Im Rattennest Vor Der Baronin

<-- Kapitel 1 - Die Ankunft


Kapitel 2 - Vor der Baronin

Die Burg Herzogenfurt war einer der Größeren der Nordmarken und ein jeder war sich gewiss, dass es hier viel zu wenige Menschen gab, um diesen Ort mit Leben zu füllen. Genau wie die ´Stadt´ selbst. Mit ihren knapp 450 Einwohnern war es eher ein Dorf, doch der große Burgberg und die viel zu große Stadtmauer erzählte einem Kundigen, dass hier einstmals ein viel größer Ort gelegen haben mag. Das Haupthaus in letzterem Hof erstreckte sich hoch und mächtig in ihren steinernen Wänden auf, gekrönt von einem fachwerklichen Aufbau. Das Innere spiegelte noch immer den Lebensstil der vorherigen Baronin Selinde da. Die alte Rondrianerin, eine glühende Verehrerin des heiligen Hlûthar, mochte es militärisch, rondrianisch.

Der Versuch der neuen, jüngeren Baronin es farbenfroher und blumenreicher zu gestalten, wirkte noch immer wie dieser: ein Versuch. Zumindest war es ihr gelungen, den Thronsaal von sämtlichen Erinnerungen der Vorgängerin zu tilgen. Kaum betraten die Besucher diesen großen und hohen Raum, empfing sie ein zarter Duft von Blumen und das Antlitz einer tsagefälligen Stoffpracht. Keine einzige Waffe oder Rüstung war zu sehen, die Wände wurden von bunten Vorhängen, von dunklen zu hellen Farben, geziert. Am Kopfende des Saals stand ein alter, floralverzierter Thron aus Ulmenholz, darüber hing das Wappen der Herrscherin. Auf goldenem Grund ein aufrecht stehender, roter Eber: das Geschlecht derer von Schweinsfold! Doch war der Thron unbesetzt, denn die einzigen Menschen im Saal waren an dem vorgelagerten, langen Speisetisch versammelt. Sieben Leute, alle für Linnart bekannte Gesichter, saßen dort und einige Bedienstete hielten sich im Hintergrund.

Die Erste, die beim Betreten der Bannstrahler sich erhob, war die junge Baronin. Ihr flauschiger Nuala Kater sprang dabei von ihrem Schoß und flüchtete sich ans andere Ende, unter einer grünen Stofflage. Selinde die Zweite war eine natürliche Schönheit, die ihr Gesicht nur mit einem feinen Lidstrich, unter ihren hellblauen Augen, betonte. Sie trug ein leichtes, dunkelgrünes Kleid aus Samt mit Goldborten, die ihren zierlichen, doch athletischen Körper betonte. Das rotblonde, wellige Haar war offen und schulterlang und bis auf die florale, silberne Baronskrone und einen Siegelring trug sie keinen Schmuck. Zu ihrer Linken saß der Schreiber Elvan von Altenberg, jetziger Baronsgemahl. Beide waren Anfang ihrer Zwanziger, doch wirke Selinde reifer. Der Altenberger war in einem teuren Wams aus blauem Wildleder und Samt gekleidet. Sein feiner brauner Bart war frisch gestutzt und sein leicht unsicherer Blick aus seinen blauen Augen, begrüßte die Bannstrahler.

Die Vögtin Alrike stand rechts neben ihr und hatte wie gewohnt ihren unzufriedenen Gesichtsausdruck. Die reife Erste Hofdame, Gezelda von Ulmentor, schenkte gerade den ältesten Gast der Baronin ein Becher Wein nach. Dieser war Mutter Elva aus dem herzogenfurter Traviatempel, die ihre 90 Sommer schon überschritten hatte, doch wirkte die Greisin noch immer körperlich beisammen und ihr Blick verriet einen wachen Verstand. Dem Mütterchen gegenüber saß der breitschultrige und gutaussehende Stadtvogt Joram von Sturmfels. Der Sturmfelser legte ein Lächeln auf und blickte ebenfalls erwartungsvoll. Der Letzte an der Tafel, war der hagere Hüter des Raben, Karolan von Henjasburg. Blass und glatzköpfig, saß er neben der Traviageweihten und wirkte leicht abwesend.

