Hinab ins immergrüne Tal

Hinab ins immergrüne Tal

Der Oberst in Eisenstein

Autoren: RekkiThorkarson und CatGrune

Mitte Ingerimm 1040 B.F.

Dwarosch zog seinen grauen, gewachsten Mantel enger und die daran befestigte Kapuze tief ins Gesicht. Heute zeigten sich die Ingrakuppen wahrlich nicht von ihrer besten Seite, sondern schienen der kleinen, zwergischen Reisegruppe ihre Unzähmbarkeit beweisen zu wollen. Das Wetter hatte sich seitdem sie am Morgen aufgebrochen waren immer weiter verschlechtert. Nun, gen Abend war es schlagartig gekippt, typisch für diese wilde, fast schon abgelegene Bergregion. Es stürmte beständig aus Richtung Efferd und der Gott der Meere peitschte sein nasses Element über die Grafschaft Isenhag. Bei dieser Witterung war der Weg gefährlich und sie mussten aufpassen nicht auf den moos- und flechtenbewachsenen Steinen auszurutschen über die sie der Weg führte.
Leider verwehrten die niedrig hängenden Wolken und die allgemein von Feuchtigkeit schwangere Luft mit ihrem Nebel die weite Sicht, sonst wäre ihnen wie am Vortag der atemberaubende Blick ins Tal des Großen Flusses möglich gewesen. Doch nun würden sie alsbald die Baumgrenze erreichen, beständig ging es nach unten und die dichten Wälder des Isenhag würden sie mit ihrem schützenden Blätterdach empfangen. Nur noch ein Stundenglas mochte es sein, dann würden sie rasten und ein Nachtlager aufschlagen können.
Den Oberst begleitete sein Adjutant Boringarth, der Sohn des Borintosch, welchen Dwarosch nur schlicht Borin rief, wie auch sechs seiner erfahrenen Gebirgsjäger. Sie waren allesamt nur leicht gerüstet und bewaffnet, trugen neben der schweren Bergsteigerausrüstung aber auch alle eine Armbrust bei sich.
Der Sohn des Dwalin und seine Mannen waren vor einigen Tagen aus Oberrodasch aufgebrochen, wo er der Vögtin einen Besuch abgestattet hatte und bewegten sich seither in Richtung Eisenhütt. Sie hatten kurz in der Kaiserpfalz Angroschsgau Halt gemacht, welche wegen ihrer Abgelegenheit im Hochgebirge nur zu dieser eigentlich milden Jahreszeit erreichbar war und waren dann gen Obena aufgebrochen, um dem Baron von Eisenstein ihre Aufwartung zu machen.
Dwarosch hatte den Baron im Vorwege seines Besuches per Nachricht darüber informiert, dass er hoffte das seine Hochgeboren ihn empfangen würde, um mit ihm über ein paar Themen militärischer Natur zu sprechen. Dem Oberst ging es um die Erlaubnis die drei Burgen der Baronie, -Eisenstein, -Finstergrün und die Hyndanburg zu inspizieren zu können, sowie auch um die Durchführung kleinerer Marschübungen auf dem Gebiet des Lehens, welches seit jeher der Familie des als wenig umgänglich geltenden Barons gehörte.
Bisher hatte er alle isenhager Adligen von seiner Linie, von der Notwendigkeit seines Anliegens überzeugen können. Doch Dwarosch war sich nicht sicher ob ihm das mit Rajodan von Keyserring auch ohne weiteres gelingen würde.

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Als am nächsten Tag die Praiosscheibe ihren höchsten Punkt erreicht hatte, öffnete sich der Drakenswald und das bunte Schloss Obenas zeigte sich in der Ferne, zu dessen Fuß die gleichnamige Stadt lag. Das Wetter war an diesem Tag wieder sonnig mild und so ließ sich das weite Tal zur Gänze überblicken. Ein Fluss kreuzte ihren Weg am tiefsten Punkt. Die Brücke über ihn war die einzige, sichtbare Querung. Danach kam ein erneuter Anstieg der sie nach Obena führen würde. Der Oberst schickte zwei Soldaten voran, sie sollten ihre Ankunft im Schloss melden. Der Rest des Trupps ging es ruhig an. Dwarosch genoss die Aussicht und so machten sie noch einmal Rast, bevor sie das letzte Teilstück ihres Weges angingen.
