Hort Der Bestie

Der Hort der Bestie der immerwährenden Dunkelheit

Ort: Senalosch in den Vogteien Nilsitz

Zeit: Rondra 1042 BF

Personen: Die Korgeweihten Radomir von Tandosch und Metenax Einhand sowie Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin und Ihre Gnaden Marbolieb. Und andere.

Eine Briefspielgeschichte von RadoMir, Besuch in Storchengarten und IseWeine.

Inhalt: Im Rondra 1042 wird der Kor-Tempel zu Senalosch auf eine sehr einprägsame Art und Weise geweiht. (Dokument hängt an).

Rondras Willkommensgruss

Vogtei Nilsitz, Stadt Senalosch - Tor nach Isnatosch, im Rondra 1042 BF

Es war ein schwüler Sommerabend des Jahres 1042 nach dem Fall der Hunderttürmigen, als Radomir von Tandosch mit einer kleinen Abordnung seiner Tempelwachen vor den Mauern Senaloschs eintraf und sie von den Pferden stiegen, um der Torwache entgegenzutreten. Über den Bergen, die im Licht des untergehenden Praiosmales im rötlichen Schein zu glänzen schienen, hingen dunkle Wolken, aus denen hin und wieder ein Blitz zu den Gipfeln des Eisenwaldes hinab zuckte. Ein tiefes Grollen aus Richtung Praios in den Pausen verriet, dass das mit dem Gewitter einhergehende Unwetter wohl noch auf der anderen Seite des Gebirges, in Almada, tobte. Wie lange es noch dauern würde, bis auch das Hochplateau des Isenhag erreicht wäre, konnte niemand sagen. Im Gebirge wechselte das Wetter schnell seine Launen. Vor dem Tor standen zwei Zwerge in typischen Rüstungen für das kleine Volk. Sie trugen lange, glänzende Kettenhemden, die ihnen bis knapp über die Knie reichten, dazu eine passende Haube und Hosen, welche in schweren, genagelten Schnürstiefeln steckten. Der moosgrüne Wappenrock mit dem goldenen, springenden Bock wies sie als Mitglieder der Stadtgarde aus. Beide trugen Spieße in Händen, als sie den Reisenden entgegentraten, die zu diesem Zeitpunkt die einzigen waren, die das Tor passieren wollten. “Angrosch zum Gruße Fremde. Ihr erreicht die Stadt gerade rechtzeitig vor dem Unwetter. Ich bin Roglamox, der Sohn des Roxschor und begrüße euch im Namen des Rogmarog von Isnatosch und des Vogtes Borindarax, Sohn des Barbaxosch in Senalosch. Was ist euer Begehr?” Der scheinbar noch recht junge Angroscho, welcher Radomir ansprach, trug verschlungene Tätowierungen im Gesicht und einen breiten Metallring um den Hals. Sein brauner Bart war zu einem einzelnen, dicken Zopf verflochten und lag auf seiner Brust. „Kor zum Gruß, Roglamox, Sohn des Roxschor. Ich bin Radomir von Tandosch, Geweihter dessen, der lachend über das Schlachtfeld schreitet. Meine Begleitung und ich erbitten Einlass auf Einladung von Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin. Wir sind hier, den neuen Tempel zu weihen.“ Mit den letzten Worten des Geweihten schoss ein Blitz über den Himmel, welcher die Szene in gleißendes Licht tauchte und zeitgleich erklang ein Donnerschlag, der schmetternd von den Berghängen widerhallte.
Radomir stand vor dem Zwerg, seine Adjutantin schräg hinter ihm. Der Wind spielte an seinem roten, arg mitgenommenen Umhang und der Regen begann in großen, schweren Tropfen zu fallen, von denen die ersten auf den Plattenschultern des Geweihten trommelten.
Der Zwerg nickte stumm, nahm ein Horn, welches bisher an einer Lederschlaufe um seinen Oberkörper gebunden war und an seiner Seite hing, in die Hand und blies hinein. Weit trug die rasche Abfolge tiefer Töne und bildeten einen Kontrast zum immer weiter anschwellenden Unwetter. “Man hat euch bereits angekündigt. Wartet bitte hinter dem Tor. Ihr werden abgeholt und in die Stadt geleitet.” Mit diesen Worten, bei denen Radomir auffiel, dass der Angroscho einen bedeutend geringeren Akzent hatte, als er es von Angehörigen des kleinen Volkes kannte, gaben die beide Zwerge den Weg frei. Sodann passierte die Tandoscher Delegation die dicken, trutzigen Mauern Senaloschs, welche sich rechts und links der Türme bis hin zu den begrenzenden Berghängen des Eisenwaldmassivs in einem Halbkreis erstreckten. Das Tor selbst war aus massiver Steineiche. Seine Flügel wurden über eine Hängekonstruktion und Schienen seitlich in die Mauer verschoben und konnten bei Bedarf abgesenkt und mit Sperrriegeln gesichert werden. Danach ging es über eine riesige Metallplatte weiter, welche man zwangsweise überqueren musste, wenn man nach Senalosch hineinwollte. Nach den hallenden Geräuschen zu urteilen, die die Gruppe verursachte, als ihre Pferde drüber hinwegschritten, lag unter ihr eine geräumige Fallgrube. Rechts und links des sich anschließenden, gepflasterten Weges waren dicke Schienen in den Boden eingelassen, auf denen die metallische Abdeckung mit Hilfe von Ketten und Flaschenzügen gezogen werden konnte. Allem Anschein nach legten die Zwerge großen Wert auf ihre Sicherheit.

Radomir blickte auf, als sie den Platz hinter dem sogenannten Isenhager Tor erreicht hatten. Hoch über Senalosch, in der Bergflanke in die die Stadt zum Teil errichtet war, lag das andere, das Widdertor, welches ins Bergkönigreich Eisenwald nach Isnatosch führte. Nicht weit davon entfernt stand ein rustikaler Steinbau, über dem zwei Fahnen im Wind flatterten.
Da war einmal das Wappen der Vogtei Nilsitz, wie sie es bereits bei den Wappenröcken der Stadtwachen gesehen hatten. Daneben jedoch prangten die schwarzen Hämmer vor rotem Achteck und wiesen die Stadt als Hauptstadt des Zwergenreiches aus. Mit einer beeindruckenden Kaskade aus sich auffächernder Blitzen und einem erneut gleichzeitigen, ohrenbetäubenden Donnerschlag überzeugte das Unwetter auch den letzten Zweifler, dass es in Richtung Firun zog. Der Wind wurde noch einmal stärker und auch der Regenfall nahm nun zu. Die wenigen Menschen und Zwerge, die die Besucher auf den gepflasterten Straßen sehen konnten, eilten nun jeweils einem der ausschließlich aus Stein errichteten Häuser entgegen, welche von ihrer Position aus zu sehen waren und die beiden Wachen mühten sich das Tor zu schließen.
Gerade als die ersten Sturmböen aus den Bergen herab ins Tal fielen, trat ein einzelner Angroscho zwischen den Häusern auf die Tandoscher zu. Recht groß für einen Zwergen, fast eineinhalb Schritt schätzte ihn Radomir, war er von stämmiger Statur, besaß rotblondes, wildes Haupthaar und einen ebensolchen Bart. Dieser jedoch war eher kurzgehalten und weit weniger beeindruckend als die metallische Armprothese, die sein linker Unterarm darstellte. Das künstliche Armglied war deutlich länger als das aus Fleisch und Knochen auf der anderen Seite und reichte bis zum Knie herab. Dort, wo die Hand sitzen sollte, war es abgeflacht und besaß ein breites Innengewinde. Gerüstet war der Zwerg in einen langen Kettenmantel. Der schwarze Wappenrock darüber trug ein weißes Achteck, in dem ein Mantikor über einer Lore dargestellt war - dies konnte nur Metenax ‚Einhand‘ sein, von dem der Oberst Radomir bereits berichtet hatte.
Tiefe Falten um die bernsteinfarbenen Augen lächelten den Tandoscher an, als sie voreinander standen. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie stolz ich bin, euch hier begrüßen zu dürfen“, begann der Angroscho mit tiefer, rauer Stimme. „Wie mir scheint hat die Sturmherrin ihre eigene Meinung zu unserem Vorhaben. Wie man das Unwetter interpretieren soll überlasse ich lieber den Rondrianern. Dort wo wir hingehen hört man den heftigsten Donnerschlag nur noch als weit entferntes Grollen. Glaubt mir, dies klingt weit weniger bedrohlich, als das Magenknurren des Oberst, den ihr ja nun bereits kennt.“ Metenax legte den Kopf in den Nacken und blickte in den finsteren Himmel. Hagel setzte ein, doch der Angroscho lachte.
„Ich bin der Meinung, dass ein Sohn nicht immer das tun muss, was die Mutter verlangt. Warum sollte das in den Kreisen der Götter anders sein? Metenax Einhand, die Ehre ist auf meiner Seite. Nicht viele von uns haben die Chance, IHM einen Tempel zu weihen.“ Er hielt dem Zwergen die Hand entgegen, welche dieser fest ergriff und schüttelte.
Der Hagel trommelte auf sie hernieder, was jedoch keiner von Ihnen wirklich zu merken schien. „Erlaubt mir, meine Begleitung vorzustellen, dies ist Assara ter Boven, meine Adjutantin und Novizin des Blutigen.“ Die junge Frau neigte bei der Vorstellung durch den Geweihten den Kopf und schlug die linke Faust auf ihren Brustkorb. „Und zum Schluss die beiden Söldner meiner Garde. Sie sind die beiden Dienstältesten meiner Einheit.“
Radomir deutete auf die Reitpferde und die beiden Packpferde. „Vielleicht sollten wir uns aufmachen, bevor wir noch nasser werden, werter Metenax. Und unsere Tiere brauchen Wasser und Futter. Im Laufe der nächsten zwei Tage kommt noch etwas aus Al’Anfa für mich hier an, bevor ich vergesse Euch das mitzuteilen.“ Bei diesen Worten spielte ein hintergründiges Lächeln um seine Lippen.
„Natürlich. Bitte folgt mir“, antwortete Metenax mit breitem Lächeln und schritt voran.
Der Zwerg führte die Tandoscher in Richtung Efferd, grob parallel zur Stadtmauer. „Der Tempel liegt unter Dunkelweg. Das ist der Teil Senaloschs, in dem die Lagerhäuser stehen. Von dort aus werden Isnatoschs Waren auf den oberirdischen Handelsrouten Richtung Eisenhütt oder Twergenhausen, oder gar noch weiter, transportiert. Die wichtigsten Routen liegen jedoch immer noch unter Tage, wie die nach Makamesch.“
Sie erreichten große Stallungen, in denen fast ausschließlich kleine, robuste Zwergenponys standen. Sicher vierzig Tiere mussten es sein. Aber auch zwei aufgebockte, große Schlitten mit Deichsel, die wohl mehrere Personen oder größere Lasten transportieren konnten, waren hier trocken untergestellt. Zwei menschliche Stallburschen kamen herbeigeeilt und nahmen den Reisenden dienstbeflissen ihre Pferde ab. Nachdem man sich noch davon überzeugt hatte, dass sie in einen geräumigen Verschlag Platz fanden, abgerieben wurden und Futter erhielten, ging man weiter.
Schließlich endete ihr Weg vor einer ummauerten Öffnung im Boden. Eine Treppe führte hinab. Von unten war tanzendes Fackellicht zu erkennen. „Es gibt vier Stiegen, die in die alte Clanhalle führen. Sie sind über ganz Dunkelweg verteilt. Wir nehmen diese. Bitte folgt mir.“
Metenax schritt die steilen Treppe herunter, deren Stufen kurz und jeweils nur eine Handbreit hoch waren. Nachdem man so etwas mehr als vier Schritt in die Tiefe geschritten war, erreichte die Gruppe einen grob in den Stein gehauenen Gang, der in den unterirdisch liegenden Komplex führte. Ein wirklich großer Mensch würde hier Schwierigkeiten haben zu stehen.
<br Wiederum schritt der Angroscho voran. „Ich habe einige Zimmer vorbereitet. Annehmlichkeiten dürft ihr aber nicht erwarten. Wir sind noch nicht ganz fertig mit dem Umbau. Nur der eigentliche Tempel ist vollendet.
Er ist zentral gelegen, bildet den Mittelpunkt des Komplexes. Ursprünglich war es die große Versammlungshalle der hier einstmals lebenden Sippe. Um das Allerheiligste herum befinden sich Wohnräume, Werkstätten und sonstige Kammern, die man über die Stiegen erreicht. Sie werden so eingerichtet, dass die Söldner, die mit den Handelszügen reisen, alle bequem hier unterkommen können. Bitte“, Metenax wies auf zwei massive, hölzerne Türen, die sich rechts und links des Ganges gegenüberlagen. „Legt ab und zieht euch trockene Sachen an. Ich hole euch in einem viertel Stundenglas ab und bringe euch in unsere Küche. Dort werdet ihr euch aufwärmen und eure Sachen trocknen können. Ich schicke einen Boten nach Isarnon - hoch zum Haus des Vogts. Der Oberst wird sich freuen, dass ihr da seid.“
„Und ich freue mich darauf, ihn wiederzusehen. Und bei einem guten Bier Euch näher kennenzulernen. Habt Dank, Bruder.“, sagte Radomir, der sich innerlich darauf freute, aus dem nassen Reisegewand zu kommen. Automatisch zog er den Kopf ein, den er sich bereits zweimal gestoßen hatte, als er durch die Tür ging. Mit einem stummen Befehl wies Assara den beiden Söldnern die rechte Kammer zu und folgte Radomir.

