Generationen - Teil 3: Calbrozim

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Teil 3: Calbrozim: Ein Edelstein für die Leuin

Personen:

  • Borindarax, Sohn des Barbaxosch – Vogt von Nilsitz
  • Obarax, Sohn des Oxtaglom – Hauptmann der Torwachen von Calbrozim
  • Xalbarosch, Sohn des Andorosch – Haushofmeister des Grafen
  • Raxarim, Sohn des Rabosch – Schmied
  • Torod, Sohn des Tambodosch – Hochgeweihter des Angrosch
  • Lagorasch – Geode/Wasser
  • Argmin von Wirselbach – Novize der Rondra
  • Grimmgasch groscho Kagannto – Novize des Angrosch
  • Deryalla von Hartsteig – angehende Kriegerin, Zögling der Kriegerakademie zu Elenvina

Vor den Toren Calbrozims

Mit mehr oder minder mulmigen Gefühlen schritt Deryalla den beiden Zwergen hinterher. Das Wasser trug sie verlässlich, auch wenn die Oberfläche abseits ihrer Füße alles andere als glatt und stetig zu bezeichnen war. Die Kriegerin, Lagorasch und Borax sollten nach dem, was ihnen erzählt worden war, nach Calbrozim gelangen, so sie das besagte Tor wählten, welches die Silhouette der Festung am Wedengraben zumindest erahnen ließ. Doch wie sollte dies von statten gehen - würden sie einfach an den Ort herauskommen, den Sie durch das Wellentor sahen? Nein, es kam ganz anders.

Es war Menschlein und Zwergen als würden sie aus ihren Leibern gerissen und augenblicklich in eine Art passive Rolle gedrängt, die sie zu einfachen Zuschauern der Geschehnisse machte. Fischen gleich tauchten sie durch die matt grün-bläulichen Wogen und sprangen durch die Gischt ans Tageslicht. In diesem steten Wechsel von Zeiten, in denen sie durch die Fluten glitten, um dann wieder über das Wasser zu springen, zog die Landschaft in einem rasanten, schier unmöglichen Tempo an ihnen vorüber. Und es schien ihnen, als würden sie dann und wann das helle Lachen der Nixe vernehmen. Irgendwann stieg das Gelände rechts und links des Großen Flusses an. Die Schlucht, der Wedengraben, der sich durch den felsigen Grund des Isenhags schnitt, war erreicht. Zur Linken erhoben sich in der Ferne die schneebedeckten Ingrakuppen, zur Rechten die rötlich schimmernden Spitzen des Eisenwaldmassivs. Der schier undurchdringliche anmutende Mischwald, der so charakteristisch war für die Grafschaft im Herzen der Nordmarken, schien hingegen allgegenwärtig. Immer tiefer wurde die Schlucht, bis es hohe Steilwände waren, die dem Großen Fluss ein felsiges Bett bereiteten. Kurz bevor das tobende, wilde Nass eine leichte Kurve beschritt, tauchte auf der linken Seite, oberhalb der Felskante eine Festungsanlage auf, die mit dem Gestein verwachsen schien, wuchtig und urtümlich, als hätte die Zeit ihr nichts anhaben können, war sie das Relikt vergangener Größe. Hoch oben, über dem höchsten Turm der verwinkelten Felsenburg wehte ein stolzes Banner im Wind. Das darauf abgebildete Wappen zeigte auf einem durch ein blaues Wellenband geteilten Schild, oben eine schwarze Bergdohle auf Hermelin, unten auf Silber ein schwarzer gekreuzter Pickel und Hammer. Unten auf Höhe des Flusses existierte ein großer Anlieger, an dem wohl Zollformalitäten abgewickelt wurden. Ein schneller Flusssegler mit geringem Tiefgang und schlankem Rumpf lag dort vertäut. Eine schier endlose Treppe war in den Fels gehauen und führte im stetigen Zickzack nach oben in Richtung Feste. Gerade hatten die Reisenden dies erblickt, als die ‘fliegenden’ Fische, die sie auf so magische Weise beförderten, abtauchten und das Licht zusehends schwand. Anfangs glitten noch einzelne Strahlen von Praios Antlitz durch das Wasser zu ihnen herab, dann jedoch, nachdem sie schemenhaft erkannt hatten, dass sie auf eine Öffnung in einer Felswand tief unter der Oberfläche des Großen Flusses zuhielten, umfing sie bedrückende Finsternis.

Das was folgte waren mehr lose Sinneseindrücke, als klare, zusammenhängende Bilder, wie Fragmente eines Traumes, an die man sich nach dem Erwachen erinnert. Da war Hitze, ja Feuer, das monotone Dröhnen eines Hammers, der auf einen Amboss schlägt, eine unterirdisch liegende Grotte und eine schwielige Hand, die nach einem rotes Funkeln unter der still daliegenden Wasseroberfläche greift, um einen wunderschönen, nein mehr noch - einen zauberhaften Edelstein, einen prächtiger Almadin daraus hervorzuheben.

Und dann ging alles plötzlich ganz schnell. Die Wahrnehmung der Reisenden wandelte sich erneut und sie fanden sich in ihren eigenen Körper wieder, wie sie bäuchlings auf nacktem Fels lagen und in Schwallen Wasser husteten. Unnötig zu erwähnen, dass sie von Neuem pitschnass geworden waren. Borindarax hatte es wohl am schlimmsten erwischt. Der Vogt scheiterte kläglich bei dem Versuch, seinen Oberkörper mit den Armen hochzustemmen. Mehr oder minder hart schlug er auf dem Boden auf und blieb dort stumm und regungslos liegen. Fast gleichzeitig vernahmen die anderen am Rande ihres Bewusstseins, wie aufgeregte Rufe in der Sprache der Angroschim anschwollen.

Der kleine schwarzhaarige Geode hatte Glück gehabt, hatte ihn doch sein Mentor schon einige Male mittels eines Rituales auf solche Unternehmungen vorbereitet. Auch wenn der Aufschlag unangenehm war, die nasse Kleidung schwerer und der glitschige Boden nicht gerade hilfreich, so fragte er sich nach ein paar Augenblicken, ob er vielleicht seinen Ring aktivieren sollte, einfach nur, um das Wasser zu verdrängen. Da kamen ihm die Worte seines Mentors in den Kopf: ‚Lerne die Kraft der Erdmutter zu nutzen, wenn Du sie brauchst… aber nutze sie auch nur dann, wenn du sie brauchst. Es ist nicht gut aus Übermut oder Faulheit die Kraft zu nutzen…‘, und diese Worte waren immer gefolgt von einer Folge von Ermahnungen über Fehler und Fehlerfolgen. Er drängte die Gedanken aus seinem Kopf, öffnete die Augen und lauschte den Geräuschen der Umgebung.

Was sie erwartete, als sie sich das erste Mal umblickten, war etwas, das die Augen der Menschen verblüffte. Calbrozim, denn nur um sie konnte es sich bei dem absonderlichen Gebilde handeln, was vor ihnen lag, war keine Burg wie sie in jedem anderen Teil des Herzogtums stand. Für diese Festung hatte man keine Steine gebrochen, bearbeitet, um sie dann zu fügen und aufzustapeln, auf dass sie Mauern und Gebäude formten. Oh nein, Calbrozim war dem Felsen abgetrotzt, in ihn hineingearbeitet. Sie mochte zwar oberirdisch liegen, aber sie war dennoch eine Zwergenburg.

Vor ihnen ragten rechts und links des gepflasterten Weges, zunächst dem sie ‘gestrandet’ waren, zwei leicht vorgelagerte Felsnadeln empor, die großzügige Schießscharten besaßen - viel zu groß für einfache Armbrustschützen. Dort mussten Geschützkammern liegen, die den Weg in die Festung bewachten.

Hinter diesen geschätzten zehn Schritt hohen ‘Wehrtürmen’ öffnete sich ein breiter, halbkreisförmiger Schlund von sicher fünf Schritt Breite und Höhe in den Fels. Zwei Reihen aus Metallspitzen ragten wenige Handbreit aus der für sie sichtbaren Decke des Eingangsbereichs herab. Es mussten gewaltige Fallgitter sein.

Über diesem Tor wiederum erhoben sich weitere Teile der Festung und kündeten von ihrer wahren Größe. Überall sah man kubisch wie quadratisch behauener Fels, der die Form und die Ausmaße von Gebäuden besaß. Über- und ineinander, stets miteinander verwachsen oder versetzt zueinander lagen sie da, als seien sie so aus dem Gestein erwachsen. Die geometrischen Formen wurden lediglich dann und wann von horizontalen wie vertikalen Öffnungen unterbrochen. Von oberhalb der Toröffnung waren mehrere blitzende Lichtreflexionen zu erkennen. Dort musste irgendwo ein Beobachtungsposten liegen. Alles in allem bot die Felsenfestung ein abstraktes Bild. Es war, als habe ein Riese zyklopische Steinklötze aufgestapelt - faszinierend, irgendwie fremdartig, aber vor allem eines - eindrucksvoll.

Doch die erregten Ausrufe brachen nicht ab und rissen die jungen Herrschaften nach kürzester Zeit wieder aus ihrer staunenden Starre. Zwei Zwerge mit gesenkten Spießen und poliert - in der Sonne glänzenden Kettenhemden standen laut diskutieren auf Höhe des ersten Fallgitters und deuteten immer wieder in ihre Richtung. Weitere eilten gerade im Laufschritt aus dem Inneren der Festung herbei. Ihr plötzliches Auftauchen war nicht unbemerkt geblieben und die Angroschim mochten offenkundig keine Überraschungen.

Lagorasch hingegen war der einzige, der zwischen den Rufen immer wieder die Worte Drakora-brodrom heraushören konnte – Drachenmacht.

In seinen Gedanken suchte er nach Serescha, Ihr ging es gut… ‚Dieses Ritual von deinem Wirren Zausel, wo das oben verloren geht, ist echt nichts gegenüber diesem Portal‘, übermittelte die kleine Kvillotter mittels ihrer Gedanken an ihn. ‚Drachenmacht? Oh meine Brüder, irgendwann schaffen wir es vielleicht, dieses Vorurteil, das alle Kraft der Erdmutter von den Drachen kommt, abzuschaffen‘, durchzog seine Gedanken. ‚Ich muss aufstehen, tief Luftholen und auf den Kern des Inneren konzentrieren‘, sagte er zu sich, während er sich sammelte.

Deryalla hatte hingegen mit eisernem Willen die Benommenheit abgeschüttelt und stemmte sich bereits hoch. Schon setzte sie sich auf, und sah doch ihre Umgebung noch immer verschwommen, durch den Filter des Elements, dass sie soeben auf überwältigende Weise durchquert hatte. Mechanisch fuhr aber ihre rechte Hand zum Waffengurt. Dann tastete sie über ihr weißes Wams, wobei ihre vom Straßenstaub schmutzigen Finger dunkle Flecken auf dem nassen Stoff hinterließen. Energisch streifte sie an der dunkelroten Hose die Nässe auf ihrer Linken ab und rieb sich dann das Wasser aus ihren Augen.

Da erhob Lagorasch seine Stimme: „Borax, Deryalla seid ihr in Ordnung?“, fragte er seine Gefährten.

Der Vogt jedenfalls gab keine Antwort, er blieb unbewegt liegen, scheinbar bewusstlos. Deryalla Blick jedoch streifte kühl Lagorasch, die weiter entfernt stehenden Gestalten nahe dem Tor und kam schließlich auf ihrer anderen Seite bei Borindarax zum Halt. Als Deryalla ihn dort reglos liegen sah, zögerte sie nicht und hechtete abrupt zu ihm hinüber.

Eben zu jener Zeit, befand sich auch der junge Argmin von Wirselbach nur unweit des Tores zur Zwergenfeste und nahm mit Erschrecken wahr, wie plötzlich und vollkommen unerwartet zwei Zwerge und eine Menschenfrau zwischen ihm und dem Eingang nach Calbrozim aus dem Nichts auftauchten.

Der Junge Rondra-Novize aus Hlûtharshall, dem Gratenfelser Tempel der Leuin, befand sich auf einer sehr persönlichen Mission, die in diesem Moment jedoch zum scheinbar ersten Mal, seit er den langen und beschwerlichen Weg angetreten hatte, in den Hintergrund geriet. Der Aufruhr der Wachen am Tor versetzte ihn in Alarmbereitschaft, denn immerhin wiesen sie auch in seine Richtung, befanden sich doch die Fremden in seiner unmittelbaren Nähe.

Verwirrt ging Argmins Blick von der Frau und den beiden Zwergen, die in einer großen Wasserlache auf dem sonst trockenen Fels vor ihm lagen, zu den sich sammelnden Wachen am Tor der Zwergenbinge, die in unverständlichem Angroschim Worte riefen und immer wieder in seine Richtung deuten. Er war sich unsicher, ob die Zwerge ihn meinten oder die nasse Frau und die nassen Zwerge. Es musste Zauberwerk im Spiel sein, wie sonst hätten die drei hier aus dem Nichts erscheinen können! Argmin spürte, wie seine Kiefermuskeln zu arbeiten begannen und sein ganzer Körper sich spannte. Drohte Gefahr von den drei Gestalten, die plötzlich vor ihm aufgetaucht waren? Waren sie Aggressoren? Oder Opfer? So wie sie durchnässt auf dem Stein lagen und sich nur mühsam regten, schienen sie nicht gefährlich zu sein. Dann eher die Wachen am Tor? Oder hatte er sich womöglich irgendwie falsch verhalten? Selbstzweifel überkamen ihn. Sein Blick huschte über die Felsen und die nahen Büsche, fiel dann wieder zurück auf das Zwergentor. Die lange Reise von Gratenfels hierher war nicht ohne Spuren an ihm vorbeigegangen und saß ihm in den Knochen. Kein einziges Wort der Beschwerde wäre über seine Lippen gekommen, dennoch fühlte er sich müde und unkonzentriert und schalt sich selbst dafür. Er versuchte sich zu erinnern, was seine Tante ihm über die Zwergenbinge gesagt hatte, und ob sie etwas erwähnt hatte, was er beachten sollte, wenn er sich dem Tor näherte. Seine rechte Hand tastete nach dem Amulett der Leuin, das im seinen Hals hing und das Metallstück gab ihm Zuversicht zurück. Er murmelte ein Stoßgebet an Rondra, dann legte er die Hand auf den Griff seines Kurzschwertes und ging langsamen Schrittes zu den drei Gestalten hinüber. Von diese drei schien zumindest keine Gefahr auszugehen – und an ihnen musste er so oder so vorbei, wenn er Calbrozim betreten wollte. Über die drei hinweg fiel sein Blick immer wieder zu den Wachen am Tor. Was riefen die da nur?

Da stemmte der kleine Zwerg seinen Oberkörper nach oben und drehte sich, immer noch verwirrt von seinen Sinneseindrücken, zu den ihnen langsam näher kommenden Zwergen. „Garoschem! Groscha Roroximangrasch Werte Kinder der Wahrung heiliger Geheimnisse oder kurz einfach nur Werte Erzzwerge]“, sagte er auf Rogolan, und fuhr weiterhin fort in der Sprache der Zwerge: „ich bin Lagorasch, Schüler von Emmeran und Diener der Erdmutter, habt keine Angst, dies ist kein Werk der schändlichen Drachen!“, er schaute sich um und beugte sich über den bewusstlosen Borindarax. Kurz zeigte er auf Borax, „Dies ist Borindarax 'Borax', Sohn des Barbaxosch“, wobei sich seine Miene besorgt verfinsterte, und zeigte weiter mit seiner freien Hand auf Deryalla, „und dies ist Deryalla von Hartsteig“.

Gerade griff die zuletzt Genannte in das feuerrote Haupthaar des Liegenden und schlug dann dem Vogt mit der flachen Hand klatschend ins Gesicht - in der Hoffnung, eine Reaktion auszulösen oder seine Lebensgeister wieder zu wecken.

Da dieser sich aber weiterhin nicht regen wollte, beugte sich Lagorasch nun besorgt zum Vogt hinab, legte seine Hand an dessen Hals und Hände und seinen Kopf auf dessen Brust.

