Götterspiele

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Kapitelprolog

Die Wölkchen am Himmel waren verschwunden und zeigten einen klaren, blauen Himmel. Noch immer war es heiß, doch nicht zu vergleichen mit der vergangenen Mittagshitze. Von fernen sangen die Vögel und die Festwiese war nun hergerichtet. Drei zwei Schritt hohe Stäbe waren in den Boden gerammt worden, die in den Farben Goldgelb, Rot und Orange angestrichen und an deren Enden Wimpel angebracht waren. Klar sind darauf die heiligen Symbole für die Götter Praios, Rahja und Travia zu erkennen. Vor jedem Stab wurden ein Tisch aufgestellt, auf denen die drei Geweihten Dinge gestellt hatten. Vor kurzem kam auch ein vierter, weiß angestrichener, Stab dazu. Diesmal war es der Praiosgeweihte Ademar von Leihenhof der seine Stimme erhob:

“Liebe Gäste, ich bitte um Aufmerksamkeit und versammelt euch.”

Nach kurzen Warten, bis die Leute sich eingefunden hatte, sprach er weiter:

“Dem Wunsch der Familie von Altenberg zu Folge, stellen wir diese Brautschau unter den Segen der Götter. Wichtig ist es, einen Partner für den Bund der Ehe gut einzuschätzen und kennen zu lernen. Auch die Götter geben uns Hinweise in unseren Leben, doch nicht jeder Hinweis oder Zeichen ist für jeden klar und verständlich. Ich selbst war ein Auserwählter des Götterfürsten Praios, der durch mich die Verkündung durch hundert Zungen sprach. Erst seit diesem Tag an habe ich verstanden, dass die Götter auch ohne Worte und durch kleine Hinweise zu uns sprechen. Wir Diener der Götter sind heute hier, um euch dabei zu helfen, diese kleinen Zeichen zu verstehen, auf das ihr die Möglichkeit habt, den oder die Richtige heute zu finden. Ich bitte nun jeden die Gottheit auszuwählen, von der er denkt sie würde ihm am ehesten helfen in diesen Belangen oder folgt der Person für die ihr euch interessiert. Wir werden euch dann eine Aufgabe stellen, auf das ein jeder schaut wie diese gemeistert wird und möge euch dadurch mehr Antwort als Frage bleiben. Falls dann noch jemand Rat braucht, sind wir natürlich alle für euch da. Im Namen des Herrn Praios, der Mutter Travia und der Göttin Rahja heiße ich die Spiele als eröffnet!” Ein Räuspern Rahjels erinnerte ihn noch an etwas. “Oh … und der Herrin Rondra.” Er faltete die Hände zusammen und ging zu seinem Tisch.


Die Baronin von Rickenhausen hatte ihre Zofe damit beauftragt, ein Auge auf Milian von Altenberg zu haben. Also war Melisande zu den Tischen für die Götterspiele geschlendert, um sich nach dem edlen Herrn umzusehen, doch dieser war noch nicht aufgetaucht. So beobachtete sie das Treiben also betont unbeteiligt aus ein paar Schritt Entfernung und wartete, wobei sie die Eindrücke, die hier geboten wurden, durchaus neugierig zur Kenntnis nahm.

Am Tisch des Götterfürsten

Der Luminifer Ademar von Leihenhof stellte sich hinter einem Tisch, das mit einer Tischdecke, rot mit goldener Borte, bestückt war. Ein Stapel Bücher war darauf abgelegt ,dass er nun Buch für Buch vor sich ausbreitete. Mit abwesendem Blick sprach er mit sich selbst, während die Gäste sich vor dem Tisch versammelten.


Lares von Mersingen musste keinen Augenblick überlegen, welchem Tisch er den Vorzug geben würde. Nicht nur hatte Ademar ihm gut zugesprochen, schließlich war des Herren Licht der Erkenntnis das, was er am Meisten brauchen würde. Und seiner Pagin würde die ein oder andere Ermahnung in Sachen Ehrlichkeit nicht schaden. Mit ein wenig nagender Sorge dachte er an das Gespräch, das sie und er nach der Feierlichkeit würden führen müssen. Der Ritter trat an den Tisch heran und besah sich die dicken Wälzer - in denen er schon immer zuhause war. Auch Lissa sollte einen Blick auf die Werke werfen können. “Kannst du sehen?” fragte er sie leise.

Die Kleine nickte, stand aber auf ihren Zehenspitzen, um einen einigermassen ausreichenden Blick zu erhaschen. “Es geht schon.” Was waren das für Werke. Sie hatte den Unterricht bei ihrer Tante nie gemocht. All die Bücher und all die Worte. Ein Seufzen kam über ihre Lippen, dann flüsterte sie halblaut zu ihrem Schwertvater: “Muss mal all diese Bücher lesen, wenn man heiraten will?”

Lares konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. “Wollen wir Vater Ademar fragen? Ich bin mir sicher, er wird uns das sagen können. Habe ich dir eigentlich erzählt, dass wir uns kennen? Ich habe bei Vater Ademar Recht studiert. Er war ein wohlmeinender Lehrmeister.” Erneut hatte der Mersinger nicht gelogen, doch ob die Zuschreibung die ganze Wahrheit war? “Euer Gnaden, darf ich Euch meine Pagin Basilissa von Keyserring vorstellen? Sie wollte erfahren, wozu die ganzen Bücher dienen.”

Der Geweihte holte sich aus seinen Gedanken zurück. “Oh, sehr erfreut, parva Scintilla! Diese Bücher hier beinhalten die Weisheit des himmlischen Richters, dass sind alles Gesetzesbücher. Aber habt Geduld. Ich werde gleich alles erklären.” Er lächelte, wirkte aber ein wenig … entrückt.

“Jaja. Geduld war auch eine Tugend, die Vater Ademar versuchte, mir zu lehren. Ich fürchte, da trugen seine Unterweisungen nicht reifliche Früchte.”

Ein leicht verzogenes Schnütchen zeigte sich auf den Zügen des Kindes. “Gesetzesbücher?” Sie verstand nun wirklich nicht, was ausgerechnet die mit der Ehe zu tun hatten. Womöglich weil beides genauso langweilig wie das jeweils andere war? Hm. Vermutlich nicht. Offensichtlich wenig beeindruckt von dem Aufruf nach Geduld fragte sie Lares leise: “Ist es, weil beide so schwierig zu verstehen sind? Die Ehe und die Gesetzesbücher?”

Da musste der junge Mersinger aus tiefster Seele lachen. Es war ein kehliges, herzliches Lachen, das nicht etwa die Kleine auslachte, sondern ansteckte. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, prustete er heraus: “Also ich für meinen Teil finde Gesetzbücher wunderbar verständlich. Was das andere betrifft… wenn mir der Herr PRAios die gleichen Einsichten in die Herzen der Frauen schenken würde, dann schwöre ich feierlich, ziehen wir beide auf eine Pilgerreise nach Drol oder wohin immer der Höchste es wünscht!”

“Ist Drol weit weg?” fragte das Kind neugierig. “Hmm”, nickte er im Gegenzug. Machte dann aber eine kleine Pause: “Warum wollt ihr denn eine Einsicht in ihre Herzen? Gebt ihr ihnen denn eine in eures?” Es folgte wieder eine Pause: “Sollte man das tun? Ich meine…immer? Und der Herr Praios… verlangt er, dass wir immer alles offenbaren, was wir hier.” Und sie tippte auf ihr Herz, wie es Andesine im Küchenzelt gemacht hatte. “Spüren?”

“Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass du ein Talent dafür hast, die richtigen Fragen zu stellen?” Das meinte Lares genauso, wie er es sagte. Seine Pagin würde sicherlich eine tolle Ermittlerin oder Inquisitorin werden. Vielleicht sollte er irgendwann ihren Vater darum bitten, sie in der Knappschaft doch nicht in seine, sondern in Obhut des Ordens vom Bannstrahl zu geben. Aber bis dahin müsste er noch ihre Begeisterung für Gesetzestexte wecken. “Nein, nicht immer. Er verlangt von uns, aufrichtig und aufrecht zu sein, doch nicht, uns vor allen nackt zu machen und jeden Gedanken zu entblößen. Zu Ordnung und Anstand gehört nämlich auch ein wenig Privatheit. Und doch, manchmal wünschte ich mir, ich wüsste, was andere Menschen fühlen. Dadurch würde mancher Streit vermieden, manche Schlacht nicht geschlagen und manche Freundschaft begründet. Und bei den Frauen natürlich, da muss ich gestehen, da habe ich es einfach etwas schwerer, sie zu verstehen. Ich will ja niemanden verletzen, der es nicht verdient hat, verstehst du. Das wäre ja ungerecht! Verstehst du mein Problem?”

Das Kind dachte kurz nach: “Also…. wenn ich mich kurz über Luzi ärgere… und ich es nicht sage, verraucht meine Wut auf sie wieder, ohne dass es ihr wehtut… Aber … wenn ich mich wirklich sehr über Luzi ärgere… und sie es nicht merkt und meine Wut bleibt… dann soll ich es ihr lieber sagen, damit wir uns vertragen können?” irritiert sah sie Lares an: “Wie kann ich das denn unterscheiden? Wenn ich wütend auf jemanden bin, weiss ich doch zuerst noch nicht wie lange?”

“Ich finde, du hast das schon sehr gut auf den Punkt gebracht. Es ist manchmal schwer, den Unterschied zu erkennen. Wenn du dir denkst, jetzt bin ich wütend, dann ist es gut, erst einmal abzuwarten. Wenn der Zorn nicht vergeht, dann solltest du mit Luzia sprechen. Ich hoffe nur, dass du nicht nur böse auf deine Schwester bist - die hat das nämlich nicht verdient. Sie ist ein guter Mensch, glaube ich”, sagte der Mersinger und war zufrieden, wie schnell seine Pagin seinen Gedanken folgte.

“Ich bin ja gerade gar nicht wütend auf sie. Aber ich war schon mal wütend auf sie.” sagte die Kleine. Und schaute zu Boden. “Es war nur ein Beispiel.”

“Das habe ich verstanden. Du hast ein sehr treffendes Beispiel gemacht. Du hast einen wachen Geist. Schauen wir mal, was Vater Ademar für uns vorbereitet hat. Vielleicht bringt dich das auch auf so kluge Ideen!” Das Lob kam von Herzen. Lares hatte den Eindruck, seine Pagin zu häufig zu ermahnen. Dabei war sie schon auf einem guten Weg.


Linnart vom Traurigen Stein blickte kurz etwas wehmütig hinüber zum Traviatisch. Für einen Moment hätte er sich gewünscht, dass Andesine sich auch hier auf dem Tisch des Götterfürsten einfinden würde, doch standen in diesem Moment die Götter und deren Diener an oberster Stelle. Der Bannstrahler grüßte alle Anwesenden lächelnd, wobei sein Blick besonders lang auf Durinja von Altenberg zu liegen schien. Auch der junge Herr von Mersingen war anwesend, was ihn freute und vielleicht die Möglichkeit zu einem Gespräch eröffnete.

Unsicher wo sie sich eigentlich hinbegeben sollte, hatte Andesine von Wasserthal Travia gewählt. Natürlich wäre auch Rondra eine Möglichkeit gewesen, aber unter den Augen ihres Bruders? Auf gar keinen Fall! Aber dann suchte sie in der Menge eine ganz bestimmte Person. Sie vermisste ihn, dabei war es ihr Vorschlag gewesen bis zum Spaziergang getrennte Wege zu gehen. Aber da war er, Linnart und sie konnte gerade sehen wie er sich wehmütig wieder abwandte. Kurzentschlossen verließ sie den Travia-Tisch und kam herüber. Andesine stellte sich neben Linnart und betrachtete die Bücher. “Was es wohl damit auf sich hat? Was meint Ihr, mein Hoher Herr vom Traurigen Stein?”

Den Bannstrahler traf die Anrede der Wasserthalerin unvorbereitet, dennoch fing er sich schnell. "Hmm ...", brummte er säuselnd, "... das ist eine gute Frage, hohe Dame. Wollt Ihr Euch nicht zu uns gesellen, damit wir es gemeinsam herausfinden?"

“Es wäre mir eine Freude.” Mit einem breiten Lächeln rückte sie näher an Linnart heran. Dabei entdeckte sie Lares und Lissa. “So sieht man sich wieder. Das neue Kleid steht dir sehr gut, Basilissa.”

“Danke.” Verschämt sah sie zu Boden. Dann knickste sie in Richtung des Bannstrahlers: “Praios zum Gruße, hoher Herr, mein Name ist Basilissa von Keyserring. Und dies ist mein Schwertvater, der hohe Herr Lares von Mersingen.” plapperte sie Linnart entgegen, um zu verhindern, dass Andesine ihr unangenehme Fragen stellen würde. Sie schielte zu Lares, ob sie die Vorstellung dieses Mal richtig gemacht hatte. Der drückte kurz ihre Hand und nickte freundlich. Das hatte wohl Früchte getragen.

Der Ritter nickte der Pagin freundlich zu. ´Was für ein wohlerzogenes Mädchen ...´, dachte er bei sich. "Praios zum Gruße, junge Dame ...", erwiderte Linnart ihren Gruß, "... der Herr von Mersingen und ich sind uns schon bekannt. Auch wenn wir es zuvor verabsäumt hatten uns namentlich vorzustellen." Kurz schien es als würde ein Schmunzeln über die Lippen des Bannstrahlers huschen. Dann streckte er ihm die Hand zum Gruß hin. "Linnart vom Traurigen Stein. Es ist mir eine Freude, hoher Herr."

Einen kurzen Moment musterte Lares die dargebotene Hand und blickte dem Bannstrahler in die Augen. Dann warf er einen Blick auf Andesine, die sich in Gegenwart des Rüpels nicht unwohl zu fühlen schien. “Die Freude ist ganz meinerseits. PRAios zum Gruße, Herr vom Traurigen Stein. Ich hoffte, wir hätten uns auf anderem Wege kennen gelernt. Aber wie ich sehe sind alle ‘Missverständnisse’ ausgeräumt. Etwas anderes hätte ich einem treuen Ritter vom Bannstrahl auch nicht zugetraut. Dass Ihr an den Tisch kommen würdet, damit hatte ich fest gerechnet, aber ich freue mich, auch dich hier wiederzusehen Andesine. Das mit dem Kleid haben wir schon ganz gut hingekriegt, wir zwei, aber dir habe ich es zu verdanken, dass Basilissa guten Gewissens unter die Augen unseres strahlenden Herrn treten kann und das kann ich wohl kaum wiedergutmachen.” Mit gut verborgener Spannung erwartete der junge Mersinger die Reaktion Linnarts auf seinen vertraulichen Ton. Vielleicht konnte er ihn etwas eifersüchtig machen? Geschähe ihm Recht.

Doch schien dem nicht zu sein. Der Ritter vom Orden des Bannstrahls nickte dem Mersinger lächelnd zu, dann war seine Aufmerksamkeit vom Gespräch zwischen Andesine und Lissa eingenommen.

Lissa verstand nicht recht, was ihr Schwertvater meinte. Daher runzelte sie die glatte Kinderstirn und sah mit zusammengekniffenen Augen zwischen Linnart und Andesine hin und her.

Bei den Worten begann die Ritterin zu strahlen. “Das habe ich gerne gemacht, Lares. Wenn es Basilissa gut geht, ist mir das Lohn genug.” Sie trat näher an Lissa heran und kniete sich vor ihr hin. “Siehst du da drüben den Rondra-Geweihten stehen? Das ist mein Bruder von dem ich dir erzählt habe. Wenn du willst, kann ich dich ihm später vorstellen.” Sie sah zu Lares auf. “Wenn dein Schwertvater dem zustimmt, natürlich.” Es freute sie, dass Basilissa ihrem Rat gefolgt war und Lares davon erzählt hatte.

Sie zuckte mit den Achseln. Sie wusste nicht recht, was sie mit dem Rondrageweihten besprechen sollte. Er würde ihr sicher nur raten, sich zusammen zu reissen. Das … wollte sie ja. Doch es war schwierig. Die dunklen Kinderaugen sahen zu Lares hinauf- interessiert, was er von der Idee hielt.

Scheinbar hatte Lissa nicht ganz verstanden, was sie gemeint hatte. Unauffällig tippte sie sich mit zwei Fingern auf die Brust, etwa in Höhe des Herzens.

Die Kleine nickte. Sie hatte zwar verstanden, war aber immer noch unsicher, ob ein Rondrageweihter ihr helfen konnte. Aber immerhin war Andesine eine echte Ritterin. Und daher musste sie wohl die Welt besser kennen als sie selbst: “Hoher Herr, ähm, die hohe Dame dachte, es könne helfen, wenn ich mich… mit ihrem Herrn Bruder unterhielte.” fragend sah sie Lares an.

“Und ich bin der letzte, der dich daran hindern wird”, sagte der Mersinger nonchalant. “Natürlich. Andesines Rat ist wertvoll. Da kann der Rat ihres Bruders im Namen der Sturmleuin sicherlich nicht zurückstehen. Ich muss gestehen, dass auch ich gerne Bekanntschaft mit deinem Bruder machen würde, Andesine.”

"Ich stelle ihn euch gerne vor." Sie sah hinüber zu ihrem Bruder, der gerade in ein Gespräch mit Thankred von Trollpforz und Sabea von Altenberg vertieft war. Es war der Geweihte, mit dem Lares schon früher am Tag zu tun hatte.

Linnart verfolgte die Konversation Andesines mit der jungen Pagin schmal lächelnd. Er mochte ihren liebevollen Umgang mit der jungen Dame. Die Wasserthalerin war ein guter und frommer Mensch. Dann wandte er sich wieder dem Mersinger zu. Eifersucht, dass Lares und die Ritterin sich allem Anschein nach schon besser kennen gelernt hatten, empfand er nicht. Es war nie seine Art gewesen eifersüchtig zu sein. Sein Vater meinte immer, dass Eifersucht bloß eine Manifestation von Angst sei, dass ein anderer Partner besser für seine Geliebte geeignet wäre als er selbst - ein Gedanke, der sowieso nicht in sein selbstbewusstes Wesen passte. “Eure Pagin macht Euch alle Ehre, hoher Herr. Ich habe selten eine so wohlerzogene junge Dame treffen dürfen.”

Wohlerzogen? So hatte sie noch nie jemand genannt. Lissa zog ein breites Grinsen und sah zu Lares hoch.

Der wiederum lächelte stolz zurück und tätschelte anerkennend ihre Schulter. Heute benahm sie sich wirklich (weitestgehend) vorbildlich und mit jeder Stunde machte sie Fortschritte. Vergessen war das kleine Missgeschick mit dem Bierfass. Tatsächlich rührte das Kompliment des Ritters den jungen Mersinger ein wenig - was seine Meinung von dem Bannstrahler unerwartet hob. “Ich danke Euch, aber das Kompliment gebührt nicht mir, sondern ihr. Sie beträgt sich heute erfreulich, sodass ich stolz auf sie sein kann - und ihr Vater sicherlich auch. Aber ich danke Euch. Ein Kompliment sagt immer auch etwas über denjenigen aus, der komplementiert. Sagt, wie ist es beim Orden vom Bannstrahl? Nehmt ihr Pagen in Euren Reihen auf? Dass die Knappschaft auch im Lichte des Herrn abgeleistet werden kann, das ist mir bewusst, aber ich kann mich nicht entsinnen, bereits einen Pagen des Bannstrahls angetroffen zu haben. Habt Ihr auch schon einen jungen Herrn oder eine junge Dame ausgebildet?”

Der Angesprochene schüttelte seinen Kopf. "Grundsätzlich steht es einem jeden Mitglied des Ordens vom Bannstrahl ab dem Rang eines Ritters zu, neue Mitglieder anzuwerben und auszubilden, doch wird das Prozedere von Niederlassung zu Niederlassung unterschiedlich gehandelt. Im Kloster St. Aldec ist der Knappenmeister, Bruder Praioswulfus von Altzack, für die Ausbildung der jungen Zöglinge verantwortlich. Dennoch wurde ich schon das eine oder andere Mal von einem unserer jungen Mitglieder begleitet. So auch vor wenigen Monden, als es mich und meine Lanze für längere Zeit in Nordgratenfels hielt." Linnart dachte kurz an die junge Hexe Vea, die den Zorn eines ganzen Dorfes auf sich lud, der sich dann soweit steigerte, dass ein örtlicher Tempel des Gleißenden nach den Ordensrittern geschickt hatte. "Aber um auf Eure Frage zurückzukommen. Ja, die Ausbildung in unserem Orden kann man schon im Paginnenalter beginnen. Meist indem man niedere Dienste innerhalb der Ordenseinrichtung übernimmt und, neben den theologischen Studien, im Lesen und Schreiben, Bosparano, sowie der Rechts- und Magiekunde unterwiesen wird. Dennoch würde ich meinen, dass der Begriff ´Page´ in unserem Fall nicht ganz passend ist." Der Ritter blickte kurz auf Basilissa. "Den Knappenrang hat man im übrigen so lange inne, bis man eine große Tat im Sinne der Ordensregeln verbringt. Bei mir war es damals ein sechs Monde langer Dienst in Beilunk, wo mir die Ehre zu Teil wurde unter der Fürst-Illuminierten Gwidûhenna von Faldahon dienen zu dürfen, die ja selbst einmal Angehörige unseres Ordens war." Linnart lächelte. Es war offensichtlich, dass er sich gerne an jene Zeit zurückerinnerte. "Ihr seid ein frommer Mann wie ich meine. Vielleicht stellt sich für Euch ja ebenfalls einmal die Frage eines Eurer Kinder unserer Gemeinschaft zu überantworten?" Lares wog den Kopf hin und her. “Ihr wisst, dass in unserer alten Familie wichtige Entscheidungen, besonders hinsichtlich des Schicksals unserer Kinder, selten allein getroffen werden. Ich kann mir das allerdings sehr wohl vorstellen - was sollte auch ehrenvoller sein, als dem Herrn des Lichts im Kampf an vorderster Front zu dienen?” Das Lächeln des Bannstrahlers wurde charmanter. "Wie gefällt Euch die Feier hier? Habt Ihr schon eine Favoritin gefunden?", wechselte er dann das Thema. "Ich hoffe ja doch, dass ich Euch nicht als Rivalen betrachten muss?"

“Das kommt ganz darauf an, welche Dame Eure Favoritin ist. Wenn mich meine Beobachtungsgabe nicht täuscht, dann …” Er machte eine wohlgesetzte, leicht süffisante Pause und blickte demonstrativ von Andesine zu Durinja “...kann das schon sein. Wir wollen den Tag ja schließlich nicht vor dem Abend loben. Gönnen wir der PRAiosscheibe doch noch, etwas über das Firmament zu wandern. Bekanntlich hat der Herr PHex auch noch ein Wörtchen mitzureden, wo das Licht des Herrn hinscheint.” Lares von Mersingen zuckte demonstrativ mit den Schultern und ließ sich nach Kräften nicht in die Karten schauen. Es wäre ja unlauter, sich vor den Damen bereits so festgelegt zu zeigen. Schließlich sollte man sich ja...umgucken. Doch insgeheim hatte er ein kleines Bisschen gelogen.

Der Bannstrahler nickte Lares knapp zu. "Wohl gesprochen, hoher Herr." Innerlich hoffte er, dass Andesine den Blick des Mersingers hin zu Durinja nicht vernommen hatte, als dieser über Linnarts angebliche Favoritinnen sprach. Nein, er hatte nur eine Favoritin ... eine … seine Wahl ... und die war blauäugig und hatte schwarzes Haar. Durinja daneben war eine Versuchung, von der er überzeugt war, ihr standhalten zu können. Das Wesen der Zofe mochte viele der jungen Männer abstoßen ... ihn jedoch zog es an. Starke, ehrgeizige, herausfordernde Frauen waren stets seine Schwäche gewesen. "Dann mögen der Gleißende und seine Geschwister Rahja und Phex heute mit uns sein, hoher Herr. Ich wünsche Euch viel Glück."

Andesine war erleichtert, dass der kleine Streit, den es ihretwegen gegeben hatte hier keine Fortsetzung fand, sondern sich die beiden Männer scheinbar sogar ganz gut verstanden. Aufmerksam verfolgte sie das Gespräch der beiden, wobei sie augenscheinlich die Bücher auf dem Tisch näher betrachtete. Nachdem Lares allerdings verkündete, dass er eventuell als Konkurrent zu Linnart auftreten würde, sah Andesine allerdings auf. Überrascht blickte sie Lares direkt an, der den Blick offen erwiderte und schwieg. Ehrlichkeit hieß nicht, sich immer und überall in die Karten schauen zu lassen. Das hatte er gerade erst seiner Pagin erklärt. Naja und Andesine war eine liebevolle Person, ging vorbildlich mit Lissa um, war streitbar und wirklich schön. Wenn Lares nicht wüsste, dass sie eigentlich schon ‘verloren’ war, dann hätte er in Erwägung gezogen, sie zu freien. Aber da war ja immer noch eine gewisse große Schwester, die in seinem Hinterkopf herumgeisterte.

Interessiert hatte auch Linnart die Blicke zwischen Andesine und dem Mersinger verfolgt, doch tat er das ohne Missgunst oder Eifersucht. Es war ihm immer klar gewesen, dass er, die Wasserthalerin betreffend, Konkurrenz bekommen würde. Sie war wunderbar. Bildhübsch, ruhig, bedacht und verantwortungsbewusst. Ja, sie stammte aus einem politisch noch unbedeutenden Haus und würde auch keine Reichtümer oder Ländereien erben, aber das taten viele der Anwesenden anderen Werberinnen und Werber hier auch nicht. Der Bannstrahler würde sogar so weit gehen und an der Zurechnungsfähigkeit eines jeden einzelnen Mannes zweifeln, der die Ritterin nicht wenigstens in Betracht zog. Dem Mersinger, als gebildeten, frommen Mann, war das Wesen seiner Angebeteten allem Anschein nach nicht entgangen, was Linnart noch zusätzlich bestärkte. Dennoch fürchtete er seine Konkurrenz nicht. Er wusste was er wert war - was er geben konnte und zu geben bereit war. Das mochte zwar noch kein klingender Name oder politische Macht sein und sollte darüber hinaus gehen seine Frau in teure Kleider zu stecken, oder mit edlem Geschmeide zu behängen, doch war er selbst ein ehrgeiziger und zielstrebiger Mann. Er war nicht nur der Erbe eines wohlhabenden Guts, sondern auch dabei sich in der mächtigen Institution der Gemeinschaft des Lichts einen Namen zu machen und darauf bestrebt seine Sippschaft, die derzeit stets etwas belächelt wurde, zu neuem Glanz zu verhelfen. Und auch zwischenmenschlich war der Bannstrahler eine gute Partie gewesen, dem war er sich sicher. Nein, er fürchtete die Konkurrenz der anderen nicht und lächelte seinen Gesprächspartnern selbstsicher zu.

Linnart fasste verdeckt nach Andesines Hand und drückte sie kurz. Wie gern er sie jetzt berühren, sie in die Arme schließen und küssen würde. Der Ritter war ein leidenschaftlicher Mann, mit körperlicher Distanz konnte er nur sehr schwer umgehen. Sein Blick streifte den der Altenbergerin. Sie wusste, was ihn mit der Ritterin verband und dennoch hatte sie ihm ein Angebot unterbreitet. Sah sie vielleicht gar seine Gefühle für Andesine als Ansporn - würde sie um ihn ... spielen? Und wenn ja, mit welchen Mitteln? Oder war Durinja der Meinung, dass ein Mann sich um sie zu bemühen habe und nicht umgekehrt. Der Linnartsteiner schob diese Gedanken beiseite, bevor sein intensiver Blick hin zur Zofe jemandem auffiel.

Hatte er gerade zu dieser Frau hinüber geschielt? Andesine musterte diese - wie war noch ihr Name? - ach ja, Durinja von Altenberg, die Hofdame. Schnepfen wie sie kannte sie zu Genüge. An beinahe jedem Adelshof, den sie in ihrer Zeit als fahrende Ritterin besucht hatte, gab es mindestens eine solche, welche die Nase über sie gerümpft hatte. Nur weil sie damals eine stabile Rüstung einem feinen Kleid vorgezogen hatte und sie sich eher auf den Schwertkampf als auf Stickereien verstanden hatte. ‘Inzwischen kann ich auch sticken! Vielen Dank!’ In ihren Augen begannen Flammen aufzulodern.

Auch dies entging dem Mersinger nicht, der seine Umgebung mit Argusaugen beobachtete. Na das konnte heiter werden. Wenn nur einfach alle den Geboten des Herrn folgen und wahr sprechen würden, dann würde nicht gar so viel Neid und Missgunst herrschen.

Die Blicke der Anderen waren Durinja natürlich nicht entgangen. Auch wenn Praios der letzte Gott wäre, bei der sie sich Rat holen würde, konnte sie nicht anders als den interessanten Leuten zu folgen. “Wie schön, das wir alle dem Götterfürsten gewählt haben. Schön dass wir die Gelegenheit haben uns kennenzulernen, hohe Dame von Wasserthal.”Sie deutet eine Knicks an.

Andesine knickste ebenfalls. “So lernen wir uns also endlich kennen.” “Der Herr von Traurigen Stein hat ja schon seine Aufwartung gemacht. Und ihr seid der Junker von Mersingen?” stellte sie die Frage in die Richtung von Lares.

“Sehr wohl, die Zwölfe zum Gruße. Und Ihr seid? Entschuldigt, die Vorstellung der Brautwerber musste ich leider zum Teil versäumen.” Lares blieb kurz an den divergierenden Augenfarben hängen. Der Blick irritierte ihn unverständlicherweise.

“Durinja Elva von Altenberg, angenehm.” Sie hielt ihm ihren rechten Handrücken entgegen.

Der Mersinger versuchte, sich von diesen Augen loszueisen. War sie eine Hexe? Oder mit dem Namenlosen im Bunde? Diese Augen… Und in ihrem Anblick nicht zu verachten, aber alles an dieser Frau ließ die Alarmglocken des Ritters schrillen. Er hörte immer auf sein Misstrauen. Er ergriff ihre Hand und hauchte einen standesgemäßen Kuss auf die Rückseite, dann sah er auf und ließ die Hand los. Dann blickte er zu Linnart hinüber und wandte sich dann Andesine zu, der er mit einer feinen Geste der Augenbraue bedeutete, was sie von dieser schönen Frau hielte.

Gerade als Durinja ansetzte weiter zu sprechen, spürte Lares Lissas Hand an seiner Hose und ein unauffälliges, aber energisches Zupfen an ebendieser.

Ein ganz leises “oha” entfuhr Lares und er schielte nach unten. Konnte er den Blick der kleinen Dame deuten? Lissa schaute zu Durinja hoch und zuckte kurz mit ihrem Kinn. Oh ja diese Dame hatte geguckt, als die Vorstellung ihres Schwertvaters stattgefunden hatte. Die Augen waren ihr fast herausgefallen. Das wirkte ja nicht sonderlich begeistert. Der Mersinger legte, jedenfalls unbewusst, einigen Wert auf den Eindruck seiner Pagin. Schließlich war sie ihm teuer und er wollte nicht, dass sie unglücklich war. Aber die Botschaft war eindeutig: Lissa war der Ansicht, Durinja sei interessiert. Er würde diese Frau also mit Vorsicht und Interesse beäugen müssen.

“Gratulation zu euren Ritterschlag. Seiner Exzellenz Gorfang vom Großen Fluß und von Brüllenfels hat bei seinem letzten Besuch ausführlich über euch erzählt.” Wissend lächelte sie Lares an. Lares runzelte kurz die Stirn. Wann genau war sein Schwertvater das letzte Mal fern von der Eilenwid über den Wassern gewesen? Solange er bei ihm diente, oblag es vorwiegend ihm, auswärtige Termine wahrzunehmen. Hatte sie ihm etwa schamlos ins Gesicht gelogen? Drehte sich dann wieder Andesine zu. “Ich muss gestehen, ihr seit ein unbeschriebenes Blatt für mich, zumindest habe ich nur von euren Bruder in Elenvina vernommen. Umso mehr bin ich jetzt erfreut, dass hier nachzuholen.”

“Sehr gerne, vielleicht kann ich so auch etwas mehr über Euch erfahren. Aber sagt, was habt Ihr über meinen Bruder gehört? Es interessiert mich, was man sich über ihn erzählt.” Erwiderte Andesine scheinbar ungerührt ob dieses kleinen Seitenhiebs.

Der Bannstrahler hatte die Szenerie währenddessen mit stoischer Gelassenheit verfolgt und war im ersten Moment froh darüber, dass Durinja ihre Aufmerksamkeit dem Mersinger und Andesine schenkte. Kurz dachte er dennoch an den kleinen Mondstein in seiner Tasche, griff unterbewusst danach und beschränkte sich dann darauf der Konversation der beiden Damen charmant lächelnd zu folgen.

“Die Verlobung eures Hauses mit dem Haus Rabenstein, war das letzte was ich gehört habe. Gratulation dazu.” Sie positionierte sich neben dem Bannstrahler. “Ich bin sehr gespannt, ob der Herr Praios uns ein Zeichen sendet.” sagte sie zu allen …. Oder doch mehr zu Linnart?

Der Ritter bedachte Durinja seinerseits mit einem vielsagenden Blick und einem Lächeln. "Es freut mich übrigens Euch hier am Tisch des Götterfürsten anzutreffen, meine Dame", nahm er die sich ihm bietende Gelegenheit wahr, sie am Tisch zu begrüßen. Er war gelinde gesagt überrascht gewesen, dass die Altenbergerin den Tisch des Gleißenden wählte. "Ich hoffe es doch, dass der Herr uns erleuchten möge."

“Es sei”, bekräftigte Lares unmittelbar.

“Es sei”, war auch ihre Antwort.

Ein weiterer Besucher am Tisch des Götterfürsten gesellte sich zu ihnen. Der Edelmann Milian von Altenberg, Vetter von Praiona, Durinja und Talfano gesellte sich zu ihnen und machte Andesine seine Aufwartung, den Herren nickte er kurz zu. Lares erwiderte den Gruß knapp. Die Geschichte mit dem Rabensteiner interessierte ihn viel mehr. Er hatte mit dem alten Lucrann noch ein Hühnchen zu rupfen. “Rabenstein? Ich bin neugierig. Erzählt mir, wer die Ehe mit wem schließen soll”, bat er Andesine - oder Durinja?

Durinja lächelte nur und gab das Antworten an die Wasserthalerin ab.

Andesine gönnte sich einen Augenblick um den Neuankömmling zu mustern und mit einem Knicks zu begrüßen, bevor sie sich daran machte, die Frage von Lares zu beantworten. “Mein Bruder, der Geweihte der Alveransleuin dort drüben”, sie deutete auf Rondradin, der gerade mit dem Rücken zu ihr stand. “Er ist bei der Jagd von Nilsitz eine Verlobung mit der Erstgeborenen des Barons, Ravena von Rabenstein, eingegangen.” Allerdings wirkte ihr Bruder immer ein wenig angeschlagen, wenn das Thema auf den Tisch kam und Palinor wird rot und schaut nur betroffen zu Boden. Das würde sie aber dieser Durinja nicht auf die Nase binden. Sie wandte sich nochmals Durinja zu. “Ist das alles was man sich über ihn erzählt?”

“Natürlich gibt es mehr. Ich kann mich noch an das Hochzeitsturnier von Herzog Hagrobald erinnern. Die anderen Geschichten würde ich eher zum Hofklatsch zählen, wo sich viele Unwahrheiten und Gerüchte auftun. Aber ihr kennt sicherlich die wahren Taten eures Bruders.”

“Der Erstgeborenen des Barons? Das heißt dein Bruder wird der Baron von Rabenstein? Na dafür muss man ihn beglückwünschen.” Andererseits: Lucrann als Schwiegervater war sicherlich die Höchststrafe. Hofklatsch schien Durinjas Spezialität zu sein. Das war Lares nicht entgangen.

“Aber meine Liebe, dann habt Ihr mich doch schon gesehen. Auch ich nahm an besagtem Turnier teil. Natürlich weiß ich um die Taten meines Bruders, aber darum ging es ja nicht.” Andesine strahlte Durinja geradezu an, bevor sie sich Lares zuwandte und fast unmerklich den Kopf schüttelte. ‘Besser nicht’, schien es zu bedeuten. “Er wird nur der Baronsgemahl. Schließlich heiratet er nur die zukünftige Baronin und ist zudem noch immer ein Geweihter Rondras.” “Ja, selbstverständlich.” Ein sehr schlechter Handel. Wirklich sehr schlechter Handel. Sie musterte Lares. “Aber es scheint, als ob du den Baron kennen würdest.” “Allerdings.” Mehr brauchte er nicht zu sagen. Schweigen sagte manchmal mehr als tausend Worte.

“Oh, ihr seid mir gar nicht aufgefallen. Nun, wichtig ist, dass wir uns heute bekannt wurden.” Sie drehte sich zu Linnart und schenkte ihn einen wissenden Blick. ´Wie gesagt, unauffällig´ schien dieser zu bedeuten.

Ja, so wie Linnart Durinja einschätzte, lag ihre Aufmerksamkeit beim Turnier wohl eher auf den stattlichen Kämpen und nicht auf den Damen in Rüstung. “Es kann schon mal vorkommen, dass man sich auf einer Turnei übersieht …”, warf er knapp, aber charmant ein.

Die Ritterin legte lachend ihre Hand auf Linnarts Unterarm. “Da habt Ihr recht. Damals hatte ich auch anderes im Kopf, als mir die Hofdamen auf der Tribüne anzusehen. Ach ja, das erste Turnier ist schon etwas besonderes. Man ist da so ...voller Tatendrang und Leidenschaft dabei und aufregend ist es zudem auch.”

Der Traurigsteiner nickte ihr knapp zu, die Spitze gegen Durinja ignorierend. Leider hatte sich für ihn noch nie die Möglichkeit ergeben an einem ritterlichen Turnier teilzunehmen. Seine Aufgaben im Orden hatten es bisher einfach nicht zugelassen. Auch war er im Tjosten nie ausgebildet worden. Dennoch mochte er es, wenn Andesine über etwas sprach, an das sie sich gerne erinnerte. Ihre blauen Augen schienen dabei nur noch schöner zu strahlen.

“Manche suchen eine Turney nur auf, um die schönen Hofdamen auf der Tribüne zu betrachten”, beinahe wäre ihm unschicklich das Wort ‘begaffen’ herausgerutscht, “doch ich denke, dass du, Andesine, wohl eher beäugt wirst, als andere zu bestaunen. Eine ritterliche Dame wie du kann die Blicke nicht nur mit ihrem Äußeren, sondern auch mit Tapferkeit, Wildheit und Kühne auf sich ziehen.” Lares zuckte die Schultern. “Wie hast du abgeschnitten?” Er maß sie mit einem keinesfalls lasziven, sondern vielmehr taxierenden Blick, wie ihn sich Ritter zuwerfen, bevor sie einander in der Schlacht begegnen. “Ich bin mir sicher, dass eine Runde in den Sparren mit dir kein Zuckerschlecken ist - meint Ihr nicht auch, hoher Herr vom Traurigen Stein?”

“Ha! Als hätten sich zwei schon gefunden.” Durinja legte ihre Hände zusammen und lächelte wissend Andesine und Lares an.

“Oder wollt Ihr Euch mit dem Schwerte messen, hohe Dame Durinja? Ich weiß noch nicht, was für Talente in Euch stecken. Vielleicht trügt der Schein und in Euch steckt eine große Fechterin? Man sollte niemanden nur nach seinem Äußeren bewerten, lehrte mich mein Schwertvater.”

“Manche mögen das Schwert im Kampfe führen …”, warf Linnart ein, “... andere führen eine ebenso scharfe Zunge, hoher Herr. Beide Talente sollten nicht unterschätzt werden.” Er lächelte Andesine zu. “Ich kann mir schon vorstellen, dass die hohe Dame von Wasserthal ein Schwert zu führen weiß.” Der Bannstrahler zwinkerte ihr zu und sein Blick hatte viel von jenen Blicken, die er ihr unter dem Sonnenschutz zugeworfen hatte. “Die hohe Dame Durinja wird ihre Kämpfe wohl nicht mit dem Schwert in ihrer Faust und Kette am Leib ausfechten, sondern mit ihrer ebenso spitzen Zunge, die ich bereits kennenlernen durfte.” Er ließ ein charmantes Schmunzeln folgen. “Zu respektieren gelernt habe ich beide Arten der … Kriegsführung.”

“Wem sagt Ihr das!”, pflichtete ihm Lares bei, “wo ich mich doch des Dilettantismus in beiden Sphären befleißige - die Unterweisung in der Wissenschaft der jurisprudentia an der Wehrhalle unter dem vorzüglichen Lehrmeister Ademar beinhaltete auch die Kunst der Konversation.”

“Dann seid Ihr ein, durch Eure Bildung sehr reich beschenkter Mann, hoher Herr …”, entgegnete der Bannstrahler ihm freundlich lächelnd. Seine Ausbildung im Kloster war eine gar harte Schule, geprägt durch Zucht, Ordnung und dem Rohrstock. Dennoch hatte auch Linnart fundierte Kenntnis in der Rechts- und Magiekunde, sowie an den Waffen.

Im Grunde waren sich die beiden Männer - jedenfalls hinsichtlich ihres Hintergrundes - sehr ähnlich. Und doch unterschieden sich die Gemüter der beiden fundamental. Ob das der Grund der unmittelbaren Reibungen gewesen war?

Der Ritter vom Orden des Bannstrahls neigte noch einmal höflich seinen Kopf, schmunzelte den Mersinger wissend an und wandte sich dann wieder den beiden Damen zu, die, so befand er, von ihnen beiden lange genug mit der Abwesenheit ihrer Aufmerksamkeit ´gestraft´ wurden.

Mit hochgezogener Augenbraue hatte Andesine das Gespräch der beiden Männer verfolgt. Als diese endlich zu einem Ende gekommen waren, begann sie zu sprechen. “Um deine Frage zu beantworten, ich bin in der zweiten Runde von Wallbrord von Löwenhaupt-Berg vom Pferd gestoßen worden. Wie gesagt, es war mein erstes Turnier, nur wenige Monde nach meinem Ritterschlag. Aber was muss ich von euch beiden hören? Nur der Schwertkampf und das Zungenspiel habt ihr zu respektieren gelernt. Dann versteht ihr euch also nicht auf den Tjost, das Stoßen mit der Lanze? Dabei ist es doch eine so schöne Disziplin, gerade wenn man zuvor den Gegner noch mit spitzer Zunge soweit gebracht hat, dass er alle Vorsicht fahren lässt und sich Hals über Kopf in den Kampf stürzt.” Der Schalk in ihren Augen war kaum zu verbergen, auch wenn sie einen neutralen Tonfall bewahrte.

“Andesine. Es hört sich ja fast so an, als ob ihr von ´Rahja´Dingen sprechen würdet. Ich bin mir sicher, dass die Herren hier nicht auf dem Feld des Dilettantismus wandern. Ihr habt einen richtigen Schalk im Nacken. Das hätte ich euch gar nicht zugetraut.” Durinja lachte und schaute den Männern verschwörerisch in die Augen. Sie war sich sicher, dass zumindest Linnart gut im Stoßen der Lanze und mit seiner spitzen Zunge war.

Lares lief knallrot an und hielt seiner Pagin eilig die Ohren zu. So direkt und noch dazu vor einem Kinde? Oh er würde die Frauen nie verstehen!

Linnart legte derweil seinen Kopf schief und musterte die Wasserthalerin mit einem schmalen Lächeln. Kurz fuhr er sich mit seiner Rechten durch seinen dunkelblonden Haarschopf. Es schien fast so als hätte ihm die Anspielung gefallen. Das hatte er ihr nämlich nicht zugetraut, dennoch empfand er es als erfrischend zu sehen, auch wenn es sich eines Mannes von seiner Position und Profession nicht ziemte, derlei obszöne Gedanken zu hegen.

Mit verwunderten Ausdruck auf dem Gesicht sah sie Durinja an. “Was meint Ihr damit? Einen Gegner im Vorfeld soweit zu bringen, dass er wütend auf Euch ist, kann im Tjost hilfreich sein. Denn dann wird er versuchen Euch mit aller Macht vom Pferd zu holen und dabei seine Deckung vernachlässigen.”, was Lares mit einem eiligen Nicken quittierte.

Der Bannstrahler versuchte die Situation für sich und sein Gewissen zu retten, rief sich selbst zur Ernsthaftigkeit auf und nickte Andesine ernst zu. Ja, das machte schon Sinn. Was diese mit einem nur für ihn sichtbaren Augenzwinkern quittierte.

´Ach herrje. Wie schon gedacht, die prüde Gans sprudelt gänzlich vor Langeweile.´ Durinja nickte ebenfalls. ”Genau das habe ich gemeint.” Sie zwinkerte Linnart zu, auf dessen Lippen sich nun doch wieder der Anflug eines Schmunzelns stahl.

Was sollte denn das? Dachte ihr Schwertvater sie hörte nichts, wenn seine Hände über ihren Ohren lagen? Und überhaupt… was machte er so ein Aufhebens um ein Gespräch übers Tjosten? Als er endlich die Hände von ihren Ohren genommen hatte, fragte sie ihn ehrlich erstaunt: “Warum soll ich denn nichts über Tjoste hören?” Sie dachte scharf nach: “Oder… habt ihr … “ Sie hatte ihn noch nie bei einem Turnier gesehen. Womöglich.. Aufmunternd sah sie ihn an und sagte leise zu ihm: “Wenn ihr das mit dem Lanzenreiten nicht gut könnt, wird der Herr Praios sicherlich Verständnis haben. Es muss euch nicht peinlich sein. Ans Lichte des Herrn wird es ohnehin kommen.” Sie lächelte ihn stolz an. Immerhin war die fast bedingungslose Ehrlichkeit sein beständiges Credo.

Lares bekam große Augen. Wie sollte er denn aus dieser Zwickmühle je wieder rauskommen? “Doch, doch. Ich habe den Umgang mit der Lanze gelernt. Auf dem Turnierplatz. Da, wo eine Lanze hingehört. Nur da.”, erwiderte der Mersinger mit rauer Stimme. Herr PRAios sei Dank hatte die Kleine das mit den Rahjadingen verpasst - oder einfach nicht verstanden.

Derweil waren die Augenbrauen des Bannstrahlers immer weiter nach oben gewandert und er musste all seine Selbstbeherrschung aufbringen, um einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck zu wahren.

