Im Rattennest Im Rattennest

<-- Kapitel 2 - Vor der Baronin


Kapitel 3: Im Rattennest

Der nächste Morgen

Am nächsten Morgen war Linnart bereits vor dem Aufgang des Praiosmales auf der Burg unterwegs gewesen. Wie immer, wenn sie gemeinsam unterwegs waren, traf er Praida zum gemeinsamen Gebet bei Sonnenaufgang. Als er die junge Geweihte antraf, erschrak er vor ihrem Anblick. Die Halbergerin hatte allem Anschein nicht allzu viel geschlafen.

"Praios nobiscum ...", grüßte Linnart seine Glaubensschwester, "... ich hoffe du verzeihst mir meine Direktheit, aber du siehst so aus als hättest du wenig geschlafen." Es folgte ein Lächeln.

Die junge Frau griff sich zur Antwort an die Stirn. "Diese Kopfschmerzen ... seit wir in diese Burg spaziert sind hören sie gar nicht mehr auf ...", Praida ballte ihre Fäuste, ganz so als wolle sie das Gefühl durch Zorn vertreiben wollen, "... das letzte Mal war es so schlimm, als ich in der Asservatenkammer ausgeholfen hatte."

"Wenn du möchtest, dann soll mich Quenion heute in die Katakomben begleiten und du bleibst oben an der frischen Luft." Linnart hob fragend seine Augenbrauen.

"Mach dich nicht lächerlich ...", schob die junge Lichtbringerin diesem Vorschlag sogleich einen Riegel vor, "... ich komme mit."

"Nun denn, wie du meinst ...", der Ritter nickte, nahm seinen Schwertgürtel ab und kniete sich mit Blick gen Rahja auf den Boden, wo die beiden jungen Praiosdiener den Aufgang der Praiosscheibe erwarteten.

***

Nach dem morgendlichen Gebet und einem kurzen Morgenmahl, ließ Linnart die Bannstrahler im Burghof antreten. Wie vereinbart warteten sie auf die Ankunft Jorams und Elvans, die sie unter die Stadt führen würden.

Der große, breitschultrige Stadtvogt wirkte noch kräftiger neben den schlanken und schmalschulterigen Baronsgemahl. Joram trug sein blondes, langes Haar zusammengebunden und ein schweres, blaues Cape schützte ihn vor der Kälte. Wie immer hatte er ein stolzes Lächeln auf den Lippen, während er eine brennende Fackel hielt. Baron Elvan trug einen grünen Kapuzenumhang das mit einer silbernen Schnalle, in Form einer Gans, zusammengehalten wurde. Dass ihm kalt war, war mehr als offensichtlich: das gerötete Gesicht und das leichte Schlottern seiner Beine verrieten ihn. Beide standen vor der Statue des heiligen Hlûthar, die in der Mauer eingelassen war. “Praios zum Gruße”, knirschte Elvan hinaus. Der Moment wurde kurz unterbrochen, als zwei gesattelte Pferde von einem Knecht näher herangeführt wurde.

"Praios zum Gruße ...", dankte Linnart dem Baronsgemahl. Der Bannstrahler wirkte gut gelaunt und entspannt, ganz anders die junge Frau neben ihm. Ihre Gnaden Praida von Halberg war blass um ihre Nasenspitze und etwas wortkarg. So schien sie auch das Zittern Elvans nicht wirklich zu bemerken - ein Umstand, der ihr sonst wahrscheinlich einen bissigen Kommentar abgerungen hatte.

Neben den beiden standen 10 weitere Bannstrahler in dem weißen Ornat der Geißler. Jeweils neben den Kriegerinnen und Kriegern ein Pferd. Dabei handelte es sich um schöne und gepflegte Tiere, wie man sie sonst nur an größeren Adelshöfen finden mochte. Ein weiterer Umstand, der Elvan und Joram zeigte, dass Gold in der Kirche des Götterfürsten wohl keine Rolle spielte - wie auch, glichen die Tempel des Praios doch großen, von goldenen Dächern gezierte Paläste und auch die Rüstungen seiner Ritter waren geschmückt und vergoldet.

