine ausgesprochene Verlobung vor einem Baron schlägt man nicht aus. Auch wenn auf die Göttin nicht geschworen wurde, doch vermag sie die Absicht schon vernommen haben. Doch” sie machte eine kurze Pause,” werde ich dies nicht tun. Ich schätze dich als ein vertrauensvollen Diener der Sturmgöttin ein. Oder irre ich mich?”

“Ihr… du irrst dich nicht und eben dies hat mir auch Bauchgrimmen bereitet. Aber was soll ich tun? Mein Herz befiehlt mir etwas anderes. Als ich Gelda kennenlernte und mit ihr tanzte, war da dieses Gefühl als ob wir uns schon ewig kennen würden. Und als ich sie diesen Mond nicht sprechen oder auch nur sehen durfte...” Rondradin sah nun auf den Boden vor sich und suchte nach den rechten Worten. “Jedes Mal wenn man mir zu meiner Verlobung gratuliert hat, fühlte es sich an als ob man mir einen Dolch ins Herz gestoßen hätte.”

“Ich werde dir etwas anvertrauen, dass ich noch nie jemanden erzählt habe. Außer der Gütigen natürlich.” Sie strich das Relief des Nymphenfest mit ihren Fingerspitzen ab. “Ich sehe viel in meinen Enkelkindern. Sie erinnern mich an meine eigenen Verfehlungen im Leben, aber vielleicht gibt es einen Weg, ihnen ähnliche Schicksalsschläge vorzuenthalten. Ihr werdet euch vielleicht wundern, doch in Geldas Alter stand mir die göttliche Leuin am nächsten zu meinem Herzen.” Vorsichtig drehte sie sich zu Rondradin.

“Was schwebt dir vor?” fragte Rondradin vorsichtig. Er war sich nicht sicher, worauf Elva hinaus wollte.

“Ich war einst in Knappschaft in Elenvina. Mein Schwertvater war Herzog Hartuwal Gorwin vom Großen Fluss … und auch meine erste große Liebe.” Sie senkte ihren Blick. “Ich dachte, ich hätte Rahjas Ruf vernommen und er auch. Wir waren ein … heimliches Paar für eine Weile. Bis mein Leib von Tsa gesegnet war.” Elva stockte und blickte wieder in den Brunnen. “Eine unmögliche Verbindung natürlich. Ich hörte auf meine Familie … nicht auf mein Herzen. Ich heiratete einen Mann, den ich nicht kannte und liebte und musste die Knappschaft abbrechen.” Eine Träne lief ihr die Wange hinab.

Herzschläge später wurde sie von ihrem großen Glaubensbruder in die Arme genommen. “Es tut mir leid, was du durchmachen musstest.”

Die neunzigjährige Frau ließ die Umarmung zu, löste sich dann aber nach einem Moment. “Die gütige Mutter hat sich meiner angenommen. Aber ich dachte immer Rahja verhöhnt mich. Ich habe einige schlechte Entscheidungen getroffen für meine Familie. Aber für Gelda soll dass nicht gelten. Wenn ihr euch liebt, dann soll zumindest eine ihrem Herz folgen können. Politik sollte kein Hindernis sein. Und genau genommen ist es Travia ebenfalls nicht wichtig. Meinen Segen sollt ihr haben!”

“Ich danke dir!” Nach einer weiteren herzlichen Umarmung ließ sich Rondradin am Brunnenrand nieder. “Die letzte Zeit hatte ich auch meine Zweifel an der Herrin Rahja. Ich wurde aber heute etwas besserem belehrt.” Versonnen lächelnd sah sich Rondradin um, die Szenerie in sich aufnehmend. Erst dann sprach er weiter. “Ich möchte Gelda aber nicht klammheimlich zum Altar führen. Es soll nach Möglichkeit alles seine Richtigkeit haben. Ich will ihre Eltern um ihre Erlaubnis bitten und Vater Winnrich will ich ebenfalls einweihen. Er hält große Stücke auf mich und ich will ihm zumindest meine Beweggründe nahelegen. Das bin ich ihm schuldig. Zudem wünsche ich mir seinen Segen, also sein Einverständnis für diese Hochzeit.”

Mutter Elva ergriff seine Hände. “Deine Worte in Travias Ohren. Aber sei nicht enttäuscht, wenn dass alles nicht so läuft wie du es dir vorstellst. Ich bin mir sicher das Geldas Eltern dich akzeptieren werden. Mein Sohn Winrich”, sie seufzte kurz,” nun, es ist möglich das er euch den Segen nicht geben kann. Zu sehr blicken die Augen der Nordmarken auf ihn. Ich muss dir ja nicht sagen, das auch ich viele Jahre Mutter des hiesigen Tempels war, bis mein Gemahl in ihre Herberge einging. “ Sie blickte kurz zu Boden. “Aber die Entscheidung liegt bei euch, ich werde ein gutes Wort einwerfen für euch beide.” Nun hakte sie sich bei dem Geweihten ein und signalisierte ihm den Ort zu verlassen. “Gelda ist der Segen der Liebholden wichtig. Rahjel hat mir gesagt er wäre bereit einen Segen zwischen euch beiden heute zu sprechen. Ich hatte ihm zugesagt dem beizuwohnen. Nun da es aber dein Wunsch ist, den Segen der Gütigen öffentlich zu erhalten, würde ich vorschlagen, dass ihr beide das auch so macht. Vor Rahja braucht ihr keine Zeugen. Er würde dass während des Bankett im Schrein machen oder während des abendlichen Festes. Wie es euch beiden am liebsten ist.”

Rondradin drückte die Hände der Familienältesten. “Mutter Elva, es wäre mir eine Ehre und ein Vergnügen, wenn du den Traviabund zwischen Gelda und mir segnen würdest. Ich wollte nur, dass Vater Winrich sein -stillschweigendes- Einverständnis für diesen Bund gibt. Bitte verzeih, wenn ich mich da etwas ungenau ausgedrückt habe. Wenn es nach mir ginge, würden wir mit beiden Familien den Traviabund begehen, aber das werde ich erst mit Gelda besprechen. Ihre Meinung und Wünsche sind mir wichtig und ich will sie nicht bevormunden oder übergehen.” Ein beinahe schüchternes Lächeln zeigte sich. Ächzend erhob sich Rondradin wieder vom Brunnen. Der Tag heute war anstrengend gewesen und er war noch nicht zu ende. “Darf ich dich zurück zum Fest geleiten? Das Bankett sollte demnächst beginnen.”

Sie nickte.”Der Tag schein mit großen Schritten voranzuschreiten. Was wirst du Bruder Rahjel sagen?” fragte Elva. Nun legte sie einen schnellen Schritt ein und es dauerte nicht lange und die Festwiese war wieder in Sicht.

“Bruder Rahjel hat mich bereits gefragt ob ich mit einem Rahjabund einverstanden wäre und ich habe Geldas Wunsch entsprochen. Eine kleine, private Zeremonie im Rahjaschrein. Ich hoffe Bruder Rahjel konnte meine Schwester finden, denn ich hätte sie gerne an meiner Seite.”

“Alles wird sich fügen.” sagte sie mit bedacht, doch mit ihren Gedanken war sie schon beim Gespräch mit ihrem Sohn Winrich.´Travia, steh mir bei!´

***

Rahjalind vom Traurigen Stein verwarf den Gedanken nach Andesine zu suchen. Während ihres unsteten und von vielen grüblerischen Gedanken gezeichnetem Gang durch den Park, fiel ihr Blick auf den schönen Brunnen zwischen den Lilienfeldern. Sie zwang sich zu einem Lächeln. 'Ob es wohl Glück bringt hier eine Münze hinein zu werfen?', dachte sie bei sich, als sie sich der vielen funkelnden Kreuzer am Boden des Wassers gewahr wurde. Die Novizin hatte immer ein paar Münzen bei sich. Bei ihrem heutigen Kleid war ein kleines Fach in ihren Gürtel eingearbeitet gewesen. Sie setzte sich an den Rand des Brunnens und warf zwei Geldstücke hinein. Kurz erschrak sie beim Anblick ihres Spiegelbildes auf der Wasseroberfläche. Ja, der Tag zollte bereits seinen Tribut. Dennoch sprach sie in Gedanken ein paar Wünsche aus. Sie hoffte, dass ihr Bruder sein Glück finden möge und natürlich auch all die anderen Paare, die sich hier und heute fanden. Und auch Andesine, natürlich, wo auch immer sie gerade sein mochte. Rahjalind hoffte, dass sie wenigstens nicht allein war.


Nachdem die Zofe sich von Lucrann verabschiedet hatte, lief er noch eine Weile für sich. Enttäuscht und etwas verloren schaute er in den Himmel und folgte den Zug vorbeifliegender Gänse. Als er wieder seinen Blick auf die Lilien lenkte fiel ihm von weitem Rahjalind auf. ´Bei Rahja!´ Sofort hellte sich die Stimmung des Junkers wieder auf. Er ging schneller, nein, er rannte auf die Novizin zu. “Ich schwöre bei allen Zwölfen, meine Gebete wurden erhört. Ich hatte gerade das langweiligste Lustwandeln meines Lebens. Aber nun habe ich euch endlich wiedergefunden!” Das Strahlen ging über sein ganzes Gesicht.

Auch das Gesicht der Novizin hellte sich beim Anblick des Leihenhofers wieder auf. Dennoch konnte er deutlich erkennen, dass sie … anders … war als noch zuvor am Rahjatisch. Grüblerischer … und etwas bedrückt. Rahjalind wollte den jungen Mann, den sie sehr mochte, jedoch nicht mit ihren langweiligen Sorgen behelligen. Sie erhob sich vom steinernen Brunnenrand und knickste. "Herr Lucrann, was für eine Freude. Ich hoffe ja doch, dass Ihr das Lustwandeln nicht damit zugebracht habt nach mir zu suchen …", sie lächelte gespielt tadelnd, "... so hatten wir das nämlich nicht ausgemacht." Rahjalind näherte sich ihm und nahm ihn bei der Hand. Sie brauchte in diesem Moment Nähe und Geborgenheit, auch roch der Junker so gut. "Auch mein Lustwandeln war bisher ein Wellental, aber ein bisschen Zeit bis zum Bankett bleibt uns ja noch die bescheidenen Erfahrungen in diesem Punkt zu einer guten zu machen, meint Ihr nicht auch?"

“Liebste Grazie, ich bin eurem Rat gefolgt und habe andere Frauen ausgeführt. Aber ich glaube , es war Rahja, die die Aura der Langeweile um sie gelegt hatte, nur um zu erkennen, dass ihr die erwählte seid!” Lucrann strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. “Lasst uns die restliche Zeit miteinander verbringen. Doch sagt, bedrückt euch etwas? Euer Blick mag kaum den Funken der Sorge zu verbergen.” Herzlich schaute der Junker sie an.

Als Lucrann das Wort 'Erwählte' aussprach, huschte ein freudiges Lächeln über ihre Lippen. Es freute sie, auch wenn Rahjalind natürlich nicht wusste, für was genau sie denn 'erwählt' worden war. Wollte er ihr den Hof machen, oder sie bloß verführen, so wie viele andere auch? Der Novizin war diese Frage im gegenwärtigen Moment jedoch nicht wichtig genug um zu grübeln. "Es ist … wegen meinem Bruder. Er hat sich heute verlobt und seine Wahl und die Umstände machen mir etwas Sorgen." Die junge Frau schüttelte ihren Kopf. "Aber nichts womit ich Euch langweilen möchte …", Rahjalind lächelte, "... es wäre doch sehr traurig, wenn mich auch noch der Odem der Fadesse umgeben sollte. Ich fühle mich in Eurer Gegenwart sehr wohl und es fühlt sich gut an wenn Ihr hier seid. Das sage ich nicht als Dienerin der Schönen, sondern als Frau." Die Novizin streichelte ihm über die bartlose Wange, stellte sich auf ihre Zehenspitzen und küsste den Junker sanft. "Möchtet Ihr mir etwas zeigen, oder wollt Ihr etwas spazieren gehen? Ihr könnt mir ja etwas über Eure Heimat und Eure Wünsche und Träume erzählen."

“Wir können hier bleiben … oder im Gras sitzen. Wo ihr seid, möchte auch ich sein, Grazie. Und erzählt ruhig, es wird mich nicht langweilen. Allerdings bin ich nicht überrascht, dass es Verlobungen gibt, immerhin ist das doch der Zweck dieser Brautschau. Was macht euch den insbesondere Sorge?” Lucrann nahm sie in sein Arm.

Rahjalind blinzelte ihn an. "Ja, im Gras sitzen wäre schön", meinte sie dann und gemeinsam entfernten sie sich etwas vom Brunnen und setzten sich in die Wiese. "Es stört mich ja nicht, dass er sich verlobt hat …", fuhr die Novizin fort, als sie sich niedergesetzt hatten, "... und auch wen er heiraten will … es geht mich ja nichts an. Es ist seine Entscheidung. Wisst Ihr, die Freiheit ist unserer Familie das höchste Gut." Sie zwang sich zu einem Lächeln. "Es sind die Umstände, die mich etwas stören. Ihr müsst wissen, Linnart hatte sich früh am heutigen Tag in eine andere Werberin verkuckt, ihr dann mit einer Unüberlegtheit das Herz gebrochen und meint nun, dass er den Grund dafür warum er ersterer das Herz brach zu heiraten hat." Rahjalind wandte sich im Gras sitzend dem Junker zu. "Politik spielt für mich keine Rolle, denn dahingehend wurde mir zur jetzigen Wahl meines Bruders schon gratuliert. Ich wollte, dass mein Bruder eine gute Frau findet und ich sorge mich, dass er nun von einigen als schlechter Mensch gesehen wird, der er nicht ist. Er ist ein Mann, der Schwächen hat, wie wir alle. Seine ist, sofern man dies als eine solche sehen mag, dass er die Liebliche in sich trägt und in Liebesdingen sehr impulsiv agiert." Kurz huschte ein Lächeln über ihre Lippen. "Noch bevor das Fest überhaupt begann, hatte er schon eine Frau mit einem Kuss verschreckt und damit einen halben Skandal ausgelöst …", die junge Rahjadienerin winkte ab, "... wo wir gerade über Schwächen reden, was wären denn die Euren?" Lucrann hörte ihr aufmerksam zu und streichelte dabei ihre Hand. “Je mehr Würde wir tragen, desto schwerer liegt sie auf uns. Auf diesem Weg werden wir leider nicht immer Freunde finden. Euer Bruder hat seine Wahl getroffen und wird mit den guten und schlechten Dingen dieser Entscheidung leben. Wichtig ist, das ihr weiter zu ihm steht. Ihr seit ein Hort der Stärke.” Er stieß sie leicht an. “Meine Schwächen? Hmm” Der Junker dachte kurz nach. “Mein Ehrgeiz steht mir oft im Weg. Es ist schwer für mich zu verstehen, wenn ein Anliegen zum Misserfolg verdammt ist. Und … es fällt mir schwer vor vielen Menschen zu sprechen.” Nun lachte er ein wenig über sich selbst. “Ich bin selbst Junker eines reichen Junkergut geworden und meine Familie erwartet viel von mir. Und durch eine Heirat soll ich meine Position stärken. Ich bin zwar hier, aber eine Braut zu finden hatte ich nicht vor. Allerdings finde ich den Gedanken nicht mehr so abwegig als … ich dir begegnet bin Rahjalind.” Mit leichter Röte im Gesicht schaute er sie jetzt an. “Ich möchte dich zu nichts drängen, denn du hast es auch gar nicht nötig an ein Ehebund überhaupt zu denken. Doch … “, Lucrann blickte scheu zu Boden,” wir könnten einander helfen in einem solchen. Es geht ja erstmal nur um eine Verlobung. Das Heiraten kann warten. Ich bin Teil des höfischen Lebens. Ich könnte dir helfen die Wahl deines Bruders im Auge zu behalten. Und du kannst mir dadurch helfen, die Daumenschrauben meiner Verwandten los zu werden. Abgesehen davon ist Liannon ein schöner Ort.” Jetzt war er wieder mutig in ihre schönen Augen zu blicken.

Es war bei weitem nicht das erste mal gewesen, dass Rahjalind solche Worte aus dem Munde eines Mannes gehört hatte, doch war es einer der seltenen Fälle, wo ihr Herz darauf mit einem deutlich wahrnehmbaren Sprung antwortete. Dennoch konnte sie nicht einfach kopflos ihrem Drang nachgeben, ihm um den Hals fallen und einwilligen. Nicht ihretwegen, sondern seinetwegen. Sie lächelte, doch waren ihre Augen glasig. "Lucrann …", flüsterte sie beinahe, "... ich weiß nicht ob du dir das gut überlegt hast. Wer bin ich denn schon?" Sie strich sich über ihren Leib. "Eine Dienerin der Rahja aus einer unbedeutenden Familie. Alles was ich in eine Verbindung mitbringen kann ist Geld, von dem du selbst genug hast. Meine Mutter stammt von Verrätern ab, mein Vater aus jungem, verrufenem Haus. Was würde denn deine Familie zu so einem Bund sagen?" Die Rahjadienerin war traurig, sie wollte so gerne 'ja' sagen, doch konnte sie den lieben, jungen Mann vor ihr nicht ins Unglück stürzen. Nun griff er Rahjalind unters Kinn. “Ach Rajalind. Du tust ja so, als ob du mich ins Unglück stürzen würdest. Die Wahrheit ist folgende: Ich bestimme wenn ich liebe und mit wem ich zusammen sein möchte. Mein Name hat Reputation und Praios mag seinen Plan mit dem deinem haben. Mag es Verräter, mag es einen schlechten Ruf geben, doch Praios hat euch nicht verstoßen. Es liegt an uns, eine bessere Zukunft zu schaffen. Und diesen Weg würde ich gerne mit dir beschreiten. Du fragst mich wer du bist? In meinen Augen bist du perfekt. Ich möchte eine Frau an meiner Seite die Lebenslust und Freude verkörpert. Und wer könnte das besser als eine Geweihte der Liebholden?” Er stupste ihre Nase mit seiner an.

Als der Kopf des Junkers so nah an dem ihren war, streichelte sie sanft über seine Wange, dann ließ sie einen Kuss folgen. Kurz, aber heftig. Als sie sich von ihm löste, merkte er, dass Tränen sich ihren Weg über ihre Wangen bahnten. Besonders hervorgehoben wurden diese durch den Kohlenstaub, mit dem sie ihre Augen betont hatte und der nun verlief. "Ich … ich müsste aber noch meine Ausbildung in Linnartstein abschließen." Rahjalind dachte an Alegretta und an ihre Familie. "Und du denkst, dass du mit einer Geweihten der Lieblichen als Ehefrau umgehen könntest …", die Novizin lächelte, doch kamen die Tränen immer noch, "... wenn dem so ist … dann … ja … dann will ich deine Frau werden." Abermals fiel sie ihm um den Hals und vergaß dabei, dass der Kohlenstaub auf ihren Wangen ihm das Wams versaute. Lucrann drückte sie kräftig und gab ihr wieder einen innigen Kuss. Dann strich er ihr die Tränen aus dem Gesicht. Auch seine mandelförmigen Augen glänzten vor Rührung. “Aber natürlich machst du das alles, alles was deine Göttin für dich vorgesehen hat. Ich sagte dir doch, nach der Verlobung lassen wir uns Zeit zum heiraten und wenn es Jahre sind. Ich könnte niemals Eifersüchtig sein an dem Dienste Rahjas. Solange wir uns lieben, weiß ich, wenn du nach Hause kommst, bin nur ich der Erwählte deines Herzens und du die meine!” Lucrann legte sich mit ihr auf die Wiese und hielt sie ganz fest.

Sie genoss seine Berührungen und fühlte ihr Herz vor Aufregung und Glück bis in ihren Hals pochen. Etwas fehlte noch … ja … ihr Bruder. Sie wollte, dass er sich mit ihnen freuen konnte. "Ich würde dich so gerne meinem Bruder vorstellen, Lucrann. Wir brauchen seinen Segen nicht. Er würde sich nie anmaßen, mir was in meine Wahl reden zu wollen, doch würde es mir viel bedeuten, es ihm als erstes zu sagen." Dennoch blieb Rahjalind noch liegen und genoss die Berührungen ihres Verlobten … ja, an den Gedanken musste sie sich erst noch gewöhnen. Lucrann drehte sich zu ihr und küsste sie wieder. “Wie du wünscht, Frau Junkerin.” Verliebt schaute er sie an.