Deryalla erhob sich, wich einen Schritt von Lagorasch zurück und brachte sich selbst zwischen den Geoden und die vom Tor herannahenden Zwerge.

Der Geode indes versorgte Borax dank seines heilkundigen Wissens, mit einigen Heilkräutern. Dann nahm er seine kleine Leinentasche, legte sie sanft auf Borax ab und murmelte sehr leise, „Serescha überwache bitte unseren Freund, er atmet nur schwach.“

Vier der zusammengeeilten Wachen rückten mit gesenkten Spießen vor und wenn sie auch nicht innehielten, so meinten die Gefährten zu erahnen, dass die Worte des jungen Geoden dennoch etwas bewirkt hatten. Die Anspannung schien ein Stück weit aus ihnen gewichen, als er geendet hatte.

Acht weitere Zwerge versperrten derweil mit einem Wall aus aneinandergefügten Turmschilden den Weg zum Tor. Metall schepperte auf dem steinernen Boden.

„Was wollt ihr in Calbrozim und wie seid ihr hierhergekommen“, rief einer der Angroschim, als der kleine Trupp etwa zehn Schritt vor der Gruppe Reisender stehen blieb. Er nutzte überraschenderweise das Garethi, die Muttersprache der Mittelländer. Der Helm, den er trug und ein furchtbar harter Akzent machten es trotzdem schwer, ihn zu verstehen.

Unterdessen bestand für Lagorasch kein Zweifel mehr, Borax war bewusstlos. Er atmete, sein massiger Brustkorb bewegte sich recht deutlich. Zumindest äußerlich hatte der Vogt keinen Schaden genommen, an seinem Zustand konnte der Geode kurzfristig aber dennoch nichts ändern.

Derweil registrierte Deryalla überrascht, dass nicht nur von der Zwergenfeste auf sie zumarschiert wurde, sondern dass in ihrem Rücken ein Fremder an sie herangetreten war und dieser die Hand am Griff einer Waffe hatte. Nur noch wenige Schritte trennte sie voneinander.

Sie verfluchte ihre Unachtsamkeit und positionierte sich nun so zwischen dem Fremden und den Torwachen, dass sie alle aus den Augenwinkeln im Blick behalten konnte. Dabei konnten nun zumindest die Torwachen deutlich den Friedensknoten wahrnehmen, der um das Gehilz ihres Schwertes und die Scheide geschlungen war.

Immer noch verwirrt über das unerwartete Auftauchen der Frau und der beiden Zwerge, versuchte Argmin die Situation zu erfassen und sie sich zu erklären. Argwöhnisch musterte er die Frau, in der er den gefährlichsten Gegner des Trios auszumachen meinte, denn er hatte ihre abschätzenden Blicke bemerkt, die sie ihm zugeworfen hatte. Sie zog ihre Waffe nicht und der schwarzhaarige Zwerg kniete neben seinem Gefährten. Ob dieser tot oder nur bewusstlos war, konnte Argmin nicht erkennen, doch weder die Zwerge noch die Frau stellte momentan eine Gefahr da. Was immer der Zwerg den Wachen zugerufen hatte, es hatte die Hektik aus den Rufen und aus dem Scheppern der Rüstungen genommen – und doch standen da zwölf schwerbewaffnete Zwerge, von denen sich nun vier bedrohlich den Torweg hinab bewegten. Die Wachen schienen vom Auftauchen des Trios ebenso überrascht zu sein, wie Argmin, somit handelte es sich wohl nicht um eingeladene Gäste, auch wenn zwei der drei Zwerge waren. Der junge Mann ging zwei Schritte zur Seite, um Abstand zu der seltsamen Gruppe zu bekommen, nahm die Hand vom Schwertknauf und wies beide leeren Handflächen nach vorne. Er war geladen worden, nach Calbrozim zu kommen und Argmin entschied, sich aus der Sache rauszuhalten. Zumindest vorerst. Argmin versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er hatte sich in den letzten Tagen auf diesen Augenblick gedanklich vorbereitet und war immer wieder die Worte durchgegangen, die er zu sprechen dachte, wenn er vor der Zwergenbinge nach seinem Begehr gefragt werden würde – doch die Situation vor ihm war nun gänzlich anders als er es sich vorgestellt hatte. Er spürte unter seinem Gewand den gesiegelten Brief seiner Tante - der Grund der Reise nach Calbrozim war ihm unangenehm und Freude zugleich. Für beides schalt er sich einen Narren, hatte Schwertschwester Bodia von Leuenfels ihm ja selbst den Segen für diese Reise gesprochen. ‚Nicht jeder Kampf wird auf dem Schlachtfeld ausgetragen, manchen Kampf streiten wir in uns gegen den schwierigsten aller Gegner: uns selbst‘, hatte sie einmal gesagt. Der junge Novize straffte sich. Einer der vier Zwerge sprach etwas gebrochenes Garethi, das war ein Anfang. Argmin nahm Haltung an, reckte stolz die Brust, die der Gratenfelser Wappenrock zierte mit der gestickten Löwin der Rondra. ‚Sie sollen sehen, dass ich der Page der Göttin bin, den sie erwarten.‘

Lagorasch bemerkte nun anhand der Blicke der zwergischen Wachen, das noch jemand in seinem Rücken stand. Er drehte sich langsam um und musterte den Menschen. ‚Was hatte ihm sein Mentor zwecks des Symbols der Gemahlin Angroschs nochmal gesagt? Es gibt da die Ritter, die Krieger, die Geweihten, die Akoluthen und dann noch andere Gläubige, die dieses Zeichen offen tragen. Aber an was konnte man nochmal wen unterscheiden?‘ Er drehte sich dann langsam wieder zu der Wache, die ihm die Frage stellte und antwortete auf Garethi: „Nun ich habe meine zwei Begleiter und mich schon vorgestellt, es würde mich freuen, auch den Namen meines Gesprächspartners zu erfahren.“ Und mit einer leichten Drehung zu dem Menschen, „und ebenso wäre es erfreulich, wenn wir den deinen auch erfahren können, damit es klar ist, wie weit es der Einfluss des Zufalls ist, das ihr bei uns steht.“ Anschließend wandte er den Blick zurück zu der Wache, „danach werde ich, sobald der Etikette Genüge getan wurde, auch auf eure Frage eingehen.“

Leicht irritiert, wagte der so angesprochene Soldat einen Seitenblick zu seinem Kameraden, doch der Zwerg, der neben ihm stand, zuckte nur mit den Schultern. Mehr war wegen den Vollrüstungen der Angroschim nicht zu erkennen.

Argmin sah erst den schwarzhaarigen Zwerg zu seiner Seite überrumpelt an. Dass dieser ihn zuerst ansprach und nicht der Wortführer der Wachen von Calbrozim, brachte ihn erneut aus dem gedanklichen Konzept seines Auftrittes an der Zwergenbinge. Für einen Augenblick blickte er den Fremden verwirrt nur an, dann sprach der Rondra-Novize auf Garethi: „Werter Herr, ich bin Eurer Sprache nicht mächtig, darum wollte ich mich in Euer Gespräch mit der Garde nicht einmischen. Ich habe daher auch Eure Namen und Titel nicht verstehen können, verzeiht mir darum, wenn ich nicht in korrekter Weise anreden sollte.“ Argmin machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort. ‚‚Gesprächspartner sind wir beide mitnichten und auch der Zufall ist es nicht, der mich hierher führt. Im Gegensatz zu Euch erwartet man mich hier – Euer Erscheinen scheint da eher dem Zufall zuzuordnen sein, wenn ich die Reaktion der Garde richtig deuten mag.“

Nach einem Moment des Schweigens und wohl auch des Nachsinnens über die Situation, entschied sich der Redeführer nun Lagorasch zu antworten. „Ich bin Obarax, Sohn des Oxtaglom aus der ehrwürdigen Zruzamorta Sippe, die die Tunnel und Stollen unserer Heimat seit Jahrtausenden vor Eindringlingen schützen“.

Deryalla beschloss, die krude Begegnung der so unterschiedlichen Personen vorerst nicht weiter zu kommentieren. Der Stolz, der aus Obarax‘ kaum verständlichen Worten sprach, lud nicht dazu ein, durch Widerworte die Situation noch weiter zu verkomplizieren.

„Und wer bist du, der du im Dienste von Angroschs Weibe stehst?“ Der Zwerg drehte den Kopf leicht zu dem leicht abseits stehenden, ihm noch unbekannten, Großling.

Der Novize wandte sich von Lagorasch ab und der Garde zu. „Geehrter Obarax, Krieger der Zruzamorta, ich bin Argmin von Wirselbach, Page der Leuin, aus der Halle des Hlûthar zu Gratenfels.“ Argmins Stimme ist nun fest und gefasst. Er verneigte sich formell und biss dabei die Zähne fest zusammen. Sich die Große Göttin als ‚Weib‘ eines kleinwüchsigen, bärtigen Zwergengottes vorzustellen, widerstrebte ihm immer noch und er schluckte schwer die harschen Worte herunter, die ihm auf den Lippen lagen. Schwertschwester Bodia von Leuenfels sprach in den Lehrstunden von dem vielfältigen Glaubensvorstellungen der Herrin Rondra, doch Argmin konnte sich nie damit anfreunden. Für ihn gibt es nur die eine, wahre, herrliche Rondra – die Kriegerin, die Leuin, das Schwert und das Schild Alverans! Er griff unter sein Wams und holte den in Tuch eingeschlagenen Brief hervor. Das Dokument trug das Siegel des Hauses von Hartsteig und war an den Schmiedemeister von Calbrozim adressiert. „Frau Rondragard von Hartsteig schickt mich zu Eurer großen Binge, Herr Obarax.“ Argmin verneigt sich erneut und reichte das Schreiben an den Zwergen-Krieger.

Die Wache hustete kurz. „Binge?“, fragte der Zwerg ungläubig.

Deryalla wurde derweil hellhörig als ihr Familienname fiel und musterte den Novizen, während der Anführer mit seinem harten, schwerfälligen Garethi fortfuhr: „Bei Angroschs Bart. Spottet ihr etwa?“ Ein Anflug von Zorn lag in seiner Stimme. „Calbrozim ist eine uralte Festung unserer Rasse, erbaut als noch kein Großling zwischen Ingrakuppen und Eiswald lebte. Unter ihr lebt eine vierstellige Anzahl Angroschim.“ Unwillig schüttelte Obarax den Kopf, ließ es aber dabei auf sich bewenden. Argmin erkannte, dass er sich in dieser Situation wohl lieber zurückhalten sollte. Eine weitere Erwiderung hätte womöglich zu noch mehr Unmut geführt.

Obarax stieß den Soldaten neben sich mit dem Ellenbogen an und nickte in Richtung des Novizen. „Das Schreiben werde ich mir ansehen“, befand er in einem entschiedenem Tonfall. Der so aufgeforderte Soldat zögerte, setzte sich dann aber doch langsam in Bewegung, um den Befehl auszuführen.

Danach drehte der Wortführer der Torwachen das Haupt wieder in Richtung Lagoraschs. „Nun zu dir, was hast du weiter zu sagen?“

„Nun, ich werde mich zuerst kurzhalten, falls Dir Obarax, Sohn des Oxtaglom noch Dinge unklar sind, dann will ich gerne meine Ausführungen ergänzen. Nun denn, wir sind ein Teil einer Gemeinschaft, die mit der Herzogenmutter Grimberta vom Berg und vom Großen Fluss unterwegs waren. Es begab sich, das wir auf zwei Feenwesen trafen und man sich einigte, das sich die Gemeinschaft aufteile, um verschiedene Orte zu besuchen. Unter anderem wurde auch die Feste Calbrozim bestimmt. Und die Feenwesen schickten uns durch einen ihrer Feenpfade hierher.“ Der kleine Zwerg wartete einige Augenblicke, auch um seine Gedanken zu ordnen: ‚Hoffentlich habe ich sie jetzt nicht mit diesen Worten in Angst und Schrecken versetzt. Vielleicht sollte ich sie nach einem Geoden, den sie kennen, fragen? Hm… oder doch besser den Grafen?‘ Lagorasch hörte kurz in sich hinein und grummelte leise in seinen Bart: „So oder so, wir müssen der Etikette folgen“, und deutlich lauter, und weiterhin an die Wache gerichtet, fuhr er fort: „Und so kamen wir hierher. Und deshalb erbitten wir eine Audienz bei Graf Ghambis, um ihn mit den Details der Ereignisse und unserer Queste vertraut zu machen. Ich hoffe, Ihr entspricht unserem Anliegen und übermittelt unsere Botschaft.“

„Bei Angroschs Bart!“ hörte Lagorosch in diesem Moment einen Ruf auf Rogalan aus seinem Rücken. Ein weiterer Zwerg kam keuchend vom Anleger auf einen langen Wanderstab gestützt heran gestapft. Er war ganz in schwarz gewandet: schwarze Wanderstiefel, schwarze Wollhose, schwarzes Hemd und schwarzes Wams. Die Nähte waren mit roten tropfenförmigen Stichen, die fast wie züngelnde Flammen wirkten abgesetzt. Über die Schulter trug er einen Tragebeutel, an dem außen eine brennende Laterne befestigt war. Der junge Zwerg schaute mit seinen schwarzen Augen neugierig auf das Geschehen. Sein kupferrotes Haar fiel ihm bis auf die Schultern und wurde durch einen Metallreif, den Grimmgasch auf der Stirn trug, gebändigt. Der ebenfalls kupferrote Bart war zu zwei Zöpfen geflochten, so das der Hammer, der an einem Lederband um seinen Hals hing, nicht verdeckt wurde. „Das ist eine wahrhaft phantastische Geschichte!“ Als er bei der Gruppe angekommen war, verneigte er sich kurz und fuhr in Garethi fort: „Verzeiht, aber Eure Erzählung war nicht zu überhören. Gestattet mir das ich mich vorstelle: Grimmgasch groscho Kagannto, Novize der ehrwürdigen Torod groscho Tambodosch.“

„Sind wir hier auf dem Senaloscher Markplatz?“ Obarax konnte nicht fassen, wer hier alles zusammenkam.

„Der Sohn des Gruin, unser Graf, heißt GhambiRRR.“ Das musste die Wache klarstellen. Ein deutlich ungehaltenes Schnaufen war zu vernehmen.

„So leicht lasse ich euch nicht in die Hallen Calbrozims. Da kann ja jeder kommen. Was hat die Dame eigentlich dazu zu sagen?“, fragte Obarax und blickte Deryalla auffordernd an.

Deryallas braun-grüne Augen blitzten, als sie seinem Blick begegnete: „Graf Ghambir vermag Ihrer Hoheit, Grimberta vom Berg und vom Großen Fluss, einen wichtigen Dienst erweisen, da sie im Reich der Feen gefangen ist und wir gesandt sind, in einer Queste ihre und auch unsere eigene Freiheit zu erreichen. Ihr versteht - Obarax, Sohn des Oxtaglom - dass unser Auftrag von einiger Bedeutung ist und rasches Handeln erforderlich ist. Wir erbitten vorerst nicht mehr, als Eure Gastfreundschaft und die Audienz, da wir in friedlicher Absicht kommen, um eine Aufgabe zu erfüllen, die uns auferlegt wurde, Fortombla hortomosch Friede und Wohlstand]!“ Das Zwergische ging ihr nicht leicht von den Lippen, dennoch hoffte sie, dadurch die guten Absichten zu unterstützen.

Derweil war der andere Soldat gerade bei Argmin angekommen und streckte die Hand aus.

Argmin hatte die Luft angehalten, er spürte, dass sein Gesicht brannte – er war sicher rot geworden. Trotz der Nähe zu Xorlosch und all den Zwergen in den Nordmarken gehörte ‚Zwergen-Etikette‘ nicht zu den Fächern der Tempelschule. Der Rondra-Novize schickte ein kurzes Stoßgebet zu Ingerimm und bat ihn um Verzeihung, dann versuchte er das Geschehen hinter und neben sich und das viele Gerede der beiden ungerüsteten Zwerge zu ignorieren und konzentrierte sich auf das, was vor ihm passierte. Er blickte zu der schweren, sich bewegenden Rüstung vor ihm herunter, die ihm die gepanzerte Hand entgegenstreckte. „Das Schreiben von Frau Rondragard von Hartsteig.“ Damit übergab er dem Krieger den Brief seiner Tante.