Der Blick des Traurigsteiners ging noch einmal zwischen den beiden Herzogenfurtern hin und her. Elvan schenkte er dabei ein aufmunterndes Lächeln. "Zwölf Bannstrahler sollten für den ersten Gang hinunter reichen. Seine Gnaden von Hamrath bleibt mit dem Rest oben auf Abruf." Mit diesen Worten stiegen der Bannerführer und die Geweihte auf ihre Pferde, was auch den Rest dazu animierte es ihnen gleich zu tun. "Können wir?", fragte Linnart dann.

Joram nickte und beide Adligen stiegen auf ihr Pferd.

***

Der Weg zur Ruine des Götterfürsten führte direkt von der Burg über die Serpentine zum Marktplatz Herzogenfurts. Das einst stolze Gebäude war in seinen Grundmauern noch erhalten und zeigte deutlich seine im Bosparanischen Stil erbaute Architektur. Das Dach fehlte, die Fenster starrten wie offene Mäuler, so ohne Glas, und die Außenwände zeigten noch Rußspuren eines Feuers. Das Eingangsportal, das mit Greifendarstellungen verziert war, wurde mit einem schmiedeeisernen Gitter verschlossen und auf den Stufen zu diesem, hatten Gläubige immer wieder Opfergaben abgelegt. Im Inneren waren Büsche, ja sogar ein Baum gewachsen, die allerdings zu dieser Jahreszeit blattlos waren und ein trostloses Gefühl auslösten. Als Die Reiter alle von ihren Pferden abgestiegen waren, war es der alte Vitold, ein Akoluth der Travia, der sich kurz verneigte und dann das Gitter mit einem Schlüssel aufschloss.

Linnart schmerzte der Anblick des verkommenen, einst stolzen Gotteshauses. Ein Seitenblick auf Praida zeigte ihm dabei, dass es der jungen Geweihten wohl ähnlich erging. Sie war immer noch blass und fasste sich ab und zu an ihre Schläfe. Kurz gab er ein paar Kommandos an die anderen zehn Bannstrahler, die sie hinunterbegleiten würden und mahnte sie zur Vorsicht. Er würde jedem der Anwesenden der handverlesenen Ordensmitglieder, die nun an seiner Seite standen, sein Leben anvertrauen.

Das Innenleben des Tempels zeigte erst richtig, wie schlimm das Feuer gewütet haben musste. Jede Wand und jede Säule war tiefschwarz gerußt und an vielen Stellen war der Stein geborsten. An der Stelle, wo noch eine Altarstein zu erkennen war, lag eine Bodenplatte zur Seite und gaben Stufen in die Tiefe frei. Der Stadtvogt wagte sich als erster hinunter, während der junge Baronsgemahl direkt hinter Linnart und der Praiotin lief.

Der Bannerführer nickte dem Akoluthen der gütigen Mutter knapp zu, dann folgte er Joram auf dem Fuß. Als sie sich die Gruppe hinunterbewegte, wuchs die Anspannung des jungen Ritters. Das hier war etwas anderes als ein paar Hexen in Nordgratenfels nachzujagen. "Sagt hoher Herr ...", der Traurigsteiner war froh, dass der Stadtvogt sie begleitete. Joram von Sturmfels wirkte brauchbar und auch offen, "... Ihr wart ja beim ersten Betreten des Unheiligtums auch zugegen. Unseren Berichten zufolge soll es unter der Stadt eine sehr große Anlage geben ... auch von Pilzen des Dreizehnten war die Rede. Wie weit habt Ihr Euch vorgewagt und wer war alles dabei? Neben seiner Hochwürden von Henjasburg und ihrer Ehrwürden von Altenberg meine ich."

Mit langsamen Schritten, aber dennoch einem Lächeln auf den Lippen, beantwortete Joram Linnarts Fragen. “Wie schon erwähnt, war ich das mit der Vögtin, Mutter Elva, Hochwürden Karolan und des Rahjani Rahjel von Altenberg. Wir hatten noch 10 Gardisten zur Unterstützung dabei. Laut Aussagen der ´Überlebenden´ gab es vorher einen Erdrutsch. Von der Höhle haben wir gehört, aber der Zugang zu dieser ist zugeschüttet. Wir konnten daher nur die Kultanlage und sowas wie ein altes Wohnhaus sichern. Hochwürden Karolan hat die geborgenen Leichen, besser gesagt, Knochen eingesammelt und dort in einem Raum borongefällig beigesetzt.”