Die Räume, die die Tandoscher bezogen waren schmucklose Kellerräume mit grob behauenen Wänden. Einzig beim Flussboden hatte man sich etwas mehr Mühe gegeben. Zudem entsprach die Deckenhöhe mit fast zwei Schritt ein wenig mehr den menschlichen Bedürfnissen. Radomir konnte fast aufrecht stehen. Es roch leicht muffig. Die Luft war abgestanden, feucht. Es war frisch hier unten, aber nicht kalt.
Zwei aus Holz gedrechselte Betten befanden sich in jedem Zimmer, dazu jeweils am Fußende eine Kleidertruhe, ein Tisch samt zweier Stühle von rustikaler Machart. Eine Öllampe stand auf der Tischplatte und spendete gedämpftes Licht, dass wohl eher für die an Dunkelheit gewöhnten Augen der Zwerge ausreichend war. Radomir grinste. Metenax sollte recht behalten. Selbst da sie nur vielleicht vierzig Schritt in den Kellerkomplex vorgedrungen und vier Schritt unter der Erde waren, dass Donnern war hier unten nur ein leises, fernes Grollen.
Der tandoscher Geweihte öffnete sein Gepäck und entledigte sich der nassen Garderobe. Er trocknete sich ab und legte ein frisches Gewand an, ein einfaches schwarzes Hemd, schwarze Hosen und eine ärmellosen, mit dem Wappen von Tandosch und dem schwarzen Mantikor bestickten roten Mantel. Seine Adjutantin zog sich ebenfalls um, trug nun eine schwarze Lederhose, ein schwarzes Lederwams welches saß wie ihr auf den Leib geschneidert und ebenfalls mit dem Tandoscher Wappen und dem Mantikor bestickt war. Dazu einen roten Tuchgürtel, über dem sie ihr Wehrgehänge anlegte.
„Denkst Du, daß alles so wird wie es soll, Vater?“, fragte sie den Geweihten.
Radomir, der gerade seinen Gürtel schloss, sah sie an. „Das wird es. Du wirst sehen, dass ER es so fügen wird wie es vorgesehen ist. Wenn ER mein Opfer annimmt.“
*
Nach der zuvor genannten Zeit kam der zwergische Korgeweihte zurück und klopfte gegen beide Türen, um auf sich aufmerksam zu machen. Von ihren Quartieren aus gingen sie etwa weitere einhundert Schritt tiefer in die Kellergewölbe, bogen einmal ab und erreichten dann eine große Halle. Ein breites Portal führte sie acht Stufen hinab in den quadratischen Raum von geschätzten fünf auf zehn Schritt, bei komfortabler Deckenhöhe. Eine massive, längliche Tafel, die leider viel zu tief für menschliche Anatomie lag, dominierte den Raum. Darum standen diverse Lehnstühle.
An der gegenüberliegenden Seite der Halle befand sich eine Öffnung in der Wand, in der ein Kamin befand. Prasselndes Feuer verströmte Wärme, sorgte aber auch für eine trockene Luft.
„Setzt euch“, Metenax wies auf die Stühle an der Tafel. „Steckt einfach die Beine unter den Tisch aus, oder legt sie darauf ab.“ Der Zwerg zuckte mit den Schultern und lachte. „Wie es am angenehmsten für euch ist.
Zeitgleich trat ein weiterer Zwerg humpelnd durch einen Durchgang in einer der Längsseiten des Speisesaales. „Dies ist Andox, er hilft mir hier unten“, erklärte Metenax und der so vorgestellte Angroscho nickte mit freundlicher Miene in Richtung der Gäste. „Bring uns Bier bitte. Dwarosch wird auch bald hier sein. Was macht das Essen?“ „Gleich fertig“, antwortete Andox und humpelte zurück in den Raum hinter dem Durchgang, welcher wohl die Küche seien musste. Würziger Geruch kam aus dieser Richtung. Radomir nahm war, dass der vermeintliche Koch anstelle des rechen Unterschenkels ein Holzbein besaß. Dies war der Grund seiner zum Teil ungelenken Bewegungen. Metenax setzte sich selbst an den Kopf der Tafel und legte seinen Metallarm auf die Tischplatte ab. Erst jetzt sah der Tandoscher die Einkerbungen, die wie bei einem Klingenbrechen geformt waren, um Waffen zu blockieren, oder gar zu zerstören.
Radomir setzte sich und versuchte, seine Körperlänge kurz zu sortieren. Dann schaute er Metenax an. „Später müsst Ihr mir berichten, wie Ihr zu Eurem neuen Arm gekommen seid. Aber ich denke, vorher gibt es Wichtigeres zu besprechen.“
“Nun, die Geschichte ist schnell erzählt. Es geschah während des Chimärenangriffs auf Gareth, jenem Ereignis, dass ihr Menschen die Höllennacht nennt. Ich stand damals kurz vor meiner Weihe im Tempel des Mantikors der Metropole.
Das Monstrum dem ich mich irgendwann gegenüberstand hätte mich in Stücke gerissen, wenn ich ihr nicht meinen Arm hingehalten hätte. Es verbiss sich in meinem Fleisch, so dass ich seinen Kopf herunterziehen konnte. Das entblößt seine Schwachstelle, den Nacken - was seine Vernichtung bedeutete. Der Tempel erkannte mein Opfer als ausreichend an und ich wurde geweiht.” Metenax grinste. “Ich mag es dramatisch.”
Der Kleriker hob seine Prothese und blickte in die Runde. “Dieses Prachtstück wiederum verdanke ich einem reisenden Angrosch- Geweihten. Ich weiß nicht wie, aber das Metall verwuchs irgendwie mit meinem verbliebenen Knochenstumpf. Er meinte es wäre ein großes Wunder erforderlich gewesen, um dies zu vollbringen.” Metenax zuckte mit den Schultern. Ich denke damit lag er nicht falsch.”
Nachdem der Zwerg die Metallprothese wieder geräuschvoll wieder auf dem Tisch abgelegt hatte sah er seinen Glaubensbruder auffordernd an. „Was plant ihr also? Wollen wir anfangen bevor der Oberst hier ist?“
„Ich denke, mit den Plänen sollten wir warten bis Dwarosch zugegen ist.“ Der Geweihte schaute noch einmal auf den metallenen Arm, „ER hat Euer Opfer anerkannt und mit Angrosch zusammen Euren Arm erneuert.“
Radomir nahm einen Schluck Bier, als sein Magen laut und vernehmlich knurrte. „Kors Wille und Angroschs Beitrag“, erwiderte Metenax und hob seinerseits den Krug an die Lippen.
*
Nur wenig später wurde eine große Holzplatte mit Erdäpfeln und großen Fleischstücken in einer hellen Pilzsoße aufgetischt. Allein welchem Tier das Fleisch entnommen war, konnte sich Radomir beim besten Willen nicht vorstellen. Es war sehr zart und sein Geschmack ihm gänzlich unbekannt.
Bier hatte Andox da bereits zwei Mal nachgeschenkt. Es war etwas stark und auch zu herb für ein von Menschen gebrautes Bier, dennoch schmeckte es besser als das ansonsten nahezu ungenießbare, erzzwergische Gebräu.
„Das Essen ist hervorragend, Metenax. Nur ….“ Radomir grinste den zwergischen Geweihten an, „will ich wissen, von welchem Tier das Fleisch stammt.“ Der Zwerg lachte zunächst herzhaft, sichtlich amüsiert über die Frage. Seine Mimik verriet Radomir jedoch, dass er mit ihr gerechnet hatte. „Eine Delikatesse, die die meisten Menschen jedoch verschmähen, wenn sie im Vorhinein wissen, was es ist. Großer Schröter.“ Metenax ließ seine Antwort kurz im Raume stehen, bevor er fortfuhr. Radomir zeigte keinerlei Regung, und auch Assara hatte sich gut im Griff, auch wenn ihr Löffel auf dem ein großes Stück Fleisch lag kurz auf dem Weg zum Mund verharrte, bevor sie ihn entschlossen seinen Weg beenden ließ. Metenax grinste, als er es sah. „Im Isenhag gibt es ihn leider seltener, wie um das Ambossgebirge, meiner Heimat. Die Koscher Zwerge, so sehr ich ihre Lebensart missachte, wissen was schmeckt- sie haben dieses Gericht einst ersonnen.“
„Ich bleibe dabei, es ist ausgezeichnet. Ihr seid bestimmt in der Lage, mir das Rezept zu besorgen und zu erklären, wie man das Fleisch aus dem Käfer herausbekommt.“ Radomir grinste gemein bei dem Gedanken seinen Baron zum Essen einzuladen. „Sicher“, bestätigte der Angroscho. „Ihr werdet ja ein paar Tage bei uns verweilen. Andox wird euch da sicher weiterhelfen können.“
*
Als sich schwere Schritte dem Saal näherten, blickten die Versammelten zu dem Portal, durch das bereits auch die Tandoscher die Halle betreten hatten. Der Oberst der Eisenwalder trat in Begleitung eines weiteren Zwergen ein und breitete die Arme zur Begrüßung aus, noch bevor er Radomir erreicht hatte.
“So nehmen meine Träume Gestalt an. Radomir, dies ist ein Feiertag für mich. Lange reiften die Pläne, die nun zur Umsetzung kommen. Auch wenn mein Volk die Bedeutung dieses Tempels noch nicht zu werten vermag, so wird die Zukunft zeigen, dass wir hier, in diesen Tagen die Weichen richtiggestellt haben.” Radomir, der sich erhoben hatten, während Dwarosch gesprochen hatte, beugte sich ein Stück herab und wurde alsdann herzlichst umarmt.
„Dwarosch, Sohn des Dwalin, Oberst der Eisenwalder. Eure Pläne sind meine geworden und alle Pläne sind SEINE. Ich freue mich Euch zu sehen.“ Er erwiderte die freundschaftliche Umarmung und klopfte den Zwerg kräftig auf den Rücken. „Immer noch sprechen die Tandoscher in den Tavernen von unserem Kampf, und mein Herz freut sich an der Erinnerung.“
Der Oberst löste sich von dem Geweihten und trat einen Schritt zurück. „Auch ich erfreue mich oft an diesen Erinnerungen.“ Er nickte, während ein Ausdruck von tiefer Zufriedenheit seine Züge lächeln ließ.
„Ah, bevor wir weiter sprechen“, riss sich Dwarosch von den Bildern der Vergangenheit los, drehte sich sogleich ein Stück zur Seite und gab den Blick frei auf denjenigen, der ihn in den Saal gefolgt war. „Darf ich vorstellen, dies ist Borindarax, Sohn des Barbaxosch- ein enger Freund, Urenkel des Rogmarog von Isnatosch und gräflicher Vogt dieser Lande.“
Borindarax war jung, das erkannte Radomir, als er nun vor ihm stand und ihm die Hand reichte. Er besaß feuerrotes Haar, einen gepflegten und zu kunstvollen Zöpfen geflochtenen Bart, indem wie bei Dwarosch Metall zur Zierde hing. Ein wenig verstörend war der Kontrast zu seinen giftgrünen Augen, die wach und neugierig schienen. Über dem langen Kettenhemd von sichtbar hochwertiger Qualität, trug der Zwerg einen Gehrock aus dunklen Wildleder. Eine Hose von gleichem Material und Farbe, sowie schwere, geschnürte Stiefel komplettierten seine Aufmachung.
Fast ein wenig verlegen, so umfassend betitelt zu werden, trat der Vogt näher. „Eure Gnaden, es freut mich euch kennenzulernen. Dwarosch berichtete mir von seinen Plänen und seinem Besuch in Tandosch. Ich bin nebst meinem Glauben an den Allvater eher ein Anhänger des Simia, doch erkenne auch ich an, dass im hereinbrechenden Heldenzeitalter meiner Rasse auch die Tugenden von Angroschs anderem von Nöten seien werden. Ich bin ein Förderer des Tempels.“ „Es ist niemals verkehrt über den Tellerrand hinauszublicken. Und dann auch die Zeichen der Zeit zu erkennen. Es freut mich, in Euch einen Zwerg von solchem Weitblick kennen lernen zu dürfen. Erlaubt das ich auch meine Begleitung vorstelle, dies ist Assara ter Boven, meine Adjutantin und Novizin des Blutigen kurz vor der Weihe.“ Assara hatte sich ebenfalls erhoben als der Oberst mit seinem Begleiter eingetreten war. Als sie nun hörte wer der Zwerg war nahm sie Haltung an, schlug die Rechte vor die Brust und verneigte sich.
Der Vogt lächelte wohlwollend und blickte dann zum Oberst. „Setzen wir uns“, schlug dieser vor und wies auf die lange Tafel. „Andox“, erhob Dwarosch die Stimme in Richtung des Durchgangs. „Borax und ich nehmen auch etwas von dem Käfer. Und zwei Humpen bitte.“
Nachdem zwei weitere Teller und Krüge auf dem Tisch standen, wurde das Mahl fortgesetzt.
Als alle gegessen hatten wurde Radomir ernst.

„Brüder, wir sollten über die Weihe sprechen.“ Die Stimme des Geweihten wurde ruhig und füllte doch die ganze Halle. „Lange habe ich überlegt und meditiert, wie die Weihe ablaufen soll. Ich habe mit dem Hüter des Kodex gesprochen und mir Aufzeichnungen geben lassen, wie andere Tempel geweiht wurden. Und auch der donnernde Himmelsreiter hat mir zuletzt ein Bild gesandt.“ Er nahm einen tiefen Zug Bier und wischte sich dann über den Bart. „Ich erwarte eine Kutsche, die zwei Dinge bringt. Zum ersten ein Geschenk des Wahrers des Kodex. Er hat es sich nicht nehmen lassen für den neuen Tempel eine Abschrift des Khunchomer Kodex anfertigen zu lassen und diese als Weihegeschenk zu senden.“ „Darauf erhebe ich meinen Krug.“ Metenax schien hoch erfreut zu sein über diese Nachricht und auch der Oberst strahlte. Auch er erhob sein Trinkgefäß. „Wenn es in Al’Anfa Bedenken gegenüber dem neuen Tempel gegeben haben sollte, so hat der Wahrer der Ordnung diese mit dieser Geste eindrucksvoll ausgeräumt. Daran kann es keinen Zweifel geben“, kommentierte Dwarosch enthusiastisch. Der Tandoscher hatte derweil seine Pfeife und den Tabaksbeutel hervorgeholt und stopfte den schweren, schwarzen Mohacca hinein. Borindarax und Dwarosch taten es ihm gleich.
„Zum zweiten bringt der Wagen einen schwarzen Panther. Calgar Schmiedegrimm, Akoluth des Gnadenlosen und ein alter Freund und Kämpfesgefährte vieler Schlachten begleitet den Transport, um sicher zu stellen das dem Panther nichts passiert. Dieser ist in den Dschungeln um Al'Anfa gefangen worden und wurde gut gepflegt, damit er bei Kräften ist. Der blutige Schnitter hat mir die Aufgabe zugewiesen, ihm dieses Tier hier im Tempel zu Opfern und das Blut des Panthers auf dem Altar zu vergießen.“ Ein kurzer Blick zu seiner Adjutantin, dann zündete er die Pfeife an und blickte erst Metenax an und dann Dwarosch. Er sah dem Oberst direkt in die Augen als er fortfuhr: „Der Tod des Panthers erfolgt im Zweikampf. Ich werde mich ungerüstet und nur mit dem Messer dem Panther stellen. Siege ich, wird durch das Blut des Panthers und ein Opfer von mir der Tempel zu SEINEM Heiligtum. Unterliege ich, ist es Eure Aufgabe, Freund Dwarosch, meinen Körper auf den Altar zu legen. Dann wird der Tempel durch mein Blut zu SEINEM.“ Er nahm einen kräftigen Zug aus der Pfeife und blies den Rauch aus. Stille senkte sich über die Halle.
Die Miene des Oberst versteinerte mit jedem Wort Radomirs. Die Hochstimmung schien verflogen. Langsam, nachdenklich bewegte sich Dwarosch Kopf in Richtung Metenax, ihm selbst fehlten in diesem Moment die Worte. Der zwergische Geweihte jedoch hämmerte seine Metallprothese auf die Tischplatte und lachte. Er schien nicht schockiert von dieser Aussicht, ganz im Gegenteil.
„Wahrlich- DAS nenne ich ein Spektakel was IHM gefallen wird. Ein schwarzer Panther im Isenhag.“ Nochmals lachte Metenax. „Ein großes Opfer“, begann Dwarosch, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. „Ich weiß nicht, ob ich euch dies jemals ausreichend vergelten kann, Radomir. Und ich hoffe ich werde die Chance dazu bekommen.“ Der Tandoscher sah seinem Freund lange in die Augen. „Dwarosch, in dem Moment, wo ihr mir Eure Idee angetragen habt, wusste ich, dass es mich das Leben kosten kann. Und glaubt mir, Freund Zwerg, es gibt nichts, aber auch rein gar nichts zu vergelten. Metenax wird Euch bestätigen, dass es nur sehr wenigen von uns vergönnt ist, IHM ein Heiligtum zu weihen.“
„Aber wenn ihr dabei sterbt?“, fragte Borindarax. Radomir sah den Voigt an. „Dann sollte es so sein, und KOR hat es mir so bestimmt. Ich werde mit SEINEM Namen auf den Lippen auf das ewige Schlachtfeld ziehen und wissen, dass mein Tod den Tempel geweiht hat. Was mich zu einer Bitte bringt. Metenax.“ Er wandte sich dem Zwerg zu, der bei seinen Worten zustimmend genickt hatte. „Sollte hier und jetzt meine Zeit gekommen sein, müsst Ihr etwas für mich tun.“ Radomir stand auf und stellte sich neben Assara. Er legte Ihr eine Hand auf die Schulter und sah erst auf die junge Frau, dann auf den Zwerg: „Wenn ich das Opfer sein soll, welches KOR im Kampf fordert bitte ich Euch darum, Assara an meiner statt Weihevater zu sein.“ Die junge Frau verschluckte sich an einem Schluck Bier.
Sie sah zu dem hünenhaften Geweihten hinter ihr auf. „Vater, ich…“
„Kein Wort, Leutnant!“ war seine harsche Antwort, Assara verstummte.
„Sie ist inzwischen seit zweieinhalb Götterläufen meine Novizin und meine rechte Hand. Sie führt die Dukatengarde und die Ausbildung der Truppen. Das ist meine Bitte an Euch. Prüft sie und weiht sie dem Herren der Schlachten. Sie wird, wenn es so kommt, Fünfblatt führen und meinen Umhang bekommen. Und ihr, Dwarosch, Sohn des Dwalin.“ Er blickte dem Oberst tief in die Augen, „Versprecht mir, dass ihr Assara ein genauso guter Freund sein werdet wie mir. Wollt ihr das für mich tun, Brüder?“