Die Situation in die sie den Ritter gebracht hatte, tat Andesine leid und so bemühte sie sich Lares etwas zu helfen. “Basilissa, hast du gewusst, dass es verschiedene Arten des Tjosts gibt? Häufig geht es darum seinen Gegner mit der Lanze vom Pferd zu stoßen und sich selbst gleichzeitig im Sattel zu halten. Die dicke Rüstung hält viel ab, aber weh tut es trotzdem, wenn man zu Boden fällt. Und dann gibt es noch eine andere, neumodische Art, wo man mit angesägten Lanzen gegeneinander antritt. Hier geht es nicht darum den Gegner aus dem Sattel zu heben, stattdessen versucht man seine Lanze am Schild des Gegners zerbrechen zu lassen. Wer nach einer festgelegten Anzahl von Runden, meist drei, die meisten Lanzen gebrochen hat, gewinnt.”

Linnart beobachtete Andesines Gespräch mit der kleinen Lissa. Ja, die Ritterin würde einmal eine großartige und liebevolle Mutter sein. Das war eine schöne und wertvolle Eigenschaft und es gefiel ihm. Er hoffte, dass sie auch in allen anderen Bereichen des Lebens harmonieren würden.

´Das arme Kind. Erst anzügliche Scherze machen und dann nicht ehrlich sein mit dem jungen Mädchen. Die Männer sollten vorsichtig mit der Ritterin sein. Auch diese war zum Lügen fähig.´ Ein leichtes Bedauern zeichnete sich in Durinjas Blick ab. ´Dem Kind war nicht geholfen, ihr die Wahrheiten von Erwachsen fernzuhalten. Je früher sie weiß, wie die Welt funktioniert, umso besser.´ Ihr Gedanke behielt sie aber für sich.


***

Wo sollte sie sich platzieren? Bisher hoffte sie noch, entweder einen interessanten Mann zu treffen, oder sich gut zu unterhalten. Eigentlich wollte sie zu Rahjas Tafel, da sah sie die Gruppe am Praiostisch. Das würde lustig werden, da war sie sich sicher. Außerdem… später konnte man ja immer noch mit den anderen plaudern. Sie zuckte mit den Schultern und gesellte sich still dazu, es war gerade ein reges Gespräch, welches nach zu viel Weiblichkeit auf einem Haufen klang. Sie grinste und überlegte für sich, welche der Damen wohl als erstes mit ihrer Stimme alle Maulwürfe verscheuchen würde.

Ein kleiner, aber weicher Stoß ließ Sina ein wenig die Balance verlieren. Noch bevor sie schauen konnte, woher dieser kam hörte sie eine weibliche Stimme, die ein “OH, verzeiht”, hervorbrachte. Eine korpulente Praiosgeweihte stand vor ihr und lächelte sie an. Sina war sofort klar das der Stoß von dem Bauch der Geweihten stammte. “Ihr habt aber ein schönes Kleid. Wer hat es für euch geschneidert?”, fragte diese und ließ ein glucksendes Lachen folgen.

“Oh, danke, Euer Gnaden, das ist von Rondrigo Cerutti. Meine Schwester hat es mir geschenkt.” Sie machte der freundlichen Geweihten mit einer Drehung etwas mehr Platz. Da fiel ihr ein Mann auf … dieser Aureus … der fast sehnsuchtsvoll zu ihrer Nachbarin sah. Entgegen der Etikette hob sie die Hand, bis er sie bemerkte. Einladend nickte sie ihm zu und gab ihm Zeichen, sich zu ihnen zu gesellen.

Der Altenweiner lächelte und trat näher:”Praios zum Gruße”,wandte er sich an die Unbekannte, “Ich bin Junker Aureus Praioslaus von Altenwein.” An beide Damen gewandt fragte er:”Ist es nicht herrlich, dass wir an diesem fröhlichen Festtage den Glanz des Herrn auf uns spüren dürfen?”

“Wohlgeboren, Sina Artigas ist mein Name. Vor kurzem kam ich mit meiner Familie - meiner Schwester - von unserem Junkergut im Ragathischen gezwungenermaßen nach Elenvina. Ich bin Hofdame beim Herzog, sie ist zu Zuchtmeisterin seines Gestüts.” Sie wollte Mutmassunge bezüglch ihres Aussehens und ihrer Stellung gleich klarstellen. Anscheinend hatte Aureus ihre Vorstellung verpasst, oder es sich bei den vielen anderen Werberinnen nicht gemerkt. Sie zwängte sich noch etwas mit Hilfe ihres Ellbogens etwas von Praiona, damit der Junker Platz hatte.

“Sehr erfreut”, den leicht skeptischen Blick bemerkend fügte er an, “ich war vorhin etwas abgelenkt und habe daher ein paar Vorstellungen verpasst, verzeiht Ihr mir?”

“Das ist aber ein Zufall, meine Schuhe sind auch von Cerutti!”, unterbrach Praiona die Beiden und schob sich zwischen ihnen. Sie zog ihre Robe etwas nach oben und zeigte ihre hellblauen, seidenen Tanzschuhe. Sie ließ es sich auch nicht nehmen, Aureus einen schmachtenen Blick zu zuwerfen.

Aureus lächelte und deutete eine Verbeugung an. “So schnell sieht man sich wieder.”

“Das könnt ihr laut sagen!”, mischte sich eine weitere, tiefe Stimme ein. Belfionn vom Schlund, der Geweihte des Ingerimm, gesellte sich zu Sina.

“Ingerimm zum Gruße”, antwortete der Junker und stellte sich vor,” und dies sind Ihre Gnaden Praiona Jaunava von Altenberg und die Hohe Dame Sina Artigas.”

Sina lachte erfreut. “Danke, Aureus, ich kenne Belfionn bereits. Freut mich, dass du auch an unseren Tisch gekommen bist.” Sie zwinkerte beiden Männern spielerisch zu. “Was erwartet man hier von uns? Sollen wir auf einen Auftrag warten oder und schon mal selbst Gedanken machen?”

Belfionn musterte den Junker Altenwein kurz. Tatsächlich war er hier nur am Tisch wegen Sina. “Ich habe keine Ahnung. Aber ich bin mir sicher, seiner Gnaden Ademar wird uns Licht ins Dunkel bringen.”

Praiona musterte den großen Mann. ´Zu Grob, nicht wie mein Prinz´, dachte sie bei sich und drängte sich näher an Aureus. “Nun ich denke unser aller Kenntnis über die Rechtskunde ist gefragt. Zumindest legt er gerade Gesetzesbücher aus.” Die Geweihte deutet auf den Tisch.

Sie schwieg nun, da so unerwartet Belfionn aufgetaucht war. Sina streckte sich, um ein Buch zu erreichen, das recht weit von ihr entfernt war. „Linnart, sei so gut und reich mir doch bitte das Buch dort drüben….“ Als er sie bemerkte, zwinkerte sie ihn kurz an. Er wusste schon, warum.

“Verzeiht, wenn ich mich einmische, aber ich glaube, wir sollten warten, bis Seine Ehrwürden bereit ist uns in die Regeln dieses Spiels einzuweihen?”

Der Bannstrahler nickte bestätigend. “Ja, Ihr werdet gleich Gelegenheit dazu bekommen Euch den Büchern zu widmen, Sina. Ich denke es geht gleich los.”

Sie hielt in der Bewegung inne, bevor sie sich aber wieder auf ihren Platz von gerade eben stellte, hob sie beide Augenbrauen. „Ihr habt Recht. Und das kann an diesem Tisch nicht hoch genug geschätzt werden.“ Wahrscheinlich kannte in dieser Runde keiner ihre Schwester Verema. Sie waren zwar Geschwister, doch deutlich verschieden in Charakter und Vorlieben. Beide jedoch bestachen mehr durch ihre Art, denn durch ihr Aussehen. Sie waren hübsch, keine Frage, eher verspielt niedlich, aber nicht von jener herausragenden Schönheit, die manchen Frauen zu eigen war.

Linnart lächelte charmant, dann deutete er mit einem Kopfnicken auf Ehrwürden Ademar. Das Götterspiel begann.


***

Sehnsuchtsvoll sah Luzia zu den anderen Tischen hinüber, die nicht so dicht gedrängt voller Menschen waren. Sie hatte zu Vater zurückkehren wollen, aber der hatte ihr nur unmissverständlich gesagt, sie solle sich zu einem der Tische begeben. Und sie fort gescheucht als wäre sie ein Huhn. Aber bestimmt wollte sie nicht zu Travia -und Rondra war doch eher etwas für die anwesenden Ritter. Rahja hingegen- ja sie mochte diese Göttin. Das ganze heimatliche Schloss war voller Kunstschätze und Vater ein großer Förderer junger Künstler. Oder eher von Künstlerinnen- wenn diese kleine Präferenz ihres alten Herrn überhaupt einer Erwähnung bedurfte. Doch, sich an den Tisch eben jener Göttin zu stellen, das wollte sie auch nicht. Es könnte womöglich falsch verstanden werden. Und Praios war immerhin der Hauptgott ihres Hauses.
Außerdem erspähte sie Lissas blonden Haarschopf und wenn Lares und Lissa da waren, war es zumindest nicht gänzlich langweilig.

“Praios zum Gruße” sprach sie eine männliche, doch junge Stimme an. “ Es erfreut mich euch endlich begrüßen zu dürfen, euer Wohlgeboren von Keyserring!” der neunzehnjährige Talfano von Altenberg, in seiner weiß-goldenen Gelehrtenrobe, errötete ein wenig, lächelte sie aber ehrlich an.

Luzia wurde augenblicklich rot und sah zu Boden. Sie hatte nicht damit gerechnet angesprochen zu werden. “Praios… zum Gruße, hoher Herr von Altenberg.” sagte sie langsam. Ein Gelehrter. Innerlich seufzte sie. Jemand der Bücher mehr liebte als alles andere vermutlich. “Wie gefällt euch das Fest?” fragte sie recht unverbindlich.

“Talfano Selindian von Altenberg. ”Er verneigte sich. “Ich glaube, es hat noch gar nicht richtig angefangen. Aber ich freue mich auf das abschließende Fest später. Ich wollte euch ein Kompliment machen für eure Vorstellung. Ich war sofort von euch gebannt. Und bitte verzeiht meine holprige Vorstellung.” Immer noch lächelnd strahlte er sie aus seinen grünen, mandelförmigen Augen an.

“Meine Vorstellung?” sie konnte sich schon kaum mehr daran erinnern, so nervös war sie gewesen. “Ähm. Danke?” Was hatte sie gleich gesagt: “Was genau denn?” fragte sie und lächelte ihn fragend an. Ihre blauen Augen musterten ihn, während sie auf eine Antwort wartete. Jedenfalls war er mutig und sprach sie an. Machte ihr ein Kompliment. Sie selbst hätte sich das niemals getraut.

“Oh das ist leicht. Ich war sehr beeindruckt von all den Dingen die ihr könnt und gelernt habt. Aber es wurde mir warm ums Herz, als ihr meintet, dass ihr am liebsten reitet. Ich selbst bin mit Pferden groß geworden. Auch wenn ich die letzten Jahre nicht oft dazu gekommen bin. Meine Eltern haben mich nach Gratenfels auf die Rechtsschule geschickt. Ich muss zugeben, ich vermisse die Freiheit, die man nur außerhalb von Städten finden kann.” Eine Sehnsucht war in seinem Blick zu erkennen.

“Schmerzt es euch denn nicht, eine Profession zu haben, der ihr vermutlich in einer Stadt nachgehen müsst? Rechtsgelehrte sind doch eher dort anzutreffen, oder etwa nicht?”

Talfano zog die Augenbrauen hoch. “Na das kommt darauf an, was ich nach dem Studium mache. Ich könnte für die Reichskanzlei in Elenvina arbeiten oder eine eigene führen. Oder ich wandere vom Adelshof zu Adelshof. Die Barone des Reiches brauchen ja auch Rechtsbeistand. Das letztere würde ich erst einmal bevorzugen. Oder Vielleicht nimmt mich auch ein Baron in seine Dienste. Auf jeden Fall wird von mir erwartet eines Tages der Rechtsschule in Gratenfels als Rektor vorzustehen, aber das wird noch lange dauern. Sagt, warum habt ihr euch für den Götterfürsten entschieden?”

“Firun stand nicht zur Verfügung.” sagte sie schlicht und lächelte ihn zwinkernd an. Dann fügte sie ernst hinzu: “Praios ist der Hauptgott meines Hauses. Rondra, die Göttin der Ritter- das war wenig passend. Und Rahja- nun ja. Auch sie steht mir natürlich nahe. Ich reite gerne, wie ihr. Und mein Vater unterhält eine sehr große Kunstsammlung und fördert Künstler, wann immer er kann. Aber es schien mir … dennoch unpassend” Eine kurze Pause folgte: “Und Travia… nun ja, ich wollte keinen falschen Eindruck erwecken. Ich… um ehrlich zu sein, bin ich hier, weil mein Vater mich verheiraten möchte. Ich selber habe nichts dagegen noch einige Jahre zu warten bis ich jemanden eheliche.” sie seufzte: “Aber das wird mir wohl kaum vergönnt sein.” Sie sah den jungen Mann nachdenklich an: “Wisst ihr, wenn ihr in Bälde eine Anstellung sucht, dann sollte ich euch mit meinem Vater bekannt machen. Meine Tante hat den Praiostempel bei uns geleitet und auch für Vater rechtliche Angelegenheiten und einen Teil der Ausbildung für die Pagen, Knappen und uns Kinder übernommen. Aber sie ist vor einem Götterlauf….” kurz kamen die Erinnerung an die grauenhafte Hochzeit ihrer Schwester an die Oberfläche und sie schloss kurz die Augen. Ihre Tante zu sehen - niedergestreckt durch einen Bolzen, der direkt in ihre Stirn eingedrungen war und ihren Kopf durchbohrt hatte, war unerträglich gewesen. Mit geschlossenen Augen sammelte sie sich kurz: “gestorben. Und Vater sucht bis auf weiteres einen Rechtsbeistand für ihre Aufgaben. Und glaubt mir, bei uns gibt es Pferde und Wälder und man kann herrliche Ausritte machen. Mögt ihr denn auch die Jagd?”

Talfanos Anspannung löste sich sichtlich. ´Sie ist echt schön´, dachte er bei sich. “Nun, falls ich eine Braut finde”, er musste kurz schlucken,” dann ist es ja erstmal für eine Verlobung. Ich würde ihr soviel Zeit geben wie sie … wie wir brauchen. Und … gerne könnt ihr mir euren Vater vorstellen.” Der Altenberger spürte wie ihm wieder warm im Gesicht wurde. “Ja ich mag die Jagd, allerdings muss ich gestehen, dass ich damit nicht viel Erfahrung habe. Da sind meine Schwestern einiges voraus. So ihr steht dem Herrn Firun nahe?” fragte er neugierig.

"Eigentlich… nicht so sehr. Freilich gibt es bei uns in den Wäldern überall kleine Schreine, an denen wir natürlich auch Opfergaben lassen, wenn wir dort sind. Doch Praios ist mir schon näher. Wisst ihr, manchmal ist es eben nur schön, einem anderen der Zwölfe zu huldigen als dem Gotterfürsten selbst." Sie zögerte kurz, "Praios weist jedem seinen Platz in der göttlichen Ordnung zu. Firun hingegen ist dieser Platz egal. Er bewertet dich nur nach dem was du… in seinem Reich zu einer bestimmten Zeit vermagst." Ihr entfuhr ein leiser Laut. Verstand er, was sie meinte? Das bei all der Verpflichtung und dem bewertet werden- tagein tagaus- eine Flucht in ein Reich, wo es nur auf die eigenen Fähigkeiten in diesem Moment ankam, sich heilsam für die Seele anfühlte? Sie forschte in seinen Augen, ob er verstünde. Er nickte. Wie gut er sie verstehen konnte, nicht anders fühlte er sich. Bis jetzt haben immer andere für ihn entschieden. “Ja, aber ich denke der Tag wird kommen, wo wir unseren Platz finden. Zumindest haben wir hier frei entschieden und uns diesen Tisch ausgesucht. Ich muss es noch einmal sagen, ihr seid äußerst angenehm, euer Wohlgeboren.”

Sie nickte lächelnd, während ein sanfter Rotton ihre Züge umspielte und wandte sich dem Geweihten zu, der nun mit der Präsentation begann.


***

Der Altenweiner genoss die wärmenden Strahlen der Praiosscheibe, während er die Bücher betrachtete. Es waren sicherlich Gesetzestexte, doch fragte er sich kurz, ob es vielleicht so etwas wie ein Regelwerk für die Ehe gab, welche eventuell hier ausgebreitet wurden. Seine Ehrwürden schien gerade in ein Gebet vertieft, deshalb wartete er und schaute sich derweil um. Fünf Männer und fünf Frauen zählte er an diesem Tisch, die Knappin ließ er außen vor, war sie doch noch weit vom heiratsfähigen Alter entfernt und stellte somit keine Kandidatin dar. Luzia war ihm eigentlich noch etwas zu jung, doch stellte sie als Baroness eine, wenn nicht gar die Beste, Partie dar. Doch konnte er sich nicht vorstellen, dass man eine solche Verbindung billigen würde. Ihr Vater höchstwahrscheinlich nicht. Und war es überhaupt sinnvoll so zu denken? Im Gegensatz zu den meisten hier, hatte er niemanden, der ihm im Nacken saß und ihm eine Ehe diktierte. Rahjania jedenfalls hatte ihm geraten sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Er schaute zu Praiona, die gerade mit einer Dame sprach, deren Wurzeln in Almada lagen. Praiona schien freundlich und gütig zu sein, Wesenszüge, die man bei Praioten kaum erwartete, die aber auch seine Schwester trug. Sie hatte vielleicht nicht den schönsten Körper, doch waren Jugend und Schönheit nicht vergänglich? Würde nicht auch er eines Tages alt, runzelig und vielleicht sogar fett werden? Praiona hatte vielleicht etwas mehr auf den Rippen, aber auch ein fröhliches Wesen und strahlende Augen, wenn sie lächelte. Durinja war schön und faszinierend, ja sogar geheimnisvoll. Aber sie schien Schmuck und edle Steine zu lieben. Konnte er sie sich leisten? Würde sie bei ihm bleiben, wenn er kaum mehr als ein Großbauer einbringen konnte? Die letzte hier am Tisch kannte er nicht. Er hatte vorhin ihren Namen vernommen und mutmaßte daher, dass sie mit dem Anwärter Palinor verwandt war. Er beschloss sich noch nicht festzulegen und erstmal die anderen Damen kennen zu lernen und hoffte, dass es der unsicheren Praiona nicht zu schmerzhaft werden würde.


***

Fast hätte Melisande die Ankunft Milians von Altenberg versäumt, ihn aber gerade noch erspäht und war ihm so an den Tisch des Götterfürsten gefolgt. Nicht der Tisch, den sie selbst bevorzugt hätte, hätte sie selbst aussuchen dürfen. Aber sie hatte ja einen Auftrag. So stellte sie sich unauffällig in die zweite Reihe, eine Kunst, die sie trotz ihres durchaus ansehnlichen Aussehens gut beherrschte, aber so, dass sie gegebenenfalls hören konnte, was Milian sagte. Doch sie musterte durchaus auch die anderen Anwesenden hier, war sie sich doch klar darüber, dass man spätestens mit dem Beginn der Spiele auf sie aufmerksam werden würde.

“Melisande! Ihr wollt also vor Praios Angesicht einen Gemahl finden? Ich muss gestehen, ich bin überrascht.” Milian winkte sie zu sich heran. Natürlich war ihm die Anwesenheit der Zofe nicht entgangen.

Melisande lächelte zurückhaltend. Schade, dass der Edle sie bereits entdeckt hatte, aber nicht zu ändern. “Ich bin hier, um mir unter Praios’ schöner Sonne ein Bild der Heiratswilligen zu machen. Ob mehr daraus wird, mag Praios fügen … oder ein anderer der Zwölf.” Dann wurde ihr Lächeln etwas strahlender. “Und Ihr? Was ist Eure Absicht, Euer Ziel hier an diesem Tisch?”

“Nun das Ziel das wir alle hier haben sollten. Im Angesicht des Herrn Praios zu bestehen, auf dass er uns seine Weisheit zuteil läßt, auf das wir eine richtige Wahl in diesen Belange treffen können. Es ist Schande das sich eure Herrin sich nicht getraut hat.” Er lächelte sie an.

Melisande kniff die Augen ein wenig zusammen bei dieser respektlosen Wortwahl des Edlen. “Eine Schande nennt Ihr es also, wenn jemand gar nicht die Absicht hat, sich hier zur Wahl zu stellen?” fragte sie mit einer gewissen Schärfe in der Stimme. Dabei lächelte sie noch immer, aber vielleicht ein wenig kühler als gerade eben noch.

Er schaute sie verwundert an. “Da habt ihr mich falsch verstanden, meine Liebe. Ich sagte ´Schade´ nicht ´eine Schande´. Ich habe lediglich mein Bedauern ausgedrückt.” Milian ignorierte die Zofe, war aber jetzt gewarnt. Nun wusste er, dass sie ganz das Kaliber seiner Base Durinja war. Nichts, was ihm beunruhigen würde.

“Wenn ich mich … verhört haben sollte, dann tut es mir leid und ich entschuldige mich”, gab Melisande in einem Tonfall zurück, der nicht wirklich entschuldigend klang. Aber bevor Milian antworten konnte, rief der Praiosgeweihte sie mit einem Glöckchen zur Aufmerksamkeit.

Die Qual der Wahl

Ademar war überrascht, dass die meisten Gäste sich vor seinem Tisch versammelt hatten. So wie er den geschwätzigen Vater Winrich einschätzte, wird ihm das sicherlich nicht gefallen. ´Aber so war es nun einmal, Praios ist nicht umsonst der König der Götter.´ Sorgfältig legte er die 6 Gesetzeswerke auf den Tisch vor sich, so dass jeder sie sehen konnte. Nachdem er damit fertig war, nahm er ein kleines Glöckchen und schüttelte es. Der helle Ton, den diese erzeugte, war ein jedem ein Zeichen zu Schweigen und seine Aufmerksamkeit auf Ademar zu richten. Nachdem alle still waren, öffnete er begrüßend seine Arme und blickte zum Himmel. Dann begann er zu sprechen:

“Custos Alveranis Ordinis Aeterni,
Iudicium tuum veritatem agnoscit.

Heiliger Herr Praios, heilige Herrin Travia und ihren göttlichen Geschwistern,
blicket hernieder und segnet uns, auf dass wir eure Zeichen erkennen und verstehen.

Es sei!”

“Es sei!”, bekräftigte Aureus und küsste sein Praiosamulett, dass er von seiner Schwester geschenkt bekommen hatte.

Die Ritterin beschrieb das Schutzzeichen Praios' als sie ebenfalls mit "Es sei!" antwortete.

Andächtig verfolgte auch der Bannstrahler die Worte seiner Ehrwürden. Ein erhebendes Gefühl. Auch er antwortete mit einem “Es sei!”, blieb dann jedoch noch für einige Momente in stiller Zwiesprache zu seinem Herrn. “Praios invictus, Rex Duodecim, Gloria Derea, Aurea lux. Da nobis leges, Et veritatem, Da nobis lucem, Deorum dax …”, murmelte Linnart in Bosparano, “... Herr Praios, der du die Wahrheit hütest und die Schöpfung ordnest, hilf mir hier und heute Licht auf den Schatten meines Geistes zu werfen und eine richtige Entscheidung zu treffen.”

Melisande hielt die Hände locker gefaltet und hatte den Blick während des Gebets gesenkt und verharrte noch einen kleinen Augenblick, nachdem der Geweihte geendet hatte, bevor sie wieder aufsah.

Lares schwieg und hielt innerlich Zwiesprache mit dem Götterfürsten. Er würde sich den Wink beugen, den dieser für ihn bereit hielt.


Nach einer kurzen Pause ließ er seine Arme senken und blickte in die Menge.

“Ich begrüße euch im Namen des Herren Praios. Ich bin heute hier, um euch, dem unvermählten Adel zu helfen, einander zu erkennen und zueinander zu finden.

Denn höret: Wer Land und Leute hat, muss vermählt sein, seine Succession nach Willen des Allerhöchsten zu erhalten!”

Die letzten Worte betonte er mit einem erhobenen Zeigefinger.

“Vor mir liegen sechs Gesetzeswerke: Das ´Ius Concordia, das ´Ilsur Edikt´, der ´Codex Albyricus´, der ´Codex Methumis´, das ´Silem-Horas-Edikt´ und die ´Emersche Reichsreform´. Ich möchte das ein jeder einzeln nach vorne tritt und sich eines der Werke aussucht. Nehmt euch Zeit und übereilt nichts. Dann sagt uns, warum ihr das Werk ausgewählt habt. Ein jeder soll dann für sich entscheiden, was es für einen zu bedeutet hat und was es über den Wählenden aussagt. Falls ihr Schwierigkeiten habt, so kommt dann im Anschluß zu mir und ich helfe bei den Deutungen und stehe euch bei der Wahl mit Rat und Tat zur Seite. Beginnen wir mit den Damen!”

Ademar von Leihenhof schaute die erste Dame an.

Die Almadanerin betrachtete mit gerunzelter Stirn die Bücher. Es war eine geheime Leidenschaft von ihr, wenn keiner zusah, über deren Rücken zu fahren und das Pergament zu riechen. Sina entschloss sich für den ‚Codex Albyricus‘. „Ehrwürden, ich möchte dieses Buch wählen. Meine Intuition sagt es mir, außerdem liegt es nicht so weit weg.“ Sie lächelte alle Anwesenden lieb an.

Der Traurigsteiner verzog auf die Begründung der Almadanerin hingegen seinen Mund. ´Naja, wenigstens war sie ehrlich´, dachte er bei sich.

´Mutiger Zug´. Durinja zollte der Artigas gedanklich Respekt.

Auch Lares Stirn runzelte sich, allerdings nicht nur wegen ihrer irritierenden Einlassung. Die Dame kam ihm irgendwie bekannt vor. Sollte das wirklich…? Nein, das konnte nicht sein. Von dieser Sorte konnte es doch keine zwei geben. Bitte, Herr PRAios nicht...

“Habt dank. Eine interessante Wahl.” Der Geweihte verzog keine Miene und wies sie, sich wieder einzureihen.

Nachdenklich schweifte Andesines Blick über die Bücher. Welches sollte sie wählen? Schließlich deutete sie auf das Silem-Horas-Edikt. "Dies ist meine Wahl, Ehrwürden. Denn dieses Werk beschreibt die Zwölfgöttliche Ordnung, angefangen beim Herrn Praios bis zur Herrin Rahja und all ihre Kinder."

Lächelnd nahm Linnart dies zur Kenntnis. Eine gute Wahl.

Durinja lächelte ebenfalls. Uneinsichtig und Angst vor Unbekannten. Genau das, was sie sich gedacht hatte.

Naja - keine wirklich aussagekräftige Entscheidung, dachte Lares. Aber Andesine war seiner Meinung nach auch nicht unbedingt der Typ für ausführliche disputationes.

“Eure Worte in der Götter Ohren.” Ademar wies ihr mit einem Blinzeln sich wieder einzureihen.

Melisande war versucht zu warten, bis Milian gewählt hatte, aber eigentlich war das nicht wichtig für ihren Auftrag, außerdem wollte sie nicht als gar zu zögerlich erscheinen. Von Gesetzestexten hatte sie allerdings im Gegensatz zu ihrer Herrin keine Ahnung, es interessierte sie auch überhaupt nicht, und Praios war auch nicht der Gott ihrer Wahl. Doch sie musste wählen und das auch noch begründen. Nun gut, es war ein Spiel, Spiele lagen ihr. “Ich wähle den Codex Methumis. Ich habe keine Ahnung, was da drinsteht, aber Methumis ist eine schöne und beeindruckende Stadt und ein Hort des Wissens, der seinesgleichen sucht.” Sie lächelte strahlend in die Runde.

´Natürlich hast du keine Ahnung.´ Durinja seufze innerlich. Die Überraschung die ´Zofe´ hier zu sehen, musste sie noch immer verdauen. Von der Stutenbissigkeit Melisandes hatte sie schon gehört. Aber wie sagte der gute Herr Phex: Konkurrenz belebt das Geschäft.

´Dann soll das so sein, Melisande ´.

Der Bannstrahler war erst verwundert über die neu angekommene, ihm gänzlich unbekannte Frau an ihrem Tisch. Sie verhielt sich ruhig, stellte sich nicht vor und erweckte beinahe den Anschein, dass sie sich verstecken wollte. Gebaren, das Linnart stets zur Vorsicht rief. Ihre Wahl war interessant, die Begründung dazu aber enttäuschend.

´Der Schein ist also wichtiger, als das Sein.´ Milian nickte Melisande verstehen zu.

Der Praiosgeweihte blinzelte nur und nickte ihr dann zu.

Nun trat die elenviner Hofdame nach vorne. Dank ihres Vaters, Bruders und Mentorin war sie recht bewandert in der Rechtskunde. Sie ließ ihren Blick über die Bücher wandern. Hier mußte frau eine vorsichtige Wahl treffen. Ihre erste Wahl war der ´Ius Concordia´, denn sie glaubte daran, dass Politik und Religion getrennte Wege gehen sollten, zumindest was die Praiosgeweihtenschaft betraf. Deswegen griff sie zu ihrer zweiten Wahl. Denn eines wusste sie gewiss, nichts und niemand war vollkommen. Nach kurzem Überlegen griff Durinja nach dem ´Ilsur Edikt´. “Dieses hier. Es bedeutet für mich den Mut seine Angetrauten die gewollte Hierarchie des Götterfürsten durchzusetzen, um ihnen Halt und Struktur zu geben. Aber gleichzeitig führt es uns unsere menschliche Fehlbarkeit vor Augen.” Sie machte einen höflichen Knicks gegenüber Ademar und kehrte auf ihren Platz zurück.

Linnart war ob ihrer Wahl erst skeptisch gewesen und wog seinen Kopf hin und her. Doch überraschten ihn ihre darauf folgenden Worte. Worte, die auf einen Menschen schließen ließen, der eine tiefer gehende Sichtweise auf die Dinge hatte. Hatte er die Zofe vielleicht doch falsch eingeschätzt? Niemand wusste so genau um die Fehlbarkeit des Einzelnen wie der Traurigsteiner. Hunderte Male wurde ihm dies auch während seiner Ausbildung durch den Rohrstock deutlich gemacht. Er hatte gelernt, doch war er immer noch weit weg von jeglicher Vollkommenheit. Es blieb den Menschen nichts anderes übrig, als sich an der Unfehlbarkeit der Zwölfe anzuhalten und zu orientieren, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen, denn fehlbar war ein jeder von ihnen.

Durinjas Entscheidung lockte Ademar eine Reaktion im Gesicht hervor. Seine linke Augenbraue schnellte in die Höhe.

Die wuchtige Praiona begleitet die Wahl ihre Mitstreiterinnen mit einem seeligen Lächeln. Die Geweihte drehte sich nochmals zu den Herren um.´All diese schönen Prinzen und alle hier am Tisch des Götterfürsten´ Sie warf ihnen allen einen kecken Blick zu und schritt dann nach vorne.
Das leichte Klirren der Sphärenkugeln begleiteten ihren Gang, während die Sonne sich in ihnen golden widerspiegelte. Praiona kannte alle Bücher und einige hatte sie unzählige Male kopieren müssen. Sie griff nach dem Buch, dass sie am interessantesten fand. Sie hob es an und betrachtete den ´Codex Albyricus´ nachdenklich. Plötzlich schmiegte sich einer der Katzen der Baronin von Schweinsfold an ihrem Bein. Abgelenkt von dieser, beugte sich die Geweihte nach ihr. “Oh, du süße kleine Mu….”. Weiter kam sie nicht, denn das Sonnenlicht verfing sich in ihren Sphärenkugeln und schien Ademar direkt in die Augen. Dieser überrascht von dem grellen Licht stöhnt laut auf und hielt sich dann die Hand vors Gesicht. “ Oh ...” blickte Praiona auf, während sie das Buch zurück auf den Tisch schob.

“Trefft Eure Wahl, Euer Gnaden …”, es war Linnart, der die Szenerie genau beobachtet hatte und der vollschlanken Geweihten nun aufmunternd zunickte, “... ich denke, dass der … Ausbruch … seiner Ehrwürden keine Reaktion auf den von Euch erwählten Codex war.” Kurz ging sein Blick zwischen den beiden Geweihten hin und her. Nein, so schätzte er Ademar nicht ein.

Das Licht traf ihn unerwartet und blendete Ademar für einen Augenblick. Alles was er sah waren Sterne vor seinem inneren Auge. ´Wie fallende Sterne´ kam ihm der Gedanke. Als er die Augen wieder öffnete und sein Blick sich klärte, sah er Praiona klar vor sich. Sofort musste er wieder an seinen Traum von letzter Nacht denken. ´Fallende Sterne, Tanzschuhe … und eine Katze´ Nachdenklich rieb der Mystiker sich die Augen. “Alles gut, nur eine kleine Lichtreflexion. Danke Praiona, ihr könnt wieder zurück in die Reihe treten.” Ademar winkte die Letzte heran.

Lares war allerdings noch nicht “zur Normalität” zurückgekehrt. Der Ritter hatte in einem Reflex Luzia und Lissa gepackt, jede in einen Arm, und schützend hinter sich gezogen. Am liebsten hätte er kalten Stahl in seiner Faust, doch dieser ziemte sich bei der Veranstaltung nicht. Was nur hatte ihn so verunsichert? Irgendwas war hier doch ganz kräftig faul. Lares sah sich um, wie als wäre er auf einem Schlachtfeld und als er sicher war, dass keine Gefahr von außen drohte, blickte er den Geweihten Ademar an. Dieses Funkeln. Das war doch kein Zufall. Da war sich der Mersinger sicher. Aber was wollte der Herr PRAios uns damit sagen? Irgendjemand in der Runde missfiel der Höchsten aller Götter. Auf wen war das Licht gefallen? Auf Ademar, oder? Aber der war doch über alle Zweifel erhaben, oder? Er würde Acht geben und abwarten, wie die Veranstaltung weiter verlief. Jedenfalls für seine Pagin, die diese Körperhaltung an Lares kannte, fiel auf, dass er ein klein wenig kleiner wurde, Nacken und Rücken angespannt waren und er den Kopf etwas mehr zwischen den Schultern hielt. Trotzdem ließ er die beiden Damen los, so, als ob nichts gewesen wäre.

Luzia tätschelte dem Schwertvater ihrer Schwester leicht den Arm. “Ist alles in Ordnung?” fragte sie sanft. “Geht es euch nicht gut?” Doch ihre kleine Schwester nahm ihrerseits eine Verteidigungshaltung an und der Blick aus ihren fast schwarzen Augen fuhr über die Gäste, den Geweihten und die Umgebung.

Lares blieb weiterhin angespannt. “Ja, alles in Ordnung”, erwiderte er knapp. Seine Aufmerksamkeit galt noch immer der Umgebung. Allerdings registrierte er zufrieden, dass Lissa wach und aufmerksam war. Sie hatte verstanden, dass hier irgendwas absolut nicht ‘in Ordnung’ war.

“Es ist nur eine Katze, hoher Herr …”, bemerkte Linnart lächelnd, doch lag darin eher Interesse, was ihn wohl zu dieser Reaktion verleitet hatte, und kein Hohn.

Melisande schreckte ein wenig aus ihren Gedanken auf, als der Mersinger Luzia von Keyserring und seine Pagin so hastig hinter sich schob und sich leicht duckte, als erwarte er, angegriffen zu werden. Verwirrt folgte sie seinem Blick, der eindeutig dem Praiosdiener galt, doch an diesem konnte sie nichts Auffälliges feststellen. Seltsam.

“Eine Katze, Herr vom traurigen Stein? Welche? Zeigt sie mir.” In Lares Verstand schrillten alle erdenklichen Alarmglocken. Eine Katze?!

´Grundgütiger´, dachte Linnart bei sich, ´was war bloß mit dem Herrn von Mersingen los?´ Sie waren hier bei einem Gottesdienst und dennoch verhielt sich der junge Ritter, von einen auf den anderen Herzschlag so, als würde ein Gehörnter vor ihm auf dem Tisch sitzen. “Diese Katze …”, er wies auf Asiriel, der gerade um den Junker von Altenwein strich, “... ist Euch nicht wohl?” Sorge lag in seiner Stimme.

Andesine warf Linnart einen besorgten Blick zu. Auch ihr kam das Verhalten Lares’ seltsam vor. Mit ruhigen, bedachten Bewegungen näherte sie sich dem aufgewühlten Mersinger. “Lares, was ist los? Weshalb bist du so beunruhigt?” Hilfesuchend sah sie zu Basilissa hinüber, vielleicht wusste ja die Kleine was ihren Schwertvater gerade umtrieb. Überrascht stellte die Ritterin fest, dass auch die Pagin sich in eine Art Verteidigungshaltung begeben hatte.

“Ist die Katze ein Streuner oder hast du die Katze schon einmal gesehen? Ist dir nicht aufgefallen, dass die Sphärenkugeln am Gürtel der Altenbergerin aufgeleuchtet und das Licht des Herrn reflektiert haben, just als sie vorbeigeschlichen kam? Ich bin mir sicher, das war nicht einfach nur ein dummer Zufall. Hier stimmt was nicht”, gab er mit gepresster Stimme zurück, sodass er nur für Andesine hörbar war. Linnart, den sorglosen Bannstrahler würde er nachher ins Vertrauen ziehen - der schien die Situation gerade einfach zu leicht zu nehmen. Mehr Aufregung wäre äußerst kontraprodutiv, sollte er mit seinem Gefühl richtig liegen.

“Bist du dir auch ganz sicher?” Flüsterte Andesine leise zurück und warf der Katze einen prüfenden Blick zu. “Für mich sieht sie nach einer normalen Katze aus.” Als sie sah, dass diese Worte ihr Gegenüber nicht beruhigen würden, griff sie seine Hand. “Lares, wenn dir dein Bauchgefühl sagt, dass hier etwas nicht stimmt, dann mag das gut sein, auch wenn ich es gerade nicht so wahrnehme. Ich stehe dir gerne bei, was auch immer du nun vorhast. Nur möchte ich dich bitten, dich etwas ruhiger zu gebärden, du machst die beiden jungen Damen hinter dir nervös.”

Lares Augen weiteten sich leicht mit der Erkenntnis. Dann nickte er vorsichtig. “Ich bin mir sicher”, flüsterte er. “Lass uns die Katze im Auge behalten.”

Der Bannstrahler sah den Mersinger und Andesine tuscheln und folgte ihren Blicken, die immer noch auf der Katze zu liegen schienen. Noch konnte er sich keinen Reim darauf machen - vielleicht war Lares ein Katzenliebhaber, oder er fürchtete sie aus irgendeinem Grund.

Andesine nickte zur Bestätigung. Sie wusste immer noch nicht so recht, was an der Katze bedrohlich sein sollte, sie hatte gelernt auf den Gefahreninstinkt anderer zu vertrauen. Sie selbst mochte Katzen sehr gerne. Sie warf Linnart einen aufmunternden Blick zu. Bald schon war dieses Spiel vorbei und dann würde man den Park erkunden können.

Dieser zwinkerte der Ritterin zu, als er sich ihres Blickes gewahr wurde. Seine Lippen umspielte ein sanftes Lächeln.

Sina schmunzelte beim Anblick des Mersingers, den das Erscheinen der Katze wohl so sehr aufwühlte, dass er von den beiden jungen Damen an seiner Seite beruhigt werden musste. Dann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und musste kichern. Sie versuchte krampfhaft, sich zurückzuhalten. Ihre Fingernägel gruben sich in ihre Handfläche, trotzdem konnte sie den drohenden Lachanfall nur mit einem Husten kaschieren. Als sie sich drehte, sah sie die Katze und Aureus. Wie niedlich, dachte sie.

“Hallo. Wer bist Du denn?” Aureus kniete sich in gebührendem Abstand hin und blickte die Katze an. Er kniff dabei die Augen zusammen, so dass er sie nur durch einen schmalen Schlitz erkennen konnte und streckte ihr die Hand auf Höhe ihrer Nase entgegen.

Die Katze, die eigentlich ein Kater war, schaute Aureus misstrauisch an. Das flauschige Tier wechselte seine grünen funkelnden Augen in eine goldgelbe Farbe, hob seinen Schwanz und kam schnuppernd näher. Asiriel konnte nicht anders. ´Was dieser Mensch nur wollte?´

Der Junker wartete geduldig, bis er ein Zeichen von der Katze, er hatte ihr noch nicht zwischen die Hinterbeine geblickt, bekam, dass er sie berühren durfte. Vorsichtig kraulte er den Hals und als er ein Schnurren vernahm, wanderte er unter das Kinn. Die meisten Katzen, so wusste er mochten dies besonders gern.

Wie der Junker es sich schon gedacht hatte, fing der Kater an zu schnurren. Asiriel gehörte zu der Nuala-Rasse, dessen Schnurren eine ´besondere´ beruhigende Wirkung hatten. Langsam aber sicher, verlor Aureus sich in Gedanken und eine äußerst glückliche Stimmung machte sich in seiner Brust breit.

Was zur Folge hatte, dass sich der Altenweiner ganz auf Asiriel konzentrierte und nicht mitbekam, welche Bücher von den restlichen Damen ausgewählt wurden. Er war ganz damit zufrieden im Sonnenschein zu hocken und dem Kater ein paar wohlige Augenblicke zu schenken. Vielleicht, dachte er bei sich, wäre es ganz schön später auch ein, zwei Katzen im Haus zu haben.

´Interessant´. Dachte der Kater bei sich,´ich glaube der wird Selinde gefallen´. Asiriel riß sich los und hüpfte zum Tisch der Baronin. Erst einige Momente später kam Aureus wieder zu Sinnen.

`Schade, schon vorbei. Aber so sind sie die Katzen. Haben ihren eigenen Willen.`Aureus richtete sich wieder auf und blickte um sich, während er seine Kleider wieder richtete. `Diese Festtagsgewänder sind nicht unbedingt dazu gemacht, sich zu bewegen`,grummelte er innerlich. Er nahm sich vor den Rest des Tages, und der Nacht, nach Katzen Ausschau zu halten. Eine weitere Schmusestunde konnte ja nicht schaden.

Sina hatte die beiden beobachtet. Erst fand sie es ansprechend, dass Aureus so tierfreundlich war. Als dieser sich mit seelig-verträumten Blick um den Kater kümmerte, runzelte sie die Stirn. Er schmuste mit Katzen, aber nicht mit Frauen...Erfahrung würde er hoffentlich schon haben? Trotzdem war es seltsam.

Als der strenge Blick des Praiosgeweihten auf ihr ruhte, strich Luzias Hand über die Bände. Sie hatte sie gemeinsam mit ihren Schwestern bei ihrer Tante studiert. All die trockenen, faden Inhalte. Und was sollte es aussagen, welches sie wählte? Sie tippte schließlich auf das Älteste: “Ohne dieses hier, wären keine anderen da, die man aussuchen könnte.” Dann schritt sie zurück in die Reihe und wartete, was die Herren zu sagen hatten.


“Und nun die Herren!”

Aureus brauchte eine Weile, sich zu entscheiden. Er kannte längst nicht alle Werke, doch hatte er von ihnen gehört und wusste zumindest grob, was sie voneinander unterschied. Schließlich griff er zur Emerschen Reichsreform. “Ich habe mich für dieses Werk entschieden, weil es verdeutlicht, dass man althergebrachte Regeln gelegentlich überprüfen und entsprechend ändern sollte. Das zeigt auch, dass selbst Gesetze lebendig sind. Und außerdem gibt es eine persönliche Komponente: Dieses Werk trat im selben Jahr in Kraft, indem ich das Licht der Welt erblickte.” Er trat vom Tisch zurück und wartete auf das Urteil des Geweihten.

Durinjas Interesse an Aureus schwand langsam. Zumindest war der Junker nicht verwurzelt in der Vergangenheit.

Ademar nickte ihm wissend zu und erwartete den nächsten.

Als nächstes trat Linnart vom Traurigen Stein vor. Mit einem Kopfnicken grüßte er den Geweihten, dann wandte er sich den verschiedenen Gesetzestexten zu. Der junge Diener des Götterfürsten nahm sich Zeit für seine Auswahl und wog ein jedes der Werke ab. Grundsätzlich waren ihm alle sechs der Codices bekannt gewesen. Die Ius Concordia, als von Rohal dem Weisen kodifiziertes Recht der Trennung von Kirchen und dem Staat schien ihm als Angehöriger des Ordens vom Bannstrahl Praios´ unpassend. Nicht nur war er als Bannstrahler ein Relikt der Priesterkaiserlichen Herrschaft über das Mittelreich, Rohal der Weise war darüber hinaus auch der, der seinen Orden gar verbieten hat lassen. Sein Blick ging weiter auf den Codex Albyricus. Ein Gesetzeswerk, das die Gildenmagie regelt, schien ihm auch unpassend, wiewohl er ein Befürworter dessen war, den Magiern noch striktere Fesseln anzulegen. Der Codex Methumis, als alte Gerichtsordnung, war hingegen ein für ihn sehr interessantes Werk, doch für die anwesenden Laien vielleicht etwas zu trocken. Der interessierte Blick des Ritters ging weiter zum Silem-Horas-Edikt. Die Abgrenzung des einzig wahren Glaubens hin zu den damaligen Götzenkulten der dunklen Zeiten. In seinen Augen die wohl richtige Wahl, dennoch entschied er sich dagegen und griff zu jenem Werk, das man wohl am wenigsten von ihm erwartet hatte; das Ilsurer Edikt, auch wenn er einen anderen Zugang zu seiner Wahl hatte als zuvor Durinja. Wenn man es genau betrachtete war das Edikt eine Schlamperei Eslams von Almadas gewesen, entließ die verabsäumte Nennung der Stadt Vallusa, diese doch faktisch in die Unabhängigkeit. Lächelnd wandte er sich den anderen zu. "Ich habe mich für das Ilsurer Edikt entschieden ...", führte der Traurigsteiner mit fester Stimme aus, "... von Eslam dem Zweiten erlassen, regelte es die Provinzen des Mittelreichs neu. Da er die Stadt Vallusa an der Misamündung weder dem Bornland, noch Tobrien zugewiesen hatte, entließ seine Majestät sie damit de facto in die Unabhängigkeit." Abermals lächelte er in die nun etwas verwirrt wirkenden Gesichter der anderen. "Was mich schon zum eigentlichen Grund für meine Wahl bringt. Vallusa ...", Linnart machte eine wohlgesetzte Pause, "... jene Stadt, die der Reichsbegründer Raul der Große nach seiner geliebten Ehefrau benannte. Vallusa von Bosparan ... eine Base der Dämonenbuhle Hela-Horas ...", der Ritter war seit Jahr und Tag begeistert von Kaiser Raul dem Großen gewesen und verschlang als junger Zögling jedes Buch über diesen Helden, das die Klosterbibliothek hergab, "... und viele meinen gar ein Mitgrund für den Garether Aufstand." Er strich sanft über den Einband des Buches. "Für mich als Heranwachsender war die Geschichte um Raul und Vallusa das Idealbild, das man in einer Beziehung zu seinem Ehepartner erreichen konnte. Zuneigung ... Liebe ... aus der man soviel Kraft schöpfen konnte, dass man sich gemeinsam, Hand in Hand, gegen alles zu stellen vermag - auch gegen Unglauben, Verrat und die geballte Verderbtheit der Siebten Sphäre." Linnart schenkte den anwesenden Frauen einen Blick. Eine jede von den sechs war alleine deshalb schon in seinem Ansehen gestiegen, weil sie am heutigen Tage die Nähe des Gleißenden suchten. Dann begab sich der Ritter zurück in die Reihen der Umstehenden.