Joram konnte es nicht sehen, doch Linnart grinste vor sich hin. Einen Versuch war's wert, doch der Stadtvogt blieb bei der Version, die er zuvor schon, gemeinsam mit Elva und Karolan, vor der Baronin zum Besten gegeben hatte.

Sicherlich über zehn Schritt führten die dunklen Treppen in die Tiefe bis sie endlich an einen Absatz ankamen. Joram schenkte die Fackel kurz und lief dann gezielt zu einer, die erloschen und in einer Wandhalterung hing. Kaum war diese Entzündet, offenbarte sich hier ein gemauerter, quadratischer Raum der einen weiteren Durchgang aufwies. “Dahinter kommt man direkt in die Kultanlage.” Der Geruch von abgestandenem Weihrauch lag schwer in der Luft.

Auch drei der Bannstrahler trugen Fackeln. Besonders motiviert schien die Schildmaid Gwynna, die ihrem Vorgesetzten und dem Stadtvogt besonders nah zu kommen schien, um ja nichts von der geführten Unterhaltung zu verpassen.

“Habt Ihr nie Versuche unternommen den Rest der Höhlen freizulegen? Gibt es keine anderen Zugänge außer dem Herzog?” Linnarts Meinung nach war es nicht ausgeschlossen, dass sich in einem der Stadthäuser oder einem Brunnen ein weiterer Zugang findet und es war kaum auszudenken was geschehen würde, kämen unbescholtene Bürger mit der Essenz des Dreizehnten in Berührung.

“Nein. Die Befürchtung ist, dass bei solchen ´Ausgrabungen´ mehr einstürzen könnte. Der anderen Zugänge in einem Brunnen und im Keller des Herzogs wurde zugemauert. Die Baronin berät noch mit den Geweihten, was mit diesem Ort hier geschehen sollte. Ihr werdet selbst sehen.” Mit diesen Worten schritt ihr durch den Durchgang.

Was den Bannstrahlern erwartete war ein unheimlicher, aber auch bewundernswerter Anblick. Die Kultstätte glich einer Tempelanlage aus Bosporanischen Zeiten. Die Gruppe betrat den Ort vom hinteren Teil und kamen hinter einem Altar in die Haupthalle. Nur das Licht der Fackeln ermöglichte das Sehen, denn die Fackelschalen waren gelöscht worden. Linnart schätzte die Deckenhöhe auf ganze sechs Schritt, fünf in der Breite und ganze zehn in der Länge. Boden, Dach und Kapiteln waren aus dunkelgrünem Marmor Links und Rechts waren, unter Tüchern, verborgen jeweils sechs Statuen und der Altar barg noch eine viel Größere. Auch diese war mit Tüchern bedeckt wurden. Bei einem genauen Hinsehen handelte es sich um Tücher mit den Symbolen der Travia, des Boron und der Rahja. Ein metallener Ständer lag auf dem Boden, davor eine gläserne Kugel, die in großen Teilen zersplittert war. Es war still hier, bis auf das eine oder andere Quicken einer Ratte in der Ferne.

Interessiert ließ sich Linnart von einem seiner Waffenknechte eine Fackel reichen und schritt ein paar Schritt auf und ab. “Ich habe von diesem Ort in den Berichten zur Aussage meines Onkels … äh, des Zeugen gelesen.” Neben dem Quieken der Ratten hörte man für einen Moment nur das Knirschen unter den Stiefeln des Ritters. “Was würdet Ihr mit diesem Ort tun, Elvan?”, richtete der Bannstrahler das Wort an seinen angeheirateten Vetter, doch wartete er vorerst keine Antwort ab. “Das Einfachste wäre es natürlich die Statuen zu zerschlagen, den Ort eines oder mehreren der Zwölfe zu weihen und dann zu versiegeln.” Linnart hob seine Augenbrauen, was die im Fackellicht entstandenen Schatten auf seinem Antlitz deutlich zeigten.