Überraschung zeigte sich kurzzeitig auf der Miene des zwergischen Geweihten, als Assara offenbarte, wie nah die Bande zu Radomir waren. Trotz dieser Tatsache kam seine Antwort ohne jedes Zögern und fiel wohl auch deswegen so entschieden aus. „Sie wird mir eine Schwester sein und dies nicht nur im Glauben. Du hast mein Wort, Bruder. So KOR sie für würdig erachtet, wird sie ihm dienen- so wie ihr Vater.“ Metenax Worte waren ernst und feierlich, wie ein Schwur gesprochen. Er schien gerührt über das Vertrauen, dass Radomir ihn mit seiner Bitte entgegenbrachte. Dwarosch hingegen brauchte einige Momente, bis er nickte. Er wusste bereits von seinem Besuch in Tandosch, wer Assara war. „Sie wird mir wie eine Tochter sein, Radomir - und hier immer willkommen.“ Die Worte klangen belegt, doch der Tandoscher erkannte die Aufrichtigkeit dahinter.
“Kommt”, Dwarosch klatschte kräftig in die Hände, als wolle er die dunklen Gedanken abschütteln und erhob sich dann mit einem leichten Stöhnen. “Lasst mich euch den Hort des Mantikor zeigen.” Stolz schwang in der Stimme des Oberst mit. Er machte eine Geste, die alle Gäste umfasste. Mit einer Fackel, die er aus ihrer gusseisernen Halterung an der Wand nahm ging Dwarosch voran. Sie verließen die Halle auf dem Weg auf dem sie betreten hatten. Auf dem Weg zum Tempel stießen zwei weitere Menschen zu der Gruppe. Einer war fünfzehnjähriger, junger Mann mit schulterlangen, glatten dunklen Haaren und dunklen Augen, der seine südländische Herkunft nicht verleugnen konnte. Er trug wildlederne, enganliegende Hosen, geschnürte Stiefel und ein weißes, langärmeliges Hemd und darüber, sichtlich stolz, den Wappenrock des Eisenwalder Garderegiments. An seiner Seite schritt eine zierliche Borongeweihte in einer sichtlich ausgebleichten, mehrfach geflickten Robe. Der Junge hatte einen Arm um die Hüfte der kleinen Frau gelegt, ihren anderen über seinen Schultern, und lotste sie mehr schlecht als recht zu der Gruppe, die zielsicher den Tempel ansteuerte.
„Dom Dwarosch, hier sind wir.“ Er schnaufte und blickte den Zwergen mit einer Mischung aus Erleichterung und Aufforderung an. “Ah”, stieß der Oberst hervor. “Da seid ihr ja. Ich dachte schon, meine Nachricht, dass die Gäste eingetroffen sind, hätte Isarnon nicht erreicht.” Dwarosch trat dem Jungen und der Frau entgegen, die aus einem Seitengang getreten waren, der in der Richtung lag, indem die Gruppe zuvor unterwegs gewesen war. Dwarosch legte dem Jungen väterlich auf die Schulter und drückte kurz die Hand der Geweihten - eine vertraute Geste. Dann wandte er sich an seine Gäste. “Ihre Gnaden Marbolieb kennst du ja bereits, Radomir. Der Bursche an ihrer Seite ist Ramiro, der Botenjunge meines Regimentes.”
Der Oberst seufzte, zeigte aber gleichzeitig ein Grinsen, dass seine Worte ins rechte Licht rückte. “Seht ihm das ‚Dom‘ nach, ich kriege es einfach nicht aus ihm heraus.” Er lachte und wuschelte dem Jungen durchs Haar, was seltsam anmutete, da der Bursche größer war als er selbst, aber weniger als die Hälfte an Körpermasse zu besitzen schien. Dem Burschen war die Geste sichtlich peinlich, er wagte es aber auch nicht, sich aus dem Griff des Oberst zu ducken, was sowieso dadurch erschwert wurde, dass er die Geweihte noch immer sorgfältig an seiner Seite hielt. „Wie ihr meint, Dom Dwarosch … Herr Oberst!“ setzte er ernergisch hinzu.
Marbolieb indes wandte sich suchend in ungefähr die Richtung, aus der Dwaroschs tiefer Bass erklungen war und in der sie darum auch den Korgeweihten vermutete. „Es freut mich, dass Ihr hier seid, Euer Gnaden.“
Radomir trat vor und ergriff mit seiner großen rauen Hand die zierlichere der Geweihten, um sie zu schütteln. „Euer Gnaden Marbolieb, ich freue mich, Euch zu treffen. Es ist eine schöne Überraschung.“ Er gab die Hand der Geweihten frei. „Erlaubt mir, Euch meine Adjutantin vorzustellen, Assara ter Boven, Novizin des KOR und meine rechte Hand.“ Während die junge Frau ebenfalls die Hand der Geweihten schüttelte, streckte Radomir dem jungen Mann seine Hand entgegen. „Euch auch ein Kor zum Gruße, Ramiro.“ Zögernd ergriff der junge Mann die Hand des Geweihten, welcher dann kräftig zugriff.
*
Weitere fünfzig Meter mussten sie gehen, vorbei an weiteren Türen, Kreuzungen und Abbiegungen, dann traten sie durch ein weiteres Portal in eine Art riesigen Dom. Die Grundfläche der Halle bildete ein perfektes Achteck. Nicht ein Portal sah Radomir, sondern ganze acht. Jede Wand besaß eines in seiner Mitte.
Das eigentliche Heiligtum, der Altar stand in der Mitte der Halle und bestand aus einem wuchtigen, schmucklosen Eisenwürfel von einem Drasch Kantenlänge- also fast sieben Schritt. Er wiederum war aus einer Vielzahl kleinerer Würfeln zusammengesetzt. Es mussten Hunderte sein! An ihren Außenseiten waren kleine, polierte Kupferplatten angebracht.
Auf dem Würfel ruhte eine abstrakte Gestalt aus vier Mantikoren, welche am Hinterleib zusammengefügt waren und deren sich scheinbar im Sprung befindlichen Körper über die spitzen Ecken des Würfels hinausragten.
Die Rachen der Kor- Darstellungen waren weit aufgerissen, die Augen aus glühenden Rubinen gefügt und Pranken, sowie Reißzähne aus angeschliffenem Stahl geformt. In den Ecken des Doms standen kleine Feuerschalen, welche die Halle in ein unstetes Licht hüllten und durch die überhängenden Mantikorfiguren flackernde, unheimliche Schatten an die Gewölbedecke warfen, welche einer Halbkugel gleichkam, jedoch aus unzähligen Dreiecken geformt zu sein schien. In der Mitte der vier Mantikorfiguren, die weit über den Besuchern lauerten, thronte die neunte Feuerschale. Sie war deutlich größer als die anderen acht und warf bedrohlichen Abbilder von Angroschs Sohn auf den glatt polierten Boden des Doms.
Radomir blieb unter dem Tor stehen und hielt den Atem an. Er kannte fast jeden Tempel des Kor in ganz Aventurien. Mehrfach war er in den Hallen von Khunchom und Al'Anfa gewesen, um als Ratgeber für Richter und Hüter zu dienen. Er zählte zu den wenigen Mystikern der Kirche des KOR und genoss hohes Ansehen, was natürlich zu vielen Herausforderungen und Kämpfen führte. Aber etwas wie diesen Tempel gab es nirgends. Die Arbeit der Angroschim war perfekt. Der Altar, die Mantikore, das Licht- und Schattenspiel. Es stimmte alles, bis ins Detail.
„Würdig!“ war alles was er sagen konnte. Er spürte wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Neben ihm sog Assara die Luft ein … . Auch sie spürte ein Kribbeln.

Dwarosch beobachtete den Geweihten sehr genau, ebenso Metenax. Sie sahen seine Augen hin und her huschen. Sein Kiefer mahlte und seine Hände bewegten sich. Seine Gedanken spielten ihm Bilder vor. Die Aufstellung der Teilnehmer und der Gäste, der Ablauf, das Opfer.
Die anhaltende Stille machte Dwarosch langsam nervös. Gerade als er den Mund öffnen wollte, begann Radomir zu sprechen. „Seht ihr es auch? Dort, im Kreis aufgestellt, Eure Eisenwalder“, seine Hand beschrieb einen Halbkreis links des Altars. „Dann Ihr und Metenax vor dem Altar, rechts davon die Kämpfer die Metenax folgen. Der Käfig mit dem Panther links bei den Eisenwaldern. Roter Rauch, der aus den Feueressen steigt, um IHN zu Ehren.“ Die Augen Radomirs glommen im Halbdunkel, und während er sprach sahen auch Dwarosch, Metenax und Assara die Bilder, die er beschrieb.
„Es wird mir eine Ehre sein, IHM diese Halle zu weihen. Und wenn ER dafür mein Leben fordert, werde ich es in dem Wissen geben etwas wirklich Würdiges geweiht zu haben.“ Dwarosch schloss die Augen. Die Last eines Berges fiel von ihm ab und ihm wurde bewusst, was ihm dieser Tempel, den er lange nur als eines seiner ‚Projekte‘ betitelt hatte, in Wahrheit bedeutete. Es war weit mehr als etwas, das er sich leichthin in den Kopf gesetzt hatte. Dies gehörte zu den Dingen, die er seinem Volk hinterlassen wollte. Nicht mehr ging es nur um den Schutz der Kernlande der Angroschim, einer Herzensangelegenheit, die der Oberst mit dem Wiederaufbau von Ingerimms Hammer, der Bildung der Gebirgsjäger und der Erstellung einer neuen, militärischen Karte zu erreichen trachtete. Nein, es ging um mehr als das.
Angroschs Sohn musste auch bei seinem Volk an Bedeutung gewinnen, so wie er es bei den Brüdern und Schwestern im Amboßgebirge besaß. SEIN Wesen musste auch von den Angroschim Isnatoschs verinnerlicht werden, denn am Ende des Heldenzeitalters würde jeder Angroschim ein Krieger sein müssen, zumindest im Herzen, hart und unbeugsam- so wie sie es zur Zeit der Drachenkriege waren. Jeder musste in der Lage sein seine Heimat, seinen Nächsten zu verteidigen. KOR würde dafür Sorge tragen.

Marbolieb ließ die Ruhe, die sich auf einmal in dem gewaltigen Saal ausbreitete, über sich fließen. Im Gegensatz zu den meisten der Anwesenden erschreckte diese sie nicht. Zum ersten Mal hatte sie diese unterirdische Halle betreten – gewaltig musste sie sein, dem Hallen der Schritte nach zu schließen, und was auch immer das Heiligtum darstellte – es beeindruckte den Geweihten … und berührte den Oberst. Sie löste ihre Hand von Ramiros Schulter, was den Jungen bewog, zögerlich den Arm von ihrer Hüfte zu nehmen, streckte die Hand aus und tat einige vorsichtige Schritte nach vorn. Ihre bloßen Füße machten kein Geräusch auf dem kalten Steinboden. Schließlich berührten ihre Fingerspitzen das kalte Eisen des Würfels. Die gespannte Energie, die von dem Metallblock ausging, kitzelte über ihre Haut, stellte die feinen Härchen auf ihrem Arm auf und hallte wie ein Donnergrollen in ihren Ohren. Heiß, Kampf, Streit – alles dies trug die flüchtige Empfindung in sich, die wie ein Gluthauch über sie fuhr – und zerbarst in tausende Feuerfunken, rasch verloschen in der Decke aus Dunkelheit, die das Schweigen der stillen Halle wieder einforderte. Kampf und Tod – eines bedingte das andere.
Als der Oberst die Augen wieder öffnete, sah auch Metenax zu ihm herüber. „Ich kenne diesen Ort fast mein ganzes Leben”, begann Dwarosch mit leiser, zögerlicher Stimme. “Der Mann, von dem ich das Waffenhandwerk erlernte, führte mich viele Jahre vor meiner Feuertaufe das erste Mal hier herunter.“
Er drehte sich einmal im Kreis und breitete die Arme aus, seine Stimme wurde nun fester. „Hier hielt ich zum ersten Mal eine richtige Waffe in Händen und hier habe ich das erste Mal durch eine Klinge Blut vergossen, mein eigenes, so wie später auch das meines Lehrmeisters. Auch wenn sich KOR mir erst nach meinem Mannwerden offenbarte, so habe ich hier auch zum ersten Mal seine Gegenwart gespürt- Es gab nie eine Wahl, dies musste der Ort sein!“
Einzelne Tränen rannen dem bulligen Zwergen aus den Augen, als sein Blick schließlich auf Radomir verharrte. „Ich danke dir, Bruder! Es ist, als schließe sich ein Kreis. Nach über einem Jahrhundert die ich KOR diene und ich verhehle meine Streitigkeiten mit IHM nicht, fügen sich die Fragmente zusammen und ergeben einen Sinn.”

„Die Wege der Götter ergeben immer einen Sinn, mein Freund. Nur zeigt er sich selten gerade heraus. Sie fordern uns auf, im Denken und Handeln ihr Werk zu vollbringen und ihr Wirken in uns zu suchen und zu finden.“ Radomir schritt auf den Zwergen zu und schaute ihn an. Dann legte er ihm die Hand auf die Schulter.
„Dwarosch, niemand hat je gesagt das dies ohne Streitigkeiten vor sich geht. Streitet der Sohn nicht mit dem Vater? Der Mann mit seinem Weib, der Bruder mit dem Bruder? Und dennoch tritt man füreinander ein. Erkennt sich und weist gelegentlich den Weg. Sagt mir, mein Freund, habt ihr Euch ihm je fern gefühlt? Oder gar von ihm verlassen?“ Dwarosch schluckte. „Ja, manchmal fühlte ich SEINE Abwesenheit.“
„Und dennoch stehen wir jetzt hier. In der Halle, die in zehn Tagen SEIN werden soll. Ist das nicht ein Beweis dafür, dass alles so war wie es soll? Stellt euch vor, ihr habt einen Sohn. Er widersetzt sich Eurer Anweisung und reitet ein nicht zugerittenes Pferd. Stürzt und verletzt sich. Würdet ihr ihn deswegen verstoßen? Nein. Ihr würdet ihn seine Fehler begehen lassen um daraus zu lernen. Nur unterstützen würdet ihr ihn nicht. Seht ihr den Zusammenhang? Wir brauchen diese Differenzen. Und unser Gott ist streitbar.“
„Jawohl, den sehe ich Bruder. Du hast recht“, antwortete Dwarosch mit fester werdender Stimme. Er nickte, wie zur Untermalung seiner Worte. „Alles soll so geschehen wie du vorgeschlagen hast Bruder.“

Der Oberst drehte sich zur Seite, streckte die Hand aus und deutete in Richtung Zentrum des Doms. Ein Detail musste er Radomir noch erklären. “Ohne Borindarax wäre es nicht möglich gewesen den Kubus zu fertigen. Die einzelnen Würfel sind in seinen Gießereien gefertigt.“ Radomir warf einen kurzen Blick zum Vogt herüber. Dieser winkte ab, wirkte jedoch stolz in seiner Haltung.
„Einige der Plaketten auf ihnen besitzen bereits eine Gravur“, fuhr Dwarosch fort. „Sie tragen die Namen derer, die auf dem Feldzug gen Mendena gefallen sind. Jeder Sohn und jede Tochter Isnatoschs der oder die im Kampf sein Leben verliert, wird hier seinen Platz finden - zu ihrem Andenken, aber auch als Anempfehlung ihrer Seelen an KOR. Dieser Tempel wird auch ein Kriegsdenkmal sein. Noch ist der Kubus hohl, wird von einem Metallgerüst in seiner Mitte gestützt und besitzt sogar eine versteckte Tür, doch nach der Weihe wird er Opfergaben und Reliquien beherbergen.”
Als der Oberst mit seinen Ausführungen geendet hatte, sah er Radomir mit einem fragenden Blick an und erhob noch einmal die Stimme. “Vielleicht ja aber auch die Gebeine des Panthers, oder die deinen.”
„Sollte ich fallen, so wird nur mein Herz hier bleiben, mein Freund. Der Rest, wenn der Panther denn etwas übriglässt, wird in meinem Tempel seine letzte Ruhe finden. Dort ist mein Platz, so wie der von Metenax einst hier sein wird. Und Deiner, wie ich vermute.“ Dwarosch nickte nur stumm zur Antwort. Es gab keinen Grund, Radomirs Willen anzuzweifeln.