Er kannte Obena, hatte die Siedlung einige Male in seinem Leben besucht. Heute war es nicht mehr die alte, ehrwürdige Burg, die dort auf dem Felsen harrte. Nun war es ein Schloss. Bunt und voller farbiger Erker, Balkone und Türme thronte es- fast einem horasischem Bonbon gleich- auf dem alten, grauen Gestein des Gebirges. Die Siedlung zu Füßen des Adelssitzes schmiegte sich an den kalten Fels und ihre Gassen führten die Zwerge immer weiter nach oben. Die Häuserreihen, an denen sie vorbei liefen, waren gepflegt und sauber, zeugten vom ungewöhnlichen Reichtum dieser Baronie. Der alte Veteran wusste woraus sich diese generierte: Aus den reichen Erzvorkommen, der Nähe zu Fluss und Hauptstadt, den sanften, fruchtbaren Almen an den tieferen Hängen und der florierenden Pferdezucht der rickenbacher Lehnsmänner. Nach den letzten Häusern und einem kurzen Anstieg gelangten sie vor das Torhaus, wo seine Männer bereits warteten. Bevor er jedoch weiter ging, ließ er seinen Blick nach links schweifen, denn der Zwerg erinnerte sich an den Blick, den man bereits von hier hatte. Dunkle Wälder lagen unterhalb der hinabstürzenden Berge. Hindurch schlängelte sich der Rickenbach, der oben in den höheren Gipfeln der Baronie geboren wurde und sich über Steine, Klippen und Felsvorsprünge hinabstürzte, ehe er sich weit unten im Tal in den großen Fluss ergoss. Von hier aus konnte er auch die Hyndansburg ausmachen, eine prächtige, kleine Burg in der Mitte des springenden Flüsschens. Die Burg Eisenstein thronte weiter oben am Flusslauf - umgeben von Wasserfällen, die sich die Felswände hinabwarfen. Diese älteste Burg Eisensteins war vollständig von den alten Wäldern umgeben, die den Isenhag zu dem Ort machten, der er war und der dem alten Zwerg alles bedeutete.

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Einer der wachhabenden Soldaten grüßte ihn voller Ehrerbietung und stellte dann eine junge Frau vor. Sie war jünger als ein Zwerg bei seiner Feuertaufe, aber für die Großlinge bereits in einem Alter, in dem eine Frau fast schon das heiratsfähige Alter wieder verließ. „Garoschem, Dwarosch, Sohn des Dwalin.“ Ein Lächeln umfing ihre Lippen und ihre dunklen Augen blickten auf ihn hinunter. „Mein Name ist Prianna von Keyserring, ich empfange euch heute im Namen meines Vaters. Wünscht ihr eine Erfrischung oder eine Mahlzeit ehe ich euch zu ihm bringe?“
Der Oberst lächelte, wartete aber bis sein Adjutant, der an seiner rechten Seite stand ihm einiges in der Muttersprache der Zwerge zugeflüstert hatte, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
„Habt Dank für den freundlichen Empfang eure Wohlgeboren. Meine Männer und ich könnten in der Tat eine kleine Stärkung gebrauchen. Das schlechte Wetter der letzten Tage hoch oben in den Ingrakuppen war ein wenig kräftezehrend.
Doch ich richte mich ganz nach den Bedürfnissen eures Vaters. Es erfreut mich das seine Hochgeboren in Obena weilt und bereit ist mich anzuhören. Wenn er also wünscht mich sofort zu sehen, so werde ich auch dies begrüßen.“
„Ich werde euch und euren Männern ein Essen auftragen lassen und etwas Zeit geben, um euch aufzuwärmen und ein wenig zu erholen. Euer Weg mag strapaziös gewesen sein, wie ich annehme. Danach wird der Baron euch in seinem Besprechungszimmer empfangen.“ Sie nickte dem Wachsoldaten zu: „würdest du diese Männer in den Rittersaal führen lassen?“ dann empfahl sie sich und nach einem kurzen Moment folgten die Angroschim einer herbeigerufenen Schlosswache ins Innere des bunten Schlösschens.