“Aber erst …”, die junge Rahjadienerin erhob sich von der Wiese und als Lucrann ihr es gleich tun wollte, stieß sie ihn spielerisch wieder zurück. Zwei Handgriffe an wohlgesetzte Spangen ihres Kleides später, fiel dieses wie ein Hauch von nichts von ihr ab und sie stand nackt vor ihm. Mitten auf der Wiese. Rahjalinds junger Körper war schlank und makellos. Kleine, feste Brüste, eine schmale Taille, ein wohlgerundetes Becken und ein schöner Hintern, sowie lange Beine. Dennoch offenbarte sich ihre schönste Kurve im strahlenden Lächeln auf ihrem Antlitz. Unterhalb ihres Kopfes fand sich kein einziges Haar an ihrem Leib, dafür sah er nun eine Rosentätowierung, mit noch geschlossener Blüte auf ihrem rechten Schulterblatt. “...erst möchte ich, dass du mich auch vor Rahja als deine Frau beanspruchst.” Ihre Lippen zierte nun ein erwartungsvolles, aber laszives Lächeln.

Außerhalb des Festgeländes

Es hatte seine Zeit gebraucht ungesehen den firunwärtigen Ausgang zu erreichen, doch war es Andesine schließlich gelungen. Erst nachdem sie das Tor hinter sich geschlossen und mehrere Dutzend Schritt zwischen sich und das Tor gebracht hatte, erlaubte sie sich aufzuatmen. Ohne Umschweife steuerte sie das Hotel an und begab sich direkt auf ihr Zimmer. Ihr Bedürfnis nach Gesellschaft und neuer Bekanntschaften war für die nächste Zeit restlos gestillt. Sie würde jedenfalls ihre Lehren aus den heutigen Ereignissen ziehen. Als sie den bisherigen Tag Revue passieren ließ, schossen ihr Tränen in die Augen, die sie nicht mehr zurückhalten konnte oder auch nur wollte. Wie hatte sie nur auf Linnart hereinfallen können? Seit wann war sie so leichtgläubig geworden? Weinend brach sie auf ihrem Bett zusammen. Die Tränen versiegten erst als sich der Schlaf ihrer bemächtigte.

***

Dorcas war zufrieden, denn das Fest stand ganz im Zeichen der Hausgöttin seiner Familie. Noch immer spürte er den Rausch des Tharfs in seinen Adern, aber anstatt einer der Damen zum lustwandeln zu gehen, führte es ihn als erstes in das Küchenzelt. Dort ließ er sich von der lustigen Küchenmeisterin Victualia mit Köstlichkeiten verwöhnen und ließ sich Kostproben von verschiedenen Weinen reichen. Als er sich endlich den Werberin stellen wollte, bemerkte er dass die meisten die Festwiese verlassen hatten. Auch kamen schon einige Pärchen zurück und verkündeten ihre Verlobungen. ´Rahja, Travia, Praios, wollt ihr wirklich dass ich heute jemanden finde?´ fragte er sich selbst. Der große Ritter hatte es eigentlich nicht eilig damit. Somit setzte er sich zu den Barden und lauschte die Darbietung. Der suchende Blick des Rahjageweihten ließ ihn aufstehen und fragte, ob er helfen konnte. “Dorcas, was macht ihr hier? Gerade von euch hatte ich erwartet, dass ihr dabei seid, die Herzen der holden Damen zu erobern.” Der Ritter konnte nicht anders als mit einem herzlichen Lachen zu antworten. “Rahja hat entschieden, das mir ihre anderen Köstlichkeiten, wie der Wein als erstes zu erobern galt!” Dann warf der Geweihte ihm einen Blick zu, den er nicht deuten konnte. “Könnt ihr mir einen Gefallen tun und die Schwester von Bruder Rondradin finden? Andesine von Wasserthal. Es wäre wichtig sie zu ihren Bruder zu bringen. Leider muss ich mich weiter um alles hier kümmern. Würde es euch was ausmachen?” Dorcas musste nicht lange überlegen. Er selbst konnte sich an die Ritterin erinnern, die ziemlich wütend die Festwiese verlassen hatte. Auch ihr wurde wie Nivard das Herz gebrochen. Er hoffte nur, dass sie nicht das Pferd gesattelt hatte und über aller Berge war. Zumindest war Rahja mit ihm und konnte den unglücklichen Krieger wieder aufs Fest bewegen. “Keine Sorge, Bruder Rahjel, ich kümmere mich darum.” Und so trottete er los und fragte sich durch. Glücklicherweise hatten die Knechte und Mägde fast überall ihre Augen und so fand er heraus, dass sie im Hotel ´Zum Herzog´ war und auch dieses nicht mehr verlassen hatte. Und so stand der Hüne vor ihre Tür und klopfte kräftig. “Hohe Dame von Wasserthal. Seid ihr da?”

Es dauerte eine geraume Zeit und ein nochmaliges Klopfen bevor durch die geschlossene Tür eine verschlafene Stimme zu hören war. “Was wollt Ihr?”

“Dorcas von Paggenfeld mein Name. Ich bin froh dass ihr da seid. Euer Bruder schickt mich. Es gibt etwas wichtiges, wozu er euch braucht. Ich bin hier um euch abzuholen.” Dorcas versuchte freundlich, aber bestimmt zu klingen. Soviel er von ihr wußte, war auch sie eine Ritterin. Er selbst hatte nicht allzu lang her die Schlacht bei Mendena mitgemacht. War die Wasserthalerin auch dabei gewesen? Der Ritter lauschte, ob er etwas hören konnte.

Wieder dauerte es eine ganze Zeit bis die Stimme wieder erklang. Eine gehörige Portion Skepsis lag in ihr. “Was ist so wichtig, dass er mich dafür braucht? Wieso kommt er nicht selbst um mir das zu sagen?” Er sollte heute doch nur der Vögtin eine Nachricht überbringen. Ihr Vertrauen in ihr unbekannte Männer war jedenfalls für die nächste Zeit erschöpft und so tat sie sich schwer damit den Worten des Paggenfelders Glauben zu schenken. Außerdem wollte sie diesen Tag hinter sich bringen, am besten schlafend, um am nächsten Tag so früh wie möglich abzureisen.
Dorcas verdrehte die Augen.´Jetzt ist die auch noch stur´. Der Paggenfelder atmete nochmals tief durch. “Hätte er Zeit, wäre er sicherlich gleich gekommen. Und wie es scheint, ist er doch im Fest mehr eingebunden, als er dachte. Es hörte sich wichtig an”, mutmaßte er. “Und das Bankett fängt gleich an … und immerhin ist ja der höchste Traviageweihte der Nordmarken anwesend. Wir wollen den guten Vater ja nicht beleidigen mit glänzender Abwesenheit … und die Herrin dieses Landes hat ihre Augen auf die Ritter. Glaubt mir, ich stehe ja seit kurzen in ihren Diensten.”,setzte er noch nach, in der Hoffnung, das ein wenig Druck etwas bewirken würde.

“Dann lasst Euch nicht aufhalten. Geht zum Bankett und Eurer Herrin.” Deutlich war zu hören wie sich jemand von der Tür entfernte.

Der Ritter schmunzelte. “Gut, ich werde das Vater Winrich und euren Bruder ausrichten, dass es auch egal ist. Ich habe mein Dienst getan.”

“Ganz wie es Euch beliebt.” war die knappe Antwort.

Kurz darauf traf auch Lares mit der kleinen Basilissa ein, die ob des forschen Schrittes ihres tsaseigepriesen nicht allzu großen Schwertvaters ziemlich ins Schwitzen geraten war. Er fragte sich zu Andesines Zimmer durch und war mehr als überrascht, als vor der Tür ein anderer Mann stand, den er in vager Erinnerung vom Tagesanfang hatte. Einen Moment starrte er den jungen Mann mit Irritation an. “Ähm, Entschuldigung, Herr von...Paggenfeld, richtig? Seid Ihr auch auf der Suche nach der Dame von Wasserthal? Ist sie zu sprechen?”

Der große Ritter zuckte nur mit den Achseln, behielt aber sein freundliches Lächeln. “Eigentlich wollte sie ihr Bruder wegen etwas wichtigem beim Fest haben, aber wie es scheint ist der guten Dame alles egal, selbst der Segen Vater Winrichs. Aber jedem das seine. Viel Glück.” Er zwinkert Basilissa zu. “Rahja mit euch!” und wandte sich zum gehen.

Lares nickte dem Ritter hinterher. Wenn sie so reagiert hatte, dann musste es verflucht schlecht um sie stehen. Er zögerte einen Augenblick, dann klopfte er an der Tür. “Hallo Andesine”, war das Einzige, was er für eine Weile sagte. Statt zu reden setzte er sich mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt hin und wartete, bis sie ein Lebenszeichen von sich gab.

Es dauerte nur einen Herzschlag bis die erste Reaktion folgte. “Lares? Bist du das?” Andesines Stimme klang überrascht. “Was machst du hier? Ich dachte du bist bei der Baroness.” Ihre Stimme klang nun sehr nah, sie musste direkt an der Tür stehen oder lehnen.

“Ich bin auch hier.” meldete sich die jüngere Baronesss etwas scheu - ein klein wenig überfordert mit der Situation: “ich sollte nicht zurückbleiben. Wegen der Anderswelt. Aber um die kümmert sich nun euer Bruder.”

“Naja, du hörst es, ist ein bisschen schwierig heute…” Lares seufzte tief, dann versuchte er ein Lächeln für Lissa. “Basilissa war sehr tapfer und hat mit deinem Bruder sprechen können. Keine Angst, nachher kehre ich auch zu der Baroness von Keyserring zurück, aber vorher muss ich mit dir sprechen. Möchtest du die Kurzfassung oder die Langfassung?”

“Ich… Gebt mir einen Moment.” Man konnte hören wie sich Andesine von der Tür entfernte. Kurze Zeit später kehrten die Schritte zurück und die Tür öffnete sich. Andesine war bleich, die Augen hatten dunkle Ränder und doch lächelte sie scheu. “Kommt doch bitte rein, ihr beiden.” Die Tür wurde weiter geöffnet, so dass Basilissa und Lares eintreten konnten. Die Ritterin trug noch immer das Kleid von vorhin, doch sah es ein wenig zerknittert aus. Das große Zimmer, in das Andesine den Mersinger und seine Knappin eingeladen hatte, wurde von dem großen Bett dominiert, welches links und rechts von kleinen Nachttischchen flankiert wurde. Es sah aus, als ob jemand es eilig zurechtgemacht hatte, weil es zuvor noch in Benutzung gewesen war. Auch ein Tisch mit 2 Stühlen fand sich in dem geräumigen Raum. Sie bedeutete ihren Gästen auf den Stühlen Platz zu nehmen und setzte sich auf die Bettkante. “Ich hoffe, mein Bruder hat dir helfen können, Basilissa. Aber was meinst du mit der Anderswelt?” Sie wirkte etwas verwirrt.
Die kleine Pagin nickte: “Er sagte, dass es gut war, darüber zu reden, damit ich keine bösen Träume mehr haben muss. Von der Anderswelt weiss ich nichts, euer Bruder sagte, dass es sowas gibt und er sich drum kümmern will.”

Die Ritterin warf Lares einen erstaunten Blick zu, der um Aufklärung bat.

“Dein Bruder trägt ein Amulett um den Hals, das ihn wohl vor magischen Vorgängen warnt. Scheinbar ist der Park Heimstatt für Feenwesen oder schlimmeres. Er überprüft das hat er mir versprochen. Sonst hätte ich mich auch darum kümmern müssen, aber es war mir wichtiger, mit dir zu sprechen.”

“Was bringt dich hierher? Was musst du mir erzählen? Ich denke die Kurzfassung wird genügen.”

“Du willst die Kurzfassung. Dann halte dich bitte fest. Der Bastard hat sich verlobt. Mit der Schlange, die ihn verführt hat. Und das wenige Augenblicke nachdem er mich darum bat, mit dir zu sprechen. Dieser hinterhältige Mistkerl wird dafür seine gerechte Strafe erhalten. Ich werde ihn zu einem Duell am morgigen Tag fordern.”

Andesine brauchte einen Moment um zu erfassen wer mit dem Bastard und der Schlange gemeint war, aber dann wurde sie schlagartig noch bleicher und der letzte Glanz wich aus ihren Augen. “Tatsächlich?”, flüsterte sie leise. Linnart hatte also keine Zeit verloren und war gleich zu Durinja gelaufen. Alles nur gespielt… Wie hatte sie sich so täuschen können? Sie schwieg eine ganze Weile, dann sah sie zu Lares hinüber. “Fordere ihn nicht, dass ist er nicht wert. Er hat schon soviel beschmutzt, lasse ihn nicht noch deine Klinge beschmutzen.”

“W...was?”, rief der Mersinger, nahezu entrüstet, aus. “Aber…?!” Er schüttelte den Kopf. “Andesine, wie soll ich diesen Verrat ungesühnt lassen? Er hat dich, deine Ehre, deine Würde mit Füßen getreten. Und obendrein hat er mich nach Strich und Faden an der Nase herumgeführt, dieser eingebildete Nichtsnutz. Wie stehe ich denn da? Ich habe mich bei dir für ihn eingesetzt, habe noch erhofft, es würde ein gutes Ende finden für euch beide. Dabei hätte ich wissen müssen, dass ein Lügner ein Lügner bleibt - und es gibt nichts schlimmeres als einen Lügner im Gewand des Herrn PRAios!” Zornesröte war in ihm aufgestiegen. Hatte sich die Ritterin dermaßen verunsichern lassen?

“Ach Lares, ich will nicht dass Blut meinetwegen vergossen wird. Es hat in den letzten drei Jahren schon zu viel Blutvergießen gegeben.” leise und tonlos war ihre Stimme geworden. “Würdet ihr mich jetzt bitte alleine lassen? Ich muss ausgeruht sein, wenn ich morgen früh aufbreche.”

Lares Zähne knirschten vernehmlich. “Wohin willst du?” Er würde ihren Wunsch respektieren. Er würde die Wünsche von Frauen immer respektieren. Aber diese Entscheidung konnte er nicht auch nur im Ansatz verstehen.

“Zurück nach Meilingen, um nachzudenken. Danach vielleicht nach Garresand oder in die Rabenmark. Das weiß ich noch nicht.” Die Frau hatte den Blick gesenkt und betrachtete den Teppich zu ihren Füßen.

“Was willst du bitte in der Rabenmark? Die Burg Mersingen ist nicht wirklich sehenswert”, versuchte er sich an einem Witz, der allerdings schwer nach hinten losging. “Exil, ist es das, was du willst? Du willst nicht, dass ich das Blut dieses Gecken vergieße, aber ich soll zulassen, dass du dich am Ende der götterfürchtigen Welt verkriechst? Meinst du wirklich, dass ich das akzeptieren werde?”, erwiderte Lares, ganz als ob es tatsächlich seine Entscheidung wäre. Jetzt war keine Zeit für Konjunktive und Höflichkeiten. Andesine war gerade dabei, sich zugrunde zu richten - schlimmer noch als der Heuchler es zuvor vorgehabt hatte. Das war einfach alles andere als gerecht. Und wo keine Gerechtigkeit war, da gab es für den Mersinger nur rechtschaffenen Zorn - jedenfalls meinte er das.

Andesine schrumpfte unter dem Ausbruch ihres Gegenübers immer weiter zusammen. “Ich … “ war alles was sie kleinlaut herausbrachte. “Ich … ich will mich nicht… verkriechen, sondern… .” Ihr Blick fiel auf Lissa und sie verstummte wieder.

Lares wandte sich ebenfalls nach Lissa um, die ihren Kopf eingezogen hatte. Er schnaufte tief durch. War er schon wieder über’s Ziel hinausgeschossen? “Andesine…”, dann schwieg auch er einen Moment. “Ich will nicht, dass du dir weh tust. Nicht auch noch du dir selbst.”

Seine Worte sorgten dafür, dass sie ihren Blick vom Teppich auf Lares richtete. Seine Worte hatten es tatsächlich geschafft ihre Schale des Selbstmitleids zu durchbrechen. Sie war versucht böse auf ihn zu sein, weil er sich in ihr Leben einmischen wollte. Aber dann verging dieser Anflug von Zorn so schnell wie er gekommen war. Stattdessen fühlte sie etwas anderes. Etwas, dem sie aber nicht nachgeben wollte. Nicht nachdem sie heute so enttäuscht worden war. Außerdem…

In Andesines Züge kehrte wieder Leben ein. “Du bist ein guter Mensch.”

Dieser so einfach, so banale Satz überfuhr den Mersinger vollkommen. Sprachlos saß er Andesine gegenüber, seine Gesichtszüge voll Verunsicherung, seine Augen geweitet. Statt sich zu fassen, stotterte er: “Ich...ich will nur das, was du verdient hast. Ich habe nur das getan, was jeder aufrichtige Mann machen würde. Ich… Danke.” Dann sah er weg. Der sonst so selbstsichere, von Arroganz und Überheblichkeit geblendete junge Mann stand völlig neben sich.

Lissa hatte still zugehört. Sie verstand nicht, was passiert war. Warum dieser Bannstrahler sich mit einer anderen verlobt hatte. Und, was sie sagen konnte: “Ihr seid auch ein guter Mensch, hohe Dame. Ihr habt mir arg geholfen.” Da musste Lares lächeln, ein ehrliches, aufrichtiges Lächeln. Sie stockte: “Deshalb solltet ihr nicht so traurig sein.” Sie schaute wieder zu Boden.

“Besser hätte ich es nie sagen können als du Lissa. Du hast eine große Herzensgüte Andesine - und das merkt meine Kleine hier genau. So jemand wie du, die sich nichts hat zuschulden kommen lassen, nein, die ganz im Gegenteil ohne jede Pflicht meiner Pagin so hilft, wie du es tatest, hat es mehr als verdient, über beide Ohren strahlen und das Leben genießen zu können. Wir wollen beide nicht, dass du dich aufgibst oder in einem Loch verkriechst. Deswegen sind wir hierher gekommen, hab ich nicht Recht Lissa?”

“Ihr meint das wirklich ernst. Was würde ich nur ohne euch machen?” Es glitzerte verräterisch in den Augenwinkeln der Ritterin als sie ihren Blick zwischen Lissa und Lares hin und her wandern ließ, bevor er auf Lares zum ruhen kam. “Aber was soll ich auf dem Fest noch machen? Mir fehlt das Vertrauen und die Kraft mir einen neuen Galan zu suchen. Zumal fast alle guten Männer inzwischen vergeben sein dürften.”

“Hey, jetzt sag bloß, dir fällt auf einem Fest keine bessere Beschäftigung ein, als einen Mann zu suchen? Da wird es doch noch einige viel lustigere Beschäftigung als uns geben! Ich habe gehört, das mit dem Wein läuft auf dem Fest ganz akzeptabel - wobei ich dich niemals dazu anhalten würde, dich zu betrinken”, setzte er mit einem Seitenblick hinterher, “und gutes Essen, vielleicht sogar Musik und ein wenig Tanz könnte es auch geben! Wenn du schon keinen Mann findest, dann solltest du wenigstens den Gastgebern die Haare vom Kopf futtern.”

Nun zeigte sich ein widerwilliges Grinsen im Gesicht der Wasserthalerin. “Na gut.” Sie stand vom Bett auf und ging auf die beiden anderen Anwesenden zu. Sie umarmte die kleine Pagin und flüsterte ihr ein “Ich danke dir, Lissa. Deine Worte haben mir sehr geholfen.” ins Ohr. Andesine trat einen Schritt zurück und sah Lissa dankbar an.

Die Kleine wurde ein wenig rot. “Ja.” sagte sie in Ermangelung einer kreativeren Idee.

Anschließend trat die Wasserthalerin an Lares heran und umarmte auch ihn herzlich. “Auch dir möchte ich danken, mein lieber Lares.” Ihre Blicke trafen sich, als ihre Gesichter nur ein oder zwei Finger voneinander entfernt waren. Andesine war sich dieser Nähe bewusst und biss sich auf die Unterlippe um nicht eine Dummheit zu begehen. Sie zog sich wieder zurück. “Ich werde mich jetzt umziehen und dann komme ich zurück zur Feier. Ihr habt mein Wort.” meinte sie voller Ernst. Mit offensichtlich gespielt ernster Miene ging sie zur Tür und öffnete diese. “Aber ihr beide werdet jetzt sofort gehen und die Baroness aufsuchen. Ich habe euch schon viel zu lange von ihr ferngehalten.”

“Dein Wort ist mir genug. Komm Lissa, deine Schwester wartet sicher - und wird mich schon in die Sternenleere wünschen.”

“Ich glaube nicht. So was macht sie nicht. Außerdem ist sie gerne für sich. Und hat es bestimmt genossen.” plapperte Lissa, immer noch eingeschüchtert von den merkwürdigen Problemen der Erwachsenen.

Das gab Lares einen ihm unbekannten Stich. Ein bisschen traurig ging er voraus. Würde sie ihn wirklich nicht ein bisschen vermissen?

Lissa bekam nichts von diesen Gedanken mit, sie freute sich, dass ihr Schwertvater so großes Interesse an ihrer Schwester zeigte. Sie grinste daher freudig als sie die Festwiese wieder betraten.

Des Wandelns Ende

Zwei volle Wassermaß neigten sich dem Ende zu und Rahjagoras und seine Mägde riefen die lustwandelnden Paare im Park zurück zur Festwiese, während die anderen Knechte den Tisch für das Bankett aufstellten und deckten.