Schweigend lauschte die Borongeweihte dem Zwiegespräch der beiden Männer, nur scheinbar in Gedanken versunken die glatten Eisenflächen mit ihren Fingern betastend. Langsam wandte sie sich um, ihr Gesicht im Schatten unter der tief herabgezogenen Kapuze ihrer Kutte. „Sagt, Euer Gnaden – wie hält es die Kirche des Kor mit Menschenopfern?“
„Entgegen der landläufigen Meinung gibt es keine Menschenopfer. Wir legen niemanden auf den Altar und schneiden dem Armen dann das Herz raus. Ja, wir opfern Blut. Das unserer Gegner und unser eigenes. Aber stets aus freiem Willen oder im guten Kampf“, er atmete tief durch um kurz über seine nächsten Worte nachzudenken und sich innerlich zur Ruhe zu rufen.
„Das Bild unserer Kirche ist nicht das beste. Uns wird Ehrlosigkeit vorgeworfen, weil wir unsere Klingen vermieten. Wir gelten als Monster, weil der Kampf unser Leben ist. Die Kirche der Rondra sieht uns meistenteils als Orden ihrer selbst, oder tritt uns mit offener Ablehnung gegenüber. Und das, obwohl es in den Hallen Rondras lange Zeit ebenfalls üblich war, von seinem Blut zu opfern. Und war nicht Ghorio von Khunchom, den KOR selbst als ersten unter gleichen zu seinem Diener erwählte, selbst Knappe der Göttin?“ Seine Stimme war fest und bestimmt als er schloss:
„Nein, Euer Gnaden Marbolieb. Menschenopfer gibt es nicht. Und wenn wir im Kampf gegeneinander unterliegen und durch einen Bruder oder eine Schwester des Blutes fallen, so ist es SEIN Wille, der uns auf das ewige Schlachtfeld ruft. Keiner von uns würde auf die Idee kommen, IHN durch ein Opfer zu beleidigen, das wehrlos auf einem Altar liegt. Das ist Sache SEINES Widersachers und wird von uns gnadenlos verfolgt und bestraft.“
Marbolieb lauschte schweigend und nickte schließlich. „Wie steht ihr zu einem Selbstopfer – beispielsweise, in dem ihr Euch einem deutlich überlegenen Gegner stellt?“ Eine schwierige Sache – unscharf war die Grenze zwischen einem ehrenhaften Kampf – und einem wissentlichen Gang über das Nirgendmeer. Ein kleines Lächeln spielte um ihre hübschen Lippen, als dieser Gedankengang eine Erinnerung weckte – die eine durchaus schöne war. „Was dachte Ghorio von Khunchom, als er im Wissen des sicheren Todes in seinen letzten Kampf ging? Was ging in Herzog Waldemar von Weiden vor, als er nur mit seiner Ochsenherde bewaffnet auf den Vallusanischen Weiden gegen den Karmoth antrat? Was im Schwertkönig als er mit Siebenstreich in der Hand gegen Shihayazad in der dritten Dämonenschlacht fiel? Diese Aufzählung ließe sich sehr lange fortsetzen. Ist das Selbstopfer nicht der höchste Dienst, den zu erbringen wir fähig sind?“ Radomir lächelte. Dann sagte er: „Ich habe in meinem Leben oft an der Seite der Diener Golgaris gestritten, die in völliger Ruhe kämpfen, auch gegen übermächtige Gegner. Ist nicht auch das ein Selbstopfer im Sinne des stillen Gottes? Mit der Weihe gibt sich der Geweihte seinem Gott oder seiner Göttin als Diener. Mit jeder Faser seines Körpers und jedem Moment seines Lebens. Und damit auch des Ende seines derischen Daseins. KOR ist der Krieg. Und der Krieg fordert Opfer. Doch nennt mir eine der Götter oder eines der Götterkinder, der dieses höchste aller Opfer ablehnen würde.“ Er hatte sehr ruhig gesprochen, und keine Spur von Zweifel oder Wut klang in seiner Stimme.

„In den Erzählungen Karmal ibn Dajins wird berichtet, wie er sein Leben gab und sein eigenes Herz KOR zum Opfer machte, damit dieser die Bestie des Loch Harodrôl in einen alveranischen Streiter verwandelt. So schuf KOR Kar'Anoth, die Krallen, die das Zwielicht teilen. So wurde es überliefert 1035 BF und so steht es im Khunchomer Kodex.“; Dann lachte er leise. „Und ihr wisst, Marbolieb, Kor-Geweihte sterben nicht am Kamin im Kreis ihrer Familie. Nicht wahr, Metenax?“ „Nein, das tun sie nicht“, begann der Angroscho mit tiefer Überzeugung in seiner Stimme.
„Ein weiteres, bekanntes Beispiel muss hier ebenfalls genannt werden, wenn wir von Selbstopferung sprechen. Thalionmel kämpfte auch im Bewusstsein, dass sie sterben würde- doch sie tat es aus innerer Überzeugung anderen mit ihrem Tod Zeit zu erkaufen, ihnen das Leben zu retten. Heute ist sie eine Heilige der Rondrakirche. Ein solcher Tod kann selbst in der Wahrnehmung derer einen Sinn ergeben, die Ideale ihr Eigen nennen, die sich nach fälschlicherweise weit verbreiteter Meinung nicht mit den Leitbildern der Kirche des Mantikors vereinbaren lassen.
Ihr seht also. Der Tod - das willentliche, bewusste Selbstopfer, kann sehr wohl eine sinnvolle Tat sein, wenn sie zum Beispiel dem Schutze der Schwachen dient.“ Marbolieb schmunzelte, warm und zustimmend, sprachen die beiden Brüder im Glauben doch wahr. „Ort und Zeit jedes Todes bestimmt Boron allein, Euer Gnaden. Doch ich stimme Euch zu, dass jeder Geweihte sein Leben für seine Gottheit in die Waagschale werfen sollte – wie ihr es tun würdet; wie ich es tun werde.“

Noch immer ein leises Lächeln auf den Lippen wandte sie sich von dem gewaltigen Metallkubus ab und ging, eine Hand ausgestreckt, mit kaum hörbaren, tastenden Schritten wieder auf die Gruppe zu.
Dwarosch schritt ihr entgegen und ergriff die Rechte der Geweihten wie selbstverständlich. Marbolieb gab ihre Hand in die ungleich breitere des Zwergen, trat schweigend neben ihn und legte, wieder zurück bei den anderen, ihre zweite Hand auf die kräftige Pranke Dwaroschs.
Der enttäuscht aufflackernde Blick des Burschen auf den Oberst blieb unbemerkt. Metenax, der sich bis hierhin weitestgehend zurückgehalten hatte- mit Ausnahme der kurzen Diskussion, ergriff nun das Wort und wandte sich an Radomir, denn es galt noch das Organisatorische zu klären. „Bruder. Wenn ich kurz die Gäste der Weihe umreißen darf. Das Leibbanner des Oberst wird kommen- fünfzig Elitesoldaten der Malmardorum. Des Weiteren etwa dreißig Söldner, die ich eingeladen habe, viele, persönliche Freunde darunter und nicht zuletzt der Vogt“, erklärte der zwergische Geweihte.“ „Ich freue mich darauf, den Kreis der Kämpfer zu sehen und kennenzulernen“, begrüßte Radomir das gehörte.
*
„Dwarosch, was hast Du?“ Spät war es geworden. So spät, dass es schon wieder früh war. Mit viel Bier, vielen Gesprächen und mehr Rauchkraut – ersteres fast ausschließlich auf Seiten der Männer, letzteres nicht. Eine raue, laute Henkersmahlzeit und als solche eine Feier des Lebens.
Marbolieb legte das feuchte Tuch, mit dem sie sich den Staub des Tages vom Leib gewaschen hatte, beiseite und schlüpfte nach kurzer, erfolgreicher Suche in ihr Hemd. Sie setzte sich auf ihr Lager und zog die Füße an – die Hallen im Inneren Senaloschs waren auch noch im Sommer empfindlich kalt. Sie stützte ihre Ellbogen auf die Knie, legte den Kopf in die Hände und lauschte in die Richtung, in die der Oberst rumorte. Zu laut hatte sein Lachen geklungen – zu fröhlich, um ganz und gar echt zu sein, sein Poltern in Richtung seines Freundes – von denen er viele besaß und doch keinen, der ihm richtig nahe stand. Mit der Ausnahme des tandoscher Korgeweihten vielleicht. Das Geraschel des Zwergen verstummte und erzählte, dass er ihre Frage sehr wohl verstanden hatte. Über die Züge der Geweihten huschte ein Lächeln, das den überaus wachen Ausdruck in ihren Augen aber nur flüchtig berührte.
„Vor dir kann ich nichts verbergen, oder?“, erklang die tiefe und in diesem Moment auch kratzige Stimme des Oberst. Es war mehr eine Feststellung denn eine Frage. Er seufzte schwer.
„Ich habe es so gewollt - es geschieht alles, weil ich die Dinge in Bewegung gebracht habe. Aufhalten kann man es nicht mehr und es wäre obendrein falsch. Die Beweggründe die hinter alledem stecken wiegen all das auf, was vielleicht geschehen mag. Und doch“, das Rascheln seines Bartes verriet Marbolieb, dass Dwarosch den Kopf gewandt hatte - vermutlich in ihre Richtung. „nehme ich willentlich in Kauf, dass ein Mann, den ich zu meinen wenigen Freunden zähle dabei stirbt, er sich für meine Ziele opfert.“ Ein Stöhnen erklang und gleich darauf das Protestieren des Holzrahmens des Bettes, auf dem beide schliefen. Dwarosch hatte sich hingelegt und schloss die Augen. Schwere hatte von seinem Körper Besitz ergriffen.
„Ich diene den Plänen Kors, weil ich mich seiner nicht erwehren kann und ich die Alternativlosigkeit erkenne - doch wieder einmal zweifle ich an dem eingeschlagenem Weg.“ Marbolieb kniete sich neben den Zwergen – nicht so einfach, war ihr gemeinsames Bett doch im Grunde nicht für zwei Personen ausgelegt – fand seine Schulter und legte ihre Hand auf seine Schläfe. Warm, heiß fast, war seine Haut und erinnerte sie an einen Schmelzofen. „Niemand zwingt dich, ihm dein Herz zu schenken, Dwarosch.“ Einen Atemzug lang hielt sie inne, beugte sich vor und strich mit ihren Lippen sanft über seine Stirn, eine flüchtige Berührung nur. „Radomir hat seinen Weg frei gewählt. Du hast ihn nicht dazu gedrängt, sein Leben für den Tempel das Mantikor zu wagen.“ Sie lächelte versonnen. „Gut, vielleicht hast Du ihm die Gelegenheit dazu gegeben – doch ergriffen hat er sie. Bereitwillig.“ Männer! Ihre Augen funkelten. Nicht die rationalsten Geschöpfe auf Deren. Die Geweihte strich mit ihrer freien Hand einige lange Haarsträhnen von der Stirn des wuchtigen Kriegers. „Nimm seinem Geschenk nicht seinen Wert, in dem Du glaubst, es erzwungen zu haben. Er hat es sehr freiwillig Dir angetragen – glücklich über die seltene Gelegenheit, einen Tempel zu weihen. Kaum ein Geweihter darf solches in seinem Leben tun.“
Einige Atemzüge lang kehrte Stille ein, die Hand der kleinen Geweihten warm und beruhigend fest noch immer an der Wange des Zwergen. „Du hast Angst, ihn zu verlieren – an Kor, den Blutsäufer. Durch dein eigenes Betreiben.“ Mehr ein Feststellung als eine Frage. Und, so vermutete Marbolieb, der wahre Kern des Problems.
„Schuld ist ein ganz und gar nicht rationales Gefühl, eine Empfindung, die jedes denkende Wesen anders wahrnimmt. Jedenfalls ist dies meine Vorstellung davon und ich hatte viele Jahrzehnte, darüber nachzudenken.“ Eine große, schwere Hand legte sich auf Marboliebs Hüfte. „Viel davon habe ich auf mich geladen in meinem Leben und ich bin versucht, jede weitere Unze zu vermeiden. Ist es mein innerer Antrieb, ein vermeintlich höheres Ziel, dem ich folge und womöglich darum weitere Schuld auf mich nehme, oder ist es vielleicht auch mein Stolz, Geltungsbedürfnis - darin liegt die Gefahr, welches mich antreibt?“ Das Streicheln der Geweihten stoppte, und sie senkte den Kopf.
„Ein höheres Ziel ist eine schöne und hehre Sache. Und eine billige Ausrede.“
Marbolieb streckte mit einem zufriedenen Seufzen neben ihm aus und rieb ihre Füße an seinem Bein. Sie waren eiskalt, was das tiefe, sehr glückliche Ausatmen der Frau erklärte. Einen glückseligen Augenblick lang genoss sie die Wärme, die seine Haut ausstrahlte. „Ich denke, es ist dein Stolz. Du willst allen deinen Wert beweisen. Und du hast Angst davor, alleingelassen zu werden.“ Ihr Atem kitzelte über Dwaroschs Haar und seinen Bart.
Sie hob ihren Kopf, den sie bequem auf seine Schulter gelegt hatte, und schmiegte ihre Wange an die seine, bis ihre Lippen sich fast berührten. „Mein armer Liebster.“ Dwarosch seufzte erneut, dann wurde es still. Marbolieb kannte den Zwergen gut und sie wusste, was dies hieß - er grübelte von Neuem. Die Geweihte schloss die Augen, zufrieden mit Ort und Situation und ließ dem Oberst die Zeit, die er brauchte. Ganz langsam kehrte die Wärme in ihre eiskalten Zehen zurück und sie fühlte, wie der lange Abend seinen Tribut von ihr forderte. Sie räkelte sich, fand eine gebührend angenehme und warme Lage und atmete zufrieden aus. Wenn Dwarosch mit Gefühlen und Befindlichkeiten konfrontiert wurde, würde das wie stets länger dauern. Ein liebevolles Lächeln verzauberte ihre Lippen und berichtete, dass sie mit sich und ihrer Welt im Reinen war.

Die neun Tage

Am nächsten Morgen wurde Radomir früh von Metenax geweckt. Als der Geweihte die Tür öffnete, sah er in ein breit grinsendes Gesicht: „Guten Morgen, Bruder. Am Tor warten zwei Planwagen und ein gewisser Calgar Schmiedegrimm auf Euch. Ich dachte, Du möchtest gern mitkommen und sie empfangen.“ „Guten Morgen. Natürlich, gebt mir einen kurzen Moment.“ Er kleidete sich an und ging dann mit dem Zwergen den Weg zum Tor. Am Ausgang aus dem Stollen trafen sie auf Dwarosch und den Voigt, und nach einer kurzen Begrüßung setzten sie gemeinsam den Weg fort.
Schon von weitem sahen sie Bewohner, die sich um den hinteren Wagen sammelten und hörten ein wütendes Fauchen. Näherkommend konnten sie dann auch die Quelle des Geräusches. Auf dem hinteren Wagen stand ein vier auf acht Schritt großer Käfig, in welchem ein gewaltiger Panther nervös auf und ab ging. Radomir grinste, als er Calgars rot-schwarzes Barett erkannte und sah das dieser mit dem Kutscher redete. „CALGAR!“, donnerte die Stimme des Geweihten über den Platz. Der Kopf des angesprochenen ruckte herum und ein freudiges Lachen erklang während er vom Kutschbock sprang und auf die zwei Geweihten zu kam. „Radomir, alter Kämpe. Zwei Götterläufe sind zu lange um sich nicht zu sehen.“ Das Gesicht des Söldners mit der Narbe auf der rechten Wange strahlte. Er breitete die Arme aus und zog die große Gestalt an sich. „Du hast recht, mein Freund. Umso schöner ist es, das Du jetzt hier bist. Als ich hörte das Du von Al'Anfa geschickt wurdest um das Kätzchen zu bringen habe ich mich wirklich gefreut.“