Die Zwerge betraten zunächst die große Halle. In dem drei Stockwerke hohen Raum standen einige mehrere Schritt hohe Statuen, nackte Großlinge, geschlagen in Marmor. Die Menschen ehrten mit derlei ihre Göttin, die heitere Rahja. Kontrastiert wurde die Schönheit der steinernen Figuren allerdings durch einen blutigen Hackklotz, der neben einer kleinen Empore stand, auf dem der kunstvoll verzierte Baronsstuhl stand. Dieser auffällige Dualismus entsprach dem, was sein Besitzer ehrte: Praios Härte und Rahjas Schönheit.
Die kleine Gruppe von Soldaten Ingerimms Hammer durchquerte zunächst nach der großen Halle noch einen zweiten, hohen Saal, der zwar nur über zwei Etagen reichte und zudem völlig leer war, doch anders als der andere kunstvoll und reich verzierte, mit Kirschbaumholz getäfelte Wände besaß. Auch hatte der Raum fein getischlerte Eichendielen, auf denen es sich beizeiten gut tanzen ließ, was den Menschen ein vergnüglicher Zeitvertreib war.
Direkt nach einem kurzen Flur waren sie dann in einem einfachen Raum mit langen Tafeln angekommen. Es prasselte ein Feuer im Kamin, in das gerade flinke Hände noch einige Holzscheite geschoben hatten. Geschäftig trugen Bedienstete Gedecke, einige Kannen mit Wasser sowie zwei Brotlaibe mit einigen Tiegelchen Schmalz auf.
Eine erstaunlich dünne und noch recht junge Frau trat auf den Oberst zu, fragte, ob sie ein Bierfass anstechen solle und ob er besondere Wünsche für die Mahlzeit hätte. An ihrer nicht mehr rein weißen Schürze baumelten eine Kelle sowie ein kleiner Schöpflöffel.
Dwaroch, der das Gebäude noch aus Zeiten Rajodans Vorfahren kannte, erkannte sogleich von welch großer Qualität die Baustoffe waren, die der jetzige Baron für den Umbau zum Schloss verwendet hatte. Und die Baukunst, Architektur und Statik waren so eindeutig herausragend, dass es nur ein zwergischer Baumeister gewesen sein konnte, der dieses Vielerlei an exzentrischen Wünschen umgesetzt hatte.
„Wenn es keine größeren Umstände macht, meine Männer würden sich über einen Krug Bier freuen gute Frau. Zu Essen würde ich einen deftigen Eintopf oder dreierlei Speisen die nahrhaft sind bevorzugen. Die Berge und die Witterung haben uns einiges abverlangt.“ Dwarosch lächelte und bemühte sich um einen gewinnenden Ton.
„Ein Guter Eintopf dauert seine Zeit.“ entgegnete die Köchin ihm. Sie wollte ihre Kunst durchaus geehrt sehen: „im Übrigen sind all meine Speisen nahrhaft. Ich serviere hier nur selten Kanapees. Auch hier arbeiten die Menschen hart. Dies ist nicht den Zwergen vorbehalten.“ seine Worte hatten sie offensichtlich gekränkt. Dann erinnerte sie sich jedoch, mit wem sie sprach und fügte an: „Ich bekomme euch schon satt, keine Angst.“ ein ehrgeiziges Lächeln huschte über ihr Gesicht bevor sie sich in Richtung Küche abwenden wollte.
Kurzzeitig war Dwarosch überrascht von den harschen Worten der Köchin, doch als sie ihm versicherte, dass keiner zu kurz käme lächelte auch er.
Bevor die Köchin sich abwandte richtete er erneut das Wort an sie. „Sagt, welcher Baumeister hat all das hier erschaffen?“ Dwarosch hob die Hände und deutete auf die eindrucksvolle Architektur und kunstfertigen Holzarbeiten. „Ich kenne die einstige Burg von Obena. Sie war ein wehrhaftes, zweckmäßiges Bauwerk, wie man es für gewöhnlich im Isenhag antrifft. Das hier, „der Oberst ließ seinen Blick erneut schweifen, „hat damit nicht mehr viel zu tun.“
Sie zuckte nur mit Achseln. „Das kann ich euch leider nicht sagen. Fragt dazu am besten die Herrin oder den Baron.“
„Habt Dank gute Frau, das werde ich tun.“

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Vor dem Essen wurden Waffen und Rüstungen abgelegt. Man stapelte sie militärisch ordentlich an einer Seite des Saales, vor den Fensteröffnungen, damit sie besser trocknen konnten. Danach wuschen sich die Zwerge in von den Dienstmägden bereitgestellten Schüsseln mit warmem Wasser die Hände und ihre Gesichter. Erst dann setzte sich der Oberst an die lange Tafel und seine Soldaten taten es ihm gleich.