Obarax schien unterdessen nachdenklich geworden zu sein. Stumm stand er seit den Worten Deryallas da und rührte sich nicht. Erst als die andere Wache ihm das Schreiben Argmins reichte, reagierte er wieder, brach das Siegel und las dann offensichtlich mehrfach und in aller Seelenruhe was dort geschrieben stand.

Das Warten geriet Deryalla nicht nur wegen der sprichwörtlichen Behäbigkeit Obarax‘ zur Qual, wenngleich sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Doch ihr Blick flog sorgenvoll immer wieder zu Lagorasch und Borindarax hinüber: noch war ihr nicht klar, ob der Vogt versehrt oder gar tot war. Immerhin schien der zwergische Geode nicht von Sorgen erfüllt, da er die Begrüßung der Torwache bestritten hatte.

„Gut“, befand Obarax schließlich nach weiterer Bedenkzeit. Er hob den rechten Arm über den Kopf und vollführte eine heranwinkende Bewegung mit der flachen Hand. Augenblicklich wurde der Wall aus Schilden am Tor der Festung in einer beeindruckend gleichförmigen Bewegung aufgehoben. Die Soldaten dort bildeten ein Spalier und auch die Angroschim, die der Gruppe zunächst standen hoben nun die Spitzen ihrer Spieße gen Himmel. Obarax schien Entwarnung gegeben zu haben.

Zwei weniger schwer gerüstete Zwerge kamen mit einer Trage in ihrer Mitte aus dem Tordurchgang angetrabt und liefen schnurstracks in Richtung des Bewusstlosen. „Ich bin kein Diplomat. Ich bin Soldat“, fuhr Obarax fort. „Sollen sich andere mit euch abärgern.

Borindarax von Nilsitz wird bei uns versorgt werden. Darauf habt ihr mein Wort. Da es sich bei euch offenkundig um Angehörige bedeutender Häuser handelt, geleite ich euch mit meinen Männern in die Festung. Man wird euch anhören. Seid aber gewarnt, dass in Calbrozim jedwede magische Handlung untersagt ist und streng bestraft werden wird. Grimmgasch“, der Wachhabende blickte zu dem Novizen des Angrosch herüber. Seine persönliche Anrede verriet, dass sie sich kannten. „Bitte begleite unsere ‚Gäste‘“, die Betonung stellte klar, was dies hieß, „zu Xalbarosch. Er wird darüber befindet, was zu tun ist. Noch Fragen?“

Der Novize schüttelte kaum merklich den Kopf. Die Frage schien nicht so gemeint, als ob Obarax wirklich eine Antwort darauf hätte haben wollen. Es würde sich sicher alles bald aufklären. Xalbarosch – das müsste der Haushofmeister des Grafen des Isenhags sein, versuchte Argmin sich zu erinnern. Diese zwergische Namen hatten alle eine gewisse Ähnlichkeit. Das Schreiben seiner Tante würde ihm weiterhelfen, dessen war er sich sicher. In seinem Kopf drehten sich all die Worte Feen, Queste, Aufgabe, Pfade - und sie ergaben keinen Sinn. Er war nur auf Drängen seiner Tante hier und jetzt sah er sich umringt von lauter Zwergen, die durcheinanderredeten, allen voran dieser Largolasch, der zwei Schritt neben ihm stand, der sich so ungewöhnlich ausdrückte, wie ein Gelehrter vom Hofe. Mit der Reaktion des Herrn Obarax schien auch er nicht gerechnet zu haben.

Lagorasch selbst beobachtete das Treiben um ihn herum und fand, das er sich gut machte. ‚Halte Dich kurz und knapp, geh nicht auf alles ein, wobei du das nur machen musst, wenn Du auch willst das es sich aufklärt. Die meisten Leute müssen sich erstmal selbst reden hören. Und irgendwann kommt wieder Ruhe in die Runde. Das ist der Moment in dem man Vorankommt‘, waren die Worte Emmerans, die ihm gerade durch den Kopf gingen. Als die Wachen Borax auf die Trage hievten, sprach Lagorasch sie kurz an: „Ich habe ihm Tarnele zur Heilung und Lulanie zur Beruhigung gegeben. Falls Ihr wollt, kann Serescha bei ihm bleiben, um seine Atmung und Puls zu überwachen? Ansonsten würde ich sie wieder an mich nehmen“, und umschloss schon mit einer Hand die Leinentasche auf Borax Bauch.

Die Köpfe der beiden Zwerge wandten sich hilfesuchend zum Wortführer der Angroschim. Dieser seufzte leicht genervt. „Tarnele und Lulanie - gebt das einfach an die Heiler weiter, wenn ihr ihn dort abliefert“, sagte er an die Träger gewandt und fragte dann an Lagorasch gerichtet, „Wer oder was ist jetzt wieder ‚Serescha‘?“

„Serescha“, und man sah wie sich etwas in der Leinentasche bewegte, „das ist meine Seelenverwandte, eine Kvillotter“. Der Kopf einer jungen gelbgrünen Kvillotter, die im ganzen wohl ein bis zwei Meter messen mochte, schaute aus der Leinentasche heraus. Mit einem freundlichen, überzeugten und sehr zuversichtlichen Ausdruck im Gesicht fuhr er fort: „Sie kann ausgezeichnet Bewegungen und Erschütterungen erfassen, und würde auf unseren gemeinsamen Freund aufpassen. Insbesondere wenn das Blut so schwach durch den Körper strömt, kann sie ausgezeichnete Hilfe bieten.“

Mißtrauisch beäugte Deryalla die giftgrüne Otter – wie dieses Tier den Blutstrom in Borax Körper beeinflussen konnte, ging über ihre Vorstellung hinaus. Aber es reichte ja auch zu wissen, dass es so war.

Die beiden Zwerge, die sich von der Unbedenklichkeit des Zustands des am Boden liegenden Angroscho überzeugt hatten und Obarax gerade mit Nicken bestätigt hatten, dass es sich bei ihm um den Vogt von Nilsitz handelte, ein Umstand, der wegen der markanten Amtskette leicht zu bestätigen war, zuckten zurück, noch bevor sie damit beginnen konnten Borax auf ihre Trage zu hieven, als sie der Schlange gewahr wurden. Einer zog dabei sogar reflexartig den großen, schweren Dolch aus einer Scheide am Gürtel- den Drachenzahn. Der andere warf einen raschen, nach Hilfe ersuchenden Blick zu Obarax. Dieser grollte sogleich zornig los: "Was hat das jetzt wieder zu bedeuten? Das ist eine Provokation! Nehmt dies Gezücht weg- sonst tun wir es."

Recht zügig nahm Lagorasch einen kleinen Schritt zurück, und hielt dabei die Leinentasche weiterhin in seiner Hand. Ebenso verschwand der Kopf der kleinen Schlange in eben jenem Moment wieder in der Tasche. Dann nahm er Tasche wieder unter die Schulter, und mit einem bedauernden Nicken der Reue sagte der junge Geode, „Es tut mir leid das ihr dies so empfindet, Serescha hilft mir sonst immer wenn ich jemanden pflege, es ist mir einfach zu sehr Reflex geworden mit ihr gemeinsam einen Patienten zu versorgen.“

„Bitte“, Obarax zwang sich nach seiner Stimme zu Urteilen zur Ruhe. „Keine weiteren Überraschungen. Euer Auftauchen, vor allem deren ART UND WEISE hat hier für aufsehen gesorgt. Meine Männer sind nervös. Ich kann nicht dafür garantieren, dass nicht einer der in Position stehenden Armbrustschützen wieder anlegt. Ihr mögt sie nicht sehen, aber sie sind da.“ Er schnaubte. „Einverstanden?“

Gleichzeitig mit der mehr rhetorisch gemeinten Frage, nickte er den beiden Zwergen zu, die zwischen dem scheinbar wild zusammengewürfelten Haufen standen, woraufhin diese sich wieder zu Borindarax knieten, um mit ihrer Arbeit fortzusetzen.

„Ihr habt vollkommen recht, und ich stimme euch zu“, beobachtete Lagorasch wie sein Freund von den Wachen abtransportiert wurde. „Passt auf Ihn auf, er hat mehr als nur ein gutes Herz, er hat viele Freunde und noch große Aufgaben vor sich, die Verwebungslinien des Schicksals sind mit deutlichen Knoten erkennbar“, murmelte der kleine Geode in Richtung der Träger. Der Geode drehte sich daraufhin leicht zu Argmin und sprach ihn in einem sehr flüssigen Garethi an, „Tschuldigung, also ich bin Lagorasch, Schüler von Emmeran und Diener der Erdmutter, unser bewusstloser Begleiter ist Borindarax, kurz 'Borax', Sohn des Barbaxosch und mit uns ist Deryalla von Hartsteig. Aber verzeiht, eine Frage noch, ein Page der Leuin, bedeutet dies, dass ihr ein angehender Geweihter der Rondra seid, richtig?

Der junge Novize beugte sich zu dem dunkelhaarigen Zwerg herab. Es war einer der drei, die keine Rüstung trugen und daher leichter auseinander zu halten waren. „Bitte verzeiht meine barschen Worte zuvor - mir scheint diese Situation stellt sich ganz anders dar als ein jeder von uns es erwartet hätte.“ Er legte die rechte Hand vor die linke Brust und neigte den Kopf. „Argmin von Wirselbach, Page der Leuin, aus der Tempel der Rondra zu Gratenfels. Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen, Herr Lagorasch. Ihr seid ein Diener Sumus?“

Lagorasch nickte sogleich zufrieden ein paar mal mit seinem Kopf.

Argmin hatte davon gehört, dass es Druiden und Hexen gab, die sich als Diener dieser Urgöttin bezeichneten. War dieser Lagorasch ein solcher Druide? „Ja, ich bin ein Novize der Rondra. Ich habe die Weihe noch nicht empfangen, doch ich hoffe und vertraue darauf, mich vor der Herrin und der Kirche zu bewähren und angenommen zu werden in ihrem Bund.“ Der junge Mann mit den kurzen blonden Haaren und den grünen Augen richtet sich bei diesen Worten ganz auf und legt die Hand stolz auf den Knauf des kurzen Schwertes an seiner Seite. Das braune Leder seiner Rüstung knarzt, der weiße Überwurf mit dem roten Löwinnenhaupt spannt über den ledernen Platten. „Ich brenne darauf, mein Weihegelübde ablegen zu dürfen, um der Herrin ganz und gar mit dem Schwert dienen zu dürfen, im Kampf gegen ihre Feinde und für die Befreiung des Ostens.“ Argmin lächelte den Zwerg an, dann blickte er zu der dunkelhaarigen Frau hinüber

Sie trug eine gebauschte Hose und ein weißes Wams. Das Barett hatte sie sich hinter ihren Waffengurt geschoben, an dem ein Schwert hing, das Heft mit einem Friedensknoten versehen, den sie bewusst zur Schau stellte. Sie war eine Kriegerin, denn ihr Wams zierte eine grüne Akademie-Brosche in Form einer Lanze. Dann fiel Argmins Blick auf das Wappen daneben und seine Augen wurden groß, als er die Figuren auf silbernem Grund wiedererkannte – das Wappen der angeheirateten Familie seiner Tante: roter Mittelsparren auf rotem Hügel – das Wappen derer von Hartsteig! Er suchte den Blick der Frau, suchte dort nach etwas, was er wiedererkennen würde. „Das ist Deryalla von Hartsteig?“, fragte er, an Lagorasch gerichtet.

„Ja, und sie mag einen mit ihrer Stärke immer wieder überraschen“, kommentierte der Zwerg sehr zufrieden.

Deryalla hatte den beiden Zwergen und Borindarax hinterher gesehen und kam nicht umhin, größere Teile der Unterhaltung zwischen Argmin und Lagorasch mitzuhören. Irritiert sah sie sich nun zu Lagorasch um und fragte sich, wie er zu Einsichten über sie kam, die sie selbst nicht bestätigen konnte. Dabei begegnete sie endlich auch dem Blick von Argmin und konnte darin das erste Mal Erkenntnis lesen. Trocken bemerkte sie: „Wir scheinen verwandt zu sein, Herr Argmin. Über die Mutter Sarias, nicht wahr?“

Der junge Geode versuchte sein Interesse an dem Konflikt der beiden zu verschleiern, während er sich eben in jenem Moment fragte ob nicht das eben jene Frau war, dessen Queste zur Bereinigung des Familiennamens sich Deryalla aufbürdete.

Argmin biss die Zähne zusammen und seine Kiefermuskeln zuckten, als er den Namen seiner verhassten Cousine vernahm. "Meine Tante Rondragard war die Frau Eures Onkels, wenn ich mich recht entsinne. Es ist mir eine Freude Euch kennenzulernen.", sagte der junge Mann mit tonloser Stimme und nickte der Frau zu. Er vermochte sie nicht einzuschätzen, doch war der Eingang zu einer Feste, umringt von Zwergen, das Rauschen des Großen Flusses und des Isen allgegenwärtig, nicht der geeignetste Ort, um über Familienbande zu reden. Er musterte Deryalla weiter für einen Augenblick, bevor er sich umdrehte, Lagorasch zunickte und sich dann abschickte, dem Zwerg Grimmgasch in das Innere der Feste zu folgen.

Der Schmerz, den er innerlich mitfühlen konnte, bestätigte ihm seine Gedanken. Er würde so gerne helfen, das war genau die Situation, wenn die Seele betroffen war, genau wie sein innerer Trieb bei der Herausforderung ein krankes Tier zu heilen. Fast schon mehr, er würde so gerne mit beiden gemeinsam die Welt bereisen, um Ihnen zu helfen. Aber wie - wie könnte es gelingen, die beiden von seinen Absichten zu überzeugen – das war die Frage, die den Zwerg erst einmal Schweigen ließ.

"Nun, werte Dame, werte Herren" begann Grimmgasch höflich, sich Gehör zu verschaffen. "Der Hauptmann wünscht, dass ich euch zu Väterchen Xalbarosch bringe. Wenn Ihr mir also folgen mögt …" Er ging grüßend an den Wachen vorbei immer weiter in die Tiefe dieser gewaltigen, von den Zwergen errichteten, Anlage. "Euch alle führt eine Queste hierher, habe ich das richtig vernommen? Das ist doch sehr merkwürdig, denn ich bin auch wegen einer Queste hier …"

Mit einer Frage in der Stimme begann Lagorasch: „Wenn wir alle hier nur wegen einer Queste wären. Aber meist kommt doch das eine zum anderen, und so entsteht irgendwann ein Fluss, der ins Meer fließt.“

"Fürwahr, fürwahr! Der Konstrukteur des Weltenmechanismus hat es so gefügt, dass ein Rad in das andere greift und uns fehlt meist der Blick auf das Ganze um sein Schaffen in der Vollendung zu verstehen. Aber mit jedem Rad und jedem Stück, was sich in Seinem Mechanismus bewegt erfüllen wir Seinen Plan." Fügte Grimmgasch an, während er dir anderen weiter führte. "Es ist kein Zufall, dass wir uns alle hier an diesem Ort und zu dieser Zeit zusammen gefunden haben – nur können wir jetzt noch nicht den Sinn dieser Begegnung erahnen."