Doratrava machte sich auf die Suche nach Nordrun. Sie hatten vor Beginn der Festlichkeiten besprochen, dass nach ihren Vorgaben einige Seile zwischen den Pavillons gespannt werden sollten. Jetzt wollte sich die Gauklerin überzeugen, ob und wie das geschehen war und wann sie auftreten sollte. Wenn es nach ihr ginge, würde sie damit noch ein wenig warten, bis die Gäste zumindest teilweise gesättigt waren, denn ein leerer Bauch ließ sich ihrer Erfahrung nach bei vielen Leuten nur bedingt mit künstlerischen Darbietungen beruhigen. Aber sie würde sich da nach den Vorgaben ihrer Auftraggeber richten, diese bezahlten schließlich. Ach ja, und umziehen musste sie sich auch noch. In einem leichten, luftigen Kleid mit nichts darunter turnte es sich schlecht, auch auf einer so rahjagefälligen Veranstaltung, wie diese hier zu sein schien, wenn sie sich die Leute so ansah. Offenbar hatte sie so einiges ‘verschlafen’ in der Feenwelt
Auch Nordrun schien erst jetzt wieder auf die Wiese zurückgekehrt zu sein und gönnte sich einen großen Schluck von einem Bier. Als sie die Gauklerin sah, winkte sie diese heran. “Na das schien gut gelaufen zu sein. Ich hatte im Amphitheater gespielt und einige Paare sind erschienen. Es wurde sogar getanzt. Ich nehme an , du hast die anderen Gäste im Park unterhalten können. “ Sie grinste Doratrava breit an. “Nimm dir erstmal Speis und Trank, die Barden werden spielen. Ich würde Vorschlagen dass du deine Seilnummer während des Festes machst? Brauchst du noch etwas?”, fragte die ältere Frau.

“Danke”, antwortete Doratrava und bediente sich mit einem kleinen Happen und einem Becher Wasser. Vor der Aufführung würde sie keinen Alkohol trinken, sie wollte die Gäste ja schließlich nicht damit belustigen, dass sie auf einen Tisch fiel. “Eigentlich brauche ich nichts, aber ich muss mir die Seile mal selbst anschauen und prüfen, was sie aushalten.” Verlasse dich niemals nur auf andere, vor allem, wenn ein Fehler ernsthafte Verletzungen zur Folge haben könnte. Diese Weisheit hatte Doratrava früh lernen müssen. “Ansonsten … würde ich wohl anfangen, wenn die meisten Gäste gegessen haben, wenn das in Ordnung ist?”

“Sicherlich.” Nordrun ging zum Zelt der Gaukler voran und zeigte ihr ein langes, festes Seil aus Hanf. Es war noch neu und fest. “Ich denke das ist gut, was meinst du? Wenn es in Ordnung ist, werde ich es gleich spannen lassen. Und du fängst dann an, wenn du denkst, es ist der beste Moment. Während des Essen, werden die Barden spielen und singen. Gelda hatte mich gebeten, dass du dir einen Platz am Tisch suchst und als Gast speist. Wie gesagt, bist du meinst eine Vorstellung deinerseits wäre angebracht.” Die ältere Bardin lächelte ihr zu und strich sich eine Strähne ihres roten Haares aus dem Gesicht.

Doratrava bließ sich ebenfalls eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Schon wieder ein Bankett, bei dem sie fast nichts essen durfte. Hätte sie das gewusst, hätte sie jetzt gerade lieber nichts zu sich genommen. Aber gut, eigentlich freute es sie ja sehr, dass Gelda sie wiederum eingeladen hatte, bei den hohen Herrschaften zu sitzen. “Ja dann … will ich Gelda nicht zu lange warten lassen”, gab die Gauklerin mit etwas schiefem Lächeln zurück. “Was die Seile angeht, die sehen gut aus und fühlen sich auch so an.” Eigentlich hätte sie erwartet, dass die Seile schon gespannt wären, damit sie auch die Verankerung prüfen konnte. Das war nun nicht mehr möglich, nun musste sie sich doch darauf verlassen, dass niemand einen Fehler machte. Na ja, würde schon gut gehen. “Und wie ich schon sagte, am liebsten wären mir mehrere Seile, die sich kreuzen, wenn das möglich ist. Also dann … bis später!” Doratrava winkte Nordrun nochmals zu und suchte sich den Weg zu den Tischen. Erst, als sie fast dort angekommen war, fiel ihr ein, dass sie ihr Äußeres nochmals hätte prüfen sollen. Hatte ihr Kleid beim nachmittäglichen Ausflug in andere Welten etwas abbekommen? Nicht, soweit sie feststellen konnte, aber auf dem Rücken hatte sie keine Augen. Gut, jetzt war es zu spät. Sie zuckte innerlich mit den Schultern und näherte sich der Tafel.

Dort angekommen musste sie allerdings feststellen, dass nahezu alle Plätze schon belegt waren. Insbesondere in Geldas Nähe gab es keine Möglichkeit mehr, sich hineinzumogeln. Erneut zuckte sie innerlich die Schultern und steuerte daraufhin einen Platz ganz außen am Ende des “U” an, wo auch diese nette Rahja-Novizin saß, die sie heute Morgen flüchtig kennengelernt hatte.

***

Lares und Lissa kehrten auf den Festplatz zurück. Als wäre es ein Deja Vu am heutigen Tag schien die Veranstaltung in der Zwischenzeit fortgeschritten zu sein. War es schon Zeit für das Bankett? Oh nein! Lares suchte panisch Luzia in dem Gedrängel der Anwesenden. Dieses Fest würde noch insgesamt zu einem vermaledeiten Debakel werden!

Luzia kam als eine der letzten zurück aus dem Park. Sie wirkte etwas blasser als zuvor. Und auch nervöser. ‘Hoffentlich wird dieses schreckliche Fest bald vorbei gehen.’ Dachte sich die junge Frau. Wenigstens hatte sie einige Zeit Ruhe vor ihrem Vater gehabt. Ob Vitold ihm denselben Vorschlag gemacht hatte? Der Gedanke war beunruhigend.

“Dort ist meine Schwester.” Lissa wies auf die schlanke Gestalt, die in einigem Abstand zu den anderen aus dem Park hinaus auf die Festwiese lief.

“Schnell, lass uns zu ihr eilen, bevor wir sie wieder nicht sprechen können. Ich habe es satt, dass irgendwas die ganze Zeit wichtiger ist, dabei will ich doch nur in Ruhe ein paar Worte mit ihr wechseln. Wir wollen doch, dass sie mit uns auf Reisen geht!”, brabbelte er vor sich hin - zu sich selbst oder zu Basilissa konnte man nicht so genau sagen. Deswegen lief er, Lissa an der Hand, so gut es bei dem Gedrängel ging, auf Luzia zu.

“Gehts dir gut?”, fragte die Pagin ihre ältere Schwester, die aus der Nähe ebenso fahrig wirkte, was recht untypisch für sie war.

“Ja.. Nein.” Dann beugte sie sich etwas nach vorne: “Hier gehen merkwürdige Dinge vor. Ich hatte einen sonderbaren Traum und als ich erwacht bin, lagen eine ganze Handvoll Menschen neben mir.” Nun war ihre Stimme fast ein Flüstern: “Und sie waren vorher nicht da. Sind alle mit mir zusammen aufgewacht. Und dann dieses merkwürdige Gebaren. So viele finden hier jemanden. Und entbrennen in Liebe. Das finde ich … sonderbar.” Kurz überlegte sie und flüsterte dann Lares zu: “Oder bin ich diejenige, die sonderbar ist? Weil ich nicht… weil ich einen Mann erst kennenlernen möchte? Weil ich niemanden, den ich erst einige Stunden oder Wochen kenne, mein Leben anvertrauen möchte?” Sie schüttelte den Kopf. Wie irrsinnig die Menschen waren. Oder war sie es, die ein Problem hatte?

Lares stutzte. “Nein. Niemals! Das ist nicht irrsinnig, sondern vernünftig. Ich habe heute auch genug Enttäuschung und Verletzungen mit ansehen müssen, um ganz klar zu sagen: Prüfe, wer sich ewig bindet.” Die Worte fielen ihm auf irgendeine urkomische Art und Weise schwer, obwohl sie so richtig waren. “Euch ist doch nichts zugestoßen, oder? In diesem Garten geht Madas Fluch um. Die Anderswelt ist hier ganz nah. Bruder Rondradin wollte sich um diese Angelegenheit kümmern. Hat er Euch gefunden?”

Sie schüttelte den Kopf. “Ich habe ihn nicht gesehen. Anders..welt. Das mag es erklären.” sie seufzte, “Wisst ihr, da wir Verbündete sind, ich bin froh, dass ihr sagt, es sei vernünftig. Ich… fürchte mich manchmal, dass ich… dass ich, anders bin. Menschen… ich verstehe sie so oft nicht. Ich würde gerne… aber es ist so anstrengend. Vielleicht bin ich deshalb oft einfach gerne allein.” Sie schloss kurz die Augen: “Verzeiht meine Offenheit. Ich… es muss dieser Ort sein.”

“Aber wir sind doch Verbündete. Wem gegenüber sonst sollte man offen sein? Jetzt müsst Ihr mir verzeihen, dass ich offen bin: Es tut mir Leid, dass ich Euch so lange vernachlässigt habe. Es wird erträglicher, wenn man sich mit Menschen umgibt, denen man vertrauen kann. Euch kann ich vertrauen, das tut mir gut.” Für Lissa war klar, wie bedeutend und schwer diese Worte ihres misstrauischen Schwertvaters wogen.

Luzi lächelte: “Danke, das ist gut, denke ich. Sich zu vertrauen, wenn man verbündet ist?” Sie strich ihrer Schwester über das Haar.

“Ich fürchte, wir werden durch die Feierlichkeiten bald wieder voneinander getrennt. Ich möchte mein Versprechen von vorhin halten: Ich würde gerne Euren Vater darum bitten, Euch auf Reisen mitnehmen zu dürfen. Ist das noch immer in Eurem Sinne?”

Ihre Augen leuchteten. “Ja, das würde ich gerne.”

“Gut”, stellte er fest. “Dann werde ich Euren Vater fragen und kein nein akzeptieren.”

***

Vergnügt nach seinem rahjanischen Abenteuer kehrte Baron Roklan endlich zur Festwiese zurück. Innig hoffte er, dass seine Verwandten die Zeit nutzten, um neue Verbindungen für das Haus zu knüpfen. Dennoch war er überrascht, das zwei Paare auf seine Rückkehr warteten. Wie es schien hatte die Liebholde nicht nur seinen Weg geleitet. Lucasta war in Begleitung des älteren Edlen von Hottenbusch, während ihr Bruder Ingeras mit einer ihm unbekannten Frau aufwartete. Über beide Begleitungen war er sehr verwundert. Er ließ sich ein Wasser bringen und deutete sich alle zu setzen.

Sylvette knickste vor dem Baron und dem Junker bevor sie sich von Ingeras zu einem freien Platz geleiten ließ. “Rahja und Travia zum Gruße, Euer Hochgeboren. Ich bin Sylvette von Wasserthal und es ist mir eine Freude Euch kennenzulernen.” Sie sah Roklan mit leichter Nervosität in der Stimme an. Ingeras und sie hielten sich immer noch an den Händen, scheinbar nicht gewillt diese loszulassen.

Da die Wasserthalerin den Mut fand ihn als Ersten anzusprechen, schenkte er ihr die Aufmerksamkeit. “Die Freude ist ganz meinerseits. Es sind doch mehr Wasserthaler anwesend als ich dachte. Und ich muss gestehen der Name eures Haus ist mir in letzter Zeit öfter zu Ohren gekommen.” Sein Blick streifte Ingeras, der wiederum demütig den Blick senkte. “ Ich bin mir sicher ihr habt einen Grund mir eure Aufwartung zu machen. Da mein Vetter den Mund nicht aufbekommt, wärt doch so freundlich und klärt mich auf. “ Roklan musterte sie kurz. ´Einen so guten Geschmack hab ich ihn gar nicht zugetraut´ streifte es durch seine Gedanken.

“Ich hoffe es war nur Gutes, was ihr über meine Familie gehört habt.” erwiderte sie freundlich. “Ingeras hier hat um meine Hand angehalten und ich habe eingewilligt. Wir sind zu Euch gekommen, weil wir Euren Segen dafür erbitten.”

Ein Lächeln schlich sich in Roklans Gesicht und er nahm ein Schluck aus seinem Wasser. “So, hat er das. Um eure Frage zu beantworten, ja es war durchaus gut. Ich muss gestehen, dass euer Verwandter seine Gnaden Rondradin der Einzige ist, von dem ich gehört habe. Und ihr könnt euch glücklich schätzen, immerhin habt ihr mit ihm einen zukünftigen Baronsgemahl in der Familie. Nun sagt mir, welch einen Stand bekleidet ihr?”

‘Natürlich! Rondradin, wer sonst?’ dachte Sylvette bei sich. “Ich bin Hofdame bei Baronin Tsaja vom Berg zu Meilingen, Hochgeboren.”

“Die gute Tsaja. Nun, Sylvette, was genau macht ihr so für die Baronin? Und, ihr könnt euch vorstellen meinen Vetter eines Tages bei seiner Aufgabe als Erbvogt von Niedergalebra zu unterstützen?” Nun kniff er seine Augen ein wenig zusammen.

“Auch wenn ich nicht die Vögtin von Meilingen bin, so habe ich doch meiner Baronin über die Schulter schauen können, wenn es um das Regieren geht. Ich beherrsche das Lesen und Schreiben, verstehe mich auf mehrere Fremdsprachen, darunter auch das Rogolan, kann Rechnen und einen Haushalt führen. Am Hofe bin ich vor allem als Gesellschafterin der Baronin tätig, aber ich übernehme auch andere Aufgaben, wie zum Beispiel die Erziehung der Pagen.”

Anerkennend nickte er. “Ingeras. Du bist dir sicher mit deiner Entscheidung?” fragte er diesen mit strengen Gesichtszug. Ingeras wurde etwas blasser, aber nickte heftig. “Ja, mein Baron. Ich möchte die hohe Dame Sylvette von Wasserthal zur Frau.” Der Baron leckte sich über die Lippen und legte seine Hände auf die Tischplatte. Er öffnete beide. “Nun dann, bei Travia, Praios und Rahja, meinen Segen sollt ihr haben!”

Sylvette strahlte über das ganze Gesicht. “Habt vielen Dank, Hochgeboren!” Sie legte ihre Hand in die geöffnete Hand Roklans und wartete darauf, dass auch Ingeras seine Hand hineinlegen würde, damit der Baron seinen Segen auch symbolisch geben konnte. Und so legte Ingeras seine Hand in Roklans. Dieser wiederum schloss die Augen und sprach ein stilles Gebet. Als er beide wieder los ließ, schaute er etwas kühl zu dem anderen Pärchen. “So, und nun zu euch.”

Es war nicht der fehlende Mut, welcher Tar’anam dem anderen Paar den Vortritt hatte gewähren lassen, sondern seine übliche Zurückhaltung, gepaart mit taktischen Erwägungen. So konnte er gleich die Stimmung des Barons einschätzen, den er zwar von diversen Anlässen her vom Sehen kannte, aber mehr auch nicht.

Nun, Roklan kam ihm recht kühl vor, aber war wohl ansonsten ausgeglichen und recht guter Laune. Das war schon einmal ein gutes Zeichen. Als der Baron sich an sie wandte, antworte er schnörkellos, wie es seine Art war: “Ich, Tar’anam sin Corsacca, Edler von Hottenbusch, halte hiermit um die Hand Eurer Cousine Lucasta von Leihenhof an, mit deren Willen und Einverständnis.” Er warf Lucasta einen Seitenblick zu. Irgendwie konnte er es immer noch nicht glauben. Dann konzentrierte er sich wieder auf den Baron.

Währenddessen besah sich Sylvette das andere Paar. Dies war also die Schwester von Ingeras. Hatte sie ebenfalls dazu beigetragen, dass ihr Verlobter so hörig war oder lag es nur an der Mutter der beiden? Vielleicht sollte sie sich mit ihrer zukünftigen Schwägerin eingehend unterhalten. Dass hier der Edle von Hottenbusch um die Hand Lucastas auftrat überraschte die Wasserthalerin. Da wäre zuerst der Altersunterschied zu nennen und dann war da noch ihr kleines Gespräch am Traviatisch. Nun ja, wo die Liebe hinfällt, oder war es doch politisches Kalkül? Sylvette war gespannt, wie der Baron darauf reagieren würde. Dabei vergaß sie aber nicht Ingeras, ihren… Verlobten. Es wirkte so unwirklich. Hatte sie sich tatsächlich verlobt, noch dazu mit einem Jungen, den sie erst heute kennengelernt hatte? Trotzdem fühlte es sich richtig an. Ihr Herz schlug tatsächlich für ihn. Und auch wenn er im Moment noch ein unterwürfiger, unselbständiger junger Bursche war, sie würde aus ihm schon einen rechten Mann formen. Die Anlagen dazu hatte er. Das hatte Ingeras ihr heute im Ansatz gezeigt. Die Hofdame löste ihren Blick von der Vorstellung des Edlen und sah ihren Ingeras an. Mit ihrer Hand streichelte sie zärtlich seine Wange, während sie ihn liebevoll ansah.

Bevor Roklan seinen Blick auf Lucasta legen konnte, antwortet sie schnell und schnippisch: ”Ja, mein Wille und mein Einverständnis!” Als Antwort bekam sie nur eine gehobene Augenbraue des Barons. “Erzählt mir, Tar´anam. Seit ihr den fähig eure zukünftige Braut auch zu sehen? Wie eingespannt seid ihr den im Dienste eurer Baronin?”

Der Edle drückte leicht die Hand seiner Zukünftigen in Anerkennung ihrer Entschlossenheit, dann antwortete er dem Baron: “Bis jetzt war ich viel unterwegs in den Diensten der Baronin von Rickenhausen, doch wird sich das wohl ändern müssen, wenn ich in den Stand der Ehe trete.” Tar’anam sprach unaufgeregt mit ruhiger Stimme und ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Worte ernst meinte. “Ich werde später mit Thalissa di Triavus sprechen, ich bin sicher, sie wird meine Wünsche respektieren. Schließlich bin ich nicht ihr Angestellter, und so behandelt sie mich auch nicht.” Der Blick des alten Kriegers verließ die Augen des Barons in keinem Moment, als würde er ein Duell fechten.

Der Baron nickte nachdenklich. Er mochte den Edlen, doch würde noch ein Spross aus seinen Lenden springen können. War es vermessen zu fragen? Roklan entschied sich dagegen. “Nun, wenn es euer beider Wunsch ist. Sollte ich dem jun … dem Glück nicht im Wege stehen. Und das ihr mir ja das junge Pflänzchen zu pflegen wisst!” Mit einem reservierten Lächeln hielt er nun auch beide die geöffneten Hände hin.

“Das werde ich.” Ohne weitere Worte nahm der Krieger eine Hand Roklans und wartete darauf, dass Lucasta sich anschloss. Dass die Freude des Barons von Galebquell nicht gerade überschäumte, nahm er zur Kenntnis.

Auch Lucasta reichte ihre Hand, ohne Roklan weiterhin trotzig anzuschauen. Der Baron drückte beide und wiederholte dasselbe Gebet. Dann öffnete er die Augen und Hände wieder. “Nun, dann ist es beschlossen. Ich denke es wäre angebracht auch mit eurer Baronin zu sprechen. Was denkt ihr?”

“Das wäre mein nächster Gang gewesen”, antwortete Tar’anam knapp und reichte Lucasta wieder seinen Arm, um sich dann wieder Roklan zuzuwenden. “Wollt Ihr uns begleiten?”

“Gerne.” Der Baron erhob sich und folgte dem Edlen zu seiner Baronin.

***

Ritter Vitold hatte es nicht eilig zum Bankett zu gehen. Eigentlich war ihm gerade nicht nach Gesellschaft. Langsam und ziellos schlenderte er daher durch den Park und traf ganz unerwartet auf seinen Baron, der eben mit seinem `Zeitvertreib`fertig geworden war. Vitold bemerkte zwar die junge Frau, doch ignorierte er sie, ganz so, wie er es gewohnt war. “Euer Hochgeboren”, grüßte er und wollte schon weitergehen, da überlegte er es sich anders. “Hättet Ihr die Güte ein paar Worte mit mir zu wechseln?”


“Sicher.”