Ein warmes Lächeln breitete sich auf Andesines Zügen aus, als seine Buchwahl erläuterte. Seine Worte bestätigten nur, was sie schon längst wusste. Dies war der eine, richtige Mann für sie. Mit ihm würde sie glücklich werden. Die Hand mit dem Ring wanderte zu ihrem Herzen und blieb dort liegen.

Ein warmer Blick traf ihn aus Durinjas Augen. Auch sei er im Dienste der Bannstrahler, aber er bestätigte mit seiner Wahl exakt was sie dachte. Er war fehlbar und er wußte darum. Und wie auch der Kaiser erlaubt er sich ´Fehler´ die nicht ins Bilde des Götterfürsten passten. Das romantische Geschwafel ließ sie außer acht. Der Traurigensteiner konnte selbst hier sein Hang zur Lieblichen Göttin nicht verbergen. Andesine mag das falsch verstehen und es als Botschaft für sie sehen. Sie allerdings hat verstanden, wer er wirklich war.

Keine Miene regte sich im Gesicht des Praioten.

Der Mersinger hatte großen Respekt vor der schönen Begründung, die Linnart vortrug. Lares war versucht gewesen, die Ius Concordia oder aber den Codex Methumis zu wählen und in stundenlange Vorträge über den Halsgerichtsprozess in seiner Entwicklung seit 459 BF zu referieren. Das hätte, wahrscheinlich bis auf Ademar, der für Rechtsgeschichte schon immer begeistert war, niemanden interessiert - sogar der Bannstrahler hätte ihn wahrscheinlich eher versohlt, als dem länger zuzuhören. Die Damen hätte er wahrscheinlich vertrieben und seine Pagin eingeschläfert. Stattdessen hörte er in Gedanken seinen Onkel sprechen: “Die Familie, Lares. Die Familie zählt.” Na dann. Der junge Ritter trat nach vorne und nahm die ‘Emersche Reichsreform’ in die Hände. Er schlug den dünnen Band auf und blätterte zielstrebig auf eine der hinteren Seiten. “Ich habe die Emersche Reichsreform gewählt. Die Wahl hat zwei Gründe: Der eine davon liegt in der Familie. Eigentlich hätte das Dokument ‘Brinsche Reichsreform’ heißen sollen. Der Reichsbehüter hatte diese grundlegende Neuordnung des Neuen Reiches vorbereitet. Leider erlebte er die Verkündung nicht mehr - er starb zuvor und zwar auf der Burg Mersingen - einer Burg unseres Hauses. Darüber hinaus wurde der Reichserztruchseß in dem Dekret zum Schatzmeister seiner kaiserlichen Hoheit ernannt. Auch das war ein Angehöriger meiner Familie - Fingorn von Mersingen. Das Dokument macht mir bewusst, wie groß unsere Familie ist. Eine große Familie geht mit großer Verantwortung für ihre Zukunft einher.” Lares schaute dabei an den Anwesenden vorbei in die Ferne, wobei sich sein Gesicht unmerklich verdunkelte. Dann schaute er jedoch plötzlich die Damen wieder an. “Aber ich finde, das Dokument hat eine viel wichtigere Bedeutung, die mit dem heutigen Tag verbunden ist: Mit der Reichsreform wurde besiegelt, dass eine Frau, unsere Kaiserin, den Raul’schen Thron besteigen konnte. Dadurch wurde nicht nur die Erbfolge im Haus Gareth gesichert und damit die successio gewährleistet.” Lares nickte Ademar zu. “Es wurde ein für allemal klargestellt, dass jedes Amt von Frauen und Männern gleichermaßen bekleidet werden können. Ich wünsche mir, meine zukünftige Frau als gleichberechtigte Partnerin genauso respektieren zu können, wie wir heute eine Kaiserin für selbstverständlich halten.”

Der Traurigsteiner hatte den Ausführungen des jungen Ritters aufmerksam gelauscht. Bei seinem letzten Satz nickte er bestätigend. Gleichberechtigung der Geschlechter sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn er an seine Eltern dachte, müsste wohl eher sein Vater um Gleichberechtigung kämpfen, was dessen lebensfrohe und müßiggängerische Seele jedoch niemals tun würde - lebte es sich im Status quo doch so viel entspannter. Mutter hingegen war eine starke und intelligente Frau, die seine Familie auf ihren schmalen Schultern trug. Demnach sollte das Nicken des Bannstrahlers auch nicht ersterben, als ihn der Blick des Mersingers traf.

Mit großer Aufmerksamkeit hatte auch Andesine Lares zugehört. Und wieder bestätigte sich ihr gewonnener Eindruck, dass Lares einen hervorragenden Ehegatten abgeben würde. Aber auch das bestätigende Nicken Linnarts blieb ihr nicht verborgen. Sie hoffte nur, dass ihr kleiner verbaler Ausbruch vorhin nicht das Bild zerstört hatte, welches die beiden Männer von ihr hatten.

Lares Ansprache kitzelte ein Schmunzel aus Durinja. Gleichberechtigung ist etwas, was sie sich auch wünschte, solange ihr ´gleichberechtigte´ Partner sich ihren Wünschen fügte. Bis jetzt verhielt sich der Mersinger ihr zögerlich gegenüber, aber als Option behielt sie ihn in Gedanken.
Respektvoll nickte Ademar und erwartete den Ingerimmgeweihten als nächstes.

Belfionn trat an den Tisch und schaute sich die 6 Bücher an. Es kam für ihn nur eins in Frage, das Silem-Horas-Edikt. Für die anderen mag es befremdlich aussehen, das ein Ingerimmgeweihter am Tisch des Praios steht, doch kennen die anderen nicht sein Grund und der heißt Sina. Nur wegen ihr steht Belfionn vor dem Praioten und wählt ein Buch aus. “ Bruder, ich wähle das Silem-Horas-Edikt.” Der Geselle nickt dem Praioten zu und reiht sich bei den anderen wieder ein.

Mit dem Buch vor sich auf dem Tisch stand Sina etwas ratlos da. Das sollte ihr helfen einen Mann zu finden? Sie aus einem bestimmten Grund den Praiostisch gewählt. Travia oder Rahja hätten wohl besser gepasst, aber Praios stand für die Wahrheit. Ja, das war eine Sache. Außerdem waren die interessantesten Männer hier. Sie blickte sich um und sah reges Treiben an Rahjas Tafel und ärgerte sich. Dort kam man der Sache immer näher und hier musste sie ein langweiliges Buch anstarren und großspurige, besserwisserische Reden der andere anhören, warum sie dieses oder jenes Prachtexemplar gewählt hatten. Ja, für Linnart war das typisch, der war da ganz in seinem Element. Sie ließ ihren Blick über ein paar weitere Gäste schweifen. Lares...ja gut, der kleine Kerl hatte sicher viel mehr Nächte mit Büchern verbracht als Stundengläser mit Damen. Wahrscheinlich war das Kind neben ihm seine künftige Braut, so hatte er noch Zeit zu lernen. Außerdem sah er sie gerade grimmig an. Sie erwiderte mit einem Lächeln. Belfionns Anwesenheit wunderte sie nicht. Er war sicher hier, um auf sie aufzupassen. Sie selbst suchte auch die Nähe eines hier anwesenden Mannes, doch hatte dieser bisher nur Augen für eine andere Frau gehabt. Ach ja, die Frauen … Sina seufzte. Linnart war so … berechenbar und auf bestimmte Merkmale fixiert, Andesine hatte das früh erkannt und ihn schon so gut wie sicher. Aber sie durfte keinen Fehler machen. Durinja gefiel ihm wohl auch und sie wusste, ihre Reize einzusetzen. Ob es unbedingt der Bannstrahler sein musste, oder ob es vielleicht doch eher die Tatsache war, dass dieser so gut wie vergeben war, die sie anstachelte, war nicht sicher. Melisandre schien vom Wesen her ein ähnliches Kaliber zu sein. Wie auch immer. Praiona… eine Sache für sich. Nett. Aber sie und Aureus verstanden sich viel zu gut.Talfano sagte ihr noch nichts und Milian war zumindest modisch gekleidet, sah man von seinen weißen Stiefeln einmal ab.

War das ein Schmunzel auf Ademars Lippen? Seine Augen weiteten sich, als der nächste vortrat.


Selbstbewusst ging dann Milian von Altenberg nach vorne. Er schaute sich nochmals nach seinen männlichen Mitstreitern um und lächelte, um seine schönen Zähne zu zeigen. Er musste nicht lange nachdenken und griff nach dem Codex Methumicus. “Unser ältestes Rechtswerk ist was ich wähle.” Milian legte es zurück. “Ich glaube an das Fundament. Praios hat dieses uns auf dem Weg gegeben, um unsere Reiche aufzubauen. Unseres geliebtes Nordmarken basiert auf dieser alten Struktur. Das Alte hat sich bewährt.” Würdevoll schritt er zurück in die Reihe.

Eine Wahl und Begründung, die Linnart ein knappes Nicken entlockte. Den Höfling selbst beäugte er mit einer Mischung aus Amüsement und Gleichgültigkeit. Ein junger Mann mit wahrlich fragwürdigem Modegeschmack, der sich im Dunstkreis höher gestellter Adeliger rumtrieb, ohne jemals selbst etwas leisten zu müssen, oder gar Verantwortung zu übernehmen. Als Konkurrenz sah er den Gecken jedenfalls nicht. Frauen, die dieses müßiggängerische, lediglich von Ehrgeiz getriebene Bild Mann präferierten, waren sowieso nicht sein Fall.

Anerkennend nickte Ademar.

Der Jüngste in der Runde sah sich nun berufen zu wählen. Noch immer im Studium kannte er sich mit den Gesetzeswerken gut aus. Aber Talfano war es durchaus bewußt, dass es nicht darum ging, wie gut er sich auskannte, sondern eher darauf, was ihm persönlich zusagte.

Somit ergriff er die ´Emersche Reichsreform´. “Ich glaube daran, das eine Rechtsform beweglich sein sollte. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, das Altbewährtes nicht ausreicht. Die Quanionsquest hat gezeigt, dass der Götterfürst Praios nicht starr in seinen eigene Gesetzen ist. Somit befürworte ich Wandel, nach genauer Prüfung. “ Leichte Röte war ihm ins Gesicht gestiegen, fühlte er sich unter den älteren und weiseren Männern streng beobachtet.

Der Geweihte strich sich am Kinn und bat den nächsten hervor.

Der erfahrene Runegard vom Schwarzen Quell hatte lange über seine Wahl nachgedacht, trat schließlich jedoch entschlossen vor. “Gern hätte ich den ‘Ringenden Herrn’ gewählt, gehört es doch zum Grundzeug das ein jeder der ein Lehen führt gelesen und in weiten Teilen verinnerlicht haben sollte. Doch dieses Werk steht nicht zur Wahl… “ Dabei ließ er die Rechte sanft über die Werke streichen. Ius Concordia. Wichtig? Ja, aber um ehrlich zu sein war seine Quintessenz auch in einem Satz zusammenzufassen. Der Ilsurer Edikt? Nie im Leben, er war nicht mehr als der Versuch eines Herrschers seinen Namen im Gedächtnis kommender Generationen zu verankern. Der Versuch war geglückt, doch das Ergebnis eine Schande. Codex Albyricus? Ein Werk das er für sehr wichtig erachtete, dessen detaillierter Inhalt letztlich jedoch nur von Magiern erörtert wurde. Vermutlich verstanden sich liebfeldische Magier am besten darauf, immerhin suchten sie daran nach Lücken die sie von der Kleidungspflicht befreiten. Das Silem-Horas-Edikt war ebenfalls ein wichtiges Werk, doch war er dafür schlichtweg nicht genug Frömmler. Auch die Emerische Reichsreform kam für ihn nicht in Frage, dieser hatte letztlich nur ein Ziel gehabt und dieser war es gewesen der Kaiserin den Weg auf den Thron zu ebnen. Etwas das Runegard befürwortete, aber es war kein Werk das sein täglich Leben bestimmte. Schließlich griff er zum Codex Methumicus und hielt ihn hoch. “Altes Recht ist gutes Recht.” Zitierte er den verschiedenen Reichskanzler und Herzog der Nordmarken, Hartuwal. “Es mag sich nicht um ein Gesetzeswerk aus nordmärkischer Feder handeln, doch auch unser Recht beruft sich auf die hierin festgeschriebenen Grundsätze.”

Das entlockte Lares ein zustimmendes Brummen.

Auch Linnart empfand sowohl Wahl, als auch Begründung stimmig und nickte knapp. Das angesprochene Werk mit dem Namen ´Ringender Herr´ kannte er jedoch nicht. In Gedanken setzte er es auf seine Literaturliste.

Der Schwarzenqueller hatte etwas an sich, das Durinja einen leichten Schauer über den Rücken verursachte. Sie schätzte ihn als einen unbeweglichen Mann ein, der nicht leicht zu führen war. Eigentlich genau das richtige für Andersine.

Sina langweilte sich am Tisch, ihre Gedanken schweiften nicht das erste Mal in weite Ferne. Wieder riskierte Sina einen Blick zum Rahjatisch, von wo heiteres Gegröle zu hören war. Dieser Dorcas, den man ihr als gute Partie empfohlen hatte, war gerade der Lauteste und hielt sich mit dem Küssen nicht zurück. Lucrann, der einer ihrer Favoriten war, hielt sich bei der Rahjanovizin und der knabenhaften jungen Tannenfelserin auch nicht gerade zurück. O weh, Linnarts Schwester. Bei ihr würde sie sich später noch vorstellen. Wahrscheinlich hatten alle dort etwas bekommen um ihre Hemmungen fallen zu lassen. Hm ... Lucrann ... Er hatte was, wirkte gepflegt, ruhig, wohlhabend und wie ein Mann von Dere. Sie verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein, betrachtete ihre Fingernägel und die Männer am Tisch. Aureus war hübsch und sicher ein anständiger Kerl. Leider hatte er entweder gar kein Interesse an ihr, oder er war etwas schüchtern. Nicht so Belfionn. Sie wusste, dass er sie begehrte und ansehnlich war er auch. Sina war etwas skeptisch, ob er auf Dauer nicht zu besitzergreifend und eifersüchtig wäre. Tja ... Runegard und Talfano. Zu den beiden konnte sie bisher bloß sagen, dass der eine Mann zu alt, der Andere etwas zu jung, aber sympathischer war. Vielleicht wurde einer der Beiden ja noch interessant. Sie musste schmunzeln. Linnart würde bald zu ihrer Familie gehören ... gewissermaßen ... und die Erwählte dann wohl auch. Ihm fiel es sicher nicht schwer, eine Frau zu finden. Anfangs hatte sie ihn für einen eingebildeten, arroganten Besserwisser gehalten - inzwischen hielt sie ihn für einen arroganten Besserwisser, der innen drin eigentlich ein guter Kerl war, Ruhe und Sicherheit ausstrahlte. Sie würde ihn um Rat fragen wenn sie einen Bewerber als Favoriten ausgemacht hatte, oder wenn sie am Ende der Brautschau alleine geblieben war. Lares hingegen sah so streng aus. Sicher war er sehr intelligent, vielleicht sogar ein netter Kerl, aber eben nicht wirklich von Rahja gesegnet. Sie konnte ihn sich nicht als verheirateten Mann vorstellen. In ein paar Jahren vielleicht? War da noch wer? Ach ja genau, der Milian. Weiße Stiefeln ... Ihr sträubten sich die Haare. Ansonsten war er sicher modebewusst und pflegte einen extravaganten Lebensstil. Ein Geck. Sie hatten sich kurz gesehen und sein Blick war über sie hinweg geglitten. Sina wartete, was nun geschehen würde.

Nachdem alle mit ihrere Wahl fertig waren, trat Ademar von Leihenhof vor den Tisch. Nur ein aufmerksamer Beobachter bemerkte, dass der Geweihter entrückter wirkte als zuvor. “Praios hat euch erhört. Reflektiert euch, macht euch Gedanken über die Wahl der Anderen. Kommt zu mir, wenn ihr Hilfe im Verstehen benötigt.” Er formte das Zeichen der Sonne mit seinen Fingern und signalisierte, dass das Götterspiel beendet war.

Linnart tat wie ihm geheißen und sann über das Götterspiel nach. Er hatte sich ein Zeichen des Gleißenden erhofft, doch offenbarte sich dieses im ersten Moment nicht. Sein Blick lag auf Andesine und ging dann weiter zu Durinja. Beide waren sie wunderschön anzusehen, doch charakterlich extrem unterschiedlich. Er fühlte, dass die Ritterin ehrliche und wohl auch tiefe Gefühle für ihn hegte. Auch war sie verantwortungsbewusst und ein Familienmensch - alles in allem also genau jener Typ Frau, den Mann sich in seiner Situation wünschen konnte. Linnart würde noch für längere Zeit im Orden gebunden sein und er brauchte eine Partnerin, die ihm in dieser Zeit den Rücken frei hielt, auch wenn die örtliche Distanz zwischen ihm im Kloster und seiner Angetrauten im Landpalazzo seiner Familie ein geringer sein mochte. Durinja war für ihn schwer einzuschätzen. Ihr Selbstbewusstsein und die herausfordernde Art, die sie ausstrahlte, zogen ihn an, doch war er sich betreffend ihrer Absichten unschlüssig. Der Traurigsteiner war kein Mann, der sich leicht manipulieren und steuern ließ, nein, dafür hatte er mit dieser Art Frauen einfach schon zuviel Erfahrung. Er hatte seinen eigenen Kopf und vielleicht sah ihn die Altenbergerin gerade deshalb als Herausforderung. Ihre Wahl hier am Tisch und die Begründung dazu änderten jenes Bild, das der Bannstrahler von der Zofe hatte jedoch etwas. Sah er sie erst eher als potentielles, ihn wohl stets forderndes Schmuckstück an seiner Seite, so kam er nicht umhin zu bemerken, dass sie wohl nicht der gänzlich oberflächlich denkende Mensch war, für den er sie anfangs gehalten hatte. Linnart legte seine Hände ineinander und schloss seine Augen. 'Herr Praios, weise mir den Weg', betete er stumm, 'ich lasse Dein Licht in mein Herz, aufdass es meine Seele erhelle.' Dann öffnete der Ritter seine Augen und atmete tief durch.

Nachdem das Spiel vorbei war trat Lares an den Bannstrahler heran und zog ihn vorsichtig beiseite. Auch ihm berichtete er von seiner Wahrnehmung hinsichtlich der Katze. “Herr vom traurigen Stein: Ich habe das ungute Gefühl, dass uns der Götterfürst ein Zeichen senden wollte, doch ich verstehe es nicht. Sagt, wisst Ihr, woher diese Katze kommt? Gehört sie hier jemandem auf dem Fest oder ist es ein Streuner?”

"Hm …", brummte der Angesprochene. Er war erst überrascht über die Frage und die Tatsache, dass der Mersinger sie so bald nach dem Gottesdienst an ihn heran trug. Allem Anschein nach beschäftigte diese Sache Lares sehr und alleine deshalb nahm Linnart es ernst, "... für einen Streuner war das Tier zu gepflegt", merkte er dann an. Seine Schwester und seine Mutter liebten und hielten sich Katzen, was dazu führte, dass auch er über etwas Expertise verfügte. So wusste er auch, dass Nualas hier in den Nordmarken nicht heimisch waren. "Ich denke, dass die Katze zu jemandem gehört. Zu einem Gast, oder zu den Gärtnern hier im Park. Was habt Ihr beobachtet?" Fragte er dann interessiert.

“Ich sah die Reflexion auf den Sphärenkugeln der Geweihten - Praiona?”, Lares musste sich eingestehen, dass er vor lauter Aufregung den Namen vergessen hatte, “...das Licht fiel dann auf das Gesicht von Vater Ademar. Es war für mich so, als ob unser Herr uns, also insbesondere seinen Diener, auf etwas hinweisen wollte, dass förmlich vor seinen Augen lag. Aber bisher ist mir an der Katze nichts merkwürdiges aufgefallen. Sie hat lange mit dem Altenweiner gespielt, aber das machen Katzen nun einmal. Aber dieses Zeichen…” Lares wirkte grüblerisch. Hatte er übertrieben? “Wenn wir die Katze wiedersehen sollten wir sie im Auge behalten.”

'Ein Zeichen des Herrn', sann Linnart dem Gesagten nach. Vielleicht hatte er recht und der Herr wollte auch ihn auf etwas hinweisen. Nicht die anwesenden Frauen betreffend … so genau hatte der Bannstrahler seinen Wunsch im Gebet ja auch nicht formuliert. "Gut beobachtet", merkte er dann an, "es ist auf jeden Fall möglich, dass der Herr uns auf etwas hinweisen wollte. Ob es direkt oder indirekt mit der Katze zu tun hat, wäre interessant zu wissen. Ihr habt jedoch Recht … wir sollten das Tier, sofern es uns noch einmal unterkommt, beobachten." Linnart wusste natürlich auch, dass Hexen ihre Vertrauten gerne unter die Menschen schickten, um Informationen zu sammeln und dass Katzenhexen sich gerne den Nualas als Vertraute bedienten - Dinge, die einem jeden Zögling des Ordens schon recht früh eingetrichtert wurden, waren Naturzauberer und deren Verhaltensmerkmale doch ein wichtiger Bestandteil des Curriculums in der Ausbildung. Zu den Töchtern Satuarias hatte der Traurigsteiner sowieso ein sehr besonderes Verhältnis gehabt, war ihm doch als einer der wenigen seines Ordens bewusst, dass bei Weitem nicht alle es verdient hatten verfolgt zu werden.

Nachdem der Geweihte das Spiel für beendet erklärt hatte, lauschte Melisande in sich hinein, doch sie konnte nichts besonderes spüren - was daran liegen mochte, dass sie keine echten Absichten hegte; oder dass sie Praios nicht im Besonderen verehrte. Oder dass einfach nicht der Richtige am Tisch hier anwesend war. Was sie ehrlich gesagt auch gewundert hätte. So verbuchte sie das Spiel in Praios’ Namen also unter ‘kuriose Erinnerung an einen schönen Tag’ und verlegte sich wieder auf das Beobachten der anderen Anwesenden. Dabei fiel ihr auf, dass der Mersinger und der Herr vom Traurigen Stein sich überaus ernst zu unterhalten schienen, was so gar nicht zum Anlass dieser Zusammenkunft passte. Sie schob sich ein wenig näher an die beiden heran, um vielleicht ein paar Gesprächsfetzen aufschnappen zu können.


Der Altenweiner war verwirrt, dachte er doch das Spiel diene dazu, diejenigen, welche dasselbe Buch wählten zusammen zu bringen. Aber da musste er sich gewaltig geirrt haben, denn es ging nicht auf: der Albyricus war von zwei Frauen gewählt worden, der Methumicus von einer Frau und zwei Männern, die Reichsreform hingegen von drei Männern und die Concordia gar nicht. Einzig die beiden Edikte waren von je einem Mann und einer Frau erwählt worden. Nun gut, er hatte sich von dem Kater ablenken lassen und wusste daher nicht, für welches Werk sich die Baroness entschieden hatte und welche Begründung sie dafür angab.Zudem waren sie ja nun unheilige 13 Kandidaten an diesem Tisch und der Mersinger war plötzlich so aufgewühlt. Alles Dinge, die es ihm schwer machten sich der Aufgabe zu stellen: die Selbstreflexion. Hatte er sich richtig entschieden? Ja! Auch nachdem er die Begründungen der Anderen kannte, und ihnen Größtenteils zustimmte, würde er wieder so entscheiden. Und seine Begründung? Nun, der angehende Advocatus hatte es feiner formuliert und der Mersinger hatte etwas angedeutet, dass Aureus erst jetzt so richtig klar wurde: die Reform wurde von dem einen Ehepartner begonnen und von dem anderen beendet. Beide waren, über den Tod hinaus, damit verbunden. Und war das nicht das Idealbild der Ehe? Der ewige Bund?! Aber, so wurde ihm ebenfalls klar, als er das Werk mit sich und seiner Geburt in Verbindung brachte, so mochte man es ihm als Eitelkeit auslegen. Und ja, er war eitel. Nicht, dass er stundenlang vor dem Spiegel zubrachte, nein, es war die Art von Eitelkeit, die aus dem Wunsch entsprang immer gut dastehen zu wollen. Aber warum? Weil die Schande seines Vaters immer noch auf ihm lag. Und solange er nicht damit abgeschlossen hatte, würde es ihn weiter verfolgen. Nun gut, daran würde er arbeiten müssen. Dennoch blieb die Frage, welche der Damen mochte denn nun am besten zu ihm passen? Er mochte Praiona, auch wenn sie nicht dem üblichen Schönheitsideal entsprach, doch wer wusste schon, wie all die schlanken Damen in 10 Jahren aussehen würden. Sie würde bestimmt eine gute Mutter werden und eine treue Partnerin. Warum aber hatte sie den Albyricus gewählt und dann `vergessen`ihre Wahl zu begründen? Auch Sina wählte den Albyricus. Intuitiv, wie sie sagte. Intuition war nicht zu verachten, aber der nachgeschobene Satz ließ kein gutes Licht auf sie fallen. Böse Zungen könnten da Faulheit hinein interpretieren. Bei Melisandes Begründung hingegen schon eher Dummheit. Andererseits schien sie Methumis zu kennen und mochte wohl Kunst und Wissenschaft. Vielleicht lag ihr die Rechtskunde einfach nicht. Doch, wer sollte ihn denn auf seinem Gut vertreten,wenn er im Auftrage von Herzog, Kanzlerin oder Orden unterwegs war? Durinja war hübsch. Sehr hübsch und klug, geheimnisvoll, faszinierend. Das hatte das kurze Gespräch mit ihr gezeigt, aber sie legte auch Wert auf kostbare Steine und edles Geschmeide. Zudem war sie sehr selbstbewusst. Eine Ehe mit ihr würde sicherlich ewigen Kampf bedeuten und eventuell würde sie sich, hinter seinem Rücken, zur heimlichen Herrscherin über sein Gut aufschwingen und er wäre nichts weiter, als eine Mirhamionette. Die Wasserthalerin war sehr adrett, ihre Begründung einfach, bescheiden, nichtssagend. Doch hatte er auf dem Rabenmarkfeldzug Radulf und Palinor kennen gelernt. Wenn sie vom selben Schlag war, wäre sie eine gute Wahl. Blieb noch Luzia. Die Baroness, deren Beitrag er verpasst hatte. Sie war noch sehr jung, aber es lockte ihn schon ein wenig in eine Baronsfamilie einheiraten zu können. Sollte er sich die Blöße geben und sie fragen, was sie gewählt hatte und warum? Er wusste es nicht. Nur eines schien ihm klar. Er würde die Hilfe seiner Ehrwürden brauchen.

Wie? Das war es? Jeder hat ein Buch gewählt, das mehr oder auch gar nichts sagte und das aus welchen Gründen auch immer. Man hatte versucht, irgendeinen geistreichen, klugen oder interessanten Kommentar von sich zu geben. Oder eben nicht. War die Wahl auf diesen Tisch beschränkt? Sie machte sich ihre eigenen Gedanken und schwieg.


Ademar hatte das Zeichen des Herrn wohl bemerkt, er ahnte was es zu bedeuten hatte, sicher war er sich noch nicht. Er schaute sich seine Schützlinge an. Einige nachdenkliche, ja unsichere Blicke wurden ihm zuteil. Wie erwartet, schien nicht alle die Zeichen verstanden zu haben. Doch warum kam keiner und fragte um Rat? Waren sie zu stolz oder war der Respekt ihm gegenüber zu groß? Der Praiosgeweihte schüttelte kurz seine eigenen Gedanken ab. “Wenn es jemanden gibt, dem ich helfen kann zu verstehen, so könnt ihr gerne zu mir kommen. Falls es aber genug wart, so geht eures Weges, denn dass große Lustwandeln im Park beginnt bald.” Er selbst wußte, das er hiernach Bruder Rondradin um Rat fragen wollte.


Lares würde dieses Angebot annehmen, aber erst, wenn es etwas ‘ruhiger’ geworden war. Seine Priorität galt nämlich gerade nicht mehr (so sehr) der Suche nach einer treuen und klugen Gattin, sondern nach dem gewissen störenden Etwas, von dem er noch nicht sicher war, was es war. So wartete der Mersinger und stand konspirativ mit Linnart, Andesine und seiner Pagin in der Gegend herum.

Die Ritterin brauchte keine Unterredung mit dem Geweihten des Götterfürsten, um zu erkennen wen sie haben wollte. Das hatte schon vor dem Spiel festgestanden. Sie warf einen fragenden Blick in die Runde. “Also, was machen wir jetzt? Sollen wir ausschwärmen und die Katze suchen oder herumfragen ob jemand eine Katze mitgebracht hat?”

“Herumfragen fände ich etwas zu auffällig. Haltet Ihr es nicht für vernünftig, mit Vater Ademar zu sprechen. Schließlich wurde er von Licht des Herren geblendet.”

Linnart konnte dazu nichts sagen, hatte er besagtes Zeichen des Herrn doch schlicht und einfach übersehen. Innerlich schalt er sich dafür, doch schienen die Reden der anderen am Tisch seine gesamte Aufmerksamkeit in Beschlag genommen zu haben. “Ja, wenn es seine Ehrwürden war, dem der Herr ein Zeichen schickte, wäre es gut ihn auch zu dessen Deutung zu befragen. Wer weiß hatte es überhaupt mit der Katze zu tun?”

Es war Andesine die den Kater wieder entdeckte. Schnurrend und schmusend auf dem Schoß der Baronin von Schweinsfold.

Daran, mit dem Geweihten über sein Erlebnis mit dem Tier zu sprechen, hatte sie gar nicht gedacht und so wollte sie Lares schon zustimmen, als ihr Auge auf die Baronin und die Katze fiel. “Das ist eine hervorragende Idee, mein lieber Lares.” Meinte Andesine freundlich. “ Allerdings würde ich dieses Gespräch vorerst aufschieben wollen. Darf ich das Augenmerk meiner lieben Mitstreiter auf den Tisch dort drüben lenken? Genauer gesagt auf ihre Hochgeboren Selinde von Schweinsfold und das Tier auf ihrem Schoß. Das ist doch die gesuchte Katze.“

Mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen musterte der Bannstrahler die Baronin. Sie war ihm noch gänzlich unbekannt gewesen. Eine junge Frau, wie es schien … doch war sie auch jene … Sache, auf die sie der Herr Praios hinwies? Linnart war skeptisch. “Dann wäre die Besitzerin des Tieres wohl ausgemacht …”, sein Blick ging zwischen Lares und Andesine hin und her. Der Ritterin lächelte er dabei zu, “... gilt es nur noch herauszufinden wie das Zeichen des Herrn zu deuten war. Wir sollten seine Ehrwürden konsultieren.”

Lares nickte. Als er die Baronin von Schweinsfold mit ihrer Katze sah beschlichen ihn erhebliche Zweifel, ob er nicht doch auf dem Holzweg war. Die wirkten so vertraut. Und es war eine Baronin. Aber ein Titel hatte noch niemandem von einem Verrat abgehalten. Allerdings wäre das schon ein ganz besonderes Stück. Dann gäbe es in den Nordmarken nicht nur Vampire als Pfalzgräfinnen - bei dem Gedanken schauderte es ihm - sondern weiß der Herr PRAIos sonst noch für Frevler. Als er den Eindruck hatte, dass die Luft einigermaßen rein war, trat er an seinen früheren Lehrmeister heran. “Ademar, wir brauchen Euren Rat. Wir alle vier. Allein”, flüsterte der Mersinger.”

Erfreut, aber auch überrascht faltete Ademar die Hände zusammen. “Sprecht, wir haben hier an diesem Tisch vor nichts und niemanden etwas zu verheimlichen, Junker Lares.” “Ausnahmsweise doch, Euer Ehrwürden. Ich glaube, es geht um eine Angelegenheit, die Diskretion erfordert - zum Zwecke der Wahrheitsfindung versteht sich.”

Ademars blick wanderte von Lares zu Andersine und zu der Pagin. Mit einem Handzeichen, gab er den anderen Ratsuchenden ein Zeichen zu warten. “Ich bin ganz Ohr!”

Lares schilderte in knappen Worten seine Beobachtungen die Katze und das Funkeln des Lichts des Herrn betreffend. Dann schloss er mit den folgenden Worten: “Ehrwürden, Euch traf das Zeichen unseres Höchsten unmittelbar. Wisst Ihr, was uns Herr PRAios damit sagen wollte? Sollte es eine Warnung sein?”

Ademar nickte. “Oh ja, das ist mir nicht entgangen. Und ich möchte euch gratulieren dazu für eure Aufmerksamkeit. Eine praiosgefällige Eigenschaft.”, und legte er seine Hand auf Lares Schulter. “Dieses Zeichen war direkt an mich gerichtet. Ich kann euch soviel sagen. Der Herr hat mir Klarheit gegeben.” Dann wurde sein Blick wieder ernster. “Ich hoffe dass ihr auch verstanden habt, ebenfalls zu verstehen.” “Nein Euer Ehrwürden, leider hat das Zeichen nur Fragen bei mir aufgeworfen. Ihr sagt, das Zeichen war an Euch gerichtet? Aber was sollte es Euch sagen? Oder war der Fingerzeig des Herrn nur für Euch bestimmt - also privat?”

“Der Fingerzeig des Götterfürsten hat mich direkt getroffen. Aber falls ihr ein Zeichen für euch darin erkannt habt, dann mag es für uns beide gedacht sein. Für mich ist die Bedeutung … klar.” Er schien kurz abwesend. “Ihr habt mehr Fragen, was den Zeichen angeht? Ich kann gerne helfen.”

Jetzt war der Mersinger völlig verunsichert. Er musste da wohl was falsch verstanden haben. Er schickte im Geiste ein kurzes Stoßgebet zum strahlenden Herrn. “Nein, ich denke nicht. Ich danke Euch. Vor lauter Katze hatte er total vergessen, warum er überhaupt hier war.” Er blickte zu seiner Pagin hinunter, die ihn schon misstrauisch beäugte...

Und nun fragend ihren Schwertvater ansah.

“So, und was machen wir jetzt? Hat uns diese Geschichte mit den Büchern weitergebracht, was denkst du?”

Sie zuckte mit den Achseln. “Man weiß vielleicht, wer beim Unterricht besser aufgepasst hat?” sagte sie vorsichtig: “Oder… ob jemand mehr…. aus dem Gefühl...heraus Entscheidungen trifft. Ich meine, mehr als aus dem Verstand?”

“Ja stimmt. Das hat man schon gemerkt. Aber meinst du nicht, dass wir das nicht auch ohne das Spiel gesehen hätten? Deine Schwester hat jedenfalls eine kluge Wahl getroffen finde ich. Seine Wurzeln zu suchen ist immer lehrreich.”

Lissa grinste: “Das stimmt!”

“Weißt du was, ich...ähm...nein vergiss es”, stotterte Lares vor sich her, kurz davor, einen Riesenfehler zu begehen und seiner Pagin - seiner PAGIN (!) - irgendetwas über romantische Gefühle vorzuschwadronieren. Das ging garnicht. Da näherte sich plötzlich Andesine - die willkommene Rettung.


Dass der Geweihte Linnart ignorierte und nicht in die Unterhaltung mit einbezog, störte diesen nicht. Er nutzte die Gelegenheit und trat derweil näher an Andesine heran. Sie konnte den Duft nach Sandelholz vernehmen, den er an diesem Tag verströmte. Der junge Bannstrahler griff von den Blicken der anderen geschützt nach ihrer Hand und legte seine Finger zwischen die ihren. Er freute sich darauf, dass sie bald etwas Zeit für sich haben würden - wohin auch immer sie beide das führen möchte. Der Katze und dem Zeichen schien er gegenwärtig eher sekundäre Bedeutung beizumessen. Wäre es für ihn bestimmt gewesen, hätte der Herr es wohl gefügt, dass sein Fingerzeig nicht an ihm vorbei ging. Und überhaupt hatte seine Ehrwürden ja bereits bestätigt, dass es dem Geweihten selbst galt.

Dieses Gespräch bedurfte wohl nicht ihrer Mitwirkung, Lares machte das sehr gut alleine. Die Beteuerung des Geweihten, dieses Zeichen hätte ihm gegolten und seine bemerkenswerte Ruhe dabei sorgten dafür, dass Andesine sich entspannte. Dass Linnart nun auch noch ihre Nähe suchte, ließ ihr Herz allerdings wieder schneller schlagen, wenn auch aus anderen Gründen. Ihr gefiel es sehr wieder seine Hand zu halten und sie drückte die seine. Dabei suchte sie seinen Blick und ihre Augen schienen wieder nur für ihn zu strahlen. Bald schon würden sie in den Garten gehen und ein wenig Zweisamkeit genießen können.

Linnart genoss Andesines Nähe, auch wenn es bloß das Halten ihrer Hand war. Er wandte sich ihr zu und kurz schien es als würde er an ihren Haaren riechen und den Duft von Lavendel wahrnehmen. ´Wie schön sie im Licht es Praiosmales glänzten …”, dachte er bei sich, während er die Wasserthalerin vor seinem inneren Auge bereits in einem feinen Kleid Meister´ Leofrics, des bevorzugten Schneiders seiner Mutter, sehen konnte. Ob sie sich über so ein Geschenk freuen würde? Ein gewagterer Schnitt bei der Garderobe würde ihr bestimmt sehr gut stehen.

“An den Haaren einer Frau zu riechen, das ist schon ungehörig, mein lieber Linnart.” Flüsterte Andesine mit offensichtlich gespielter Strenge zu. “Aber ich will es dir nachsehen.” Sie suchte seinen Blick und das lodernde Verlangen, welches er unter dem Sonnensegel schon einmal wahrgenommen hatte, war für ihn klar erkennbar. “Auch wenn ich dafür einen Preis verlangen werde.” Mehr wollte sie nicht dazu sagen, denn auch wenn sie leise gesprochen hatte, so war sie sich der Anwesenheit der Pagin und dem guten Gehör von Kindern durchaus bewusst.

"Hmmm …", brummte der Angesprochene und leckte sich über die Lippen, "... alles was du von mir verlangst …", flüsterte er der Ritterin ins Ohr, "... ich habe das Gefühl, dass es mir gefallen wird." Bevor ihre Tuschelei vor Vater Ademar, Lares und Lissa zu auffällig wurde, löste Linnart sich wieder von ihr. Doch tat er dies nicht, ohne ihr einen Blick zuzuwerfen, der nicht viel Spielraum für Interpretationen zuließ. Es war klar, dass der Bannstrahler die Wasserthalerin in diesem Moment wohl am Liebsten auf seinen Armen von hier weg getragen hätte - hin zu einem lauschigen Plätzchen. Dem Schrein der Rahja beispielsweise, oder in eines der schön blühenden Lilienfelder.

Als er sich von Andesine löste, fing ihn der Blick Durinjas, die ihn anscheinend beobachtet. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und ihre linke Hand ruhte auf ihrer Brust. Sie zwinkerte ihm zu und leckte sich die Oberlippe mit der Zungenspitze. Es schien, dass sie auch bereit wäre für das Lustwandeln.

Linnart zog beim Anblick der Altenbergerin seine Augenbrauen hoch und konnte ein, in diesem Moment neugieriges und forderndes Lächeln auf seinen Lippen nicht verhehlen. Durinja wollte wohl spielen, denn den Herzschmerz nahm er ihr nicht ab. Dennoch konnte der Ritter ihre Wirkung auf ihn nicht leugnen. ´Was hast du vor ...´, dachte er bei sich, während er grüßend seinen Kopf schief legte.

Die Ritterin bemerkte das Gebahren Linnarts und folgte seinem Blick. Die Altenberg! Diese Schnepfe! Mit sanfter Gewalt packte sie sein Kinn und drehte seinen Kopf so, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. “Mein lieber Linnart, warum lässt du deinen Blick auf Wanderschaft gehen? Reiche ich dir etwa nicht? Vielleicht glaubst du aber auch, dass du zuviel für mich bist.” Sie beugte sich vor und flüsterte noch leiser, oder vielmehr hauchte folgende Worte in sein Ohr. “Was du mir erst beweisen müsstest.”

Der derart gescholtene strich ihr sanft über die Wange und das Kinn. Er mochte das lodernde Feuer in ihren Augen, auch wenn ihre Worte ihn etwas enttäuschten. Nicht etwa, weil sie anscheinend unglücklich darüber war, dass er einer anderen ein Lächeln schenkte, nein, sondern weil sie es auf sich bezog und der Meinung war, sie wäre ihm nicht genug. Er lächelte. “Wenn dann werde ich dir nicht gerecht, meine liebe …”, flüsterte Linnart ihr zu, behielt dabei jedoch sein Lächeln bei. Solcherlei Gespräche mochten viele Männer beunruhigen, er begegnete den Worten ruhig und selbstsicher, “... und nicht umgekehrt. Mach dir keine Sorgen. Ich habe dir ein Versprechen gegeben und es hat sich für mich nichts geändert. Ich bin nur deinem Wunsch nachgekommen, mich auch unter den anderen Gästen umzusehen.” Mit diesen Worten löste er den Blick von ihren Augen und sah sich weiter um.

“Ich mache mir keine Sorgen, Liebster.” Im Vorbeigehen verpasste sie ihm einen leichten Klaps auf den Hintern. “Aber während du dich noch ein wenig umsiehst, werde ich Lares nach dem Gespräch mit seiner Ehrwürden fragen.” Damit ließ sie ihn stehen, während sie die Distanz zu Lares überbrückte.

Der junge Ritter versuchte es dabei gar nicht zu verbergen, dass er der Wasserthalerin bei ihrem Weg hin zum Mersinger auf den Hintern blickte. Seine Lippen umspielte dabei ein dümmliches Grinsen.

Durinja schaute beide abschätzig an. ´Ja, die gute Andesine … einfach und derb. Und Linnart an seinem Gemäch zu angeln, ist ja offensichtlich.´ Sie ließ ihm mit seinem Blick wissen, dass sie sein Spiel sah. ´Ich hoffe er ist dem Spiel auch gewachsen.´ dachte sie bei sich.

Linnart wandte sich flüchtig zu Andesine um, die in ein Gespräch mit dem Mersinger vertieft war. Dann gab er einem inneren Bedürfnis nach und bewegte sich auf die Altenbergerin zu und bot ihr galant seinen Arm an. "Habt Ihr einen Moment für mich ...", fragte der Ritter charmant, "... lasst uns ein paar Schritte gehen."

“Ist das eine Einladung zum lustwandeln?”, fragte sie kokett.

“Zu einem Gespräch …”, antwortete er geheimnisvoll.

“Der Listige scheint euch also auch nicht fern. Nun, wollt ihr unter vier Augen sprechen, so erwartet mich Pavillon hinter dem Zelt des Hochadels.”

Der Bannstrahler verzog bei der Nennung des Herrn der Nacht seinen Mundwinkel. Kaum merklich, dann lächelte er. “Hmm …”, brummte er, “... wenn Ihr es mir gewährt Euch auch dorthin zu begleiten?” Abermals bot er ihr seinen Arm dar. Wer weiß, vielleicht hatte sich ihr Gespräch bis dahin ja schon erledigt.

“Also doch ein Lustwandel. Ihr wisst schon dass ich mich nicht mit einem Augenblick abspeisen lasse. Es gibt ja auch viel … zum kennenlernen. “ Durinjas Blick verhieß nach mehr.

“Das denke ich auch …”, gab er zurück, wahrte dabei jedoch einen neutralen Gesichtsausdruck.

“Warten wir ab, was der gute Rahjagoras zu sagen hat.” Sie deutete auf den Gärtner, der anscheinend alle zusammen rief. Dann schaute sie ihn auffordernd an. Wir er ihr wohl seinen Arm anbieten?

Genau dies tat er nun schon zum bereits dritten Mal. “Nein …”, er schüttelte seinen Kopf, “... genug des Protokolls und der Reden. Meint Ihr nicht?”

Sie hakte sich ein und verließ mit Linnart die Festwiese.


***

Wenn sie den Blick des Bannstrahlers bemerkt hatte, ließ sie sich es nicht anmerken. Lares hatte sich bereits von dem Geweihten verabschiedet und wechselte gerade einige Worte mit seiner Pagin als Andesine zu ihnen stieß. “Was hat seine Ehrwürden noch gesagt? Willst du weiter der Katze nachspüren, Lares?”

Der Mersinger schüttelte verzagt den Kopf. “Nein, ich denke nicht. Vater Ademar meinte, der Wink des Herrn habe ihm gegolten. Dann konnte die Katze kaum gemeint sein. Die gehört ja schließlich der Baronin von Schweinsfold.” Dann blickte Lares kurz ins Leere, um darauf die Stirn zu runzeln. “Du sag mal, Durinja von Altenberg, kann es sein, dass ihr zwei mal ein Gespräch braucht. So von Frau zu Frau? Es scheint mir, als ob die Dame gleiches im Sinn hat wie du, nur, dass sie keinen ehrenhaften Zweikampf führt.”