„Ist das nicht etwas zu negativ gedacht oder gesprochen?“, eröffnete der Geode. „Ergibt sich nicht vielleicht jetzt schon ein Sinn? Nun, man mag doch schon das Werk des Schaffens sehen, wenn man sieht wie sich die Zahnräder zusammenfügen. Auch wenn wir noch nicht sehen wohin die Reise geht, so wissen wir doch alle, das jeder von uns andere Fertigkeiten und Sichtweisen hat. Und jeder von uns hat doch sicherlich mehr als eine Queste, ein einfaches Interesse an unserer Gemeinschaft. Egal welche Ausprägung uns unsere Gefühle geben, und was uns unser Kopf und Wille derzeit noch vorgibt. Wir sind nicht ohne Richtung, nur halt noch zuerst in einer losen Verbindung eines gemeinsamen Weges. Ohne zu wissen, wie lange unsere Interessen uns zusammenhalten. Ich für meinen Teil sehe einer großen Möglichkeit entgegen, zum einen mag ich so erfahren wie unterschiedlich die Wahrnehmung des Weltenmechanismus in den unterschiedlichen Kulturen und Gemeinschaften wahrgenommen wird. Und mehr noch, sehe ich es als wichtig, zu lernen wie man einen Dorn im Geiste eines Jeden behandeln kann.“

"Was soll denn daran negativ sein, dass wir alle auf dem Pfad wandeln, den der Große Vater für uns aufgezeichnet hat?" fragte Grimmgasch erstaunt. "Wir gehen unseren Weg durch diese Welt so wie Er es möchte. Alles was wir auf diesem Weg erleben, lernen, erfahren ist für uns bestimmt. Aber wie ihr schon sagtet, wir selber wissen nicht, wie weit unser Weg der gemeinsame ist. Vielleicht endet er, wenn ich euch zu Väterchen Xalbarosch gebracht, aber vielleicht werden wir noch viele Jahre gemeinsam durch die Welt ziehen und Abenteuer erleben."

„Ah, Nein“, Lagorasch schüttelte den Kopf, „ich meinte der Satz … nur können wir jetzt noch nicht erahnen. Ich finde das erscheint mir mit der reinen Logik betrachtet falsch, denn wir ahnen doch schon jetzt das etwas kommt. Natürlich mögen die Beständigkeit und Veränderung der Situation noch zu wenig einsichtig sein, aber dennoch sind wir doch schon auf dem Weg. Folglich sind wir doch schon weiter als noch zuvor, und damit beginnt doch der Sinn schon seine Fühler nach uns auszustrecken, auch wenn unser Bewusstes Ich es noch nicht klar formulieren mag, so ist doch die innere Lebensflamme erfüllt. Was bedeutet, wir sind doch schon so weit, das wir ein Gefühl in uns tragen.“

Nun blieb Grimmgach stehen, stützte sich auf seinen Wanderstab und wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem jungen Geoden zu. "Aber das ist doch überhaupt kein Widerspruch. Wir wissen nicht, wohin uns das Schicksal führt, aber wir kommen ihm mit jedem Schritt näher. Denkt doch einmal kurze Zeit zurück, da saht Ihr nur Eure Queste, aber auch die hat der Allmächtige Baumeister der Welt für Euch schon vorgesehen. Jetzt stehen wir hier, Ihr seid ein Stück des Weges weiter gegangen und ein neues Zahnrad hat in Euer Zahnrad gegriffen und ein anderes – vermutlich größeres – Stück der Weltenmechanik zeigt sich. Aber nicht nur Euch, sondern wir alle haben daran teil. Und gehen wir noch etwas weiter, dann werden wir wieder etwas mehr wissen. Aber alles werden wir in unseren Leben nie begreifen." Er holte tief Luft und wartete auf Lagoraschs Antwort.

„So wie ein Bach aus einer Quelle ersteigt, und die Zuflüsse aus den Wiesen, Feldern und Wäldern einen Zufluss für den Großen Fluss erstehen, so sind wir doch ohne einander nur Blätter im Wind. Jedoch finde ich es wichtig, das man die Erkenntnis nicht mit schlechten Worten belegen sollte. So waren die ersten Schritte meiner Reise, als ich Borax das erste Mal traf, und er mir den Weg auf die Reise mit diesem Schiff wies. Ja, genau dieses Schiff, das jetzt bei den Wesen der Anderswelt anliegt, und wo sich Alt und Jung streiten, ob der Frage was eine Freude bereiten kann. Kann eine Suche nach einer Sache, die man schon hatte, erfüllend sein, oder nicht?“

„Natürlich,“ mischte sich Deryalla ein, nachdem beide Zwerge wider ihre Natur drohten, mit ihrem Gerede die Bodenhaftung zu verlieren. „Wenn man sie vorher nicht zu schätzen wusste, oder nicht im Wesen erkannte.“ Dann wandte sie sich an den Novizen: „Ohne Euch zu nahe treten zu wollen, Herr Grimmgasch. Mein Schicksal wird von mehr als einem Gott bestimmt, besonders aber von den Zwölfen und Rondra voran!“

Auf den Wangen des Zwerges bildeten sich schon die ersten roten Flecken der Erregung als er antwortete: "Nun, ich habe es auch bei anderen Disputen gemerkt, dass ihr Kurzlebigen gar nicht die Zeit im Leben habt, die Vollkommenheit des Weltenmechanismus zu erkennen und euch deshalb die anderen elf Götter als Hilfe konstruiert habt. Aber glaubt mir, wenn Ihr wie ich die Schriften der Urväter erforscht und aus diesen Schriften und Ritualen gelernt hättet, dann wüsstet Ihr, das Väterchen Angrosch einst die Welt und alle Zwerge erschaffen hat."

Argmin, der den Worten der Zwerge nicht wirklich gefolgt war, sondern die Umgebung betrachtet hatte, drehte bei diesen Worten den Kopf und sah zu dem Zwerg hinüber. Seine Stirn legte sich in Falten und seine Fingerknöchel wurden weiß, als er seine Hand um den Knauf seines Schwertes schloss. Er mahnte sich selbst zur Disziplin und sprach in seinen Gedanken ein Gebet zu Rondra, dass sie in ihrer unendlichen Gnade dem Zwerg verzeihen möge, ihm Einsicht und erkennende Wahrheit schenken könne und ihm selbst die Gelassenheit über solch häretische Worte hinwegzuhören. Er rief sich ins Gedächtnis, dass die Zwerge in ihrer Art und Weise den Kosmos anders sehen und dass ihnen die Erkenntnis fehlte, das Pantheon als solches sehen zu dürfen, wie es wirklich war. Seine Zähne mahlten und er danke Travia für ihre Güte und ihre Milde. Seine Lippen bebten ob der scharfen Erwiderung, die er sprechen wollte. „Rondras Weg ist es, der mich hierher führte, Herr Grimmgasch. Ihrer alleine und kein anderer. Doch nicht, um mir diese Eure Worte anzuhören, sondern um ihr zu dienen, auf dass ich ihren Willen hinaustragen kann, ihren Feinden zu trotzen.“ Er nickte Deryalla zu. „Die Zwölfe sind es, die über uns 'Kurzlebigen' wachen und über unser Schicksal entscheiden. Ich achte Euren Glauben, doch ich bitte euch, dies auch mit unserem zu tun.“

"Sollte ich euch beleidigt haben", antwortete der Novize, "so tut es mir leid. Es lag nicht in meiner Absicht. Ich habe in Senalosch mit Menschen und Zwergen im Tempel des Ingerimm und des Angrosch disputiert. Ich kenne euren Glauben und achte ihn." – 'Auch wenn ihr nie erkennen werdet wie Väterchen Angrosch diese Welt wirklich erschaffen hat, aber ihr seid ja auch nicht auserwählt …' dachte der Zwerg und feixte dann in Gedanken weiter. 'Das Jüngchen muss aber noch viel von seiner Herrin Rondra lernen, hätte er doch fast sein Schwert gezogen und wäre auf einen Unbewaffneten losgegangen. Nun das sind nicht die Tugenden, die sie lehrt. Oh, diese Kurzlebigen …'

Diese Zwerge vermochten es immer wieder, ihn aus dem Konzept zu bringen. Argmin hatte mit einer unerfreulichen Diskussion gerechnet und war überrascht, dass der Herr Grimmgasch ihm nun auf so diplomatisch Weise entgegenkam. Diese Zwerge waren anders, als er es erwartet hätte. Er danke Travia erneut für ihre Geduld und die Herrin Rondra für ihre Milde, dann nahm er die Hand vom Schwertknauf und streckte die Finger wieder aus. „Der Respekt und das Verständnis füreinander ist die Basis unseres Bündnisses gegen die finsteren Mächte, die uns bedrohen. Und die Wege der Göttlichen sind unergründlich.“ Er zögerte kurz, dann fuhr er an den Zwerg gewandt, fort. „Ich danke Euch, Herr Grimmgasch.“

„Dafür müsst Ihr Euch nicht bedanken“, der Dank Argmins kam so überraschend für den Zwerg, dass er die Worte nur stammeln konnte. Wieder färbten sich die Wangen des Zwergs fast mit der Farbe seines Barts nur dieses Mal vor Scham und nicht vor Eifer wie zuvor. Freundschaftlich streckte er dem Rondrarianer die Rechte entgegen: „Möge Respekt und Verständnis unsere Questen leiten! Und lasst einfach das /Herr/ weg!“

Deryalla hatte den weiteren, von Stolz und Voreingenommenheit getragenen, Schlagabtausch zwischen den Novizen verfolgt. Die überraschenden Wendungen und das abschließende, fast freundschaftliche Einlenken machten sie misstrauisch, da die Standpunkte zuvor noch so unversöhnlich gewirkt hatten.

‚Hm‘, dachte sich der junge Geode im Stillen, ‚dabei war es doch die Erdmutter die alles erschuf, sie war vor allen da und ohne sie gäbe es nichts.‘

"Da bin ich aber erleichtert, dass ihr den Tatzelwurm aus der Höhle gekriegt habt. Ah, wartet - ich glaube, bei euch sagt man die Kuh vom Eis", bemerkte Obarax mit leichtem Spott in der Stimme. "Was für ein dummes Sprichwort."

„Nicht viel merkwürdiger als das andere auch – es scheint doch immer auf den Blickwinkel anzukommen“, entgegnete Deryalla, der die recht weite Auslegung der Gastgeberpflichten durch den Anführer der Torwache langsam begann, auf die Nerven zu gehen – trotz ihrer früheren Vorsätze. „Ihr versteht es durchaus, über gemeinsamen Respekt und Verständnis hinweg zu hören, nachdem sie gerade erst von Herrn Grimmgasch beschworen worden sind, Herr Obarax“.

Der Zwerg nickte auf die Worte Deryallas hin. „Da habt ihr wohl recht. Ich habe weder Respekt noch Verständnis für euer Auftauchen hier.“

„Wer keinen Respekt hat, tut sich sicherlich schwer, welchen zu verdienen...“, schloss Deryalla und überlegte, dass das Verhalten des Befehlshabers der Torwache sehr eigentümlich war.

Tumult entstand. Die drei Torwache, die ihren Wortführer einrahmten, begannen deutlich erbost hitzige Worte zu wechseln. Im Inhalt wurde erregt diskutiert, ob die letzten Worte der Menschenfrau eine Beleidigung darstellten. Das jedoch verstanden nur diejenigen, die der zwergischen Zunge vertraut waren.

"RUHE", brüllte Obarax daraufhin und diese kehrte augenblicklich ein.

Irgendetwas stimmte nicht, die Stimmung hatte sich schlagartig geändert, eine fast greifbare Aggression lag in der Luft. Laute Worte wurde gewechselt, Bewegungen wurden hektisch, Hände waren zu Fäusten verkrampft und um Spießschäfte geschlossen. Der junge Rondra-Novize versuchte die ungewöhnliche Situation hier vor dem Tor von Calbrozim zu erfassen, doch er konnte sich keinen Reim darauf machen. Die Blicke der Wachen waren auf die Gruppe der Neuankömmlinge gerichtet, es war wohl keine Bedrohung von außerhalb aufgetaucht. Hatte wieder jemand etwas Falsches gesagt? Bei Rondra, das Schlachtfeld war ihm lieber als das Feld der Etikette - er verstand kein Wort von dem, was die Zwerge da riefen! Argmin blickte von Grimmgasch, dessen ausgestreckte Hand er ergriffen hatte, zu den Wachen und dann wieder zu dem Zwerg. „Respekt und Verständnis.“ sagte er und fügte hinzu“… Grimmgasch.“ Doch der Zwerg hörte schien ihm gar nicht mehr zuzuhören

"Genau! Ruhe und Gelassenheit ist das, was wir jetzt brauchen!" mischte sich Grimmgasch auf Garethi ein und ließ Argmins Hand los, der natürlich den Worten der Wache folgen konnte. "Wir werden uns doch nicht an diesem Ort streiten wollen, oder? Es kann sein, dass das eine oder andere Wort vielleicht von dem einen oder anderen nicht richtig verstanden wurde, aber das ist – bei Angrosch – noch lange kein Grund hier einen Streit vom Zaun zu brechen. Diese drei" – er deutete auf seine neuen Begleiter – "haben eine Queste, die sie hierher führt. Also sollen sie bei Väterchen Xalbarosch ihr Anliegen vortragen. Mag er oder der Herr Graf entscheiden, was dann passiert. Und Ihr, Meister Obarax, solltet bedenken, dass für alle hier etwas Besonderes und Aufregendes geschehen ist. Aber auch das hat das Wiese Väterchen in seinem Plan so vorgesehen."

Der so Angesprochene nickte grimmig und grunzte etwas vollkommen Unverständliches zur Antwort in seinen Bart. Letztlich ließ Obarax den Rat des angehenden Priesters aber wohl gelten. Auf ein weiteres Zeichen des Zwergen hin traten die Soldaten mit den Spießen hinter die aus der Situation geborenen Gefährten, während der Befehlshaber der Wachen nun selbst die Führung der kleinen Prozession in Richtung Tor übernahm, wo er von zwei der dort stehenden Schildträgern flankiert wurde. Die anderen blieben zurück. Das Schreiben Argmins behielt der Befehlshaber der Wachen demonstrativ nun wieder zusammengerollt in der Hand.

In den Hallen aus Stein

Die Temperatur fiel fast augenblicklich, nachdem man das Tor mit den beiden, schweren Fallgitter hinter sich gelassen hatte. Ein leichter Windzug war zu spüren. Angenehm kühl war die Luft im Gegensatz zum wärmendem Praiosmahl an der Opferschlucht. Der breit angelegte und nur grob behauenen Tunnel in die Feste hatte eine komfortable Höhe. Ja, es sah fast so aus, als wenn hier auch ganze Wagenkolonnen einfahren konnten. Eine entsprechende Spur, auf dem mit planem, gut verdichtetem Sand ausgefülltem Boden, wies auch in diese Richtung. Entlang ihres Weges waren immer wieder schießschartenartige Öffnungen im Gestein der Wände und auch der Decke zu erkennen. Licht spendeten nur in weiten Abständen angebrachte Öllaternen. Menschen hatten es aufgrund ihrer mangelhaften Augen schwer, waren die Sinnesorgane der Angroschim doch bedeutend feinsinniger und an das Leben unter Tag gewöhnt. Sie vermochten anscheinend ausreichend gut zu sehen. Die Gruppe aus Menschen und Zwergen passierte zwei weitere Fallgitter und trat unmittelbar danach über massive, aber offenbar verrückbar gelagerte Metallplatten. Es hallte unter ihnen und den Gästen ward mulmig, denn sie konnten sich des Gefühls nicht erwehren, dass viele Schritt reichende Fallgruben unter ihnen lagen.

Dann schließlich, nachdem sie sicher insgesamt nicht weniger als einhundert Schritt tief in den Fels vorgedrungen waren, erwartete sie ein von zwergischen Runen verzierter, gewaltiger Torbogen, dessen steinerne Flügel in ihre Richtung geöffnet waren. Hier standen weitere vier Soldaten, die überrascht wirkten, jedoch nicht das Wort an Obarax richteten, als dieser weiter voran- und hindurch schritt. Hinter dem Durchgang erwartete sie ein Rundgang, der in zwei Richtungen vom Tor vorführte. Im Gegensatz zum bisherigen Weg waren die Wände hier fein behauen, ja sogar geschliffen und wiesen auf herausragende Steinmetzkunst. Er war längst nicht so großzügig angelegt, wie ihr bisheriger Weg, dennoch konnten hier vermutlich vier Zwerge nebeneinanderstehen. "Ihr befindet euch jetzt im äußeren Verteidigungsring von Calbrozim. Von hier führen lediglich Wege nach oben in die vordersten Stellungen der Festung. Der Tunnel zum nächsten Ring ist um einhundertachtzig Grad versetzt, so dass Angreifer die halbe Länge des Ringes nehmen müssen, um tiefer in die Anlage zu gelangen", erklärte Obarax, voller Stolz und allein die Tatsache, wie er es sagte, sprach für die scheinbar vorherrschende Meinung, Calbrozim sei unstürmbar. Sie nahmen den Weg zur Rechten. Bereits nach kurzer Zeit verließen die beiden Zwerge, die Borindarax trugen, die Gruppe. Sie nahmen einen schlichten Durchgang an der rechten- der Außenseite des Tunnels, hinter dem sich eine kleine Halle im fahlen Licht abzeichnete. Stimmen drangen von dort zu ihnen. Die anderen Angroschim hielten unterdessen nicht einmal und gingen ungerührt weiter.