“Wie Ihr wisst, war ich Euch bislang ein treuer Vasall, stets zu Diensten und habe immer meine Pflicht erfüllt. Doch scheint mir Eure letzte Quest zu schwer für mich. Unter den anwesenden Kandidatinnen gibt es nur eine, die mir passend erscheint, doch würde weder sie, noch ihr Vater einer Verbindung zustimmen. Deshalb dachte ich..nun ja...vielleicht wärd Ihr damit einverstanden, wenn ich Folcrad als meinen Erben einsetzten würde. Er ist der Enkel meines Onkels und wird eines Tages ein kleines Häuschen und ein paar Felder, die kaum eine Familie ernähren können, erben. Also praktisch nichts. Als mein Nachfolger hätte er eine Zukunft und wäre vielleicht noch formbar, wenn Ihr ihn nach seiner Ausbildung als Hausritter aufnehmen würdet. Baron Roklan von Leihenhof fragte an, ob ich ihn mit Lucasta von Leihenhof vermählen lassen würde. Es sei denn Ihr habt eine passendere Kandidatin für ihn. Was denkt Ihr darüber?”

Rahjodan blickte den Baldurstolzer an. “Rahja ist für den Spaß. Doch Travia steht für dynastische Treue. Ihr solltet euch überlegen, ob ihr dieser Göttin nicht auch den ihr zustehenden Dienst erweisen wollt. Ihr solltet kein Problem haben eine hübsche, junge Frau zu finden und ihr ein paar Bälger zu machen. Eure Ausrüstung soll ja ausreichend standhaft sein, wie man hört.” er machte eine Pause: “Aber ich bin dennoch nicht ungehalten, über euren Vorschlag nachzudenken. Obwohl das kürzliche Aufdecken eurer Verwandtschaft mit Merkans Frau die Karten neu verteilt hat. Ein politisches Übergewicht eurer Familie in meiner Baronie ist dem … allgemeinen Frieden” und damit meinte der Baron natürlich seinen eigenen Frieden: “abträglich. Denkt womöglich über Alternativen nach. So schwer kann es nicht sein, sich für den ein oder anderen Ritt zusammen zu reissen. Im Namen Travias.”

“Es geht mir nicht darum, über eine Frau zu rutschen und mein `Schwert` in ihren Leib zu rammen, bis sie mir ein, zwei Blagen präsentieren kann. Für mich ist der Traviabund ein Eid, den ich nur einer Person gegenüber leisten möchte, die ich dafür für würdig halte. Aber was mich gerade, recht unerwartet trifft, ist Eure Sorge ich könnte Euch untreu, wortbrüchig werden. Zweifelt Ihr an meiner Treue?” Vitold hatte zwar weiterhin einen ungerührten Gesichtsausdruck, doch Rahjodan kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sein Ritter zutiefst getroffen war.

“An Eurer Treue? Eurer? Nein.” antwortete der Baron: “Aber wenn euch und euren Blutsverwandten de facto drei Lehen meiner Baronie unterstehen, und ihr mir euren Neffen anempfiehlt, muss ich wachsam sein. Denn ihn kenne ich nicht so gut wie euch.” Innerlich stöhnte der Eisensteiner auf. Travia diente ihrem Bruder Praios durch die Aufrechterhaltung dynastischer Systeme. So stützte sie die göttliche Ordnung. Alles andere war das Gewäsch einer überambitionierten, konservativen Priesterschaft: “Wen würdet ihr denn als würdig erachten?”

“Niemanden, der fähig wäre mir Kinder zu schenken”, gab er unumwunden zu, doch einen Namen nannte er nicht. “Die einzige Kandidatin dieser Brautschau, die integer genug wäre, sich aber niemals dieser Farce hingeben würde, wäre Eure Tochter Luzia. Allerdings könnte nicht nur der Standes- sondern auch der Altersunterschied zu groß sein. Meint Ihr nicht? Und was das politische angeht. Mein Onkel wird wohl bald den Weg übers Nirgendmeer antreten. Danach werde ich das Haus Baldurstolz sein. Wenn sich meine wiederentdeckte Tante gegen mich stellen will, wird sie keine Unterstützung innerhalb des Hauses erhalten.”

“Meine Tochter?” Er lachte auf: “Ihr greift nach oben, das ist eine mutige Eigenschaft, das muss ich euch lassen. Und bei den ganzen merkwürdigen Gestalten hier, ist es mehr als angemessen. Und es freut mich zu hören, wem eure Loyalität gilt.” Ein weiteres Spiel zu seiner Erbauung. Er kannte seinen Dienstritter und er konnte ihn womöglich geschickt so lenken, dass sich die Familie Baldurstolz entzweien würde. Kaum Wiedervereint. Eine erfreuliche Aussicht. “Was würdet ihr denn für eine Ehe wünschen? Schlagt ihr mir gar ernstlich vor, euch meine Tochter zu überlassen? Auf Enkelkinder zu verzichten, weil ihr nie bereit sein werdet ihr euer Schwert zuzuführen? Oder schlagt ihr mir vor, dass ich euch gestatte Junggeselle zu bleiben. Für jetzt und immerdar?” Er dachte kurz nach. Wäre Luzia ihrer ältesten Schwester ähnlicher, wäre dies tatsächlich eine Option. Denn Enkel würde er haben, nur nicht vom Baldurstolzer, aber Luzi war nicht wie ihre älteste Schwester, der er das Schwerenötererbe seines Blutes vermacht hatte. Luzi war wie ihre Mutter. Froh wenn man sie alleine und in Ruhe ließ. Sie würde vermutlich auch ohne rahjanische Freuden durchs Leben kommen.

“Ihr fragt nach meinem Wunsch?” Der Ritter dachte kurz nach, dann seufzte er: ”Gut, dann will ich mich meinem Lehnsherrn anvertrauen. Ihr kennt gewiss die Gerüchte, meine Neigungen betreffend. Ich weiß, dass man über mich redet, dass einiges davon wahr ist, anderes nicht. Fakt ist, dass ich mich zu Frauen nicht hingezogen fühle und ich daher den Bund mit einem Mann eingehen möchte. Aus einer solchen Verbindung können nunmal keine Kinder hervorgehen. Waisenkinder zu adoptieren, könnte ich mir zwar vorstellen, jedoch nicht sie zu Erben zu ernennen. Folcrad ist ein guter Junge. Ein wenig vorlaut, aber er gehorcht und weiß, wo sein Platz ist. Deshalb würde ich ihn auch zum Erben ernennen wollen. Ich kann Euch Eure Bedenken nicht nehmen, aber wenn Ihr eine engere Leine für das Haus Baldurstolz wollt, dann wäre eine Vermählung doch eine gute Option. Vom Alter her, wäre Folcrad die bessere Wahl und beide hätten noch etwas Zeit erwachsen zu werden. Aber ich denke, dass mein Knappe für Euch nicht in Frage kommt, oder? Also bleibe nur noch ich. Und wer noch? Eure Töchter und die Eurer Verbündeten, aber vertraut Ihr ihnen denn auch genug? Wenn meine Familie eine Bedrohung darstellt, wie sieht es denn mit den Familien Eurer Verbündeten aus? Da es zu meinen Pflichten gehört Euch zu raten, kann ich nur sagen, dass ich nur zwei Möglichkeiten sehe. Die Erste wäre mich und mein Haus hier und jetzt auszulöschen und die Zweite wäre eine Verbindung mit Eurem Haus. DIe Verbindung mit einem Haus Eurer Verbündeten mag Euch vielleicht kurzfristig Frieden schenken, doch könnt Ihr Euch nie gewiss sein. Und ja, wenn ich mich für eine Frau entscheiden müsste, so würde ich Eure Tochter Luzia wählen. Ich würde ihr keine Schande bereiten, doch würde ich den Versuch Euch Enkel zu schenken, nicht vor ihrem zwanzigstem Tsatag beginnen wollen, es sei denn, es ist Ihr Wunsch.” Stolz und stur stand der Krieger vor seinem Herrn und erwartete dessen Antwort.

Es passierte selten, dass der Baron von Eisenstein sprachlos war. Aber an dieser Stelle war es soweit. Und so dauerte es einen Moment, bis er weiter sprach: “Ich kenne diese Gerüchte. Und sie sind mir egal. Rahja ist es egal, also erdreiste ich mich nicht dazu, sie zu verurteilen. Aber einen Traviabund eingehen? Mit einem MANN? Rahja scheint in überbordender Radikalität in euch gestossen zu sein, wenn ihr ernstlich darüber nachdenkt.” Mit einem für seine Verhältnisse sanften Unterton der Bösartigkeit gab er diese Stichelei von sich: “Lässt sich überhaupt im Herzogtum ein einziger Traviapriester finden, der so eine Schnapsidee unterstützt?” Rajodan schüttelte den Kopf: “Ich sagte es bereits bei eurer Belehnung: Ich war und bin ausreichend zufrieden mit euch, daher habe ich euch belehnt.

ABER ich bin weder bereit, eine gewollte Kinderlosigkeit anzuerkennen, noch eine Weigerung eure dynastische Treue eurer Familie gegenüber einzuhalten. Von einer Belehnung irgendwelcher adoptierten Bauerngören will ich gar nicht sprechen.

Es ist eure Entscheidung. Wenn ihr eurer Familie und Travia gegenüber eure Pflicht nicht einhalten wollt, wenngleich ihr könntet, so müsste ich mir die Frage stellen, ob ihr nicht ein grundlegendes Verständnisproblem gegenüber Pflicht im Allgemeinen habt.” Er machte eine Pause und sprach dann eindringlich weiter:

“Ich werde euch auf keinen Fall das Lehen wegnehmen. Wenn dies eure Entscheidung sein sollte, es abzulehnen, dann werde ich es neu belehnen müssen. Wieder. Und ihr wisst, was das für die Menschen dort bedeuten würde.” Er machte wieder eine Pause. Die Menschen waren Rahjodan selbst herzlich egal, aber Vitold nicht, wie er wusste: “Erneut einen Wechsel des Lehnsherren. Erneut Verunsicherung und wenn noch ein harter Winter folgt, weiss man auch nicht, ob die Bevölkerung keinen Schaden nimmt.” Er zuckte mit den Achseln: “Ich hatte euch für einen anständigen und pflichtbewussten Mann gehalten. Der nicht für eine rahjanische Laune seine praiosgegebene Pflicht einfach in den Wind schießt.” Er seufzte leise: “Und zu meinen Töchtern: Es wäre Verschwendung sie mit einem meiner eigenen Lehensmänner zu verheiraten. Denn ich würde selbstverständlich eine Heirat in den Hochadel vorziehen. Andererseits habe ich nach Luzia noch zwei weitere Töchter zu verheiraten und bin nicht zwingend gewillt denselben Leidensweg noch zweimal zu gehen, den ich bei meinen ältesten drei Töchtern gehen musste und noch gehe.” Dann sah er Vitold aus seinen schwarzen Augen eindringlich an: “Es gibt noch andere Möglichkeiten und ich rate euch eindringlich alle zu bedenken, bevor ihr eine übereilte Entscheidung trefft. Es soll beispielsweise Frauen geben, die ein ähnliches Problem haben und eine ähnliche Pein empfinden, obwohl ich meinerseits ja glaube, die meisten müssten nur einmal ordentlich geritten und gepfählt werden, damit sie von diesem Weg abweichen. Sucht doch eine solche. Und solltet ihr in den nächsten Jahren keine finden, die ihr zu nehmen wagt, und sollte euer Neffe gewillt sein, mir seine Dienste anzutragen, wenn er den Ritterschlag erhalten hat, und sollte mich die Lust verlassen für meine beiden Jüngsten erneut auf die Suche nach einem geeigneten Mann zu gehen, dann können wir dieses Gespräch erneut führen. Solange denkt über meine Worte nach.

Es würde mich maßlos enttäuschen, wenn ihr euch heute entscheidet den leichten und traviaungefälligen Weg zu wählen. Macht mir und eurer Familie nicht eine solche Schande. Und denkt an die Menschen in eurem Lehen. Ihr spracht mir gegenüber oft davon, dass sie einen Lehnsherren verdienen, der sich um ihr Wohl sorgt. Waren all diese Worte nur leere Hüllen? Geheuchelt`? Nein, Vitold, das glaube ich nicht. Der leichteste Weg wird einem später immer zum Verhängnis, ich habe das oft erlebt.”

“Nein, Hochgeboren. Der leichte Weg wäre gewesen auf mein Pferd zu steigen und woanders mein Glück zu suchen. Eure Worte, und die Ereignisse dieses Tages, haben mir die Augen geöffnet. Ich werde nun nach einer Frau Ausschau halten, aber hier und heute, bin ich noch keiner begegnet, die mir passend erschien. Auch keine, die `meine Pein` mit mir teilt. Ich werde meine Pflicht erfüllen, Euch und auch meiner Familie gegenüber, so wie ich es immer tue. Gibt es eine Verbindung, die Euch nicht genehm wäre? Ich möchte nicht unnötig Zeit verschwenden, wenn ich bei Häusern suche, die Euch gefährlich erscheinen mögen. Es liegt mir fern Euch zu Schaden.”

Der Baron lächelte kalt: “Ich bin mit dem ein oder anderen Baronshaus in Fehde, allerdings denke ich nicht, dass ihr in eines dieser Häuser einheiraten werdet. Dann sind da freilich auch einige Ritterfamilien, mit denen ich nicht gut stehe. Ich werde euch gerne eine Liste erstellen lassen. Und nun habt weiter Freude an dieser Feierlichkeit. Wenn auch das Angebot an Heiratspotential nicht unbedingt euren und meinen Ansprüchen genügt, so bieteen sie doch einige andere .. Vergnüglichkeiten.” Damit nickte er Vitold zu und betrachtete das Gespräch als beendet.

Vitold nahm Haltung an, entbot den Rondragruß in Kombination mit einem Neigen des Kopfes, machte auf der Stelle kehrt und entfernte sich.

***

Höflich hörte die Baronin von Schweinsfold den Gesprächen am Tisch zu, ohne dabei viel beizutragen. Es gab nicht viele Themen die sie interessant fand und so schweifte sie oft in ihre eigenen Gedanken ab. Als nach einer langen Zeit ihr Kater Asiriel um ihre Beine schlawenzelte, wußte sie, daß er viel zu erzählen hatte. Somit stand sie auf, nickte wortlos den Gästen und zog sich zum verlassenen Pavillon des Hochadels zurück. Selinde rückte den Stuhl ein wenig in den Schatten und ließ den wuscheligen Kater auf ihren Schoß platz nehmen. Dieser fing an wonnig zu schnurren und genoß sichtlich die Streicheleinheiten seiner Besitzerin. Für den Betrachter von außen sah es aus, als ob die Baronin friedlich mit der Katze im Schoß einschlief. Doch die Wahrheit war eine andere. Beide suchten sich, tasteten aneinander an, bis ihre Seelen sich fanden.

Suchende Blicke. Die Gäste die sich gegenseitig beäugten. Neid und Bewunderung. Der Bannstrahler und die Ritterin wie knisterndes Feuer. Ein schmerzerfüllter Rondradin. Liebesbekundung im Kies. Tränen der Freude und dann … ein betrogener Tannenfelser.

Der Schuppen des Gärtners. Der Baron, der Ritter mit dem Schreiber. Ein heißes Liebesspiel unter Männern. Und doch … eine unbeantwortete Liebe. Die Rosenhecke. Der brünstige Eisensteiner und die Gärtnerin im wilden Lustgeschrei. Selinde öffnete wieder ihre Augen. Eine Idee begann zu fruchten.

Nachdem Selinde noch einige Augenblicke ihren Kater streichelte, war es die grimme Vögtin Alrike die den Pavillon bestieg und sich zu der Baronin setzte. “Selinde, kann ich dich einen Moment sprechen?” Das ihre Tante jedwede Höflichkeitsform wegließ verhieß nichts Gutes.

Selinde blickte aus ihrem Zwiegespräch auf. Ihre Finger liebkosten weiterhin Asiriels Ohren und spielten mit dem weichen, dichten Fell, dass die festen Muskeln und Sehnen des Katers bedeckte. Flauschig und weich nur auf der Außenseite.

Sie hob die Augen und arbeitete sich aus den Gedankenbildern, die sie mit ihrem befellten Krieger geteilt hatte.

“Natürlich. Was ist denn geschehen?”

Denn daß etwas geschehen war, etwas, das ganz und gar nicht der Planung entsprach, das konnte sie in den Augen ihrer Tante allzugut lesen. Und es geschah selten, dass etwas die selbstbeherrschte, kluge Frau beunruhigte. Eine Erkenntnis, die dazu führte, dass sich auch auf Selindes Armen die Härchen aufrichteten.

Kurz stockte sie, sprach dann aber mit ruhiger Stimme. “Eine Nachricht aus der Baronie Rabenstein erreichte mich gerade. Seine Gnaden Rondradin von Wasserthal hat sie mir überbracht. Ein Knappe aus seinem Haus hat meine Boromada geschwängert …. unter den Augen ihres Schwertvaters Baron Lucrann von Rabenstein.” Die letzten Worte waren mit Zorn erfüllt ihre Hand ballte sich zur Faust. Zum erstenmal sah Selinde etwas wie Hilflosigkeit in den Augen ihrer Tante.

“Au weia.” Selinde legte ihre Hand auf den Arm ihrer Tante. “Und dabei hattest Du mir noch erzählt, dass sie bei dem Rabensteiner so sicher sei wie in Borons Armen.” Sie seufzte. “Und nun? Soll ich ihn einbestellen, damit er sich rechtfertigt?” Etwas wie Neugier blitzte in Selindes Augen auf. Sie hatte schon viele Dinge - die wenigsten davon angenehme - über den Rabensteiner Freiherrn gehört, doch persönlich war sie ihm noch niemals begegnet - etwas, das ihr ihre Tante voraus hatte. “Und willst Du Boromada zurückholen? Ich kann ihr hier keine Schwertleite anbieten - aber bei mir am Hof wäre sie sicher vor zudringlichen Kerlen - wenn sie diese nicht will. Und wir werden einen guten Mann für sie suchen müssen - einen, der ihr keinen Ärger macht und einigermaßen zur Familie passt. Vielleicht taugt ja auch der Wasserthaler - was meinst Du?”

“Es ist schwer zu entscheiden was zu tun ist. Meine Pläne für Boromada waren eigentlich gesetzt. Es ist wichtig die besten Entscheidungen zu knüpfen, für dich, mein und unser Haus. Ich muß dich nicht daran Erinnern das wir viel vorhaben.” Alrike straffte sich wieder und versuchte ihre Wut herunterzuschlucken. “Ich muß mich bei dir entschuldigen, Selinde. So etwas hätte nicht passieren dürfen. Nicht am Anfang deines Amtsantritts.” Sie blickte sie jetzt weniger aufgebracht an. “Ich bin vom Baron sehr enttäuscht. Obwohl wir unsere Verbindung nach Rabenstein nicht aufgeben sollten. Zeichen müssen gesetzt werden, aber auch die Bande nicht zerreißen. Hast du einen Vorschlag. Baronin?”

“Wir sollten den Baron einladen und Aufklärung verlangen.” grübelte Selinde. “Wer weiß, wie es sich im direkten Gespräch darstellt. Und er soll Boromada mitbringen - dann können wir überlegen, ob wir sie dabehalten. Hattest Du jemand Bestimmtes für Boromada im Auge?” Neugierig betrachtete sie ihre Tante und streckte die Hand nach Asiriel aus, der wie aus dem nichts aufgetaucht war und auf ihren Arm sprang. Er stellte die befellten Ohren auf und begrann zu schnurren, als die Baronin ihn im Nacken kraulte.

Ein schelmisches Lächeln erwachte in ihren Augen und ließ Grübchen in ihren Wangen erscheinen.

“Und was, wenn wir dem Baron als Wiedergutmachung aufgeben, den von Dir gewünschten Gemahl für Boromada zu beschaffen? Immerhin hat er eine Buße abzuleisten, dafür, dass er nicht auf sie aufgepasst hat.”

Noch immer blickte sie grübelnd. ”Dein Vorschlag ist nicht der schlechteste. Ich hätte mir gewünscht dass ich mehr Zeit gehabt hätte. Doch ein Gemahl muß her. Und das Kind. Ein Bastard kann es nicht werden, aber einen Wasserthaler möchte ich nicht. Vielleicht ist es ein Zeichen und der Baron sollte es aufziehen und in die Weihe des schweigenden Gottes führen. Ich bin momentan ratlos was geschehen soll. Ich liebe meine Tochter und es wird ihr das Herz zerreißen, aber sie hätte sich das vorher überlegen sollen. Sie als erster Sproß unseres neuen Hauses hat diesen Luxus nicht.” Alrike rieb sich das Kinn. “Was haltet ihr von dem Sproß der Firnholzer Baronin? Dieser Adamar? Wobei, ich kann niemanden eine Schwangere zur Hochzeit anbieten.”

“Und warum eigentlich nicht? Meinst Du, sie ist weniger wert, weil sie guter Hoffnung ist?”

Selinde lehnte sich zurück und betrachtete ihre Tante aus Augen, die wie diejenigen ihres Katers funkelten.