Als Elvan angesprochen wurde, schrak er kurz zusammen, fasste sich dann ziemlich schnell wieder. “Ich? … Im Schoße der zwölf Götter wäre es wohl am besten aufgehoben. Mit vereinter Kraft dürfe ´es´ keine Macht haben”, sagte er vorsichtig. “Also, man könnte …”.

Weiter kam Elvan nicht, da sich der Vogt einmischte. “Wir haben versucht die Statue”, er deutete auf die Große am Kopfende, ”mit Hilfe eines Steinmetzes zu zerschlagen. Doch kaum hat er angesetzt … ist er dem Wahn verfallen. Meister Eberfried ist nun in der Obhut Hüter Karolans. Danach haben wir uns entschieden, die Figuren mit geweihten Tüchern erst einmal abzudecken.” Er ging bis zum anderen Ende der Halle. “Dorthin gehen ein paar Stufen nach unten und ein Tunnel verbindet diesen Ort mit einer alten, versunken Wohnanlage. Dort wurden die Überreste der Individuen zur Ruhe gelegt. Doch finden sich auch dort die zugeschütteten anderen … Tunnel.” Joram schaute die Bannstrahler abwartend an.

Linnarts Blick lag während der Rede des Stadtvogts immer noch auf Elvan. “Ihr habt den jungen Baron nicht ausreden lassen, hoher Herr”, meinte der Bannstrahler in freundlichem, aber bestimmten Ton, ganz so, als würde er ein Kind maßregeln. Hatte der Vogt ein Problem mit dem Baronsgemahl? Respektierte er ihn nicht? “Herr Elvan wollte uns soeben erzählen wie er sich des Problems annehmen würde. Ich denke wir sollten ihn anhören …”, nun lagen die eisblauen Augen des Ritters erstmals auf dem Stadtvogt, “... meint Ihr nicht? Ich würde Euch sowieso auch darum bitten uns den Rest der nicht verschütteten Anlage zu zeigen. Gibt es eigentlich einen Grund warum die Menschen hier unten zu Grabe getragen wurden?” Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Linnart wieder seinem verschwägerten Vetter zu.

Der Vogt straffte sich und war ein wenig überrascht über diese Maßregelung. “Oh, sicher doch, ich muss das überhört haben, verzeiht Herr Baron.” Er nickte Elvan zu. ”Wenn ich es richtig verstanden habe, wollte seiner Hochgeboren Karolan die Individuen nicht durch die Stadt bringen lassen, auch hier war ein Grab für sie gut genug und der Segen gesprochen. Diesbezüglich fragt ihr bitte aber seiner Hochwürden selbst.” Dann schaute auch er zu den jungen Baroningemahl.

Elvan holte tief Luft und sprach dann weiter.” Ich denke, dass hier alle Vertreter der Zwölfe präsent sein sollte. Ich hört da etwas vom Orden der Bund der Zwölfgötter. Nur gemeinsam kann man dieser Gefahr trotzen. Was denkt ihr?”

Der Angesprochene musste lächeln, zumindest konnte Elvan im Zwielicht der Fackeln eine weiße Zahnreihe aufblitzen sehen. “Der Bund des Wahren Glaubens …”, überging er die zuletzt gestellte Frage, “... ist das der Plan für diesen Ort? Ein Tempel für alle zwölf Götter?” Der junge Bannstrahler konnte die Blicke seiner Brüder und Schwestern zwar nicht sehen, doch konnte er sie fühlen. “Ihr wisst, dass es der Glanz des gleißenden Herrn Alverans ist, der diese Stadt am besten vor den Einflüsterungen des Dreizehnten schützen kann.” Linnart hob beschwichtigend seine rechte Hand. “Ich kenne die Berichte und weiß, dass Herzogenfurt von einem Diener Praios´ betrogen wurde …”

Neben Linnart sog Gwynna scharf Luft ein, doch atmete sie nach einem einfachen Seitenblick ihres Bannerführers wieder langsam aus.

“... denkt Ihr nicht, dass es auch die Gemeinschaft des Lichts verdient hätte, in diesem Fall eine zweite Chance zu erhalten? So wie man sie einem jeden Sünder gewährt, der sich offen dazu bekennt und um Buße ersucht?”