Sogleich entstand Gemurmel, natürlich waren die Stühle zu niedrig für die Größe der Zwerge. Schon wollte Unmut unter Dwaroschs Leuten entstehen, als dieser zu lachen begann. “Haben wir eigentlich eine Säge in unserer Ausrüstung? Ob es dem Baron auffällt, wenn wir seine große Tafel etwas kleiner machen?” Er senkte die flache, ausgestreckte Hand von Höhe der Oberfläche auf deutlich unter den Tisch herab.
Die Mägde, die herbei eilten um Sitzkissen zu bringen, die die Zwerge unter ihre Hintern auf die Stühle packen konnten, verstanden deren Muttersprache zum Glück nicht, konnten anhand der Geste aber immerhin erahnen worum es im Kern ging.
Die Äußerung des Oberst verfehlte ihr Ziel jedoch nicht. Die Soldaten lachten ebenfalls und polsterten sich mit den Kissen auf eine akzeptable Höhe. So weich hatte sicherlich keiner von ihnen je gesessen.
Da waren Brinarim, ein Brilliantzwerg aus dem untergegangenem Lorgolosch, Rogatom und Baschtox hingegen entstammten amboßzwergischen Klans, deren Familien sich jedoch in den Nordmarken niedergelassen hatten. Ebenso war es mit Xagur und Andorgam, nur dass ihre Klans vorwiegend im Bergkönigreich Dumron Okosch zuhause waren. Mit der Angroschna Zogoltrina und dem bereits erwähnten Boringarth waren aber auch Angehörige der Bergkönigeiche Xorlosch und Isnatosch unter ihnen.
Ein Bierfass war angestochen worden und mit Freude nahmen die Zwerge die Krüge entgegen, die ihnen gereicht wurden. Laut tönte es aus dem Saal und die Geräusche und das Lachen riefen neugierige Besucher herbei. Im Durchgang zum Tanzsaal standen zwei kleine Mädchen, welche die Zwerge interessiert musterten. Das jüngere der beiden blonden Kinder ging einige Schritte auf die Tafel zu. Fasziniert betrachtete sie Zogoltrina, die gerade ebenso wie ihre männlichen Begleiter einen Humpen ansetzte, während ihre Schwester versuchte sie zurück in die Tür zu ziehen: „Es geziemt sich nicht, jemanden so anzustarren, Lissa. Hörst du.“ Zischte sie dabei dem dunkeläugigen Naseweis zu, der ihr sogleich mit „Ich habe aber doch noch nie eine Zwergin gesehen. Sieh doch. Sie hat gar keinen Bart. Alrik hat geschwindelt.“ Konterte. Dabei präsentierte die Kleine eine große Zahnlücke dort wo eigentlich ihr Schneidezahn sein sollte. „Sei nicht so laut. Du kränkst sie vielleicht mit so spöttischer Rede.“ Versuchte die Ältere erneut ihr Glück die Schwester von der Tafel wegzuzerren, die aber weigerte sich und stapfte ungerührt weiter auf die Gäste an der langen Tafel zu.
Zogoltrina leerte ihren Humpen in zwei langen Zügen und sah dann wieder zu den beiden Menschenkindern. Keiner der Zwerge nahm es den Mädchen übel derart beäugt zu werden. Die Mitglieder des Regimentes waren die letzten Götternamen viel herum gekommen, auch in Regionen in der die Angroschim weniger verbreitet waren. Man hatte sich daran gewöhnt begutachtet zu werden, etwas was sich gut mit dem Stolz der Zwerge vereinbaren ließ, ihnen sogar zum Teil schmeichelte, solange die Menschen ihnen gegenüber zurückhaltend blieben.
Die breitschultrige Zwergin schob ihren Stuhl etwas vom Tisch weg und öffnete die Arme in Richtung des voranschreitenden Mädchens, machte eine einladende Geste.