Nach der Begrüßung stellte Radomir die Zwerge vor. „Dies ist seine Gnaden Metenax, genannt Einarm. Er wird Hauptmanngeweihter des neuen Tempels. Hier haben wir Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin, von dem ich Dir im letzten Brief berichtete und hier haben wir seine Hochgeboren, Borindarax, den Sohn des Barbaxosch. Dies ist Calgar Schmiedegrimm, mein Kampfgefährte aus unzähligen Schlachten in Tobrien und auf den Vallusanischen Weiden“, stellte er seinen Freund vor. „Willkommen in Senalosch“, begrüßte der Vogt Calgar mit einem kräftigen Handgriff. Dwarosch und Metenax taten es ihm gleich. Während die Zwerge sich mit Calgar unterhielte schritt Radomir an den Wagen mit dem Käfig heran. Das Tier war gewaltig. Nahezu drei Schritt lang, glänzendes blau-schwarzes Fell unter dem man bei jeder Bewegung das geschmeidige Spiel der Muskeln sehen konnte, Pranken so groß wie die Hufe eines Trallopper Riesen und ein Gebiss, das fingerlange Fangzähne aufwies.
Dwarosch trat neben den Geweihten und sah mit gemischten Gefühlen auf den Panther. „Ein prächtiges Tier“, kommentierte der Oberst fast ehrfürchtig im Flüsterton. „Hast du schon einmal gegen eine Großkatze gekämpft, einen Löwen oder einen Tiger?“, fragte er zögerlich und Radomir wusste, dass der Zwerg versuchte, die Chancen seines Überlebens zumindest grob abzuschätzen. „Einmal. Allerdings voll gerüstet und mit dem Korspieß in Händen. Es waren magisch beherrschte Tiere. Aber ….“ , er schaute auf das Gebiss des Panthers, „ … dies verspricht, interessant zu werden.“
„Interessant?“, fragte Dwarosch, „etwas anderes fällt Dir dazu nicht ein?“ „Doch.“, sagte der Geweihte ernst, „ würdige Herausforderung.“ Dann grinste er den Zwergen an. Kurz darauf kamen auch Metenax, der Voigt und Calgar hinzu.
Calgar klopfte Radomir auf die Schulter. „Ein wahrer Prachtbursche, nicht wahr? Sechs Ziegen hat er gefressen, seit wir in Al’Anfa aufgebrochen sind. Gebärdete sich unterwegs wie ein Dämon, weil er raus wollte. Wird Zeit, dass er was zu fressen bekommt, dann wird er ruhiger.“ „Nein, Calgar.“, Radomir lächelte, „die nächsten neun Tage bekommt er nichts. Metenax wird dafür sorgen, dass der Käfig so wie er ist in die Tempelhalle geschafft wird. Ist das möglich, Bruder?“
„Das ist es. Ihr seid in einer von Zwergen errichteten Siedlung“, gab der zwergische Geweihte selbstsicher zur Antwort. „Es gibt einen senkrechten Stollen, der in eine der ehemaligen Werkstätten der Clanhalle hinab führt. Er ist oben durch eine Steinplatt abgedeckt. Ich lasse einen Transportkran aufstellen.“ „Das übernehme ich“, meinte Borindarax daraufhin und suchte eiligst das Weite.
„Calgar, der Rest der Sachen ist ebenfalls angekommen?“ „Aber ja. Die Abschrift des Codex ist in der großen Holztruhe, die anderen Dinge sind auch dabei. Und ich habe noch ein Fässchen Al'Anfaner Sklaventod mitgebracht“, grinste der Söldner, „ich denke nachdem wir den Tempel geweiht und das Kätzchen geopfert haben, könnten wir bestimmt einen Rachenputzer gebrauchen.“
„Dann solltest Du ihn vielleicht vorher trinken, Radomir.“, lachte Metenax und wandte sich ab, die notwendigen Schritte einzuleiten. Radomir schaute dem Zwergen ernst nach, während Calgar seinen alten Kampfgefährten eindringlich musterte. „Was genau meinte er, Rado?“ Dwarosch schluckte und der Vogt versuchte unbeteiligt zu schauen. „Nun mein Freund, nachdem der Bursche im Käfig neun Tage Zwangsgefastet hat werde ich mit ihm Kämpfen. Das Blut des Verlierers wird den Tempel weihen.“ Calgar öffnete und schloss den Mund einige Male, und er brauchte einen Moment bis er das Gehörte verarbeitet hatte. „Gut das ich Deine Rüstung kenne. Da haben sich schon andere die Zähne ausgebissen.“
„Nun, was das angeht…. Ich werde mit freiem Oberkörper antreten. Nur mit dem Dolch in der Hand.“ Dieses mal blieb Calgar der Mund offen stehen. „Du … Das ….. Ich …. .“
Radomir begann zu lachen und klopfte seinem Freund kräftig auf den Rücken: „Du stotterst, alter Freund. Es ist SEIN Wille. Und dem werden wir Genüge tun. Komm… ich denke Assara wird inzwischen aufgestanden sein, und ein kräftiges Frühstück erwartet uns. Dwarosch, Vogt, würdet Ihr uns die Ehre erweisen mit uns zu Frühstücken?“ „Gern“, erwiderte der Oberst knapp, aber mit einem Klang in der Stimme, der Radomir verriet, dass er es aufrichtig meinte. Auch Borindarax nickte auf die Frage hin und so schritten die Männer in Richtung des Tempels.
*
Die folgenden Tage vergingen schneller als gedacht. Als ob Satinav die Zeit beschleunigt hätte. Es kamen noch einige Pakete an, Gäste trafen ein, die Feierlichkeiten zur Weihe wurden geplant und der Ablauf besprochen. In den ruhigen Momenten saß man zusammen und erzählte Geschichten von Kämpfen und Anekdoten aus den Wirtshäusern, oder führte Gespräche über das Wesen der Götter. Gerade zwischen Radomir und Marbolieb kam es ein ums andere Mal zu Disputen, welche aber immer ruhig und freundschaftlich geführt wurden.
Und dann war er da, der Tag der Weihe. Radomir stand früh auf und verließ den Stollen, um den Aufgang des Praiosauges zu sehen. Er stand auf der Mauer der Zwergenbinge und beobachtete, wie der Goldene Streif langsam über das Gebirge kam. Tief in Gedanken versunken und im stillen Zwiegespräch mit den blutigen Schnitter hörte er den Oberst nicht, der hinter ihm erschien.
„Wenn Du mich heute auf das ewige Schlachtfeld führen willst, Herr der Schlachten, so gewähre mir einen Kampf, der würdig ist DEINEN Tempel zu weihen und in den Geschichten der Zwergenkrieger weiter gegeben zu werden“, hörte Dwarosch den Freund leise sagen, als die Strahlen des Praiosgestirns die Mauern erreichten. Der Zwerg wartete geduldig und ohne Regung bis der Geweihte sein Gebet beendet hatte.
„Eigentlich verlangt es mich danach dich zu fragen, ob du es dir nicht noch einmal anders überlegen willst“, Ironie lag in der Stimme des Zwergen, als er Radomir durch seine Worte auf sich aufmerksam machte. „Aber ich kenne die Antwort bereits.“ Radomir lächelte, als er die Worte des Freundes hörte. Dwarosch seufzte. „Eines aber musst du noch wissen - Ich werde dich hassen, wenn der Panther dich auf das ewige Schlachtfeld führt.“ Ein schiefes Grinsen kündete davon, dass Dwarosch sich mit dem Kommenden abgefunden hatte.
Radomir wandte lediglich den Kopf leicht zur Seite. „Hass wäre zuviel, mein Freund. Wut ist besser. Sollte es so kommen, dann halte an dieser Wut fest, bis wir uns dort wiedersehen. Dann kannst Du sie nutzen, wenn wir in einen hundert Götterläufe dauernden Zweikampf gehen, Freund Zwerg“, lächelte er. Auch Dwarosch schmunzelte. Schweigend standen sie eine Weile nebeneinander, stopften sich eine Pfeife und rauchten. Worte waren hier nicht notwendig. Beide waren sich bewusst, das dies die letzte Pfeife sein konnte, die sie gemeinsam rauchten.
„Es wird Zeit, mein Freund", sagte der Geweihte schließlich. Gemeinsam stiegen sie wieder in den Stollen, damit der Oberst seine Krieger in den Tempel führen konnte und Radomir sich mit Assara den letzten Vorbereitungen widmen konnte. In einem Wassermaß würde es beginnen.
*
Nachdem Radomir seine Tochter und die restlichen Tandoscher aus ihren Unterkünften abgeholt hatten, betraten sie gemeinsam das Allerheiligste. Dwarosch und Metenax standen zu diesem Zeitpunkt fast nackt, nur mit einem Schurz bekleidet, vor dem Altar und beteten in ihrer Muttersprache zu Kor. Sie schienen sich auf ihre Weise auf das Bevorstehende vorzubereiten.
Dwaroschs Oberkörper zierten vier schräg verlaufende, tiefe Narben, die scheinbar ausgebrannt worden waren - das verrieten jedenfalls ihre Ränder dem Geweihten. Darüber jedoch lag etwas, dass Radomir im ersten Moment für eine Tätowierung gehalten hatte, auf den zweiten Blick aber keine sein konnte. Oder doch?
Kors Schwertkreuz prangte in einem so tiefen Schwarz großflächig über den Narben, dass es fast schon keine unter die Haut gestochene Farbe mehr sein konnte. An Metenax fielen zwei Dinge auf. Einmal war da natürlich seine metallische Unterarmprothese. Sie schien perfekt am Gelenk angewachsen, wahrlich ein Wunder. Das andere war die Tätowierung einer monströsen Chimäre, welche seinen gesamten Rücken bedeckte. Kein Mantikor war dort dargestellt, vielmehr war es eine abartige Kreuzung aus verschiedenen Tieren. Der Torso war der eines riesigen, abgemagerten Löwen mit Hirschgeweih, peitschendem, bissigen Schlangenschwanz, zwei langen Scherenarmen, die ihm aus dem Rücken er wuchsen und einem Kopf, der halb Mensch, halb Mannwolf glich - ein wahres Monstrum. Ein Meisterwerk der Herrin des wimmelnden Chaos.
Radomir vermutete, dass es das Bildnis jener Kreatur war, die Metenax verstümmelt, ihm aber damit auch unbeabsichtigt zur Weihe verholfen hatte. Eine Verkörperung seines Schicksals, die er unabhängig von deren Einfluss auf sein Leben immer bei sich haben wollte.
Radomir sah Assara an und gab ihr ein Zeichen. Beide verließen den Tempel und erwarteten die neunte Stunde, in der die Weihe beginnen sollte.
*
Zwerge kamen, strömten aus allen acht Portalen in den Altarraum- allesamt mussten sie Krieger, Soldaten oder Söldner sein. Welchen anderen Grund könnte es geben hier zu sein? Auch der Vogt war unter ihnen.
Das Leibbanner des Oberst stellte wohl den Großteil der insgesamt sicher achtzig Angroschim. Sie bildeten einen weiten, geschlossenen Kreis am äußersten Rand der Halle. Die Zwerge wollten Kor opfern und der Weihe beiwohnen. Viele waren ebenfalls nackt am Oberkörper, alle aber trugen sie ihren Drachenzhn in Händen, bereit dem Kriegsgott, den Sohn Angroschs, von ihrem Lebenssaft zu geben.
Ganz am hinteren Ende des Raumes, mit dem Rücken zur Wand. hatte sich Marbolieb eingefunden – abgeliefert von Ramiro, der sich mit neugierigen Augen umgesehen und mit offenem Mund die schiere Anzahl der Bewaffneten betrachtet hatte, ehe ihm aufging, dass dieses Gaffen wenig männlich und vor allem sehr wenig erwachsen wirkte. Entschieden hakte er die Borongeweihte unter, eine Hand um ihre Hüfte, um sie keinesfalls straucheln zu lassen. Die lächelte. „Danke, Ramiro. Ich komme jetzt allein zurecht.“ Der Griff des Jungen rührte sich nicht. „Du kannst gehen. Du hast sicher noch andere Aufgaben.“ „Aber Domna … .“ Ein neuer Titel. „Ich kann euch doch hier nicht allein lassen! Der Oberst ist … „ seine Augen schweiften zu den muskelbepackten, kaum bekleideten Gestalten vor dem Altar … „anderweitig beschäftigt.“ „Du kannst und sollst, Ramiro. Ich möchte, dass Du jetzt gehst.“ Was auch immer jetzt geschehen würde – die genaue Planung hatte ihr jeder bislang tunlichst verschwiegen, warum, erschloss sich der Geweihten nicht - war ganz sicher nichts für den Jungen. Der, soviel musste man ihm zugute halten, jegliches Brummeln unterdrückte und sich nur mit einem sehr, sehr unglücklichen „Wie ihr wünscht, Domna.“ zurückzog.
Die kleine Priesterin schüttelte kurz den Kopf, als wolle sie unangenehme Gedanken abschütteln, zog sich die Spitze ihrer Kapuze etwas tiefer über die Nasenspitze und trat einen Schritt zurück, bis sie den Stein der Wand an ihrem Rücken spürte, wurde zu selbst einem Schatten in der Dunkelheit, welche an den Rändern des Tempels lauerte. Ihre Fingerspitzen strichen über den Beutel, die zwei Fläschchen und den Dolch, die sie, wie meist, an ihrem Gürtel trug.
Ganz konnte sie den Verdacht nicht von der Hand weisen, dass es einigen hier ihre Anwesenheit alles andere als behaglich war … sie hatte nicht darauf gewartet, bis jemand sie zur Tempelweihe holte, sondern den stets diensteifrigen Botenjungen rufen lassen, wohl wissend, dass dieser kein zweites Mal fragen würde, wenn sie ihm auftrug, sie hierherzuführen. Doch eine Weihe eines Tempels eines Halbgottes, zumal einer so selten vertretenen Gottheit – das würde sie auf keinen Fall versäumen.