Andesine schüttelte den Kopf. “Nein, ich brauche kein Gespräch mit ihr. In der Tat kann ich sie nicht leiden, das gebe ich gerne zu. Allerdings tut sie mir gerade - unwissentlich - einen großen Gefallen. Denn wenn der Herr vom Traurigen Stein schon jetzt jemanden wir ihr verfallen sollte, was hätte ich dann erst in einer Ehe mit ihm zu erwarten? Nein, auch wenn es mir das Herz brechen würde ihn aufzugeben, aber einen solch schwachen Mann würde ich nicht an meiner Seite haben wollen. Aber ich glaube nicht, dass Linnart derart schwach ist.” “Wohl gesprochen. Einen untreuen Verräter will niemand im Haus haben. Sowas muss man früher denn später loswerden. Sollte der Herr vom Traurigen Stein so einer sein, dann soll ihn der Bannstrahl treffen - neben deiner Klinge.” Sie sah Lares mutig lächelnd an. “Aber wie sieht es bei dir aus? Hast du inzwischen jemanden ins Auge gefasst? Du hast ziemlich lang mit Luzia von Keyserring gesprochen.”

Lares wechselte einige schnelle Blicke zwischen der Wasserthalerin und seiner Pagin. Einen Moment lang fragte er sich, warum er so vertraute - nachgerade intime - Gespräche mit einer Dame führte, die er eigentlich gar nicht kannte. Das war nun gar nicht seine Art. Aber Andesine wirkte viel zu...vernünftig...um sich irgendetwas zu Nutze zu machen. Irgendwie lagen die beiden auf einer Wellenlänge; auf eine irritierend freundschaftliche Art. Aber konnte er das Thema wirklich vor seiner Pagin ausbreiten? Es war schließlich die kleine Schwester und… Aber dann fasste er sich ein Herz. Er wollte ihr schließlich Ehrlichkeit beibringen. Dazu gehörte auch, schwierige Themen in gegenseitigem Vertrauen zu erörtern. “Nunja. Ich hatte nicht gehofft, hier eine Dame zu treffen, mit der ich mir vorstellen könnte, den Ehebund zu schließen. Noch dazu hatte ich nicht erwartet, dass es eine Dame ist, die ich bereits kenne. Erst Recht hatte ich nicht gedacht, dass es eine Dame ist, deren Familie ich nahe stehe oder deren Vater ich verpflichtet bin. Aber es ist nun einmal so. Die Baroness von Keyserring ist...ich...kann mir vorstellen, sie zu heiraten. Ich weiß nur nicht, ob sie sich das auch vorstellen kann. Sie möchte nichts überstürzen und die Welt sehen, sagt sie. Das respektiere ich. Gerne würde ich ihr dabei zur Seite stehen. Ich habe ihr angeboten, ihrem Vater anzutragen, sie mit nach Rosenhain und Rodaschquell zu nehmen, damit sie wenigstens ein wenig unserer schönen Heimat sieht und…” Jetzt quoll alles aus dem jungen Ritter heraus, was in den letzten Momenten von der ‘Hexenjagd’ und überhaupt von seiner Scheu Frauen gegenüber verdeckt war. Andesine war die perfekte Gesprächspartnerin - von ihr hatte er nichts zu befürchten. Dass Lissa mithörte hatte er gleich vergessen.

Die Pagin des Mersingers verhielt sich auffällig still. Ihr spitzbübisches Grinsen entging den Erwachsenen, die schlicht zu groß waren, um das nach vorn gerichtete Gesichtchen zu sehen.

Andesine sah zu Lissa hinüber, konnte aber ihr Gesicht nicht sehen. Allerdings ließ ihre Körperhaltung zumindest darauf schließen, dass sie zumindest nicht verärgert war. Jedenfalls hoffte das die Ritterin. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Ritter vor ihr. “Lares, ich hatte heute das Vergnügen dich etwas kennenlernen zu dürfen und deine Worte bestätigen nur, was ich heute über dich erfahren habe. Du wärst ein wunderbarer Gemahl und ein großartiger Vater. Und wenn dich Luzia von Keyserring auch nur halb so gut kennt wie ich, dann wird sie das auch erkennen. Es ehrt dich, dass du sie nicht drängen willst. Auch dein Wunsch ihr ein Stück der Welt zu zeigen, welche sie noch nicht kennt, finde ich sehr schön. Das wäre auch meine Empfehlung für dich gewesen. Reise mit ihr durch Dere. Zeige ihr ein paar der Wunder, die jenseits den Grenzen der elterlichen Baronie liegen.” Ein warmes Lächeln hatte sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Sie meinte jedes Wort ernst, Lares war ein wunderbarer Mensch. Und ja, hätte sie ihr Herz nicht bereits weg gegeben, so hätte sie es wahrscheinlich Lares geschenkt. So aber konnte sie ihm eine Freundin sein, die ihm mit ehrlichem Rat zur Seite stand. Ihr Blick fiel auf Lissa. “Ich glaube eine solche Reise würde beiden Damen gefallen.”

Zufrieden lächelte der Mersinger, dessen düsteres Gesicht mit den tief liegenden Augen dadurch ein wenig freundlicher wirkte. “Also bei einer der beiden Damen bin ich mir absolut sicher, dass sie an einem Abenteuer zusammen mit ihrer Schwester große Freude hätte”, scherzte er. “Jetzt gilt es nur, die Zustimmung des Vaters zu gewinnen ohne zugleich das Versprechen geben zu müssen, die Baroness zu heiraten - denn damit würde ich ihren Wunsch missachten, abzuwarten. Diese Gemengelage ist”, der Mersinger machte eine Kunstpause “kompliziert.”

“Ich bin dem Baron noch nicht persönlich begegnet und habe nur vereinzelt Geschichten gehört. Wie dem auch sei. Ich bin mir sicher, er sieht etwas in dir, ansonsten hätte er dir doch sicher nicht Basilissa anvertraut. Vielleicht würde er deiner Bitte eher zustimmen, wenn Luzia von einer Zofe begleitet wird, die neben den Bedürfnissen der Baroness auch auf den gebotenen Abstand zwischen euch achten soll.” Sie hob die Hand. “Ich weiß, du bist ein Ehrenmann und würdest nie ...etwas unbotmäßiges tun.” Andesine lächelte ihn aufmunternd an. “Aber jetzt solltest du dich sputen und die gute Dame zu einem kleinen Gang durch den Park einladen. Ich bin mir sicher, sie würde sich darüber freuen.”

“Ja allerdings, das sollte ich”, sagte er. Er wandte sich schon zum gehen als er sich noch einmal umdrehte. “Danke dir - und viel Glück mit dem da.” Er nickte in die Richtung, in der er Linnart vermutete. Dabei entging ihm, dass der allerdings bereits seit einer Weile mit der jungen Hofdame Durinja eingehakt die Festwiese verlassen hatte.

Ja, es führte eh zu nichts, und bald würden wir eine Katze jagen… “Ehrwürden Ademar..” Sina würde es direkt sagen, nicht zu viel Geschwafel. “Ich will ehrlich sein. Ich verstehe nicht, wie ich nun in der Wahl meines Partners ...weiterkomme. Ist es schon ein Zeichen, dass ich den Mann hier an dem Tisch treffen werde, da er sich auch so entschieden hat? Ich bitte um etwas Hilfe.” Sie lächelte so lieb, wie möglich, egal, wenn Lares und Linnart schon den Kater gefunden hätten, dann könnte man das später klären.

Auch Junker Aureus war sich unsicher und suchte den Rat des Geweihten:”Verzeiht Ehrwürden, aber ich verstehe unsere Aufgabe nicht. Ich dachte die Wahl der Bücher würde uns den Weg zum Traviabund weisen, doch meine Wahl teilten nur zwei Männer, keine der Frauen. Wie soll ich das verstehen?”

“Kommt beide etwas näher.” Er fasste beide an die Schultern und schob sie so ein wenig näher zusammen. “Der Herr Praios entscheidet nicht für euch. Die Wahl müsst ihr schon alleine treffen. Das ihr euch in die Hände des Götterfürsten begeben habt zeigt mir, das ihr an Struktur, Ordnung und Klarheit glaubt. Etwas was auch in einer Ehe wichtig ist.” Er ließ seine Hände fallen. “Es ging nicht darum, das richtige Werk zu wählen. Sie alle bestehen im Auge des Herrn. Wichtig war die Wahl und die Bedeutung.” Er schaute Sina in die Augen. “Eure Wahl war der Codex Albyicus. Ohne viel darüber zu wissen, habt ihr es gewählt. Das Werk ist anders in der Thematik, es sticht heraus und ist dadurch etwas Besonderes. Es geht um Magie, etwas das nicht mit dem Götterfürsten gerne zusammen gebracht wird. Es sagt mir, dass ihr offen seid, Dinge auch von einer anderen Seite zu betrachten. Auch wenn es um Magie geht, so ist es immer noch ein Rechtsbuch. Wie ihr also seht, so habt ihr euch und anderes einiges über euch erzählt. Nun liegt es an dir, mein Kind, zu entscheiden, ob unter den Anderen jemand war, der zu dir passt. Die Herr Praios hat also den ersten Anstoß gegeben. Du könntest es beim Lustwandeln mit dieser Person vertiefen oder aber auch noch dich weiter umschauen.” Dann drehte er sich zu Aureus. “Ähnliches gilt für euch. Die ´Emersche Reichsreform´ steht für Veränderung und auch das Offensein demgegenüber. Falls ihr noch andere Nuancen für euch erkannt habt, umso besser. “ Ademar lächelte. “Falls ihr also einen Mann sucht der offen für Veränderung ist und ihr eine Frau die auch Abgelehntes unter einem anderen Licht betrachten würde, dann solltet ihr euch beide vielleicht etwas genau betrachten … und lustwandeln.”

Da war es wieder “etwas Abgelehntes”, der Geweihte hatte einen wunden Punkt getroffen, beabsichtigt oder nicht, Aureus empfand den Rat als verbale Ohrfeige. Doch er wusste auch, dass es nicht an Ademar lag. Die Wahrheit tut weh. Erst recht, wenn Gefühle damit verbunden waren. Und doch, hatten die letzten Jahre nicht gezeigt, dass er, Aureus Praioslaus von Altenwein, mitnichten abgelehnt war, sondern willkommen und angenommen. Warum nur fühlte er es denn nicht? Wäre sie denn imstande ihm dieses Gefühl zu geben? Er betrachtete sSina und fühlte sich ein klein wenig an Rahjania erinnert. Sie hatte ihn angenommen, wie er war. Konnte Sina das auch? “Nun denn, Verehrteste, Ihr habt seine Ehrwürden gehört. Wenn es Euch beliebt, können wir ein wenig flanieren und uns dabei kennenlernen”, er lächelte zaghaft und bot ihr seinen Arm an.

Skeptisch musterte Sina den jungen Ritter, nahm jedoch seinen Arm an. Das war doch der Dings, der eher Sanfte, der die Katze gestreichelt hatte, vorhin aber eher auf andere Frauen...Na egal, sie hatte ja auch rum geschaut. "Mein Herr.." Sie lächelte amüsiert und zwinkerte ihn an. "Was bleibt uns übrig ? Wenn Praios es so will ?" Sie zuckte mit den Schultern und blickte nochmal zu dem Geweihten. Mit einem leichten, aber deutlichen druck dirigierte sie ihren Begleiter dorthin, wo sie Speisen vermutete. "Das Spiel mag gebracht haben, was es will, jetzt reden wir etwas. Und mir reicht es gerade von höfischer Etikette, die habe ich den ganzen Tag. Nenn mich Sina. Und lass uns was zu Essen suchen. Ich habe Hunger. Und etwas vor.."

“Gut Sina, ich bin Aureus. Das Küchenzelt ist dahinten und vielleicht haben sie ja noch etwas Ordentliches, bevor wir nachher genötigt werden die feinen Speisen einzunehmen”, scherzte er. “Worüber möchtest Du denn plaudern? Über das Wetter doch hoffentlich nicht, das ist mir zu banal. Schließlich kann ich sehen, was für ein Wetter wir haben. Oh! Ich weiß: Was hälst Du von diesem Fest hier. Die meisten können es sich doch eh nicht aussuchen, wen sie heiraten werden, oder nicht?”

Sina lachte auf und schüttelte den Kopf. Diesmal sparte sie es sich, in ihre Heimatsprache zu verfallen. “Geh, also wirklich ! Ich hab dieses Geplänkel satt und leider stimmt es, die Ehen werden wohl meist politisch vergeben.” Mit Schalk in den dunklen Augen sah sie ihn an. Sie wollte keinen langweiligen Mann. Und wenn man nur heute etwas Spass hatte, einfach so, es musste nicht gleich körperlich sein, und man befreundet blieb. Fast verschwörerisch flüsterte sie. “Ich will aus einem anderen Grund zum Essen. Da muss es Fischlein oder sowas geben. Damit will ich den Kater locken. Er wäre das ideale geschenk für meine Schwester. Weisst du, die konnte sich nicht aussuchen, wen sie heiratet,es ist aber ein feiner Kerl. Allerdings wohnt dieser eingebildete Linnart auch dort.”

“Ach so, der Kater, na hoffentlich gehört der nicht jemandem, sonst wird das nichts mit dem Geschenk. Ich habe das Glück wählen zu dürfen, allerdings mag es das eine oder andere Familienoberhaupt geben, dass den Namen Altenwein nicht in ihren Stammbaum integrieren möchte. Deshalb fand ich die Wortwahl seiner Ehrwürden etwas unpassend. Bisher hatte ich nur kurz mit dem Bannstrahler zu tun. Was genau missfällt Dir denn an ihm?”

"Ah... Altenwein.. Ich bin noch nicht mit der Geschichte aller Familien in den Nordmarken vertraut. Was passt denn nicht ? Und wo liegt denn dein ..Gut.?" Sina hatte viele Fragen, jetzt biss sie sie sich neugierig auf die Unterlippe und faßte seinen Arm etwas fester. Sie war, wenn sie nicht höfisch korrekt sein musste, eine eher verspielte Person. Jeder hatte seine Fehler, aber manche sah man früher, andere später.

“Mein Gut liegt in der Baronie Schwertleihe, aber ich habe es selbst noch nicht gesehen. Mein Vater”, er seufzte und machte eine kleine Pause,” er war ein Trinker und Spieler. Eines Tages setzte er sein Junkergut und den Titel beim Boltan - und verlor. Meine Mutter zog daraufhin zu ihrer Schwester und nahm ihre Tochter mit. Mein Vater quartierte sich frecherweise ebenso bei meiner Tante ein. Ein paar Jahre später, meine Mutter war gerade mit mir schwanger, gab es in Weiden ein Turnier an dem der neue Junker von Altenwein teilnahm. Mein Vater stahl die Prunkrüstung der Familie meiner Mutter und reiste dorthin, obwohl sie kurz vor der Niederkunft war. Er forderte den neuen Junker zum Duell und wurde erwischt, wie er sein Schwert mit Gift bestrich. Er floh und ward seitdem nicht mehr gesehen.”

Ein paar Schritte ging die Almadanerin schweigend neben ihm her. „Ein Mistkerl, aber du kannst ja nichts dafür…“ Die Art, wie sie mit dem Thema umging verriet einem guten Menschenkenner genauso etwas wie die Tonlage ihrer Stimme. Inzwischen waren sie bei den Tischen mit leichten Speisen angekommen. Sina ließ ihren Blick darüber schweifen. „Also… vielleicht versuchen wir es mit dem Kater doch später, hier scheint nichts geeignetes dabei zu sein, um ihn anzulocken. Auch sollten wir noch etwas reden.“ Ihr Lächeln hatte etwas ermutigendes und herausforderndes zugleich. “Du führst mich rum, jeder stellt drei Fragen, erst ich, dann du. Wir werden sehen“, ohne seine Antwort abzuwarten begann sie. Nebenbei bemerkte er, dass Sina sich an einer kleinen Treppe, die abwärts zur Gesellschaft führte, fester an ihn hielt. Sie trug erhöhte Schuhe und war ohne diese sicher nicht größer, als 170 Halbfinger. „So, mein Herr. Magst du Tiere, Katzen und Pferde? Welche Rasse bevorzugst du? Und kannst du meine alte Muttersprache sprechen?“ Es war klar, dass sie mit harmlosen Fragen begann.

“Gleich alle drei Fragen auf einmal”, lachte der Junker,” Ich mag hauptsächlich meine Tiere, da sie für mich eher Freunde oder Familienmitglieder sind. Katzen mag ich im allgemeinen. Ich weiß, wie ich mein Pferd zu versorgen habe, aber mit Rassen kenne ich mich nicht aus Sollte ich eines Tages ein neues Pferd kaufen müssen, so würde ich vermutlich nach dem Aussehen gehen und wenn möglich nach dem Charakter des Tieres. Nach meiner Pilgerfahrt zum Ifirnschrein kam mir der Gedanke Brieftauben zu züchten und momentan überlege ich stattdessen Elstern abzurichten. Ich weiß nicht, welches Deine alte Muttersprache ist. Ich kann etwas Rogolan und ein wenig Bosparano, von daher lautet die Antwort vermutlich: Nein. Dann bin ich wohl dran. Mmmmmh. Du stammst aus Almada und ich kenne die dortigen Familien nicht, was sollte ich über Deine wissen? Da ich mein Junkergut noch nicht kenne, die Baronie Schwertleihe aber am Rande der Nordmarken liegt, könnte es sein, dass es weit abgelegen ist. Würdest Du in der Stadt bleiben wollen oder an meiner Seite verweilen? Ich möchte das Haus Altenwein wieder aufleben lassen, dazu gehören auch Nachkommen. Willst Du Kinder und wenn ja, wie viele?”

Er sah es nicht, aber sie schloss kurz die Augen … Aureus musste noch um Einiges lockerer werden. ”Also...erstmal kurz zu dir, dann beantworte ich deine Fragen. ..” Sie lachte herzlich . “Madre mia….ein Pferd. Irgendein Pferd hast du? Weißt du, was das in Almada bedeutet?” Natürlich wusste er es nicht, er war Nordmärker. ”Das bringe ich dir später bei. Nun zu deinen unverschämt direkten Fragen.” ja, sie lachte dazu, schließlich war er auch noch dran. ”Zur ersten Frage… Hab ich das richtig verstanden, und du weisst gar nicht, wie es dort aussieht, wo ich bei dir bleiben soll? Wärst du überhaupt dort oder mehr unterwegs ? Ich muss zugeben, ich bin auf dem Land aufgewachsen und genieße die Stadt. Es kommt darauf an, was man mir bieten kann. Alleine in den Bergen ohne Mann will ich nicht sitzen. So, natürlich will ich Kinder haben. Wenn es geht auch von dem Mann, den ich geehelicht habe, nicht so, wie bei Verema. Und zu meiner Familie...das ist eine unangenehme Geschichte, das machen wir bei einem Glas Wein. Nur kurz. Als unsere Eltern starben, hat sich unser ältester Bruder mit dem Familienschmuck und dem Geld abgesetzt. Er ist wohl Abenteurer oder sowas, wenn er noch lebt. Verema wurde so recht unvorbereitet Junkerin. Später vom falschen Mann schwanger, sie bekam Ärger mit dem Baron, der sie kurzzeitig unter Haft hielt. Sie ist offiziell noch Junkerin in Likan, allerdings ist dort ein Verwalter eingesetzt. Bei dem Baron wird sie sich nur ungern blicken lassen. Dann bekam sie noch ein Kind, ich weiß, wer der Vater ist und deshalb musste sie den Bund mit dem Rahjaman vom Traurigen Stein eingehen. Er ist ein guter Kerl, aber er interessiert sich gerüchteweise nicht für Frauen. Sowas will ich nicht.” Sie sah Aureus neugierig an.”So, nun zu meinen Fragen. Du wolltest es ja gleich etwas intimer. Erstens. Wirst du in den Bergen bei deiner Frau und den Kindern bleiben. Zweitens, wie viele Frauen hattest du schon? Und hast du Bastarde? Ach ja, noch etwas. Treue ist mir sehr wichtig. Ab dem Bund, davor ist es halt so. Aber mit Mätressen kann ich nicht leben. Und die werden es nicht lange mit mir…”

“Als Junker ist es meine Aufgabe mich um mein Gut und die dort beheimateten Menschen zu kümmern, Viel reisen kann ich also nicht. Allerdings muss ich dem Ruf von Herzog, Kanzlerin, Landgraf und Baron folge leisten. Und ich bin Mitglied des Orgilsbundes für den ich das Amt eines Herolds anstrebe, aber so weit sind wir noch nicht. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass meine Frau und Kinder mich auf der ein oder anderen Reise begleiten können. Zum Hoftag in Elenvina zum Beispiel, während ich im Saal sitze und über Recht und Ordnung diskutiere, könnten sie sich die Stadt ansehen… oder so. Da meine Mutter das Junkergut bereits verlassen hatte, bevor sie mit mir schwanger wurde, kenne ich es noch nicht. Falls Du Fragen hast, der Ritter Vitold von Baldurstolz hat dort gelebt, bei seinem Onkel, der kann Dir bestimmt sagen, wie es da aussieht. Meine Frauen, ich weiß ja nicht, was Du da erwartest. In meiner Knappenzeit verliebte ich mich, doch fand sie andere interessanter, sie wurde schwanger, der Vater blieb im Feld und sie hat nun dessen Bruder geheiratet.In die Kunst der Liebe hat mich eine Rahjani eingeführt”, er lächelte bei dem Gedanken an sie,” und sie hat mir so einiges beigebracht. Weder Kind noch Kegel hängen an mir und auch kein Bastard. Es sei denn, sie trägt eines unter ihrem Herzen, dann weiß ich davon nichts. Treue ist mir ebenfalls wichtig, außerdem stelle ich mir eine Mätresse ziemlich anstrengend und kostspielig vor. Das ist nichts für mich.”

Sina legte den Kopf schief und runzelte die Stirn…”Ich glaube, dass...nein, später. Stell erst du deine Fragen. Es klingt aber bisher besser, als ich dachte. Ich sah mich schon alleine in einem kleinen...Ort in den Bergen hocken.” Sie lächelte, da Aureus manchmal so unbedarft war. "So, so. Diese Rahjani. Woher kommt die denn? Meinst nicht, dass sie Vorkehrungen getroffen hat?”Vielleicht wollte sie ja keine Vorkehrungen treffen. Wer Weiß das denn schon? ;-p

“Vitold erwähnte mal, es wären fast 300 Einwohner. Es soll hügelig und bewaldet sein, außerdem gibt es ein Holz- und ein Jagdregal. Ursprünglich stammt sie aus Fasar, ist aber derzeit in Weiden tätig. Also keine Gefahr. Also gut, meine Fragen: Was erwartest Du von Deinem Mann? Was erwartest Du vom Leben? Was kannst und willst Du bieten?

„Also eine Rahjani in ihrem Tempel sehe ich nicht als Gefahr. Sie helfen bei diversen sexuellen Fragen und Problemen, sie bringen uns Rahja näher und, als Paar kann man dort ungeahnte Dinge lernen.“ Leichte Röte färbte nun ihre Wangen. „Also, das hab ich gehört. Wir hatten früher Pferde und Verema ist doch auf dem Gestüt. Da braucht man sie auch hin und wieder...aber, ja ich mag Pferde, jeder Almadaner mag sie. Aber Katzen sind mir lieber.“ Nun schnaufte sie tief durch, die Augen erst nachdenklich auf den Boden geheftet, dann blieb sie stehen, betrachtete Aureus und hielt seine Hand fest. Kräftig war sie. Die eines Kriegers. „Und nun zu deinen Fragen. Sei nicht enttäuscht, ob man zusammenpassen wird und was man dann an dem anderen gern hat, das ist ein Prozess...Ich beginne mit mir. Ich bin Schwester einer Junkerin, bisher habe ich bei Hof nicht schlecht verdient. Verema hat es geschafft, uns wieder gewissen Wohlstand zu bringen. Von ihr habe ich das Kleid.“ Fast zärtlich strich sie über den Stoff und dabei sich über ihre Brust, welche durch den Schnitt hübsch zur Geltung kam. „Ich berate am Hof in Mode- und Stilfragen. Ich will glücklich sein, mit einem treuen Mann und mehreren Kindern. Ich reise gerne und ich schätze Komfort. Eine Bruchbude in den Bergen taugt mir nur dann, wenn ich die Mittel habe, sie zu gestalten. Mein Mann soll mich nie zwingen, meine Natur zu ändern. Er soll mich nehmen, wie ich bin….und… er soll Freude an Rahjadingen haben. Ich brauche es. Und ich weiß, was Mann und Frau der Göttin näher bringt.“

“An Rahjadingen soll es nicht mangeln”, grinste er,” doch den Komfort des Elenviner Hofes werde ich bestimmt nicht bieten können. Allerdings bezweifel ich, dass mein Heim eine Bruchbude sein wird. Ich weiß, dass Junker Yolhag, das Gut auf Vordermann gebracht hat, sogar eine Palisade ließ er errichten. Vielleicht müsste ich Dir einen Platz am Hofe des Landgrafen oder beim Baron besorgen, denn Elenvina ist doch etwas weit weg. Glaubst Du wir könnten mit einer Katzenzucht hier etwas Geld verdienen, vielleicht ließe sich das ja einrichten? Und ja, ich weiß, dass Liebe und Zuneigung wachsen müssen. Aber, wenn man es nicht versucht, dann wird man auch nicht erfahren, ob es klappt oder nicht und wird es vielleicht immer bereuen.”

"Wohin gehen wir eigentlich?" So wie es aussah, vermischten sich gerade alle Gäste. "Ach ja...das mit den Rahjadingen,das ts, ts...ich glaube dir einfach mal." Sie schürzte die Lippen, ehe sie weitersprach. Das Gehöft muss ich erstmal sehen. Und mit den Katzen...wir sollten eine möglichst handzahme, ja kuschelige Art wählen. Es müssen nicht die Klügsten sein, aber der Liebling der Hofdamen. Verema hat den Fehler gemacht und eine wilde Katze eingekreuzt. Wunderschöne Biester waren es." Sina nahm Aureus bei der Hand. "Lass uns doch mal meinen Verwandten suchen, vielleicht weiss er, ob Praioten Katzen mit halblangem, goldenen Haar schätzen würden...aber das so hinzubekommen...das dauert und ich werde meine Schwester fragen müssen.."

`Warum wolte sie denn jetzt ihren Verwandten aufsuchen?`,fragte er sich, sagte aber:”Ähm...ja, warum nicht. Kennt er sich denn mit Katzen aus?”



Sina griff seine Hand zärtlich.“Aureus, ich dachte es erst nicht, da du mir etwas weich vorgekommen bist, aber gerade dieses Sanfte, die Liebe zu Tieren wie Katzen, machen dich in meinen Augen zu einem besonderen Mann. Du wirst auch zu deiner Familie lieb sein.“ Kurz zögerte sie und sah ihn an. Das blonde Haar wehte im Wind, wo es nicht durch den modischen Hut festgehalten wurde. Es schien ihr, als würde er wohl Locken entwickeln, wenn er es länger wachsen ließe. Vermutlich trug er es deswegen eher kurz und sah immer so aus, als wäre er gerade erst aufgestanden. Seine grünen Augen blickten in die Ihren und ein sanftes Lächeln umspielte seine weichen Lippen. „Du wirst uns auch beschützen können, oder ? Wie gefährlich ist es dort?“ Dann blieb sie stehen und scharrte etwas verlegen mit ihren Füßen auf dem Weg. „Weißt… schau dir die anderen Frauen hier an. Eine hübscher, als die andere. Von hoher Abstammung und in einer Art sicher, die mir meine Erziehung verbieten. Ich mag nicht so hübsch sei, aber ich bin so viel wert, wie die. Männer sehen sowas selten.Mit Linnart habe ich vorhin gesprochen. Ich will dich ihm oder seiner Schwester kurz vorstelle.“ Sina hatte interessante, Rote Bäckchen mit Grübchen bekommen. Sie kramte in ihrer Tasche und gab Aureus einen Amethyst. „Eigentlich dachte ich, dass wir uns alle anders kennen lernen, deshalb habe ich mehrere Steinchen dabei… aber ich werde keinem mehr einen geben. Vor Rahja denke ich, werden wir keine Probleme haben (hoffentlich hat er sich nicht in die Geweihte von damals verliebt…. sie schob den Gedanken beiseite). Ja, nun….“ Ach Sina, was für ein Gestammel, aber es gab Männer, bei denen würde man später ehrliche Gefühle hören. „Ich hab dich gern, Aureus,“

Der Junker betrachtete den Edelstein in seiner Hand. Es war der Stein der Rahja, das wusste er, und es konnte nur bedeuten, dass sie sich gerade in ihn verliebte. Sein Herz begann wie wild zu schlagen.”Ich ...ich habe leider kein”, dann fiel sein Blick auf den Garten. Er nahm seinen Dolch und schnitt eine Rosenblüte. “Darf ich?”, fragte er und steckte sie in ihr Haar. Sie konnte einen dezenten Duft nach Sandelholz wahrnehmen, den er sich wohl auf die Handgelenke geträufelt hatte. Dann strich er ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte. “Wie eine Königin. Eine Königin der Rosen”, schwärmte er. Er schaute ihr tief in die Augen, die Hand noch auf ihrer Wange. Sie errötete noch mehr. „Das ist lieb, sowas hatte ich nicht erwartet. Also keine Abfuhr?“ Langsam näherte er sich ihr an. Diese Lippen waren einfach unwiderstehlich. Er schaute, doch sie sträubte sich nicht. „Dame un beso…“ flüsterte sie ihm ins Ohr. Dann drückte er sanft seine Lippen auf ihre. Sina strich mit ihrer Zunge über seine Lippen, bis er den Mund öffnete, allerdings drängte sie nicht mit ihrer Zunge. Fast, aber nur fast erinnerten ihre dunklem Augen ihn an eine Frau, die er kannte. „Komm, lass uns Linnart finden, der kommt hier einer Familie am Nächsten. Und dann schauen wir mal, wie mutig du bist.“ “Du willst doch hoffentlich nicht, dass ich mich mit ihm duelliere? Ich hatte vorhin das Vergnügen ihn kennen zu lernen. Er ist Bannstrahler und somit ein Verteidiger des Herrn.”


Der Vogt war sich nicht sicher, was sollte er schon in die Wahl eines Buches hineininterpretieren. Die zur Wahl gestellten Werke hatten alle einen ordnenden Charakter, waren in ihre Ausfertigung jedoch grundverschieden. “Euer Ehrwürden, könntet Ihr bitte freundlich sein und mir bei der Deutung der Wahl behilflich sein?” Wandte er sich deshalb an den Geweihten.

“Aber selbstverständlich , Vogt Runegard. Ich nehme an ihr habt für euch gewertet, welches Werk euch am nächsten steht. Eine Gewissheit die vielleicht nur bestätigt wurde. Für die anderen zeigt es, das ihr ein Mann seit der alte Werte schätzt. Etwas stabiles, unverschiebbares. Es mag hier eine Frau dabei gewesen sein, die genau nach solchen Werten in einem Gemahl sucht. Genau dasselbe gilt mit der Wahl der Frauen. Welche der Damen hat euch von der Wahl her am meisten angesprochen?” fragend schaute der den Schwarzenqueller an.

Tatsächlich hielt der Ritter es mit der Beständigkeit nicht unbedingt so, wie es der Geweihte eben diagnostiziert hatte. Wenig traviagefällig hatte er aus diversen Affären mehrere Bastarde gezeugt, sehr wahrscheinlich der Grund dafür das seine Familie ihn dazu gedrängt hat endlich eine Gattin zu finden. Auch ansonsten hätte er gern eine Veränderung gehabt, doch als diese endlich eingetreten war geschah diese anders als er sich erhofft hatte. Sehr hatte er sich erhofft für seine Verdienste mit dem Gut Effertingen belehnt zu werden, stattdessen wurde es damals beim Traviabund der Erbbaroness an deren Gatten vergeben und er war weiterhin nur der Vogt.

“Da die vorgestellten Kandidatinnen im vergleich zu mir doch sehr jung sind, muss ich gestehen mir diesbezüglich noch nicht ganz sicher zu sein.”

Ademar nickte verständig. “Alter sollte hier keine Rolle spielen. Und von den Damen am Tisch, glaube ich dass es hier nur zwei Kandidaten die ihr zum Lustwandeln einladen könntet, um sie näher kennenzulernen. Das wäre zu einem die junge Baroness Luzia von Keyserring, aber besser noch die Zofe Melisande della Yaborim. Beide suchen nach älteren, strukturierten. Was denkt ihr?” Dann fiel ihm noch etwas ein. “Wir haben allerdings hier zwei ältere Witwen am Fest. Die Baronin Fedora von Firnholz und die Rektorin Prianna von Altenberg.” Abwartend schaute er Runegard an.

Es war nicht unbedingt so, dass er nach einer älteren Gemahlin suchte. Im Gegenteil, es würde dem Wunsch der Familie eventuell doch noch einen legitimen Nachfolger von ihm zu bekommen, sehr wahrscheinlich zunichte machen. Und ganz sicher war er sich bei den Vorschlägen auch nicht. Die kleine Keyserring war kaum mehr als ein Kind. Die firnholzer Baronin hingegen stammte zwar aus der gleichen Region, dem firunwärtigen Gratenfels, aber würde aus dieser Verbindung kein Erbe für sein Haus erwachsen. Von dieser Zofe hingegen hatte er noch nie etwas gehört, aber dem Namen nach war es wahrscheinlich das sie in Verbindung zur Baronin von Rickenhausen stand. Ebenso sagte ihm die Rektorin nichts, dem Namen nach gehörte sie allerdings zur Familie die diese Brautschau veranstaltete.

“Habt Dank, ich werde darüber nachdenken.” Behielt er seine Gedanken für sich und versuchte dabei zugleich freundlich das Gespräch mit dem Geweihten zu beenden.


Als es so aussah, als würde sich die Gruppe langsam auflösen, da bemerkte Luzia eine Bewegung in ihrem Augenwinkel. Als sie sich umwandte, sah sie eine vertraute Gestalt auf sich zukommen. Es war der gänzlich in Schwarz und Silber gekleidete Edle zu Hinterwald. Für gewöhnlich war er im Gefolge ihres Vaters und hielt sich dezent im Hintergrund, solange er keinen Auftrag hatte. Doch nun schien er direkt auf sie zuzusteuern. `Was er wohl von mir will?`, fragte sie sich, als ihr ein kleiner Farbtupfer auffiel. Eine einzelne rote Rose steckte in seinem Knopfloch. “Euer Wohlgeboren, verzeiht, hättet Ihr die Güte mir einen Augenblick Eurer kostbaren Zeit zu schenken?”

Sie nickte und schritt ein Stück auf ihn zu. “Natürlich. Was gibt es denn? Schickt euch mein Vater?”

Ein schiefes Lächeln gesellte sich zu seinem traurigen Blick:”Wie man es nimmt.”, war seine kryptische Antwort,”Aktuell jedenfalls nicht. Ich komme in eigener Angelegenheit und wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich gerne direkt und ohne Umschweife mit Euch sprechen und Euch bitten mir ehrlich zu antworten. Ich werde nichts davon weitertragen, dass versichere ich Euch.”

Sie zog eine Braue nach oben. “So sprecht ruhig.” Neugierig musterte sie den Ritter. Was sie von ihm wusste, war nicht allzu viel. Er war mit Vater nach Mendena gegangen. Und nachdem die Haxfamilie ihr Lehen abgegeben hatte, war er Edler von Hinterwald geworden. Auch hatte er nie die Minne gegenüber ihr praktiziert. Was nichts bedeuten musste, aber… irgendwie hatte sie ihn nie als den typischen Verführer gesehen.

Er seufzte schwer und nickte: “Gut. Wie steht Ihr zu dem Gedanken, dass Euer Vater Euch bereits vermählen möchte? Ihr seid noch recht jung und habt noch nichts vom Leben gesehen, vermute ich, da könnte man auf den Gedanken kommen, die Ehe wäre eine Fessel. Habe ich recht?”

“Schickt euch mein Vater?” sie sah den Dienstritter ihres Vaters mehr als skeptisch an.

“Nein, ich schwöre es, wenn Ihr wollt.” Er sah ihr direkt in die Augen. “Ich frage Euch als einfacher Mensch, nicht als ein Diener Eures Vaters.”

Es war kein Geheimnis. Sie hatte es ihrem Vater mehr als deutlich gesagt: “Ich möchte… noch nicht heiraten… Aber weshalb fragt ihr?” weiterhin blickte sie ihn skeptisch aus ihren blauen Augen an.

“Versteht mich bitte nicht falsch und denkt auch nicht schlecht über mich, doch ich stecke in der Klemme. Seht, Euer Vater wünscht, dass ich einen Erben für das Edlengut produziere, legitim natürlich, doch steht auch mir nicht der Sinn danach zu heiraten. Ein Ehebund ist ein Eid, und ich bin nicht gewillt einen Eid zu brechen. Zudem kennt Ihr sicherlich das Getuschel, das hinter meinem Rücken durch die Mauern vom Eisenstein, aber auch durch Obena hallt. Vieles davon ist wahr. Aber längst nicht alles. Vielleicht könnten wir uns gegenseitig helfen?”

Ihre Augenbrauen schnellten nach oben. Wollte er Zuneigung vorspielen, damit ihr Vater von beiden abliess? Sie musste sich eingestehen, dass diese Idee für einen Moment sehr angenehm anmutete. Einige ihrer Probleme wären gelöst. Dennoch widerstrebte alles in ihr diesem Plan. Er war nicht ehrlich. “Ich fürchte, das würde für keinen von uns langfristig das Problem lösen, oder?” fragte sie sanft.

“Vermutlich habt Ihr recht und es widerstrebt mir auch mich auf Phexens Pfade zu begeben, aber ich halte Euch für eine kluge und vertrauenswürdige Person und wüsste nicht, wen ich sonst fragen sollte. Die anderen Damen hier sind mir fremd. Wollt Ihr zumindest meinen Vorschlag anhören? Mehr ist es nicht, nur ein Vorschlag.Vielleicht fällt Euch ja auch eine andere Lösung ein.”

Wiederum zögerlich nickte sie.

“Ihr wisst, Hinterwald liegt im Rücken Rickenbachs. Es wäre sicher für Euren Vater verlockend mich in der Hand zu haben, um sie zu kontrollieren. Aber es ist auch weit genug entfernt, dass Ihr Euch entfalten könntet. Und Ihr müsstet Eure Heimat nicht verlassen. Wenn Ihr wollt könntet Ihr auch Eure Frau Mutter einladen dort zu wohnen und Euch um sie kümmern.” Luzia riss überrascht eine Braue nach oben. Warum sollte sie DAS tun wollen? “Sollte Gefahr drohen, so hättet Ihr gleich drei Baronien zur Auswahl, in die Ihr Euch zurückziehen könntet.Eines Tages werde ich einen Erben präsentieren müssen, oder er wird das Gut einem anderen überlassen. Doch, was wird dann aus den anderen Bewohnern? Ich könnte mir vorstellen, dass ein anderer `Bluthund`,ja ich weiß, dass man uns so bezeichnet, mit harter Hand und Gewalt dort regieren würde. Zur Zeit bin ich für diese Menschen verantwortlich und ich kann ihnen eine solche Zukunft nicht zumuten. Ich kann Euch gewisse Freiheiten bieten, Ihr könntet vielleicht die nächsten Jahre auf reisen gehen, bevor wir”, sie sah, dass dieses Thema sehr unangenehm für ihn war,”ich...also. Falls Euch das ganze zuwider ist, vielleicht könntet dann Eurem Vater gut zureden, dass ich Folcrad als meinen Erben und Nachfolger einsetzten kann.

Dann wäre zumindest dieses Problem gelöst und ich kann mich um eines Eurer Probleme kümmern, wenn Ihr mögt.”

“Habt ihr ihm das schon einmal… nahegelegt?”

“Nein, als das Thema aufkam, schien es so, als wolle er nicht weiter darüber sprechen. Euer Vater ist da manchmal sehr ...resolut, aber das wisst Ihr sicher.”

“Womöglich hat es etwas mit eurer … neuerlich bekannt gewordenen Verbindung mit dem Hause Rickenbach zu tun?” Luzia bekam nur am Rande mit, welche politischen Ränkespiele Vater und Schwester umtrieben. “Ich weiss nicht viel darüber, aber womöglich hängt es damit zusammen.” Seine Familie wäre damit in drei Lehen Eisensteins vertreten. Vater möchte es nicht, wenn sich zuviele gegen ihn einig waren. Und die Haxens, die ihm bedingungslos gefolgt waren, waren nicht mehr. Der alte Eschengrunder würde bald abtreten und der Borkenforster nach seinem Tod niemanden hinterlassen. Soweit zumindest verstand sie Vaters Problem.

“Verbindung mit...ach, die Plötzbogen meint Ihr. Ich wollte mir selbst ein Bild von Ihr machen, das ist alles. Und sie ist im Orgilsbund, dem Folcrad beigetreten ist.Aber das könnte doch für Euren Vater nur von Nutzen sein, sollte sie eines Tages mal Ihre Freunde fragen, ob sie ihr beistehen, so wird ja auch Folcrad davon erfahren. Und ich bin mir sicher, dass Folcrad so einige Nachkommen zeugen wird.”

“Ich meinte eigentlich eure Verwandtschaft mit Merkan von Rickenbach über seine… Frau. Ihr wisst, dass das Gestüt der Familie Rickenbach gehört? Es ist nicht Teil des Lehens, dass Lupius innehat. Und eure Nichte wird ihrem Vater im Lehen Eisenstein folgen.”

Vitold war verwirrt:”Dann verstehe ich nicht, warum er mir die Wahl lässt und nicht eine Braut vorsetzt, deren Familie ihm treu ergeben ist. Folcrad und ich sind durch unsere Verwandtschaft doch nicht mehr vertrauenswürdig genug für Ihn, oder?”

Luzia zuckte mit den Achseln. “Ihr wisst, wie mein Vater ist.” sagte sie nur. Sie wollte nicht aussprechen, dass er es vermutlich genoss, wie sehr Vitold sich damit quälte. Alle wussten, dass er solche Dinge mochte. “Warum fragt ihr ihn nicht direkt? Ich meine, schildert ihm die Lage und fragt ihn nach seiner Meinung, wen ihr heiraten sollt.”

“Ich vermute, er wird mir nicht antworten, damit ich weiterhin suchen soll, meint Ihr nicht?” Es war eine rhetorische Frage, weshalb er nicht auf Antwort wartete: ”Ich danke Euch für Eure Zeit, wenn ich Euch bei etwas helfen kann, dann kommt zu mir.” Er verneigte sich und gab ihr einen Handkuss.

“Ich danke euch für eure Offenheit und werde… euer Angebot im Kopf behalten, falls keiner von uns andere Lösungen findet.” Sie sah ihm irritiert hinterher als er sich verabschiedet hatte. Ein interessantes Angebot. Interessant in so vieler Hinsicht. Und doch…. Fühlte es sich auf so viele andere Arten falsch an.


Melisande schaute sich ein letztes Mal um. Sie war der Meinung, ihren Auftrag nun erfüllt zu haben und verspürte kein Verlangen, weiter hier in der Nähe der Praios-Verehrer zu bleiben. Gesetzestexte! Sie schüttelte innerlich den Kopf. Wie konnte man auf die Idee kommen, durch die Wahl von Gesetzestexten Liebende zusammenzuführen? Wobei sie sich andererseits natürlich darüber im Klaren war, dass es hier größtenteils nicht um Liebe ging, vielleicht war somit der Tisch des Praios der ehrlichste hier auf der Wiese - ganz wie es dem Götterfürsten geziemte.

Nun, sie war nicht hier, um verheiratet zu werden, also konnte sie auch wieder zurück zur Baronin gehen. Sie setzte sich nach einem unverbindlichen Nicken in die Runde und zum Geweihten in Bewegung.

Als Ademar die Zofe auf ihn zukommen sah, winkte er sie heran. “Sprich mein Kind, wie kann ich dir helfen?”

Überrascht schaute Melisande den Geweihten an. Sie hatte eigentlich nur mit einem grüßenden Nicken an ihm vorbeigehen wollen, aber das hatte er wohl falsch verstanden. Doch schnell fing sie sich wieder. “Euer Ehrwürden”, begann sie mit einem bescheidenen Lächeln und einem kleinen Knicks, “es sah mir nicht so aus, als würde sich jemand der anwesenden Herren besonders für mich interessieren. Aber vielleicht habe ich nur die Reaktionen falsch gedeutet. Habt Ihr möglicherweise mehr gesehen als ich?” Eigentlich interessierte sie selbst sich auch nicht sonderlich für einen der Anwesenden. Linnart war interessant … aber ein Bannstrahler? Nein. Aureus machte ebenfalls einen guten Eindruck, aber er schien sich schon auf Sina eingeschossen zu haben. Lares war ihr zu streng und beherrscht, Milian strebte nach Höherem und die anderen waren in ihren Augen eher blass und nichtssagend geblieben. Nun war sie doch gespannt, was für einen Rat ihr Ademar geben würde.

“Ich verstehe. Aber glaubt mir, das die Herren hier nur abwiegen. Der gute Vogt Runegard vom Schwarzen Quell zum Beispiel könnte interessant für euch sein.Er könnte euch die stabilität und position bieten, die ihr anstrebt. Da ihr hier seid, weiß ich eure praiosgefällige Gesinnung und die Suche nach Struktur und position sehr zu schätzen. Aber wenn euer Gefühl sagt, dass hier keiner der Herren zum lustwandeln interessant sein könnte, dann kann ich nur auf die Herren an den anderen Tischen weisen.” Er schaute sich kurz um. Dann fiel ihm ein einzelner Mann auf, der in der prallen Sonne stand. “Amiel?”, schien er sich selbst zu fragen. “Was haltet ihr von Amiel von Altenberg? Rechtsgelehrter, dient dem Traviatempel und seine Mutter war selbst eine Zofe.” Ademar schaute sie mit einem leicht entrückten Blick an.

Melisande kniff überlegend die Augen zusammen. Mit Runegard konnte sie nicht wirklich viel anfangen. Der Mann hatte zwar dasselbe Buch wie sie gewählt, war aber schon ziemlich alt und lud sie von seiner Art her nicht gerade dazu ein, ihn näher kennenzulernen. Amiel passte vom Alter her schon besser, schien aber eher der gemütliche Typ zu sein. Wenn sie sich schon Gedanken über eventuelle Ehemänner machen musste, so zöge sie doch ein feuriges Temperament vor.