Elvans Blick ging unsicher zum Vogt rüber. “Ihr hattet gefragt … es ist ja nur eine Idee.” Entschuldigend senkte er leicht den Kopf.

Joram griff die kurze Stille auf. “Hier geht es weiter, ich führe euch voran.” Der Ritter ging ein paar Schritte voraus, wartete aber kurz bis einer der Bannstrahler aufholte und mit ihm zusammen die Stufen aus der Kultstätte in einen weiteren Tunnel voranschritt.

Ganze zehn Schritt führte der gemauerte Tunnel in einer leichten Biegung zu einem neuen Ort. Offensichtlich wurde dieser von jemanden ´ausgegraben´ und mit fachmännischem Wissen abgestützt. Vor den Augen der Gruppe eröffnete sich ein alter Keller, der großflächig angelegt war und viele Durchgänge aufwies. Die Bauart und der verschlammte Brunnen zeigte von alt-bosporanischer Herkunft und verrieten das Alter. Mehrere Risse zogen sich durch die Wände und Wurzelwerk hatte sich durch die Decke gebrochen. Erfüllt war der große Raum, besser gesagt ´Hof´, mit abgestandener Luft und Morast. Linkerhand war ein Durchgang zugemauert wurden und das gebrochene Rad, das Symbol des Totengottes Boron, zierte die Ziegel.

Elvan musste schlucken, bei diesen düstern Anblick. Die Luft war dünn und man hatte das Gefühl, das die Decke jederzeit einbrechen konnte. Wie konnten Menschen hier unten nur hausen?

“Hier wurde der Geist einer Frevlerin aufgescheucht. Nach der Bannung durch die anwesende Golgaritin, gab es wohl ein Beben.” Nun deutet der Vogt auf den großen Durchgang gegenüber. “Der Raum dahinter ist kurze Zeit später zusammengebrochen, so wie ein Durchgang dort hinten.” Dann zeigte er zu seiner rechten. “Dahinter befand sich wohl die ´Höhle´. Abwartend schaute er nun in Richtung der Bannstrahler.

Linnart war dem Stadtvogt interessiert gefolgt. Hinter ihm waren die Männer und Frauen in Weiß aufmerksam geblieben. “Diese Höhle …”, kam es von Seiten Praidas, deren Blässe im fahlen Licht der Fackeln dem weiß ihres Ornats glich, “... wir können sie nicht ´unbehandelt´ lassen. Gibt es schon einen Plan dafür, wie man sich den Namenlosen Gewächsen darin annehmen will?”

Der Traurigsteiner nickte daraufhin knapp. “Wir haben den Auftrag uns um sämtliche namenlose Umtriebe und Hinterlassenschaften in und unterhalb der Stadt zu kümmern. Das gilt sowohl für das Unheiligtum hier, als auch für die Auswüchse innerhalb der Höhle. Die Saat des Namenlosen unter Herzogenfurt ist viel zu gefährlich als dass wir uns durch ein paar Gesteinsbrocken davon abhalten ließen. Gibt es die Möglichkeit hier an einer nicht tragenden Stelle durchzubrechen?”

“Schaut euch um. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat die Baronin in Beratung mit den hiesigen Geweihten alles getan, was in dieser kurzen Zeit möglich war. Aufgrund der Erdrutsche, sollten wir mit Bedacht ´Durchgänge´ frei machen. Denkt ihr nicht?”, fragte der Stadtvogt den Bannerführer.

Der Angesprochene legte interessiert seinen Kopf schief. “Das war keine Kritik. Im Gegenteil, ich bin sehr positiv überrascht welche Schritte bereits gesetzt wurden, doch Luft nach oben gibt es bekanntlich immer, meint Ihr nicht? Seht unsere Anwesenheit als eine Möglichkeit mit den namenlosen Umtrieben aufzuräumen. Es stehen 2 Lanzen Bannstrahler zur Verfügung. Männer und Frauen, die von Jung an im Umgang mit solchen Situationen geschult sind.”