Kors Ratschluss

Der Moment war gekommen. An der Wand zur linken des für den Einzug Radomirs vorbereiteten Portals stand der Käfig, in dem der schwarze Panther hin und her ging. Er hatte seit korgefälligen neun Tagen kein Fressen erhalten, knurrte und fauchte. Seine Katzenaugen glühten im Dunkeln. Fackeln und Feuerschalen spendeten ein fahlrotes Licht, welches flackernd und glosend den Tempel in ein unwirklich scheinendes Halbdunkel tauchte und die riesige Eisenstatue beinahe lebend erschienen ließ. Die Schattenspiele auf den ehernen Körpern gaben ihnen ein bewegtes Aussehen, und die Rubine in den Augen fingen das Glühen auf und verstärkten es.
Dwarosch und Metenax standen vor dem Altar und blickten zum Portal zurück. Neben dem Oberst auf dem Boden lag eine schwere gespannte Eisenwalder Armbrust. Calgar befand sich mit den anderen Tandoschern und Marbolieb im Rund der Soldaten und Söldner. Sollte Radomir fallen und der Panther den Schuss aus der Armbrust des Zwergenoberst überleben, sollte er mit Metenax zusammen das Tier erlegen. So war es vorher abgesprochen worden. Der zwergische Geweihte trug aus diesem Grund einen schwertähnlichen Aufsatz mit drei im Kreis angeordneten Schneiden auf seiner Prothese. Sie war in sie hineingeschraubt.
Außen vor dem noch geschlossenen Portal standen inzwischen Radomir und Assara, welche den Codex hielt. Es war ein schwerer Foliant mit Goldbeschlägen, zwei Schließen, geprägtem Leder und Seiten aus feinstem Leinenpapier. Auf dem Buchdeckel war das Schwerterkreuz Kors eingeprägt und rot eingefärbt.
Der Tandoscher trug eine schwarze Hose, die in schwarzen schweren Lederstiefeln steckte, ein schwarz-rotes Leinenhemd mit gestickten Verzierungen und dem Symbol Kors auf der rechten Brustseite. Um seine Schultern lag der rote, arg zerschlissene, geflickten und zum Teil zerfetzte Umhang, der ihn durch alle Schlachten und Kämpfe seit seiner Weihe begleitet hatte. Er hatte ihn vor nunmehr fast 25 Götterläufen von seinem Weihevater zur Feier seiner Weihe erhalten. Gehalten wurde der Umhang durch zwei silberne Löwenköpfe, die eine Kette im Maul hielten.
Assara trug schwarzes Leder mit roten Verzierungen und den schwarzen Umhang mit dem gestickten roten Mantikor, wie er auch am Tor des Tandoscher Tempels zu sehen war. Pünktlich zur neunten Stunde öffnete sich das Tor des Portals. Radomir schritt durch den Gang auf den Altar zu, bei dem Metenax und Dwarosch ihn erwarteten. Bei jedem zweiten Schritt ertönte ein Schlag von Stahl auf Stein, wenn sein fast zweieinhalb Schritt langer Korspieß, der völlig untypisch mit fünf Blättern anstatt der üblichen neun ausgestattet war, auf den Boden traf.. Assara folgte zwei Schritt hinter dem Geweihten. An der von Radomir gesehen, rechten Seite des Altares war eine hölzerne Treppenkonstruktion an den Kubus herangeschoben worden, über die es möglich war die Oberseite des Kubus zu erreichen.
In der großen Halle war es still geworden, als Radomir schließlich vor dem Altar stehen blieb. Er sah erst Dwarosch dann Metenax an und sprach mit tiefer und lauter Stimme: „Metenax Einarm, Geweihter des donnernden Himmelsreiters, ich, Radomir von Tandosch, Sohn des Mantikors und genauso SEIN geweihter Diener wie Ihr, bin gekommen um in SEINEM Namen diesen Tempel zu SEINEM Heiligtum zu weihen. Der Richter der Neun Streiche und der Hüter des Kodex haben uns zugestimmt und senden diese Abschrift des Khunchomer Kodex, auf das sie hier zum Verständnis des Wesens unseres Herren diene.“
„Ich- Metenax Einarm, Sohn des Muhortimnax aus den Hallen Tosch Murs unter dem Amboß, geweiht im Tempel des Mantikors zu Gareth, nehme das Geschenk als Grundlage meines zukünftigen Wirkens im Hort der Bestie der immerwährenden Dunkelheit voller Stolz entgegen“, antwortete der Angroscho nicht weniger energisch. Assara trat vor und legte den Folianten auf den dafür vorbereiteten Buchständer, der aus Granit gefertigt neben dem Altar stand. Sie verneigte sich vor dem Kubus und stellte sich dann neben Calgar.
Der zwergische Geweihte hingegen trat einen Schritt vor, biss sich selbst in die gesunde, rechte Hand und legte sie blutend auf den Kodex. „Sohn ANGROSCHS und RONDRAS - HERR DER NEUN STREICHE, höre diesen, meinen Schwur.
DEIN ist meine Seele, DEIN ist mein Leib. Gebiete über beides, so wie es DEIN Wille ist.
Wir streben und sterben im Wetteifer um die Erfüllung DEINER Ideale. All mein Streben soll ab dem heutigen Tage diesem, DEINEM Tempel dienen. Messe mich an diesen Worten.
Ich will dafür Sorge tragen, dass die Angroschim von Isnatosch DEINEN Ruf vernehmen- so laut und so deutlich wie noch nie zuvor.“
„So hört, was der, welcher lachend über das Schlachtfeld schreitet fordert, damit er das Heiligtum anerkennt. Dort im Käfig ist der schwarze Panther, gefangen in den Dschungeln Al'Anfas. Sein Blut soll diesen Boden weihen, Seine Kraft in diese Halle eingehen.“ Er nickte Dwarosch und Metenax zu, drehte sich einmal um sich selbst um die anwesenden zu mustern so gut es im Halbdunkel ging und sprach dann mit ruhiger Stimme: „Doch ihr wisst, Rondras Scharfrichter gibt nicht ohne Kampf. Es ist gegen SEINE Natur, zu geben ohne ein Opfer zu bekommen. Wenn wir geweiht werden, geben wir IHM einen Teil von uns.“
Er hob die linke Hand, an welcher der kleine Finger fehlte. Obgleich er leise sprach trug seine Stimme ruhig und rau durch die gesamte Halle. Dwarosch spürte, wie sich seine Härchen an den Armen aufrichteten. Ein Kribbeln lief durch seinen Körper, und ein kurzer Seitenblick zu Metenax zeigte ihm, dass es diesem genau so erging. Die Brust des Obersten spannte sich. Nun war er da, der Moment auf den er so lange hingearbeitet hatte.
Auch Assara und Calgar spürten die Energie. Wie Ameisen kroch sie über ihre Körper und die daraus resultierende Anspannung war fast mit Händen greifbar. „ER ist der Kampf!“, donnerte Radomir, „ER ist die Gnadenlosigkeit. ER ist der gerechte Zorn und ER ist die Furcht unter den Gegnern. Ein guter Kampf ist unser Gebet, Unser Tod SEIN Geschenk an uns. Das ewige Schlachtfeld ist unsere Bestimmung, wenn wir lachend und mit SEINEM Namen auf den Lippen gegen einen stärkeren Gegner fallen.“ Radomir ließ die Worte einen Moment wirken ehe er fortfuhr:
„Doch nicht nur im Kampf werden wir gemessen, sondern auch an unseren Taten. Kein Diener des Blutigen ist unnötig brutal oder vergreift sich an Schwachen oder Wehrlosen. Immer streben wir danach, einen ebenbürtigen oder stärkeren Gegner zu nehmen, der einen würdigen Kampf liefern kann. Das ist es, was uns hervorhebt und von den Dienern der siebten Sphäre absetzt. KOR steht an der Grenze zur Sphäre der Dämonen, bereit sie jederzeit blutig und gnadenlos zurück zu schlagen um Alveran zu schützen. Und es ist unsere Aufgabe, unsere heilige Pflicht, hier auf Dere, SEINEN Willen zu tun und die Diener der Dämonen genauso blutig und gnadenlos zu verfolgen und zu bekämpfen. Darum kämpfen wir, danach streben wir, und deswegen errichten wir Tempel, in denen SEIN Wort gelehrt und verbreitet wird. Wichtiger denn je ist es, denn der Frieden ist trügerisch. Solange auch nur ein Dämonendiener über Dere wandelt, sind alle Reiche in Gefahr. Die Bingen der Zwerge genauso wie die Städte der Menschen. Wir alle haben gesehen, was der Sphärenschänder und seine Diener bewirkt haben. Tobrien ist noch besetzt, der Feind nicht vernichtet. Das Land ist verheert und SEIN Widersacher hält Ernte unter den Seelen der Kämpfer und des Volkes. Teile von Gareth sind verwüstet und das einst so stolze Aranien trägt noch immer die Spuren des Moghulats Oron und der Herrin der schwarzfaulen Lust. Mit allen Kräften müssen wir verhindern, dass es noch einmal so weit kommt wie wir es erlebt haben... Kämpfe stehen bevor, die es zu gewinnen gilt. Das Heldenzeitalter wirft seine Schatten voraus. Diener der siebten Sphäre agieren aus dem Verborgenen, oder zeigen sich offen um ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Dere zu schützen und der Ordnung zum Sieg zu verhelfen, dafür kämpft die Kirche des Blutigen. Und dies nicht nur mit Worten, sondern mit Kampf, mit Mut und festem Glauben. Feigheit kennen wir nicht. Schmerz ist unser Verbündeter im Kampf. Das Schlachtfeld ist unsere Gebetsstätte, denn kaum irgendwo sind wir IHM näher. Unsere Waffen und unsere Körper streiten für IHN. Für KOR, für Angrosch und alle anderen. Wir kämpfen mit Phexens List, mit Rondras Mut und mit KORs Gnadenlosigkeit. Wir kämpfen für den Sieg und Siegen für den Kampf. Wir schützen die, die es nicht selber können. Und dies auch für gutes Gold. Aber niemals verstoßen wir gegen SEINEN Willen oder die zwölfgöttliche Ordnung. Und wer dies tut, den richten wir ohne Gnade, auf das Rethon ihn wiege und seine Strafe bestimme.“
Kurz breitete sich Stille aus, als Radomir Luft holte. Metenax hatte nur wenige Priester des Gnadenlosen kennen gelernt, die so predigen konnten. Meist waren es harte Kämpfer, besser mit der Waffe als mit Worten. Doch Radomir sprach mitreißend und so dass es eine Freude war ihm zuzuhören. Auch der Oberst fühlte, wie die Predigt ihn ergriff. „Als Dwarosch, Sohn des Dwalin und Oberst der Eisenwalder mich in Tandosch aufsuchte und mir seinem Anliegen vortrug fragte ich mich, warum ich. Was bin ich anderes als einer unter gleichen, ein Bruder des Blutes und Kämpfer im Namen KORs. Was sollte mich befähigen, IHM einen solchen Dienst zu erweisen. Ich wusste es nicht, und so ließen wir den Herren der Schlachten selbst entscheiden. Wir kämpften ein Gebet, einen Lobgesang auf den Gnadenlosen, einen guten, einen sehr guten Kampf, bis ER sich offenbarte und uns zu verstehen gab das ER einverstanden war.“
Dwarosch lächelte, als er an den Kampf auf dem Hof des Tandoscher Tempels dachte und spürte, wie die Erinnerung die Kampfeslust aufflammen ließ. „Viel Zeit ist seit diesem Kampf vergangen, und ich habe meditiert, um zu ergründen, wie die Weihe dieses ganz besonderen Tempels zu vollziehen ist, und ER hat geantwortet!“
Er hob den Korspieß als Verlängerung seines Armes und deutete auf den Käfig, in dem der Panther in diesem Moment fauchte.
„Mit dem Blut des Panthers und dem Blut und Opfer eines Geweihten wird dieser Boden heilig.“ Er senkte die Stimme bis sie fast ein flüstern war, dass trotzdem jeder in der Tempelhalle hören konnte. „Doch blutig ist der Pfad des schwarzen Mantikors. Ein simples Opfer würde den Herren der Schlachten beleidigen. Ewig ist sein Schlachtfeld, ewig der Kampf zu seinen Ehren. UND EINEN KAMPF SOLL ES GEBEN, BRÜDER!!!“

Seine Stimme war lauter und lauter geworden. Den letzten Satz brüllte Radomir hinaus und seine Stimme füllte den Tempel komplett aus, hallte von Wänden und Decke und schallte in den Herzen der Anwesenden wieder. Die versammelten brüllten und riefen, bekundeten ihre Begeisterung das der Lärm ihrer Stimmen das brüllen des Panthers überdeckte. Der Oberst glaubte zu sehen, wie die Gestalt des Geweihten größer wurde. Auch wenn das natürlich nicht stimmen konnte.
Der rote, schwere Rauch des Räucherwerks, das in die glosenden Feuerschalen geworfen worden war, drang in die Nasen der Anwesenden und sorgte für einen leichten Schwindel. Dwarosch hatte Probleme, sich zu konzentrieren. Radomirs Stimme erfüllte seinen Kopf und sein Körper zitterte. Das Brüllen der Krieger, der Geruch, der Rauch. All das steigerte sich und Kampflust stieg in ihm auf wie Lava in einem Vulkan. Unbewusst griff er die schwere Eisenwalder Armbrust fester. Ein Grinsen umspielte seine Lippen und sein Herzschlag beschleunigte sich.

Metenax fühlte es auch. Das Kribbeln und das Zittern, das unbändige Feuer, das in seiner Lebensesse brannte und jetzt immer größer und heißer wurde. Calgar begann unruhig zu werden, genau wie Assara, deren Augen das gleiche unheilvolle Glühen aufwiesen wie die ihres Vaters. SEINE Kampfeslust brannte in Ihnen allen. Auch die Zwerge an den Wänden bewegten sich und scharrten mit den Füssen.
Radomir schlug das Ende seines Spießes auf den Boden und Stille kehrte ein.
„Der Kampf gegen den Panther wird entscheiden, ob dieser Tempel mit seinem oder mit meinem Blut und Leben dem geifernden Schnitter geweiht wird. Aber bei KOR und seinen Kindern, ich schwöre feierlich es soll ein Kampf werden, der IHM Ehre macht. Trefft die Vorbereitungen!“

Der Tandoscher ging zur Seite, gab seiner Adjutantin seinen Spieß und seinen Umhang. Calgar nahm das Schwertgehänge samt Gürtel entgegen. Dann zog Radomir sein Hemd aus. Er stand dabei mit dem Rücken zum Altar. Dwarosch nickte zwei seiner Eisenwalder zu, die zusammen mit Metenax den Käfig mit dem unruhigen Panther zum Öffnen vorbereiteten.
Dann blickte er zum tandoscher Geweihten herüber, gerade als dieser sich seines Hemdes entledigte und schluckte. Der gesamte breite Rücken des Geweihten war mit Peitschennarben überzogen. Dicht an dicht saßen sie, unzählige, kreuz und quer. Jemand musste versucht haben, den Willen Radomirs in der Sklaverei zu brechen. Doch wer auch immer es gewesen war … er war gescheitert.
Er sah, wie Radomir seiner Tochter die Hand auf die Schulter legte und ruhig mit ihr sprach. Calgar hatte einige Schritt zur Seite getan, so dass der Geweihte ungestört mit Assara reden konnte. Als er geendet hatte, legte sie ihre Hand auf die Schulter des großen Mannes.
Niemand hat je gesagt, dass die Geweihten des Blutigen keine Gefühle hatten. ‚Aber sie haben sie gut unter Kontrolle und Kaltherzigkeit im Kampf bedeutet nicht zwangsläufig Kaltherzigkeit im Leben‘, dachte er bei sich.
Der Tandoscher ging, nachdem er Calgar fest die Hand geschüttelt hatte, nur mit einem Dolch in der Hand, auf die von Dwaroschs Warte aus gesehen andere Seite des Altares. Gemurmel wurde laut, als die Gäste sahen, dass er nur mit Stiefel und Hose bekleidet gegen die Bestie antreten würde. Der Feuerschein warf Schattenspiele auf den muskulösen Oberkörper und tauchte Radomirs Haut in einen dunklen roten Schimmer. Unter der Haut konnte man das Zusammenspiel der Muskeln erkennen. „Geifernder Schnitter, höre meinen Ruf!“, donnerte seine Stimme durch die Halle, „hier stehe ich. Radomir von Tandosch. Bruder des Blutes wie einst Ghorio von Khunchom, den DU selbst als Ersten unter Gleichen erwähltest.“
Er hob die Arme und ritze sich mit dem Messer neun Mal in den Unterarm. Als der Panther das Blut roch fauchte und brüllte er.
„Schwarzer Mantikor, mit jeder Faser meines Körpers bin ich DEIN! In DEINEM Namen kämpfe ich, in DEINEM Namen sterbe ich, auf das DU mich auf das ewige Schlachtfeld führest. Höre meine Stimme und sieh auf uns herab, die wir DEIN neues Heiligtum weihen, auf das in DEINEM Namen hier DEINE Werte gelehrt und gelebt werden. KOR, gib uns ein Zeichen das DU uns siehst.“ Während er dies sagte, hatte er sich das Schwertkreuz des Blutigen mit neun Schnitten in die Haut über dem Herzen geschnitten. Das letzte Wort des Geweihten kann als Echo von den Wänden zurück, obwohl es vorher kein Echo gegeben hatte. Der Oberst schaute auf seinen Freund aus Tandosch, der mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen unmittelbar vor dem Altar stand, seine Brust ihn berührte.
Nachdem der neunte Tropfen in absoluter Stille gegen das Metall des Würfels geflossen war, rollte ein Donner durch die Tempelhalle. Die Augen der Mantikore auf dem Altar begannen in hellem roten Licht zu strahlen und ein tiefes, nicht von Dere stammendes Knurren grollte aus den Mäulern der Bestie.
Dwarosch spürte Kraft. Unbändige, wilde, göttliche Kraft, die ihn streifte. Er hörte ein Lachen und sah, dass es von Metenax stammte, dessen Augen leuchteten. Der Oberst sank auf ein Knie herab. Auch Assara, Calgar und Metenax gingen auf ein Knie nieder. Einzig Radomir stand. Er lachte aus voller Brust und brüllte: „SPÜRT IHR SEINE KRAFT? ÖFFNET IHM EURE SEELEN BRÜDER UND SPÜRT SEINE MACHT. ER IST DA! ER IST GEKOMMEN ZU SEHEN!!! ÖFFNET DEN KÄFIG!“
Metenax öffnete den letzten Riegel und zog mit seinem Metallarm die Gittertür auf. Der Panther brüllte auf und sprang mit einem gewaltigen Satz auf die Fläche vor dem Altar. In dem Moment als die Tür geöffnet wurde hatte Radomir den Altar umrundet und stand der Bestie gegenüber. Auch der Geweihte brüllte, und der Panther wandte sich ihm zu.