“Habt Dank, Euer Ehrwürden.” Sie knickste vor dem Geweihten. Jetzt wollte sie aber erst einmal wieder Abstand gewinnen. Allerdings hatte sie ihre Meinung geändert und wollte nicht sofort zurück zu Thalissa, sondern ihren Auftrag noch ein wenig selbsttätig erweitern. So wandte sie sich vom Praios-Tisch ab und begann, scheinbar in Gedanken versunken ziellos über die Wiese zu schlendern.

Am Tisch der Gütigen Mutter

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht zupfte Vater Winrich von Altenberg-Sturmfels die orange Tischdecke gerade und öffnete dann ein leinenes Bündel. Zum Vorschein kamen viele silber- blinkende Messer. Dann wandte er sich zu einer Truhe die neben dem Tisch stand und öffnete. Mit seinen kräftigen Händen hievte er einen runden Käse heraus und legte ihn auf den Tisch. Genüsslich sog er den würzig-herben Geruch ein und wartete bis die Gäste sich versammelt hatten.

Mit dem Beobachten der Vorstellungsrunde der Heiratswilligen war es leider nicht getan. Kaum gingen diese ominösen ‘Götterspiele’ los, schickte Thalissa di Triavus ihren Leibwächter und Edlen von Hottenbusch, Tar’anam sin Corsacca, los, um ‘sich doch ein wenig näher mit den Kandidaten zu beschäftigen’. Nun hatte er also die Wahl gehabt, entweder Lucasta von Leihenhof zum Tisch der Rahja zu folgen - oder Elvrun von Altenberg zum Tisch der Travia. Da der Rahja-Tisch schon ziemlich voll und Tar’anam gerade nicht nach ausgelassener rahjanischer Stimmung zumute war, hatte er sich schließlich für Travia entschieden.

Nun trat der alte Krieger also an den TIsch, begrüßte zunächst Winrich von Altenberg mit einem Kopfnicken und einem knappen “Hochwürden”, dann nickte er auch den anderen Gästen zu, ohne sie namentlich zu nennen. Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf Elvrun, doch auch die anderen vernachlässigte er nicht, was seine Musterung betraf.

Lucasta von Leihenhof bemerkte den Blick des älteren Mannes. Hatte er sich vorgestellt? Sie konnte sich nicht erinnern. Suchte er eine Dame für seinen Sohn? Oder seiner Tochter? Nun war es an ihr ihn einzuschätzen. War er ein Baron, Junker oder Ritter? Sie mußte es einfach wissen. Ganz ihrer forschen Natur sprach sie ihn an. “ Travia zum Gruße, euer Wohlgeboren. Ich glaube mir ist eure Name entgangen. Ich bin Lucasta aus dem Haus deren von Leihenhof … und das ist mein Bruder Ingeras.” Sie deutete eine Knicks an, ihre Bruder folgte.

Tar’anam hatte überrascht zur Kenntnis genommen, dass Lucasta von Leihenhof kurzfristig den Tisch gewechselt hatte. Nun gut, vielleicht geschah das auch auf Betreiben der Geweihten, um die Zahl der Spielteilnehmer je Tisch einigermaßen gleich zu halten. Und nun sprach sie ihn auch noch an. “Tar’anam sin Corsacca”, stellte er sich also der Höflichkeit genügend mit einer knappen Verbeugung vor, “Edler von Hottenbusch in der Baronie Rickenhausen. Leibwächter ihrer Hochgeboren Thalissa di Triavus von Rickenhausen.” Seine Stimme klang tief, sonor, durchaus angenehm, doch wie immer beschränkte er seine Wortwahl zunächst auf das Nötigste. Andererseits, wenn er hier schon mitspielen musste … “Erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, hm, hohe Dame?” Bei der Anrede war er sich nicht ganz sicher, da niemand es für nötig befunden hatte, ihn über den genauen Status der Dame aufzuklären, am wenigsten er selbst, da er vor dem heutigen Tage nicht im Traum daran gedacht hätte, mit irgend jemandem hier mehr als ein paar belanglose Worte zu wechseln. Aber sein Gesichtsausdruck blieb so unlesbar wie immer, man konnte ihm nicht ansehen, ob er sich deswegen unsicher oder unwohl fühlte. Er sprach einfach weiter: “Ich sah Euch gerade noch beim Tisch der Rahja stehen, was hat Euren Sinneswandel verursacht?”

“Mein Vetter, der Junker von Liannon, hat uns darauf hingewiesen, dass es für uns schicklicher wäre, sich der Mutter Travia anzuvertrauen.” Sie deutete auf den wohl gekleideten Edelmann am Rahjatisch. Die leicht bittere Note in ihrer Stimme war kaum zu überhören. “Und ihr schaut nun nach einer Braut oder Bräutigam für euren Erben, Wohlgeboren?” fragte sie weiter.

Der alte Krieger nickte knapp auf die Antwort der jungen Frau hin. Der Unterton in ihrer Stimme war ihm nicht entgangen, sein Blick folgte dem ihren zu dem eitlen Geck am Nebentisch, der seine Unsicherheit mit Großspurigkeit zu überspielen versuchte. So war zumindest Tar’anams Eindruck von dessen Vorstellung her gewesen.

“Nein”, antwortete Tar’anam dann auf Lucastas Frage. “Ich habe noch keinen Erben. Und keine Frau.” Eigentlich wollte er gar nicht so viel über sich reden, aber da es sich eh nicht vermeiden lassen würde, konnte er auch von selbst damit anfangen. “Und eigentlich suche ich auch gar keine. Als Leibwächter der Baronin von Rickenhausen gilt ihr meine erste Loyalität. Dadurch bin ich viel unterwegs und muss mich öfters Gefahren aussetzen. Beides keine Dinge, die ich einer Gemahlin zumuten möchte. Dennoch hat mich die Baronin gedrängt, mich ‘ein wenig umzusehen’.” Nach dieser für ihn sehr langen Rede brauchte Tar’anam eine kurze Pause, bevor er seinerseits die nächste Frage stellte: “Warum seid Ihr dem ‘Hinweis’ Eures Vetters gefolgt, wenn es doch eigentlich nicht Euer Wunsch war?”

Lucasta überlegte. “Und wer kümmert sich um eurer Gut?”

“Ich habe einen guten Verwalter, der das für mich erledigt, wenn ich abwesend bin. Was, wie gesagt, recht oft vorkommt”, antwortete der Krieger knapp.

“Ob Rahja oder Travia, beides ist doch gut. Unser Vetter ist der ältere, also hören wir auf ihn.”, antwortete der elfengleiche Ingeras für sie.

Tar’anam hob eine Augenbraue um ein winziges Bisschen, ging aber nicht auf Ingeras’ Aussage ein, sondern blickte weiterhin Lucasta fragend an. Ihre Antwort wollte er hören, nicht die ihres Bruders.

Nach dem der Alte ihre Frage nicht beantwortete, begriff sie, dass sie ihm noch eine schuldig war. “Travia ist doch die bessere Wahl, wenn es um die Ehe geht, oder nicht? Deswegen sind wir hier.” antwortete sie leicht trotzig.

“Da müsst Ihr die Geweihten fragen”, erwiderte Tar’anam, wieder ohne sichtliche Regung. “Ginge es hier nur um Travia, sollte es doch nur einen Travia-Tisch geben, meint Ihr nicht auch?”

Lucasta war sichtlich überfordert mit den Fragen des Edlen. Die Sechzehnjährige überlegte. Stellte dann aber eine Gegenfrage. “Warum habt ihr denn Travia ausgesucht? Hättet ihr den nicht mehr Freude am Rahja-Tisch?”

Tar’anam bemerkte das Unbehagen seiner blutjungen Gesprächspartnerin und beschloss, sich zurückzunehmen und nicht seinerseits schon wieder eine Gegenfrage zu stellen, nachdem sie ihm erneut die Antwort verweigerte. Zehn Götterläufe in Dienste von Biora Tagan färbten doch ein wenig ab, wie er innerlich trocken feststellte.

“Das weiß ich nicht”, antwortete er daher schlicht. “Ich kann ja nicht sagen, was die Geweihten sich ausgedacht haben. Generell bin ich eher kein Spieler, aber heute wird man wohl nicht um ein Spiel der einen oder anderen Art herumkommen.” Tar’anam ließ es zu, dass zum ersten Mal heute ein kurzes, schmales Lächeln sein Gesicht zierte, was ihn gleich viel freundlicher wirken ließ. “Was erwartet Ihr Euch denn von einem Mann?” fragte er dann unvermittelt.

Dieser Frage hatte sie sich noch nicht gestellt gehabt. Bis wußte sie nur eines: Sie wollte weg von Gernebruch, weg von ihrer bevormundenden Familie. Nur um ihren Bruder tat es ihr Leid, denn den müsste sie zurücklassen. “Jemand mit dem ich eine traviagefällige Ehe führen kann. Jemand auf den ihr zählen kann und eine eigene Familie gründen kann. Jemand der mir nicht ständig vorschreibt, was ich zu tun habe.” Ja, das wars. Zufrieden blickte sie Tar´anam an.

Dieser schwieg einen Moment. Dann konnte er der Versuchung doch nicht widerstehen. “Und wie gedenkt Ihr herauszufinden, ob ein Mann Euch das bieten kann?” Seine Miene blieb neutral, aber seine Augen blickten interessiert.

“Ich hoffe Travia wird dabei helfen zu finden. Deswegen sind wir ja am Tisch!?” Etwas unsicher blickte sie zurück, als das Trommel des Traviageweihten ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

‘Nicht ausreichend’, dachte der alte Krieger bei sich, ein klein wenig bedauernd, wie er zu seiner eigenen Verwunderung feststellen musste, aber er nickte und wandte seine Aufmerksamkeit nun ebenfalls dem Traviageweihten zu. Schade, dass keine Gelegenheit gewesen war, auch mit Elvrun von Altenberg zu sprechen, aber diese war ja ganz und gar von Nivard von Tannenfels mit Beschlag belegt worden. Später vielleicht.


Nivard hatte noch ein wenig Zeit gebraucht, sich wenigstens soweit innerlich zu berappeln und äußerlich zu straffen, dass er kein allzu jämmerliches Bild seiner selbst, aber auch seiner Familie und der Plötzbogner abgeben würde. Hoffte er wenigstens. Jetzt ging es darum, den Rest dieses Tages irgendwie zu durchstehen.

Sein spätes Eintreffen zu den Götterspielen hatte aber wenigstens den Vorteil, dass die meisten anderen Gäste bereits ihre Plätze gewählt hatten.

'Rondra vergib mir' sprach er zu sich selbst, 'aber an Deine Tafel werde ich heute nicht treten.' Unter Rondradin Götterspiele zu bestreiten, würde, ja konnte nicht gut enden. Zumindest im Hinblick auf das einzig verbleibende Restziel dieser ansonsten so grausam gescheiterten Mission - die Sache mit Anstand hinter sich zu bringen.

Auch Rahjas so schrecklich innige Liebe zu ihm, von der er erst heute erfahren hatte, würde ihn hier und jetzt nicht an ihre Tafel locken - die dortige Nähe zu Gelda wäre zu viel der Prüfung und würde ihm das Herz wieder und wieder zerreißen.

Den gestrengen Praios achtete Nivard, aber ihm war viel mehr nach dem wärmenden Frieden, den Travia versprach.

Langsam, den Blickkontakt mit Gelda und Rondradin tunlichst meidend, hielt er auf die Tafel der gütigen Mutter zu. Er hatte sich schon einen Platz auserkoren, neben Tar’anam sin Corsacca, den er bereits aus Nilsitz kannte. Mit dem Rücken zu Gelda.

Außerhalb der Tempelwände in Elenvina wurde Elvrun von Altenberg oft belächelt. Sie wußte daß sie, ob ihrer zarten Figur oft den Beschützerinstinkt bei Leuten auslöste, aber ihre größte Stärke war ihre Intuition. Ihr Oheim wußte darum und deshalb wurde sie oft auf schwierigen Gläubige angesetzt. Genau dieser Instinkt schlug sofort an, als sie den jungen Krieger Nivard sah. Seine Fröhlichkeit war entschwunden und er drehte den Rücken zu ihrer Base. Ein kurzer Blick zu Gelda, die flüchtige Blicke mit dem Rondrageweihten tauschte, schien ihr alles zu erzählen. “Oh, Nivard von Tannenfels, es ist schön euch hier am Tisch der Gütigen zu sehen. Willkommen!” Die blasse, rothaarige Frau kam auf ihn zu und gab ihm eine Umarmung. Jedoch war diese keine flüchtige Höflichkeitsgeste, sondern eine behütende und warme Umarmung.

Nivard nahm die Umarmung dankbar entgegen - in dieser schwangen Trost und ein Gefühl des aufrichtigen Willkommenseins. Er hielt kurz inne, und ein scheues, nichts desto weniger warmherziges Lächeln trat auf seine Lippen, das den traurigen Ausdruck seiner Augen jedoch nicht kaschieren konnte. "Elvrun von Altenberg. Ich freue mich, Euch endlich selbst kennenzulernen. Eure Mutter und Euer Bruder haben mir bereits viel von Euch erzählt." Er war sich nicht sicher, ob er andeuten durfte, dass er noch vor wenigen Wochen auch mit ihrem Vater gemeinsam eine abenteuerliche Mission durchlebt hatte.

Wie blass Elvrun wirkte - ungewöhnlich für eine Novizin Travias. Seine Schwester Libgard war im Dienste der gütigen Mutter eigentlich recht viel draußen…

“Mir geht es genauso. Mein Bruder und meine Mutter haben so viel von euch erzählt, da kommt es mir vor, als ob wir uns schon länger kennen.” Sie lächelte und strich ihm dabei liebevoll über den Oberarm. Das ihre Base Gelda auch einiges dazu beigetragen hatte, erwähnte sie nicht. “Es ist schön euch hier an Travias Tafel zu sehen. Praios ist zu streng und Rahja ist zu wild. Und ich schätze euch als treue Seele ein. So wie ich es bin” Nun lächelte sie ihn milde an. Der Blick aus ihren grünen Augen hatten etwas unergründliches, und doch … es schien ihm, als ob er seine eigene Traurigkeit in ihr widerspiegeln sah.

Nivard spürte es ebenfalls, dieses merkwürdige Gefühl der Vertrautheit, obgleich sie sich gerade zum ersten Mal begegneten und erst wenige Sätze miteinander gewechselt hatten. Elvruns Haltung zu den Göttern glich der seinen - besonders die Wildheit Rahjas war für ihn nur schwer zu ertragen, wie er erst heute wieder auf die harte Tour erkennen musste.

"Am Ende hält die Treue zueinander, zu denen, die wir lieben, unseren Familien, zu unseren Schutzbefohlenen und Lehnsherren und zu den Göttern, alles zusammen." entgegnete er leise. "Sie alleine ist es, wegen der es sich zu kämpfen lohnt. - Eine treue Seele, ja, das bin ich auch."

Er spürte ihre Hand aus seinem Oberarm und legte die seine dankbar auf die ihre.

Diese traurigen Augen berührten ihn! War es nur die Projektion seines heutigen Ichs in Elvrun? Nein, da schien mehr zu sein, da war mehr. Sein eigenes Leid kam ihm mit einem Mal nicht mehr so gewichtig vor wie noch wenige Momente zuvor - wie selbstbezogen es doch nur war. Was mochte diese Traurigkeit bei einem so mitfühlenden Menschen hervorgerufen haben?

Jetzt und hier waren nicht der Zeitpunkt und der Ort, Elvrun darauf anzusprechen. Stattdessen lächelte er sie nur an, ernst und doch voll Wärme, hoffend, dass darin mitschwang, was er jetzt nicht in Worte gießen konnte.

“Ich wußte es.” Sie lächelte ihn an. Elvrun musste sich eingestehen, dass sie Nivard mochte. Sein Aussehen, sein Wesen und auch die poetische Ader. “Mehr kann sich eine Frau nicht wünschen. Ihr werdet bestimmt ein guter Vater von vielen Kindern werden.” fügte sie an. Eine leichte Röte zog sich über ihre feinen Züge.

"Ich wäre ein glücklicher Mann, so mich eines nicht allzu fernen Tages Kinderjauchzen empfinge, wenn ich heimkehre." Und eine liebende Gemahlin, fügte Nivard in Gedanken hinzu. Nach den heutigen Geschehnissen schien ihm beides aber nur ein ferner Traum. Wahrscheinlich würde immer ein anderer vor ihm stehen, sobald er sein Herz verschenkte. "Mögen Travia und Tsa es fügen… Ganz sicher aber werden die gütigen Göttinnen Euch mit Kindern segnen - und Ihr diesen eine wundervolle und liebende Mutter sein." Als er sich selbst sprechen hörte, wurde Nivard ganz verlegen, und das Blut schoss ihm in die Wangen. Aber es war die Wahrheit, davon war er überzeugt. Eine so warmherzige Frau mussten die Götter einfach lieben. Und nicht nur diese.

Wie von einer Nadel gestochen, zuckte Elvrun kurz zusammen und schloß die Augen. “Ich ...ich”, mehr brachte sie nicht heraus, doch blinzelte sie eine Träne hinfort. Sie griff nach seinem Unterarm, als ob sie eine Stütze suchte. Als sie seinen besorgten Blick sah, zwang sie sich zu einem Lächeln. “Verzeiht … aber eure Worte waren sehr rührend. Ihr seit ein gute Mann, Nivard!” Sie wischte ihre Träne hinfort , ließ aber seinen Arm nicht los.

An was nur hatte er mit seinen aufrichtig gemeinten Worten gerührt? Soviel spürte er - es war nicht allein die Rührung ob dieser - nein, jetzt war er sich sicher: irgendein Schatten lastete auf Elvrun, die ihrerseits doch ohne Zweifel ein Licht für die Menschen um sie war. Nivard tat es in der Seele weh, sie so zu sehen, und diese Sorge sprach aus seinen Augen. Dankbar fühlte er, dass er ihr in diesem Moment wenigstens der Arm zum Festhalten sein durfte. Seine andere Hand griff und drückte die ihre. Rau fühlte sie sich an, und warm. "Wollt Ihr mir, jetzt oder später, erzählen...," er schluckte kurz, hoffte, Ihr nicht noch mehr Schmerzen zu bereiten, wagte sich aber dann schließlich doch, behutsam und in leiser Stimme fortzufahren, "was Euch in diesem Moment... so stark berührte?"

´Konnte es sein?´ ging ihr die Frage durch den Kopf und schaute Nivard etwas länger an. Noch nie war ihr ein Mann begegnet, bei dem sie das Gefühl hatte, dass er direkt in ihr Herz schauen konnte. So wie sich seines ihr auftat, war es auch anderes herum. “Nur ihr und euer ehrliches Herz, Nivard. Ihr habt es verdient eine gute und treue Frau zu finden.” Sie fühlte sich wohl, sehr wohl bei ihm.

“Nicht halb so sehr wie Ihr, Elvrun, Euer Glück in einem Euch liebenden und treu zu Euch stehenden Gemahl." ‘Einem, der Euch die Trauer aus den Augen nimmt.’ fügte er in Gedanken hinzu. Ob vielleicht er dies vermochte?

Nivard fühlte sich zugleich seltsam und doch so richtig - noch eben steckte er schiffbrüchig im schlimmsten Sturm, den er sich vorstellen konnte - und nun war ihm, als käme er nach endloser Reise nach Hause.

´Er meint das ehrlich. Könnte es sein, dass er der Richtige war?´ Elvrun schaute den jungen Krieger tief in die Augen und lächelte …. schüchtern. Doch dann dachte sie an Gelda. Ihr Blick wanderte zu ihrer Base, die noch immer verliebt an den Tisch Rondras schaute. ´ Nein, das junge, naive Ding hat solch eine treue Seele gar nicht verdient.´ “Wir beide haben das verdient. Travia wird dass schon richten, da bin ich mir sicher.” Ihr Händedruck an seinem Arm verstärkte sich leicht.



Spät traf noch eine weitere Dame ein, die im Gegensatz zu den anderen Damen kein Kleid, sondern Hosen trug, welche zudem einen figurbetonten Schnitt hatten. Sie knickste vor den Anwesenden. “Travia zum Gruße. Ich bin Sylvette von Wasserthal. Ein wenig unsicher sah sie sich um, als ob sie jemanden bestimmten suchen würde.

Tar’anam fiel die Frau sofort auf. Einerseits, weil seine Aufmerksamkeit auch hier nicht nachließ. Gefahren konnte überall und zu jeder Zeit lauern und schlugen oft zu, wenn man es am wenigsten erwartete. Und andererseits, weil er sofort erkannte, dass sie genauso wenig wusste, was sie hier sollte, wie es bei ihm der Fall war. Interessiert musterte er sie.

‘Ah, hier war der rickenhauser Schatten also.’ dachte Sylvette bei sich. Sie hatte sich schon gewundert, traf man die Baronin von Rickenhausen doch niemals ohne ihn an. Die über ihren Leib wandernden Blicke ließ sie sich nur zu gerne gefallen, schließlich schämte sie sich nicht für die Vorzüge, welche Rahja ihr hatte zukommen lassen. Leider verschleierte das weite Hemd die Pracht ihrer Rahjaäpfel, aber zumindest ließ die Weste erahnen, was sich darunter verbarg. Sylvette genoss es kein Kleid tragen zu müssen, dies kam viel zu selten vor. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen als sie ihrerseits den Edlen von Hottenbusch ins Auge nahm. Er war zwar nicht der Elf, den sie vorhin zu sehen geglaubt hatte, aber wenigstens ein gestandener Mann, wenn auch schon etwas zu alt.

Ein zweiter Mann schaute sie interessiert an, aber im Gegensatz zu dem Älteren trat der Jüngere zur Tat und sprach die Wasserthalerin an. “Travia zum Gruße! Advocatus Amiel von Altenberg mein Name. Ich glaube ich muss euch bei der Vorstellung verpasst habe!” Der gemütliche junge Mann, mit hübschen Gesicht und Schmerbäuchlein verbeugte sich höflich.

Die Wasserthalerin riss ihren Blick vom Edlen los und lächelte Amiel freundlich an. “Oh, es gab eine Vorstellungsrunde? Nun, jene habe ich wohl verpasst.” Sie zog einen Schmollmund, als sei sie davon betrübt. “Tatsächlich bin ich gerade erst angekommen.” Nun, das stimmte nicht ganz. Sylvette hatte darauf bestanden, sich erst frisch zu machen und etwas anderes anzuziehen. Sie wollte nicht unter die Leute wenn sie nach Pferd roch.

“Nun, herzlich Willkommen. Ich hoffe ihr verratet mir noch euren Namen. Haus Wasserthal. soviel weiß ich zumindestens schon. Und ich hoffe ihr mögt Käse, wie es ausschaut hat Vater Winrich einen herben mitgebracht.” Er lachte kurz während er sich an sein regenbogenschillerndes Amulett fasste, das eine Eidechse darstellte.

“Oh, verzeiht, ich war wohl zu leise als ich mich der kleinen Runde gerade vorstellte.” Sie verbeugte sich vor Amiel und bot so einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté. “Ich bin Sylvette von Wasserthal, Gesellschafterin am Hofe Tsajas vom Berg zu Meilingen. Und heute als Botin unterwegs.” Sie sah ihn von unten heraus mit großen runden Augen an. Dann richtete sie sich langsam wieder auf. “Wisst Ihr was es mit dem Käse auf sich hat? Die Travia-Geweihte dort drüben meinte, hier würde eine Zeremonie abgehalten werden, aber hier sehe ich nur ein Käserad, dort drüben üben sie sich im Armdrücken, dort liegen Bücher auf dem Tisch und ist das nicht ein Korb mit Rosen?”

Amiel konnte nicht anders, als den Einblick Sylvettes zu genießen. “Nun, ich hoffe doch, dass wir ihn essen werden. Wozu sollte sonst der Käse gut sein. Ich stehe genau wie ihr vor Rätsel, aber ich bin mir sicher, die Geweihten wissen schon was sie tun. Darf ich fragen warum ihr den Tisch der Travia gewählt habt? “ Er leckte sich seine vollen, sinnlichen Lippen und schaute sie aus seinen dunkelbraunen, treuen Augen an.

“Ihr werdet mich auslachen, aber ich für mich sah es von dort drüben aus, als ob hier ein Elf gewesen wäre, aber als ich hier eintraf, war er scheinbar schon wieder fort.” Sie warf einen Blick auf den Käse. “Vielleicht sollen wir uns gegenseitig mit dem Käse füttern.” Wechselte sie unvermittelt das Thema. Das könnte durchaus Spaß machen, allerdings würde sie sowas eher der Rahja-Kirche zutrauen als der Travia-Kirche.

“Sylvette, sehe ich so aus, als ob ich mein essen teilen würde?” er fasste sich an sein Bäuchlein und lachte laut und herzlich los. “Nun, ohne aufdringlich zu wirken, mit euch würde ich natürlich teilen.”

Sie fiel in sein Lachen ein, ein heller fröhlicher Laut. “Ihr seht aus, als würdet Ihr gutes Essen schätzen und es ist doch wohlbekannt, dass es in Gesellschaft noch besser schmeckt. So würde ich mich geehrt fühlen gemeinsam mit Euch an einem solchen Festschmaus teilnehmen zu dürfen.” Irgendwie erinnerte er sie an ihren Onkel Meinhard, den Travia-Tempelvorsteher von Meilingen.

Er musterte sie nochmals. “Einen Elfen? Ihr meint Ingeras von Leihenhof?”, und deutete über ihre Schulter.

Sie ruckte mit dem Kopf in die angedeutete Richtung um den besagten Ingeras in Augenschein zu nehmen. Kein Elf, fürwahr, aber eine ebensolch zierliche Statur. Er sah so jung und vor allem unschuldig aus. Als der Junge ihren Blick bemerkte, lächelte sie ihn an und zwinkerte, bevor sie sich wieder Amiel zuwandte. “Das ist also Ingeras von Leihenhof, sagt Ihr?”

Er nickte, dann rief er rüber. “In Travias Namen, Ingeras kommt doch einmal her, die holde Dame hier möchte euch kennenlernen!” Amile grinste und winkte den Leihenhofer rüber.

Etwas schüchtern schaute Ingeras rüber, aber als seine Schwester nur mit den Schultern zuckte, schlenderte er rüber. Sein langes, strohblondes Haar wehte ein wenig im Wind, seine hohen Wangenknochen und das schmale Kinn ließen ihn zart erscheinen. Sein Bartschatten zierten sein Gesicht und ließen ihn androgyn erscheinen. Seine leicht schräg stehenden, grünen Augen schauten sie interessiert an. “Ingeras von Leihenhof. Ihr wolltet mich sprechen?” Leicht unterwürfig senkte er den Kopf.

Nachdenklich mit einem Lächeln im Gesicht schaute Amiel die Beiden an. “Ich gebe euch mal einen Moment.” Dann zog er sich zum Tisch seines Oheim zurück, in der Hoffnung ein Stück Käse zu stibitzen. Als er Sylvette passierte, streiften ihre Finger seinen Unterarm. “Wir werden uns wiedersehen.” versprach sie leise.

“Das möchte ich auch hoffen.” und zwinkerte ihr zu.

Dann wandte sie sich Ingeras zu und lächelte ihn freundlich an. Er wirkte so zerbrechlich. “Travia zum Gruße, ich bin Sylvette von Wasserthal. Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen.” Wieder verbeugte sie sich, doch dieses mal gerade soweit, dass der junge Mann vor ihr einen kleinen Einblick in ihren Ausschnitt erhielt. Hier musste man vorsichtig sein, damit man Ingeras nicht verschreckte. Bei Rahja, er war wirklich niedlich. “Wisst Ihr, als ich Euch aus ein wenig Entfernung das erste mal sah, glaubte ich einen leibhaftigen Elfen zu erblicken. Deshalb kam ich hier herüber um Euch kennenzulernen.” Sie lächelte den Jungen herzlich an.

Viele waren verwirrt, wenn sie Ingeras sahen und wussten nicht wohin sie ihn ´stecken´ sollten. Die meisten mögen ihn als schwächlich sehen und seinem eigenen Geschlecht zugetan. Doch Sylvette musste feststellen, das einiges nicht zu treffen mag. Ihr war klar das er dem weiblichen Geschlecht zugetan war, den der leidenschaftliche Blick den er ihr zuwarf, war eindeutig. Und nicht nur das. Seine dunkelgrünen, kurzen Samthosen offenbarten sichtlich seine bewegte Männlichkeit und wie es schien, war es größer, als alles was Sylvette je zuvor gesehen hatte. “Ich bin sehr erfreut.” Er griff ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. “Ich stehe euch zu Diensten, Herrin.”

Bemüht, nicht auf seine Leistengegend zu starren, lächelte Sylvette und suchte Ingeras Blick. “Ihr seid zu gütig.” Bei Rahja, hatte er sie wirklich ‘Herrin’ genannt? War er ihr etwa … Nein, das war nicht möglich. Nicht so schnell, aber die Beule, diese riesige… Sie konnte den Burschen doch nicht mit einer solchen Wölbung offen herumlaufen lassen. “Habt Ihr eine Idee was das mit dem Käse soll?” Kurzerhand ergriff sie seine Hand und führte ihn direkt an den Tisch, damit dieser seine Erregung verbarg. “Darf ich Euch Ingeras nennen? Wollt Ihr mir ein wenig von Euch erzählen?

Ingeras war angetan, sehr sogar. Sylvette wußte was sie wollte. Sie hatte nach ihm gerufen. Er mochte das bei Frauen. “Ihr dürft mich nennen wie es euch beliebt.” Ingeras blickte auf den Tisch. “Ich habe keine Ahnung, Herrin. Auf jeden Fall ist er … würzig.” Eine leichte Abneigung schlich sich in seine Stimme. “ Was wollt ihr denn wissen?” fragte er und schmiss ihr einen sehnsüchtigen Blick entgegen.

“Mein lieber Ingeras, wir sollten ein paar Regeln festlegen. Findet Ihr nicht?” Ihr Blick stellte eine Belohnung in Aussicht. “Da ich Euch bei Eurem Vornamen anreden darf, bestehe ich darauf, dass auch Ihr mich bei meinem Vornamen anredet und nicht mit Herrin.” Ruhig mit sanfter Stimme sprach sie auf Ingeras ein. “Und dann möchte ich, dass Ihr Euch ein wenig beruhigt. Ich laufe Euch nicht weg, wir haben also Zeit.” Ihre Hand hielt noch immer die seine und mit ihrem Daumen strich sie zärtlich über seinen Handrücken. “Aber nun würde ich gerne etwas über Euch erfahren. Welche Interessen habt Ihr? In was wurdet Ihr ausgebildet? Was soll Eure zukünftige Gemahlin an Eigenschaften mitbringen?” Sie hatte noch andere, privatere Fragen, welche sie aber nicht in direkter Nähe zu einem Geweihten der Travia stellen würde.

“Aber natürlich, verzeiht … Sylvette.” Er wußte genau was sie meinte, aber ein Problem dass der junge Mann zu meistern wusste. Er zog sich sein blaues, seidenes Hemd aus der Hose und ließ es fallen. Somit war die ´Erregung´ und das Problem gelöst. Denn ihre bestimmenden Fragen, der leicht strafende Ton in ihrer Stimme und die Streicheleinheiten bezweckten das Gegenteil. “Meine Mutter legte Wert mich am Schwert auszubilden. Allerdings an keiner Schule. Sie hat das selber gemacht, sie war Flussgardistin. Ich soll einst ihren jetzigen Posten übernehmen, sie ist die Erbvögtin von Gut Niedergalebra.” Ingeras schaute ihr mit gesenkten Blick in die Augen. “Eine starke Frau. Eine starke, bestimmende Frau. Das ist es was ich mir wünsche. Jemanden dem ich all ihre Wünsche von den Lippen lesen kann. Und ihr?”

Die Frage, obwohl erwartet, überrumpelte Sylvette. Diese hatte sie sich schon selbst gestellt, aber keine Antwort darauf finden können. Dieses mal konnte sie es aber nicht einfach dabei belassen. Sie verstärkte den Druck auf seine Hand ein wenig und zog ihn fort von dem Tisch. Der Geweihte war noch immer in die Betrachtung seines Käses vertieft, also sollte es noch einen Moment dauern bis er mit - was auch immer - begann. In ausreichend Abstand zu den anderen blieb sie stehen. “Ingeras, ich suche einen Mann, der mich liebt und mich glücklich machen kann. Ja, er sollte mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen, aber zudem sollte er gleichfalls in der Lage sein für seine Ziele zu kämpfen.” Sie konnte sehen, dass diese Worte Ingeras trafen, aber sie wollte auch kein einfaches Spielzeug haben, was nur nach ihrer Pfeife tanzte und ihr noch ein paar vergnügliche Stunden im Bett bereitete. Sie hob sein Kinn um ihm direkt in die Augen zu sehen. “Wenn Ihr mich haben wollt, müsst Ihr mir beweisen, dass Ihr dieser Mann seid. Werbt um mich wenn möglich, kämpft um mich wenn nötig und wir werden am Ende sehen.” Sie lächelte ihn herausfordernd an. “Und jetzt erwarte ich von Euch, dass Ihr euer Verlangen,” ihr Blick glitt zu seine Lendengegend “zähmt und Euch wieder adequat herrichtet.”

Ingeras Herzschlag schlug schneller. “Euer Wunsch ist mir Befehl, Sylvette. Ich werde euch beweisen, dass ich für meine Ziele kämpfen kann.” Ein Lächeln zauberte sich auf sein Gesicht. Es war das erste mal, dass er seine Schwester komplett vergaß.


Tar’anam folgte diesem Austausch durchaus aufmerksam, aber wie so oft, ohne eine Miene zu verziehen. Diese Sylvette hatte sich offenbar sehr schnell in ihre neue Rolle eingefunden. Interessant.

Als Sylvette den Blick des Junkers auf sich ruhen spürte, schoß ihr eine leichte Röte ins Gesicht. Sie lächelte verlegen und widmete sich wieder ihrem Gesprächspartner.

Auch der androgyne Ingeras beantwortete seinen Blick. Unterwürfig nickte er ihm zu und sah dann hinweg.

Ein ganz winziges Zucken lief über Tar’anams Gesicht. Er beobachtete weiter. Und hörte zu.

Scharfe Messer und würziger Käse

Vater Winrich schielte zu den anderen Tischen hinüber. Es versetzte ihm einen kleinen Stich, dass die meisten Gäste sich zu Bruder Ademar an den Praios Tisch stellten.

´Ja, er ist der Götterfürst, aber Mutter Travia ist die Ehe!´

Zumindest war es ihm eine Genugtuung, dass Bruder Rahjel weniger Gäste hatte. Die Blicke wanderten über die kleine Schar an Leuten, die abwarteten, dass er nun endlich anfangen würde. Sein Lieblingsneffe Amiel und Nichte Elvrun waren natürlich hier, die Ahnwachter-Schwestern ebenfalls. Besonders erfreute es ihn, auch junge Leute zu sehen. Es gab also Hoffnung, das es eine neue, traviagefällige Generation der Nordmarken gab. Noch ein paar Käse mehr stapelte er auf den Tisch, damit es auch genug waren. Der würzig-aromatische Duft, manch einer würde ihn stinkig bezeichnen, verbreitet sich schnell.

Mit einem Trommeln auf einen der Käse signalisierte Winrich, das er die Aufmerksamkeit der Gäste wollte. Ziemlich schnell hörte das Schnattern der Brautwerber auf und erwarteten seine Worte.


“ Nos sacro salutant anseris aequabis!
Das Heim, die Familie, die Treue.
Wir sind heute zusammengekommen,
um deinen Segen zu erhalten.
Oh gütige Mutter Travia,
Öffne unsere Augen und Herzen,
Auf das ein jeder seinen Gefährten fürs Leben finden vermag,
um den heiligen Bund in deinen Namen zu schwören.

Nos deditionem potentiam tuam!”


Es schien fast so, als ob man aus der Ferne eine Schar Gänse hören konnte.

Plötzlich fühlte sich Sylvette ein wenig unsicher. Zu was hatte sie sich da überreden lassen? Wobei, überreden traf es nicht ganz. Schließlich war sie ihrer Neugier auf den “Elf” zu diesem Tisch gefolgt und auch wenn sich der junge Mann nicht als Elf herausgestellt hatte, so war sie doch auf ihre Kosten gekommen. Und auch in Amiel hatte sie jemanden gefunden, den sie gerne noch etwas näher kennenlernen würde. Sicher, er war nicht von athletischer Gestalt, aber er wusste die angenehmen Dinge des Lebens zu schätzen und hatte ein heiteres Wesen. Jedenfalls erschien ihr das so nach ihrer ersten kurzen Begegnung.

Nivards Augen lösten sich von Vater Winrich und der Tafel und glitten kurz in die Ferne, doch konnte er keine Gänse ausmachen. Dennoch spürte er, dass Travias Blick in diesem Moment auf Ihnen ruhte, und in diesem lag Wärme und Frieden, ebenso wie in der Berührung Elvruns, deren Hand noch immer auf seinem Arm ruhte. Er war hier richtig.

Tar’anam nickte stumm nach den Worten des Geweihten, während derer er die Augen zwar gesenkt gehabt hatte, den Blick aber dennoch hatte schweifen lassen. Immer wachsam, das könnte man seinen Leitspruch nennen.

Elvrun war sich gewiss, dass die Mutter nun unter ihnen weilte und lächelte selig.

Lucasta schaute sich verwundert nach dem geschnatter um, doch Gänse sah sie nirgends.

´Nun jetzt gilts. Oh gütige Mutter, lass mich vor deinen Augen bestehen.´ Amiel hatte die Augen geschlossen und öffnete sie erst wieder, als Vater Winrich sprach.


Zufrieden grinste der Geweihte der Travia. Mit zufriedener Gewissheit sprach er weiter:


“Meine lieben Kinder. Es freut mich zusehen, dass ihr zahlreich erschienen seid, um eine mögliche Gemahlin oder Gemahl zu finden. Die heilige Mutter hilft uns oft, in dem sie versteckte Zeichen sendet, die uns bei Entscheidungen helfen sollen. Da es aber oft schwierig ist, genau diese kleinen Zeichen zu deuten, diene ich heute Ihr und euch, um diese zu verstehen. Ich bin auf eine alte Tradition gestoßen, die uns helfen wird, einander kennenzulernen.”

Er machte eine kurze Pause und strich dabei über den Käse.

“Das Verlieben ist die Milch, die Verlobung die Butter, doch die Ehe ist der Käse!”

Vater Winrich griff nach einem Messer und ließ es im Sonnenlichte funkeln.

“Der Käse ist ein beliebtes Mahl in der Familie und was wären wir ohne ihn?”´

Er lachte kurz und schwelgte in Erinnerungen.

“Ich möchte das jeder von euch einzeln nach vorne kommt, sich einen Laib Käse und ein Messer nimmt. Zeigt uns wie ihr den Käse zum Verzehr herrichten würdet. Ein jeder mag daraus Einsicht gewinnen, ob es sich beim Käseschneider, um den ´richtigen´ Partner handeln mag. Und glaubt ja nicht, dass es eine leichte Aufgabe wäre, denn dieser hier”, er klopfte auf den Leib, der einen dumpfen Ton wiedergab, “hat eine dicke Rinde und ist kein Herzogenfurter Weichkäse!”

Er lachte herzlich.

“In Travias Namen, wer möchte als Erster?”


Sylvette fasste sich ein Herz und trat nach vorne. Ehrerbietig senkte sie den Kopf vor dem Geweihten, bevor sie ihr Augenmerk den Messern zuwandte. Sie würde ein sehr scharfes Messer benötigen, für das was sie vorhatte. Sorgfältig prüfte sie die Klinge, bis sie eines fand, das ihren Ansprüchen genügte. Alsdann griff Sylvette sich einen Käse und setzte das Messer an. Zuerst schnitt die Wasserthalerin einen schmalen Keil heraus, begutachtete das Stück und kostete es. Sie nickte anerkennend, dann krempelte sie die Ärmel des Hemdes hoch und konzentrierte sich voll und ganz auf ihre Aufgabe. Mit großer Sorgfalt schnitt sie hauchdünne Scheiben vom Käselaib ab und arrangierte diese aufgefächert, so dass jede Scheibe Luftkontakt hatte. Stolz präsentierte sie ihr Werk. “Dazu würde ich normalerweise eine Mischung aus fein gemahlenem Salz und Pfeffer reichen oder etwas Beerenkompott, wobei bei letzterem ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Säure und Süße bestehen sollte.” Sylvette schaute in die Runde und suchte nach Reaktionen. Ja, vielleicht mochte es auf den oder anderen ungewöhnlich wirken, dass eine Hofdame Käse derart fein schneiden konnte und auch noch über Begleiter für den Käse sprach, allerdings lag das in ihrem Dienst für ihre Hochgeboren Tsaja begründet. Nicht immer war die Köchin in der Burgküche zugegen und so hatte Sylvette lernen müssen, die ab und an auftretenden Käse-Gelüste ihrer Herrin befriedigen zu können.


“Interessant. Gute Gedanken, arbeitssparende Ausführung. Doch bedarf der Käse wirklich mehr, um ihn genießen zu können?” Mit freundlichen Blick signalisierte er Sylvette sich wieder einzureihen.


Nivard berührte noch einmal kurz und sanft die Hand Elvruns, dann löste er sich langsam und trat an die Tafel. Auch sein Haupt senkte sich vor Vater Winrich, ehe er reihum die anderen um sich herum Versammelten mit einem Lächeln begrüßte. Erst einmal besah er sich Käse und Messer aus der Nähe. Da sie nacheinander zur Tat schreiten sollte und er somit keinem das Werkzeug rauben würde, griff er sich zwei Messer - ein größeres, dessen lange und auf der stumpfen Seite recht breite Klinge sich hervorragend zum Ausspalten einer größeren Ecke eignen würde, und ein besonders kleines, sehr scharfes.

Bevor er zur Tat schritt, sprach er ein kurzes, sehr einfaches Tischgebet, das man ihn als Kind gelehrt hatte, und das er auch den seinen mit auf den Weg geben würde:


"Zu diesen Speisen sind wir hier,
Mutter Travia, wir Danken Dir,
an Deinen güt'gen Gaben,
lass' uns gemeinsam laben,
im Kreise unsrer Lieben,
schenk allzeit Deinen Frieden!"


Als der junge Krieger geendet hatte, packte er das große Messer mit der Rechten am Griffe, setzte es auf den Käse und legte seine Linke und sein Gewicht von oben auf das Ende der Klinge. In einer schaukelnden Bewegung drückte er sich durch den Käse, was ihn einige Kraft kostete. So verfuhr er ein weiteres Mal, bis eine schönes Stück gelöst war - gerade groß genug, um daraus eine Probe für alle zu gewinnen, aber nicht größer - kostbare Speisen durften nicht vergeudet werden, auch nicht in Tagen des Überflusses - und schließlich würden die anderen auch ihren Käse zubereiten. Es gab auch andere Zeiten, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Den verbleibenden Laib griff er und schlug diesen in ein sauberes Tuch ein, das er auf dem Tisch fand, um zu verhindern, dass das gute Stück vor seiner Zeit schlecht wurde. Dann reichte er diesen Winrich entgegen: "Mögt Ihr diesen vielleicht wieder im Schatten bevorraten? - Die Sonne wird ihm auf Dauer nicht bekommen."

Winrich nickte ihm wohlwollend zu, nahm den Käse und stellte ihn in die Kiste zurück.

Schließlich wandte Nivard sich dem zuzubereitenden Stückchen zu. Zunächst roch er eingehend daran. Die Wärme, die vom Sonnenschein und dem aufgeheizten Tisch bereits äußerlich in diesen gedrungen war, begann, dessen Düfte zu wecken. Charakter und Würze lagen in diesen, jedoch nicht die Schärfe, die Nivard von den alt-gereiften Schafs- und Ziegenkäsen seiner Heimat kannte. Er musste lächeln. Mit dem kleinen Messerchen löste er ein Stückchen der Rinde und verkostete diese zuerst. Auch sie wäre zur Not genießbar, doch würde sie einem Anlass wie diesem nicht gerecht. Sodann testete er eine hauchdünne Scheibe vom Inneren - es hielt das Versprechen, das bereits der Duft verhießen hatte - köstlich. Nun schabte er in äußerster Sparsamkeit die Rinde ab und schob diese feinsäuberlich auf einer Ecke der Platte zusammen. "Sie kann noch gut für ein Süppchen Verwendung finden." ließ er kurz erklärend verlauten. Als er damit fertig war, hobelte er aus dem Inneren des Leibs feine, schieferähnliche Plättchen, nicht besonders gleichmäßig in der Form, aber mundgerecht und so zart, dass auch ein kleines Pröbchen einen vollmundigen Geschmack brächte. Diese häufte er locker, so dass sie nicht durch einen zu innigen Kontakt mit dem erwärmten Teller an diesen anschmölzen.

Optisch konnte sein Werk nicht mit dem Sylvettes mithalten, doch es würde munden, und alles in allem war Nivard zufrieden.

Es jetzt in der Sonne auf dem Tisch stehen zu lassen, wäre schade. Daher nahm er den Teller mit beiden Händen und richtete fragend den Blick an Winrich, ob er diesen wohl direkt herumreichen dürfte.

“Gemach, gemach. Wir werden noch zum verspeisen kommen. Stellt es erst einmal ab!” Äußerst zufrieden schaute der Geweihte den jungen Krieger an.

Der nickte und tat, wie ihm geheißen. Langsam trat er zurück an seinen ursprünglichen Platz neben Elvrun. Ein schüchternes Lächeln huschte über sein Gesicht, als sich ihre Blicke trafen, und ganz unwillkürlich berührte seine Schulter die ihre.


“Abgesehen von leichter Ungeduld, ordentlich, sparsam und Poesie im Schwung mit dem Messer. Ein Feinschmecker mit Auge für die kleinen Dinge.” Der Geweihte schien äußerst zufrieden.


Nun trat Tar’anam an den Tisch und besah sich kurz die Messer aus der Nähe und nahm sich ein langes, scharfes. Anschließend griff er nach einem Käselaib, dann ging alles ganz schnell. Er stach kraftvoll mit dem Messer in die Mitte und hebelte es durch den Käse auf sich zu, so dass ein Schnitt durch den Laib entstand. Dann setzte er das Messer wieder in der Mitte an und hebelte es zu sich, was dazu führte, dass ein Keil aus dem Laib geschnitten wurde, der außen etwa einen Finger breit war. Dies wiederholte der alte Krieger noch vier weitere Male, bis er exemplarische fünf schmale Käsekeile aus dem Laib geschnitten hatte, dann legte er das Messer zur Seite. Die fünf Keile zog er anschließend soweit heraus, dass man sie sich leicht greifen konnte, aber nicht so weit, dass sie aus Versehen umfallen konnten.