Etwa ein halbes Stundenglas schritten sie so im Kreise. Abzweige oder gar Türen sahen sie nur vereinzelt. Dann zeigte sich ein weiterer Torbogen an der Innenseite der Tunnelwand. Diesen Weg schlugen sie ein. Wieder passierten sie Verteidigungseinrichtungen und Fallen, nur um dann auf einen weiteren, zweiten Rundgang zu stoßen. Diesmal nahmen sie den linken Weg. Hier gab es schon deutlich mehr Türen, Durchgänge und sich direkt anschließende Hallen zu beiden Seiten des Tunnels. Mehrfach sahen sie Treppen, die nach oben führten. Schließlich hielt Obarax an einer eisenbeschlagenen, doppelflügeligen Tür. Er klopfte kräftig dagegen und drehte sich dann zu denen, die ihm bis hierhin gefolgt waren, um.

“Wir sind da. Xalbarosch ist derjenige, der dafür sorgt, dass alles seinen geregelten Gang nimmt in Calbrozim. Er wird sich eure Geschichte anhören und in Vertretung des Grafen eine Entscheidung fällen. Meine Pflicht ist hiermit erledigt." Obarax trat an Argmin heran und überreichte ihm das Schreiben.

„Herr Obarax.“ Argmin nahm das Schreiben mit einem Nicken entgegen. „Bitte verzeiht mir, wenn ich meine Worte unbedacht wählte, was dieses Eure Monument der Bauwerks- und Verteidigungskunst angeht. Noch nie zuvor war es mir zuteil, eine solche Pracht sehen zu dürfen.“

Lagorasch kämpfte schon die ganze Zeit mit seinen Gedanken wie es wäre, sich hier und jetzt den Gefühlen und Erinnerungen dieser Steine und Felsen auszusetzen. Seine Augen waren entrückt, ein Gefühl der Hochspannung durchzuckte ihn, nur sein Wissen, das es verboten war und die Gefahr, die er durch die Erhabenheit und das Alter der Gesteine vernahm - er könnte von den Gefühlen erdrückt werden - hielt ihn davon ab, mit seinem Geist einen Kontakt mit den Steinen aufzubauen.


Der Haushofmeister des Grafen

Die Türflügel öffneten sich und zwei Angroschim in Prunkrüstungen aus Kettenteilen und Platten-Brustharnischen, sowie blitzenden Paradehelmen, die als Zier einen rot eingefärbten Borstenkamm besaßen, traten heraus und ließen die Griffstücke ihrer schweren Zwergenschlägel auf den Boden schlagen. "Kommt herein", dröhnte ein tiefer, befehlsgewohnter Bass in diesem Moment von drinnen. Die Halle, die sie daraufhin etwas zögerlich betraten, war spärlich möbliert, dafür aber reich mit kunstvollen Steinmetzarbeiten versehen. Die Reliefs in Wänden und Decke waren beeindruckend und beschworen im Licht zweier, großer Feuerschalen den ruhmreichen, aber ebenso tödlichen, wie verlustreichen Kampf der Angroschim gegen die Drachen herauf. Zwischen den auf kleinen Säulen stehenden Lichtquellen am anderen Ende des Raumes, stand ein steinerner Thron auf einem Podest. Das eindrucksvollste war jedoch ohne Zweifel der riesige, längliche Totenschädel, der vor der Erhöhung in den Boden eingelassen war und einmal den Karfunkel eines Drachen beherbergt haben musste. "Seid willkommen auf Calbrozim", tönte erneut der Bass und es war der stolze Angroscho, der zur Rechten des verwaisten Thron stand, welcher das Wort an seine Gäste richtete. "Nicht so schüchtern, ihr seid ohnehin in aller Munde wegen eurem Zauberstück. Also keine falsche Bescheidenheit. Kommt herein und macht mir die Freude euch der Reihe nach vorstellen. Warum ihr hier seid, klären wir dann im Anschluss”. Xalbarosch, um den es sich handeln musste, war ein Zwerg im besten Alter und von stattlicher Figur, wenn er auch sicher nicht der größte sein mochte. Sein schwarzes Haar war grau meliert und die smaragdgrünen Augen wach und forschend.

Argmin trat einen Schritt nach vorne und verneigte tief sich in Richtung des Zwerges und des leeren Thrones. „Geehrter Meister Xalbarosch, Sohn des Andorosch - mein Name ist Argmin, aus dem Hause Wirselbach in der Baronie Riedenburg, Page der Leuin von der Halle des Heiligen Hlûthar zu Gratenfels. Ich danke Euch für Eure Gastfreundlichkeit.“ Kurz und knapp stellte der junge Mann sich vor, dann trat er wieder zurück.

Lagorasch war von der Schnelligkeit Argmins überrascht, er hätte eigentlich noch einige Augenblicke mehr gebraucht um den Raum und seine Symbole zu betrachten, aber er nahm sich ein Herz und trat einen Schritt vor, so dass er weiterhin nah zu Deryalla stand. Er hatte keine Ahnung, wer hier welche Titel hatte, Xalbarosch war kein Angroschgeweihter, da war er sich fast sicher, und die Anrede Meister hörte sich toll an. „Meister Xalbarosch, Sohn des Andorosch, ich bin Lagorasch, Schüler von Emmeran und Diener der Erdmutter und Gefährte des Wassers. Mit mir kamen Deryalla von Hartsteig“, und er zeigte auf Deryalla, „sowie Borindarax 'Borax', Sohn des Barbaxosch, der sich derzeit bei den Heilern befindet, nach Calbrozim. Desweiteren begleitet mich auch meine Seelengefährtin Serescha.“ Er hielt kurz seine Tasche hoch, machte eine kleine Pause und fuhr dann etwas schneller und aus Angst getrieben fort, „Es war nicht in unserer Absicht so überraschend und mit solchem Aufsehen zu erscheinen, ein Feenwesen öffnete uns eine Ihrer Pforten hierher, und keiner von uns war sich dessen Gewahr, welcher Art unsere Reise und Ankunft wäre. Ebenso wissen wir auch noch nicht, wie wir zwecks der Rückreise zu verfahren haben. Aber ich glaube eines nach dem Anderen, verzeiht.“ Und Lagorasch stellte sich wieder neben Deryalla.

Ungeachtet der Tatsache, dass der junge Geode wie ein Wasserfall gesprochen und Deryalla bereits vorgestellt hatte, wandten sich die Augen Xalbarosch ihr zu.

Die junge Kriegerin vermutete, dass Xalbarosch in Vertretung des Grafen Ghambir vielleicht sogar dessen Titel zustehen könnte. Doch sie vertraute darauf, dass Argmin die richtige Anrede gewählt hatte, da er doch der Einzige mit einem angekündigten Anliegen schien. Dem fast auffordernden Blick Xalbaroschs entsprechend trat sie nach vorne: „Deryalla von Hartsteig ist mein Name, Gelehrter Meister Xalbarosch. Ich bin Zögling der Kriegerakademie zu Elenvina und danke Euch für eine traviagefällige Aufnahme in diese ehrwürdigen Hallen.“ Damit verbeugte sie sich fast ebenso tief wie zuvor ihr Anverwandter.

Als letzter ergriff Grimmgasch das Wort: „Väterchen Xalbarosch, Ihr kennt mich doch. Ich bin Grimmgasch groscho Kagannto, Novize Eures alten Freundes, Seiner Ehrwürden Torod groscho Tambodosch. Ich war zum Abschluss meiner Novizenzeit für ein paar Jahre am Tempel in Senalosch und bin gerade zurückgekommen.“

Angestrengt wanderten die Augen des Würdenträgers auf Grimmgaschs Zügen hin und her. Dabei legte sich seine Stirn noch mehr in Falten, als sie es ohnehin schon zuvor getan hatte- bis er sich schließlich erinnerte. „Natürlich. Grimmgasch.“ Xalbarosch trat vom Podest herunter und schritt zu dem jungen Zwergen hinüber. Dann legte er ihm Väterlich die Hände auf die Schultern. „Gut, dass du wieder da bist. Erwartest du denn nun bald die Weihe?“

"Wenn die Ergebnisse meines Dienstes im Tempel des Angrosch und des Ingerimm Seiner Ehrwürden zusagen", antwortete der Zwerg stolz, "dann sollte der Weihe nicht mehr viel im Wege stehen. Es war eine sehr lehrreiche Zeit beide Aspekte des Herrn Angrosch kennenzulernen. Aber ich möchte Euch nicht mit den theologischen Details langweilen."

Xalbarosch nickte lächelnd. „Gut. Dann berichte mir doch nun einmal in deinen Worten, was du gehört und gesehen hast von dem … spektakulären Auftritt dieser Herrschaften hier. Die Gründe ihres Hierseins erörtern wir danach.“ Bei diesen Worten drehte sich der Würdenträger seitlich und wies mit einer Geste auf die anderen.

"Ich war gerade mit der Fähre übergesetzt und auf dem Weg zum Tor als ich vor mir auf dem Wege Herrn Argmin sah, der ebenfalls hierher unterwegs war. Plötzlich tauchten auf dem Weg – wie aus dem Nichts – drei Gestalten auf. Vogt Borax, ähm, verzeiht, Vogt Borindarax, Frau Deryalla und Herr Laogrosch lagen nass wie die Fische auf den Steinen. Tja, und jetzt sind wir hier …"

Wiederum folgte ein Nicken. Nachdenklich wirkte die Miene Xalbaroschs, als er sich an den Novizen der Sturmherrin wandte. „Dann seid ihr aus einem anderen Grund hier, wie der Rest- richtig?“

„Meister Xalbarosch – ich war kurz vom Tor von Calborzim, als diese drei plötzlich auftauchten. Auch Herrn Grimmgasch habe ich erst vor dem Tor kennengelernt. Mein Anliegen vor Euch zu erscheinen, hat nichts mit dem Erscheinen der anderen zu tun.“ Argmin verneigte sich und trat an Zwerg neben dem Thron heran. „Ich komme den Weg aus Hlûtharhall zu Gratenfels, geschickt von Schwertschwester Bodia von Leuenfels. Frau Rondragard von Hartsteig bat mich, Euch dieses Schreiben zu überreichen.“ In seiner ausgestreckten Hand reichte er dem Haushofmeister die Schriftrolle seiner Tante und trat wieder zurück. Aus den Augenwinkeln versuchte er zu Deryalla zu sehen, ohne so unhöflich zu sein und den Kopf von dem Haushofmeister zu wenden. Seine Tante hatte von der ‚Schuld den Zwölfen gegenüber‘ gesprochen ob den Geschehnissen in und um ihre Familie herum, aber vor allem ob des Verrates und der darauffolgenden Hinrichtung ihrer Tochter Saria, Argmins Cousine. War die junge Kriegerin womöglich aus einem ähnlichen Grund wie er hier?

Xalbarosch entrollte das Schreiben und überflog dessen Inhalt. Als er geendet hatte, nickte er und hob den Blick erneut zu Argmin. „Wenn wir hier durch sind, lasse ich dich zu Raxarim bringen. Der Sohn des Rabosch ist einer der fähigsten Schmiede in der Stadt. Ich bin sicher, er wird deiner Ahnenlinie eine würdige Waffe gefertigt haben.“ Mit diesen Worten wandte sich der Würdenträger dem Rest seiner Gäste zu. „So, dann schildert ihr anderen bitte einmal, wie es zu dieser, eurer Reise an den Rand des Wedengrabens, gekommen ist.“

„Sehr gerne“, mit diesen Worten trat Lagorasch wieder einen kleinen Schritt vor. „Nun denn, unsere Reise begann in Elenvina. Die Herzogenmutter Grimberta vom Berg und vom Großen Fluss, lud eine größere Gemeinschaft von jungen Leuten ein, die anhand von Empfehlungen von Rittern oder Lehrmeistern an sie herangetragen wurden. So waren wir alle mit dem Schiff Concabella auf dem Großen Fluss unterwegs, als wir auf einmal ein Streitgespräch zwischen einem Älteren Mann und einer jungen Frau vernahmen. Das Schiff kam ins wanken, und im nächsten Moment waren wir in einer Höhle. Dort gab es einige Wortwechsel aus denen wir erfuhren das der Ältere Mann ein Feenwesen ist, und niemand anderes als der Fürst der Muscheln und Heerführer des Flußvaters. Ebenso war die junge Nixe, wie sich herausstellte, eine Diebin, die dem Fürst der Muscheln vier Gegenstände entwand. Der Fürst der Muscheln gab der Gemeinschaft die Quest auf die Gegenstände zu suchen und zu ihm zurück zu bringen. Die Herzogenmutter verweilt derzeit in der Höhle bei den beiden Feenwesen und harrt unserer Rückkehr. Es ergab sich dann noch eine weitere Aufgabe, es gilt eine gute Strafe für die Nixe zum Vorschlag zu gereichen. Nun denn, die Nixe nannte uns vier Orte an denen die Gegenstände versteckt sind, unter anderem diesen ehrwürdigen Ort hier, und erschuf Portale durch die wir an diese Orte zu reisen haben. Und so kamen wir hier an.“

Ungläubig schüttelte der Haushofmeister immer wieder den Kopf, während er angeregt lauschte.

„Hm“, Lagorasch strich sich langsam über seinen Bart, „Dann wollen wir mal kapitulieren da war noch einiges, was uns noch erzählt wurde: Da sind der Liebestrank, ein reiner Rubin - so groß wie die Faust eines Kindes - ein silberner Teller und ein Dreizack. Sie erzählte, das der Liebestrank an einem Ort mit vielen anderen bunten Flaschen ist, der silberne Teller da ist, wo es stinkt und der Dreizack an einem Ort ist, einem Ort der Verehrung, auf den Wassern, wo einst die Feen gelebt haben. Den Stein hat sie an den Ort zurück gebracht, an dem er ursprünglich gefunden wurde. Er wurde einst vergeben als der Herr der Muscheln der Heerführer des Flußvaters wurde und dieser dereinst Lata zur Hilfe eilte.“ Einige Augenblicke vergingen, in denen der Zwerg nur seinen Bart langsam immer wieder abwärts strich. „Dann war da noch dieses Bild, auf der Reise. Ich meinte, eine vernarbte Hand zu sehen, die einen Rubin griff und ich sah, wie die Hand aus einer Wasseroberfläche herausgegriffen wurde...“.

Als der junge Geode geendet hatte, nahm sich Xalbarosch noch etwas Zeit das gehörte einzuordnen. Zumindest schien er es zu versuchen. Dann hob er den Kopf und sah Deryalla skeptisch an: “Bestätigt ihr diese für mich recht phantastisch klingende Geschichte? Und wenn ja, habt ihr dies betreffend, noch Anmerkungen oder Ergänzungen zu machen?”

Die junge Kriegerin nickte entschieden: „Ich kann diese Vorkommnisse bestätigen, Gelehrter Meister Xalbarosch. Ich glaube nur, dass die genauen Worte der Nixe anders waren, als sie davon sprach, wo das rot funkelnde Kleinod nun ist. Doch leider kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern.“

Grimmgasch schaute die anderen an, schließlich war er nur vom Hauptmann der Wache als Fremdenführer abgestellt worden. Sein Ziel war eigentlich sein Lehrmeister. Aber da der Zwerg auch sehr neugierig war und ihn keiner des Raumes verwiesen hatte, blieb er einfach stehen und hörte weiter zu.