Was nun folgte war etwas, das keiner der Anwesenden je vergessen würde. Der Panther sprang mit einem gewaltigen Satz auf Radomir zu. Doch anstatt auszuweichen nahm dieser Anlauf und rannte lachend auf das Tier zu.
Der Zusammenprall riss den Geweihten um, jedoch schaffte dieser es sich mit dem Panther zu drehen, so dass das Tier unter ihm zu liegen kam. Dafür versenkten sich die Zähne des Panthers in seiner Schulter, die Krallen der einen Hinterpranke rissen seinen Oberschenkel auf und die Krallen der vorderen Pranken bohrten sich in seinen Rücken. Doch auch der Tandoscher hatte getroffen. Der Dolch war in die Seite des Panthers gefahren und hatte einen tiefen Schnitt hinterlassen, aus dem das Blut lief. Das Tier rollte sich auf die Pfoten und warf den Geweihten von sich. Radomir landete auf der Seite und erhob sich, nachdem er kurz den Kopf geschüttelt hatte um sich zu sortieren. Sein Blut lief in großen Strömen aus seinen Wunden auf den Boden. Der Panther brüllte vor Schmerz und Wut und sprang erneut. Er war einen Lidschlag schneller als Radomir und prallte gegen ihn bevor dieser sich ganz aufgerichtet hatte. Er wurde erneut von den Füßen gerissen und schlug hart auf den Boden. Das Gewicht des Panthers drückte ihn nieder, das Messer war seiner Hand entglitten und rutschte die Stufen vor dem Altar hinab.
Dwarosch hielt den Atem an, Calgar machte einen halben Schritt nach vorn, wurde jedoch von Assara festgehalten. Der Oberst hob die schwere Armbrust ein Stück, doch dann sah er ungläubig, wie der Geweihte seine Hände an den Hals der Bestie brachte und den Kopf des Panthers auf Armlänge von sich hielt. Die Krallen der Pranken rissen tiefe Wunden in seine Brust und seine Arme, doch das wütende Fauchen mischte sich mit dem tiefen Lachen Radomirs. Mit übermenschlicher Kraft schaffte dieser es, sich trotz des Panthers in eine sitzende Position zu bringen und das Tier von sich zu schleudern. Der Panther schlug mit dem Kopf gegen den Altar und blieb eine kurze Zeit benommen sitzen. Der Geweihte erhob sich. Er bot einen schrecklichen Anblick. An seinem rechten Oberarm war in einer blutigen Wunde der Knochen zu sehen. Der linke Arm war fast komplett zerfetzt. Er hatte eine tiefe Wunde quer über die Brust, Krallenwunden an Ober- und Unterschenkeln und am Rücken. Aber seine Augen glühten im Halbdunkel und sein Lachen hallte durch den Raum. Der Panther schüttelte den Kopf und setzte zum nächsten Sprung an.
„Blutiger KOR, ich bin DEIN. Erkenne mein Leben und Blut als Opfer an und Weihe diesen Tempel!“ Dwarosch hörte die Worte und sah, wie sein Freund die Arme ausbreitete, die Augen schloss und lachend den Kopf in den Nacken legte. Ströme von Blut ergossen sich aus dem Geweihten und liefen über den Boden. ‚Er weiht meinen Tempel mit seinem Leben!‘, dachte Dwarosch.
‚NEIN‘, hörte der Zwerg eine Stimme in seinem Kopf die ihn traf wie ein Schmiedehammer das glühende Eisen. Dann geschah das Unglaubliche. Die Zeit dehnte sich. Dwarosch und alle Anwesenden sahen, wie der Panther sich wie in Zeitlupe vorwärtsbewegte. Radomirs Lachen ging in ein Brüllen über.
Metenax Augen weiteten sich. Der zwergische Geweihte sah wie sich der blutende Körper seines Bruders veränderte. Auch Dwarosch, Calgar und Assara rissen die Augen auf. Die Zwerge an den Wänden stießen erstaunte Rufe aus.
Radomir spross schwarzes Fell. Kopf und Zähne wuchsen während seine Gestalt auf alle viere ging und sich streckte. Knochen knackten und verformten sich, Hände und Füße wurden zu Pranken, die Bekleidung riss und die Stiefel platzen auf und fielen von den jetzt mit Fell bedeckten Pranken. Glänzend blauschwarzes Fell bedeckte ihn nun zur Gänze, und ein ohrenbetäubendes Brüllen erklang. Der Geweihte hatte sich in einen riesenhaften Panther verwandelt.
Dann sprang auch Radomir und die Zeit lief wieder normal. Die beiden kämpfenden Panther trafen in der Luft zusammen, rollten über den Boden und rasend schnell wurden Hiebe mit den Pranken und Bisse ausgetauscht. Man konnte kaum sagen, welcher Panther welcher war. Knurren und Fauchen hallte und der Kampf wogte hin und her. Dwarosch merkte, dass er den Atem angehalten hatte, während Metenax erneut auf die Knie gesunken war und mit großen glühenden Augen den Kampf verfolgte. Calgar traute seinen Augen kaum und hatte der Verwandlung seines alten Kampfgefährten ungläubig zugesehen. Auch Assara kniete und ihre Lippen bewegten sich in einem stummen Gebet. Es war unmöglich, die Augen von dem sich windenden Knäuel aus Krallen, Zähnen und Fell zu wenden.
Der Geweihte in Panthergestalt schaffte es schließlich, sich von dem echten Panther zu lösen und seine Zähne im Nacken des Tieres zu versenken. Mit lautem Krachen brach das Genick der Großkatze, aber Radomir lies nicht los. Er schleppte den noch zuckenden Körper mit sich und sprang mit der Last in seinem Kiefer über die hölzernen Stufen bis hinauf zur Spitze des Altars.
Dort oben legte er das Tier zwischen den Mantikorfiguren ab und riss dem Panther den Leib auf. Das Blut des Tieres rann vom Kubus auf den Boden und auch das Radomirs, welches aus den Wunden floss, die der Panther ihm gerissen hatte, nahm denselben Weg.
Hoch richtete sich der geweihte Panther auf und brüllte ohrenbetäubend mit aller Kraft, bevor er auf dem Kubus stehend umfiel und scheinbar verschwand. Atemlose Stille herrschte. Kein Geräusch war zu vernehmen. Metenax hatte sich erhoben und auch alle anderen standen wieder und starrten auf das tote Tier auf dem Altar. Dwarosch atmete tief durch.
Der metallische Geruch von Blut füllte seine Nase und sein Denken. Calgar verlagerte leicht nervös sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Niemand wagte sich zu rühren und nachzusehen, was hinter dem Altar passierte.
Dann sahen sie alle eine Bewegung. Eine versteckte Tür an einer der Seitenflächen des Kubus schwang auf und Radomir trat heraus, aus unzähligen Wunden blutend, aber ohne zu schwanken. Kein Zeichen der Schwäche war zu erkennen.
Sein Fleisch hing teilweise in Fetzen an ihm herunter. Rippen waren zu sehen wo die Krallen über und in der Brust Radomirs gewütet hatten. Tiefe Wunden an Armen und Beinen bluteten oder gaben den Blick auf Knochen und Muskeln frei. Der Geweihte glich mehr einem Monster als einem Menschen. Er legte seine Hände in das Blut des Panthers, das am Kubus herablief und sich am Boden mit dem seinen vermischte. Dann sprach er. Doch es war nicht seine Stimme. Er sprach gewaltig wie der Gewittersturm und eisig wie der Firunswind. Die Stimme, die aus ihm sprach war rollte wie eine Schockwelle durch den Raum und zwang alle in die Knie.
„ICH HABE GESEHEN UND ICH ERKENNE AN. DIES IST JETZT MEIN HEILIGTUM. ERWEIST ES MIR ALS WÜRDIG! ABER….“, die Stimme bekam einen fast belustigten Unterton, „ ES FEHLT NOCH EINES!
RADOMIR, DU HAST MIR EIN OPFER VON DIR VERSPROCHEN.“
Alle sahen, wie sich die rechte Hand des Geweihten hob und… das linke Auge aus der Augenhöhle riss, zum Kodex schritt und es darauf platzierte. Dann war es still. Unnatürlich still. ER war fort.

Radomir schwankte, und Dwarosch fürchtete den Freund nun ein letztes Mal fallen zu sehen. Doch der Tandoscher begann zu lachen. Erst lautlos und leise, wie ein stummes Beben des zerschundenen Körpers, mehr zu sich selbst, dann immer lauter werdend. Und je kräftiger und länger er lachte, umso mehr schlossen sich seine Wunden. Knochen richteten sich, Fleisch kroch wieder dorthin, wo es vorher gesessen hatte, und Haut bildete sich neu. Nur das Auge wuchs nicht nach. Es blieb eine leere, schwarze Höhle. Ehrfürchtige Stille, nur von dem Lachen des Geweihten unterbrochen, füllte den Raum.
Nackt und völlig unversehrt trat Radomir vor den Altar. Narben waren geblieben, wo die Krallen des Panthers ihn zerfetzt hatten. Assara kam vor und legte ihm den roten Mantel um, den er am ersten Abend getragen hatte. Auch eine neue schwarze Hose bekam er und Calgar reichte ihm das Schwertgehänge. Nachdem der Tandoscher sich notdürftig angekleidet hatte, sprach er:
„Krieger der Angroschim, opfert von Eurem Blut, um Euren Bund mit Ihm zu bekräftigen!“ So aufgefordert, traten die Zwerge näher. Der Kreis schloss sich eng um den Altar- den riesigen Kubus.

Ein gewaltiges Getöse, das jäh, mit einer machtvollen, das Diesseits erschütternden Präsenz sein Ende gefunden hatte. Marbolieb benötigte niemandem, der ihr beschrieb, was hier vor sich gegangen war – zu deutlich waren der Kampf, zu deutlich die Anwesendheit des Anderen gewesen – Krieg, Kraft und schiere, blicklose Wut, die wie ein Schrei das gesamte Wesen verschlang. Ähnlich wie Seine Gegenwart – und doch gänzlich anders. So entging ihr der Wandel von Geweihtem zu Panther, der Kampf der Gleichen und das blutige Opfer. Ihre Kenntnisse des Rogolan beschränkten sich auf eine halbe Handvoll Worte, und keiner der Krieger um sie herum hatte es für nötig befunden, auch nur einmal das Wort an sie zu richten. Was, wenn sie gnädig beurteilte, vielleicht daran gelegen hatte, dass sie von dem brüllenden Streit der Mächtigen ganz und gar gefesselt waren. Oder daran, dass sie nicht das Wort an eine Geweihte des Totengottes richten würden. Vermutlich aber lediglich daran, dass sie sie schlicht und einfach übersehen hatten – wie fast jeder. Was vermutlich auch besser war als die halblaut geflüsterten Kommentare, die sie nur fast nicht hören sollte. Über die Menschenmetze des Oberst, die er sich für sein Bett geholt hatte, die ihm ein Kind unterschob und ihm die Taschen leerräumte – oder, vom menschlichen Teil der Soldaten, über die Zwergenhure, die sich mit einem Angroscho einließ und es darum auch mit anderen tun würde. Wie oft wehten ihr diese Wortfetzen an die Ohren – und sie hatte geschwiegen, wie sie es immer tat, den Kopf gesenkt, sich die Kapuze ins Gesicht gezogen und war weitergegangen. Wie immer. Wenn sie wieder einmal einen Rempler oder einen Tritt abbekam, der ja auch nur ein Versehen und ihrer Ungeschicklichkeit geschuldet sein konnte. Wieder einmal vergessen wurde, was niemals ein böser Wille war. Wie immer.
Die Fingernägel ihrer geballten Faust gruben sich in das Fleisch ihrer Hand, wollten die Wut zügeln und zurückhalten (wie immer), als sie sich, nach der Masse der Krieger, nach vorn tastete. Hinten im Kreis stand. Den Abdruck eines Stiefels auf ihren Zehen spürte, am gesamten Körper bebte. Tief nach Luft rang, mit den Zähnen knirschte, das Heft ihres Messers in der Hand hielt.
Und es sich mit einem raschen, tiefen Schnitt über den Unterarm zog, einmal, zweimal, dreimal.
Marbolieb fühlte, wie die Klinge in einer feurigen Spur über ihren Arm sengte, die Flüssigkeit, die sich entlang ihres Armes sammelte und an ihrem Handgelenk als steter Strom zu Boden rann, ihre Emotionen versammelt in dem jäh aufflammenden Schmerz.
„Nimm' das als mein Opfer, Rondrassohn.“ Nicht mehr als ein Flüstern ihre Stimme, als sie all ihre Wut, all ihren Zorn, alles zusammen ihre Schwäche mit ihrem Blut zu Boden rinnen ließ, fort – und dem zu Gefallen, der sich im Toben und Donnern wiederfand.
Mit ihrem Opfer verrann die Hitze, der Zorn, der sie so unvermittelt geschüttelt hatte – hinterließ ein Gefühl der Leere. Der Kälte. Ein vertrauter Freund.

Als der Oberst vortrat, machten ihm die anderen Angroschim bereitwillig Platz. Jeder in Senalosch kannte Dwarosch und seine bewegte Lebensgeschichte. ‚Oberst‘ war so was wie sein Ehrentitel geworden.
Stumm legte der bullige Angroscho beide Hände und ebenso die Stirn an den Kubus, als er bei ihm angelangt war. So verharrte Dwarosch unbewegt an Ort und Stelle, richtete seine Worte ins Innere und wusste, das ER ihn hören würde.
‚Dies soll mein größter Dienst an DIR sein. Doch mehr noch ein Dienst an meinem Volk. Vergiss das nie.
Ich beuge mich DEINER göttlichen Macht, weiß darum, dass mein Körper DIR gehört, denn ich trage DEIN Mal - doch meine Seele wirst DU nie besitzen. Auch das weißt DU. Ich danke DIR für zurückliegende, ebenso wie ich DICH für den Weg hierhin verfluchen möchte.‘

Die Zwiesprache des Oberst, die so charakteristisch für sein Verhältnis zu Kor war, währte lang. Doch trotz allen Zweifeln, allen Haderns- in diesem Moment überwog in Dwarosch ein Gefühl, das er selten mit Kor in Verbindung brachte - Dankbarkeit.
Metenax stand stumm daneben und sah mit stolz auf das Geschehen. So manchem, der sich wieder vom Altar wegbewegte, um anderen Platz zu machen, klopfte er auf die Schulter. Seine Verbundenheit war deutlich, Er war einer von ihnen und war nicht nur hier um KOR zu dienen, sondern auch ihnen, den Krieger, Soldaten und natürlich auch den Söldnern.
*
„Kommt zu mir, mein Bruder“, sagte Radomir, wobei er auf Metenax deutete, „dieser Tempel ist nun SEIN Tempel. Und so wie mein Auge über ihn wachen wird, so wird ER über ihn wachen. Ihr seid nun der Hauptmann-Geweihte dieses Heiligtums! Schlagt ein, Metenax Einarm, Sohn des Mantikor!“ Er streckte die Hand aus und erwartete den Zwerg. Dwarosch spürte, wie ihn ein Schauer überlief. Es war vollbracht.
Metenax griff mit der immer noch blutverkrusteten Hand zu und lächelte grimmig. „Jeder Söldner der nach Senalosch kommt, wird in SEINEM Tempel beten- und so sie dies tun, werden sie die ruhmreiche Geschichte dieses Tages vernehmen und hinaustragen in die Stollen und Hallen meiner Rasse, aber auch in eure Städte Bruder.“ Er legte den Kopf in den Nacken und lachte. „So KORs Opfer ausgeblutet ist, werde ich ihn eigenhändig häuten und dir aus seinem Fell einen Überwurf fertigen lassen. Du trägst den schwarzen Panther mit Recht, denn ER selbst hat dir dieses Gestalt zugestanden.“

Dwarosch trat zu den beiden und lächelte. Radomir erkannte, wie erleichtert er war. Ja, der Oberst wirkte gelöst.
„Ich bin froh, dich wohlauf zu sehen, Bruder, auch wenn dein Opfer dennoch beträchtlich ist. Ich hoffe, es schmerzt nicht zu sehr.“ Er sah in Radomirs leere Augenhöhle und schüttelte den Kopf, ungläubig - als könne er das, was geschehen war, noch nicht fassen.
„KOR hat heute, wie bei unserem ersten gemeinsamen Gebet auf dem Exerzierplatz, direkt zu uns gesprochen, SEINEN Willen klar offenbart. Die Kunde dieser Weihe wird bis weit über die Grenzen der Nordmarken getragen werden und ihren Widerhall finden. Großes hast du vollbracht Bruder und ich werde dir ewig dankbar sein dafür. Und komme ja nicht auf die Idee, dir ein passendes Schmuckstück als Ersatz für dein Auge auszusuchen.“
Dwarosch schmunzelte hintersinnig. „Es wird mir eine große Ehre sein, diese Aufgabe zu übernehmen.“
Radomir lachte und sah zu dem Zwerg hinab. „Der Schmerz lässt bereits nach. Nur an das neue Sichtfeld werde ich mich gewöhnen müssen.“ Er sah hinüber zu dem Codex, auf dem sein Auge lag. „Eine völlig neue Erfahrung, sein eigenes Auge weit von sich weg zu sehen. Ich werde mich jetzt kurz zurückziehen, mein Freund, um mir etwas Ordentliches anzuziehen und ein Gebet zu sprechen. Danach werden wir feiern.“ Er wandte sich ab, hielt aber nochmals inne und drehte sich noch einmal zu Dwarosch: „Und nicht ich habe Großes vollbracht, sondern wir. Du hast die Arbeit geleistet, ich nur die Weihe vollzogen.“ Er lächelte. „Ach, und wenn Du irgendwo eine Augenklappe auftreibst, wäre ich dankbar, wenn Du sie mir bringen lassen könntest. Ich denke in einem halben Wassermaß werde ich wieder hier sein.“
Dwarosch fiel auf, dass sein Freund haderte. Mit was, konnte er jedoch nicht sagen.

Während die anderen Gäste der Weihe zu ihrem Recht kamen, Blut opferten und ihre Gebete an den Sohn Rondras und Angroschs richteten, schritt der Oberst um den Altar herum, bis er Marbolieb gefunden hatte. Er trat an sie heran und nahm sie ohne Vorwarnung sanft in den Arm und hob sie kurz, sie an sich drückend, hoch.
„Hast du IHN gespürt“, fragte Dwarosch, immer noch leicht euphorisiert durch das Geschehene.
Die Geweihte nickte. Sie hatte ihre Kapuze bis zur Nasenspitze gezogen, so dass von ihrem Gesicht nur ihr Kinn und ihre roten Lippen zu sehen waren – auf denen in diesem Augenblick jedoch kein Lächeln lag.
„Machtvoll.“ Marboliebs Hände gruben sich in Dwaroschs dichtes Haar, als sie, eng an ihn gedrückt, wieder zu stehen kam, und hinterließen eine feuchte Spur auf seinem Rücken.
„Laut. So wütend.“ Noch immer spürte sie den Nachhall des heftigen Brodelns in ihrem Blut, diese riesige Woge blanken, brennenden Zorns, die über sie hereingebrochen war. „Gewaltig.“
Durch den Stoff ihrer Robe fühlte sie den hämmernden Herzschlag des Oberst, die Hitze, die er abstrahlte. So viel Nähe – nicht genug. „Er hat ein würdiges Haus.“
Dass Dwarosch fast unbekleidet war, störte sie nicht.