Zwerge, welche in großen Klangemeinschaften aufwuchsen, hatten fast ausnahmslos einen sehr natürlichen Umgang mit Kindern. Sie waren stets Teil der großen Gemeinschaft und wurden somit nicht nur von den Eltern, sondern von allen aufgezogen. Da aber Zwerge auch bedeutend weniger Kinder bekamen als Menschen, galten sie ihnen als so besonders und über alle Maßen wertvoll.

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Nur wenig später saß das naiv- offenherzige Mädchen auf Zogoltrinas Schoss, die Ältere stand mit offenem Mund ungläubig daneben. Die Zwergin stellte der Reih um ihre Kameraden vor, welche ihre Gespräche jeweils nur kurz unterbrachen und beantwortete dann geduldig und nicht minder amüsiert die vielen Fragen den Kinder. Adelke, das schmale blauäugige Mädchen, stand schüchtern in der Nähe der gepolsterten Stühle und beobachtete neidvoll ihre kleine Schwester. Lissa traute sich so oft Dinge, von denen ihr Mut sie weit entfernte. Sicher die Jüngere war dabei forsch -beizeiten fast dreist- und des Öfteren hatte sie schon das Brabaker Rohr der gestrengen Tante gespürt - doch während Adelke sich stets bemühte nicht bestraft zu werden, schien es Lissa völlig gleich. Sie sah es als Tribut, der eben zu zahlen war.
Die jüngste der Keyserrings plapperte also gerade munter mit der Zwergenfrau - natürlich vor allem fasziniert davon, dass es sich bei dieser um eine Kriegerin handelte- während ihre Schwester hingerissen lauschte und sich wünschte selbst dort zu sitzen. Als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte fuhr sie erschreckt zusammen. Sie atmete erleichtert aus als sie Prianna erkannte. Ihre älteste Schwester blickte - wie stets- mit einer Mischung aus Sorge und Stolz zu ihrer beiden Jüngsten und drückte liebevoll die weichen Knochen Adelkes gegen ihren eigenen schlanken Körper. Dann räusperte sie sich.
Mit hochrotem Kopf sah Lissa auf. "Pria- sieh- das hier ist eine Zwergenfrau. Und sie hat keinen Bart. UUUUUnd sie ist -stell dir vor- sie ist eine Kriegerin. Eine echte Kriegerin." die Worte des kleinen Mädchens überschlugen sich fast. Prianna schüttelte mit einem schiefen Grinsen den Kopf: "Warum sollte sie auch einen Bart haben?" sagte sie streng und entschuldigte sich sogleich bei Zogoltrina für das aufdringliche Verhalten des Lockenkopfes. Doch die Zwergin winkte nur lachend ab. "Die beiden Mädchen haben leider noch etliche Aufgaben zu erfüllen." gemahnte sie streng ihre beiden Schwestern, wobei sie den frechen Wirbelwind auf die Füße zog. "Tante Praiotrud erwartete euch. Und ihr wisst, wie ungemütlich es werden kann, wenn sie allzu lange wartet." Lissa verzog das Gesichtchen, nahm aber freiwillig Adelkes Hand und wandte sich zum Gehen. "Es war ganz phantastisch euch kennenzulernen." rief sie noch den Angroschim zu und winkte beherzt, während sie von der Schwester aus der Halle gezogen wurde.
Prianna sah den beiden hinterher, so wie oft huschten dabei Gedanken durch ihren Geist, was sie tun konnte, um die beiden und ihre so gegensätzlichen Charakteren auf einen Lebensweg zu schicken, der sie zufrieden machen konnte. Rasch vertrieb sie diese Sorgen aber und wandte sich mit einem höflichen Lächeln dem Oberst zu. Dieser schien wohl gespeist zu haben, denn sein Teller war leer und seinen Humpen hielt er geleert in der Hand.
"Herr Oberst. Ich hoffe wohl gespeist zu haben. Möchtet ihr nach der Mahlzeit ein wenig ruhen, oder lieber direkt zum Baron von Eisenstein geführt werden?" Fragte sie höflich. Ein Lächeln stahl sich dabei in ihr Gesicht.
Der Oberst lächelte. “Habt Dank für die überaus großzügige Bewirtung euer Wohlgeboren.” Mit diesen Worten stand Dwarosch auf und trat zur Baroness. “Bringt mich bitte zu seiner Hochgeboren.”