Wiederum nahm sich Xalbarosch die Zeit, seine Gedanken zu ordnen, bevor er fortfuhr. "Nehmen wir einmal an, dass das von euch geschilderte wirklich passiert ist und ihr keinen Trugbildern aufgesessen seid. Wie kann ich euch dann helfen?"

„Tja nun… was tun? Ich glaube, es wäre am besten zu ergründen, ob wir in den Aufzeichnungen dieser Hallen eventuell ein Hinweis auf Lata, den Flussvater oder einen reinen kinderfaustgroßen Rubin finden können… hm… und wenn es etwas mit Feen und Lata zu tun hatte, und Lata Hilfe brauchte, dann war dies sicherlich mit deutlichen Auswirkungen auf alles was wir kennen? Tja dann würde ich auf die Große Flut tippen“.

Feenwesen? Flussvater? Nixe? Feenportale? Eine Schatzsuche nach vier entwendeten Gegenständen? Argmin hatte der Ausführung von Lagorasch erstaunt zugehört. Hätte ihm jemand diese Geschichte in einer Schenke in Gratenfels erzählt, so hätte er geschmunzelt, denn es hörte sich wie in einem Märchen an, aber so wie Lagorasch es vorgetragen hatte, schien es dem Zwerg ernst zu sein mit seiner Geschichte. In Gedanken war der junge Page der Leuin aber bei all den großen Krieger und den großen Waffen der Kirche der Rondra. Bei Siebenstreich, bei den zwölf Löwinnenschwertern, beim Heiligen Hlûthar, bei Thalionmel von Brelak und bei Leomar von Baburin. Oh, wie sehr sehnte er danach, dem Ruf der Leuin zu folgen und in ihre Gemeinschaft aufgenommen zu werden und das Gelübde ablegen zu dürfen. Er versuchte, sich auf das Bevorstehende zu fokussieren – den Erhalt der Waffe für seine Weihe, die Tante Rondragard für ihn in Auftrag gegeben hatte.

'Wie ich schon vorhin sagte', dachte der Zwerg. 'Das ist eine phantastische Geschichte – zu phantastisch für eine Lüge …'

Xalbarosch seufzte gedehnt und wirkte eine Zeit lang unentschlossen, bis er schließlich doch auf Lagoraschs Ausführungen antwortete. "Für Sagen und Märchengeschichten bin ich wahrlich der Falsche. Die Geweihtenschaft des Angrosch wacht über die Aufzeichnungen unserer Geschichte. Vielleicht gibt es dort Hinweise auf diesen Almadin.”

Die Stimme des Würdenträgers klang skeptisch. Dennoch blickte er zu Grimmgasch und gab entschlossen Anweisung: "Du geleitest unsere Gäste in die Hallen der Wahrung. Aber trage Sorge, dass keine Unordnung entsteht. Du weißt, wie ordnungsliebend Torod ist. Ich möchte jede unnötige Diskussion über Pflichtvergessenheit vermeiden. Weißt du warum? Ich habe nicht seine Ausdauer und unterliege daher stets." Xalbaroschs Blick schweifte zu Argim. „Und nimm den Novizen der Leuin mit. Die Wertstätten der Schmiede sind nicht weit entfernt vom Tempel, wie du weißt. Raxarims Werkstätte macht da keine Ausnahme.“

"Wie Ihr wünscht, Väterchen", antwortete Grimmgasch. "Ich weiß wie sehr Seine Ehrwürden jeden Verstoß gegen die Ordnung ahndet." – er rieb sich gedankenverloren seine Kehrseite – "Und Herrn Argmin liefere ich gerne bei Meister Raxarim ab." Er verneigte sich kurz und bat dann die anderen ihm zu folgen.

Angroschs Wohnstatt

Nachdem sie der Haushofmeister formell verabschiedet hatte, wurden die Gefährten nun von Grimmgasch weitergeleitet.

Ihr Weg führte sie noch tiefer in die Festung hinein, über den dritten, bis in den vierten, den letzten und innersten der Verteidigungsringe.

Während sie die Tunnel entlang schritten, sahen sie nun immer mehr Abzweigungen, Türen, Tore, sowie schlichte Durchgänge in sich anschließende Hallen und Gewölbe. Angroschim begegneten sie hier auch deutlich häufiger. Mit Neugierde, bisweilen aber auch abweisenden Minen wurden die ungewöhnlichen Gäste betrachtet.

Irgendwann bog der Angrosch-Novize ab und führte sie zu einer breit angelegten Treppe, die in gerader Flucht weiter hinab führte. Doch dies war nicht ihr Weg. Zunächst des Treppenabgangs lag ein kreisrunder Tunnel von gut zwei Schritt Durchmesser, der sehr steil in die Tiefe führte. Eine etwa fünf Finger breite Schiene war leicht erhöht darin angebracht und wurde von glatt poliertem Holz seitlich eingerahmt- es war eine Art Rutsche. Zu beiden Seiten der Öffnung standen große, geöffnete Truhe mit Dutzenden von Gürteln darin. Jeder der breiten Gürtel besaß ein angenietetes Stück gefetteten Leders, welches offensichtlich über dem Gesäß saß, legte man den Gürtel um. Grimmgasch grinste breit, als er mit einer Geste auf die Truhen wies.

"Das ist ein Arschleder", meinte Grimmgasch, "nehmt Euch jeder eins und folgt mir weiter." So schnell wie er es ausgesprochen hatte, hatte er den Gürtel umgelegt und sich auf die Rutsche geschwungen. Und dann war er auch schon mit einem Rutsch aus den Augen der anderen verschwunden.

Voller Vorfreude ergriff Lagorasch den Gürtel und legte ihn sich um. „Ich bin mal gespannt wie weit sich das Feenportal oder diese Reise hier vergleichen lassen, sollte auf jeden Fall weniger Wasser beinhalten. Geht ganz schön runter, bin mal gespannt wie anstrengend die Reise zurück wird.“ Und er schwang sich mit einem lauten „hui“ auf die Rutsche und verschwand.

Mit einem Lächeln sah Argmin den Zwergen hinterher, die mit sichtlicher Freude in der Dunkelheit der Rutsche verschwunden waren. Das schwere Leder des ‚Arschleders‘ war weich, wohl durch den ständigen Gebrauch geschmeidig gehalten. Er legte sich den Gürtel um, kontrollierte den Sitz und hoffte, dass er keinen allzu lächerlichen Eindruck machen würde und setzte sich auf die Steinschiene. Er blickte in das ungewisse Dunkel vor ihm, dann stieß er sich ab und raste in die Finsternis. Der kühle Wind strich ihm durchs Haar, der Boden sackte ab, während sein Magen nach oben strebte und er spürte, wie sich das Frühstück in ihm hob und seinen Hals hinauf wanderte. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah er einen kleinen Lichtpunkt vor ihm, der mit jedem Augenblick größer wurde. Seine Augen fokussierten das Licht, das flaue Gefühl wurde besser, dann raste er durch ein Tor aus Licht in eine kleine Halle und wurde langsamer. Er blieb noch einen Augenblick sitzen und merkte erst jetzt, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Er schluckte den bitteren Speichel hinunter und quälte sich ein Lächeln ins Gesicht, als er aufstand, um sich Wams und Harnisch zu richten und diesen Gürtel abzulegen

Gerade rechtzeitig da von hinten seine Verwandte in die Halle gerauscht kam. Die Rutschpartie hatte nur einige Herzschläge gedauert, sie aber aufgrund ihrer rasanten Schnelligkeit eine gehörige Stecke zurücklegen lassen. Sicher fünfzig Schritt hatten sie alle zurückgelegt, als sie in einer flachen Zone innerhalb einer kleinen Halle, die sie auf diese angenehme Weise erreicht hatten, abbremsten.

Sofort sprang Deryalla auf, um die Rutsche freizumachen und kam auf ihren unerwartet wackeligen Beinen ins Straucheln und fiel hin. Wortlos und mit vor Wut rotem Kopf erhob sie sich betont langsam,

während Grimmgasch zu reden begann.„Diese Art in die Tiefe zu gelangen, ist in Calbrozim, wie auch anderen Städten unserer Rasse weit verbreitet und kommt aus dem Bergbau. Wenn man weiß, welcher Tunnel wo endet, kann man sich zügig bewegen hier unten. Hoch wird es weit anstrengender, Flaschenzüge beziehungsweise Lastenaufzüge stehen nicht frei zu Verfügung, aber es gibt sie“, kommentierte der Angrosch-Novize, als alle unten angekommen waren. Sie waren nun in der Stadt und dementsprechend wimmelte es dort von Angroschim. Menschen sah man nur vereinzelt, aber es gab sie. Calbrozim vermittelte das Gefühl eines Bienenstocks. Überall begannen Tunnel, waren Türen zu sehen, Treppen nach oben, wie nach unten und auch einige kleinere Brücken, welche innerhalb größerer Hallen Höhenunterschiede überbrückten. Grimmgasch führte die Gruppe zielsicher voran und die Mitglieder des bunten Haufens hatten das Gefühl, dass sie nur nicht angesprochen wurden, weil sie in Begleitung des Novizen waren. Glücklich schien niemand hier unten über ihre Anwesenheit. Irgendwann erreichten sie eine Abzweigung, an der eine Öllampe hing und Runen aus glänzendem Kupfer als Wegmarken in das Gestein eingelegt waren.

"Hier geht es jetzt links zu den Werkstätten der Schmiede und rechts zum Tempel des Angrosch mit den Archiven", sagte der Zwerg und schaute dann seine Begleiter an. "Welchen Weg wollen wir zuerst gehen? Ich denke, es wäre nicht im Sinne von Meister Xalbaroschs, wenn ich Euch jetzt alleine durch die Gänge irren ließe – vermutlich würdet ihr weder bei den Schmieden noch beim Tempel " – in Gedanken fügte er noch 'lebend' ein – "ankommen." Abwartend blickte er von einem zum anderen.

„Ich möchte Eurer aller Queste nicht im Wege stehen. Mein Weg sollte mich zu den Schmieden führen, ich will Euch aber nicht aufhalten.“ Argmin blickt zu ihrem Führer. „Wenn Ihr mich zu den Schmieden begleiten würdet, könntet Ihr ohne mich weiterziehen zum Tempel.“ Mit einem immer noch flauen Gefühl im Magen blickte der Rondra-Novize zum Ende der Rutsche hinüber. „Nur für den Rückweg brauche ich dann wohl wieder Eure Ortskenntnis, Grimmgasch.“

„Ich schlage vor, dass Ihr zu unser aller Wohl die beiden Wege zum Kürzesten verknüpft, Herr Grimmgasch. Wenn wir so oder so verloren gehen und auf Eure Mithilfe angewiesen sind, dann liegt es wohl an Euch, den besten Weg zu entscheiden.“ Deryalla blickte vom Zwerg zum Novizen – hart und entschieden musterte sie ihn. Argmin konnte sich taxiert fühlen, wie vor einem Übungskampf: „Verzeiht, Herr Argmin, wenn ich eilig erscheine, aber da von Eurer Queste keine Leben abzuhängen scheinen, sehe ich auch durchaus unsere Aufgabe im Vorzug gegenüber Eurer.“

Grimmgasch dachte kurz nach, bevor er erklärte: „Der Weg zum Tempel ist zwar der kürzere, aber Ihr müsst verstehen, dass ich Euch nicht alleine in das Archiv lassen darf. Jedes nur um ein Stück verschobene Pergament würde mein Lehrmeister erkennen und mich dafür verantwortlich machen.“ – ‚Mir schmerzt der Rücken noch vom letzten Mal …‘ – „Daher bitte ich Euch begleiten wir alle Herrn …, äh Argmin zu Meister Raxarim und von dort gehen wir zum Tempel. Schließlich muss ich mich bei Väterchen Torod zurück melden. Und er wird Euch dann auch den Zutritt in das Tempelarchiv gewähren.“

Argmin hatte seiner Verwandten und dem Zwerg zugehört, dann wandte er sich wieder an Deryalla. „Wie ich Euer aller Ausführungen entnehme, seid ihr im Auftrag der Herzogenmutter höchstpersönlich unterwegs, die Eure Rückkehr erwartet. Darum soll mein Anliegen Eure Queste nicht verzögern. Auch wenn ich zu einer schnellen Heimkehr angehalten wurde, so steht der direkte Auftrag der Herzogenmutter über meinem Anliegen in den Schmieden von Calbrozim. Wie ich schon sagte, will ich Euch nicht aufhalten.“ Der Rondra-Novize drehte sich wieder Grimmgasch zu. „Wenn die Schmieden auf dem Weg liegen würden, würde ich dort warten - auf Eure Rückkehr. Da es aber wohl dort entlang zu Eurem Tempel geht,“ Argmin deutet nach rechts. „lasst uns zum Tempel gehen, damit die herzoglichen Recken möglichst schnell zurückkehren können. Sollte es sich ergeben, dass ihr sie dort alleine ohne Aufsicht lassen könnt, könntet Ihr mich alleine zu den Schmieden bringen, Grimmgasch.“

"Wie ihr wünscht", entgegnete Grimmgasch. "Also gehen wir erst zu Seiner Ehrwürden und wenn er es gestattet ins Archiv. Aber so wie ich Väterchen Torod kenne, wird er euch im Archiv eine Begleitung abstellen und euch nicht alleine lassen. Und falls gerade kein anderer Novize in der Nähe ist" – 'weil ich sein einziger Novize bin' – "werde ich euch weiterhin begleiten und kann Euch, Argmin, nicht in die Schmiede geleiten."

„Wenn Seine Ehrwürden helfen kann, den Auftrag der Herzogenmutter zu erfüllen, dann soll es so sein und dann werde ich mich in hehrer Geduld üben. Und Stahl selbst ist geduldig – so bin ich mir sicher, wird es der Klinge aus der Hand von Raxarim, dem Sohn des Rabosch, einerlei sein, wann ich sie nach Gratenfels trage. Doch der Herzogenmutter wird es nicht einerlei sein, zumal Deryalla andeutete, dass Leben auf dem Spiel stehen könnten.“

Der Tempel, den die Besucher nur wenige Zeit später erreichten, besaß ein über und über mit kunstvollen Verzierungen geschmücktes Portal. Nie hatten die Menschen derart fein herausgearbeitete Formen oder gar Figuren im Stein erblickt. Und dass was sie drinnen erwartete, war nicht weniger eindrucksvoll, ganz im Gegenteil.

Nach einem breiten Gang, dessen Seitenwände und Decke Steinmetzarbeiten, Darstellungen aus der Entstehungsgeschichte Calbrozims trug, so erklärte Grimmgasch, betrat man den Tempelraum - das Allerheiligste.

Die Halle besaß eine gewaltige, rechteckige Grundfläche und eine Höhe von sicher zehn Schritt. Acht dicke Säulen standen auf beiden Seiten längsseits des Mittelgangs, der zum Altar hin führte. Dieser bestand aus einem einfachen, schmucklosen Quader mit perfekt geschliffenen Seitenflächen. Hinter dem Altar kniete eine Statue des Schöpfergottes, die so riesig war, dass sie mit Nacken und Schultern die Decke stützte, während ihre Hände einen Angroschim aus glühendem Stein auf dem Altar zu formen schienen. Der Bart des Gottesabbildes glänzte in unterschiedlichen, metallischen Farben - kupfern, silbern, golden und bestand aus unzähligen, feinen Drähten.

Die aus ihrem Innersten glosende Gestalt eines Zwergen war die größte Lichtquelle des Tempelraumes. Ansonsten gab es lediglich einige kleine Kohlebecken entlang des Ganges. Bänke für die Gäste des Tempels suchte man vergebens. Dafür gab es in den Boden eingelassene Sitzreihen.

Schon beim Eintreten in den Tempel war die Gruppe von einem junger Zwerg bemerkt worden, der Aufgrund seiner schlichten Kleidung ebenfalls als Novize auszumachen gewesen war. Grimmgasch kannte ihn indes noch nicht. Ohne ein Wort zu verlieren, war er in einen Nebenraum enteilt und kam nur wenig später mit einem anderen Angroscho zurück - dem Hohepriester.