Es war nicht das erste Mal, dass Linnart vom Traurigen Stein innerhalb der Mauern dieser sehr schönen und repräsentativen Burg weilte. Vor einigen Monden nächtigte er nach der Brautschau für zwei Nächte als Gast der Baronin mit seiner Zukünftigen innerhalb dieser Gemäuer. Genau dies führte auch dazu, dass der Traurigsteiner alle der am Tisch versammelten Personen mehr oder weniger gut kannte. Es war dem jungen Bannstrahler klar, dass genau das auch der Grund dafür war warum er das Kommando über die Operation bekommen hatte. Genau genommen war er mit seinen 23 Sommern dazu nicht geeignet, obwohl er bereits längere Zeit in Beilunk gedient hatte. Der Orden, in Person seines Großonkels, schien hier in Herzogenfurt einen vorsichtigeren Ansatz zu wählen. Zuviel Porzellan schien zwischen der Kirche des Gleißenden und der Baronie zerschlagen, weshalb der wohl charismatischste und auch ortskundigste der Ritter als Bannerführer geschickt wurde und für die Gemeinschaft des Lichts und den Orden sprechen sollte. Insgeheim erwartete man sich natürlich auch eine Besserung des Verhältnisses und den Wiederaufbau des Tempels in Herzogenfurt, um darüber wieder Einfluss über die Schweinsfolder Lande zu erhalten, doch war dies Zukunftsmusik. Für den Moment gab es einer namenlosen Bedrohung entgegen zu treten.

Die beiden Bannstrahler, die vor Selinde traten, waren fein säuberlich adjustiert. Linnart trug ein langes Kettenhemd mit vergoldeter erster Gliederreihe unter einem blütenweißen Wappenrock mit goldenen Säumen. Ergänzt wurde diese Tracht, durch leichte Plattenteile an den Schultern. Gerade diese waren kunstvoll verziert, erkannte man darauf jeweils eine ziselierte flammende Sonne, in dessen Zentrum ein Bernstein eingelassen war. Der Schwertgürtel war mit goldenen Greifen- und Sonnensymbolen verziert und das Schwert an seiner Seite bestacht durch vergoldete Parierstangen und einen Knauf, der in Form eines Adler - oder Greifenhaupts nachgebildet war. Auf seiner Brust baumelte das geweihte Sonnenamulett. Der Ritter hatte sich auch äußerlich frisch gemacht. Die hinterschnittene Frisur mit den rasierten Seiten und Hinterkopf lag ordentlich, der gepflegt gestutzte Vollbart war sauber und vom Eis entfernt und es umgab ihn eine liebliche Wolke von Sandelholzduft.

Die junge Frau an seiner Seite war ebenso in ein langes Kettenhemd mit vergoldeter Gliederreihe und den weißen Wappenrock gewandet. Auch sie trug ein Schwert an der Seite und ein Amulett um den Hals, doch war ihr Ornat sonst weniger aufwendig verziert. Dennoch schaffte auch sie es die Autorität und den Reichtum der Kirche des Götterfürsten auszustrahlen. Die blondhaarige Frau blickte sich interessiert, aber mit regungslosem Gesicht unter den Anwesenden um.

“Herzlich willkommen, Linnart vom Traurigen Stein … Praios zum Gruße!” sagte Selinde freundlich und als erste. Dann deutete sie auf die Tafel. “Schon vor euren kommen, wart ihr bereits Seele dieser Tafel!” Erst jetzt erkannte der Bannstrahler die vier, entkorkten Weinflaschen aus seiner Familien Kelterei.

"Praios und Travia zum Gruße, Hochgeboren", der junge Bannstrahler nickte erst der Baronin grüßend zu und bedachte dann jeden einzelnen der Anwesenden mit einem Blick aus seinen markanten eisblauen Augen. Beim dann folgenden Blick auf den Wein schlich sich ein freundliches Lächeln über seine Züge: "Ich hoffe der Wein mundet Euch. Es freut mich sehr, dass Ihr eine Kundin unserer Familie geworden seid, doch ist mein gegenwärtiges Anliegen leider ein anderes." Er wies auf die Frau neben ihm, die wieder eine lederne Rolle in ihren Händen hielt. "Ihre Gnaden von Halberg und ich wurden vom Illuminatus von Elenvina hierher entsandt. Es wurden uns ...", Linnart räusperte sich und blickte sich noch einmal unter den Anwesenden um, "... namenlose Umtriebe und besorgniserregende Funde gemeldet." Der Traurigsteiner wollte vorerst nicht weiter ausführen, sondern wartete erst eine Reaktion oder eine etwaige Einladung an die Tafel ab.