“Wir benötigen einen standesgemäßen und diskreten Ehepartner für sie, dann wird das kein Problem sein.” Es wäre nicht das erste und beileibe auch nicht das einzige Mal, dass etwas in den Nordmarken auf diese Weise geregelt wurde - und Adel und Bürger standen sich da wenig nach. Mochte der Blick des Götterfürsten auch die Fassade genau prüfen - was dahinter geschah, war allzuoft dem Listigen und der Schönen wohlgefällig.

“Und das Gute daran ist, dass nicht einmal wir selbst es sein müssten, die den Gatten von seinem Glück überzeugen.

Der Firnholzer wäre keine schlechte Wahl - und ein Baronssohn zudem.

Was hältst Du von ihm? Oder den Baldurstolz, den Edlen, nicht den Knappen. Er ist ebenfalls noch ledig.”

“Ademar scheint ein besonnen junger Mann zu sein. Der Baldurstolzer?” Alrike reckte den Hals ob sie ihn sehen konnte. Nun es gab da einige Gerüchte über ihn, die der Geschlechterwahl betraf. “Du hast recht Selinde. Ich glaube ich werde mir den Ritter mal etwas näher betrachten.” Alrike wollte sich gerade erheben, als der Geweihte der Rondra auf sie zu warten schien.

***

Direkt vor dem Pavillion der Niederadligen stand eine Gruppe und schienen auf jemanden zu warten. Der Lehrer der Leidenschaft unterhielt sich mit der Jagdkönigin von Nilsitz und streichelte ihr dabei den Arm. Der große Hüne daneben nippte an einem Kelch und schien der Unterhaltung zu lauschen. Gelda schien nervös zu sein und schaute sich ständig um. Endlich wanderte der Gesuchte in ihr Blickfeld. Ihr Gesicht strahlte und winkte ihn zu sich.

Auf dem Gesicht des Rondrianers breitete sich ein erfreutes Lächeln aus als er seine Schritte in ihre Richtung lenkte. Den Hünen konnte er zwar nicht zuordnen, nickte ihm aber trotzdem grüßend zu. Wie auch Bruder Rahjel, auch wenn es Rondradin verwirrte seine Schwester nicht bei der Gruppe zu sehen. “Ich habe mit Mutter Elva gesprochen.” eröffnete er das Gespräch. Die Worte hätten unheilvoll wirken können, wäre da nicht der gelöste Ausdruck auf Rondradins Gesicht gewesen. Zu gern hätte er Gelda in den Arm genommen und innig geküsst, doch mussten sie in der Öffentlichkeit vorerst noch Abstand halten. Der Blick den er Gelda zuwarf, sprach von seinem Wunsch und der Liebe, die er für sie empfand. An Gelda gewandt fuhr er fort: “Wir müssen aber nochmal etwas besprechen.” Dann sah er sich nochmal um. “Wo ist eigentlich Andesine? Und wer seid Ihr?” Die letzte Frage ging an den Hünen.

Bevor jemand antworten konnte, übernahm Rahjel das Wort. “Das hier ist der Ritter Doras von Paggenfeld. Neuer Haus-Ritter der Baronin von Schweinsfold. Und außerdem ist seinem Haus der Liebholden sehr nahe. Ich hatte ihn gebeten, nach eurer Schwester zu sehen.” Zuversichtlich lächelte er Rondardin an. Der blonde Hüne verneigte sich kurz. “Eure Schwester ist in keiner guten Stimmung. Ihr ist das Fest egal, der hohe Besuch. Ich kenne so etwas von den Leuten die Mendena überlebt haben. Selbst die Götter scheinen ihr keine Lust mehr zu bringen.” Dorcas deutet mit einem abschätzigen Blick auf den Bannstrahler Linnart. “Der scheint ihr Herz gebrochen zu haben. Was immer der Herr Bannstrahler an sich hat, Frauen scheinen ihn schon nach kurzer Zeit zu verfallen. Ganz ehrlich, sehen tue ich das nicht.” Dann straffte er sich wieder. ”Kurz gesagt, sie will nicht mehr aufs Fest.” “Oh, das ist aber schade.” sagte Gelda mit enttäuschten Blick.

Rondradin sah betroffen drein. “Es ist mir schon zu Ohren gekommen, dass der Bannstrahler ihr das Herz gebrochen hat und wenn sie von seiner Verlobung erfährt wird es das nicht besser machen. Ich hatte gehofft, die einfühlsame Art eines Geweihten der Holden hätte sie bewegen können, doch zu kommen.” Rondradin griff nach Geldas Hand und drückte sie. “Ich gehe später zu ihr.”

Die unterschwellige Spitze gegen Rahjel hatte dieser durchaus vernommen. “Verzeiht Rondradin. Ich wäre selbst gegangen, aber es schien, dass die Götter mich mit Arbeit hier im Garten halten wollten. Und Dorcas ist eigentlich ein zugänglicher Geselle. Aber ihr habt recht, eure Schwester braucht mehr als gute Worte” `Und glich ganz ihrem Bruder´, fügte er in Gedanken hinzu. “Ich denke, ich könnte es versuchen. Würdet ihr ein Auge auf die Festgesellschaft für mich haben?” fragte der Geweihte.

Gelda fühlte sich wieder geborgen. Erwartungsvoll schaute sie Rondradin an und wartete wohin er sie wohl führen mag.

“Ich habe den Junker von Mersingen vor ihrer Tür getroffen. Vielleicht versucht er es ja?” Fragend schaute Dorcas den Rondrageweihten an.

“Stimmt, er wollte mit ihr sprechen.” Tatsächlich versprach sich Rondradin recht viel davon, dass der Mersinger mit seiner Schwester sprach. Wenn das nicht fruchtete, würde allerdings nichts daran vorbeiführen, dass er selbst zu ihr ging. “Bruder Rahjel, ich werde selbst gehen.” Sein Blick ging zu Gelda und sein Lächeln wurde breiter. “Keine Sorge, ich werde mich beeilen. Schließlich will ich diese Feier auf gar keinen Fall verpassen.” Er sah zu Dorcas und Rahjel hinüber. “Wenn ihr erlaubt, würde ich gerne mit Gelda ein paar private Worte wechseln. Wie gesagt, es gibt da noch etwas zu besprechen.” Dorcas nickte zufrieden. “Euer Gnaden.” ,wobei er beide Geweihte damit meinte und zog sich zurück. “Selbstverständlich. Ihr wisst wo ihr mich finden könnt.” Auch Rahjel zog sich nun zurück.

“Ich danke euch. Wir sehen uns später.” verabschiedete sich Rondradin von den beiden. Dorcas hielt er aber noch kurz zurück. “Nehmt Euch das mit meiner Schwester nicht zu Herzen. Sie kann recht stur sein. Ehrlich gesagt, liegt das in der Familie. Und verzeiht ihr bitte, falls sie ausfallend geworden sein sollte. Die Sache mit dem Bannstrahler muss sie hart getroffen haben.”

Mit einem tiefen Lachen winkte er ab. “Macht euch keine Sorgen. Ich nehme das nicht persönlich. Aber falls eure Schwester noch ein Gemahl möchte, meinem Vetter Belfionn wurde heute auch das Herz gebrochen.” Er deutet auf den Ingerimmgeweihten, der mit finsteren Gesichtsausdruck in die Flammen seiner Laterne schaute.

Der Rondrianer sah zu seinem Glaubensbruder hinüber. Er bezweifelte, dass Andesine heute noch der Sinn nach einer möglichen Vermählung stand. Als Saufkumpane mochte der Geweihte des Ingerimm allerdings willkommen sein. “Ich werde es ihr ausrichten.” versprach Rondradin.

Dann galt seine ganze Aufmerksamkeit nur noch Gelda. “Lass uns einen ruhigen Ort suchen, wo wir alles besprechen können.”

Gelda ließ mit ihm ein Stück in den Park hinein. “Sprich zu mir, mein Liebster. Ich bin besorgt oder?” fragend schaute sie ihn an.

Der Geweihte schüttelte den Kopf. “Du musst nicht besorgt sein. Ich wollte nur einiges mit dir besprechen. Gerade was unseren Traviabund angeht, würde ich gerne ein paar Dinge klären. Aber wir werden heute Abend auf jeden Fall den Rahjabund eingehen und ich werde meine Schwester schon überredet bekommen, dass sie ebenfalls beiwohnt.” Sanft zog er Gelda an sich heran und nahm sie in den Arm. “Mutter Elva hat sich bereiterklärt uns in den Traviabund zu geleiten. Allerdings würde ich gerne vorher mit Vater Winrich sprechen und ihn um sein Wohlwollen bitten.” Ihren Blick suchend, senkte Rondradin den Blick. “Er hält so große Stücke auf mich und ich… Ich fühle, dass ich es ihm schuldig bin. Außerdem fände ich es schön, wenn unsere beiden Familien an der Traviabundfeier teilnehmen würden. Deine Familie ist schon da und meine braucht vielleicht eine Woche bis sie hier wäre. Aber es ist nicht nur meine Hochzeit, es ist unsere. Deswegen will ich deine Meinung dazu hören.”

Der jungen Frau wurde heiß und kalt. “Ich verstehe… nun du wirst viel für uns opfern, da werde ich auch bereit sein, Vater Winrich zu begegnen. Aber du hast recht, der Weg würde mir auch gefallen. Wirst du unsere Zeremonie offiziell verkünden? Ich meine für den Rahjabund.”

“Gelda, du musst nicht mit zu Vater Winrich. Ich stelle mich ihm bereitwillig alleine, auch wenn ich mich natürlich freuen würde, wenn du an meiner Seite wärst.” Er genoß die unmittelbare Nähe zu Gelda und strich ihr beruhigend über den Rücken. “Möchtest du es denn, das ich es verkünde? Dann wäre es aber keine kleine private Zeremonie am Rahjaschrein mehr. Ich dachte, diese Zeremonie ist nur für uns und ein paar ausgewählte Personen.”

“Nein. Es ist zwischen dir und mir. Und vor Travia vor allen. Doratrava hätte ich gerne dabei heute Abend. Und du?” Dann lächelte sie ihn wieder sanft an. “Und hast du schon von dem Wunder gehört? Nivard hat meiner Base einen Antrag gemacht. Ich hätte nie gedacht …” Gelda wartete ab, was Rondradin dazu sagte.

“Doratrava darf nicht fehlen, da gebe ich dir recht.” Der Geweihte lachte auf. “Was hältst du davon, wenn sie zudem auf unserer Traviabundfeier auftreten würde?” Dann nahm sein Gesicht einen ernsteren Ausdruck an. “Ich habe Nivard in Begleitung deiner Base gesehen. Sie schienen beide glücklich zu sein. Ich danke Travia und Rahja dafür, dass sie sich gefunden haben.” Rondradin schluckte hart, bevor er weitersprach. “Nivards Reaktion am Tor hatte mich hart getroffen. Vor allem da ich sie nur zu gut nachvollziehen konnte.” Der Wasserthaler sah schuldbewusst aus, als er das sagte.

Auch sie schaute schuldbewußt. “Ich weiß. Ich hoffe wir werden eines Tages Vergebung in seinem Herzen finden.” Sie berührte ihr eigenes Herz. “Ich mache mich auf den Weg zu Doratrava, ich habe sie schon lange nicht gesehen. Und … viel Glück.”

“Halt, es gibt da noch etwas, das wir besprechen sollten. Habe ich dir davon erzählt wie wir im letzten Jahr in den Katakomben von Albenhus eine Gruppe Vampire aufgescheucht haben?”

Überrascht von dem ungewöhnlichen Thema blieb sie stehen. “Echte Vampire?” kam es erstaunt aus ihrem kirschroten Mund.

Rondradin nickte. “Ja, drei von ihnen. Sie waren uns weit überlegen und ich war bereit vor meine Göttin zu treten. Ich intonierte Thaliommels Schlachtgesang, der mich kämpfen lassen sollte, wie einst die Heilige Thaliommel gegen die Novadis. Doch die Unbesiegte erlaubte mir nicht in ihr Reich einzugehen. Sie meinte es gäbe noch eine Aufgabe, die ich erledigen sollte. Die Vampire hatten eine Mutter und ihr Kind entführt. Leider kamen wir zu spät, um die Mutter zu retten, doch schafften wir das Kind heil hinaus. Meine Aufgabe wird es sein das Kind zu einer Rondra-Geweihten auszubilden. Derzeit lebt Alrike im Rondra-Tempel in Albenhus, allerdings halte ich die Stadt für keinen sicheren Ort. Gelda, ich frage dich: Wäre es für dich in Ordnung wenn wir Alrike nach Wolfstrutz holen würden, damit sie in Sicherheit aufwachsen kann? Eine Zofe würde sich gewiss finden lassen. Ansonsten würde ich meine Tante fragen, ob sie die Kleine im Rondra-Tempel zu Schluchtingen aufziehen könnte.”

Gelda wurde kurz ernst. “Den Göttern sei dank, dass Alrike überlebt hat. Natürlich nehmen wir deinen Schützling auf. Niemand sollte ohne eine Familie aufwachsen. Und wie du weißt, steht Travia meiner Familie nahe.” Sie umschlang nun Rondradin und lauschte seinem schlagenden Herz.

Der Geweihte erwiderte die Umarmung voller Inbrunst und küsste ihre Stirn. “Ich danke dir, mein Augenstern.” Er wartete noch eine Zeit lang bevor er die Umarmung wieder löste. “Dann gehst du jetzt Doratrava suchen und ich sehe nach meiner Schwester, nachdem ich nochmal mit der Vögtin gesprochen habe.” Er wollte seine Geliebte schon gehen lassen, doch dann hielt er sie nochmal an. “Gelda, geh bitte nicht allein in die Nähe des Sees. Versprich mir das bitte.” Gelda nickte und ging die Gauklerin suchen.

Währenddessen machte sich Rondradin auf zu dem Tisch an dem er gerade noch die Baronin und die Vögtin gesehen hatte.

***

Der Wein forderte seinen Tribut und es zog die Hofdame Sina Artigas zur Latrine für die Niederadligen. Erleichtert und frohgemutes zog es sie danach wieder zur Festwiese, auf der Suche ihrer neuesten Eroberung: den Junker von Altenwein. Doch noch bevor sie das Küchenzelt erreichte fiel ihr ein junger Mann auf, der unglücklich und mit gesenkten Haupt auf einem Fass im Schatten saß. Sie überlegte kurz bis ihr der Name des angehenden Rechtsgelehrten wieder einfiel: Talfano.

Stimmt, Talfano. Er hatte sympathisch gewirkt und sie hätte wohl auch mit ihm gesprochen, aber nun hatte sich so vieles anders entwickelt. Sie ging zu ihm und stellte sich vor ihn. “Talfano..ähm. Was ist denn los? Warum bist du alleine? Und noch dazu auf einem Fass.”

Der junge Mann hob seinen Kopf und blickte Sina erwartungsvoll an. Doch dann verdüsterte sich sein Blick wieder, Anscheinend hatte er jemand anderes erwartet. “Ich … ähmm … verzeiht, hohe Dame. Wollt ihr ans Faß?” sagte er erst gedankenverloren. Kurz sinnierte er über ihre Frage. “Ich wollte alleine sein. Ihr seid die Hofdame Sina Artigas, richtig? Ich hatte gehofft eine bestimmte Dame zum lustwandeln auszuführen.” Die Enttäuschung war groß.

Diese Brautschau machte zunehmend aus Männern jämmerliche Bündel, so sollte das nicht sein. Sie reichte Talfano die Hand und zog ihn hoch. “Das Fass ist mir wurscht, aber wer auch immer mit Euch lustwandeln sollte, der wird Euch hier nicht finden. Also husch...auf zur Wiese.”

Die direkten Worte schienen Wirkung zu erzielen. Talfano straffte sich. “Ihr habt ja recht. Aber ich musste mich beruhigen. Sonst hätte ich einen Edelmann noch eine blutige Nase verpasst. Ich wollte eigentlich die Baroness Luzia von Keyserring ausführen, aber dann hat das … dieser Junker sabotiert!” Seine Stimme füllte sich mit Zorn.

Sina versuchte, Namen und Gesichter zusammenzubringen und zu ordnen. “Luzia...wer war das gleich? So eine hübsche, junge, oder? Sagt mal, die war aber auch noch arg jung, fast noch ein Kind. Auf die seid Ihr so versessen?” Bevor er ihr ins Wort fallen konnte, sprach sie weiter. “Und dieser ungezogene Junker, wer war das denn? Beschreibt ihn mir mal etwas.”

“Die Baroness ist fast sechzehn und ich bin neunzehn Götterläufe alt. Findet ihr das zu jung für mich? Nun es war der Herr Lares von Mersingen. Dieser kleine, drahtige und nicht besonders ansehnliche Edelmann. Ich hatte gefragt, ob sie mit mir lustwandeln möchte, da kam dieser Giftzwerg von der Seite, ignorierte meine Frage und tat dasselbe. Sie war ganz erschrocken und lief dann fort … ohne mit jemanden. Sein Vorhaben war gelungen, nun denkt die Baroness, dass ich mich aufdrängen wollte. Ich hatte ihn nämlich gleich zurechtgewiesen. “

“Oh, so jung seid Ihr.” Ehrlich überrascht lächelte Sina ihm zu. “Ihr macht so einen reifen Eindruck, mindestens 25 Götterläufe.” Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu. “Bei diesem Lares kann ich Euch helfen, das ist ein sonderbarer Kerl. Schaut, dass ihr eine Katze auftreibt, das bringt ihn aus der Fassung. Anscheinend wurde er als Knabe oft gekratzt”

Talfano spürte die Hitze in seinem Gesicht, wie sie sich über seine Wangen ausbreitete. Noch nie hatte eine Frau ihn als ´Reif´ empfunden. Ja, sie war eine attraktive Frau. Ob sie schon vergeben war? Nun lachte er verlegen.”Eine Katze also. Ich habe hier einige gesehen, das wäre ja ein leichtes.” Talfano räusperte sich ein wenig und versuchte seine Stimme etwas tiefer klingen zu lassen. “Ich danke euch, hohe Dame Artigas. Habt ihr ein wenig Zeit zu wandeln?”

“Wir können gerne zu meinem Verlobten wandeln. Der wird mich sowieso schon vermissen. Dann, so glaube ich, müssen wir uns auch schon wieder irgendwo gemeinsam einfinden.” Der Rechtsgelehrte sollte sich besser sputen. Immer, wenn man eine Katze benötigte, war keine zu finden. Und umgekehrt.

“Oh … also ich wollte euch jetzt nicht zu nahe treten.” ´ Wie sehr wäre ich euch gerne nahe getreten´ fügte er in Gedanken dazu. Er wischte seinen Gedanken zur Seite. “Ich haben momentan nichts zu tun. Ich würde gerne euren Verlobten kennenlernen.” Der Altenberger wischte sich den Schweiß von der Stirn.

“Aber nicht doch.”Sina hakte sich galant bei Talfano unter. “Er ist ein ganz netter Kerl und Ihr wollt doch Luzia für Euch gewinnen. Das passt schon so.”

***

“Ritter Altenwein? Ja, bei Rondra, dass seid ja wirklich ihr.” Mit überraschter Stimme kam Alana von Altenberg auf Aureus zu. Das letzte mal, als sie sich beide sahen, war auf dem Rabenmarkfelzug unter dem Kommando des Barons zu Hlutharswacht. Die breitschultrige Ritterin, trug ein leichtes, blaues Leinenhemd mit kurzen Ärmeln, schwarze, enge Hosen und Stiefel. Ihre kräftigen Arme waren eindeutig ein Zeichen dafür, dass sie täglich in körperlicher Übung war. Alana war recht blass, was wiederum ihre blauen Augen und die Sommersprossen im Gesicht sehr zur Geltung brachten. Sie trug ihr kastanienrotes Haar kurz, das sie bisweilen streng wirken und von weiten an einen heranwachsenden Jüngling denken ließ. Dennoch hatte sie ein recht feminines und schönes Gesicht. Nicht besonders damenhaft setzte sie sich zu ihm.

“Alana! Schön Euch zu sehen.” Der Altenweiner freute sich sie wieder zu sehen.”Darf ich Euch Sina Artigas vorstellen? Wir haben uns verlobt. Und”, fügte er augenzwinkernd hinzu,”inzwischen bin ich Junker.”

“Oh” Alana schaute sich kurz um, da sie den Junker alleine angetroffen hatte. “Na mein herzlichen Glückwunsch … zu beiden, euer Wohlgeboren.” Sie lächelte ihn an. “Ich hätte nie damit gerechnet euch bei einer Brautschau … meiner Familie zu treffen.”

“Nun ja, ich bin der letzte meines Namens. Warum sollte ich dann nicht auf Brautschau gehen?”

Sie lachte.”Das schon, aber nicht eines das mein Haus ausrichtet. Aber wie ihr schon sagtet, eure Wahl ist auf keine Altenbergerin gefallen. Ich nehme an, dass meine Bekanntschaft euch schon gereicht hat.”