Torod war großgewachsen für einen Zwergen und bot eine imposante Erscheinung. Sein mit Runen und Ornamentik besticktes, graues Ornat aus schwerem Leder fiel fast bis auf den Boden, besaß jedoch keine Ärmel und gab den Blick auf muskulöse Arme und massige Schultern frei. Der Sohn des Tambodosch stand im Ruf, ebenfalls ein begnadeter Schmied zu sein und befand sich nach allem Anschein im Zenit seiner Kraft. Sein schwarz gelockter, großzügig mit grauen Strähnen durchmischter Vollbart, war gepflegt und zu drei schweren Zöpfen geflochten, indem metallische Perlen aufblitzten. Das gleichfalls geflochtene Haupthaar reichte ihm bis zur Mitte des Rückens herab. Augen von derselben Farbe wie Saphire musterten die Besucher neugierig, interessiert, ließen aber gleichzeitig kein Zweifel aufkommen, wer in Kürze das Wort führen würde. Mit der Andeutung eines Lächelns schritt der Geweihte, ohne zu zögern, auf Grimmgasch zu und umarmte ihn weniger förmlich als viel mehr herzlich.

„Endlich bist du zurück! Ich freue mich darauf zu hören, wie es dir in Senalosch ergangen ist. Man hört ja so ‚einiges‘ aus Isnatoschs Hauptstadt in letzter Zeit.“

Mehr als ein bestätigendes Nicken blieb dem Novizen nicht, während er die Umarmung seines Lehrmeisters erwiderte. Torod schaffte es immer noch, ihn zu überraschen, solche Herzlichkeit war Grimmgasch nicht gewohnt, begrüßte ihn sein Lehrmeister doch fast wie einen Gleichgestellten und nicht wie einen Novizen.

Torod warf einen weiteren raschen Blick auf die anderen Anwesenden, bevor er fortfuhr: „Doch ich glaube, du möchtest mir erst einmal sagen, was dieser Auflauf zu bedeuten hat.“ Eine Feststellung, eine Weisung mehr denn eine Frage.

Da war sie wieder die Schärfe des Lehrmeisters, die Grimmgasch in den vielen Jahren seiner Ausbildung immer wieder zu hören und zu spüren bekommen hat. Deshalb trat er einen Schritt von Torod zurück und stellte schnell seine Begleiter vor. Als er damit fertig war, fuhr er fort: "Frau Deryalla und Herr Lagorasch sind auf Grund einer Quest der Herzogenmutter hier und Väterchen Xalbarosch meinte, dass sie die benötigte Hilfe hier in unseren Archiven finden können. Sie bitten daher darum, dass Ihr Ihnen den Zugang zum Archiv gewährt. Und Argmin sollte ich eigentlich nur zu Meister Raxarim bringen, aber wir waren der Meinung, dass die Queste wichtiger ist. Und deshalb habe ich sie hierher geführt. Aber ich glaube, dass sie es viel besser erklären können." Nach diesen Worten trat der Zwerg ein wenig zu Seite, um die Gefährten ihr Anliegen selber vortragen zu lassen.

„Heraus damit, wie kann ich euch weiterhelfen“, forderte der Geweihte die Gäste mehr oder minder freundlich auf, ihm zu berichten.

Lagorasch, mit seiner einfachen Lederkleidung, der schlichten Stofftasche an seiner Seite und dem goldenen Halsring trat einen Schritt vor. „Garoschem Angratar Torod Zum Gruße Torod Sehender Angroschs], ich freue mich, dass uns Angroschs Plan hier zusammengefügt hat. Am besten, so denke ich, wenn ich beginne, wie es zu unserer Zusammenkunft mit der Herzogenmutter Grimberta vom Berg und vom Großen Fluss kam.“ Der kleine Zwerg legte dabei seinen Kopf leicht schräg und fing an lebhaft seine Arme zu bewegen. „Nun die Herzogenmutter lud zu einem Treffen für eine Schiffsreise… auf dem Schiff die Concabella. Ja, eben jenes schicksalhafte Schiff auf dem sich vor etwas mehr als einem Jahr dieses Unglück in der Opferschlucht ereignete. Nun denn, die Ereignisse von dieser Fahrt prägten auch zugleich die ersten Augenblicke unserer Zusammenkunft. Tja, ach ja, die Gemeinschaft, diese bestand neben der Herzogenmutter selbst, der Schiffsbesatzung, Borax und Imma von Schellenberg noch aus weiteren, meines Wissens nach fünfzehn ausgewählten jungen Hoffnungsträgern.“ Der junge Geode hielt daraufhin seinen Kopf wieder gerade, kniff die Augen kurz zusammen und fixierte Torod und fuhr fort: „Nun, jedenfalls wurde alle Hoffnungsträger eine unserem Väterchen Angrosch und seinen elf Gesellen geweihte Halskette umgelegt. Dies geschah mit der Absicht, sicherzustellen, dass sich keine Vampire unter unsere Gemeinschaft schleichen konnten.“ Dabei nickte der junge Geode leicht und legte den Kopf wieder schräg. „Tja, jedenfalls gab es einige offene Fragen, was eigentlich ein Vampir ist. Aber so wirklich beantworten konnte das keiner, jedenfalls gibt es keine Geschichten über zwergische Vampire, wir haben ja nicht einmal ein Wort dafür.“

„Also wurde dann abgelegt, noch einige Worte gewechselt und die Reise auf diesen schwankenden Planken nahm an Fahrt auf. Dann am nächsten Tag, ah ja… da wurde zuerst noch diese junge Novizin der Rahja aufgenommen… erst dann waren wir fünfzehn, glaube ich jedenfalls. Tja, jedenfalls muss sie irgendwie eine besondere Wirkung auf Menschen haben, nach meinen Beobachtungen. Jedenfalls ging es den Fluss entlang und auf einmal hörten wir ein Streitgespräch zwischen einer alten männlichen Stimme und einer jüngeren weiblichen. Wir hörten einen Streit wobei mir die Worte Kaulquappe, Barsch, Was hast Du getan, ich wollte Spaß und Freude bringen, Larve noch in Erinnerung geblieben sind. Und dann schien das Schiff fast zu kentern. Wir flogen durch das Schiff und auf einmal waren wir woanders. Der Himmel war weg, und wir in einer Höhle. Wie es sich herausstellte in einer Höhle mit zwei Feenwesen. Tja, und diese Wesen sind ja nicht besonders… oder besser gesagt, die Art der Feenwesen ist halt einfach eine ganz andere als die der Zwerge und Menschen. Der Alte unter den Feenwesen war sowieso schon über die Junge erbost, und die Launenhaftigkeit dieser Wesen entspricht auch zumeist ihrem Element, und dieses sehr mächtige Wesen kam also zuerst auf die Idee, uns alle auf dem Schiff ertränken zu lassen. Tja, da wir noch leben, sieht man ja, dass wir eine Einigung mit Ihm erbracht haben. Jedenfalls diese sehr alte Fee nennt sich der Herr der Muscheln. Und ist der Heerführer des Flussvaters, und anscheinend kennen sich die Herzogenmutter und diese Fee von irgendwoher. Und der Herr der Muscheln hat die Gemeinschaft beauftragt, vier Gegenstände, die diese junge Fee oder Nixe, versteckt hat, zu finden. Jedenfalls scheint es, das hier in diesen Hallen irgendwo diese Nixe einen Rubin versteckt hat.

Aber halt nicht einfach nur einen Rubin, sondern natürlich einen mit einer Geschichte und Bezug zu diesen Hallen. Sie sagte, sie haben den Stein an den Ort zurückgebracht, an dem er ursprünglich gefunden wurde. Und was wir noch wissen ist, dass dieser Stein einst an den Herrn der Muscheln ging, als dieser zum Heerführer des Flußvaters wurde. Und dieser Zeitpunkt soll gewesen sein als er Lata zur Hilfe eilte. Tja, und da war die Idee, vielleicht findet sich hier ein Hinweis auf ein Ereignis und einen Rubin. Ich denke diesbezüglich, dass wenn Lata die Gesandte des Launenhaften, Hilfe von einem Heer von Feenwesen brauchte, dann muss es einen Kampf gegen etwas sehr Mächtiges gewesen sein… und die sind ja nie ohne Auswirkungen in unserer Welt. Also war meine erste Idee, es könnte mit der großen Flut oder einem ähnlichen Ereignis zu tun haben. Ich glaube, das sollte fast alles beinhalten“, und Lagorasch schaute Deryalla fragend an.

'Je öfter ich jetzt diese Geschichte jetzt höre, umso interessanter wird sie', dachte Grimmgasch nachdem er zugehört hatte. 'Was für einen großen Plan hat das Ehrwürdige Väterchen da erdacht! Und ich spiele eine Rolle in diesem Plan. Herr der Erde, ich danke Dir für diese Aufgabe!'

„Verdammte“, entfuhr es dem Geweihten während sich seine Miene verhärtete. „Es ist falsch, dass unsere Rasse kein Wort für sie kennt, doch davon mag ich dir berichten, wenn ihr eure Queste beendet habt. Habt ihr Lagoraschs Worten noch etwas hinzuzufügen junge Menschenfrau?“ Die Augen des Klerikers lagen nun auf Deryalla.

"Fortombla hortomosch Friede und Wohlstand], Euer Hochwürden – nein Lagorasch hat alles sehr gut zusammengefasst.“ Er hatte auch endlich die an ihr nagende Frage beantwortet, was ihr vorhin entgangen war: der Bezug zu diesen Hallen hier … „Es ist vielleicht nur zu ergänzen, dass wir durch Feenkraft hierher gelangten und für einiges Aufsehen sorgten. Dabei prasselten einige Eindrücke auf uns ein – darunter Bilder von Schmiedearbeiten, aber auch von einer tiefen Kaverne und einer Hand, die das Kleinod aus klarem Wasser birgt“.

Torod schien zunächst überrascht, verwundert, aber keineswegs irritiert über die vernommenen Worte. Vielmehr huschten seine Augen hin und her, als würde er versuchen etwas in den Zusammenhang zu setzen.

Abwesend flüsterte er: "Feenwesen… Wasser… und ein bemerkenswerter Rubin… Vielleicht… Ja… Eine sehr alte Geschichte.“ Er sah auf. „So höret. Grimberta vom Berg ist eine weise Person und respektiert am Hofe Ghambirs. Wir werden euch daher gewähren lassen.“ Torods Blick wanderte zu Grimmgasch. „Du führst unsere Gäste in die Hallen der Wahrung. Und du wirst Sorge tragen, dass alles so verlassen wird, wie ihr es vorfindet.“

"Ja, wie Ihr wünscht, Väterchen!" sagte Gimmgasch und verbeugte sich leicht vor seinem Lehrmeister. 'Es wird ganz bestimmt irgendetwas anders sein, als vorher … und wer war es dann wieder? Ich! Und wer kriegt dann wieder die Strafe aufgebrummt? Wieder ich! Ach was soll's!'

„Gut“, befand der Geweihte. Dann fügte er noch hinzu, „eines will ich euch noch mit auf den Weg geben. Ich erinnere mich an eine Sage, die mir mein Vater in meiner Kindheit erzählt hat. Meine Erinnerungen daran sind aber nur vage. Ich meine mich aber zu erinnern, dass sie aus den Drachenkriegen stammt und etwas mit dem roten Stein, Wasser und Feen zu tun hat.“ „Und ihr.“ Der Kopf des Geweihten wandte sich zu Argmin. „Was verschlägt euch nach Calbrozim? Was wollt ihr von Meister Raraxim?“

Der Page der Leuin trat vor und verneigte sich, die Schwerthand auf Höhe des Herzens. „Euer Ehrwürden, mein Erscheinen vor Euch fällt dem Zufall geschuldet mit dem der anderen zusammen. Ich danke Euch für diese Ehre, mich trotzdem zu empfangen. Den Weg aus Hlûtharhall zu Gratenfels komme ich in diese steinernen Hallen, geschickt von Schwertschwester Bodia von Leuenfels. Die Schwester meines Vaters, Frau Rondragard von Hartsteig, ließ von einem Eurer fähigsten Schmiede eine Waffe für mich fertigen, die zu holen ich nach Calbrozim reiste. Den geehrten Grimmgasch sowie Frau Deryalla und ihre Gefährten traf ich erst vor den Toren Eurer… Festung. Herr Grimmgasch führte uns durch das Innere Eurer imposanten Anlage und hätte mich direkt zu Euren Schmieden geführt, doch das Anliegen der Herzogenmutter geduldet keinen Aufschub.“ Damit tritt Argmin wieder einen Schritt zurück.

"Grimmgasch! Einfach nur Grimmgasch ohne /Herr/", raunte ihm der Zwerg zu als er seine Rede beendet hatte.

Mit einem vernehmbaren Räuspern und einer fast schon drohend erhobenen Augenbraue wies Torod Grimmgasch zurecht, dass er schweigen sollte. Dann wandte er sich betont langsam an Argmin zurück und nickte wissend. „Dann seit ihr gekommen, den Rondrakamm zu holen. Raxarim erzählte mir davon. Solch eine Waffe schmiedet ein Angroscho wohl nur einmal in seinem Leben, selbst wenn dieses sehr lange währen mag. Ich werde euch selbst zu seinen Werkstätten geleiten, will ich die Waffe doch mit eigenen Augen sehen.“

In den Augen des Rondra-Novizen war Überraschung zu sehen. Er blickte kurz zu Grimmgasch hinüber, dann wieder zu Herrn Torod. Argmin hatte sich auf eine längere Wartezeit eingestellt, während der die anderen wohl verstaubte Steintafeln und alte Pergamente aus alten Nischen hervorgezogen hätten, um Hinweise auf jene Allianz der legendären Schildkröte Lata und dem mystischen Flussvater zu finden, die für die Erfüllung ihrer Queste wichtig waren. Dass der Angrosch-Priester von Calbrozim ihn zu den Schmieden führen würde, hatte er nicht erwartet. Erneut neigte er formell den Kopf vor dem großgewachsenen Zwerg. „Euer Ehrwürden, ich danke Euch erneut.“

"Dann folgt mir bitte in die Halle der Wahrung", forderte Grimmgasch die Menschenfrau und den Geoden auf. "Ich habe so eine Idee wo unsere Suche beginnen könnte …" Er ging vorweg bis sie in die Halle der Wahrung kamen. "Bitte seid vorsichtig und fasst nichts an bis ich euch sage, dass wir unser Ziel erreicht haben!"

In der Schmiede

Die Schmiede erreichten sie nach etwa einem Achtel Stundenglas, so schätzte Argmin. Eine eisenbeschlagene Tür führte vom Haupt- Ringtunnel dieser Ebene, in dessen Zentrum der Tempel lag, in die Werkstätten Raxarims. Lautes, fast schon rhythmisch anmutendes Hämmern war bereits von draußen zu vernehmen. Eine Geräuschkulisse, die in diesem Abschnitt Calbrozims fast schon natürlich schien. Entlang ihres Weges hatten sie bereits andere Schmieden passiert. Torod öffnete die Tür und schritt voran. Im Inneren der Werkstatt betraten sie zunächst eine rechteckige Kammer mit einem Holztisch und einige Stühlen, allesamt Möbelstücke, die für Zwergen ausgelegt waren. An der Wand stand ein Holzkonstruktion, an der mehrere Waffen ausgestellt waren. Dort standen Äxte in verschiedenen Ausführungen und Größen, ein Streitkolben, aber auch zwei Spieße- Wurmspieße, wie Argmin erkannte. Zwei schlichte Türen führten zur Rechten und zur Linken weiter, während gegenüber dem Eingang ein Rundbogen über einen kurzen Gang in die eigentliche Schmiede führte. Von dort klang der Gesang des Metalls zu ihnen. Die Wärme des Ofens war schon hier deutlich zu spüren. Wiederum schritt der Geweihte voran. Nur wenige Schritte weiter standen sie schließlich unmittelbar vor einem Blasebalg, der an dem Schmiedeofen saß. Trockene Hitze wallte ihnen entgegen. Das Dröhnen des Hammerschlags auf Metall endete abrupt. Der kleine und bullig wirkende Angroscho, der hinter dem Amboß stand, blickte auf und wirkte sichtlich überrascht. Das merkte man auch an seiner Stimme, als er zu sprechen ansetzte. Argmin selbst verstand nur den Namen ‘Torod’. Die Antwort des Geweihten war knapp, doch auf sie hin wechselte der Schmied in einen starken Akzent untersetztes Garethi, womit Armin zumindest erahnen konnte, was der Geweihte sinngemäß gesagt haben musste. “Was führt dich zu mir Fremder”, fragte Raxarim und blickte den Novizen fragend an. Der Schmied trug nur einen groben Lederüberwurf, der um den Hals gelegt, die Brust bedeckte, aber den Rücken frei ließ. Er wurde auf Höhe der Taille um den Leib geschlagen und verschnürt und reichte bis hinab zu den Knien. Schultern und Arme lagen folglich ebenfalls frei, während er dicke Handschuhe und Sandalen trug. Auffällig waren Raxarims sehnigen Glieder und sein kurzer, goldblonder Bart, der ihm kaum bis auf die Brust reichen wollte. Sein Schnauzer hingegen war ausladend und prachtvoll gezwirbelt. Schweiß stand auf der Haut des Angroschos, während er Argmin musterte und auf dessen Antwort wartete.