Selinde nickte verständig und wies mit einer Handgeste auf die leeren Plätze. “Seid so frei und nehmt Platz an meiner Tafel und lässt hören was ihr zu sagen habt. Und mich würde natürlich interessieren wer noch mein Gast ist. Aber seid gewiss, wir waren in Herzogenfurt nicht ganz untätig.” Dann setzte sie sich hin.

Linnart wartete bis Praida Platz genommen hatte und setzte sich dann an ihre Seite. Mit einer einfachen Handgeste bedeutete der Ritter seiner Begleiterin der Aufforderung der Baronin nachzukommen. Währenddessen ließ er sich die lederne Rolle geben.

"Praida Innocenta von Halberg, Hochgeboren …", begann sie monoton und distanziert, "... Tochter des Adelhelm von Halberg und der Gwynna von Schwarzenfels. Wie meine beiden Elternteile bin ich Geweihte des Götterfürsten im Orden vom Bannstrahl … und zukünftige Junkerin von Gennshof in der Rommilyser Mark." Eine beschwichtigende Geste Linnarts ließ sie in ihrer übergenauen Ausführung stoppen.
"Danke, Praida", befand der Traurigsteiner, dass der Form genüge getan war. Inzwischen hatte er die Papiere aus der Rolle geholt und vor sich aufgebreitet. Anders als die junge Geweihte wirkte der Ritter zugänglich und charmant. "Der Zeuge Rahjaman vom Traurigen Stein hat ausgesagt, dass sich in den Katakomben unterhalb der … Ruine … des Praiostempels ein Hort des Namenlosen verbirgt. Er hat ausgesagt, dass städtische Ämter von Kultisten unterwandert waren und auch eine Geweihte der gütigen Mutter ein Rattenkind war." Linnart kramte in den Dokumenten. "Familien Sebelteich und Hintersass wurde genannt. Lichthild Hintersass, die besagte Geweihte, ist vom Zeugen und seinen Gefährten neutralisiert worden. Ihr … äh … Bruder Sonnwart, genannt Sonny, ist flüchtig und wohl ebenfalls ein Rattenkind." Der Bannstrahler bedachte Praida mit einem Seitenblick.

"Es wurde ein Artefakt nach Elenvina gebracht …", nahm diese den Ball auf, "... ein gefährliches Artefakt. Dazu lästerliche Aufzeichnungen, aus welchen hervorgeht, dass es noch drei andere, ähnliche Artefakte gibt. Die Gefahr ist also alles andere als gebannt."

Der Bannerführer nickte bestätigend. "Ihr meintet, Ihr wärt nicht untätig geblieben. Das ist erfreulich. Könntet Ihr uns bitte auf den letzten Stand bringen?"

Selinde nickte schaute dann aber zu ihrer Vögtin. Alrike zog eine Augenbraue hoch und faltete dann ihrer Hände. “Wie euch der genannte Rahjaman vom Traurigen Stein wahrscheinlich berichtet hatte, gab es an demselben Abend eine Explosion in der Herberge ´Zum Herzog´, die ein Feuer nach sich zog. Die Betroffenen wartete bis zum nächsten Tag darauf, die Baronin zu informieren. Besagte Artefakte und Gegenstände hatten da schon Herzogenfurt in den Händen von zwei Geweihten verlassen. Wir haben umgehend die Ruine und einen Brunnen sperren lassen. Das Gebot besteht bis heute. Unsere Geweihten und der Stadtvogt sind die Brutstätte des Bösen begutachten gegangen. Gerade heute sind wir zusammengekommen, um zu beraten, wie wir weiter vorgehen.”, berichtete sie trocken.

Der Traurigsteiner nickte der Vögtin zu. "Ihr habt richtig gehandelt und ich hoffe Ihr versteht unser Auftauchen nicht als Kritik an Eurem Verhalten ...", er schüttelte sein Haupt, "... wir sind hier um Euch die helfende Hand der Gemeinschaft des Lichts zu reichen. Euch als Adel und Verantwortungsträger, genauso wie den Bürgern der Stadt und den Menschen der Baronie. Es wäre verantwortungslos gewesen hättet Ihr unvorbereitete Männer und Frauen in das Rattennest geschickt, dafür sind wir jetzt da. Eine vorläufige Abriegelung war das Richtige." Der Blick des Bannstrahlers suchte jenen des Stadtvogts.

Bevor Joram von Sturmfels zu Worte kam, hob die greise Traviageweihte die Hand. “Ich weiß, dass dieses Thema alles Überschattet, doch möchte ich gerade in diesen Zeiten an den guten Anstand erinnern.” Mutter Elva lenkte ihren Blick zu Linnart. “Linnart, wollt ihr den eure zukünftige Großmutter nicht begrüßen? Oder ist es bei den Linnartsteinern üblich, sich für ihr Alten zu schämen?” Prüfend schaute sie ihn an.