“Ich versuche Menschen einzeln zu beurteilen. Würde ich das nicht tun, dann müsste ich mich selbst mit meinem Vater gleichsetzten. Außerdem hat sich meine Schwester mit Euch auseinandergesetzt. Ich vertraue ihrem Urteil.”

“Entspannt euch. Ich habe nur eine Scherz gemacht. Nun, meine Verwandten hoffen, dass auch ich mit einer Verlobung das Fest verlassen. Da werde ich sie aber enttäuschen. Wie immer.”, hängte sie an. “Wie fühlte es sich so an, als Junker?”

“Oh, das ist erst ein paar Wochen her, dass ich belehnt wurde und es war mir bisher nicht möglich mein Lehen zu begutachten”, lachte er,”aber ansonsten ganz gut.”

Nun lachte sie mit ihm. “Ich hoffe es wird euch gefallen … nicht das ihr eine Wahl hättet.” Sie schlug ihm anerkennend auf die Schulter.

Nach einer Weile kehrte die Verlobte zurück. Überraschenderweise war sie nicht allein. Einen Jüngling in Gelehrtenrobe hatte sie am Arm und kamen lächelnd auf sie zu. Doch auch eine Überraschung für die almadanische Hofdame. Aureus schien nicht lange allein geblieben zu sein, denn eine Frau saß, in Hemd, Hose und Kurzhaarschnitt, leger neben ihn.

Alana schaute überrascht und erkannte ihren entfernten Verwandten Talfano.

“Schaut Alana, da kommt meine Verlobte. Aber wen hat sie denn da im Schlepptau?”, wunderte er sich.

“Das ist ein Spross aus meinem Haus. Talfano … glaub ich.” flüsterte sie ihm ins Ohr.

“Ah, ich glaube er war vorhin am Praoistisch”, flüsterte er zurück.

“Aureus, schau. Diesen einsamen Mann hab ich mitgebracht, da er bei der Latrine schwer eine Dame findet. Talfano heißt er.” Obwohl es ja eigentlich ein guter Platz war - man konnte auf Damen lauern, die den Ort zwangsläufig irgendwann aufsuchen mussten. Sie löste sich von Talfano und stellte sich wieder neben ihren Verlobten.

“Praios zum Gruße, Talfano. Darf ich fragen, ob Ihr Euch schon eine Herzensdame ausgeguckt habt?”

Der junge Mann errötete kurz und warf dann eine Blick auf Sina. “Schon, aber sie scheint unerreichbar. Ein Junker neidet ihr das Glück.” war seine knappe Antwort.

“Ein Junker? Ihr meint doch aber nicht mich, oder?”, lachte Aureus. Der junge Mann erinnerte ihn an sich selbst, deshalb fügte er freundlich hinzu:”Hört mal. Dies ist eine Brautschau. Da sollte man mit Konkurrenz rechnen. Und es liegt doch an der jungen Dame über ihr Glück zu entscheiden und nicht an diesem Junker. Allerdings, wenn sie nicht weiß, wie Ihr für sie empfindet, dann kann sie Euch auch nicht in Betracht ziehen. Geht zu Ihr und sprecht mit Ihr.”

Selbst Alana mußte nun lachen. “Liebster Großvetter, wenn ihr wollt, kann ich diesen hier für euch fordern, das wird mir ein leichtes sein!” Die Ritterin knuffte Aureus in die Seite.

“Äh … nein, euch meinte ich nicht. Ich meine den Junker von Mersingen.” Wieder schaute er hilfesuchend zu Sina. “Na ich hatte es ja versucht mit ihr zu sprechen. Habt ihr einen Rat, wie ich es nochmals versuchen könnte?”

“So pauschal ist das schwierig, kennt Ihr die Dame denn schon genauer? Wenn ja, dann überlegt, was ihr gefällt und überrascht sie damit. Seid selbstbewusst und einfühlsam. Ihr dürft fordern, aber nicht bedrängen. Es ist ein kompliziertes Spiel, dass mit jeder Dame neu beginnt. Was der Einen gefällt, kann die Andere abstoßen. Wenn Ihr mir sagen mögt, um wen es sich handelt, und ich die Dame kenne, kann ich vielleicht besser helfen.”

“Da hat er Recht, so ist das mit den Damen. Sie sollte zumindest wissen, dass Ihr Interesse habt.” Sina lachte herzlich und amüsiert. “Und dieser Junker, der löst glaube ich eher Muttergefühle bei den Frauen aus. Sicher läuft er gerade vor irgendwas davon. Ein richtiger Mann sollte da leichtes Spiel gegen ihn haben.”

Alana musterte die hübsche Hofdame. Wäre das hier ein anderes Fest, würde sie versuchen ob eine ´richtige´ Frau auch ein leichtes Spiel mit ihr haben könnte. “Ihr habt die schöne Sina sprechen hören, Talfano. Sprecht sie einfach beim Bankett an. Falls der Junker wieder aufdringlich wird, werde ich mich um ihn kümmern.” bot sie an.

Talfano lächelte erleichtert. “Habt dank, ich werde mein bestes versuchen. Eure Ratschläge haben mein Herz wieder mit Mut erfüllt. Ich schau, ob ich sie schon sehen kann” Mit beschwingten Schritt verließ er die Leute.

***

Hand in Hand trafen auch Rahjalind und Lucrann zurück zur Festwiese. Es war der Junker, der den Bruder mit seiner Verlobten fand. “Dort drüben ist dein Bruder” Er deutete auf die Gruppe um Vater Winrich. Als sie nahe genug waren bemerkte wie die Hofdame Durinja den Junker von Liannon zu nickte und er zurück. Anscheinend kannten die beide sich.

Rahjalind war in bester Laune. Beschwingt und glücklich schlenderte sie an der Seite ihres Verlobten. Ihr gemeinsames Rahjaopfer auf der Wiese nahe des Brunnens war schön und es stellte sie zufrieden. Wie jeder Traurigsteiner war auch die Novizin ein Vulkan der Leidenschaft - sie liebte fordernd und heftig. Dass ihre Haare nun eben nicht mehr so schön lagen wie zuvor, der Kohlestaub und das Lippenrot nicht mehr ganz so gleichmäßig ihre Augen und Lippen betonte und sie nach körperlicher Liebe roch, schien die junge Frau nicht zu stören. Verträumt blickte sie im Gehen auf Lucrann neben sich und erst sein Hinweis auf ihren Bruder beförderte ihre Aufmerksamkeit wieder zurück ins Hier und Jetzt.

Der junge Bannstrahler war währenddessen in ein nettes Gespräch mit Vater Winrich vertieft, sodass er die Ankunft seiner Schwester vorerst nicht wahrnehmen konnte. Erst als Rahjalind ihn liebevoll und wenig damenhaft von hinten umarmte, schrack er auf und wandte sich zu den beiden um. “Rahjalind …”, bemerkte er überrascht, auch entging ihm ihre Adjustierung und der von ihr ausgehende Geruch nicht, “... wie schön. Das Bankett soll gleich beginnen.” Die milden, eisblauen Augen des groß gewachsenen, athletischen Mannes gingen zwischen seiner Schwester und ihrem Begleiter hin und her. “Und der nette Herr an deiner Seite?”, Linnart konnte es sich denken, dennoch wollte er dem gut gekleideten, schlanken Mann die Möglichkeit geben sich vorzustellen.

Lucrann machte eine vollendete Verbeugung und hauchte dann einen Kuss auf Durinjas Hand. “Graciosa, Gracioso! Cavalliere Lucrann von Leihenhof, Junker zu Liannon in der Baronie Berg. Ich habe soeben um die Hand eurer liebreizenden Schwester angehalten.” Mit festen Blick streifte er Durinja und blieb bei Linnart stehen.

Durinja erlaubte sich einen abschätzigen Blick. “Preiset Travia! Was für eine gute Partie für ´unser´ Haus” Die Betonung auf ´unser´ entging dem Junker und der Novizin nicht.

Der Bannstrahler sah zu seiner Schwester hinüber und der Ausdruck auf ihrem Antlitz sagte ihm alles was er wissen musste. Auf seinen Lippen zeigte sich nun ebenfalls ein herzliches Lächeln. “Dann seid mir willkommen in unserer Familie, Lucrann …”, er ließ eine kräftige Umarmung folgen, “... wenn Ihr gut zu meiner Schwester seid, bin ich Euer bester Freund. Seid Ihr das nicht, dann …”, Linnart brach ab. Seine Lippen zierte jedoch immer noch ein ehrliches Lächeln. “Rahjalind ist ein Schatz. Sie ist klug, hat ein großes Herz voller Lebensfreude und ist darüber hinaus eine der beiden schönsten Frauen der Nordmarken. Gebt gut auf sie acht.” Der Ritter löste sich wieder von ihm. “Und wo wir gerade bei den schönsten Frauen der Nordmarken sind …”, er legte seinen Arm um Durinjas Taille, “... nicht nur Euch haben Rahja, Praios und Travia heute reich beschenkt. Ich darf Euch meine Verlobte Durinja von Altenberg vorstellen?” Der Traurigsteiner hatte zuvor nicht mitbekommen, dass die beiden sich allem Anschein nach kannten. Was er jedoch sehr wohl mitbekommen hatte war die wohlgesetzte Betonung seiner Verlobten in ihrer Aussage, doch störte er sich nicht daran. Es stimmte ja, nun war sein Haus genauso das seiner Zukünftigen, auch wenn für ihn der Wert einer Partie hinter dem Wunsch nach Glück für seine Schwester zurück stand. Rahjalind jedoch konnte einen Anflug an Irritation in ihrem Blick nicht verhehlen.

“Vor den Zwölfen, das gelobe ich euch. Ich werde eure Schwester aber gleich wieder entführen. Ich möchte sie meinem Vetter, DEN Baron von Galebquell, vorstellen. Immerhin wird Rahjalind auch Teil meines Hauses werden. “ Lucrann machte Durinja mit seiner Betonung klar, wer hier von beiden, die bessere Partie war.

“Natürlich ... “, bestätigte Linnart, “... so ist es gut und richtig. Wir sehen uns beim Bankett.” Der Bannstrahler lächelte seinem Schwager in spe zu, dann polierte er mit einigen wenigen zärtlichen Handgriffen das Äußere seiner Schwester wieder etwas auf. Dinge, die er von seiner eitlen Mutter gelernt hatte, die nicht immer eine Zofe bei der Hand hatte. Rahjalind sollte zumindest optisch einen guten Eindruck machen.

***

Noch immer saßen Celissa von Tannenfels mit ihrem Sohn, seiner Verlobten und deren Mutter am Tisch der Älteren. “Ihr müsst unbedingt nach Elen … Oh, verehrte Celissa, darf ich euch Mutter Elva vorstellen?” Maura schaute über die Schulter der Edlen hinweg und stand auf. Als Celissa sich umdrehte sah sie die greise Geweihte der Travia, die auf sie, gestützt auf einen Gehstock, zukam und dabei lächelte.

Celissa erhob sich ebenfalls und ging der Geweihten entgegen, bereit, der Greisin behilflich zu sein. Offenbar war diese aber rüstiger, als nach dem ersten Eindruck, den sie aus der Ferne erweckt hatte. “Es ist mir eine Freude und Ehre, Euch kennenzulernen, Euer Ehrwürden!””

“Nennt mich Mutter Elva, bitte. Wie war euer Name gleich?” fragte die Alte gleich hinterher.

“Verzeiht, bitte, dass ich mich noch nicht vorstellte, Mutter Elva. Mein Name ist Celissa von Tannenfels, ich bin die Edle von Tannenfels aus der Baronie Ambelmund. Eure Enkelin Elvrun und mein Sohn Nivard haben sich heute das Versprechen auf den Traviabund gegeben.” Sie warf einen Seitenblick in Richtung des ganz in sich vertieften jungen Paares, darauf hoffend, dass sich diese ebenfalls erheben mögen, wie es sich geziemte.

Mutter Elva zögerte kurz und ihr Lächeln schwand Überraschung. “Celissa von Tannenfels aus Ambelmund?” wiederholte sie den Namen. Sie legte ihre Rechte auf die Wange der Edlen. Sie schaute sie an, als ob sie etwas suchen würde. “Celissa”, wisperte sie. “Celissa vom Schwarzen Tann … war das eure Mutter?” fragte sie dann wieder mit gefasster Stimme.

Celissa zögerte kurz, und in ihren Blick mischte sich Verwunderung. “Ja, das war sie… kanntet Ihr sie?” Sie selbst hatte sie nie kennenlernen dürfen, ging ihre Mutter doch in Borons Arme, als Tsa sie mit ihr vor über vier mal zwölf Götterläufen beschenkte.

“Oh bei Travia!” Mit feuchten Augen drückte die Geweihte sie kräftig. “Ich kann es kaum glauben. Ich hatte die Ehre euch und euren …“, sie stockte kurz und verbesserte sich, ” euch zur Welt zu bringen. So klein und nun steht ihr vor mir mit weißen Haar. Was für eine Freude!” Sie strahlte die Edle weiterhin an.

“Welch Fügung, dass wir uns gerade hier wieder begegnen.” bemerkte Celissa mit einem nachdenklichen Lächeln. Sie fühlte sich ein wenig benommen im Angesicht des großen Kreises, der sich hier auf seine Weise schloss. Dann hielt sie inne. “Verzeiht die Frage, aber was meintet Ihr mit “Euch und... euren?” Ihr Vater Leuenhard hatte ihr niemals etwas über die genaueren Umstände ihrer Geburt berichtet, zu schmerzhaft war das erlebte wohl für ihn gewesen.

Wieder verschwand das Lächeln auf ihren Lippen. Normalerweise hätte sie ihr gesagt, dass es nur ein dummer Versprecher war. Doch vor nicht allzu langer Zeit hatte sie vor ihrer Göttin geschworen keine Geheimnisse mehr zurück zu halten. “Vielleicht sollten wir ein wenig spazieren gehen. Ich bin neugierig, was aus euch geworden ist, Celissa.” Dann schaute sie zu dem Tisch. “Mein Glückwunsch Elvrun und … Nivard? Willkommen in meiner Familie.” Sie ging zu dem Paar und umarmte sie. “Kaum zu glauben, aber ich habe eure Mutter zur Welt gebracht.” sagte sie zu Nivard.

Elvrun hatte Nivard inzwischen auch Mutter Elva vorgestellt. “Ich danke Euch von Herzen, Mutter Elva, für die herzliche Aufnahme in Eure Familie.” Auch er war überrascht und fasziniert im Angesicht der Verkündigung. Er warf einen Blick zu Elvrun - um sich dann wieder Elva und seiner Mutter zuzuwenden. “Kann das wahr sein? Was führte Euch zu dieser Zeit nach Tannenfels?” Wie eng waren die Geschicke ihrer Familien, von denen er bislang dachte, dass sie sich zuerst in seiner Freundschaft zu Elvan und nun seiner Verlobung mit Elvrun begegneten, noch verknüpft?

Celissa war es innerlich nicht recht, dass Nivard jetzt nachfragte. Zum einen wollte sie nicht, dass eine ihrer Erwartung nach traurige Geschichte das Glück des jungen Paares am heutigen Tage störte, zum anderen glaubte sie das Zögern der alten Geweihten so zu verstehen, dass diese wenn, dann nur in einem vertraulichen Gespräch darüber zu reden bereit wäre.

“Wirklich unglaublich, welche Wege das Schicksal geht. Und welch Zeichen Travias, dass wir uns gerade heute wieder begegnen!” ergriff sie daher zunächst ablenkend das Wort. Dann bot sie Elva den Arm für den vorgeschlagenen Spaziergang.

“Seid nicht enttäuscht, junger Ganter. Ich werde ersteinmal mit eurer Mutter spazieren gehen. Wir haben später noch Zeit. Und du, mein Gänslein, hast einer alten Frau Freude bereitet.” Mit diesen Worten schaute sie Elvrun verschwörerisch an. Nachdem die beiden eine Weile gegangen waren eröffnete Elva das Gespräch. “Mir scheint euer Vater hat euch nie die Wahrheit gesagt, Celissa. Nun laßt mich anfangen vom Tag eurer Geburt….”

Hier gehts zu Celissas Geschichte

***

Die Junkerin von Herzogenfurt würde bestimmt nicht allzu erfreut sein ihn wiederzusehen. Trotzdem kamen sie beide nicht um diese erneute Begegnung herum. Die andere Frau musste die Baronin von Schweinsfold sein, jedenfalls entsprach das Aussehen ihrer Beschreibung. Die beiden Frauen hatten gerade ihr Gespräch beendet, so dass Rondradin keinen Grund fand, das Gespräch länger aufzuschieben. “Verzeiht, Euer Hochgeboren, Euer Wohlgeboren, wenn ich Euch stören muss, aber es gibt etwas zu besprechen.”

Die beiden Frauen tauschten sich misstrauische Blicke aus. Doch es war die Vögtin die sprach: “Wenn es um meine Tochter geht, kann ich euch nur sagen, dass noch keine Entscheidung getroffen wurde.” Etwas brüsk erschien ihre abweisende Antwort.

Der Geweihte behielt beide Frauen während seiner nächsten Worte genau im Blick. “Nein, es geht um das Feentor im Park.”

Die Vögtin kniff die Lippen zusammen. “Lasst uns ein Stück gehen. Euer Hochgeboren, ich kümmere mich darum.” Sie verneigte sich vor der Baronin und ließ ein Stück über die Wiese mit Rondradin. “Ich bin überrascht, dass ihr davon wisst. Was gibt es?” fragte sie direkt.

Auch Rondradin verneigte sich vor der Baronin bevor er Alrike von Henjasburg folgte. Der Geweihte schätzte diese direkte Art sehr. Andere hätten erst versucht das Feentor als Humbug abzutun um es erst nach einem harten Ringen doch noch zugegeben. “Das Tor hat sich heute mehrfach geöffnet. Dabei ist auch eine Gruppe Gäste auf die andere Seite gelangt. Dank einer Dryade namens Salgar, wie ich erfahren habe. Glücklicherweise sind sie wieder zurück, mittels eines Raben. Vielleicht eine Art Wächter oder das Vertrautentier einer Hexe.” Mit einem Schulterzucken fuhr er fort. “Mir wurde versichert, das Tor wäre jetzt geschlossen, aber ist es das wirklich oder könnte ein unbedarfter Gast es aus Versehen wieder öffnen?” Rondradin sprach ruhig und ohne jede Schärfe in seiner Stimme.

Der Geweihte wußte viel, viel zu viel. “Ich verstehe. Ja, das Tor ist mir bekannt. Aber macht euch keine Sorgen. Es wird nicht weiteres passieren. Meister Rahjagoras wird darauf achten. Niemand kennt es besser als er. Ich würde es begrüßen, wenn ihr das für euch behalten würdet, euer Gnaden. Kann ich euch fragen, warum ihr euch so gut auskennt?” fragte sie mit echter Neugier.

“Es gibt noch andere Gäste, die zugegen waren als das Tor sich öffnete. Sie sahen zwar nicht das Tor selbst, wissen aber darum. Ich versprach ihnen mich der Sache anzunehmen und nachher werde ich sie aufsuchen und ihnen Eure Versicherung weitergeben.” Rondradin hatte eigentlich nicht vor die Vögtin zu beunruhigen, aber sie sollte wissen, dass nicht nur er vom Tor in die andere Welt wusste. “Ich bin nicht euer Feind, Wohlgeboren oder ein Feind der Feenwelt. In den letzten Jahren habe ich des Öfteren solche Tore gesehen und auch mehrere durchschritten.

So war ich schon zu Gast am Hofe des Flussvater und habe die Nimphenburg besucht.” Im Schoß eine Frage durch den Kopf. “Wisst Ihr zufällig wie das Feenreich hinter dem Tor zu den Feen des Farindelwalds und der Herrin der Tommel steht?”

Alrike überlegte kurz. Wasserthal war nicht unbedingt ein Name, dem sie Vertrauen schenken wollte. Dennoch schluckte sie ihre Stolz hinunter. Sie versuchte ihn als das zu sehen was er war: ein Geweihter der Rondra. Ihre verstorbene Mutter hätte nicht einen Moment lang gezögert diesem Mann zu vertrauen. “Duthaich Nam Muc wird es genannt. Dort soll die Lilienkönigin leben. Meine Vorfahren haben in weiser Voraussicht die Familie vom Lilienhain als Hüter eingesetzt. Der Frieden währt bis zum heutigen Tage. Nur wenige wissen wieviel an den Geschichten wahres dran ist. Nun gehört ihr zu denjenigen. Es wäre hilfreich mir zu sagen, wer noch davon weiß.” Eine Sache mußte sie noch ansetzen. “Wir haben hier keine Hexen. Das versichere ich euch, euer Gnaden. Wenn ihr einen Raben gesehen haben solltet, ist das in Herzogenfurt keine Seltenheit. Mein Gemahl steht dem hiesigen Borontempel vor, denn er selbst vor vielen Jahren gründete. Er befindet sich im Uhlenturm. Seither haben sich viele Raben dort eingenistet. Es scheint, dass der Herr Boron sein liebstes Tier in der Nähe wissen mag.” Log sie, zumindest zum Teil. “Gibt es noch etwas, dass ich wissen muß?”