Dann trat Tar’anam wieder zurück. Er hatte die ganze Zeit keinen Laut von sich gegeben, alle Bewegungen waren schnell und exakt gewesen, jeglichen unnötigen Firlefanz hatte er unterlassen. Nun blickte er kurz in die Runde, wobei ihn vor allem die Reaktion der Damen interessierten, in zweiter Linie die des Geweihten. Seine ‘Konkurrenten’ nahm er dagegen nur beiläufig wahr.


Vater Winrich nickte dem Edlen an. “Akkurat, aber auch nicht mehr als nötig. Der perfekte Mann fürs Grobe. ”


Elvrun von Altenberg ging dann nach vorne und griff sich ein Messer und einen Käse. Sie wog ihn erst in ihrer Hand und betrachtete ihn ausgiebig. Dann setzte sie vorsichtig das Messer an. Vorsichtig schabt sie die Rinde ab, in zarten Lagen. Nachdem der Käse zwischen ihren Fingern leicht ´sprunghaft´ war, schnitt sie diesen in gleichmäßige Schreiben. “Nun kann man ihn essen, ohne viel vergeudet zu haben, aber dennoch nicht auf der dicken Rinde kauen zu müssen.” Sie wischte das Messer ab, stellte den Teller gerade auf den Tisch und ging zurück an Nivards Seite.
“Wie es Travia beliebt. Ordentlich und sparsam.” Zufrieden wartete Winrich auf den nächsten.


Lucasta fand es mühsam den Leuten beim Schneiden des Käses zuzuschauen. Als sie an der Reihe war, überlegte sie kurz. ´ War die ganze arbeit als einfach den Käse zu genießen?´ Entschlossen nahm sie das Messer, schnitt den Käselaib in vier Teile. Dann nahm sie ein Stück und biss in den weichen Teil des Käses. Und so dass sie ihn, bis sie nur noch die Rinde in der Hand hatte, die sie dann auf den Teller legte. Mit einem zufriedenen Grinsen und noch kauend, stellte sie sich neben den Edlen.


Das Lächeln entschwand aus Vater Winrichs Gesicht. “Schlampig und niveaulos. Es gibt viel zu lernen.”, war sein nüchternes Urteil.


Ingeras von Leihenhof ging zögerlich nach vorne. Käse war etwas, was ihm überhaupt nicht schmeckte. Und wenn er auch noch ´stinkte´, um so schlimmer. Er wählte ein großes Messer und fing an die Rinde komplett vom Käse zu schneiden. Der würzige, besser gesagt stinkige Geruch ließ ihn würgen, aber ziemlich schnell hatte er sich wieder im Griff. Sein Blick wanderte zu Sylvette, den diese erwiderte und ihm aufmunternd zulächelte. Ja , er würde kämpfen. Dann schnitt er feine Scheiben und legte sie ordentlich auf den Teller. Ingeras präsentierte den Teller dem Geweihten, der ihm diesen abnahm. Mit demütig gesenktem Haupt kehrte er wieder zu seiner Schwester zurück.


Winrichs Lächeln kehrte nur geringfügig zurück. Er betrachtete den Teller und sein Blick fiel auf die Rinde. “Tendenz zur Verschwendung, aber bemüht zu gefallen. Ist sich nicht zu fein auch ungemütliche Dinge zu tun. Durchaus Hoffnung.”


Wider erwarten hatte Ingeras sie überrascht. Der Junge zeigte doch tatsächlich Kampfgeist, dabei hatte sie nach den ersten Momenten erwartet, dass er sich übergeben oder zurückziehen würde. Aber nein, er überwand sein Problem und schaffte es sogar den Käse schön zu drapieren. Bei ihm war also noch nicht alles verloren. Ja, es würde Zeit und Arbeit brauchen, aber aus ihm konnte noch was werden.


Höflich wartete Amiel von Altenberg bis die Leihenhofer Geschwister fertig waren. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, er selbst war ein Feinschmecker und begabter Koch. Auch wenn er es eher mit der Lebensgöttin Tsa hielt, war Travia ihm auch sehr nahe am Herzen. Er griff nach dem runden Leib des Käses, stieß dabei an den Tisch und ein weitere Leib rollte hinunter. Zu schnell fiel dieser vom Tisch, als das ihn Amiel fangen konnte. Und so rollte er direkt vor die Füße von … Nivard. Als dieser geistesgegenwärtig nach diesem Griff, trafen sich seine Hand und diese von … Elvrun, die sich ebenfalls nach dem Käse bückte.

Gemeinsam hatten sie der Flucht des Käses Einhalt geboten. Zwei Menschen, eine Handlung - nicht von Denken, sondern der Intuition geführt - die das Mahl zusammenhielt. War es die Göttin Travia, die diese lenkte, in diesem Moment zu ihnen sprach? So musste es sein! Nivard spürte die Hand Elvruns und blickte in ihre Augen. Langsam ging er mit seiner anderen unter den Käse, dessen Gewicht aufzunehmen, während seine erste Elvruns Hand sanft an dessen Seite führte. Gemeinsam mit ihr wollte er den Laib aufheben und an die Festtafel der gütigen Mutter zurückbringen. Nivards Herz pochte wie wild.

Auch Elvruns Herz ging auf. Die Nähe der Göttin war ihr nie näher, als in diesem Moment. Zusammen legten sie den Käse auf den Tisch ab.


Nachdem der Käse seinen Weg zum Tisch zurückfand, roch Amiel erstmal am Käse. Er klopfte und drückte ihn. Mit einem Messer schnitt er vorsichtig die obere Schicht der Rinde, probierte sogar ein Stück. Wie erwartet war diese nicht ganz köstlich und legte das Stück wieder zurück auf den Tellerrand. Dann Schnitte er den restlichen Leib in Würfel. Bevor er ihn vor Vater Winrich stellte, stibitzte er sich einen Würfel und schob ihn sich genüsslich in den Mund.

Ein zweites Stück bot er Sylvette dar, bevor er wieder in die Gruppe trat.

Diese nahm das Stück mit einem Knicks entgegen und schob es sich genüßlich in den Mund. Sie bedachte Amiel mit einem Lächeln. Den Käse zu würfeln war auch eine schöne Idee. Und auch wenn der Geweihte es vielleicht nicht gutheißen würde, so fand sie doch, dass man diese mundgerechten Würfel doch wunderbar mit Trauben kombinieren könnte. Süß und würzig, eine weitere schmackhafte Kombination. Die Art wie Amiel an die Sache herangegangen war, mal von seinem kleinen Missgeschick abgesehen, kündeten von einem Mann mit gesundem Selbstbewusstsein, der wusste was er wollte. Ingeras würde es gegen Amiel schwer haben, sollte er sich wirklich trauen um sie zu werben. Sie genoss die Situation, dass gleich zwei Männer Interesse an ihr hatten und sie sich eigentlich nur zurücklehnen musste und diese den ersten Schritt machen zu lassen.


Der Tempelvater aus Elenvina schmunzelte amüsiert. “Etwas übermütig, vorsichtig, aber ordentlich und den genüssen des Lebens offen.”


Nun es war Käse, was sollte er da schon großartig machen. Mit festem Griff packte Angrond von Fuchsberg das bereitliegende Messer und setzte es am Käse an. Mit der Kraft der Jugend und vor allem der Kraft seines trainierten Schwertarms drückte er die Klinge durch den festen Laib und teilte diesen, anschließend schnitt er parallel zur Schnittkante erst eine, dann zwei und schließlich drei sehr gleichmäßige, ungefähr einen viertel Fingerbreite Scheiben ab und drittel diese. In einem Kreis, sich jeweils überlappend richtete er sie abschließend an und erklärte sein Werk für fertig.


Der Geweihte der Travia hob beide Augenbrauen. “Grob und kräftig, aber effektiv. Der Sinn fürs Detail ist ausbaufähig, aber Hoffnung ist zu erkennen.”


Die beiden Damen aus dem Hause derer von Ahnwacht waren unter sehr ähnlichen Bedingungen aufgewachsen, sodass sie den Käse auch auf die gleiche Art und Weise anrichteten - auch wenn Aurelia scheinbar ein kleines Bisschen besser mit dem Messer umzugehen verstand.

Die Eine, wie die Andere, schnitten mit dem bereitliegenden Messer mehrere schmale Keile aus dem Käselaib und viertelten sie anschließend von der dicken zur dünnen Seite.


Vater Winrich betrachtet die beiden Teller, presste die Lippen zusammen und hob die Augenbrauen. “ Beflissen und auf das Nötigste beschränkt.” Jeder konnte in seinem Gesicht ablesen, dass er mehr erwartet hatte.


Als alle mit dem Käseschneiden durch waren, hob Vater Winrich nochmals die Arme in die Höhe.

“Himmlische Mutter, Dir ein Dank
Für Gemeinschaft, Speis und Trank.”

Dann legte er die Hände wieder auf dem Tisch ab.

“Ich hoffe ihr konntet die Zeichen der Mutter für euch deuten. Sollten diese noch immer nicht verstanden, kommt zu mir und ich helfe sie zu verstehen. Ich habe natürlich auch einen Rat, falls ihr euch unschlüssig in der Wahl eines Ehepartners seid. Ansonsten wünsche ich euch ein schönes Lustwandeln im Park!” Zufrieden grinste er und wartete, ob noch jemand auf ihn zukam.

Obgleich Nivard die Zeichen Travias für sich verstanden hatte und er spürte, dass es Elvrun genauso gehen musste, war es ihm ein Bedürfnis, nochmals zu Vater Winrich zu gehen. Sanft ergriff er die Hand der Frau, die ihm die Göttin gewiesen, und zog sie sachte zum Geweihten. Vor diesem senkte er sein Haupt, ehe er sich des Einverständnisses Elvruns vergewisserte, für sie beide sprechen zu dürfen.

Angenehm überrascht von Nivards Geste, ließ Elvrun sich von ihm führen und lächelte ihn wohlwollend zu.

"Wir möchten Euch für dieses Spiel danken, und der himmlischen Mutter, dass sie bei uns weilte, ja, unsere Herzen öffnete und erleuchtete!" Ergriffenheit schwang deutlich in Nivards Stimme.

“Es ist mich nicht entgangen. Es schein Travia hat euch zueinander geführt. Und auch im Spiel hab ich gesehen, dass ihr euch gut ergänzen würdet!” Vater Winrich strich beiden über die Schulter und wirkte äußerst zufrieden.

"Wollen wir uns zum Lustwandeln begeben?" galt Nivards Frage Elvrun. Seine Augen leuchteten dabei. "Und etwas Käse dazu mitnehmen?"

“Ich würde mich sehr geehrt fühlen”, sagte Elvrun und nahm Nivards Teller mit dem Käse.

Auf den Teller gesellten sich durch Nivards Hand sogleich zwei der von Elvrun so ebenmäßig geschnittenen Scheiben. “Darf ich Ihn für Euch tragen?”

Hand in Hand schlenderten sie gemeinsam los. Nivard war von der göttlichen Seligkeit Travias und dem so unerwartet offenbarten Glück ganz überwältigt, und zwei Tränen schimmerten in seinen Augenwinkeln. Für einige Momente genossen sie den Augenblick in stiller Einigkeit.

Nach einem Weilchen fragte er leise: “Wo weilt Ihr…” ob er es bereits wagen durfte? Er fühlte sich Elvrun doch schon so nah und vertraut. “Wo weilst Du am liebsten hier im Park?”

Sie nahm Nivard an die Hand und zeigte es ihm.


Nachdem dieses seltsame Spiel sein Ende gefunden hatte und Lucasta wider Erwarten noch immer neben ihm stand, wandte sich Tar’anam erneut an das junge Mädchen. Normalerweise erlaubte seine Berufung keine Rücksicht auf die eigenen Gefühle, so dass der alte Krieger sehr geübt darin war, solche im Ansatz zu ersticken. Aber nun, obwohl hierher … nun, befohlen war wohl der falsche Ausdruck, aber nichtsdestotrotz war er nicht aus eigenem Antrieb hier, schienen sich die selbst angelegten Fesseln ein kleines Bisschen zu lockern und er spürte eine seltsame … Unbekümmertheit, und ebenso seltsam war es, dass dieses Gefühl ihn nicht erschreckte, eher im Gegenteil. “Meine Dame, habt Ihr jemanden im Sinn, mit dem Ihr lustwandeln möchtet” - wann hatte er selbst das zum letzten Mal getan? Er konnte sich nicht erinnern … - “oder wollt Ihr vorher noch den Rat des Geweihten einholen?” Damit er Euch das Käseorakel erklärt, durchfuhr ihn ein völlig unpassender Gedanke, den er selbstverständlich nicht aussprach. Die … Umgebung hier hatte wahrlich einen merkwürdigen Effekt auf seinen Gemütszustand.

Lucasta überlegte. Tar´anam könnte locker ihr Großvater sein. Andereits war er nett. Und ein Spaziergang kann ja nicht schaden. “Wir können doch ein wenig lustwandeln, was meint ihr? Ich glaube es wäre auch gut wenn ihr mich Lucasta nennt.“ Höflich machte sie einen Knicks.

Kurz flackerte die Andeutung eines Lächelns über Tar’anams Gesicht, dann bot er Lucasta seinen Arm. “Gerne, Lucasta. Dann dürft Ihr mich Tar’anam nennen. Wo soll es hingehen?” Absichtlich übernahm er nicht selbst die Führung, er wollte sich überraschen lassen, wo es die junge Frau hinzog.

Am Tisch der Liebholden

Der Lehrer der Leidenschaft, Rahjel von Altenberg, strich noch einmal über die Kelche und die Karaffe die auf seinem Tisch stand. Mit wucht stellte der Rahja Akoluth Rahjagoras einen großen Korb mit Rosen ab, lachte dabei, umarmte den Geweihten und verließ die Gäste mit einem `die Heitere mit euch!´. Rahjel schaute die Gäste erwartungsvoll an.


Der Baldurstolzer freute sich aufrichtig, als er Elvan auf ihn zukommen sah; und war da nicht ein kleines bisschen Unsicherheit in seinen Augen? Die Gegenwart des Göttinnendieners machte ihn ein klein wenig nervös, verkörperte er doch die Göttin selbst und er vermeinte dadurch ihren prüfenden Blick auf sich zu spüren. Würde er bestehen? Würde er von IHR gesegnet werden und würde es Elvan auch so gehen? Der sonst so selbstsichere Mann schluckte.

Doch nur für einen kurzen Augenblick, dann machte sich ein fröhliches Grinsen auf seinem Gesicht breit und er begrüßte die Neuankömmlinge indem er sie bei den Schultern fasste und je einen Kuss links und rechts auf die Wange drückte. Dann drehte er sich Rahjel zu und begrüßte auch ihn, wobei er hier die Umarmung wählte anstatt das Fassen an den Schultern. “Rahja zum Gruße Tarefsun, welches Spiel habt Ihr uns denn mitgebracht?”

“Oh ihr sprecht Tulamidya?” Der Geweihte zog ihn heran und gab ihn einen Kuss links und rechts auf seine Wange. “Seid geduldig mein schöner Freund, aber damit hat es zu tun.” Er deutete auf den Korb voller Rosen.

“Ehrlich gesagt, nein”, lachte er, “ein Freund von mir, war vor kurzem mit einer Rahjani aus Fasar unterwegs. Er hat mir erzählt, dass man die Geweihten der Berauschenden dort so nennt. Ich finde es klingt sehr schön. Und würde ich die Sprache lernen, so würde ich die Worte verstehen und ihr Klang wäre dann für mich verloren. Versteht Ihr, was ich meine?”

“Absolut! Ich habe die Sprache erlernt, auf meiner Reise nach Aranien. Vielleicht wäre das auch etwas für euch.” gab Rahjel zur Antwort.

“Aranien”, überlegte Vitold laut, “ich fürchte mein Herr wird mich nicht ziehen lassen. Aber, wer weiß, vielleicht wird er ja einmal dorthin reisen und ich darf ihn dann begleiten.”

“Das hoffe ich für euch. Aber ihr solltet mir weniger Aufmerksamkeit schenken, den hinter euch versammeln sich die einsamen Herzen.” Er klopfte Vitold auf die Schulter.

“Da habt Ihr recht”, seufzte er. Dann fügte er flüsternd hinzu:”Meins klopft deshalb gerade doppelt so schnell.”

***


Rahjalind eilte sich um rechtzeitig für die Götterspiele zurückzukommen und hoffte, dass von ihrem Ausflug in den Pferdestall keine Geruchsspuren an ihrer feinen Robe zurückgeblieben waren. Für sie war es klar, dass sie sich an den Tisch der Liebholden setzen würde und ihre Freude steigerte sich, als sie die Gesichter sah, die sich bereits jetzt dort eingefunden hatten. "Rahja zum Gruße", sagte sie freundlich lächelnd und grüßte ihren Glaubensbruder Rahjel ihrerseits mit einem kurzen Kuss. "Alles gut", flüsterte sie diesem dann ins Ohr und stellte sich an den Tisch. Ein Seitenblick zum Tisch des Götterfürsten trübte ihre Hochstimmung jedoch wieder. Rahjalind sah ihren Bruder. An seiner Seite stand Andesine, was sie sehr freute. Dass sich in deren Dunstkreis jedoch auch die Schlange Durinja rumtrieb, verleitete sie dazu zornig ihre Fingernägel in ihre Handflächen zu graben.

“Die Liebholde hat mich überzeugt. Ich konnte nicht anders als der Grazie zu folgen. Und so bin ich hier.” Lucrann von Leihenhof stellte sich neben die Novizin und strahlte sie an. Von seiner anfänglichen Zurückhaltung war nichts mehr zu spüren.

“Wie schön Euch zu sehen, Herr Lucrann …”, Rahjalind hoffte nun noch mehr, dass man ihren Besuch im Pferdestall nicht riechen konnte, “... schön, dass Ihr den Tisch der Lieblichen gewählt habt. Ich bin schon gespannt was Bruder Rahjel mit uns vorhat.” Sie kicherte mädchenhaft und voller Vorfreude.

“Die Spannung ist ganz auf meiner Seite. Obwohl ich damit gerechnet hätte, das seiner Gnaden Rahjel euch eingeweiht hätte. Nun, ich bin offen für neues.” Er verströmte einen angenehmen Duft nach Rose.

Den die Novizin auch wahrnehmen konnte. Sie schloss ihre Augen und roch. Dass sie dabei immer näher an den Junker herankam, fiel ihr erst auf, als ihre Gesichter nur noch wenige Finger voneinander entfernt waren. Sie riss ihre schönen, großen grünen Augen auf und lächelte verlegen. “Oh …”, entfuhr es ihrer Kehle, “... äh … nein hat er nicht. Ich war zuvor im Pferdestall … hatte zu tun.” Ihre Wangen nahmen einen kindlichen roten Schimmer an.

“Ist nicht das Pferd das heilige Tier der Göttin. Ich sehe nicht ein was es da zu entschuldigen gibt, Grazie?” ´Wie schön sie war ...´ Er öffnete seine Lippen. Diese Versuchung …

Sie schwieg darauf und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln, dann strich Rahjalind sanft wie eine Feder über seine Wange, die Schultern und ließ ihre Hand dann auf seiner Brust, über dem Herzen ruhen. Die Rahjadienerin konnte seine erhöhte Herzfrequenz deutlich fühlen, dennoch ließ sie nach einem flüchtigen Kuss auf seine Wange wieder von ihm ab. Nein, sie wollte Lucrann nicht für die anderen Frauen beschädigen. Sie wollte nicht so unüberlegt handeln wie ihr großer Bruder … nicht hier und bei diesem Anlass. Lucrann sollte sich umsehen und für sich selbst entscheiden ob er sich hier und heute mit einer Dienerin der Lieblichen einlassen wollte. Es sollte noch mehr als genug Zeit dafür bleiben.

Lucrann war froh, das die Versuchung eine Versuchung blieb. Nun wollte er sie noch mehr. Aber … war es pures, rahjanisches Verlangen oder sogar der Beginn von rahjanischer Liebe? Er war sich nun gewiss, das er am richtigen Tisch war. Nicht nur wegen Rahjalind, sondern auch seiner selbst wegen. Er suchte die Blicke der anderen Damen. Gelda von Altenberg und Ringard von Tannenfels. ´Hmmm … keine ist so wie Rahjalind.´ Nachdenklich wartete er ab, bis der Lehrer der Leidenschaft endlich die Spiele eröffnet.

***

Wo Nivard nur steckte? Ringard vermisste ihren Bruder unter den Gästen an Rahjas Tafel, an der sie bereits jene sagenhafte Gelda wahrgenommen hatte. Merkwürdig. Aber das würde sie nicht abhalten, genau dorthin zu gehen. Welche Gottheit konnte ihr heute besser behiflich sein als Rahja? Zumal diese auch einige vielversprechende Jungmannen angelockt hatte. Den ebenso warmherzigen wie witzigen und zugleich stattlichen Dorcas, aber auch jenen interessanten Elvan, den Nivard ihr immer noch nicht vorgestellt hatte. Dann würde sie die Sache eben selbst in die Hand nehmen...

Mit einem "Rahja zum Gruße" in die Runde gesellte sie sich an die Tafel, neben Elvan. "Ihr also seid Elvan von Altenberg! Ich bin sehr erfreut, Euch endlich selbst kennenzulernen! Nivard hat mir von Euch erzählt."

Elvan musterte sie kurz und strahlte dann. “Was für eine Freude.” Er nahm ihre Hand und deutete einen Kuß an. Dann drehte er sich zu dem Mann neben sich um. “ Ringard, darf ich euch Vitold von Baldurstolz vorstellen? Vitold, das ist Ringard von Tannenfels!”

Ringard war entzückt über die Umgangsformen des jungen Schreibers - ganz anders wie zuweilen im heimischen Ambelmund - sie wusste, warum es sie, obgleich sie da recht robust war - weg von den Rändern der Zivilisation in eine der pulsierenden Zentren der Nordmarken lockte. Ihr Lächeln sprach Bände. Auf Elvans Vorstellung hin nickte sie auch Vitold, ihr Haupt leicht zur Seite neigend, zu. Der hatte sich vorhin doch recht knapp gefasst. “Wisst Ihr bereits, welche Art von Spiel uns hier sogleich erwartet?”

Vitold lächelte und gab Ringard ebenfalls eine Handkuss:” Sehr erfreut, nein, leider konnte ich unserem Spielleiter sein Geheimnis nicht entlocken. Nur, dass es mit den Rosen zu tun hat.”

“Gelda, schau mal wer hier ist. Das ist die Schwester von Nivard, die liebliche Ringard!” Elvan winkte seine Base heran. Geldas Lächeln erstarb ein wenig, als sie rüber schaute. Diese Reaktion entging Elvan, Vitold und Ringard nicht. Sie raffte ihr Kleid und kam näher. Höflich, aber distanziert begrüßte sie Ringard. “Erfreut.”

Ringard war nicht nur etwas verwundert über die merkwürdige Reaktion der Angebeteten ihres Bruders. “Die Freude ist ganz auf meiner Seite.” gab sie, in vorsichtigem Tonfall zurück. Stimmte etwas nicht? Oder war das vielleicht einfach ihre Art? Nivard war ja auf seine Weise auch etwas eigen. Vorhin, in der Vorstellungsrunde, wirkte sie aber noch anders. “Ich… ich meine, Nivard und ich haben uns heute nur kurz gesehen, daher konnte er mir nur wenig berichten. Jetzt bin ich neugierig, aus Eurem Munde von Euch zu erfahren.”

“Da gibt es nicht viel zu wissen. Wir sind Jagdkönige in Nilsitz geworden. Nun sind wir gute Freunde.”, wobei sie die letzten Worte betonte. “Aber sagt, hat euch Rahja schon jemanden offenbart oder wartet ihr auf Zeichen an diesem Tisch?”, wechselte sie das Thema.

“Mir war nicht bewusst, dass wir es hier mit leibhaftigen Königinnen zu tun bekommen”, scherzte Vitold, “ich bin hoch erfreut.” Er verbeugte sich:”Aber im Ernst, ich habe großen Respekt. Ich kann zwar gut mit dem Bogen umgehen, aber mir fehlt das Talent mich leise durch den Wald zu bewegen. Darf ich Euch gratulieren?”

‘Autsch’, stutzte Ringard, ‘was war da los?’ Das klang aber ganz anders als sie sich das nach Nivards Andeutungen vorgestellt hatte. Gut, er hatte ja nur davon gesprochen, dass er um Gelda werben wollte. Nicht, dass diese in ihm bereits ihren zukünftigen Gemahl sähe. Wo steckte ihr Bruder eigentlich? Die junge Tannenfelserin versuchte, sich nichts weiter anmerken zu lassen: “Auch ich möchte gerne gratulieren! Mir geht in Sachen Jagd ebenfalls das Geschick ab. Anders als meinen Brüdern und Schwestern, die es schon als Kinder ständig in die Wälder hinauszog. - Naja, irgendjemand muss sich ja auch um Heim und Gut kümmern. - Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, wie Ihr und Nivard Jagdkönige geworden seid.” Während ihrer Ausführungen versuchte sie, Gelda unauffällig zu taxieren.

“Aber natürlich dürft ihr gratulieren. Habt vielen Dank. Wir haben gegen einen Großen Schröter gekämpft. Ich kann euch sagen, dass war kein leichter Unterfang. Nun, ich hoffe Rahja wird euch heute eine gute Partie zu zu spielen”, versuchte sie wieder vom Thema abzulenken. Selbst Elvan runzelte jetzt seine Stirn. ´Was hat sie denn?´, grübelnd drehte er sich suchend nach Nivard um. Doch sein Blick traf Rondradin, der sichtlich gut gelaunt war und immer wieder verliebt rüber zu Gelda schaute. ´Oh Ha, mir schwant da was.´ Zügig nahm er noch eine Schluck Wein zu sich. “Sagt Ringard, wie sollte denn eure Herzensritter denn so sein?” fragte der Schreiber und gab Gelda einen Wink. Im gleichen Zuge berührte er Vitold am Ellenbogen. Gelda machte einen vorsichtigen Schritt von den Beiden hinfort.

Der Ritter war überrascht, hatte er doch nicht mit einer solchen Geste gerechnet. Er fühlte ein wohliges Kribbeln auf seiner Haut und glaubte jeder könne seinen Herzschlag hören. Was war das nur? Konnte es sein, dass er sich gerade verliebte? Er drehte den Kopf zu Elvan und lächelte.
Und dieser lächelte zurück. Vitold wußte sofort, das Elvans interesse an dem jungen Mädchen gekonnt gespielt war. Würde er sich am Gespräch beteiligen?

“Das würde mich auch interessieren. Sollte er eher jung und verspielt sein, oder schon erfahren und wissen, was er will?” Vitold war bereit sich auf Elvans Spiel einzulassen und hoffte insgeheim, dass dieser zwischen den Zeilen lesen konnte.

'Sehr geschickt' stellte Ringard fest, die Elvans gekonnte Deckung für den Rückzug Geldas aus der unangenehmen Gesprächssituation sehr wohl wahrgenommen hatte. 'Ein Mann mit Taktgefühl, und charmant noch dazu.' Sie beschloss, Ihrer immer noch drängenden Neugier für's erste zu widerstehen und nicht nachzuhaken. Sie war aus wichtigeren Gründen an der Tafel Rahjas.

"Er darf gerne schon etwas erfahren sein, aber auch nicht zu alt - ich wünsche mir einen Mann an meiner Seite, der im Leben steht und weiß was er will, keinen Knaben und auch keinen zweiten Vater. Einen, zu dem ich aufsehen kann, der mich selbst aber dennoch auf Augenhöhe sieht. Dem ich den Rücken freihalte für seine Aufgaben, während er mir vorbehaltlos die Führung über die heimischen Dinge anvertraut. Einen, mit dem ich die Welt entdecken kann." Ringard hielt kurz inne, dann fasste sie Mut - sie war an der Tafel Rahjas. Und nicht Travias. "Und Freuden, die bereits hinreichend lang sittsam erwartet..."

"Jetzt wisst Ihr um meinen Herzensritter. Doch wie steht es denn um Euer beider Vorlieben? Habt Ihr hier und heute bereits eine Dame als Favoritin erkoren?" sondierte sie ihrerseits die Lage.

“Es scheint ihr sucht jemand wie den Ritter Vitold hier.” sagte Elvan unbedacht. “ Ich muss gestehen, ich habe mich zu nichts entschlossen bis jetzt. Ich meine die Hofdame Sina Artigas wäre eine gute Partie. Wie sind beide gebildet und kommen aus der Stadt.” Er lächelte erst sie, dann Vitold an.

“Andererseits ist sie keine geborene Nordmärkerin und zumindest mir ist über ihre Herkunft nichts bekannt”, antwortete er Elvan und wandte sich dann Ringard zu:”Ein junger Herzensritter hat aber auch seine Vorzüge. Er ist neugierig, voller Ideen und Elan. Dadurch kann er einen aus dem alten Trott holen, eine neue Welt zeigen und man ist bereit neues auszuprobieren und die alteingetretenen Pfade zu überdenken. Dadurch wächst man und bleibt jung.” Auch Vitold lächelte und wagte es Elvan kurz zuzuzwinkern.

"Glaubt mir, ich bin mit der gleichen Offenheit und Neugier hier, wie Ihr. Und vielleicht soll es ja wirklich ein jüngerer Mann sein, der mein Herz gewinnt.” lächelte Ringard zurück. “Das Leben verwehrt manchen Traum und manchmal wartet das Glück an unerwarteter Stelle.” schickte sie eine Weisheit hinterher, die sie von ihrer Mutter übernommen hatte. “Doch Ihr habt uns noch gar nicht erzählt, wie Ihr Euch Eure zukünftige Gemahlin vorstellt.”

“Ich möchte jemanden an meiner Seite, der mich ergänzt. Dinge kann, die ich nicht kann. Für mich da ist, aber um den auch ich mich kümmern kann. Wir sollten auf Augenhöhe sein, uns ergänzen. Und auch, wenn wir hier am Tisch der Rahja stehen, so ist mir Treue wichtig. Ich möchte mich auf die Person verlassen können, bei ihr ganz ich sein dürfen, Ihr ein Heim geben und sie verwöhnen. Gemeinsame Interessen teilen, aber auch Freiraum lassen für eigene Interessen.” Der Ritter war ungewollt ins Schwärmen geraten und wurde sich dessen jäh bewusst. “Ich weiß, dass ist unorthodox, aber ich lebe schon lange nach meinen eigenen Regeln. Ich hoffe, ihr seid nicht schockiert.”

“Warum sollten wir… warum sollte ich schockiert sein?” Der Edle hatte Reife und Horizont… was Ringard gefiel. “Eine Frau, die Euer Herz gewinnt, darf sich sicherlich glücklich schätzen.”

“Vielen Dank”, lächelte er. “Nun, wenn Ihr Euch hier umseht, dann werdet Ihr feststellen, dass die meisten Kandidaten hier jemanden im Nacken sitzen haben”, er deutete Richtung Elterntisch,” Sie können zwar mit jedem anderen Kandidaten schäkern, doch wen sie heiraten dürfen, bestimmen sie nicht selbst. Leider sind es weder Liebe noch Leidenschaft, sondern Geld und Einfluss, die ausschlaggebend für den kommenden Traviabund sind. Ich mag nicht sonderlich reich sein, doch nage ich auch nicht am Hungertuch. Mein Edlengut genügt mir völlig, mehr Macht brauche ich nicht. Meine Eltern sind schon vor langer Zeit übers Nirgendmeer gefahren und Geschwister habe ich keine. Wem also, außer mir, sollte ich Rechenschaft ablegen. Ich darf, kann und will mir die Person aussuchen, die an meiner Seite stehen soll. Und mir sind die Dinge wichtig, die ich vorhin aufgezählt habe. Ich kenne viele Landsleute, die das nicht verstehen können oder wollen.”

Ringard spürte, ja eigentlich wusste sie es auch, dass Vitold Recht hatte, in Bezug auf den Einfluss der Göttin Rahja auf die sich hier anstehenden Traviabünde. Zumal ihre Mutter genauso dachte wie er. Aber sie wollte es nicht wahrhaben. Nicht akzeptieren. Würde sie es, was für einen Sinn hätte ihre Anwesenheit auf einem Fest wie diesem? Viertgeborene der Edlen von Tannenfels, sie brachte weder Geld noch Einfluss… Es war aber der Mond der lieblichen Göttin, sie befanden sich hier im Lilienpark, an der Tafel der Göttin Rahja. Wo und wann, wenn nicht hier und jetzt sollten Liebe und Leidenschaft ihr einen Geliebten und Gemahl schenken? Einen, der sie aus der Gefangenschaft von Nordgratenfels errettete? Und an dessen Seite sie glücklich werden würde? “Ich glaube, die Göttin Rahja ist heute stärker, als Ihr dieser zubilligen wollt. Dennoch beneide ich Euch um Eure Gewissheit, dass Ihr der Liebholden wirklich frei folgen könnt.”

Elvan nickte ihr freundlich zu. Dann, noch bevor Vitold antworten konnte, wurden sie vom Klatschen des Geweihten unterbrochen.

Von Rosen, die stechen

Bruder Rahjel von Altenberg war äußerst zufrieden. Die junge Gruppe die sich bei seinem Tisch eingefunden hatte, schien jetzt schon ausgelassen und fröhlich zu sein. Sollte eigentlich eine Brautschau unter dem Segen der gütigen Mutter Travia stehen, ist diese hier ganz im Zeichen der Liebesgöttin. Und wie es schien, bliebe es nicht nur bei einem Liebespärchen an diesem Tag. Nun war es aber an der Zeit seine Zeremonie zu beginnen. Er klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Gäste zu erlangen. “Liebste Kinder der Rahja, hier habe ich Kelche mit dem feinsten Tharf gefüllt. Jeder nehme sich bitte eine Kelch!”

Vitold suchte sich den schönsten Pokal heraus und reichte ihn Elvan:”Den Schönsten für Dich”, sagte er mit einem frechen Grinsen. Dann suchte er sich einen eigenen aus.

“Hab dank, Vitold.” Mit einem Schmunzeln nahm Elvan den Kelch entgegen.

‘Oha’, dachte sich Ringard im Anblick der Geste Vitolds, ‘was hatte dies zu bedeuten?’ Sie hatte aber nicht recht Zeit, näher darüber zu sinnieren. Stattdessen griff sie in aufgeregter Erwartung nach einem der dargereichten Kelche. Sie hatte in ihrem bisherigen Leben - zu ihrem Bedauern - viel zu wenige Berührungspunkte zur Kirche der Rahja - weder in Tannenfels noch in der Baronie Ambelmund existierten ein Schrein oder gar Tempel der Liebholden, und auch sonst wurde Rahja dort nur wenig offen gehuldigt. Was würde nun kommen?

Die Novizin Rahjalind ließ allen anderen Gästen den Vortritt, wie sie es auch im Tempel handhaben würde. Erst als letzte griff sie nach dem verbliebenen Kelch.


Nachdem jeder zurück an seinem Platz war und mit seinem Kelch wartete fing er an zu beten.

“Die Liebe. Die Freude. Der Rausch.
Herrin der Morgenröte, schau auf uns hinab.
Denn heute haben sich deine Kinder hier versammelt,
um ihre Herzen zu öffnen und sich zu finden.
Die Harmonie. Die Schönheit. Die Ekstase.
Segne uns, liebholde Rahja.
In Vino veritas!”


Der Geweihte nahm einen Schluck aus seinem Kelch ging zu der Novizin Rahjalind und küsste sie auf die Lippen. Dann forderte er alle auf, es ihm gleich zu tun. Dann ging er zum nächsten.

“Du hast es ja gehört”, sagte Vitold entschuldigend, nahm einen Schluck aus dem Kelch und sah Elvan tief in die Augen. Dann legte er seine Hand in Elvans Nacken und drückte seine Lippen leicht auf die des Schreibers. Sie schmeckten nach Tharf und der Ritter tastete sanft mit der Zunge, ob sich die Lippen seines Gegenübers ebenfalls öffnen würden. Sacht drückte er den Kopf nach hinten und spielte mit Elvans Zunge. Nach ein paar Augenblicken trennte er sich behutsam und sah den jungen Altenberger lächelnd an. Völlig überrumpelt von dem Kuss, aber schon berauscht vom Tharf, ließ er es geschehen. Dem Gebot des Geweihten folgend wandte Vitold sich nun der nächsten Person zu.

‘Also doch.’ stellte Ringard insgeheim kurz fest. ‘Wie schön für die beiden. Und wie schade für die Damenwelt…’ Diese Gedanken wurden aber noch im Moment von einer Woge prickelnder Schauer, die angesichts der fremdartigen und hier ohne jede Scham ausgelebten kultischen Handlungen durch ihren Bauch und über ihren Rücken liefen, weggerissen. Ihre Mutter war gerade fern und sie war offen, sich einzulassen auf das, was hier kommen würde.

´Wie schön´, dachte Rahjalind bei sich. Sie liebte es zu küssen und die Lippen der anderen schmeckten wohlig nach dem eben gereichten Tharf. Lucrann und Dorcas, jene beiden Männer am Tisch, die ihre ihre Aufmerksamkeit erregten, schenkte sie dabei sogar etwas Zunge und einen sanften Biss in die Unterlippe. Auch der Künstler Elvan hatte ihr gefallen, doch schien dieser mit Vitold bereits einen glühenden Verehrer gefunden zu haben.

“In Vino veritas”, brüllte Dorcas laut, trank den Wein in einem Zug und küsste als erstes Ringard auf den Mund. Rahajlind war die nächste, deren leidenschaftliche Küsse er beantwortete. “Komm her mein Freund” lachend zog er Elvan an sich und gab ihn ein einen kurzen Kuss. Zufrieden stellte er sich wieder in die Reihe, als Gelda als letzte seinen Kuss erhielt.

Auch Gelda von Altenberg war vom Rausch des Gebets erfasst und so küsste sie jeden herzlich, von ihren Vetter Elvan bis Ringard, doch ihre Gedanken kreisten sich nur um einen: Rondradin!

Lucrann von Leihenhof war ein wenig überrascht, doch gab sich dem ganzen hin. Am meisten freute er sich Rahjalind küssen zu dürfen. Die Männer machten ihm nichts, es war nicht sein erster Kuss von einem Mann. Aber dennoch war er überrascht von einer Mitwerberin. Als sich ihre Lippen trafen, war dieser weiche Kuss voller Verlangen und Süße. Erfreut schaute er Ringard von Tannenfels an.

Sie liebte die Süße des Tharfs. Und dessen süße Wirkung ebenfalls. Doch diese brauchte etwas Zeit, sich vollends zu entfalten. Dorcas hatte ausgerechnet bei ihr begonnen! Wie neugierig war sie auf seinen Kuss, dem sie sich erwartungsfroh wie zugleich auch etwas ängstlich entgegenstreckte. Es war aufregend und schön, aber sie war zu ihrem Bedauern noch nicht so weit, sich voll darauf einzulassen, ganz in Rahjas Schoß fallen zu lassen. Mit jedem weiteren Schluck und jedem Kuss fiel ihr dies jedoch leichter. Überrascht war sie, wie schön auch die Küsse vor allem Rahjalinds, aber selbst der etwas verhaltenere von Gelda waren. Trotz der zunehmend berauschenden Wirkung des Trunks entging ihr nicht, dass in Elvans und auch Vitolds Kuss nicht derselbe Hunger steckte, den sie bei den anderen Männern wahrnahm. Wieviel mehr Genuss und Spannung lagen dagegen in der Begegnung ihrer Lippen mit denen Lucranns. Ihre Neugier war geweckt. Sie wäre jetzt auch noch zu einer weiteren Runde bereit.


Nachdem alle wieder zur Ruhe gefunden hatten, kehrte er wieder hinter den Tisch zurück. Dann nahm er zwei Rosen aus dem Korb und balancierte sie zwischen seinen Fingern.

“Wir sind alle hier, um zu schauen, ob wir den Richtigen oder die Richtige für den Bund des Lebens finden können. Auch Rahja schickt uns versteckte Zeichen, die wir oft übersehen oder nicht erkennen. Ich werde euch dabei helfen sie zu deuten, falls ihr es selber nicht könnt. Achtet auch auf eure Mitstreiter, denn es möge die Göttin Offenbaren, wie dieser mit den Gaben Rahjas umzugehen vermag.” Nun nahm er die Rosen gerade in die Hand. Sie waren langstielig und jeder Stiel besaßen mehrere Rosenköpfe. Die Blätter waren nicht abgeschnitten und jeder konnte die Dornen der schönen Blume erkennen. ” Ein Jeder nehme sich mindestens zwei Rosen und flechte daraus einen Rosenkranz. Und macht das bitte einzeln, so dass wir alle es sehen können. Möge die Schöne Göttin eure Hand führen!” Rahjel deutete auf den Korb mit den Rosen und forderte den Ersten auf.

Skeptisch stand Vitold vor dem Tisch und betrachtete den Korb mit Rosen. Seine Mutter war bei seiner Geburt verstorben, Schwestern hatte er keine. Es gab also niemanden in seiner Vergangenheit, der ihm hätte zeigen können, wie man Blumenkränze flicht. Zudem war er nicht unbedingt geübt darin filigran zu arbeiten. Er sah hinüber zu Elvan und seufzte. Dann nahm er sich rahjagefällige zwölf Rosen, prüfte vorsichtig die Biegsamkeit der Stiele und begann die Dornen zu entfernen. Er ging dabei sehr behutsam vor und gab ein komisches Bild ab, mit der Zunge zwischen den Zähnen. Und nun? Er sah ein wenig ratlos aus. Vorsichtig probierte er ein wenig herum, bis er einen Weg fand. Er nahm zwei Rosen. Die erste diente als Grund, die Zweite wickelte er knapp unter der Blüte um die Erste, so dass eine Schlaufe entstand und legte den Stiel nach hinten, neben den der Ersten. Ein paar Finger weiter setzte er die Dritte Rose an und steckte den Stiel der Zweiten Rose mit durch die Schlaufe der Dritten Rose. So fuhr er fort, bis er den Kreis schließen konnte. Der Kranz war allerdings nicht perfekt. Fünf der zwölf Rosen waren gebrochen oder hatten einen Kopf oder ein paar Blätter verloren. Verlegen präsentierte er sein Machwerk.

Die junge Novizin war eine geschickte Frau. Als Mädchen schon lernte sie von ihrer Mutter die Handarbeit und die Arbeit im Rosengarten am Schrein ihres Ahnen, des Rahjaheiligen Linnarts, tat ihr Übriges dazu, dass sie sich beim Binden des Kranzes ganz gut anstellte. Sie nahm eine langstielige Rose zur Hand, entdornte sie, bog diese zu einem Kreis und wickelte sie um sie selbst, sodass sich das Gehölz der Pflanze durch Eigenspannung ineinander verkeilte. Mit einem Lächeln und einer gesummten Melodie auf ihren Lippen, stutzte Rahjalind die restlichen Rosen an Länge und wickelte sie, ebenso gehalten durch die eigene Spannung, versetzt um den Stamm der ersten Rose. Überstände und Dornen brach sie weg. Nach wenigen Momenten war ein kunstvoller, kleiner Kranz entstanden, den sie sich lächelnd auf ihr Haupt setzte und in die Runde blickte. Vielleicht gab es ja einen Werber oder eine Werberin am Tisch, die ihre Hilfe benötigen würden.

Dorcas nahm sich auch göttergefällige 12 Rosen und überlegte, wie man einen Blumenkranz flechten kann. Die einzige Art zu flechten kennt er von seinen Haaren. Also fing er auch so an. Anstatt drei Haarsträhnen zu nehmen nahm er drei Rosen, wo er die mittlere als Halt nahm und die linke Rose über die mittlere legte und die Rechte darunter. Vom Ausgangspunkt aus werden die Rosen dann andersrum geflochten, d.h. Die Linke drunter, die Rechte drüber. Die anderen Rosen werden kurz vor dem Ende eingearbeitet, aber so das die Blüten nach oben schauen bzw. So ausschaut, als ob sie auf dem Kranz liegen.

Der Anfang gestaltete sich etwas schwierig, aber Dorcas erledigte diese Aufgabe in Namen seiner Göttin doch erfolgreich. Er hatte sich auch bei der Vorbereitung die Finger beim Entfernen der Dornen zerstochen und blutete ein wenig, aber wer lässt nicht gerne etwas Blut für seine Göttin. Nach getaner Arbeit schaute sich Dorcas am Tisch um, wie die anderen einen Kranz bauten.

“Benötigt Ihr Hilfe, hoher Herr …”, noch als sich der Paggenfelder umsah, lag plötzlich die schlanke Hand der Novizin auf seinem Unterarm, “... Ihr habt Euch verletzt?”

“Verletzt? Nein. Nur etwas Blut für die Göttin dargebracht” lächelte Dorcas. “ Aber wenn Ihr etwas habt, was das Bluten aufhält, dann könnt Ihr mich versorgen.” Dorcas hält der Novizin die zerstochenen Handflächen hin.

“Ah …”, Rahjalind lächelte ihn herzlich an, “... das haben wir gleich.” Dann griff sie nach seiner Hand, küsste die Fläche und liebkoste die geschundenen Stellen mit ihrer Zunge. “Am Besten heilt es wenn Ihr die Wunden sauber haltet und atmen lässt.” Sie zwinkerte ihm verstohlen zu, dann blickte sie auf die anderen Werber am Tisch.

Der Tharf entfaltete zwar mehr und mehr auch bei Ringard seine Wirkung, dennoch gelang es ihr noch immer nicht, sich gänzlich in Rahjas Rausch fallen zu lassen. Und angesichts Rahjalinds laszivem Gebaren Dorcas gegenüber gelassen zu bleiben. Waren es Reste von Sittsamkeit? Oder Eifersucht?