Auf Linnarts Lippen zeigte sich der Anflug eines Lächelns, während eine von Praidas Augenbrauen irritiert nach oben schnellte. "Natürlich nicht, Großmutter ...", meinte der großgewachsene Bannstrahler immer noch lächelnd, "... es freut mich sehr Euch hier anzutreffen. Travia zum Gruße. Ich hätte Euch während meines Aufenthalts hier in Herzogenfurt noch meine Aufwartung im Tempel gemacht ..."

Mit einem Räuspern rief die junge Halbergerin an seiner Seite die Aufmerksamkeit auf sich. "Ja, Ihr werdet dann noch genug Zeit für diese ... Familienzusammenführung haben ... für den Moment würde mich interessieren ob Ihr seit dem Fund irgendwelche Beobachtungen in der Stadt gemacht habt, die auf eine erhöhte Aktivität des Kults schließen lässt? Habt Ihr das Umfeld der Verdächtigen befragt?" Ihr fragender Blick ging zwischen Selinde und dem Stadtvogt hin und her.
Auch wenn Elva eine Geweihte der gütigen Mutter war, war der Blick den Praida traf, dem eines Inquisitors würdig. “Ich und seiner Hochwürden Karolan, waren unten an dem Ort der Ketzerei. Doch ein guter Teil ist dort bei einem Beben verschüttet worden. Wir haben dort die unheiligen steinernen Figuren mit geweihten Tüchern abdecken lassen. Bis auf den flüchtigen Gärtner haben wir keine weiteren ´Aktivitäten´ bemerkt.”

Dann nickte sie dem Boroni zu. Der hagere Mann hatte eine überraschend tiefe Stimme. “Den Kopf dieses namenlosen Kults, besagter Narebwulf Hintersass, wurde niedergestreckt aufgefunden, genauso wie die Überreste von 8 Menschen. Bei die Verstorbenen handelt es sich wahrscheinlich um die Familie Sebelteich, die während des Brandes des Praiostempels im Jahre 1024 BF verschwanden. Alle Körper sind ordentlich aufgebahrt und in einer dortigen Kammer borongefällig eingesegnet und versiegelt. Der Verbleib Schwester Lichthilds bleibt ungeklärt. Wir können nur nach Aussagen der Überlebenden gehen. Die besagte Höhle liegt verschüttet.” Den einzigen Zeugen, den zungenlose Arik, erwähnte er nicht. Das Wissen, das dieser in der Obhut des Raben war, genügte Karolan.

Als der Boroni geendet hatte und eine unangenehme Stille entstand, ergriff nun endlich der Stadtvogt das Wort. Der blonde Hüne wirkte wesentlich entspannter, als die restlichen Gäste am Tisch. “Unverhofft stießen wir auf eine alte Tempelanlage unter der Ruine. Obwohl, es gibt immer mal wieder Funde von älteren Gemäuern in Herzogenfurt. Doch diese war sehr gut erhalten und verbanden eine weitere Wohnanlage. Der Herr vom Traurigen Stein und seine Gemahlin, der Herr Herrenfels und Bruder Rahjel berichteten von einer Höhle voller Pflanzen und von einer ´Thermenanlage. Diese konnten wir nicht besichtigen, denn es gab ein Beben. Die Zugänge von dem besagten Brunnen und dem Weinkeller sind von der Verschüttung betroffen. Den Gärtner, Sonnward Hintersass, habe ich suchen lassen und dann später steckbrieflich. Es gibt noch einige Individuen, die ich in den Augenschein nehme. Wie es scheint hat der Stadtrichter einige zwielichtige Gefangene laufen lassen in den letzten Monden.” Joram griff zu einem Kelch und nahm einen Schluck.

Die junge Frau begegnete dem Blick der Alten ausdruckslos. Ebenso maß sie in weiterer Folge auch den Hochgeweihten des Boron und den Stadtmeister. Als Letzterer geendet hatte, sprach sie weiter: "Ihr solltet dennoch große Vorsicht walten lassen. Diese Kulte sind oft kopfstärker als angenommen und meistens durchsetzen sie alle Schichten der Bevölkerung ...", Praida schob ihre Augenbrauen hoch und ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen, "... den Adel ... die Kirchen ... städtische Würdenträger. Ihr habt es in Person des Richters und bei Lichthild Hintersass selbst gesehen."