Rondradin wirkte skeptisch als er antwortete. “Dann wird es wohl so sein, dass es kein Vertrautentier war.” Ein Schulterzucken. “Die Lilienkönigin oder der Name Duthaich Nam Muc sind mir bisher noch nicht untergekommen.” Nachdenklich betrachtete der Geweihte die Frau ihm gegenüber. “Ihr solltet wissen, dass ich in den letzten Götterläufen den Edlen von Bösalbentrutz beim alljährlichen Trutzfest vertrete. Ich nehme an ihr wisst um dessen Bedeutung?” Soweit er wusste, war das Wissen um die jährliche Erneuerung des Pakts zwischen den Edlen von Bösalbentrutz und der Holden, die man gemeinhin als Herrin der Tommel bezeichnete, in der Feenwelt durchaus bekannt. Aber vielleicht sollte er eher mit Meister Rahjagoras sprechen um zu klären, wo die Lilienkönigin in dem Streit zwischen Tommel und Farindelwald standen.

Die Vögtin nickte zur Bestätigung. “Bis jetzt haben sich die Feen noch nie in unsere Belange eingemischt. Allerdings bin ich keine Expertin wenn es um die Lilienkönigin geht. Ich danke euch, dass ihr damit sofort zu mir gekommen seid.” Die Skepsis in seinem Ton war ihr nicht entgangen. Könnte er später einmal ein Problem werden? Alrike mußte sich darüber Gedanken machen. Zu viel ist an diesem Tag schon passiert und nun wird sich zeigen ob es hier potenzielle Verbündete für die Baronie geben würde. Oder Feinde. “Ich möchte euch nicht vom Feiern abhalten. Oder habt ihr noch eine Aufgabe zu erledigen? Ich meinte verstanden zu haben, dass ihr und eure Schwester als Gäste hier seid.”

Mit einem vom Herzen kommenden Seufzer nickte der Rondrianer. “Es warten nur noch ein paar Aufgaben privater Natur auf mich. Aber wahrscheinlich werde ich mich noch nicht mal hinsetzen können, bevor mir das nächste Problem angetragen wird.” Unendliche Müdigkeit sprach aus seinen Augen als er die Vögtin ansah. “Ihr habt mich also nicht vom feiern abgehalten und eigentlich müsste ich Euch um Verzeihung bitten, denn ich habe Euch angesprochen.” Ein müdes, wenn auch ehrliches Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. “Eins noch, wäre der Rabe ein Vertrautentier gewesen, so hätte ich mich bei seiner Herrin allenfalls dafür bedanken mögen, dass sie die Gäste zurückgeholt hat.”

Alrike musste sich eingestehen, das dieser Geweihte sie ein wenig verwirrte. Eigentlich müsste sie zornig sein. Doch genau genommen war es sein Haus, beziehungsweise sein Neffe auf den sie zornig war. Die Entscheidung wie nun mit ihrer Tochter zu verfahren war, wurde dadurch nicht leichter. “Wenn es irgendetwas gibt, zögert nicht und kommt gleich zu mir.”

Rondradin verneigte sich vor der Vögtin. “Habt Dank, ich hoffe es wird nicht nötig sein Euch nochmals belästigen zu müssen.” Das hoffte er tatsächlich, nur sehr ungern wollte er sie heute nochmals stören müssen. Die Mutter Boromadas mochte ihn nicht und er konnte es ihr nicht verdenken. Schließlich hatte er ihr eröffnet, dass ihre Tochter ein Kind von einem seiner Verwandten erwartete, der zu dem Zeitpunkt auch noch unter seiner Aufsicht gestanden hatte. Das brachte ihn auch schon zum Baron. Der würde gleich mehrfach schlecht auf ihn zu sprechen sein, gelinde gesagt. Zum einen hatte er die Angelegenheit nicht klären können, was dem Rabensteiner dazu zwingen würde sich selbst damit zu befassen. Zum anderen war da noch die Auflösung seiner Verlobung mit dessen Tochter. Vielleicht würde ihr Vater irgendwann einsehen, dass es besser für Ravena gewesen war, ihn, Rondradin, nicht geheiratet zu haben. Glücklicher würde sie allemal sein, denn sein Herz gehörte einer Anderen und wenn er Ravena auch nie mit Taten betrogen hätte, so hätte sein Herz doch niemals ihr gehört.

***

Ein halbes Stundenglas nach der Rückkehr des Mersingers und seiner Pagin traf auch Andesine von Wasserthal wieder auf der Festwiese ein. Sie hatte sich frisch gemacht und trug nun ein anderes Kleid, auch wenn es vom Schnitt her den anderen beiden glich. Nur war es saphirfarben und die feinen Stickereien in Form von Blätterranken glänzten in Silber. Die offenen schwarzen Haare hoben die Blässe der Ritterin noch hervor und ihre Augen schienen noch dunkler zu sein, so dass man das Blau fast für Schwarz halten konnte. Von einem vorbei eilenden Diener ließ sie sich einen Becher Wein reichen und betrachtete dann die Menge, während sie an dem Wein nippte.

Lares lächelte und winkte ihr zu, als er sie kommen sah. Eine schöne Frau, das musste man ihr lassen. Zufrieden wandte er sich Luzia wieder zu. Seine Aufmerksamkeit musste jetzt nur ihr gelten.

Als führte eine unsichtbare Hand seinen Blick, entging auch Linnart der Auftritt Andesines nicht. Gerade noch in ein fröhliches Gespräch verwickelt, versteinerte sich von einen auf den anderen Herzschlag der Ausdruck auf seinem Antlitz. Es fiel ihm schwer sie zu sehen … das erste Mal nachdem sie ihm seinen Ring zurück gegeben hatte. Den Ring, welchen er dann der Herrin Rahja geopfert hatte, während er die Schöne anflehte, dass Andesine ihn vergessen und nie den Glauben an die Liebe, ihre Wünsche und Ziele verlieren möge. Sie war ein guter Mensch und hatte es nicht verdient enttäuscht zu werden. Doch war es in seinem Fall wohl sowieso bloß eine Frage der Zeit gewesen bis er sie wieder verletzt hätte. Auch die Zweifel, ob sie sich in seiner Familie wohl fühlen würde, hatte er seit dem Kennenlernen in seinem Kopf. Ob sie die Enttäuschung nun in die Arme des Nächsten treiben würde, ohne zuzulassen, dass sich Zuneigung über die Zeit entwickelte und sie sicher ging, dass es wirklich der Richtige war? Er hoffte nicht, doch lag dies nun in den Händen der Götter. Jetzt stand sie da und in seinem Magen tat sich abermals ein flaues Gefühl auf. Linnart atmete tief durch und schloss kurz seine Augen, dann zwang er sich dazu, die Aufmerksamkeit wieder seinen Gesprächspartnern zuzuwenden. Auch wenn es schwer fiel, denn nur wenige Herzschläge danach ging sein Blick abermals kurz hinüber zur Wasserthalerin. Linnart griff nach der Hand seiner Verlobten, ganz so als wolle er sich ihrer erinnern, oder sich einfach bloß daran festhalten, um nicht abermals ins Wanken zu geraten.

Andesine erwiderte das Lächeln von Lares und hob grüßend den Becher. Hinübergehen wollte sie nicht, er sprach gerade mit Luzia und da wollte sie nicht stören. Als sie Linnart in der Menge ausmachte, stockte ihr der Atem, doch sie zwang sich den Blick weiter wandern zu lassen. Heute Abend würde sie ihn fürderhin ignorieren. Ihr Blick streifte weiter über die Anwesenden. Die Ritterin ertappte sich dabei, immer wieder die Gestalt des Mersingers zu suchen und ihn bisweilen auch länger zu betrachten. Innerlich schalt sie sich selbst eine Närrin, gehörte sein Herz doch augenscheinlich einer anderen und doch…

Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen.

Kurz darauf konnte sie eine andere, ihr leidlich bekannte Gestalt ausmachen und fast augenblicklich schaute sie beschämt zu Boden. Was hatte sie Amiel von Altenberg in ihrer Trauer und Wut nur alles an den Kopf geworfen? Noch bevor sie es sich anders überlegen konnte, ging sie auch schon zu ihm hinüber. Wobei sie nur am Rande mitbekam, dass der gute Mann in Begleitung war. “Hoher Herr Amiel von Altenberg, darf ich Euch um einen kurzen Augenblick Eurer Zeit bitten?” Die Ritterin wirkte angespannt, als sie vor dem Altenberger stand.

Überrascht und mit einem misstrauischen Blick empfing Amiel die Wasserthaler Ritterin. Er tauschte einen Blick mit der jungen Ringard und gab ihr zu verstehen, gleich wieder bei ihr zu sein. “Hohe Dame. Was kann ich für euch tun?” und kam ihr ein Stück entgegen. Die Eidechse ließ er lieber auf der Schulter der Tannenfelserin.

Die Hände vor ihrem Schoß gefaltet, stand Andesine vor Amiel und suchte nach den richtigen Worten. Sie hob ihre Augen und Amiel konnte darin deutlich Scham und Bedauern lesen. “Ich wollte mich bei Euch für mein fürchterliches Verhalten Euch gegenüber entschuldigen und um Verzeihung bitten. Der Ver… Verlobte Eurer Schwester hatte mir zuvor … es ist egal. Mein Verhalten Euch gegenüber war unentschuldbar. Verzeiht.” Sie verstummte, nachdem ihre Stimme zunehmend brüchiger geworden war.

Seiner Intuition folgend legte er versöhnlich seine Hand an ihren Arm. “Laßt gut sein, Andersine. Ihr habt mir kein Leid zugefügt. Ich entschuldige mich für … meine Schwester. Sie kann manchmal sehr rücksichtslos sein. Wir könnten nicht unterschiedlicher sein.” Sagte er mit ehrlichen Worten. Mit seinen sanften, braunen Augen schaute er sie aufrichtig an.

Erleichtert atmete die Wasserthalerin auf. “Ich danke Euch.” Meinte sie mit deutlich festerer Stimme als gerade eben noch. Andesine sah an Amiel vorbei zu Ringard bevor sie seinem Blick begegnete. Die Erleichterung in ihrem Blick konnte man fast greifen und da war noch was anderes. Es schien fast als ob seine Worte ihr etwas Seelenfrieden gegeben hätten. “Ich will Euch nun nicht länger von Eurer zauberhaften Begleitung fernhalten. Habt noch einen schönen Abend.” Dabei schenkte sie sowohl Amiel als auch Ringard ein herzliches Lächeln.

Einen kurzen Moment war Ringard etwas besorgt, was die Ritterin wohl so bedeutungsschwanger von Amiel wollte. Dass dieser Tsala bei ihr zurückgelassen hatte, beruhigte sie aber bereits, und obgleich sie nicht jedes Wort verstanden hatte, wurde ihr dabei erneut gewahr, wie sanft und freundlich das Wesen Amiels war. Ihr wurde ganz warm ums Herz. Und sie empfand Mitgefühl für Andesine, wie sie dort so unsicher wirkend dastand.

“Das wünsche ich Euch auch, hohe Dame!” erwiderte Ringard das Lächeln Andesines, ehe sie sich wieder bei Amiel unterhakte. “Was ist denn genau geschehen, wenn ich fragen darf?” fragte sie leise nach, als sie sich außer Hörweite wähnte.

“Meine Schwester hat ihr anscheinend den Mann ihrer Wahl vor der Nase weggeschnappt. Und Tsala hier wollte sie wohl trösten. Nun, sie suchte die Nähe der Wasserthalerin, und als ich sie angesprochen habe, habe ich die ganze Enttäuschung abbekommen.” Amiel zuckte mit den Schultern. “Jetzt scheint alles wieder gut zu sein. Lass uns einen Platz suchen, ja?” zufrieden schaute er sie an.

“Sehr gerne - schau, da vorne ist ja mein Bruder...”

***

Kaum fünf Schritte hatte Andesine getan und sich von Amiel und Ringard entfernt, als sie spürte wie sich eine Hand sanft auf ihre Schulter legte. “Da bist du ja, Schwesterherz.” Rondradin sah seine ältere Schwester mitfühlend an. “Lass uns doch ein paar Schritte gehen. Dann kannst du mir dein Herz ausschütten und ich muss dir auch was erzählen.” Überrascht sah Andesine zu dem Größeren auf, nickte aber zustimmend und ließ sich von ihm ein wenig abseits der anderen Gäste führen. Dort erzählte sie ihm was an diesem Tag mit Linnart vorgefallen war. Dieses mal flossen keine Tränen mehr, trotzdem war die Umarmung ihres Bruders eine willkommene Wohltat für Andesine. “Soll ich ihn zu einem Duell fordern?” Wollte Rondradin wissen. Was sie mit einem vehementen Kopfschütteln ablehnte. “Nein, dieser Mann hat mich zwar enttäuscht und mir das Herz gebrochen, aber er hat meine Ehre nicht verletzt. Er ist kein Blutvergießen wert.” Das war heute schon der Zweite, der für sie ein Duell bestreiten wollte. Beifällig nickte Rondradin zu Andesines Entscheidung. “Gut. Aber jetzt muss ich dir etwas erzählen.” Und so berichtete der Geweihte seiner großen Schwester von dem was sich am heutigen Tag zwischen ihm und Gelda zugetragen hatte. “Und deshalb habe ich eben ein Schreiben an den Baron von Rabenstein aufgesetzt in dem ich erkläre, dass ich die Verlobung mit seiner Tochter löse.” Ungläubig starrte Andesine ihr Gegenüber an, während ihre Gedanken rasten. “Aber… Onkel Dorcas… Verfluchter Orkendreck! Rondradin! Was … Weißt du was du damit unter Umständen auslöst?” Der tiefe Seufzer des Geweihten sagte alles. “Und trotzdem hältst du daran fest? Ist sie das wirklich wert?” Mit festem, ernsthaften Blick sah Rondradin Andesine in die Augen. “Ja, das ist sie.” Diese schüttelte den Kopf. “Du hast schon immer mehr auf dein Herz als auf deinen Kopf gehört.” Damit umarmte sie nun ihrerseits den hünenhaften Rondrageweihten. “Ich freue mich für dich, kleiner Bruder. Wann stellst du sie mir vor?” Erleichtert lachte dieser auf. “Bald, sehr bald. Das ist noch nicht alles, was ich dir erzählen wollte. Wir werden eine Traviabundfeier mit beiden Familien veranstalten, wie es sich gehört. Doch wird sich diese noch etwas hinziehen. Allerdings wollen wir nicht mehr warten und gehen heute Abend schon einen Rahjabund ein. Nur im kleinsten Kreis und ich will dich an meiner Seite haben.” Es kam nicht oft vor, dass Andesine sah wie ihr Bruder unsicher wirkte. Zuerst war sie geschockt. Nicht nur löste er heute die Verlobung mit einer Baroness, nein, er hatte auch vor am gleichen Tag einen Rahjabund mit einer anderen einzugehen. Ohne Rücksicht auf etwaige Konsequenzen. Ihr Onkel würde toben. Letzteres zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie trat vor und küsste Rondradin auf die Wange. “Natürlich werde ich da sein.” Befreit atmete Rondadin auf. “Hast du eigentlich Base Sylvette schon gesehen? Sie kam vorhin mit einer Nachricht her.” Erstaunt schüttelte Andesine den Kopf. Sylvette war hier? Gesehen hatte sie ihre Base noch nicht. Wo die sich nur wieder herumtrieb? “Wirklich? Was ist den so dringend, dass die Baronin die Nachricht mit Sylvette schickt? Ist irgendwas in Meilingen geschehen? Geht es um Vater? Nun erzähl endlich!” Der Geweihte hatte beschwichtigend die Hände gehoben. “Nein, Vater und auch Meilingen geht es gut. Es ist nur…” Er sah sich um, ob sie auch wirklich alleine waren. “Unser kleiner Palinor hat während der Jagd in Nilsitz einer Knappin die Unschuld geraubt und, wenn man dem Brief glauben darf, bei der Gelegenheit auch gleich ein Kind gezeugt.” Fassungslos starrte die Ritterin ihr Gegenüber an. “Verfl… nein… Du ver… “ Sie verstummte und musterte den Geweihten eindrücklich. “Du meinst das wirklich ernst.” Das musste sie erstmal verarbeiten. “Wer ist es?” “Die Tochter der hiesigen Vögtin, ihre Erstgeborene.” Nun sprudelten die Fragen nur so aus Andesine heraus und Rondradin tat sein Bestes, ihren Wissensdurst zu befriedigen.

***

Als der Edle von Hinterwald nach seinem Gespräch mit Rajodan gedankenverloren den Kiespfaden folgte, traf er auf seinen Knappen, wie er verliebt einem Mädchen nachschaute, welches gerade aus seinem Blickfeld verschwand. Zumindest eine Sorge weniger. Dafür eine andere mehr. Folcrad schien Erfolg bei Frauen zu haben und würde sicher viele Kinder zeugen. Er sah gut aus und würde sicherlich noch einen letzten Wachstumsschub erhalten, bevor er volljährig wurde. Leider war er dennoch keine `Gute Partie`. Sein Vater würde es zu nichts mehr bringen im Leben und sein Großvater besaß ein kleines Haus mit ein paar mickrigen Feldern in einem Dorf, dass nichtmal seines war. Der Ritter seufzte. Wenn die Götter und sein Baron es so wollten, dann musste er sich fügen. Aus Pflicht- und Ehrgefühl, aber auch für Folcrad. Und er musste ihm eine angesehene Stellung verschaffen, denn außer seinem Namen besaß er nichts. Hoffentlich machte der Junge keine Dummheiten, bis zur Schwertleite. Er legte seinen Arm um ihn und knuffte ihn in die Seite:”Na, hattest Du heute Spaß?” Folcrad schrak zusammen, denn er hatte seinen Schwertvater nicht kommen hören. Doch dann grinste er ihn an. “Ich denke schon. Aber eines ist seltsam. Ich bin gerade auf der Wiese dorthinten aufgewacht, kann mich aber nicht erinnern mich dort zum Schlafen hingelegt zu haben. Und die Baroness Luzia war auch dort und behauptete felsenfest, dass wir nicht da waren, als sie die Wiese betrat und ist dann plötzlich neben uns erwacht.” “Ach Junge, wo hast Du nur Deinen Kopf. Das wirst Du sicherlich geträumt haben. Komm, wir gehen uns jetzt frisch machen und dann zum Bankett.” Sie schlugen den Weg zu den Zelten ein, doch etwas nagte an Vitolds Geist, was sich bei all den anderen schweren Gedanken nicht durchsetzen konnte.

Als sie schon fast am Bankett angekommen waren passierten sie die junge Baroness von Keyserring, die sich gerade nahezu verschwörerisch ernst mit Lares von Mersingen unterhielt. Die kleine Basilissa, die Schwester der Baroness, hing an ihren Rockschößen und betrachtete die beiden (nahezu) Erwachsenen mit großen Augen.

“Guten Abend, Eure Wohlgeboren”, grüßte der Ritter,”wollt Ihr nicht am Bankett teilnehmen?” Er lächelte die Baroness und ihre Schwester an, dem Junker nickte er zu. Folcrad hielt sich im Rücken seines Schwertvaters und winkte den beiden Mädchen zu.

Luzia lächelte zurück und nickte den beiden zu, während die jüngere sich aufrichtete und sich leicht verbeugte. In der Welt der Älteren war sie die Tochter des Lehnsherren, in der Welt der jüngeren Keyserring aber, war sie eine Pagin, Folcrad ein Knappe und Vitold ein Ritter. Und damit stand sie weit unter ihnen im Rang.

“Nur nicht so gesprächig”, scherzte der Ritter, “man könnte glauben dies hier wäre ein konspiratives Treffen.” Folcrad nahm nun seinerseits Haltung an, merkte er doch den strengen, leicht abfälligen Blick des Mersingers auf sich ruhen.

“Guten Abend, die hohen Herrschaften. Wir sind ebenfalls auf dem Weg zum Bankett”, gab Lares zurück. “Wir hatten im Laufe des Tages nur kurz die Ehre, wenn ich mich recht entsinne. Ihr seid der Ritter von Baldurstolz und der junge Herr von Baldurstolz, richtig? Ihr dient beide dem Baron von Keyserring, so viel ich gehört habe. Es ist - irritierend - dass wir uns noch nicht anderweitig begegnet sind”, Lares fasste Lissa an der Schulter, “Wo wir doch gemeinsame Loyalitäten pflegen.”