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Die Baroness führte den Veteran zunächst zurück zur Eingangshalle, von wo aus eine Wendeltreppe in das obere Stockwerk führte. Vor einer hohen, reich verzierten Tür aus eisensteiner Eiche blieben sie stehen. Prianna klopfte an und betrat den Raum ohne weiteres Abwarten: „Euer Hochgeboren, wie ihr aufgetragen hattet, habe ich im Rittersaal auftragen lassen. Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin, ist nun hier, gesättigt und aufgewärmt, um euch zu sprechen.“ Sie sandte ihrem Vater ein breites Lächeln und entschwand so schnell wie sie den Raum betreten hatte.
Der alte Baron musterte seinen Gast mit zusammengezogenen Brauen, während er auf einen Stuhl deutete und das Schriftstück beendete, an dem er gerade geschrieben hatte.
„Ah, ihr. Nehmt Platz.“
Es ärgerte ihn, dass seine Tochter das Regiment in seinem Schloss –zumindest zu Teilen- an sich gerissen hatte. Niemals hätte er angeordnet, diesem Zwergenpack aufzutischen. Da wollte sich dieser Haufen Angroschim in die militärischen Angelegenheiten seiner Baronie einmischen und bekamen auch noch den Beifall seiner Tochter und der ihr hörigen Dienerschaft.
„Ihr habt ja bereits euer Kommen angekündigt. Erläutert mir doch kurz, was ich nun für euch tun soll.“ Seine dunklen, fast schwarzen Augen bohrten sich argwöhnisch in Dwaroschs Augen. „Nun?“
“Eure Hochgeboren, zunächst einmal muss ich mich für eure Gastfreundschaft bedanken.” Der Oberst schenkte dem Baron ein warmes, ehrliches Lächeln, trotz dessen reserviertem Mienenspiel. Unter seinesgleichen gab es weit griesgrämlichere Charaktere, davon war Dwarosch immer noch überzeugt.
“Wie ich euch schrieb führen mich militärische Angelegenheiten in eure Baronie.
Nun, ich bin mit Graf Ghambir darüber eingekommen, dass es sinnvoll wäre eine neue Karte des Isenhag anzufertigen, welche spezielle Angaben für schnelle Truppenverlegungen beinhalten soll. Die Gebirgsjäger meines Regimentes werden in Zukunft als Kriseninterventionskräfte fungieren und im Ernstfall alle Wege, unter und über den Berg nehmen, um schnellstmöglich am betreffenden Ort zu sein. Dies beinhaltet auch Gebirgspässe und Passagen, die nur mit Kletterausrüstung genommen werden können. Das Banner soll dem Rest der Truppen Zeit erkaufen, da diese wegen ihrer schweren Ausrüstung nur ausgebaute Wege und Straßen nehmen können. Daraus resultiert mein Anliegen.
Ich möchte euch um Erlaubnis bitten mit den Gebirgsjägern Marschübungen über eisensteiner Boden durchführen zu dürfen, um entsprechende Angaben in die Karte einfließen lassen zu können. Es wird stets nur eine Gruppe in Halbbannerstärke sein die hier operieren würde.
Der zweite Punkt ist ein Angebot meinerseits. Um den Isenhag, unsere Heimat, zu einem Bollwerk zu machen, bin ich bereit auch unkonventionelle Wege zu gehen.
Die Sappeure meines Regimentes haben fast alle eine handwerkliche Ausbildung genossen. Wenn ihr plant eine eurer Wehranlagen instand zu setzen oder gar auszubauen, bin ich bereit Arbeitskraft für einen gewissen Zeitraum zur Verfügung zu stellen. Die Männer müssen lediglich verpflegt werden.
Ich weiß natürlich, das sich die Burgen eures Lehens in tadellosem Zustand befinden, dennoch möchte ich euch die Möglichkeit geben diese Unterstützung in Anspruch zu nehmen.”