Der Oberst war so euphorisiert, innerlich erhitzt und voller Energie, dass diese Art von Erregung in eine andere umzuschlagen drohte. Fester, als sie es von ihm kannte, legte Dwarosch seine kräftigen Hände an ihre Hüften, während er sie mit Leidenschaft in den Augen ansah. Letzteres spürte sie, sehen konnte sie es ja nicht.
Der feste Griff des Zwergen presste Marbolieb gegen seine breite Brust. Durch den leichten Stoff ihrer Robe hindurch spürte Dwarosch ihren raschen, lauten Herzschlag. Unfähig, sich zu bewegen, wurde ihr gleichzeitig heiß und ihre Hände und Füße eiskalt, während der Geruch nach Mann, Schweiß, Blut und Erregung in ihre Nase drang. Kaum einen dreiviertel Kopf größer war sie als der hochgewachsene, kraftvolle Oberst, dessen Gesicht durch sein Manöver an einem beachtenswert spektakulären Ort gelandet war. Die kleine Geweihte presste sich an die muskulöse Gestalt des Zwergen und ihre Brust hob und senkte sich im Rhythmus ihres raschen, stoßweisen Atems. Marbolieb befeuchtete sich ihre mit einem Mal trockenen Lippen, die, halbgeöffnet, eine einzige Herausforderung darstellten.
Eine, die Dwarosch nicht auszuschlagen imstande war, nicht in diesem Moment.
Der folgende Kuss war stürmisch und fordernd - ungeahnt fordernd. Marbolieb kannte diese Seite von Dwarosch nicht. Für sie war er eher einfühlsam, zärtlich, zwar auch leidenschaftlich - aber nicht auf diese Weise. Zumindest war das ihre Einschätzung nach ihrer eigenen, sehr beschränkten Erfahrung.
Marbolieb wusste nicht, wie ihr geschah. Sie hatte sich – nicht leicht, doch längstens – damit abgefunden, nur freundschaftliche Gefühle, ganz sicher aber kein Begehren in Dwarosch auszulösen. Nicht verwunderlich – war sie doch weder hübsch noch besaß sie große Rundungen noch lange Zöpfe noch sonst etwas, dass ein Mensch – oder ein Zwerg - als ansehnlich bezeichnen würde. Und so war dieser leidenschaftliche Kuss ganz sicher nur der Tempelweihe zuzuschreiben, die das Blut des Oberst in Wallung gebracht hatte.

Nichtsdestotrotz – ein Kuss, den sie sich höchstens hatte erträumen können. Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden und das Blut in ihren Ohren zu rauschen begann, als Dwarosch nachdrücklich ihren Mund eroberte. Ihre Hände gruben sich in sein dichtes, volles Haar, ein einziger sicherer Anker in dem Mahlstrom, in dem ihre Empfindungen wirbelten und ihre Welt in Scherben schlugen. Ihre Kapuze rutschte unbemerkt von ihrem Kopf, als sie, dem Drängen des Zwergen nachgebend, sich in dem Vordringen seiner Lippen und seiner Zunge verlor.
Geboren aus dem Impuls des Momentes, aus dem geweckten, fast schon animalischen Verlangen, dem anscheinend wie nie zuvor heiß lodernden Feuer seiner Lebensesse - hob Dwarosch Marbolieb hoch und legte sich ihre Schenkel um die Hüften. Sie war so leicht, ihr Gewicht keine Herausforderung, ja vielmehr einer Einladung gleichkommend. Der Kuss endete nicht, als er sie, die er in diesem Moment mit nicht geahnter Leidenschaft begehrte, forttrug. Hinaus aus dem Dom, weg von all den anderen. Er kannte diese Hallen, brauchte sich seiner Sinne kaum zu bedienen, um, Marbolieb vor sich haltend, den rechten Weg zu finden. Wohin? Die Frage stellte sich nicht - Dwarosch wusste, dass kurz hinter der großen Halle die ersten ungenutzten Quartiere lagen. Alles andere war vollkommen gleichgültig.

*
Als Radomir nach etwas mehr als der von ihm anvisierten Zeit zurückkam, trat Metenax an ihn heran und reichte ihm stumm die gewünschte Augenklappe. Der Zwerg sah den menschlichen Geweihten dabei offen ins Gesicht und suchte … was, das wusste er selber nicht.
„Was stört dich Bruder“, sprach er leise. „Ich habe den Unterton in deiner Stimme vernommen bevor du den Dom verlassen hast. Stimmt etwas nicht?“ Radomir legte die Augenklappe an. Er trug jetzt eine fein gearbeitete rote Stoffweste mit schwarzen Schultern, schwarzen Schößen und silbernen Knöpfen mit dem Schwertkreuz. Dazu eine schwarze Tuchhose, die Reitstiefel und einen schwarz-roten Halbseitenumhang mit dem schwarzen Mantikor.
Er atmete tief durch und sah Metenax an.
„Bruder", sagte er mit ruhiger Stimme, „ich weiß nicht wie ich es in Worte fassen soll. Ich hatte gehofft, heute das ewige Schlachtfeld zu sehen.“ Er hielt kurz inne und lachte tonlos. „Welch größere Ehre kann es geben, als IHM einen Tempel zu Weihen und in einem guten Kampf dafür sein Leben zu geben. Ich war sicher, ER würde es genauso sehen, aber….. Nun ja. Ich bin noch hier. Mit meinen 42 Götterläufen einer der ältesten menschlichen Geweihten. Ich zweifle nicht an SEINEM Plan für mich. Aber ich muss mich jetzt damit abfinden, dass es wohl noch etwas für mich gibt, was ich für IHN tun soll. Und das ist nicht ganz leicht. Verstehst Du, was ich sagen will?“
Metenax Augen ruckten angespannt hin und her, während Radomir sprach. Als er geendet hatte, klarte sein Gesicht auf und er nickte verstehend. „Du hast recht. Das du noch lebst, muss einen Sinn haben!
Doch noch eines ist sicher. ER wird dir SEINEN Willen offenbaren, wenn es soweit ist. Heute jedoch ist dafür nicht der rechte Zeitpunkt. Außerdem kann ‚ICH‘ das nicht zulassen.“ Der zwergische Geweihte lachte.
„Über deinen weiteren Lebensweg sinnen wir ein anderes Mal nach, Bruder.
Dass du kämpfen kannst, weiß ich jetzt, doch es gibt etwas, dass mich fast ebenso interessiert.“ Metenaxs Grinsen wurde immer breiter. „Wieviel Bier verträgst du?“

Radomir sah den Zwerg an. Sein Grinsen wirkte ansteckend. „Ich würde mir niemals anmaßen zu versuchen, einen Angroschim unter den Tisch zu saufen. Aber wir werden feiern. Nur muss ich vorher noch einige Dinge erledigen.“
Die Angehörigen der Elitegarde waren noch im Dom und beteten oder standen in Grüppchen zusammen, genau wie die anderen Gäste. Radomir klopfte Metenax auf die Schulter und wandte sich zum Altar. Langsam schritt er auf ihn zu, und die Zwerge an denen er vorbei kam verstummten und neigten die Häupter. Eine Ehrerbietung, die kaum einem Menschen vorher zu Teil wurde. Sie akzeptierten den guten Kampf und den Mut, und beides hatten sie heute gesehen.
Kurz vor dem Altar kam ein Zwerg zu ihm und streckte ihm die Hand entgegen. „Euer Gnaden, erlaubt das ich Euch die Hand schüttel. Seit dreihundert Götterläufen bete ich zum Sohn Angroschs und heute habe ich eines SEINER Wunder gesehen. Ich danke dem Blutigen und Euch, dass ich es erleben durfte. Ihr seid ein großer Kämpfer, Euer Gnaden.“ Der Geweihte lächelte den alten Zwergen an. „Ich danke Euch. Aber ich habe nur SEINEN Willen erfüllt.“
„Und das habt ihr in SEINEM Sinn getan.“ Der Zwerg neigte den Kopf und ging wieder zu der Gruppe bei welcher er vorher gestanden hatte. Assara und Calgar traten zu ihm, als er gerade die rechte Hand an das kühle Metall gelegt hatte. Bisher hatten die beiden an der Seite des Altars gestanden und über das Geschehene gesprochen.

Die junge Frau legte dem Mann die Rechte auf die Schulter. „Vater, es war unglaublich. Auch wenn ich wusste, dass Du heute hättest fallen können….“ Sie stockte kurz und schaute auf die schwarze Augenklappe, „ich bin glücklich, dass Du noch hier bist.“
„Ich auch, mein Kind. Auch wenn ich auf dem ewigen Schlachtfeld Deine Mutter wiedergesehen hätte, ER scheint noch Pläne für mich alten Mann zu haben.“ Radomir zog, ganz entgegen seiner Gewohnheit, seine Tochter kurz an sich. Dann wandte er sich an Calgar. Dieser sagte: „Wir haben viele Schlachten gemeinsam gekämpft, alter Freund. Doch nichts ist mit diesem heute zu vergleichen.“
„Vielleicht der mit der Weibelin in Vallusa" , antwortete Radomir mit einem Grinsen, dann fielen sich die beiden Kämpen in die Arme und lachten, bevor Radomir sagte: „Jetzt wollen wir feiern. Wo sind Dwarosch und Marbolieb?“
Er sah sich um, und kurz blieb sein Blick an seinem Auge hängen, das immer noch auf dem Kodex lag.

Ein dreckiges Lachen von seiner Seite ließ Radomir wieder zu Metenax blicken, der hinter ihm zum Altar geschritten war. „Die beiden huldigen wohl gerade dem bocksbeinigen Gott und finden so einen eher persönlichen ‚Höhepunkt‘ des Tages.
Ich bin mir aber sicher, dass Dwarosch bald wieder ‚zu uns stoßen‘ wird.“ Nochmals lachte Metenax und schüttelte dabei amüsiert den Kopf, wohl auch über seine eigene Wortwahl.
Radomir zog eine Augenbraue hoch, Assara grinste breit und Calgar begann zu lachen.

Gemeinsam wählte man den Weg aus dem Dom und fand sich in einer großen Gruppe wieder in dem Saal ein, in dem Radomir und die anderen bereits bei ihrer Ankunft in Senalosch gespeist hatten.
Ganze vier Fässer waren dort auf Böcke gestellt und bereits mit einem Zapfhahn versehen. Die lange Tafel stand voller, noch leerer Krüge. Mehrere, hölzerne Platten mit kalten Speisen, vornehmlich Fleisch und allerlei Käse befanden sich ebenfalls darauf.

Metenax blieb am Fuß der Treppenstufen stehen, die zum Fuß der Halle führten und klatschte in die Hände. „Esst, trinkt, feiert und schenkt Isnatosch neue Söhne und Töchter“ - mit diesen Worten eröffnete der Zwerg das Festbankett.
Fünf Musikanten, ebenfalls allesamt Angroschim, bauten sich auf einer der Längsseiten auf. Trommel, Pauke, sowie zwei Sackpfeifen und eine von einer Zwergin gespielte und für den Eisenwald eher ungewöhnliche Querflöte sorgten ebenso wie das große Feuer im Kamin für eine heimelige Stimmung.
Während Calgar und Assara zu Fleisch und Käse gingen, begaben sich die beiden Geweihten zum ersten der großen Fässer. Radomir warf Metenax einen Humpen zu, welchen dieser mit einem eleganten Griff aus der Luft griff und aus der Bewegung heraus unter den Zapfhahn hielt. Schäumend kam das dunkle Nass aus dem Hahn und füllte den Humpen. Metenax reichte seinem Bruder den Vollen und nahm den Leeren entgegen.
Als auch dieser gefüllt war drehten sich die beiden um und überblickten den Saal.
Assara hatte drei Krüge gefüllt, für den Vogt, Calgar und sich selbst. Die drei kamen jetzt zu ihnen und gemeinsam hob man die Humpen. „Auf Kor, auf seinen neuen Dom, und darauf, das sein neues Heiligtum viele Götterläufe übersteht.“ , sagte Assara.
„Auf die Kämpfer, die hier nun Seine Werte erfahren können und einen Anlaufpunkt haben.“, sagte Calgar.
„Auf Metenax, den Sohn des Mantikor und Hauptmanngeweihten dieses Doms.“, schloss sich Radomir an.
„Auf Radomir von Tandosch, der mit Seinem Mut, seinem Kampf, Seinem Blut und Auge diesen Tempel geweiht hat.“, sagte Borindarax.
„Und nicht zuletzt auf Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin, auf dessen Betreiben dies alles erst möglich wurde, und welcher Momentan wohl drängenderen Beschäftigungen nachgeht als mit seinen Freunden auf das Vollbrachte anzustoßen.“, schloss Metenax den Kreis der Trinksprüche.

Die Humpen stießen aneinander, und das dumpfe ‚Klonk’ mischte sich mit dem schallenden Gelächter der Beisammenstehenden, das der Trinkspruch des Einarmigen ausgelöst hatte.

Als Dwarosch in Begleitung von Marbolieb die Festhalle betrat, begrüßten ihn seine Soldaten mit Grölen und Pfiffen. Auf ein Schulterklopfen wurde nur wegen der Geweihten an seiner Seite verzichtet. Diese hielt sich mit beiden Händen am Arm des Oberst fest, hatte den Kopf gesenkt und ihre Kapuze bis zur Nasenspitze gezogen. Bei dem Pfeifkonzert zog sie den Kopf ein. Ein genauer Beobachter hätte vermutlich bemerkt, dass ihre Haut einige Schattierungen dunkler war als gewöhnlich.
Die Männer und Frauen seines Leibbanners hatten einen sehr engen Bezug zu ihrem Oberst, verbrachten sie doch häufig viel Zeit auf engstem Raum miteinander.

Mit einem breiten Grinsen trat Dwarosch durch das lose Spalier der Zwerge und auf Radomir zu.
“Ich hoffe, du siehst mir meine bisherige Abwesenheit nach, Bruder.” Er warf einen Seitenblick auf Marbolieb, deren Griff an Dwaroschs Arm etwas fester wurde, die aber eisern schwieg. “Wir hatten etwas Wichtiges zu besprechen und es duldete keinen Aufschub.” Noch einmal wurde sein Grinsen breiter.
“Nun aber verrätst du mir, wie viele Bier du schon Vorsprung hast und ich schwöre bei meinem Barte - ich werde alles mir Mögliche tun, diesen wett zu machen. Wenn ich bei dem Versuch unter dem Tisch ende, kann mir zumindest niemand mehr einen Vorwurf machen.”

„Dann hoffe ich doch, das Eure Besprechung erfolgreich war und Ihro Gnaden Marbolieb vollauf von dem Ergebnis befriedigt ist.“, antwortete der Geweihte trocken wie der Sand in der Khôm, was dazu führte das Metenax und Calgar ihr Bier, das sie gerade angesetzt hatten in hohem Bogen prustend ausspien und Assara alle Selbstbeherrschung aufbringen musste, um nicht laut los zu lachen. Es gelang ihr nicht ganz.

Marbolieb wandte sich Radomir zu und hielt inne. Der Saum ihrer Kapuze berührte gerade die Spitze ihres hübschen Näschens und ihre noch immer geröteten Lippen gaben wenig von ihren Gedanken preis. Dennoch fühlte sich der Korgeweihte ein, zwei Atemzüge lang überaus gründlich gemustert – obwohl er wusste, dass die blinde Frau dazu nicht in der Lage sein konnte. Der Griff der Frau um den Arm Dwaroschs lockerte sich, bis gerade noch ihre Fingerspitzen auf seiner schweißfeuchten Haut lagen.
Mit einem Mal löste sich die Anspannung und ein Mundwinkel der jungen Boroni zuckte. „Das werden der Oberst und ich noch tiefgehender ergründen müssen, Euer Gnaden.“ Fast unmerklich strichen ihre Fingerkuppen über den muskulösen Unterarm des Zwergen, nur der Hauch einer Berührung. Doch ausreichend.


Obwohl Dwarosch die Doppeldeutigkeit der Worte des Geweihten sogleich begriff, schaffte er es zunächst, sich zu beherrschen. Lediglich ein zutiefst zufriedenes Lächeln, welches von Ohr zu Ohr zu reichen schien, konnte er sich nicht verkneifen.
Marboliebs Kommentar jedoch raubte ihm dann die Selbstbeherrschung.
Der Oberst lachte schallend, hielt sich mit der Linken den Bauch und ergriff mit der Rechten wieder fest seine Gefährtin, um sie liebevoll an sich zu ziehen.
Freundschaftlich und mit lautem Lachen klopfte Radomir von Tandosch dem Oberst kräftig auf die breite Schulter.
Dann nahm er von Metenax zwei gefüllte Humpen entgegen und reichte sie dem Angroschim und der Geweihten des stillen Gottes.
Sie standen im Kreis.

„AUF DAS VOLLBRACHTE!“, schallte Radomirs Stimme durch den Saal.
„AUF DAS VOLLBRACHTE!“, antworteten die im Kreis stehenden Gefährten.
„AUF DAS VOLLBRACHTE!“, donnerten die Stimmen der restlichen Anwesenden.


Und dann wurde gefeiert, bis das Auge des Herren Praios sich am nächsten Morgen über den Bergkamm erhob und Dwarosch, Sohn des Dwalin, zusammen mit Radomir von Tandosch, Sohn des Mantikor, glücklich und volltrunken unter den Tisch rutschte.

ENDE