Der handwerkliche Teil war auch ein leichtes für Ringard - rein praktisch orientierte Flechtarbeiten an teils widerspenstigem Reißig waren ihr ebenso vertraut wie das Fertigen schöner Textilgewerke. Sie wählte einige besonders langstielige Rosen und entdornte diese zunächst. Noch immer beschwingt vom Tharf flocht sie aus diesen in schnellen Handgriffen, bei denen sie dennoch Sorge trug, keine der Blüten zu beschädigen, einen ersten, breit angelegten Kranz, gesäumt von nach außen weisenden Blüten. Zufrieden mit ihrer Basis ergriff sie sich etwas kürzere Rosen, beließ diesen aber ihre Dornen - sie gehörten zur deren wehrhafter Schönheit wie manch Mühsal zu einem glücklichen Leben - und brachte sie - nun vorsichtiger agierend - als blühende Wellenbogen darauf an. Trotzdem war sie recht rasch damit fertig und präsentierte - durchaus stolz - ihr Werk.


Leicht beschwingt nahm sich Elvan einige der Rosen und versuchte zu flechten. Kunstvoll einen Kohlestift zu schwingen oder mit einer Schreibfeder die Tinte kunstvoll aufs Pergament zu bringen, schien ihm einfacher. Er stellte sich etwas holprig an, verlore das ein oder andere Blatt und fügte sich einige Kratzer zu. Am ende hatte er einen ´soliden´ Kranz. Nicht der schönste, aber ein Kranz.


“Oh je´”Der Junker nahm nur drei Rosen und versuchte sie zu einem Kranz zusammen zufügen. Erst entfernte er alle Blätte und nachdem er sich mehrmals in die Finger stach, ließ er davon ab diese zu entfernen. Laut stöhnte er und vollendete sein Werk als eiförmiger, gerupfter Kranz.

“Das ist aber hübsch geworden, Herr Lucrann”, die Stimme der Novizin Rahjalind riss den Junker aus seinen Gedanken. Sie näherte sich ihm und strich spielerisch über seine Schultern und seine Brust. Es war offensichtlich, dass die Einnahme des Tharfs die Rahjadienerin noch etwas … zugänglicher gemacht hatte, als sie schon war.

Die Berührung über seine Brust löste ein wunderbares Gefühl aus, das durch und durch ging. Galant legte er seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie sanft näher.” Nun … es ist Kunst .” Lachte er ironisch.

Die Novizin kicherte vergnügt und genoss die Berührung des Junkers sichtlich. Gleich einer Katze schmiegte sie sich an den, nach Rosen duftenden Leihenhofer und beobachtete die anderen Werberinnen und Werber am Tisch.

Ringards Augen verengten sich etwas - musste diese Rahjani sich an jeden ansehnlichen Mann in dieser Runde werfen? War das der Weg der Göttin, mehrere mögliche Gemahle zu kosten, bevor man einen erwählte? Und Proben seines Fleisches darzubieten? Sie taumelte innerlich. Aber warum eigentlich nicht? Herrin Travia wird es schon vergeben, wenn Rahja es so verlangte. Sie hoffte nur, dass ihre Mutter jetzt nicht hinsah. Oder es wenigstens genauso sah. Ach, egal. Sie näherte sich Lucrann von der anderen Seite. “Darf ich auch einen Blick darauf werfen?” Eine Bewegung seines Armes streifte sie sachte. Welche Empfindungen dieser leichte Kontakt auslöste... War das der Tharf? Was machte dieser mit ihr? Ihr wurde ganz anders - eine Mischung aus Angst und Aufregung durchströmte sie...

Rahjalind fühlte die Blicke der jungen Tannenfelserin. 'Ach ja die Eifersucht', dachte sie bei sich, 'die Angst … Unsicherheit ... dass jemand anderer einem vorgezogen wird.' Die Novizin kannte dieses Gefühl nur vom Hörensagen. Sie hätte auch kein Problem damit, sich den Leihenhofer heute mit der jungen Ringard zu teilen. Rahjalind war sich sicher, dass sie dem Mädchen das eine oder andere beibringen konnte. Nein, sie war bestimmt noch nie bei einem Mann gelegen … oder einer Frau. Die Rahjadienerin hielt den Blitzen aus ihren Augen problemlos stand und zwinkerte ihr verspielt zu.

War das für Rahjalind alles nur ein Spiel - nicht nur die Götterspiele, sondern die ganze Brautschau? Wenn ja, das war Ringard vollauf bewusst, war es eines, in der sie selbst hoffnungslos unterlegen sein würde - die Novizin kannte die Regeln länger und besser, und sie wusste ihre Göttin an der Seite. Sie dagegen wagte sich heute erstmals auf dieses Terrain, und für sie ging es um etwas...

Wie sollte sie Rahjalinds Blick deuten - war er als spielerische Herausforderung gemeint? War sie Gegnerin oder Verbündete? Ringard war verunsichert, und dies war wenigstens für Rahjalind gut zu erkennen. Und warum reagierte Lucrann überhaupt nicht auf sie?

Schnell versuchte sie zu sondieren, ob sich alle anderen genauso... merkwürdig... verhielten. War sie gerade dabei, ihr Glück in die Hände Rahjas zu legen? Oder als einzige auf dem Weg, im Tharf-Rausch ihren Ruf zu verlieren?

Der Blick der jungen Rahjadienerin wurde freundlicher und fast schien es Ringard als würde sie ihr bedeuten näher zu kommen.

Lucrann schlang seinen anderen Arm um Ringard. Er konnte nicht anders als jeder der beiden noch einen Kuß zu geben.´Oh Rahja!´ Der Junker hatte jedwede Hemmung verloren. Könnte es sein, dass die Holde ihn doch eine Braut vorstellen wollte? Rahjalind war so voller lebensfreude, aber auch Ringard hatte etwas belebendes, blühendes. Was sie wohl über ihn denken mochten.

Rahjalind genoss seine Berührung und störte sich dabei nicht daran, dass auch Ringard bei ihnen war. Den Kuss erwiderte sie leidenschaftlich, fasste dem Junker dabei fordernd in seinen Haarschopf und an den Nacken. Sie war hier um das Fest zu genießen und Lucrann war ein lebensfroher Mann, mit dem sie hier und heute viel Freude haben könnte. Was auch immer Rahja mit ihr vorhatte. Dennoch würde sie nicht klammern. Das hier war eine Brautschau und sie musste so realistisch sein, dass die Männer und Frauen hier in erster Linie einen Partner fürs Leben suchten und sie würde bestimmt niemandem dabei im Weg stehen wollen.

Eine Woge an Empfindungen brandete in Ringard auf, als Lucrann sie an sich zog, und ihr ganzer Leib schien zu beben, ihr Bauch zu brummen. Für einen Moment wurde ihr Denken und Trachten hinweggespült und sie gab sich ganz der Magie seines Kusses hin. Nein, noch nicht lösen, noch nicht...! Hatte sie das gerade wirklich ausgesprochen? Jedenfalls musste ihr enttäuschtes Aufseufzen zu hören gewesen sein. Sie öffnete ihre Augen, und die Flut der Leidenschaft zog sich widerwillig zurück, gab das Land wieder preis, das sie überspült hatte. Ihre Umgebung stürzte wieder auf sie ein, nicht nur Lucrann, sondern auch Rahjalind und Dorcas und all die anderen am Tische. Und der Grund, weswegen sie hier war.

Hatte dies alles etwas zu bedeuten? Oder war es nur der Tharf? Verwirrt blinzelte sie Lucrann und Rahjalind an.

Ein sanftes Lächeln legte sich auf die Lippen der Rahjanovizin, als sie Ringards Erregung vernahm. Die Wangen der jungen Tannenfelserin wirkten in diesem Moment wie reife Tomaten. Rahjalind freute sich für sie und sah eben dieses Gebaren auch als Zeichen dafür sich erst einmal zurück zu ziehen. Das Fest war schließlich keine der Orgien in der Villa ihrer Eltern, sondern eine Brautschau und sie würde dem Werk ihrer Herrin hier bestimmt nicht im Weg stehen. Zum Abschied streichelte die Dienerin der Schönen noch einmal über die Brust des Leihenhofers, dann küsste sie Ringard sanft und schritt von dannen. Im nächsten Moment fiel ihr bereits der junge Elvan ins Auge.

Sehnsüchtig schaute Lucrann der Novizin hinterher, drehte sich wieder zu Ringard. Er nahm ihre Hand und ließ sie sich um ihre eigene Achse drehen. Dann ließ er sie los und wartete was Bruder Rahjel zu sagen hatte.

Der Blick, den Lucrann Rahjalind hinterhersandte, war Ringard nicht entgangen. Im Vergleich dazu lag in der Geste ihr gegenüber weit weniger Leidenschaft. Enttäuschung wallte auf. Welche Erkenntnis sollte sie nur aus dem Spiel ziehen?


Gelda hatte keine Mühe die Rosen zu einem Kranz zu flechten. Wer einmal den Schweif eines Pferdes geflochten hatte, konnte auch dieser Herausforderung annehmen. Konzentrierte sich und verzichtete darauf die Dornen zu entfernen. Immerhin gehören die ebenfalls zur Schönheit einer Rose. Und wie sie allzusehr wußte, die Liebe hat auch Dornen, an denen Frau sich verletzen kann. Zwei kleine Schrammen später war sie fertig und hatte einen schönen und ordentlichen Rosenkranz.


Der Baldurstolzer trat an den jungen Künstler heran, in den Händen, das was bei den meisten anderen einen Rosenkranz darstellte: ”Nunja”, sagte er verlegen,” er war eigentlich für Dich bestimmt, aber...ich kann verstehen, wenn Du ihn nicht aufsetzen magst.” Er lächelte traurig und blickte dann auf die Rosen in seiner Hand.

Mit offenen Lächeln nahm er den Kranz und setzte ihn auf. Dann setzte er ihn seinen auf.

Der Edle von Hinterwald konnte es kaum glauben und ließ alle Contenance außer Acht. Er strahlte Elvan an, wie ein Honigkuchenpferd. Dann umarmte er ihn und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss.

Der Kuss fühlte sich gut an, doch es war zu viel.auf einmal Er löste sich und suchte nach der offensichtlichen Wahl. Ihm war klar, das er unter der Beobachtung seiner Familie stand. Und Vitold hatte anscheinend nichts zu verlieren. Und das Ziel heute war ja, eine Braut zu finden. Eine Frau. Er winkte Rahjalind zu und ging zu ihr rüber. “Ihr seid so schön, Rahjalind”, sagte er ihr und umarmte sie.

Die Novizin erwiderte die Umarmung und ließ einen Kuss folgen - einen leidenschaftlichen mit Zunge und Zähnen, ganz so wie sie es mochte. Dabei fühlte sie die Reservation ihres Gegenübers. War er schüchtern? Oder hatte es mit dem zu tun, was er zuvor mit Vitold teilte. Rahjalind lächelte ihm freundlich zu. “Danke, mein Herr …”, dann ließ sie einen Knicks folgen, “... sagt, hat es meine Herrin geschafft Euch hier am Tisch zu erleuchten?”

“Ich … ich glaube schon.” sagte Elvan knapp. Auch wenn er in Vitold jemanden gefunden hatte der seine Gefühle antwortete, war er seinem Ziel nicht näher. Eine Frau für ein Bund war noch nicht gefunden.

"So so ...", bemerkte die Novizin, doch wollte sie den Künstler nicht so einfach entkommen lassen, "... möchtet Ihr mir den Park zeigen, hoher Herr?" Ohne eine Antwort abzuwarten, hakte sie sich bei ihm ein.

“Oh. Das kann ich gerne machen. Lasst aber kurz warten, was Meister Rahjagoras zu sagen hat.” Elvan ist nicht entgangen, das der Gartenmeister alle zusammerief.

Verblüfft starrte er dem Kalligraphen hinterher und spürte, trotz des heiligen Weines, einen Stich in seiner Brust. Er straffte sich, nahm traurig den Kranz von seinem Kopf, zog eine einzelne Blüte heraus und ließ den Rest zu Boden sinken. Dann verließ er den Tisch der Rahja und spazierte schnurstracks zu Luzia von Keyserring.


Nachdem alle fertig waren, rief Rahjel alle zusammen, um einen Kreis zu bilden. Er legte seinen Arm um Ringard und Rahjalind und blickte in die Runde. “Die Herrin ist heute unter uns und ich hoffe, ihr konntet ihre Zeichen erkennen. Falls nicht, bin ich da um zu helfen. Falls ihr aber verstanden habt, so geht, lernt euch mehr kennen, lustwandelt!” Dann gab er die beiden Frauen ein Kuss auf die Wange.

Ringard war sich unschlüssig, was sie weiter tun sollte. Sie hatte Gefallen an zweien der Männer hier gefunden. Sowohl den großgewachsenen, Rahja so zugewandten und herzlichen Ritter Dorcas als auch den Junker von Liannon könnte sie sich gut als Gemahl vorstellen. Aber hatte auch nur einer der beiden Interesse an ihr? Und was sagte ihr Herz? Sie beschloss, Rahjel um Rat zu fragen, sobald sich die Traube hier ein wenig aufgelöst hatte. Falls bis dahin nicht die Worte und Taten eines der beiden jungen Herren weitere Erkenntnisse brächten. Bis dahin hielt sie sich in der Nähe Rahjels und beobachtete das weitere Geschehen.

“Röschen, hast du Fragen?” Rahjel hielt Ringard weiter in seinem Arm, drehte sie aber so, das sie sich anschauen konnten.

“In der Tat, Euer Gnaden, tun sich mir Fragen auf.” Die Anrede, die dem Geweihten gebührte, kam ihr nur schwer von den Lippen, mit denen sie soeben noch auch dessen Küsse empfangen hatte. “Ich weiß die Gedanken und Empfindungen, die mir Rahja bei ihren Spielen schenkte, noch nicht recht zu ordnen. Es ist, als sprächen Kopf, Herz und Bauch durcheinander, und keiner davon in einer deutlichen Sprache. Und genauso werde ich auch aus den Zeichen, die die Herren hier am Tisch aussandten, nicht schlau. Aber sicher könnt Ihr mir helfen, diese zu interpretieren, mich in Rahjas Willen zu… zu fühlen.”

Aufmunternd sah er Ringard in die Augen und schaute sich nochmals ihren Kranz an. “Auch wenn es euch heute nicht bewußt ist, doch Rahja hat ein Eindeutiges Zeichen gesandt. So wie ihr die Rosen geflochtet habt, so geht ihr auch mit der Liebe um. Mit sorgfalt, aber auch bewusst, dass der Schmerz zur Liebe dazu gehört. Zu jeden Bund, der unter dem Segen der Liebholden steht. Ihr werdet eine liebevolle Partnerin sein. Das heißt aber auch, das ihr eigentlich zu jedem Passt, was die Wahl nicht einfacher machen wird. Und falls ihr heute niemand findet, der Richtige kommt ganz sicher. Rahja wird euch stets zur Seite stehen!” Erst jetzt fiel ihr sein leicht entrückter Blick auf.

Half ihr das jetzt weiter? Ihr zuerst recht skeptischer Blick wurde jedoch rasch weicher, und schließlich nickte sie bedächtig. Sie würde sich von Rahja und ihrem Herzen leiten lassen.

Und wenn keiner der Herren sie zum Lustwandeln bitten wollte, dann würde sie die Sache eben selbst in die Hand nehmen.

Sie begann sich umzusehen. Dorcas und Lucrann zog es bereits weg von dieser Tafel, den jungen Ritter recht zielstrebig, während der Junker offenbar jemanden bestimmtes suchte, aber nicht ausmachen konnte. Wo sie gerade war, konnte beiden nicht entgangen sein, stellte sie für sich mit einem leichten Stich in der Seele fest.

Na, dann musste sie sich die anderen Herren mal näher anschauen.

"Habt Dank für Euren Rat, Euer Gnaden." umarmte sie diesen. "Ich werde ihn in meinem Herzen bewahren. "

Am Tisch der Unbesiegten

Ein gut gelaunter Rondradin von Wasserthal zu Wolfstrutz stand an dem vierten Tisch bereit. Auf einer weißen Tischdecke mit rotem Saum lagen zwei kleine, dick gestopfte Kissen von blutroter Farbe. Mit einer einladenden Geste bedeutete er den Interessierten näherzutreten.

Thankred trat zum Tisch, der der Sturmherrin zugeordnet wurde und nickte dem Diener der Göttin lächelnd zu. “Ich stehe in eurer Schuld von Wasserthal. Wenn dieser Tag auf diese Weise endet, wie ich es mir wünsche, so möchte ich, dass ihr einen Segen spendet auf unserer Hochzeit. Sabea ist im Herzen eine Kriegerin.”

Ehrlich erfreut nickte der Geweihte. “Es wäre mir eine Ehre.” Dann sah er zu Sabea hinüber. “Sabea, tretet doch näher. Ihr wolltet doch Armdrücken. Nun, hier habt Ihr die Möglichkeit dazu.” Einladend zeigte Rondradin auf den Tisch. “Die Regeln sind einfach. Eure Ellbogen kommen auf die Kissen. Wessen Handrücken zuerst den Tisch berührt, hat verloren. Ob ihr ein ehrliches Kräftemessen daraus macht, wie es der Herrin Rondra wohlgefällig ist oder euch irgendwelcher Hilfsmittel oder Tricks bedient, überlasse ich euch. Aber bedenkt, nicht nur die Sturmleuin beobachtet euch, auch euer Partner tut dies.”

Der Junker grinste auf die Worte des Rondrianers hin. “Wenn ich untergehe, dann mit wehenden Fahnen und als aufrichtiger Mann. Eine Niederlage ist keine Schande, schon gar nicht bei dieser Herausforderin.”

Thankred krempelte sich die Ärmel seines Hemdes hoch, so dass die Unterarme frei lagen und blickte dann erwartungsvoll zu Sabea. “Wollen wir?”

Sabea bleckte sich die Zähne, zog ebenfalls ihren Ärmel hoch und ging in Position. Dass sie dabei ihren gewaltigen Busen auf dem Tisch ablegen musste und somit einen tiefen Einblick gewährte, schien ihr völlig egal zu sein. “Nun, Junkerchen, möge die Unbesiegbare entscheiden.”

Als der Wettkampf begann war schnell klar, dass dieser keine schnelle Entscheidung ergeben würde. Mal tendierten die beiden ineinander verschränkten Hände zur einen, mal zur anderen Seite des Tisches, die über Sieg und Niederlage entscheiden würden, doch immer wieder konnte der jeweils andere so dagegenhalten, dass kein Handrücken die Oberfläche des Tisches berührte.
Sabea und Thankred bekamen rasch rote Köpfe und Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn, ja manchmal war gar leichtes Stöhnen zu vernehmen, solche Anstrengung brachte beide Kontrahenten auf, um am Ende den Sieg davontragen zu können oder einfach nicht zu verlieren. Beide wollten Gewinnen, das konnten alle Zuschauer drum herum sehen.

Schließlich, es war eine ungeheure Zeit für einen solchen Wettkampf vergangen, neigte sich Sabeas Handrücken Finger um Finger in Richtung der Tischfläche. Tapfer hielt sie dagegen, doch scheinbar hatte Thankred besser gehaushaltet mit seinen Kräften, oder der Junker besaß einfach ein wenig mehr Ausdauer.

Als Sabeas Handrücken die Tischplatte schließlich berührte, waren beide zunächst nicht imstande etwas zu sagen. Sie keuchten vor Anstrengung. Thankred griff sich gar schmerzerfüllt an das Handgelenk, welches diese Art der Belastung nicht gewohnt war, schon gar nicht über einen solchen Zeitraum, sein ganzer Arm schien in Flammen zu stehen, Muskeln und Sehnen waren vollkommen überansprucht.

Der Diener der Göttlichen Leuin nickte beifällig und schenkte den beiden erschöpften Menschen vor ihm ein breites Lächeln. “Ein der Alveransleuin wohlgefälliges Kräftemessen war dies und ein schwer verdienter Sieg. Ihr habt offen und ehrlich gerungen, ohne dabei auf irgendwelche Kniffe zurückzugreifen, aber bei euch habe ich auch nichts anderes erwartet.” Die Art wie er es aussprach machte klar, dass dies als aufrichtiges Kompliment gemeint war. “Hiermit erkläre ich Thankred von Trollpforz zum Sieger dieses Wettkampfs.” Neben seinem Tisch hatte man noch einen kleineren Beistelltisch platziert von dem er nun zwei volle Becher nahm und sie Sabea und Thankred reichte. “Hier, zur Erfrischung.”

Der Junker nahm das Gefäß und erhob es feierlich in Richtung Sabeas. “Auf das dies nicht der letzte Wettkampf gewesen ist, den ich mit euch ausgefochten habe.”

Thankred grinste unweigerlich. “Auch wenn nicht jeder so zwangsläufig so schmerzhaft sein muss.”

Wieder ernster fuhr er fort. “Heute hat die himmlische Leuin mir zugezwinkert und den Sieg geschenkt, schon morgen könnte es anders sein. Doch das soll mich nicht kümmern, wenn ihr es seid, der ich mich geschlagen geben muss.”

Der Schweiß lief ihr die Stirn hinunter und Sabea schrie laut und tief, das allerdings sich in eine heiteres Lachen wandelte. Mit geballter Faust boxte sie in die Luft und rief in den Himmel: ”Rondra, du Siegesschenkerin! So war das aber nicht abgemacht!” Dann drehte sie sich zu Thankred und umarmte ihn. “Ihr seid mir eine Revanche schuldig! Ihr seid der erste Mann, der mir widerstanden hat.” Mit roten Gesicht grinste sie Rondradin zu und nahm ihn den Kelch ab.

Die missgünstigen Blicke vom Tisch der Mütter und Väter blieben ihnen allerdings verborgen.

Verdattert blickte der Junker über Sabeas Schulter den Geweihten der Leuin an, mit dieser Reaktion, vor allem diesem Ausbruch hatte er nicht gerechnet. Die Verwunderung wich aber schnell positiven Gefühlen. Ihr emotionales Wesen war schließlich auch ihm zu eigen.

Als sich Sabea dann wieder von ihm löste, zeigte sich ein breites Lächeln auf Thankreds Lächeln. Mit zufriedener Miene beobachtete Rondradin die beiden. Hier war seine Arbeit getan.

“Den ersten Wettkampf habt ihr gewählt, den zweiten wähle ich, wenn ihr nichts dagegen einzuwenden habt?”

“Ihr mein hier und jetzt?” fragend, aber neugierig schaute sie Thankred an.

“Nein, für heute soll es gut sein, es sei denn ihr wollt sogleich euer Bündel schnüren und zur Jagd aufbrechen? Wahlweise bräuchten wir auch nur eine Zielscheibe, um zu ermitteln wer der bessere Schütze ist.”

“Ihr habt recht, Thankred. Aber ich würde mich gerne noch mit jemanden messen. Ihr nicht?” Abschätzig schaute sie die Männer an.

Der Junker lächelte. “Nur zu. Ich für meinen Teil werde mein Handgelenk etwas schonen. Ihr habt mir alles abverlangt.”


Alana von Altenberg zwang sich zu einem Lächeln. Wie so oft, war sie zu spät und das ausgerechnet heute, wo ihr Haus einen für sich wichtiges Ereignis organisiert hatten. Sie selbst war das Fest unwichtig, denn ein Ehebund stand nicht auf ihren Plan. 33 Götterläufe zählte sie und sie war sich auch sicher, dass kein Mann mehr interessiert an ihr war, um eine Familie zu gründen. Hätte ihr Zwillingsbruder Rahjel und ihr Vater Denwill sie nicht gebeten zu kommen, hätte sie wie immer die Treffen der Altenbergs ignoriert. Es war der Wunsch ihrer verstorbenen Mutter gewesen, das sie die Knappschaft im Hause Sturmfels-Maurenbrecher in Hlutharswacht antrat. Gegen den Willen des Hauses Altenberg wurde sie zur Ritterin ausgebildet, war doch der Aberglaube, dass das Schwerterhandwerk Unglück über die Familie brachte, tief. So wurde sie von ihren entfernten Verwandten gemieden und war in der Hlutarswacht mehr zu Hause, als bei ihrer eigenen Familie. Ihre Basen und Vetter kannte Alana kaum oder gar nicht, die Oheime und Tanten behandelten sie wie eine Aussätzige. Es gab nur zwei Frauen in der Familie, die sie herzlich behandelte. Mutter Elva, die Familienälteste und Base ihres Vaters und die Doctora Maura, die selbst in die Familie eingeheiratet war. Und so hielt sie ihre Begrüßung am Tisch der Familie kurz und knapp und ignorierte die entsetzten Gesichter der Älteren. Alana war froh, dass sie wenigstens zu den Götterspielen dazu kam, denn sie hatte ihren Bruder versprochen, ihn an seinem Tisch der Rahja zu begleiten. Allerdings war sie überrascht einen Tisch der Unbesiegten zu sehen, davon hatte Rahjel nichts erzählt. Und so entschloss sie sich kurzer Hands an diesen Tisch zu gehen.

Auf ein Kleid hatte sie freudig verzichtet, aber sie rang sich durch ihre Rüstung abzulegen. Die breitschultrige Ritterin, trug ein leichtes, blaues Leinenhemd mit kurzen Ärmeln, schwarze, enge Hosen und Stiefel. Ihre kräftigen Arme waren eindeutig ein Zeichen dafür, dass sie täglich in körperlicher Übung war. Alana war recht blass, was wiederum ihre blauen Augen und die Sommersprossen im Gesicht sehr zur Geltung brachten. Sie trug ihr kastanienrotes Haar kurz, das sie bisweilen streng wirken und von weiten an einen heranwachsenden Jüngling denken ließ. Dennoch hatte sie ein recht feminines und schönes Gesicht. Sie musste wahrlich strahlen, als sie das Armdrücken mit ihrer Verwandten Sabea gegen den Trollpforzer Junker sah. Sie kannte die kräftige Frau nur vom Hören-Sagen, aber ihr war klar, dass sie es nur sein konnte. Die Ritterin stellte sich an den Tisch “Alana von Altenberg. Ich würde mich gerne Rondra stellen.” Sie nickte Rondradin zu, was dieser freudig erwiderte. “Rondra zum Gruße, seid willkommen. Hier hätte ich auch direkt jemanden mit dem Ihr Euch messen könnt. Damit deutete er auf den Knappen neben sich. “Wie mir scheint sehe ich drei Kandidaten.” Alana fixierte dann den jungen Adamar. “Wollen wir?”

Der Junker von Trollpforz hatte derweil nur Augen für Sabea. Nur kurz schaffte er es sich vom Antlitz seiner Angebeteten loszureißen. Seine Vorstellung, ein knappes Nicken und das “Thankred von Trollpforz”, klangen daher nicht unfreundlich, aber etwas mechanisch.

´Ah, das ist also Alana. Hmmm´ Misstrauisch beobachtete Sabea die entfernte Verwandte. Ob Frau auch eine Frau herausfordern durfte?


Als Krieger fühlte sich Arsan der Sturmherrin verpflichtet und suchte deshalb selbstverständlich auch ihren Tisch auf. “Rondra zum Gruße.” Grüßte er in die Runde. “Darf ich fragen welcher Wettstreit hier veranstaltet wird und wie ich mich beteiligen kann?”

Der Geweihte der Alveransleuin trat lächelnd nach vorne und lud Arsan ein näher zu treten. “Rondra zum Gruße, seid willkommen. Hier gibt es ein Kräftemessen in Form von Armdrücken. Es geht dabei nicht nur darum ob Ihr siegt, sondern auch wie ihr diesen erringt und damit oder Eurer Niederlage umgeht. In diesem scheinbar einfachen Spiel offenbart Ihr Euer wahres Wesen.”

Rondradin warf nochmals einen Blick auf die Runde. “Wie es aussieht, werde ich euer Gegner sein”, meinte er freundlich. “Oder möchte jemand ein zweites Mal antreten?”

“Euer Gnaden, da ich nicht weiß was die Göttin an diesem Tisch für mich bereithält, werde ich mich da ganz nach Eurem Urteil richten. Es wäre mir eine Ehre gegen Euch anzutreten, aber auch gern gegen jeden den Ihr für mich auswählt.” Erwiderte Arsan wahrheitsgemäß. Er wusste nicht was es mit dieser Prüfung auf sich hatte und erst das Ergebnis würde aufzeigen was sie bringen würde.

“Dann soll es so sein. Kommt doch herüber.” Rondradin deutete zum Tisch hinüber. Während er auf Arsan wartete, krempelte der Geweihte den Ärmel seiner Robe hoch. “Die Regeln sind einfach. Der Ellbogen bleibt auf dem Kissen liegen und derjenige hat verloren, dessen Handrücken als erstes die Tischplatte berührt. Weitere Auflagen gibt es nicht. Es liegt also bei jedem für sich, ob er sich einem ehrlichen Zweikampf stellt oder lieber versucht mit Tricks den Sieg zu erringen.” Rondradin ging in Position und sah Arsan erwartungsvoll an.

Auch der Krieger sorgte für ein wenig mehr Bewegungsfreiheit. Dafür legte er zuerst seinen Überwurf ab und krempelte anschließend das Hemd hoch. Dabei offenbarte er seine sehnig kräftigen Muskeln, aber auch zahlreiche feine Narben die die Geschichte einer harten Ausbildung an der scharfen Klinge erzählten. “Nun denn Euer Gnaden, ich bin bereit.” Sagte er und stützte dabei seinen Ellenbogen auf dem Tisch auf.

Ein harter Kampf entbrannte zwischen den beiden Kontrahenten. Beide verfügten ein gutes Maß an Kraft und Ausdauer und keiner wollte nachgeben. Immer wieder schaffte es einer der beiden die Hand des anderen in Richtung der Tischplatte zu drücken, nur um wenige Augenblicke danach wieder in der Ausgangsstellung zu landen. Doch schließlich verschob sich die Waage in Richtung Arsans. Er hatte einfach die größeren Kraftreserven und letztendlich musste sich der Geweihte geschlagen geben. Mit einem zufriedenen Grinsen ging er auf den Krieger zu und klopfte ihm anerkennend mit seiner Linken auf die Schulter. “Meinen Glückwunsch, das war ein gutes, ehrliches Kräftemessen. Hiermit erkläre ich Arsan Thomundson zum Sieger dieses Duells.” Auch dieses Mal griff der Geweihte zwei Becher und reichte einen an seinen Kontrahenten weiter. Auf Euer Wohl!”

Nach seinem Sieg hatte sich der Krieger erst einmal den Arm massiert und somit seine verspannten Muskeln gelockert. Als ihm Rondradin den Weinkelch entgegen hielt nahm Arsan diesen dankend an. “Habt Dank Euer Gnaden. Auf die Leuin und ein ehrenhaftes Kräftemessen.”
Dieser erwiderte den Trinkspruch des Kriegers und nahm ebenfalls einen Schluck aus dem Becher.

Anerkennend klatschte Alana in die Hände. “Euer Gnaden, ich wäre gerne bereit noch ein Duell anzunehmen.” Ihr Blick wanderte zum Junker Thankred. Sabea schaute ebenfalls etwas misstrauisch, doch nickte dann anerkennend.

Die Verblüffung des Geweihten wich einem zufriedenen Lächeln. Er sah hinüber zu den Gästen an den anderen Tischen, die noch alle in ihre jeweiligen Aufgaben vertieft waren. Rondradin wandte sich an alle Gäste, die sich an seinem Tisch eingefunden hatten. “Ich werde euch nicht im Wege stehen. Wer will, darf gerne erneut seine Kraft messen.”

Der Trollpforzer Junker rümpfte zunächst leicht die Nase und bewegte sein strapaziertes Handgelenk sachte, um zu prüfen, ob es sich zumindest etwas erholt hatte. Das Ergebnis war ein wohl nicht eindeutig, ein Schulterzucken folgte.

“Meinetwegen”, sprach Thankred und trat an den Tisch heran.

Die Ritterin hob die Arme und steckte sich. Dann stellte sie sich in Position und legte ihren Arm ab, bereit für das Armdrücken mit dem Junker. Dieser gesellte sich umgehend zu seiner Kontrahentin an den Tisch und machte sich bereit.

Thankred wusste, dass er keinen weiteren, langen Wettkampf überstehen würde. Sein Handgelenk würde ihm eine solche Strapazen nicht noch einmal ungestraft durchgehen lassen. Der Junker wusste also, dass er die Entscheidung rasch herbeiführen musste.

Gleich nachdem Rondradin das Armdrücken freigegeben hatte, baute Thankred deshalb ruckartig Spannung in Schulter- und Armmuskulatur auf und stemmte sich mit verkniffener Miene der Kraft seiner Gegnerin entgegen.

Nur kurz währte deren Aufbäumen. Alana war überrascht worden und bereits im Hintertreffen, als sie ernsthaft versuchte dagegenzuhalten. Da jedoch schaffte sie es nicht mehr, die Abwärtsbewegung aufzuhalten. Ihr Handrücken berührte die Oberfläche des Tisches.

Der Trollpforzer hatte indes zunächst keine Freude an dem Sieg. Sofort löste er die Verschränkung der Hände und trat einen Schritt vom Tisch zurück. Seine Linke ging sofort zum erneut schmerzendem Handgelenk. Auch der schnelle Sieg war einer mit Beigeschmack.

"Sich mit einer Frau anzulegen ist schon gewagt aus der Sicht eines Mannes", sprach Thankred deswegen mit viel Selbstironie. "Mit zweien ist vermessen." Anerkennend nickte er seiner Kontrahentin zu, dann aufrichtig dankbar Rondradin.

Auch Alana rieb sich das Handgelenk. “Ich danke euch für die Herausforderung, euer Wohlgeboren.” Sie verneigte sich höflich und nickte auch Sabea anerkennend an.

“Ein schneller, kraftvoller Sieg. Allerdings hätte ich erwartet, dass Ihr es etwas ruhiger angehen lasst. Sagt, schmerzt das Handgelenk stark?” Rondradin trat näher heran und besah sich das schmerzende Handgelenk des Trollpforzers. “Ihr solltet es mit kalten Umschlägen kühlen und danach vielleicht schienen, damit es zur Ruhe kommt. Dann solltet Ihr spätestens morgen schmerzfrei sein.” Rondradin sah auf und grinste. “Wenn Ihr wollt, kann ich den Verband anlegen, aber ich glaube da gibt es jemanden, der das mit liebevolleren Fingern erledigen kann.” Sein Blick ging zu Sabea.

Der Junker schnaubte ein wenig belustigt. “Eben weil ihr es erwartet habt, habe ich es nicht ruhig angegangen. Ich wollte ja gewinnen.”

Nochmals bewegte er vorsichtig das Gelenk.

“Es ist unangenehm”, gab der Trollpforzer zu. “Dies Gefühl wird mich vermutlich einige Tage begleiten, aber es ist nicht so bedeutend, dass ich eure Dienste hierfür in Anspruch nehmen müsste.”

Thankred zwinkerte Rondradin zu, dann folgte sein Blick dem des Rondrianers zu Sabea.

Distanziert aber wohlwollend schaute die große Dame den Junker an. Der Funke schien übergespringen zu sein.

Als er die von Bruder Rahjels angetragene Aufgabe übernommen hatte, hätte er nie gedacht, dass sich noch mehr Gäste unter dem Banner der Sturmherrin versammeln würden. Eigentlich war es nur darum gegangen, Sabea und Thankred ein Kräftemessen zu ermöglichen. Trotzdem freute es Rondradin, dass sich dann doch noch andere hier eingefunden hatten. Zufrieden sah der Geweihte seine “Kinder” an. “Nun, ich denke ein jeder von euch hat hier etwas über sich und seinen Partner lernen können. Wer sich nicht sicher ist, dem stehe ich gerne mit gutem Rat zur Seite. Ansonsten, genießt die Sonne und bereitet euch schon auf die nächste Aufgabe vor, welche auf euch wartet. Das Lustwandeln im Park. Aber seid euch eines gewiss, ein jeder von euch hat an diesem Tisch in den Augen der Alveransleuin bestanden. Ihr Segen liegt auf euch.” Die Hände in den Ärmeln seiner Robe verborgen, wartete Rondradin nun die Reaktionen der fünf Gäste ab, die den Weg zu ihm gefunden hatten.


Als die Gäste sich aufmachten um zum Park zu schlendern, kam eine andere Dame auf den Geweihten zu. “Sylvette?” Stieß Rondradin überrascht hervor? “Was machst du hier, noch dazu in diesem Aufzug?” Sie murmelte etwas, das nur der Geweihte verstehen konnte und überreichte ihm einen Brief. Dieser wurde bleich, als er das Siegel darauf erkannte. Eilig brach der das Siegel und las die Nachricht. Sichtlich erschüttert legte er den Kopf in den Nacken und starrte in den blauen Himmel, während ein sommerlicher Luftzug an seiner Kleidung zehrte. Als Sylvette auf ihn zutrat, schüttelte er nur den Kopf und lächelte sie traurig an. “Danke, dass du mir die Nachricht überbracht hast. Damit ist deine Aufgabe erledigt. Lässt du mich bitte allein? Ich muss nachdenken.” Seine Base nickte ihm zu und verließ den Geweihten.

Am Tisch der Väter und Mütter

Während die Werber der Brautschau sich an den Tischen der Götterdiener vergnügten, wurden für die Mütter und Väter dieser und den anderen Gästen, ein großer Tisch mit Stühlen auf der Festwiese aufgestellt. Von diesem Platz aus konnte ein jeder seine Schützlinge beobachten oder Konversation miteinander betreiben. Die Bardin Nordrun spielte hier alleine nur für die älteren Gäste.


Rajodan von Keyserring war einer der ersten, der sich dort niederließ. Dieses ganze Gebrabbel der schrecklichen Frauen über ihre Bälger und Anverwandten. Wie hielten Frauen das nur aus? Unentwegt zu reden. Und dann noch über SOLCHE Dinge. Er bestellte eine Karaffe Wein bei einem der Diener- Anders würde er nicht noch länger diese enervierenden Gestalten um ihn herum ertragen.

Interessiert musterte er die Umgebung. Womöglich gab es andere interessante und vor allem HÜBSCHE junge Frauen, die eher an einer kleinen rahjagefälligen Liaison mit einem betuchten Hochadeligen interessiert waren als an einem Traviabund mit diesen ganzen, unwichtigen Wichten. Er musste ein Auge auf seine Tochter haben. Dass der Mersinger hier war, erschwerte seine Pläne. Denn mit Lissa an ihrer Seite, verlöre Luzi womöglich schneller ihre Hemmungen als ihm lieb sein konnte. Mit gerunzelter Stirn sah er zu seiner Jüngsten, die auf ihren Zehenspitzen balancierte, um einem Praiosgeweihten beim Bücher Sortieren zuzusehen. Er hoffte, der Mersinger würde ihr diese fürchterliche Wildheit austreiben. Luzias Anwesenheit bald womöglich zu verlieren, schmerzte ihn. Aber das er Lissa los war- die Verantwortung für den kleinen Wildfang abzugeben, war das beste an der Vereinbarung mit seiner ältesten Tochter gewesen. Nun musste sich ein anderer mit ihr rumschlagen. Lächelnd trank er den Wein. Nun ja, nicht der beste, aber zumindest genießbar, dachte er sich, und leerte den Kelch.

Eine tiefe, rasselnde, doch weibliche Stimme holten den Baron aus seinen Gedanken. “Euer Hochgeboren, wollt ihr noch etwas Wein?” Die Frau die ihn ansprach war an die 60 Götterläufe, rüstig und leicht stämmig mit breiten Schultern. Ihr langes, dunkles Haar trug sie offen, dass trotz des Alters, keine graue Strähne aufwies. Ihre mandelförmigen, grünen Augen schauten ihn freundlich an. Sie trug ein aufwendiges blaues Kleid an, das in einem weißen Schulterschluss endete. Mit ihren kräftigen Händen winkte Rondela von Altenberg die niedliche und junge Flora vom Lilienhain heran.

Rajodan lächelte dem Mädchen entgegen. “Lecker” sagte er nur und hielt ihr seinen Kelch hin.

Der lüsterne Blick entging Flora nicht. Nun es war Rahja, warum also nicht. Während sie den Wein einschenkte stellte sie sich ins richtige Licht. “Kann ich euch noch mit etwas anderen zur Verfügung stehen, euer Hochgeboren?” Sie blickte ihm tief in die Augen.

Er musterte sie erneut: “Was würdet ihr mir denn bieten?” fragte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er war schlank und hatte einen offensichtlich regelmäßig trainierten Körper, wenngleich er ebenso offensichtlich weder jung noch überdurchschnittlich muskulös war.

´Ein charismatischer Mann´´, ging es Flora im Kopf umher. “Wir haben einige Köstlichkeiten da. Aber ich kann euch auch gerne den Park zeigen, wenn das Lust wandeln beginnt.” Mit einem offenen Lächeln begegnete sie ihn.

“Mit Köstlichkeiten lustzuwandeln? Sehr gerne. Passt es euch jetzt?”

“Lasst mich einen Korb packen und dann zeige ich euch gerne meinen … Garten.” Ein interessiertes Blitzen flackerte in ihren schönen Augen.

Sie machten einen Treffpunkt aus und er schaute ihr angetan hinterher. Der Tag konnte ja doch noch besser werden als er befürchtet hatte.

***


Thalissa di Triavus ließ sich Zeit, sie gesellte sich erst kurz vor Beginn dieser ominösen ‘Götterspiele’ zu den nicht teilnehmenden Beobachtern. Allerdings nicht in vorderster Reihe, sie bevorzugte es für den Moment, im Hintergrund zu bleiben. Und sie suchte sich einen Platz etwas abseits von Rajodan von Keyserring, da sie gerade keine Lust verspürte, erneut seine Annäherungsversuche abwehren zu müssen.

Da sie Melisande mit einer Aufgabe betraut hatte, konnte sie nun leider nicht auf ihre Dienste zurückgreifen und musste sich an einen der anwesenden Dienstboten wenden, um nach Wein zu verlangen. Zum Glück hielt sich dessen Qualität zumindest bisher in Grenzen, so dass sie nicht versucht war, mehr als zuträglich zu sich zu nehmen. Zudem suchte sie sich einen schattigen Platz, um der Hitze der Sonne weitgehend zu entgehen. Sie musste feststellen, dass sie bei der Wahl ihres Kleides die mittäglichen Temperaturen nicht ganz richtig in Betracht gezogen hatte. Hatte Melisande nicht etwas in der Richtung bemerkt heute Morgen? Aber sie hatte ihre Zofe ignoriert und das leichtere Kleid zugunsten des schöneren abgelehnt … was sich jetzt rächte.

“Ach herrje, soll ich euch einen Fächer bringen lassen, euer Hochgeboren?” Die Doctora Maura stand neben ihr und schaute sie besorgt an.

Erstaunt sah Thalissa auf, hatte sie doch vor lauter innerlichem Hader mit der Hitze die Annäherung der Doctora gar nicht bemerkt. Nun erhellte ein erfreutes Lächeln ihr Gesicht. “Maura, meine Liebe, Ihr seid die Retterin in der Not! Könnt Ihr Gedanken lesen? Wie konnte ich nur so nachlässig sein und keinen Fächer mitbringen, ich wäre Euch überaus dankbar, wenn Ihr mir aushelfen könntet!”

Sie lachte. “In meiner Zeit in Vinsalt, habe ich den Fächer lieben gelernt. Ich lasse euch gleich meinen holen. Maura sprach mit dem kleinen Alritz, der sich sofort aufmachte. “Aber bitte bereut eure Wahl des Kleides nicht. Es ist wunderschön. Habt ihr es aus dem Horasreich mitgebracht?” fragte sie neugierig.

Thalissa strich unwillkürlich mit der Hand den teuren Stoff glatt. “Nein, mitgebracht nicht, aber dort angefertigt wurde es wohl, in Vinsalt, von Meisterin Ricella da Cartas. Einmal im halben Jahr lasse ich mir ihren Katalog kommen und suche mir meist etwas aus, da die Dame es versteht, meinen Geschmack zu treffen. Sehr praktische Sache, so ein Katalog. - Nun, leider ist der Stoff ein kleines Bisschen zu schwer für diese Witterung, aber ich hoffe auf die kühleren Abendstunden.” Zum Glück war das Kleid wenigstens schulterfrei, ganz im Gegensatz zu der hier mehrfach zu sehenden deutlich züchtigeren Gewandung mancher Damen. Thalissa wollte gar nicht darüber nachdenken, wie diese sich nun fühlen mussten.

“Keine Sorge, ich kümmere mich um euch.” Maura lachte. Die Doctora ergriff die Möglichkeit und winkte ihre Schwägerin Prianna heran. “Euer Hochgeboren, ich möchte euch meine Schwägerin vorstellen, Rektorin Prianna von Altenberg!” Die ältere, und streng wirkende Frau war sogleich heran. Kerzengerade und eher drahtiger Figur, war sie akkurat in einer Gelehrtenrobe gekleidet. Durch ihr goldene Brille musterte sie die Baronin. “Praios zum Gruße, euer Hochgeboren von Rickenhausen.” Die Rektorin verbeugte sich.

Nach einem kurzen, aber durchaus umfassenden Blick über die Gestalt der Rektorin neigte Thalissa den Kopf. “Seid gegrüßt, gelehrte Dame. Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen. Ihr seid Rektorin von … ?” Die Baronin wusste nicht recht, was sie mit der streng aussehenden Frau anfangen sollte, aber das war ja kaum verwunderlich, kannte sie sie doch überhaupt nicht. Und sie war ja hier, um Kontakte zu knüpfen, insofern gab es keinen Grund, voreilig aufgrund einer instinktiven Abneigung das Gespräch zu scheuen. Der erste EIndruck konnte täuschen, tat es oft, wie sie aus ihrer Zeit als Ermittlerin nur zu gut wusste.

Der Schreck in Mauras Augen war nicht fehl zu deuten, den sie allerdings schnell hinweg blinzelte. Prianna schlug die Augen ein wenig zu lange zu und als sie sie wieder öffnete, war reine Kühle zu erkennen. Mit einem dünnen Lächeln für die ältere Frau fort. “Wer ich bin.” Mehr Feststellung als Frage. “Venerator Lumini und Rektorin der Tempelschule des Rechts im Haus der Sonne zu Gratenfels, Prianna Imelda von Altenberg, eurer Hochgeboren. Meine Urgroßmutter war die Illuminata Jaunava von Altenberg, die diese Schule gegründet hatte. Meine Eltern waren die Tempeleltern des Herzogenfurter Traviatempels mein Bruder ist Vater Winrich von Altenberg- Sturmfels aus Elenvina und mein verstorbener Gemahl ein Sonnenlegionär aus dem Hause Schweinsfold.” Sie machte eine kurze Pause. “Wir sind sozusagen Nachbarn. Aber ich verstehe, der gratenfelser Grafenhof ist noch neu für euch.”, endete sie recht trocken.