´Genau, von Jung an ...also noch nicht sehr lang´, dachte der ältere Ritter bei sich. Der erste Blick dieser Truppe hatte gereicht, dass man unerfahrene Grünschnäbel nach Herzogenfurt geschickt hatte. Sicherlich eine spätere Gemeinheit von Pagol Greifax. Diesem musste er selbst als junger Mann begegnen. Keine angenehme Gesellschaft. Zumindest hatte er Hoffnung, dass dieser Linnart schon erfahrener war, als seine jungen Jahre ihn eigentlich hindern sollten. Nun ja, als damals die namenlosen Verbrechen Herzogenfurt überrollten, war er auch nicht viel älter …
“Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam das ´Problem´ hier beheben werden.”, sagte er dann knapp.

Der junge Bannstrahler nickte. “Da bin ich mir sicher. Mit Praios´ Hilfe.”

Dann trat Elvan mutig an Praida heran. ”Euer Gnaden, wollen wir uns ein wenig umschauen? Mit euch an meiner Seite würden wir sicher Licht in die Schatten bringen.”
Praida von Halberg warf daraufhin einen Seitenblick auf Linnart. Auch wenn er es nur für diesen einen Auftrag war … die Ordensoberen haben ihn mit dem Oberbefehl betraut und ihn somit de facto in die Position des Bannerführers gehoben. Die junge Lichtbringerin hoffte, dass dieser Status bald wieder vorüber war, wusste sie doch, wie sehr dem Traurigsteiner solche Dinge zu Kopf stiegen.

Linnart sah ihren Blick und ihm entging auch die Frage seiner Ordensschwester nicht. Er nickte ihr knapp zu. Praida wusste auf sich aufzupassen.

Die Geweihte wandte sich wieder dem jungen Baronsgemahl zu. “Gerne, nach Euch.”

Vorsichtig lief er zur Mitte dieses ´Hofes´ und blickte auf ein großes, schlammiges Loch, das einst ein Zierbrunnen war. Elvan ging in die Hocke und kratzte ein wenig Dreck vom Stein. “Das war sicher mal ein schöner Ort. Man kann noch heute die schönen Verzierungen erkennen. Ich glaube das ist Marmor”, sprach er vor sich hin.

Der Halbergerin schien jedoch das Gespür und Auge für solcherlei Ästhetik zu fehlen. Erst brummte sie bloß, dann ging auch sie in die Hocke. Ob aus Interesse, oder aus Höflichkeit erschloss sich dem Altenberger dabei nicht wirklich. “Was könnt Ihr für eine Symbolik erkennen?” Vielleicht gab diese Verzierungen ja einen Aufschluss darauf um was es sich bei diesen Katakomben denn einst gehandelt hatte. “Was wisst Ihr über die Geschichte dieser Stadt?”, legte die Geweihte nach, ohne eine Antwort auf ihre erste Frage abzuwarten. Der junge Mann wirkte belesen - eines war klar, er war definitiv kein Krieger und irgendetwas musste er ja gelernt haben.

“Leider nicht viel. Meine Großmutter lebt hier schon ihr halbes Leben lang und wir hatten sie oft besucht. Meine Tante ist mit dem Gartenmeister Rahjagoras vom Lilienhain verheiratet. Er ist der Hüter des berühmten Parks. Und so weit ich weiß, ist Herzogenfurt auch nur deshalb bekannt. Ein schöner Garten, ganz der Liebholden gewidmet. Von den anderen Ereignissen habe ich erst … jetzt vernommen. Wie es scheint ist der Ort doch schon sehr alt. Der Brunnen hier stammt aus bosparanischer Zeit.” Nun deutete er auf eine frei gewischte Stelle. “Die Ornamentiken deuten auf eine Stätte der Heilung hin. Schlange, Ähren und Wasser … wurde oft in solch einer Kombination verwendet. Vielleicht war es ein … Spital?” Nun blickte er fragend auf.

Praida streichelte mit ihren schlanken Fingern über die Ornamente der freigelegten Stelle. "Möglich, aber warum lebten die Menschen unter der Erde?", stellte die Bannstrahlerin eine nicht erwartete Frage. "Diese Höhlen hier - sie sehen natürlich aus. Was hat dieses Volk damals dazu bewogen, sich Praios´ gleißendem Blick zu entziehen und hier unter Tage zu leben, als wären sie Angehörige des kleinen Volks?" Die braunen Augen der Frau lagen auf dem Antlitz Elvans. "Haben sie hier dem Dreizehnten gedient? Aber warum dann die peraine- und hesindegefällige Symbolik?"