“Das mag daran liegen, dass seine Hochgeboren mir nach dem Haffax - Feldzug, wo ich ihm treu zur Seite stand, die Ehre erwies ein Lehen anzuvertrauen. Mein erstes und einziges und ich war damit beschäftigt mich in die Amtsgeschäfte einzuarbeiten. Das wir uns bei Hofe nicht begegnet sind, wird dann wohl Zufall gewesen sein. Desweiteren zeugt es von Eurer Integrität, das Ihr Euch nicht nach dem Geschwätz der Hofschranzen richtet. Dort fällt mein Name diverse Male. Aber vielleicht wollt Ihr mir ein paar Fragen stellen, um mich besser kennen zu lernen.”

“Ihr erkennt zutreffend, dass ich auf Hofgewäsch nichts gebe. Aber ich hatte auch keine große Gelegenheit, mit Hofgewäsch belästigt zu werden, nachdem sich meine Pagin und ich auf dem Gut meines Vaters aufhielten, damit sie sich an das Leben außer Hause gewöhnt. Es hat ihr bisher nicht geschadet will ich meinen. Doch bin ich mir sicher, dass Ihr auch in der Lage seid, etwas über Euch zu erzählen, ohne dass ich Euch einer Interrogatio unterziehe. Wäre doch sehr schade, wenn das erforderlich wäre, meint ihr nicht?” Lares zog seine rechte Augenbraue hoch und versuchte sich an einem Lächeln, das mehr wie eine schiefe Fratze wirkte.

Der Anblick des Mersingers erinnerte ihn schon an einen Inquisitor, dennoch ging er auf das Spiel ein:”Also gut: mein Name lautet Vitold von Baldurstolz. Meine Eltern waren Salman und Wiborada von Baldurstolz. Meine Mutter starb bei meiner Geburt, mein Vater zwei Jahre später. Aufgewachsen bin ich bei meinem Onkel Maldoram, der mich auch zum Ritter ausbildete. Nach meiner Zeit als Heckenritter habe ich bei seiner Hochgeboren eine Anstellung gefunden und habe ihm stets treue Dienste geleistet. Als Dank für Maldorams Fürsorge habe ich seinen Enkel Folcrad zunächst als Pagen, später als Knappen angenommen. Ich zähle nun 30 Sommer, bin unverheiratet und habe noch keine Nachkommen. Ich habe zwei Cousins, Hrabanus und Godehard. Hrabanus dient dem göttlichen Raben. Godehard ist Maldorams Sohn. Seit kurzem wissen wir, dass meine, vor Jahren verschwundene Cousine Rondragard noch lebt. Wenn Ihr etwas über meine Integrität, Treue und mein Pflichtbewusstsein wissen wollt, solltet Ihr andere befragen.”

Lares nickte zufrieden. “Ausgezeichnet. Lares von Mersingen. Aus dem Hause von Mersingen älteres Haus. Meine Verwandtschaft aufzuzählen würde vermutlich den restlichen Abend in Anspruch nehmen. Ich hoffe, Ihr verzeiht mir. Nach meiner Knappschaft unter den Fittichen des Allwasservogts bin ich von seiner herzöglichen Hoheit vor einigen Monden zum Ritter geschlagen worden. Nunmehr kümmere ich mich um die Geschicke unseres Junkerguts und entlaste dabei meinen Vater. Ich bin der Erbe des Junkerguts zu Rosenhain. Und das”, er deutete auf Lissa, “ist, wie Ihr wisst, meine Pagin.”

Lissa nickte. Und Luzi wurde ein wenig rot. Sie dachte an den Antrag des anderen und an seine Idee. Einerseits verlockend… andererseits…. Wollte sie einen Mann, der sie nicht begehrte, der in anderen Betten schlief und sie bestenfalls respektierte? Was wäre mit Kindern?

Sie wollte sich jetzt darüber keine Gedanken machen, und doch würde sie irgendwann.. Sie seufzte leise. Und dann dieser Knappe- der plötzlich aufgetaucht war, aus dem Nichts. Ein Schauer lief ihr den Rücken herunter.

“Verzeiht, ich werde mich kurz einmal zurückziehen.” murmelte Luzia immer noch leicht rot im Gesicht. Sie nickte erst Vitold, dann Lares zu und strich Lissa einmal durchs Haar. Sie würde später kommen, sie wollte auf keinen Fall wieder der Ursprung von etwaigen Streitigkeiten werden. Sie würde sich besser postieren können, wenn weniger Plätze frei wären.

“Bis bald Baroness, ich werde Euch berichten, was der Baron entschieden hat”, gab der Mersinger ihr mit auf den Weg und sah ihr einen Moment nach, als sie ging. Die Röte im Gesicht der jungen Dame entging ihm nicht. Deshalb bedachte er Vitold mit einem skeptischen Blick. Er zog die Stirne kraus. Es war doch nicht so, dass...nein, sicherlich nicht. Der Ritter war doch viel zu alt, das sah man doch. Das würde er selbst auch erkannt haben.

“Wohlgeboren”, verabschiedete sich der Ritter und verbeugte sich. Sein Knappe tat es ihm gleich. Dann wandte er sich wieder Lares zu:”Schon gut, es gibt leider zuviele...Aufschneider. Ich schaue mir fremde Personen auch gerne genauer an. Insbesondere, wenn sie sich zu weit von ihrem praiosgegebenen Platz entfernen. Auch, wenn mein Herr dieser Art Hilfe nicht nötig hat. Doch ich kann verstehen, dass Ihr Eure Pagin vor solcherlei Volk beschützen wollt.”

“Nicht nur sie, hoher Herr von Baldurstolz. Schließlich wird sie lernen, dass es einmal unsere Aufgabe ist, alle Menschen vor denen zu schützen, die Praios Regeln mit Füßen treten.”

“Wohl gesprochen. War das auch der Grund für Euren eiligen Aufbruch heute Mittag?”

“Ihr seid ein Mann schneller Auffassungsgabe”, honorierte Lares den klugen Schluss. “Leider beherzigen nicht alle Teilnehmer dieser Festivitäten Eure und meine Worte. Im Gegenteil wird sich hier teils lasterhaft und unredlich verhalten.” Aus Lares sprach der Groll, sowohl sein Gesicht als auch seine Körperhaltung verrieten das tiefgreifende Ärgernis - und doch konnte er daraus keine Konsequenzen erwachsen lassen. Andesine hatte gesagt, sie wolle das nicht und ihren Wunsch würde er respektieren - müssen.

Sicherlich würde Lares auch ihn als unredlich und lasterhaft einstufen, wenn er wüsste, was er vorhin mit Luzia und später deren Vater besprochen hatte, oder wenn er wüsste, was der Ritter, und vor allem mit wem, in der Scheune getrieben hatte. “Aus der Sicht eines praiostreuen, redlichen Mannes habt Ihr Recht, doch bedenket, dass auch Rahja hier zugegen ist und die meisten der Gäste noch jung und unerfahren. Ihr Übermut lässt sie ihren Gefühlen nachgehen und die Regeln vergessen. Vermutlich wissen sie gar nicht, dass für den Einen oder die Andere mehr auf dem Spiel steht. Haltet es wie die gütige Herrin Travia und wacht über die Anderen, seid gnädig und gütig, wenn sie ein wenig aus der Rolle fallen. Ein wenig Freude schadet nicht. Sollte aber jemand über die Stränge schlagen, so zögert nicht ihnen ihren Fehltritt vorzuhalten, damit sie erkennen und lernen können. Strafe jedoch, steht Euch nicht zu, denn es ist nicht Euer Fest.” Vitold lächelte, verstand er das eben gesagte doch als Rat und nicht als Tadel.

Mit dem letzten Satz hatte Vitold nicht unrecht und doch stieß er damit bei Lares auf taube Ohren. “Problematisch hoher Herr ist es im Besonderen, wenn gewisse Personen nicht nur einmal fehlgehen, sondern ihren Fehltritt in kurzer Frist wiederholen, obschon man sie zuvor darauf hingewiesen hat. Das verrät eine böswillige Einstellung. Das kann man nicht mehr wallendem Blute zuschreiben.”

“Das klingt ganz so, als ob Ihr da jemanden bestimmten im Auge hättet. Was ist denn konkret vorgefallen?”

“Ich denke, es ist inadäquat solch delikate Fragen hinter dem Rücken des Betroffenen zu besprechen. Noch hatte ich keine Gelegenheit, ihn mit seinem neuerlichen Fehltritt zu konfrontieren, sodass ich es unangebracht fände, Euch gegenüber Namen zu nennen. Ich hoffe, Ihr versteht? Der Herr PRAios schätzt auch das Recht auf Gehör der anderen Seite, auf das faire Urteile fallen”, antwortete Lares reserviert. Zu gerne hätte er Linnart wie eine reife Zitrone vor aller Augen ausgepresst, aber das war ihm ja untersagt.

“Da habt Ihr gewiss recht. Ich wollte Euch nur meinen Rat anbieten, ganz ohne Namen zu erfahren.”

“Und was wollt Ihr mir raten?”

“Das käme ja auf den konkreten Vorfall an. Aber ich werde Eure Diskretion respektieren. Und seid Euch gewiss, es gereicht Euch zur Ehre.”

Lares nickte. “Ich denke, wir sollten Platz nehmen”, deutete er mit offener Hand zu Tisch.

Vitold nickte und nahm Platz:”Also, worum geht es?”

“Um den despektierlichen Umgang mit hohen Damen und mangelnde Treue.”

“Mmmmmmh, beides ein Zeichen von Charakterschwäche, wobei ich den Mangel an Treue für schwerwiegender halte, denn man müsste sich fragen, ob die Person in anderen Beziehungen fähig ist treu zu sein und zu bleiben, zum Beispiel gegenüber dem Lehnsherrn oder gar den Zwölfen. Da Euch der Herr Praios sehr wichtig ist, und dem Götterfürsten die Treue, kann ich Euch nur raten, mit dieser Person das Gespräch zu suchen. Sollte sie unbelehrbar und uneinsichtig sein, dann prüft, ob Eure Zweifel an der Treue der Person berechtigt sind und teilt Eure Ergebnisse mit dem entsprechenden Lehnsherrn. Die praiosgefällige Ordnung muss gewahrt werden.”

“Das Gespräch habe ich bereits gesucht - wir sind bereits im Stadium der Unbelehrbarkeit angekommen. Aber ja, Ihr habt Recht. Dieser Missbrauch von Vertrauen ist so schwerwiegend, dass auch andere ein Interesse daran haben könnten, davon zu erfahren. Ich werde es mir merken und beizeiten dessen Lehensherren informieren.”

“Nun, dann sollte das Problem zumindest für heute doch geklärt sein. Oder gibt es da noch etwas, was Euch auf dem Herzen liegt?”

“Nein, ich denke nicht”, erwiderte Lares, “und Euch?”

“Ich denke nicht, nein. Aber vielen Dank für Euer Angebot”, lächelte der Baldurstolzer.

***

Mit Lucasta am Arm und Roklan neben sich traf Tar’anam Thalissa an, als diese sich gerade vom Park kommend in Richtung Bankett orientierte. Ihr suchender Blick galt eigentlich Melisande, fiel dann aber auf Tar’anam und dessen Begleitung. Überrascht hob sie die Augenbrauen und blieb stehen.

“Hochgeboren”, begrüßte sie der Edle von Hottenbusch ganz ungewohnt förmlich, als er herangekommen war. “Darf ich Euch meine Verlobte Lucasta von Leihenhof vorstellen? Der Baron von Galebquell hat bereits sein EInverständnis gegeben.” Der Tonfall seiner Stimme unterschied sich in Nichts von sonstigen Gelegenheiten: ruhig, leise, unaufdringlich, emotionslos.

Solcherart überrumpelt riss Thalissa die Augen weit auf, das überstieg dann doch ihre höfische Selbstbeherrschung. Sie öffnete den Mund, war sich im gleichen Moment bewusst, dass diesen jetzt nur Unsinn verlassen würde, und schloss ihn wieder. Ihr kleiner Scherz vom Nachmittag schien nun wider jegliches Erwarten völlig ungeahnte Konsequenzen nach sich zu ziehen.

“Zwar benötige ich nicht Euer Einverständnis”, sprang Tar’anam hilfreich ein, um die peinliche Stille zu überbrücken, “aber ich hätte gerne Euren Segen.”

Mühsam hatte Thalissa sich wieder gefangen. Was nicht hieß, dass sie diese Wendung der Dinge schon bewusst verarbeitet hatte. Aber eines war gewiss: sie würde Tar’anam bei seinem Glück nicht im Weg stehen. Wenn jemand dies verdient hatte, dann er, der seit mittlerweile fast fünfzehn Götterläufen im Dienste der Baroninnen von Rickenhausen stand und niemals seine Pflichten vernachlässigt hatte.

EIn zwar etwas verkniffenes, aber dennoch ehrlich gemeintes Lächeln breitete sich auf Thalissas Zügen aus. “Dann sollst du meinen Segen haben, Tar’anam sin Corsacca”, antwortete sie herzlich und schoss die höfische Etikette in den Wind, als sie den alten Krieger umarmte, wenn auch nur kurz. Dann trat sie zurück und sah sich das junge Ding an seiner Seite erstmals genauer an. Fast noch ein Kind, schoss es ihr unwillkürlich durch den Kopf. Aber wie entschlossen sie aussieht. Nun gut, dann soll es so sein. “Und auch Euch gebe ich meinen Segen, Lucasta von Leihenhof. Möget ihr beide das Glück, das ihr nun gefunden habt, auf ewig bewahren.”

Zu Roklan gewandt fügte die Baronin hinzu: “Und wir müssen darauf noch einen Schluck trinken, meint Ihr nicht, Hochgeboren?”

Mit einem bestimmten Blick ließ er Lucasta wissen, dass er jetzt mit der Baronin alleine sein wollte. Einen trotzigen Moment schaute diese zurück, ergriff wieder den Arm ihres Verlobten und entfernte sich.

Roklan ließ sich zwei Kelche reichen und übergab einen der Baronin. “Auf die Bündnisse!” erhob er seinen und Prostete Thalissa zu.

Dieses Bündnis war zwar auf sehr überraschende Weise zustandegekommen, aber wenn Thalissa es recht bedachte, war es nicht die schlechteste Fügung. Die Leihenhofer waren weit verzweigt und gut vernetzt, eine solche Verbindung konnte ihr nur zum Vorteil gereichen. Also nahm sie den Kelch aus Roklans Hand und prostete zurück. “Auf unser Bündnis!” präzisierte sie mit einem hintergründigen Lächeln.

***

Hand in Hand schlenderten Elvrun und Nivard gerade gemächlich in Richtung der großen Festtafel. Richtig groß war der Hunger des jungen Kriegers gar nicht, obgleich er heute weder besonders üppig gefrühstückt hatte noch über den Tag hinweg allzu viel zu sich genommen hatte. Aber zuerst hatte ihm die Aufregung auf den Appetit geschlagen, dann hatte er einen Schlag in die Magengrube zu verdauen, und schließlich durfte er erfahren, dass es sich von Luft und Liebe sowie etwas Käse vortrefflich leben ließ. Soviel war geschehen heute - es war einer jener Tage, die mehr wogen als manche Jahre…

Und obgleich noch gar nicht so viele Stunden vergangen waren seit jenem schicksalshaften Moment nach der Vorstellungsrunde, kam es Nivard ein wenig so vor, als würde er in die Vergangenheit gerissen, als er jäh Rondradin einige Schritt neben ihrem Weg stehen sah. Just in diesem Moment kreuzten sich auch ihre Blicke.

Für einen Moment blieb Nivard wie angewurzelt stehen. Elvrun sah ihn fragend an. Er deutete mit dem Kopf in die Richtung des Rondra-Geweihten: “Da vorne ist Rondradin von Wasserthal. Ich glaube, ich habe noch etwas mit ihm… auszuräumen. Magst Du mit zu ihm rüberkommen, Liebste?”

Seit ihrem Zusammentreffen vor dem Parktor hatten Nivard und Rondradin kein Wort mehr miteinander gewechselt und die Schuldgefühle, die der Geweihte wegen ihres letzten Aufeinandertreffens in sich trug, kamen geballt in dem Moment wieder hoch, da sich ihre Blicke trafen. Allein schon für Gelda musste er das Gespräch mit dem Krieger suchen. So nahm sich Rondradin ein Herz und ging Nivard und der Travia-Novizin entgegen. Er deutete eine Verbeugung an, bevor er sein Wort an an die beiden richtete. “Travia mit euch. Wie ich höre, sind Glückwünsche angebracht.” Ein ehrliches Lächeln begleitete diese Einleitung. “Dürfte ich kurz etwas von eurer Zeit in Anspruch nehmen?” Der Geweihte wirkte gerade wie jemand, dem eine Last auf dem Herzen lag.

“Travia sei auch mit Euch, Rondradin!” Nivard blickte lächelnd zu Elvrun. “Ja, dank des Wirkens der gütigen Mutter hat dieser Tag eine glückliche Wendung genommen.” Sein Gesicht wurde aber direkt wieder ernst, als er sich zurück zu Rondradin wandte. “Auch mir ist es ein Anliegen, mit Euch zu sprechen. Ich…” sein Stocken verriet seine Unsicherheit. “Es…, ich meine, Rondradin,ich möchte Euch und Gelda…“ druckste er weiter herum, “für vorhin um Entschuldigung bitten.” kam es endlich über seine Lippen.

Der Geweihte schüttelte den Kopf. “Ihr müsst Euch nicht entschuldigen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, was Ihr in diesem Moment gedacht haben müsst. Kurz zuvor hatte ich auch noch so empfunden, deswegen war ich auch am Tor.” Nochmals schüttelte Rondradin den Kopf. “Nein, ich will mich vielmehr bei Euch für den Schmerz, den ich Euch zufügte, entschuldigen. Und solltet Ihr es wünschen, so würde ich Euch natürlich Rede und Antwort stehen. Wenn auch nicht aufs Dritte.”

Nun war es am jungen Krieger, sein Haupt zu schütteln. “Ihr seid mir, ebenso wie Gelda, keine Entschuldigung und auch nicht Rede und Antwort schuldig. Gelda hatte Recht, als sie sagte, dass Rahja entschieden habe. Ich konnte und wollte es zunächst nicht einsehen, doch wenn ich ehrlich zu mir bin, hätte ich viel eher bereits die Zeichen erkennen müssen, dass die Liebholde andere Pläne mit uns hatte als die, die ich mir bis zu diesem Tage ausgemalt hatte. Erst hier und heute haben Rahja und Travia mir gemeinsam Augen und Herz geöffnet, zu erkennen, zu wem ich wirklich gehöre. Ich hoffe, dass mein anfangs harter Weg dorthin Euch nicht den Tag Eures gefundenen Glückes verdorben hat!” In diesem Moment fiel Nivard wieder ein, dass Rondradin eigentlich ja mit Ravena von Rabenstein verlobt war. “Ihr habt doch zueinander gefunden, oder?”

Rondradin wirkte, als sei ihm eine große Last von den Schultern gefallen. Ein befreites Lächeln lag auf seinen Zügen. “Ja, wir haben zueinander gefunden. Auch mich haben diese beiden augenscheinlich so gegensätzlichen Göttinnen die Wahrheit erkennen lassen. Wie sollte ich mit jemanden glücklich werden und noch wichtiger, sie glücklich machen, wenn mein Herz doch einer anderen gehörte. Ich hatte mir seit Nilsitz etwas vorgemacht und daran geglaubt, bis mir heute die Wahrheit vor Augen geführt wurde.” Die Erinnerung an den empfunden Schmerz ließ Rondradin schwer schlucken. Er sah zu Elvrun hinüber und bezog sie so in das Gespräch mit ein. “Ich wünsche Euch beiden alles Glück Deres. Und ich bin mir sicher, auch Gelda empfindet so.” Ein nachdenklicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. “Ich glaube, es würde Gelda freuen, wenn ihr beide auch mit ihr sprechen würdet.”

“Das wünsche ich Euch beiden auch, von ganzem Herzen!” entgegnete Nivard die guten Worte Rondradins, und klopfte diesem dabei, etwas zaghaft zwar, zur Bestätigung an den Oberarm. Auch ihm war die Erleichterung anzusehen. “Ich hoffe, dass die Freundschaft, die in Nilsitz entstanden war, nach dem reinigenden Gewitter heute - in vergrößertem Kreis - fortbesteht.” Seine Augen suchten die Elvruns, deren Hand er sanft drückte. Dann blickte er wieder zu Rondradin: “Wollen wir uns am Bankett zusammensetzen?”

“Sehr gerne! Doratrava wird sich sicherlich freuen, uns alle gemeinsam zu sehen. Außerdem habt ihr so die Möglichkeit meine Schwester und meine Base kennenzulernen.” Gemeinsam am Tisch zu sitzen würde auch Gelda gut gefallen, dachte Rondradin. Der Rondrianer erwiderte die Geste des Kriegers und bot ihm dann seine Hand. “Es würde mich freuen, wenn unsere damals geschlossene Freundschaft weiter wachsen würde.”

“Das wird sie sicher, und die Freude darüber wird auch die meine sein!” ergriff Nivard fest die Hand Rondradins.


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