Thalissa nahm die ausführliche Vorstellung, welche den Charakter einer verdeckten Zurechtweisung hatte, wie sie wohl bemerkte, ohne mit der WImper zu zucken zur Kenntnis. Ja, von der Rechtsschule hatte sie schon gehört, aber nach Gratenfels zog sie nichts und ihre Prioritäten lagen bislang anderswo, so hatte sie sich weder mit der Institution noch mit deren Personal näher beschäftigt.

“Habt Dank für diese erhellende Aufklärung, dann bin ich jetzt vollständig im Bilde”, erklärte die Baronin mit feinem Lächeln. “In der Tat bin ich noch nicht lange hier ansässig und daher dankbar für jedwede Aufklärung.” Einen gewissen ironischen Unterton konnte man mit etwas Mühe durchaus aus ihrer Stimme heraushören, das hielt Thalissa aber nicht davon ab, diese neue Informationsquelle zu nutzen. “Ich bin im Übrigen recht bewandert in horasischem Recht, da wäre mir eine Instanz, welche mir die relevanten Unterschiede des mittelreichischen und speziell nordmärkischen Rechts aufzeigen könnte, durchaus willkommen.”

Die steife Gelehrte entspannte sich ein wenig. “Jederzeit, euer Hochgeboren. Vielleicht können wir unsere Beziehungen vertiefen, wenn ich uns einmal in Gratenfels besuchen kommt. Ich stehe euch gerne zur Seite, die neue Heimat kennenzulernen. Unsere Studiosus würden sich über ein Semester in der horasichen Rechtskunde freuen, fall das etwas für euch ist, Baronin von Rickenhausen. Ihre Mundwinkel wanderten leicht nach oben.

Vorlesungen in Rechtskunde waren nun nichts, was Thalissas Begeisterung erwecken konnte, aber sie beschloss, das Ansinnen nicht sofort abzulehnen. Niemand hatte behauptet, dass das Knüpfen von Kontakten und das Spinnen von Netzen eine allzeit angenehme Tätigkeit wäre.

“Nun, ein Besuch bei Euch sollte sich einrichten lassen, gelehrte Dame, da wir ja, wie Ihr bereits bemerkt habt, so etwas wie Nachbarn sind.” Sie lächelte ein wenig. “Wenn ich zurück in Rickenhausen bin, werde ich meinen Terminkalender studieren, da wird sich sicher etwas finden lassen für eine erste Abstimmung. Alles weitere können wir dann ja besprechen, wenn ich bei Euch bin.” Das klang nun alles sachlich und in keinster Weise spöttisch oder ironisch. Da Thalissa sich nun mit dem Gedanken angefreundet hatte, ging sie völlig pragmatisch an die Sache heran. Aber nach solch eher trockenen Themen brauchte sie nun wieder einen Schluck Wein.

Mit dieser Antwort war Prianna offensichtlich zufrieden. “Mein Sohn ist heute hier bei der Brautschau. Ein willkommene Gelegenheit, das ´schweflige´ Gratenfels hinter sich zu lassen.” sagte sie. War da etwa eine wirkliche Erleichterung zu hören?

‘Noch ein Grund, Gratenfels nicht zu oft zu besuchen’, dachte Thalissa bei sich, denn natürlich wusste sie um die Gratenfelser Schwefelquellen, deren Geruch oft genug die ganze Stadt einnebelte. Als Prianna ihren Sohn erwähnte, fiel der Baronin von Rickenhausen plötzlich ein, dass Melisande ihr ja erzählt hatte, Milian vo Altenberg wäre der Sohn der Rektorin der Rechtsschule … “Euer Sohn …”, wiederholte Thalissa nachdenklich. “Hat er denn hier bereits gewisse Vorlieben erkennen lassen?” fragte sie dann betont beiläufig.

Das ihr Sohn mit ihrer Zofe sprach, war ihr nicht entgangen. Inbrünstig hoffte sie, dass er nicht an dieser interessiert war. “Nein das nicht, aber ich hoffe das meine Gebete erhört werden. Es wird Zeit für meinen Sohn eine passende Gemahlin zu finden. Immerhin stammte sein Vater aus dem guten Haus von Schweinsfold und ist somit auch eine standesgemäße Partie.” Eine Hoffnungsschimmer lag in den Augen der Rektorin. Es war Maura die wieder zum gespräch zurück kam. “Liebste Schwägerin, hattet ihr schon mit dem Baron von Eisenstein gesprochen? Er ist ja heute hier, um einen Gemahl für seine Tochter die Baroness Luzia zu finden. Ich könnte euch vorstellen.” Das Gesicht Priannas hellte auf. “Oh, wenn ihr so gut seit, Maura. Und ihr, euer Hochgeboren, entschuldigt mich bitte. Wir können unsere Gespräche gerne später vertiefen.” Die Rektorin erhob sich, während Maura der Baronin zu nickte. Gleich hinter ihr erschien der kleine Alfritz und überreichte Thalissa einen Fächer.

“Selbstverständlich”, gab Thalissa zurück und nickte verabschiedend mit dem Kopf in Priannas Richtung. Wirklich anfreunden konnte sie sich mit der Rektorin noch nicht, aber es gab Notwendigkeiten … umso erfreuter war sie nun über den Fächer, den sie sogleich aufklappte und seiner Bestimmung zuführte. Entspannt lehnte sie sich zurück und schenkte dem Treiben m sich wieder mehr Aufmerksamkeit, als Maura und Prianna von dannen zogen.



Celissa fand sich erst spät am Elterntisch ein. Mit leichter Sorge hatte sie die Wahl ihrer Tochter für die Tafel Rahjas beobachtet - gut, auf Rondra durfte sie bei Ringard nicht rechnen, und Praios hätte sie ebenfalls verwundert, aber Travia hätte mehr für sie gesprochen als ausgerechnet die Göttin der fleischlichen Lüste. Immerhin hatte sie ihren Kindern Sittsamkeit gelehrt. Und wo steckte nur Nivard? Seine Angebetete hatte sich inzwischen am selben Tisch eingefunden wie Ringard. Da schlich er sich ja endlich heran. 'Ein Krieger sollte eine forschere Haltung zeigen, mein Junge! Vor allem, wenn er eine Frau beeindrucken will!' schalt sie diesen in Gedanken. Und warum ging er nicht zum Tisch der Sturmherrin?

Sie beschloss, ihren Nachwuchs für's erste sich selbst zu überlassen - tun konnte sie ohnehin gerade nichts, und auch für Manöverkritik war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.

Stattdessen sah sie sich nach bekannten Gesichtern um und machte alsbald eines auf, dem sie unbedingt ihre Aufwartung machen wollte: Prianna von Altenberg, die Rektorin der Rechtsschule zu Gratenfels. Aus einigen Schritt Entfernung nickte sie dieser, noch im Gespräch vertieft, zu, als diese in ihre Richtung blickte.

Und auch gleich wieder weg blickte. Und wie es schien, ignorierte sie Celissa auch und sprach weiter mit der Baronin von Rieckenhausen. Doch jemand anderes schien sie ins Auge gefasst zu haben.

“Einer eurer Kinder unter den Werbern?” wurde sie von einer männlichen Stimme angesprochen. Der jüngere Mann war der Baron Roklan von Leihenhof.

Celissa wandte sich Roklan zu. Für ein Gespräch mit Prianna von Altenberg würde später noch Zeit sein. “Gleich zwei. Im besten Fall darf ich heute auf Schwiegersohn und Schwiegertochter hoffen. Und Ihr - könntet Ihr bald Eidam eines meiner Kinder werden? - Gestatten im übrigen: Celissa von Tannenfels. Mit wem habe ich das Vergnügen?”

“Angenehm. Baron Roklan von Leihenhof zu Galebquell. Eidam?” Er lachte kurz. “Mein Vetter der Junker von Liannon schaut nach einer Braut. Er ist dort drüben am Tisch der Rahja.” Roklan deutet mit seinem Wein in der Hand in die Richtung.

“Ich erinnere mich an seine Vorstellung, vorhin.” erwiderte Celissa, mit den Augen der Hand Roklans zum Rahjatisch folgend. Dies hätte sie besser nicht getan, denn das Gebaren, dass sie dort sah, behagte ihr keineswegs. Eher schon, dass es wenigstens besagter Junker war, der Ringard gerade innig küsste, zweifellos eine gute Partie - wenngleich mehr Anstand nicht schaden könnte. Sie brauchte einen Moment und einige Willenskraft, um sich von dem Anblick loszureißen und den Impuls, für die Sittsamkeit ihres Nachwuchses einzutreten, zu unterdrücken. “Er schließt gerade Bekanntschaft mit meiner Tochter Ringard.”

“Wie ich sehe, hat eure Tochter ein wahres Feuer” er lächelte süffisant und deutet auf das Gruppenküssen. “Liegt das in der Familie, Celissa?” Herausfordernd schaute Roklan sie an.

“Ja, Feuer liegt in unserer Familie!” gab Celissa, vielleicht etwas zu scharf zurück. “Normalerweise legen wir dies allerdings darin, treu zu den unseren zu stehen und diese zu schützen und behüten, wie es den Herrinnen Rondra und Travia gefällt. Wie ich sehe, scheint Euer Vetter das Feuer aber auch nicht zu scheuen. Ist es sein Mut oder die Übung?”

“Aber eure Tochter hat Rahja gewählt.” Er nahm einen schluck von seinem Wein. “Mein Vetter hat lange Zeit im Horasreich verbracht und die Göttin Rahja schätzen gelernt.”, sagte er trocken. Dann deutete er zum Traviatisch. “Mein Vetter Ingeras dort, wird einst zu einem Erbvogt.” Dann schaute er sie wieder an.

“Da habt Ihr wohl Recht.” nickte Celissa, und ein Lächeln verscheuchte die Schärfe in ihrem Ausdruck. ‘Horasischer Lebensstil würde ihrer Tochter sicherlich gefallen - genau das, was sie in Ambelmund niemals haben würde, niemals haben könnte.’ Abermals folgte der Blick der Edlen von Tannenfels den Ausführungen Roklans, guter Hoffnung, am Tisch der Travia weniger Herausforderungen für ihre Selbstbeherrschung zu begegnen. Ihre Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Allerdings wunderte sie sich nicht nur ein wenig, ihren Sohn beim Käseschneiden beobachten zu dürfen.

“Ich glaube, ihn zu erkennen.” Ingeras schien ein arger Jüngling zu sein, nicht ihr Fall. Aber um sie ging es heute auch nicht. Er wirkte nicht wie ein Mann auf sie, aber das musste kein Nachteil sein - auch Ringard war jung und würde bei einem erfahreneren Gemahl - so sehr sie sich selbst in ihrer Naivität einen solchen ausmalte - viel weniger zu sagen haben. Erbvogt… eine gute Partie. “Lockt ihn seine Treue zur gütigen Mutter zu jenem Spiel, oder die Zuneigung zu einer der Damen am Tisch? Oder einfach nur seine Vorliebe für Käse?” versuchte sie die Situation scherzend aufzulockern, während sie die Lage weiter sondierte.

“Ich würde sagen, er hat eine vorbildliche Erziehung durch meiner Tante Raxia genossen. Was würdet ihr sagen, welches euer Kinder kommt mehr nach euch?” Stellte er eine erneute Frage.

Das war genau genommen keine Antwort auf ihre Frage. Aber ein gelungenes Ausweichmanöver. Celissa musste kurz grinsen. Ihr Grinsen wich einem nachdenklichen Lächeln, als Roklan seine Frage nachschob. Ihr am ähnlichsten unter ihren Kindern war sicherlich Rondrard, ihr ältester, aber der war nicht hier. Nivard war mehr noch als sie ein Kämpfer, mit einem unbändigen Willen, manchmal geradezu verbissen, bisweilen aber auch unsicher und in sich gekehrt, vor allem wenn es um das andere Geschlecht ging. Ringard dagegen schlug aus der Art ihrer Kinder - weder war sie Rondra besonders zugewandt wie ihre Söhne, noch zog es sie hinaus in die Wälder. Sie war weit weniger vom Willen beseelt, sich durch eigene Taten zu beweisen wie selbst die treue Libgard oder ihre jüngste Silfrun, der kleine Wildfang. Stattdessen war Ringard häuslich und darin auch recht emsig sowie beflissen, liebte geselliges und gesellschaftliches Palaver, war genussfreudig und gefiel sich in der Vorstellung, ganz hinter einem Gemahl zu stehen und allenfalls im Hintergrund die Strippen zu ziehen. "Meine Kinder sind jedes für sich eigene Persönlichkeiten. Aber wenn Ihr mich so fragt, so kommt mein Sohn Nivard als Krieger wohl eher nach mir als Ringard. Habt Ihr selbst bereits Kinder?" fragte sie Roklan zurück.

“Ganze Drei. Meine Zwillingstöchter Rahjada Calderine und Rhena Aldessia, sowie mein Sohn Myros. Alle noch nicht im heiratsfähigen Alter.” Ja er mußte ehrlich sein, die Tannenfels waren ein Haus, dass er nicht unbedingt in der Familie haben musste. Dann stand er auf. “Wenn ihr mich kurz entschuldigen würdet, das ´Örtchen´ ruft.” Roklan verneigte sich und ging zur Latrine.

“Da will und darf ich Euch keinesfalls aufhalten, Hochgeboren!” quittierte Celissa mit einem schwachen Zucken der Mundwinkel die Entschuldigung Roklans. Die Leihenhofer wären zweifelsohne gute Partien… mal schauen, was der Tag noch bringt.

***


Eine großgewachsene Frau erschien auf der Wiese und sah sich suchend um. Zu einem langen Zopf gebundenes dunkelbraunes Haar umrahmten ein mit Feenküsschen übersätes Gesicht aus dem tiefblaue Augen suchend über den Platz strichen. Sie trug eine dunkle eng anliegende Reiterhose, dazu passende hohe Stiefel, ein weißes, weites Hemd mit bauschigen Ärmeln und eine Lederweste, welche das Wappen von Meilingen trug . Schließlich fand sie anscheinend denjenigen, den sie gesucht hatte und schritt zielstrebig in Richtung des Ronda Tischs aus. In ihrer Rechten hielt sie einen Brief. Dabei nickte sie den Herrschaften zu, als sie den Tisch der Eltern passierte.

Doch weit kam sie nicht. Ein kunstvoll geschnitzter Gehstock hinderte sie am weitergehen.

“Na, na, nicht so schnell junge Dame. Was glaubt ihr wo ihr hinwatschelt? Das hier ist kein Gänsestall.” Die greise Mutter Elva, Traviageweihte ihres Zeichens, schaute die Besucherin streng und misstrauisch an.

Überraschung spiegelte sich in den Zügen der jungen Frau, als sie sich der Urheberin dieser Worte zuwandte. Sie knickste vor de Geweihten. "Travia zum Gruße, Ehrwürden. Ich wollte nur diese dringende Botschaft dem Geweihten der Rondra dort drüben übergeben. Sie ist wichtig und er muss sie so schnell wie möglich erhalten."

Nun stützte sich die Alte auf den Gehstock und nahm eine kerzengerade Haltung an. Ihr Blick wanderte von Fuß zu Kopf und noch einmal hinab. “Vernünftig Grüßen könnt ihr, aber dennoch, wo sind eure Manieren? Frau stellt sich vollständig vor und was glaubt ihr wo ihr gerade hinein gewatschelt seid? Seid ihr Namen der Rondrageweihtenschaft unterwegs?” Der verkniffene Mund und der harte Blick war eindeutig. Die Geweihte war nicht gut gelaunt.

Die Frau stockte und schluckte eine bissige Antwort herunter. ‘Was für eine alte Vettel!’ dachte sie bei sich. In zuckersüßem Ton antwortete sie dem alten Weib. “Oh, bitte verzeiht. Mein Name lautet Sylvette von Wasserthal, Hofdame der Baronin von Meilingen. Ich gehöre mitnichten der Rondra-Kirche an, doch ist mein Auftrag trotzdem wichtig. Ich habe eine Nachricht für meinen Vetter, deren Inhalt nicht nur wichtig für das Haus Wasserthal ist, sondern auch gleichfalls für das Haus Rabenstein und wohl auch das Haus Henjasburg. Ich habe klare Anweisung sie ihm sofort zu übergeben, sobald ich ihn gefunden habe.” Eindringlich sah Sylvette die alte Geweihte an. “Darf ich fragen wie Euer werter Name lautet? Diese Frau hat ihn leider noch nicht vernommen.”

Elva lachte kurz auf. “ Wenn ihr bestraft werdet, dann ist das ganz euch zuzuschreiben. Wie mir scheint, habt ihr nicht viel gelernt. Erstens, wie ihr sehen könnt, ist der Knappe der Göttin Rondra gerade in einer Zeremonie. Da müßt ihr warten bis er fertig ist. Zweitens, es wäre zu erwarten, dass ihr euch informiert habt, wer hier alles auf dem Fest anwesend ist. Drittens, ihr seid gerade im Begriff gewesen, an einem Tisch von Baronen vorbei zu stürmen, ohne euren Respekt zu zollen, Fräulein Hofdame. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten für euch, euren Auftrag auszuführen. Entweder ihr wartet höflich, bis diese Zeremonie vorbei ist oder, falls ihr ledig seid, schließt euch der Zeremonie an, zollt euren Respekt vor den Göttern und könnt danach mit ihm sprechen.” Sie überlegte kurz, sprach dann aber weiter. “Oder, ihr sprecht als erstes mit der Junkerin von Henjasburg, die sich hier an unserem Tisch befindet. Und noch etwas. Arbeitet an eurem Ton. Glaubt nicht das mir eure unterschwellige Art entgangen wäre. Ich mag zwar 90 Götterläufe zählen, aber eine freche Göre kann ich durchaus noch züchtigen.” Die Alte stand auf und öffnete ihren linken Arm, während der Rechte auf dem Stock gestützt blieb. “Und nun begrüße Mutter Elva von Altenberg, so wie es sich gehört, Sylvette!” Ihr Blick verlor ihren Zorn.

Es schien fast, als habe die Standpauke der jungen Frau die Stimme verschlagen. ‘Zeremonie? Die spielen ARMDRÜCKEN. Was für eine verfl… Zeremonie sollte das sein?’ Ein tiefes Durchatmen, dann beruhigte sie sich wieder deutlich. “Travia zum Gruße, Euer Ehrwürden. Mein Name ist Sylvette von Wasserthal, ich diene der Baronin von Meilingen an ihrem Hof als Gesellschafterin. Bitte verzeiht meine Unhöflichkeit. Der lange, harte Ritt hierher hat mich meine guten Manieren vergessen lassen.” Sie sah hinüber zu den vier Tischen an denen sich mehrere Trauben junger Menschen tummelte. “Darf ich fragen um was für eine Zeremonie es sich hier handelt? Ich hörte nur etwas von einer Brautschau.”

Die Geweihte verdrehte kurz die Augen und seufzte. Dann machte sie einen Schritt nach vorne und umarmte Sylvette. “Willkommen in Herzogenfurt.”, und klopfte ihr dabei auf den Rücken. Dann schaute sie der großen Frau in den Augen. ”Nun, stellt eure Tasche ab, nehmt euch etwas zu trinken. Was zu essen lass ich euch auch besorgen. Ja, das ist eine Brautschau, die unter dem Segen der Götter steht. Die Geweihten erbeten ein Zeichen ihrer Götter, um den Brautwerbern zu helfen, den Richtigen zu finden. Aber ihr solltet euch erstmal den hohen Herrschaften vorstellen.” Nun lächelte sie gütig und nahm wieder platz.

“Ich danke Euch.” Sie nickte Elva zu. Den Brief schob sie in eine breite Gürteltasche, bevor sie sich mit einem Knicks vor den versammelten Adligen vorstellte. “Die Zwölfe zum Gruße Hohe Herrschaften. Meine Name ist Sylvette von Wasserthal, Hofdame am Hof Tsajas vom Berg zu Meilingen. Bitte entschuldigt mein Eindringen, mich führt ein wichtiger Auftrag hierher, dessen Erfüllung aber erst nach der Zeremonie möglich ist.”

Danach kam sie wieder zurück zu der alten Geweihten. “Ich soll mich also unter den Anwesenden nach einem Gemahl umsehen?” Abschätzend ließ sie ihren Blick über die Versammelten wandern, fand aber nichts was ihr auf dem ersten, fernen Blick ins Auge stach. “Ich wei... “ Sie war gerade sich wieder der Geweihten zuzuwenden, als sie eine Gestalt in der Menge sah, die sie verstummen ließ. “Hm, ich glaube Ihr habt recht, ich sollte mir das mal näher ansehen.” Mit Mühe löste sie den Blick von der Gestalt und sah stattdessen die Alte an.

Ein amüsiertes Lächeln legte sich über das Gesicht von Mutter Elva. “Na, dann solltet ihr das tun, Sylvette. Travia mit euch!” und tätschelte dabei die Hüfte der Wasserthalerin.

“Und mit Euch.” Mit wiegenden Hüften machte sich Sylvette in Richtung der Tische auf.

***

Der große Paggenfelder war in äußerst guter Laune. Der Tharf und die Andacht am Tisch der Rahja hatte sein Gemüt beschwingt und somit schlenderte er mit seinem gerade geflochtenen Rosenkranz zum Tisch der Hohen und Älteren. Er hatte eine ganz bestimmte Frau im Auge, die schon heute morgen seine Interesse anzog: die Baronin von Rickenhausen! Als Dorcas in einem gebührenden Abstand war, ging er auf ein Knie. “Der liebholden Rahja zum Gruße, euer Hochgeboren Baronin Thalissa di Triavus von Rickenhausen. Ich bin gekommen, um euch ein Geschenk zu machen.” Stolz und mit einem schmachtenden Blick aus seine braunen Augen, hielt er ihr seinen Rosenkranz hin.

Die Angesprochene hob überrascht eine Augenbraue. Sie erinnerte sich an den charmanten, recht forschen Ritter, dem ersten anderen Gast, dem sie bei ihrer Ankunft begegnet war. Dorcas … von Paggenfeld, wenn sie sich recht erinnerte. Nun, er hatte sich seit heute Morgen offensichtlich nicht verändert, eher war er noch forscher geworden.

Mit einem lieblichen Lächeln nahm sie den etwas kruden Rosenkranz entgegen, vorsichtig, da Rosen Dornen zu haben pflegten. “Habt vielen Dank, mein Herr. Doch muss ich Euch gleich warnen, Ihr seid heute nicht ohne Konkurrenz, das ist nicht das erste Geschenk, das ich heute erhalte.” Gespannt auf seine Reaktion hielt sie zunächst einmal inne und betrachtete ihn interessiert. Aus der reinen Sicht der Göttin des Rausches war der Paggenfelder eine gute Wahl, wie sie erneut zugeben musste, da konnte dieser Milian von Altenberg sicher nicht mithalten. Innerlich seufzte sie ein ganz klein wenig, verbat es doch ihre Stellung, sich nur so zum Spaß in Rahjas Arme zu begeben. Denn was anderes wäre es nicht, ließe sie sich mit einem einfachen Ritter ein.

Dorcas schluckte kurz und erwiderte:” Meine Holde, ich baue auf Rahjas Willen.Wenn sie entscheidet, dann werden wir beide es erfahren. Ich hoffe doch dass Ihr euch für diesen liebestollen Recken entscheidet.” Er zeigt dabei auf sich. Dorcas mustert sie mit seinen Augen. Die Baronin sagte ihm zu. In Gedanken nickte er sich selber zu” doch das könnte die zukünftige Mutter Deiner Kinder sein”; er fängt an zu lächeln.

“Aber, aber, hoher Herr, die holde Göttin in Ehren, aber wer sagt Euch denn, dass ich mich hier und heute für irgend jemanden entscheide?” fragte Thalissa mit harmlosem Augenaufschlag, während ihre Hand ganz von selbst mit Mauras Fächer spielte. Mit der anderen legte sie den Rosenkranz vor sich auf dem Tisch ab. Sie würde keine falschen Signale aussenden, indem sie den Kranz aufsetzte. “Um mich vom Gegenteil zu überzeugen, ist mehr erforderlich als gutes Aussehen und rahjagefällige Hingabe”, lächelte die Baronin. “Aber wer mir etwas schenkt, hat sich einen Tanz verdient, später, wenn das Protokoll es zulässt. Ihr könnt doch sicher tanzen?”

Zufrieden grinste Dorcas. “Rahja ist unser Hausgöttin. Was wären wir für Gläubige, wenn wir den Tanz verschmähen würden. Ich freue mich sehr auf den Tanz, euer Hochgeboren.” Er verneigte sich und kehrte zum Tisch der Rahja zurück.

Die Baronin sah ihm sinnend nach, spielte mit ihrem Fächer und nippte an ihrem Wein. Nun, zumindest langweilig würde es ihr nicht werden.

***

Die Spiele waren vorbei, die Gäste bereiteten sich aufs Lustwandeln vor, nun war die Zeit gekommen mit der Vögtin über ihre Tochter zu sprechen. Der Brief in seiner Hand erschien Rondradin so schwer wie ein Steinblock. Nicht, dass dieses Gespräch auch so schon schwer genug gewesen wäre, nein, natürlich musste es noch schlimmer kommen. Doch sich zu grämen würde hier auch nicht helfen. Also ging er direkt auf die Vögtin zu und verbeugte sich galant vor ihr und den anderen Anwesenden am Tisch. “Rondra zum Gruße, Hohe Herrschaften. Für jene, die mich noch nicht kennen, ich bin Rondradin Wasir al’kam’Wahti von Wasserthal zu Wolfstrutz. Euer Wohlgeboren von Henjasburg, hättet Ihr wohl ein etwas Zeit für mich? Es gäbe da etwas zu besprechen.” Sein Blick fiel auf die anderen Gäste. “Unter vier Augen.”

Die Augen Alrikes, die an einen Falken erinnerten, verengten sich misstrauisch. Sie nickte kurz der Baronin von Schweinsfold zu und erhob sich. “Selbstverständlich, euer Gnaden. Lasst uns ein wenig gehen, hier in der Nähe gibt es einen Pavillon, in dem wir ungestört reden können.”

Am Rand der Festwiese

All der Wein zollte irgendwann seinen Tribut und es drängte die Baronin von Firnholz zum eiligen Wasser lassen. Die Latrine des Hochadels war ein geschickter Holzbau hinter dem Zelt, das sogar einen kleinen Giebelbau aufwies. Sichtlich erleichtert ließ sie sich von ihrer Pagin den Rock richten, als ihr der Duft von würzigen Tabak in die Nase fiel. Mit leichter Neugier führte ihr Blick sie zu einem Mann der am Holzbau gelehnt stand, sichtlich in seinen Gedanken versunken. Der gutaussehende, ältere Mann trug sein blondes Haar in einem ordentlichen Topfschnitt und ein graues Barett zierte sein Haupt. Der 3-Tage-Bart war akkurat und seine Nase war etwas größer, als beim Durchschnittsgesicht. Die grünen Augen zeugten von einem wachen Verstand und nur die leichte Fältchen um Augen und Mund verrieten, dass er ein wenig älter war als sie. Er trug ein einfaches, aber hochwertiges, graues Gelehrtengewand und trug einen auffälligen, silbernen Ring am rechten Ringfinger. Genüsslich sog er an einer Zigarillo und blies den Rauch gen Himmel. Als er den Blick Fedoras gewahr wurde, lächelte er sie mit einer Reihe gerader Zähne an.

"Oh, Verzeihung, ich wollte nicht neugierig erscheinen." entschuldigte sich Fedora, sollte ihr Blick aufdringlich gewirkt haben. "Fedora Madalin von Firnholz zum Firnholz, die Zwölfe mögen Euch schützen." Sie knickste wie es sich gehörte, und wartete ab, wer das wohl war.

Sein Gesichtsausdruck wechselte zu einem überraschten. “Oh, nicht doch. Ich muss mich entschuldigen an solch einem unpassenden Ort rum zu stehen. Ihr seid die Baronin von Firnholz, nicht wahr? Advocatus Tassilo von Altenberg, euer Hochgeboren!” Er versteckte die Zigarillo hinter seinem Rücken und machte eine vollendete Verbeugung. “Sehr erfreut!”

Im Park während der Götterspiele

Doratrava zuckte ein wenig zusammen, als der Schauer sie durchlief, allerdings war ihr das Gefühl nicht unangenehm, im Gegenteil. So führte sie Salgar also an der Hand, als sie Cupida und den anderen folgte. Wohin ihre neue Freundin sie wohl als nächstes führen würde?

Allerdings behielt die Gauklerin die Umgebung durchaus aufmerksam im Blick. Nur für den Fall, dass ihr Begleiter Aufmerksamkeit erregte, die zu Ärger führen konnte. Irgendwie war sie überzeugt davon, dass Salgar sich mit menschlichen Verhaltensweisen noch schlechter auskannte als sie selbst.

Aldec schlurfte dementgegen neben den anderen her, beobachtete wechselnd seine Umgebung und Salgar mit skeptischen, verstohlenen Blicken und machte Anstalten, sich hinter den Rücken der anderen vor all zu neugierigen Blicken zu verstecken. Er fürchtete den drakonischen Zorn seiner Herrin.

Die junge Lilienhainerin führte die kleine Gruppe wieder zurück in Richtung Festwiese. Ihr Blick fiel dabei immer wieder auf den neuen Begleiter in ihrer Gruppe. Sie konnten nach kurzer Zeit bereits die vier Tische und die dahinter versammelten Werberinnen und Werber ausmachen. “Ich weiß nicht ob Salgar näher hin sollte”, meinte Cupida besorgt und gab die anderen der Gruppe damit wieder frei. Sie wusste nicht ob und inwiefern sich der Knappe Folcrad an den Spielen beteiligen konnte, oder ob er das überhaupt wollte. Mit einem Lächeln auf den Lippen musterte sie ihre ´Nichte´ und ihren Prinzen.

Fecundaque erwiderte das Lächeln ihrer ‘Tante’, auch wenn unsicher wirkte. Wie um sich selbst Halt zu geben, griff sie nach der Hand des Knappen, denn in seiner Nähe fühlte sie sich sicher und geborgen.

Folcrad führte Fecundaque an seiner Hand hinter den anderen her. Er war immer darauf bedacht zwischen ihr und dem `Lilienprinz` zu stehen und hoffte inständig dass er nicht zaubern konnte. Erinnerungen an den Fluch der Hexe kamen unwillkürlich hoch. Dabei bemerkte er Aldec, der immer wieder seine Position änderte:”Alles in Ordnung, Aldec?”, fragte er besorgt.

“Ja natürlich, was sollte denn nicht in Ordnung sein”, schnappte Aldec patzig und sah sich weiter beklommen um. Zugleich war ihm der Vorschlag, nicht allzu nah ran zu gehen sehr lieb. “Es ist nur...ich glaube, Cupida hat Recht.”

Der junge Baldursolzer stellte sich Aldec in den Weg und fasste ihn bei den Schultern:”Hör mal Aldec, wenn Du vor irgendetwas oder jemandem Angst hast, dann kannst Du es mir ruhig sagen. Selbst die größten Krieger haben hin und wieder mal Angst, deswegen muss man sich nicht schämen. Mein Schwertvater sagt sogar, dass nur derjenige mutig sein kann, der sich seiner Ängste bewusst ist und sich ihnen stellt. Und es ist auch keine Schande Freunde um Hilfe zu bitten.” Er sah ihm in die Augen und lächelte. “Freunde helfen einander.”

“Fr..Fr..?” Aldec schien Schwierigkeiten zu haben, das Wort auszusprechen. “Freunde?” Die kleinen braunen Augen des dicken Manns waren geweitet und kleine Tränen glitzerten in ihrem Winkeln. Es schien fast so, als ob er noch nie jemanden einen Freund nennen durfte.

Den armen Kerl so zu sehen brach Folcrad das Herz. Er selbst lebte zwar weit ab von anderen Knappen, doch hatte er zeitlebens Freunde gehabt, wenn auch nicht unbedingt vom gleichen Stand. Und auch, wenn er bald ein Ritter werden würde und sich um Standesdünkel Gedanken machen musste, zögerte er nicht, sondern reichte Aldec die Hand:”Ich bin Folcrad. Möchtest Du mein Freund sein?”

“Ja, natürlich, gerne!” Aldec strahlte bis über beide Ohren. “Freunde!” Er griff die Hand und packte sie fest mit beiden Händen. Dann schüttelte er sie überschwänglich und voller Freude.

Auch Folcrad freute sich und schüttelte Aldecs Hände. “So! Und nun müssen wir darauf anstoßen. Magst Du Bier?” “Oh ja, auf einen Humpen Bier hätte ich jetzt echt Lust.” Die Panik in den Augen des Mannes war wie weggeblasen.

“Schön”, freute sich Folcrad,” dann schauen wir mal, ob sich beim Küchenzelt noch etwas finden lässt. Vielleicht haben die ja auch noch was zu essen.”

“Ja gerne. Aber wir müssen Acht geben, dass uns meine Herrin nicht sieht. Glaub mir, die macht sogar dir die Niederhöllen heiß, dass du dir wünscht, sofort in Borons Hallen zu fahren!”

“Mein Schwertvater ist zwar streng, aber das klingt ja furchtbar. Wer ist denn Deine Herrin und wie sieht sie aus?” “Es ist die hohe Dame Durinja von Altenberg. Ihr werdet sie nicht übersehen. Sie ist die wahrscheinlich schönste Frau auf der Feier - ihre zweifarbigen Augen kann man nicht verfehlen. Sie ist streng...und gerecht…”, sagte Aldec kleinlaut.

“Wir schauen, dass sie Dich nicht sieht, aber auch, dass Du bald wieder zurück bist, damit es keinen Ärger gibt. In Ordnung?” Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu:”Kannst Du eigentlich schreiben?” Der Leibdiener blinzelte. “Ja, natürlich!”, entgegnete Aldec empört. Seine Stimme schien ihren weinerlichen Unterton verloren zu haben und wieder eine Oktave tiefer gerutscht zu sein. “Ich wollte Dir nicht zu nahe treten. Wir kennen uns ja noch nicht so lange und wissen ja noch gar nicht, was der andere kann oder nicht. Mein Schwertvater ist der Edle von Hinterwald, das liegt in der Baronie Eisenstein und ich dachte, wir könnten uns gegenseitig schreiben, um die Freundschaft aufrecht zu erhalten. Was meinst Du?” “Ähm...oh...ja. Na klar. Wenn es mir meine Herrin erlaubt.” “Warum sollte sie denn nicht? Will sie nicht, dass Du Freunde hast?” “Naja. Ich weiß halt noch nicht. Ich habe sie ja noch nicht gefragt. Manchmal hat sie - naja - so - Entscheidungen, die ich nicht richtig nachvollziehen kann.” Der Knappe blickte irritiert:”Was denn zum Beispiel?” “Das ich in der Kammer bleiben sollte, zum Beispiel. Es ist ja nicht so, als ob ich Ärger machen würde?! Manchmal, da schickt sie mich einfach weg. Gerade dann, wenn Leute zu Besuch kommen - also dann, wenn es lustig ist. Und und und.””Das ist vielleicht, weil Deine Ausbildung noch nicht fertig ist und sie Dich erst präsentieren möchte, wenn sie abgeschlossen ist. Ich darf auch nicht bei jeder Besprechung dabei sein, zu der mein Schwertvater geladen ist. Und manchmal muss ich sogar die Aufgaben eines Dieners erledigen. Wein und Essen bringen, das Wasser reichen und so weiter.” “Ne, also eine ‘Ausbildung’”, er machte Gänsefüßchen in die Luft, “bekomm ich so nicht. Ich muss machen, was meine Herrin sagt. Das war’s.””Aber...ich dachte”, jetzt war er richtig verwirrt, “Was ist denn, wenn sie Dich aus ihren Diensten entlässt? Sie soll doch für Dich sorgen, oder nicht?” “Wie, was, entlassen? Ich, sie, nein, also… Ich glaube nicht, dass das geht?!” Aldec wirkte verwirrt. “Weil, weißt du, mein Vater…” Folcrad hörte gespannt zu:”Was soll ich wissen? Ich verstehe gerade gar nichts.” “Es ist…” Aldec wandte sich ab. Enttäuschung und Traurigkeit ließen seine Pausbacken für einen Moment hängen. “Ach nichts. Wir wollten doch ein Bier, oder nicht?” Der Knappe war neugierig, doch spürte er, dass Aldec zu sehr mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hatte und es nichts brachte ihn zu drängen. “Und was zu essen”, bestätigte er. Einen Augenblick schwieg er, doch wollte er noch eines loswerden:”Aldec, wenn Du reden willst, ich werde Dir zuhören.” Aldec nickte. “Beim Bier, in Ordnung? Könnte länger dauern”, lachte er. “Geht klar”, lachte dieser zurück

Salgar hielt Doratravas Hand weiterhin, als würde er daraus Kraft ziehen können. Als sie zur Wiese kamen, weiteten sich seine großen, ungewöhnlichen Augen und er blieb stehen. „Oohhh ... wie schön ... wie lieblich.“ Der Halbdryade staunte wie ein Kind. Seine erwählte Vertraute spürte, wie seine Hände feucht wurden und auch ihre Intuition verriet ihr, dass Salgar mit aufkommender Nervosität zu kämpfen hatte. Wie in einer Verlegenheitsgeste, nahm er seinen Hut ab. Schulterlanges, gelocktes Haar kam zum Vorschein. Unter den Bäumen schien es dunkler gewesen zu sein, nun sah man, dass es die Farbe der Weidenrinde hatte und sanft, wie ein Schimmer, lag das kräftige grün sommerlicher Blätter darüber. „Doratrava... bitte, lass uns kurz alleine zu meinem Baum. Ich wollte dir etwas erzählen und dich etwas fragen, was vor den anderen ... nun ja ...“ Er flüsterte nun, den Blick immer noch andächtig auf die Feiernden gerichtet. „Dir vertraue ich, sag es deinen Freunden bitte so, dass sie es nicht falsch verstehen ... wir kommen ja gleich nach.“

Doratrava wusste nicht genau, was sie von Salgars Ansinnen halten sollte, aber sie war geneigt, dem Folge zu leisten. Zudem war ihr das Unbehagen der anderen, was ihren Begleiter anging, durchaus aufgefallen, auch Cupidas Warnung nahm sie sich zu Herzen.

“Geht einfach weiter”, rief sie den anderen zu, während sie Cupida ein Zwinkern zuwarf. “Salgar … möchte mir nur kurz was zeigen. Wir finden euch dann schon.” Das war jetzt eher eine lahme Entschuldigung, aber ihr fiel gerade nichts Besseres ein. Bevor noch jemand nachfragen konnte, drehte sie herum und zog Salgar mit sich, auf den Teich und die Bäume zu.


Malvado zog weite Kreise über den Park. Etwas hatte sich verändert, es war nur für einen Moment, doch der Kolkrabe hatte es gespürt. Die selbe Kraft die ihn und seine Vertraute verbanden, war in einem intensiven Ausmaß zu spüren gewesen, doch von der Festwiese kam es nicht. Sein tiefschwarzes Gefieder schimmerte im Sonnenglanz, während er den großen Teich im Park anziehlte. Er war sich fast sicher das es von hier aus kam. Vorsichtig segelte er auf eine der Weiden zu und ließ sich auf einem der Äste nieder. Die Gruppe von Menschen erkannte er, es waren die Jüngeren der Gäste. Malvado konzentrierte sich und streckte seine Sinne aus. Das gleißende Rot der Kraft glimmte auf und er wußte das auch drei der Leute da unten mit dieser gesegnet war. Etwas was seine Vertraute wissen sollte. Ein Krächzen entfuhr ihm, das auch den Gästen im Park nicht entgangen sein konnte.

Der junge Baldurstolzer zuckte zusammen. Unwillkürlich musste er an den vergangenen Feldzug denken...und an den Raben, dieses Mistvieh, dass ihn verflucht hatte. Er schaute sich um, sah Malvado in der Weide sitzen und blickte ihn einige Sekunden mißtrauisch an. Dann zuckte er mit den Achseln und wandte sich wieder ab. Es war wohl nur ein gewöhnlicher Rabe, nichts weiter.

Jetzt, da Salgar fort war, atmete Fecundaque wieder auf. “Glaubt ihr ihm was er erzählt hat?” Zweifelnd sah sie von Cupida zu Aldec und schließlich zu Folcrad, dessen Hand sie noch immer fest umschlossen hielt.

Ihre junge Tante blickte Doratrava und Salgar noch für einige Momente nach und wirkte auf die Frage Fecundaques hin etwas zerstreut. "Was meinst du?", fragte sie, dann wandte sie sich, ohne eine Antwort abzuwarten, wieder um. Weg von der Gruppe gewandt artikulierte sie ihre gefassten Gedanken. "Ich denke ich habe schon einmal von ihm gehört …", murmelte Cupida in schwer zu vernehmender Lautstärke, "... rund um den See sind vor einigen Sommern immer wieder einmal junge Mädchen verschwunden und dann Wochen später erst wieder aufgetaucht. Es ging ihnen gut, doch haben sie im Nachhinein von einem liebevollen Mann erzählt, der sie irgendwohin mitgenommen hatte und sie waren verwundert, dass es Wochen waren, dachten sie doch eher an Stunden." Mit besorgtem Gesichtsausdruck wandte sich die Akoluthin wieder zu den anderen um. "Vielleicht sollte ich ihnen folgen."

Erschrocken und mit großen Augen starrte Fecundaque Cupida an. “Wie konnte ich das vergessen?” Ihr Blick wanderte hinüber zu den versammelten Adligen auf der Wiese. “Sollten wir dann nicht jemanden bescheid geben? Nicht, dass wir zum Schluß alle verschwinden.” Unschlüssig sah sie wieder in die Richtung wohin Doratrava mit dem Prinz verschwunden war. “Aber wenn wir uns nicht beeilen, dann ist es zu spät für Doratrava. Was sollen wir machen?” Die letzte Frage richtete sie an alle Anwesenden.

"Wem möchtest du bescheid geben ...", warf Cupida tonlos ein und überging damit die andere Frage ihrer ´Nichte´, "... möchtest du die Geweihten holen, oder gleich den Bannstrahler?" Sie schüttelte energisch ihren Kopf. Die junge Frau war stur, das wusste Fecundaque. "Nein, ich werde nach ihr sehen. Wer will kann mich begleiten."

Die ‘Nichte’ sah sich hilfesuchend zu Folcrad und Aldec um. “Was meint ihr?”

“Mmmmh”, überlegte der junge Baldurstolzer, “Ich finde, wir sollten Doratrava warnen und sie selbst entscheiden lassen. Wenn ich könnte, würde ich mir gerne mal so eine Feenwelt anschauen, auch wenn es schon ein wenig unheimlich ist. Aber ich kann nicht einfach für ein paar Wochen spurlos verschwinden. Und die einzigen Geweihten, die man hierzu informieren könnte, wären meiner Meinung nach die Rahjageweihten, die diesen Schrein betreuen. Vielleicht wissen sie sogar was über diesen Salgar.”

Als die anderen noch am Disputieren und Überlegen waren, stapfte Cupida in eiligem Schritt in Richtung Teich. Sie hoffte die beiden noch rechtzeitig zu erreichen.

“Warte, Du kannst doch nicht allein dahin gehen!”

Doch konnte, oder besser wollte die Akoluthin ihn nicht mehr hören.

“Fecundaque lauf bitte zum Rahjatisch und informiere meinen Schwertvater, ich werde Cupida folgen. Aldec, Du musst erstmal allein zum Küchenzelt. Wir treffen uns da.” Er wandte sich um, um Cupida hinterher zu laufen. “Cupida!”

Fassungslos sah Fecundaque wie ihr Folcrad gerade ihrer Tante hinterherlief. Sie konnte die beiden doch nicht der Gauklerin folgend in ihr Verderben laufen lassen. Manchmal war Cupida ein solcher Dickschädel. Wütend stampfte die Lilienhainerin mit dem Fuß auf, bevor sie zu laufen begann.

“Äh, Leute, äh...ihr könnt mich doch nicht einfach so stehen lassen?!”, jammerte der dicke Mann hinterher. Nein, alleine würde er sich sicher nicht auf die Festwiese wagen. Er musste ihnen nach! Also rannte er, so gut er konnte, Fecundaque hinterher.

Cupida schaltete jedoch auf stumm. Einzig die Verlangsamung ihrer Schritte, die es Folcrad möglich machte zu ihr aufzuschließen, war ein Indikator dafür, dass sie den Knappen sehr wohl hören konnte und wohl auch nicht alleine gehen wollte.

“Cupida! Deinen Mut in allen Ehren, Rondra wäre stolz auf Dich, aber Du kannst doch nicht blindlings in eine unbekannte Gefahr laufen, ohne jemandem Bescheid…”, weiter kam er nicht mit seiner Ansprache.

“Wartet auf mich!” rief eine junge, weibliche, nach Luft ringende Stimme. Eine erschöpfte Fecundque schloss zu Cupida und Folcrad auf. “Ihr glaubt doch nicht, dass ich euch alleine in euer Verderben laufen lasse.” “Und ich erst!” Aldec war vollkommen verschwitzt und musste sich mit den Händen auf den Knien abstützen. Er keuchte aus dem letzten Loch. Aber das konnte er so nicht stehen lassen.

Folcrad seufzte: ”Schön, dann gehen wir eben alle. Aber wenn wir erst nach Wochen, oder Monden, wiederkehren und niemand wusste, wo wir uns aufgehalten haben, dann gebt bitte nicht mir die Schuld.”

Kurz schmunzelte die junge Akoluthin auf die Worte des Knappen hin. Sie fühlte eine Mischung aus seltsamer Vorfreude und Sorge in sich aufsteigen. “Dann lasst uns weitergehen. Hoffentlich erreichen wir die beiden noch rechtzeitig.”

“Gut, aber lasst uns zusammen bleiben. Wir wissen nicht, was uns erwartet.” Er reichte Fecundaque seine Hand.

Cupida nickte ihm knapp zu. ´Selten so einen besorgten Knappen gesehen´, dachte sie bei sich.

Mit geröteten Wangen ergriff Fecundaque die Hand Folcrads und zog ihn an sich heran. Dann hauchte sie ihm einen Kuss auf seinen Mund. “Als kleinen Glücksbringer.” Säuselte sie und sah ihre ‘Tante’ herausfordernd an. Das ‘hast du was dagegen?’ sprach sie nicht aus, es war aber klar ersichtlich.

Aldec pfiff anzüglich durch die Zähne. “Dann los, bevor wir hier noch Wurzeln schlagen!”


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