Elvan schüttelte leicht seinen Kopf. “Nein, ich glaube dies hier ist nur ein Keller oder Unteretage eines uralten Gebäudes. Es scheint, dass dieser hier später wieder freigegraben wurde. Von der Höhle aus, aus der wir kamen. Bevor die Ketzer diesen Ort missbrauchten, glaub ich das es ein göttingefälliger Ort der Heilung war.” Der junge Mann seufzte.

Die Bannstrahlerin verzog kurz einen Mundwinkel. "Aber eine so große Anlage unter der Erde? Wozu?" Für sie war es unvorstellbar, warum Menschen sich Keller graben, als würden sie Praios´ Antlitz scheuen. Ja, zur Vorratshaltung, aufgrund der gleichbleibenden Temperaturen, oder einen Kerker, weil dieser auf jeden Fall leichter zu verteidigen und zu überwachen wäre. Das verstand sie, aber ein Siechenhaus ... sie sah den Baronsgemahl weiterhin skeptisch an. Es war ihr nicht bekannt, dass die Bosparaner in ihrer Prunksucht im großen Stil unter der Erde bauten.

Nun zuckte er mit der Schulter. “Ich stelle nur Vermutungen an. Alt-bosparanische Baukunst war bei mir nicht im Lehrplan. Ich habe die Hohe Schriftkunst und Kalligraphie erlernt. Vielleicht finden wir Inschriften, die könnten mir vielleicht mehr sagen.” Nun warf er ihr ein Lächeln zu. Dann deutete er auf eine Kammer. “Ich glaube dort drüben haben sie die Überreste einer Familie gefunden.”

Die Bannstrahlerin nickte ihm wortlos zu und erhob sich. Nachdem sie ihren Ornat abgestaubt hatte, näherte sich eine bekannte Stimme.

"Ich werde mit Euch gehen, Euer Gnaden ...", es war die eifrige Gwynna, die die Unterhaltung der Beiden wohl belauscht hatte. "Linnart ... äh ... der Bannerführer hat es gesagt. Niemals alleine." Sie nickte um ihre Worte zu unterstreichen.

Erst runzelte Praida die Stirn - vor allem die vertraute Anrede ihres Befehlshabers störte sie. Die Halbergerin wusste, dass die eine oder andere Schwester im Orden den Traurigsteiner Ritter anhimmelte und dass er auch schon zur einen oder anderen Liebschaften unterhielt. Einer, Aurea, hatte er sich vor Jahren im Geheimen angeblich sogar versprochen, bis deren Großvater der Sache einen Riegel vorschob. Sie hoffte, dass nun, da Linnarts Hochzeit bevorstand, ruhigere Zeiten anbrechen würden.

Gwynna schenkte sie ein Nicken, bevor sich Praida wieder dem Altenberger zuwandte. "Gehen wir. Wurden diese Räume eigentlich von den Geweihten gereinigt?"

Elvan nickte wortlos und ließ der Geweihten und der Schildmaid den Vortritt. Zu sehr wurde ihm der Respekt vor Gottesdienern anerzogen. Das er nun selbst zu einer Autoritätsperson gehörte, vergaß er noch oft.

Die kleine Gruppe nährten sich einen Raum, der groß aber leer wirkte. Nur einige Lumpen lagen verteilt, sowie das ein oder andere Kinderspielzeug.

Gwynna und Praida gingen interessiert durch den Raum. “Dieses Zeug hier …”, war es die Schildmaid, die das Schweigen brach, “... warum liegt das hier noch? Man sollte es dem reinigenden Feuer übergeben.”

Elvan zuckte kurz mit der Schulter. “Ich glaub ihr habt recht, sicher ist sicher”, bestätigte er die Kriegerin. Ein rauschendes Geräusch hinter ihnen ließ den Baron aufhorchen. Was war das?

Beide Frauen griffen simultan zu ihren Schwertern und sahen sich aufmerksam um. "Was ist das für ein Rauschen?", fragte Gwynna flüsternd.

"Sssshhh ...", zischte Praida daraufhin und sah sich weiter um.


Kapitel 4 - Rattenangriff -->