„Lediglich verpflegen, so so.“ Brummte der Baron. Wollte der Graf so indirekt seine Einflusssphäre vergrößern? Das konnte er sich nicht vorstellen. Dieser Dwarosch allerdings womöglich schon. Er musterte ihn ohne weitere Worte zu verlieren. Der tadellose Zustand der Burgen war eher ein Problem. Er war Monde fort gewesen, im Osten. Das Lehen hatte gelitten, so wie andere auch. Marodierende Banden, überforderte Landwehreinheiten. Und nun –er schnaubte hörbar- traumatisierte Adelige, die ihre Lehen – seine Lehen!- nicht mehr ordentlich zu führen verstanden.
„Es sollte kein Problem sein, die Wege – insbesondere die der höheren Gebirgslagen- zu kartieren. Es sei euch außerdem gestattet, die Wehranlagen, Gutshäuser und Befestigungsanlagen firunwärts des großen Flusses zu begutachten. Dafür werde ich euch Schreiben mitgeben- für die Lehnsträger, damit sie euch und eure Mannen verpflegen und euch Zugang gewähren mögen. Eine Gegenleistung bedarf es nicht, seid versichert.“ Wo käme er hin, wenn seine Lehnsmänner den Eindruck gewännen, eine ihrer praiosgefälligen Verpflichtungen sei ein Gefallen, den es zu vergelten galt. „Allerdings, werter Oberst, der Krieg hat etliches an Blut und Reichtum gefordert. Auch hier. Efferdseits des Rickenbach sind aktuell noch immer einige Lehen verwaist. Ich würde euch daher bitten, im nächsten Jahr vor dem Winter wiederzukehren, um diesen Teil eurer ‚Karten‘ zu erstellen.“
Kurz zuckte ein Augenlied des Zwergs bei dem Verweis auf den nächsten Götterlauf. Dwarosch erkannte die ‚Bitte‘ des Barons aber nicht als Rückschlag, sondern als dass was es war, eine zwar ärgerliche aber durchaus verschmerzbare Verzögerung. Diese war dazu noch gut begründet und somit auch für ihn nachvollziehbar. Für das Gesamtprojekt würde dies kaum ein Problem darstellen, denn andernorts gab es genug Fläche die kartographiert werden musste, sollte Eisenstein halt das letzte Lehen sein, welchem sie sich im Isenhag annahmen.
Der Baron sah den Zwerg mit kalten Augen an: „Erst im Praios werde ich alle Neubelehnungen vornehmen können, denn dann erst werden die Verschollenen für tot erklärt, die in Tobrien blieben.“ Ein schiefes Grinsen zeigte sich auf den Zügen des Barons als er an Hagrian von Schellenberg dachte. Und daran, dass der arrogante Rondrianer irgendwo auf dämonischem Boden verrottete. „Ein Jammer.“ Sagte er süffisant: „All das kostbare Blut des Nordmärker Adels – ein Jammer, findet er nicht auch?“
Dwarosch wusste nicht genau wie er den Unterton in der Stimme des Barons einordnen sollte. War dies eine verbale Falle, wollte er ihn mit Spitzfindigkeiten aus dem Stollen locken, oder wie die Menschen zu sagen pflegten, aufs Glatteis führen? Der Oberst beschloss ihm auf seine Art zu antworten.
„Euer Hochgeboren, ich habe an die dreihundert Männer und Frauen auf diesem Feldzug verloren. Mich dauert jeder Verlust an nordmärkischem Blut, denn ich empfinde nicht nur den Isenhag, sondern das gesamte Herzogtum als meine Heimat.“
„Ihr seid ein Patriot?“ Der Baron lächelte versöhnlich. Er mochte Patrioten. Denn sie waren in der Regel dumm. Dumm genug sich für ihre Vaterlandsliebe töten zu lassen. Und das war günstig – für all diejenigen, die das nicht vorhatten, aber ihren Nutzen daraus zu ziehen vermochten. Doch Loyalität war stets zweischneidig. Dumme Patrioten waren leicht zu finden. Kluge hingegen --- waren allzu oft Opportunisten – oder Verräter. Er musterte den Veteranen mit hochgezogenen Brauen.
Auf diese Frage wusste Dwarosch keine direkte Antwort und das sah man ihm an. Er musste einige Momente darüber nachsinnen in denen er Abwesend wirkte. Als er ansetzte merkte man das es ihm schwer viel seine Gedanken in Worte zu fassen.
„Bevor ich euch diese Frage beantworte muss ich vorausschicken, dass ich solange nicht an menschlicher Politik interessiert bin bis sie mich direkt und unmittelbar tangiert. Ich bin ein Soldat um dies unmissverständlich klarzustellen.