Auch Linnart schaltete sich wieder in die Diskussion ein. "Diese zwielichtigen Gestalten, die der Richter hat laufen lassen ... wofür saßen die ein? Waren sie städtische Bürger? Habt Ihr Euch deren Umfeld angesehen?" Die wachen Augen des Ritters schweiften über die Anwesenden. "Und wer würde uns morgen die Katakomben zeigen?"

“Das ist uns bewusst und unsere Augen und Ohren sind offen”, antwortete die Vögtin.

Joram räusperte sich. “Tatsächlich waren es stadtfremde Leute … die Letztere eine fahrende Händlerin. Sie wurde des Diebstahls an einem Schrein bezichtigt.”

Überraschenderweise mischte sich die Traviageweihte ein. “Afra. Afra Korber heißt sie. Die hat schon ihr ganzes Leben lang Dreck am Stecken.”, brummte sie vor sich hin.

Doch bevor weitere Fragen beantwortet werden konnte, stand die Erste Hofdame Gezelda zwischen den Bannstrahlern. Die gutaussehende Frau mit dem fessellangen, braunen Haar hatte die 50 schon überschritten, doch wirkte sie jünger. Sie goss Linnart Wein in den Kelch nach und kam ihn körperlich sehr nahe. Gezelda roch nach wilde Sommerblüten und der Blick dem sie ihm zuwarf, ließ ihn erahnen, was für eine reife Leidenschaft sie ihm zu bieten hätte.
Der Bannerführer ließ sich kurz davon ablenken, schloss seine Augen und atmete den Duft der reifen Frau ein. Mit einem freundlichen Lächeln dankte er Gezelda, während Praida der Hofdame keine Beachtung schenkte. Den Namen ´Afra Korber´ hatte Linnart nach der Brautschau vernommen. Das war doch die alte Frau, die seine Ringe aus der Opferschale stahl. Die Worte der Baronin rissen ihn aus seinen Gedanken.

“Der Stadtvogt und … mein Gemahl werden euch die Katakomben morgen zeigen”, sagte die Baronin frei heraus. Beide Köpfe der Angesprochenen fuhren zu ihr herum. War Elvans Blick ein erschrockener, so war der Jorams ein ungläubiger.

“Aber, euer Hochgeboren …”, setzte der Sturmfelser an. Selinde hob allerdings nur ihre Hand. “Joram. Die Jugend sollten kein Hindernis sein für meinem Gemahl um unser Haus zu repräsentieren. Ihre Gnaden Halberg und seiner Wohlgeboren vom Traurigen Stein sind im selben Alter.” Dann strich sie über den jungen Barons Wange. “Zeige den Diener des Götterfürsten alles was sie sehen wollen”, gurrte sie ihm entgegen.

Elvan atmete tief durch und schaute dann selbstbewußt zu den Bannstrahlern. “Ich werde morgen mit dem Stadtvogt euch alles zeigen”, wiederholte er die Worte seiner Gemahlin.

Linnart nickte dem jungen Elvan zufrieden zu. Der Altenberger gehörte, als Cousin seiner Zukünftigen, ja eigentlich auch fast zur Familie ... so wie im Übrigen auch Praida, die immerhin Linnarts Tante zweiten Grades war. Ein seltsames Bild, war die Geweihte doch sogar jünger als der Ritter. "Ihr könnt unbesorgt sein ...", meinte der Traurigsteiner dann, obwohl dabei nicht klar war ob diese Worte der Baronin oder ihrem Gemahl galten, "... wir haben zweimal 10 Kriegerinnen und Krieger des Ordens vom Bannstrahl an unserer Seite, darunter auch zwei Geweihte. Eine jede und ein jeder ist im Umgang mit diesen Situationen und Gegnern erfahren und sie alle sind bereit ihr Leben für den Glauben und die Rechtgläubigen zu geben." Linnart hob seine Brauen und nippte an seinem Kelch. Neben ihm musterte Praida den jungen Baron abschätzig. Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie der Meinung war, er habe dort unten nichts verloren.

"Der Tempel ...", warf die Halbergerin ein und Linnart, der bei weitem nicht so ein Meister über seine Gesichtszüge zu sein schien wie seine Glaubensschwester neben ihm, verzog kurz einen Mundwinkel, "... wie kam es, dass dieser für so lange Zeit verwaist als Ruine inmitten der Stadt stand. Die Präsenz des Gleißenden in Herzogenfurt hätte dem Kult des Rattenkindes Einhalt bieten können."