Was meinen Patriotismus betrifft, so geht dieser wohl über das normale Maß eines Vertreters meines Volkes hinaus, denn mich interessiert sehr wohl was über unseren Reichen von statten geht. Ich liebe den Isenhag, die Berge aber auch seine immergrünen Wälder. Auch in dieser Hinsicht bin ich wohl kein normaler Angroschim.
Ich habe im Verlauf meines Lebens den gesamten Kontinent und so manchem Krieg gesehen.
All mein Streben in Zeiten des Friedens soll dem Erhalt eben jenes Friedens und der Sicherheit der Nordmarken dienen. Nie wieder darf ein Konflikt in unsere Heimat getragen werden, niemals mehr ein Feind seinen Fuß auf nordmärkischen Boden setzen. Und sollte dieser Fall dennoch einmal eintreten, dann gilt es ihn ohne Gnade zu bekämpfen und auszumerzen.
Das benannte Projekt dient eben dieser Krisenprävention.
Dabei sehe ich mich in erster Linie nicht als Vasall eines Herrschers oder dessen Hauses, sondern als Diener meiner Heimat, das ist mein Verständnis von Patriotismus und als Angroschim steht es mir frei dazu zu stehen.“
Aha. Dieser hier war ein guter Patriot. Ein Angroscho mit einem Hang zur Moral. Und mit einem kräftigen Schwertarm und Erfahrungen in Kriegstaktik und Strategie. Man konnte ihn schlicht seine Ideen verwirklichen lassen. Dann war er glücklich, und man selbst Sparte eine Menge Energie. Ein guter Patriot. „Ein Diener der Heimat, werter Oberst, ist mir der liebste Patriot.“ beendete er das Thema. „Was schätzt ihr wie lange ihr brauchen werdet und wann ihr wiederkommen werdet?“
Die Miene des Obersts entspannte sich. Sie kehrten zum eigentlichen Grund seines Besuchs zurück und dieser war ihm bedeutend lieber als Gesprächsthema.
„Nun, ich werde meine Männer erst nach Eisenstein schicken, wenn ich Nachricht von euch erhalte euer Hochgeboren. Ich werden aber zumindest meine Planungen dahingehend ausrichten ein Halbbanner Gebirgsjäger ab dem von euch benannten Zeitpunkt frei zu haben. Des Weiteren gehe ich davon aus das wir nicht länger als einen Mond benötigen werden, um alle entsprechenden Wege, Bergpässe und gegebenenfalls Tunnel entsprechend zu kartographieren. Eine Sondierung alten Kartenwerkes läuft seit geräumiger Zeit. Diesbezüglich bin ich zuversichtlich.
Könnt ihr mir einen fähigen Waidmann benennen, der Ortskundig ist und den ich für den Zeitraum dieses Unterfangens in meine Dienste nehmen kann?“
„Gut. Ich werde mich um die Empfehlungsschreiben kümmern, während ihr diese detaillierten Fragen mit meiner Tochter klären könnt.“ damit ließ der Baron sich wieder an seinem Schreibtisch nieder und begann emsig mit Dem Gänsekiel über das Pergament zu kratzen, während seine Hand dem Zwerg winkend bedeutete den Raum zu verlassen.
Dwarosch war erst erstaunt aufgrund des abrupten Endes des Gesprächs, doch dann schüttelte er fast ein wenig belustigt den Kopf und stand auf um den Raum zu verlassen.
Sollte er gekränkt sein wegen diesem hinauswedeln, welches fast einem Rausschmiss gleichkam? Nein, er hatte erreicht was er wollte, darauf kam es an.
Das Gespräch stufte er im Nachhinein als interessant und aufschlussreich ein. Den Baron selbst als kauzigen Zeitgenossen bei dem man vorsichtig mit den eigenen Worten sein musste. Doch war er in seinem Leben weitaus extremeren, schwierigeren Charakteren begegnet, zumindest nach diesem, ersten Eindruck.
Alles in allem hatte er sich das Gespräch mit Rajodan von Keyserring bedeutend schwieriger vorgestellt, ein Grund mehr nicht betrübt zu sein und so trat er mit einem Lächeln vor die Tür des Arbeitszimmers.