Ein ratloser Blick schlich sich in die Augen der Baronin, gleichzeitig strafften sich die Vögtin, der Stadtvogt … ja, und Mutter Elva und atmete fast betrübt aus. Etwas, das Linnart nicht entging. “Nun, damals gab es ein Abkommen mit seiner Eminenz Pagol Greifax und meiner Mutter, Baronin Selinde von Herzogenfurt-Schweinsfold, die Sache erstmals eine Weile ruhen zu lassen.” Fast unangenehm presste sie diese Worte hervor. “Ich nehme an, darüber wurdet ihr … nicht informiert. Die Geweihtenschaft des Götterfürsten war selbst in diese … Vorfälle involviert, die mit besagtem Brand geendet haben. Nun, die Baronin hat die Ruine sperren lassen und uns durch eine lange Zeit des Friedens geführt.” Dass während dieser Verhandlungen mit dem Greifax ein Lehn an den führenden Bannstrahler fiel, um die Praioten langfristig aus dem Land zu halten, ließ sie natürlich aus.

Dann ergriff Elva wieder das Wort. “Den Götter sei Dank sind es Zwölf und nicht nur Einer, die mit ihrer Präsenz dem Rattenkind Einhalt bieten können. Der Gedanke den Tempel wieder seinem alten Zweck, eine Kultstätte der Zwölfe zu werden, wurde bereits ausgesprochen von unserer Baronin.” Der Blick blieb wieder an der Praiosgeweihten hängen.

Die junge Praiosgeweihte rümpfte ihre Nase. "Nun, dass dieser Frieden nur oberflächlicher Natur war zeigt das, was sich unter der Stadt offenbart hat. Wie sagte die Vögtin zuvor; nichts ist so wie es scheinen mag", meinte sie trocken. "Und wenn Ihr von einer Kultstätte der Zwölf sprecht, meint Ihr einen Tempel aller Zwölfgötter, oder wollt Ihr die Ruine einem anderen der Zwölf weihen?" Ihrer Erregung geschuldet, nahmen die Wangen der jungen Frau einen leichten Rotton an.

"Es reicht, Schwester", schob Linnart dem Ausbruch der Halbergerin einen Riegel vor. In ruhigem, aber bestimmten Ton. Der Orden war hier um seine helfende Hand zu reichen und nicht um die so schon angespannte Situation zwischen Kirche und der Baronie weiter zu eskalieren. "Das sind Fragen, die unsere Zuständigkeit übersteigen. Unser Auftrag ist ein anderer." Praidas Kiefer mahlten, doch fügte sie sich der Anweisung ihres Vorgesetzten. "Wichtig ist, dass wir das Unheiligtum unschädlich machen und bei der Jagd nach den Kultisten unterstützen." Der Blick des Bannerführers ging zwischen Selinde, Alrike und Joram hin und her. "In diesem Sinne wurde mir die Vollmacht von Kirche und Orden erteilt, dass eine Hand Ordenskrieger, zusammen mit ihrer Gnaden ...", er wies auf Praida neben sich, "... solange hier in der Stadt bleiben soll, bis das Nest vollständig ausgehoben und die Angehörigen dieser schändlichen Gemeinschaft ihrer gerechten Strafe zugeführt wurden."

“So seid uns willkommen, bis alle Unklarheiten bereinigt sind.” sagte Selinde freundlich.

Noch immer keine erkennbare Freundlichkeit in der Stimme erkennen lassen, sprach die Vögtin weiter. “Eure Leute können im Gästetrakt der Burg bleiben, bis eure Mission beendet ist. Wir werden euch alles zur Verfügung stellen, damit ihr morgen die Unheilsstelle betrachten könnt. Mögen die Götter Herzogenfurt wieder eine Heimat des Friedens werden lassen.“ Damit setzte sie sich nun auch an den Tisch.

Der Ordensritter nickte Vögtin und Baronin zu und beiden konnten darin einen Hauch ehrliche Dankbarkeit erkennen. Er hob sein Trinkgefäß und prostete den Anwesenden zu. Die beiden jungen Bannstrahler wirkten generell gegensätzlich wie Feuer und Eis. Auf der einen Seite der charmant auftretende Ritter und auf der anderen Seite die feurige Geweihte, die nach außen hin stoisch wirkte, doch unter deren statuenhaften Oberfläche es nicht erst seit Linnarts Maßregelung brodelte.


Kapitel 3 - Im Rattennest -->