Bewundernd ließ der junge Novize seinen Blick über den großen Blasebalg und den Schmiedeofen gleiten. Raxarims Silouette gegen das Schmiedefeuer verlieh dem muskulösen Zwerg ein fast mystisches Aussehen. Argmin war schon immer von der Schmiedekunst für Waffen fasziniert. Schon als kleiner Junge war er auf Gut Wirselbach dem Schmied nicht von der Seite gewichen, wenn der kam, um die Pferde neu zu beschlagen. Als er dann alt genug war, um erst ein Holzschwert und dann sein erstes Schwert aus Metall zu führen, zog ihn das Schmiedehandwerk an. Diese Kunst, Metall so zu formen, dass es zu einer wunderbaren Kriegswaffe wurde, begeisterte ihn. Die Göttergeschichten über Malmar, mit dem Ingerimm das Siebenstrich schmiedete, und über den Amul Dschadra und über Hazaphar und ihre Schwesterklingen Sokramor und Mithrida hatte er immer gerne gehört und sich versucht vorzustellen, wie diese Waffen geschaffen worden waren. Mit der Faszination für Waffen kam der Wunsch, sie führen zu können. Zuerst war es nur das Verlangen, sie zu verstehen, dann wurde ihm bewusst, dass ihn dazu weit mehr bewegte. Die strenge Erziehung auf dem Gut, das Wissen über die Ereignisse im Osten, die Lehren seines Vaters und die Predigten seines Onkels Ardor im Namen Urcuris und dann die Nachricht, als man seinen Onkel Raul für tot erklärte, all das hatte dazu geführt, dass er sich mit Inbrunst und voller Eifer und Feuer sich der Rondra zuwandte und sein Leben und seine Seele der Leuin versprach. Ihm wurde peinlich bewusst, dass er den Zwerg in Gedanken versunken angestarrt hatte, der vor ihm am Amboss stand. Er räusperte sich verlegen. „Argmin von Wirselbach werde ich genannt. Die gute Frau Rondragard von Hartsteig ließ eine Klinge für mich bei Euch in Auftrag geben. Ich bin hier, um diese Waffe abzuholen, um sie in den Tempel der Leuin zu Gratenfels zu bringen.“ Er reckte sich und zeigte stolz die Insignien an seinem Wappenrock, die ihn als Page der Rondra zur Hlûtharhall auswiesen.

Der Schmied lachte auf und schüttelte den Kopf, wandte sich dabei jedoch an den Geweihten. „Dann weiß ich auch warum du hier bist Torod. Du willst ‚sie‘ sehen.“ Der Kleriker zuckte so ertappt nur amüsiert mit den Schultern. „Zugegeben“, war alles was er darauf entgegnete. Der Wortwechsel jedoch ließ erkennen, dass die beiden ein freundschaftliches Verhältnis pflegten. „Kommt“, sprach Raxarim zu beiden, steckte den Rohling, den er auf dem Amboss bearbeitet hatte mittels einer Zange zurück ins Schmiedefeuer und schritt dann zu einem klobigen, eisernen Tisch am Rand der Schmiede, auf dem ein langer Gegenstand in einem von Öl getränkten Leinen eingeschlagen lag. Der Schmied deutete versonnen lächelnd darauf und sprach mit verzückter Stimme: „Bitte. Dies ist mein Werk und gleichzeitig ein Geschenk des Angrosch, oder ein Fingerzeig Simias, anders kann ich den sonderbaren Fund nicht deuten, den ich machte, während ich diese Waffe schmiedete. Es ist eines meiner schönsten Werke und es schmerzt mich fast es wegzugeben. Nehmt sie und dient eurer Herrin. Sie trägt einen stolzen Namen. Den jedoch werdet ihr erst ergründen, wenn ihr euch ihrer als würdig erwiesen habt junger Krieger.“

Argmin schaut vom Tisch zu dem Schmied und dann zu dem Priester und wieder zurück zu dem Tisch. Er trat einen Schritt nach vorne und streckte die rechte Hand zögernd nach den Leinentüchern aus. Die Worte Raxarims und der Umstand, dass selbst der Angrosch-Geweihte persönlich das Werk des Schmiedes sehen wollte, ließen ihn zaudern. Dann berührten seine Finger den öligen Stoff und er schlug das Tuch zurück. Andächtig, fast liebevoll legte er das Metall der eingeschlagenen Waffe frei, wie ein Liebhaber seine Geliebte entkleiden würde. Der Feuerschein des Schmiedefeuers brach sich gleißend auf den Kanten und den Flächen der Waffe, zeugte von ihrer Schärfe. Der Rondra-Novize trat einen Schritt zurück und blickte auf den Tisch. Da lag sie, im Schein des Feuers, aus dem sie entstanden war. Sein Blick wurde verschwommen, als sich Tränen in seinen Augen sammelten. In seinen Gedanken wirbelten Worte, die versuchte zu fassen, was dort vor ihm wartete.

Erst dann, im Moment größter Rührung, sah er ihn. Im Knauf des Rondrakamms eingelassen befand sich ein Rubin so groß wie eine Kinderfaust. Gleichzeitig hörte er neben sich Torod scharf die Luft einsaugen. „Wunderschön nicht war“, fragte Raraxim. „Er lag eines Morgens im Wasserbecken, neben der fertigen Klinge, genau an jenem Tag, an dem ich mit Parierstange, Griff und Knauf beginnen wollte. Ich musste es als Zeichen Angroschs sehen, dass der Stein Teil meines Werkes werden sollte. Warum sonst hätte er diesen dem Allvater heiligen Stein ausgerechnet dort und zu diesem Zeitpunkt platzieren sollen?“

Argmin blickte zu dem Schmied hinunter, der ihm mit einem Nicken aufmunterte. Dann sah er zu Torod hinüber, der die Stirn in Falten gelegt hatte. Der Rondra-Novize blickte wieder zur Klinge. Seine Knie waren weich, seine Hand zitterte ein wenig, als er die Finger ausstreckte und vorsichtig den Knauf berührte, der wie eine Löwenklaue geformt war und den Rubin in seiner Pranke hielt. Argmin fühlte sich wie in einem Traum, er hatte Bedenken, die Waffe würde sich in Luft auflösen und es wäre alles nur eine Illusion, doch dann stießen seine Fingerspitzen das kühle Metall des Knaufes. Das Feuer der Esse funkelte in dem Edelstein. ‚Der heilige Stein der Göttin!‘, dachte Argmin ehrfurchtsvoll. Seine Hand fuhr über den Griff aus hartem Holz, der mit Leder- und Metallbändern kunstvoll umwickelt war, dann hielt er inne und blickte wieder zu dem Schmied hinüber, um stumm Erlaubnis zu bitten, die Klinge aufnehmen zu dürfen.

Dieser lächelte nur und bestätigte auf diese Weise, dass er keine Einwände hatte. Argmin griff so ermutigt nach dem Zweihänder, der Waffe, die das Standessymbol der Geweihten der Leuin waren. Sie war wie zu erwarten schwer, so dass er die zweite Hand benötigte, um sie sicher aufzunehmen. Gut fühlte sie sich an, war wohl ausbalanciert und seine Schneiden von makellosem Glanz. In der Mitte der Klinge lief ein Band, in der das Metall nur grob geschliffen worden war. Dort erkannte Argmin eingeätzte, zwergische Runen und Ornamentik.

Das matte Band zog sich von der verzierten Parierhaken oberhalb der mit rötlichem Leder umwickelten Fehlschärfe bis hoch in die Spitze. Der leichte Wellenschliff der Klinge zauberte die Reflexion des Schmiedefeuers an die Wände. Er streckte die Klinge mit beiden Händen gerade von sich. Ihr Gewicht war kaum spürbar, so ideal wurde das Gewicht durch Griff, Knauf und den Edelstein ausgewogen. Argmin richtete die Klinge vor sich auf, bedacht, dass die Spitze nirgends anstoß. Die Parierstangen waren mit leicht geschwungen, dort, wo sie auf das Heft trafen, war das Signum der Rondra-Kirche eingelassen. Dem Rondra-Novizen wurde leicht schwindelig, er merkte erst jetzt, dass er die Luft angehalten halte. Er öffnete den Mund und zog die warme Luft der Esse gierig ein. Sein Blick glitt das Schwert entlang.

Es war perfekt.

Ein Meisterwerk.

Das schwere Seufzen Torods riss den Novizen aus seiner Bewunderung für die Waffe in seinen Händen. „Warum bringt unverhoffter Besuch nur immer Ärger mit sich?“ Irritiert ruckte darauf der Kopf des Schmieds zum Geweihten. „Was soll das heißen?“ Doch Torod machte nur eine unwirsche Bewegung in Richtung Argmins. Er selbst grübelte offenkundig, während er sich hörbar den Bart kratzte.

Stille legte sich in die Schmiede, nur das leise Knistern der Glut in der Esse war zu hören. Raraxim schaute zwischen Torod und dem jungen Rondra-Novizen hin und her. Argmin betrachte indes noch immer fasziniert den Rondrakamm in seinen Händen, dann bemerkte er den Blick des Schmiedes auf sich und er wandte sich zu den beiden Zwergen um. "Verzeiht bitte, Euer Ehrwürden, wenn ich Eurem Gespräch nicht ganz folgte ... Mit 'unverhofftem Besuch' spielt ihr auf das Erscheinen von Herrn Grimmgasch und Frau Deryalla und ihrer Gruppe an?" Er senkte den Rondrakamm und legte ihn liebevoll zurück in sein Bett aus Leinen. “Mein Besuch wurde Euch angekündigt, oder komme ich zu ungelegener Zeit?“

„Warum Ärger, was meint er damit?“ Die Worte Argmins hatten Raxarim nicht schlauer werden lassen. Da Torod die Augen mittlerweile geschlossen hatte und nachzudenken schien, sah der Schmied nun den Menschen fragend an.

Argmin blickte hilfesuchend zu dem Angrosch-Geweihten, der mit seinen Gedanken jedoch weit weg zu sein schien. „Ich… äh… die anderen … Ich … nehme an, Ehrwürden meint die andere Gruppe, die mit mir erschienen ist …?“ Der Novize blickte zum Rondrakamm hinüber. Der Anblick der Waffe gab ihm Halt. ‚Heute, Herrin, gibt es kein Zurück mehr, kein Schonen der Kräfte … Mein Geist ist gestählt …‘ in Gedanken rezitierte er ein Gebet, das Kraft im Kampfe geben solle, dann blickte er zu dem Schmied zurück. Er versuchte sich an einen anderen Ort als an eine unterirdische Zwergenessen vorzustellen und dachte sich in die Hlûtharhall. „Ehrwürden meint sicher, den Umstand, dass meine Ankunft vor den Toren Calbrozims durch das plötzliche Erscheinen einer Gruppe begleitet wurde, eine Frau namens Deryalla von Hartsteig und zwei Zwerge, einer namens Borindarax, Vogt von Nilsitz, und einer namens Lagorasch, der viel redet. Diese drei erschienen wie aus dem Nichts vor den Toren Eurer Feste. Ich denke, dass Ehrwürden an diese drei und möglichen Ärger denkt, denn sie sprachen von einer dringenden Angelegenheit der Herzogenmutter. Sie seien auf einer Queste, auf der Suche nach etwas, was dem Flussvater gehören soll und was nun von einer Nixe entwendet und von dieser angeblich in die Hallen von Calbrozim zurückgebracht wurde. Diese drei Gefährten sind in Begleitung eines Zwerges namenes Grimmgasch in den Heiligen Hallen des Ingerimm, um dort nach Hinweisen über einen Zusammenhang zwischen dem Flußvater, der Lata aus Havena und den Hallen Calbrozims zu suchen. Wenn ich mich recht entsinne, soll es um den Gründungsstein von Calbrozim gehen, wohl um einen göttergefälligen Edelstein, wenn ich mich recht erinnern will …“

"Angrosch", grollte die Stimme des Geweihten. "Ja, sie sind hier um einen Rubin zu suchen. Einen Edelstein so groß wie eine Kinderfaust." Torods Augen öffneten sich und suchten die des Schmied, als er die für ihn zutreffenden Fakten feststellte. "Du hast ihn gefunden Raraxim. Ihn, den Stein der wohl Besitz des Flussvaters ist. Und du hast ihn darüber hinaus auch noch gleich verarbeitet, anstatt zum Tempel zu kommen und mit von ihm zu berichten." Dem so gescholtenen entglitten seine Gesichtszüge nun vollständig. Er lief rot an, bevor er seinem Unmut Worte verlieh. "Der Rubin ist ein Geschenk des Allvaters. Wie sollte eine … Nixe ihn in meine Werkstatt gebracht haben? Lächerlich. Nein, das ist grober Unfug. Der Stein ist dort wo er hingehört! Und niemand wird ihn wieder aus dem Knauf entfernen. Vier Monde habe ich am der Waffe gearbeitet. Das wäre nicht nur eine Frechheit mir und meinem Handwerk gegenüber, nein es wäre ein Frevel am Allvater und seinem Willen." Gereizt hatte sich der Schmied in Rage geredet. Dann wandte er sich an abrupt an Argmin. "Was habt ihr dazu zu sagen? Glaubt ihr diesen …" Unwirsch schüttelte Raraxim den Kopf. "Borindarax von Nilsitz ist ein Jungspund mit reichlich Flausen im Kopf. Die anderen sagen mir nichts. Wie schwer mag ihr Wort wiegen?"

Wieder herrschte für einen Augenblick Stille, in dem nur das Knistern der Glut in der Esse zu hören war. Der Novize der Leuin fühlte sich sichtlich unwohl und wünschte sich in den Tempel zurück. Er blickte zu dem Rondrakamm auf dem Tisch und zu dem funkelnden Rubin am Knauf und schluckte schwer. Die Erzählung von Lagorasch über die Queste der Herzogenmutter und die Worte von Ehrwürden Torod füllten wirr seine Gedanken. Er mahnte sich innerlich zur Disziplin und schickte ein kurzes Stoßgebet zur Löwin. ‚Diese Reise in diese ZwergenBINGE ist eine größere Herausforderung als der Zweikampf mit Schwertbruder Kalfar!‘ Er spürte wie seine Zähne mahlten. „Das … mag ich Euch nicht zu sagen,“ antwortete er schließlich an Raraxim gewandt. „Ich kenne diese Gruppe nicht, doch der sowohl Haushofmeister Xalbarosch als auch Herr Grimmgasch schenkten ihren Worten Glauben … Zumindest soweit, dass ihnen gestattet wurden, in den Archiven von Ehrwürden nach weiteren Hinweisen zu suchen. Ich mag einwerfen, dass ihr Erscheinen vor den Toren Calbrozims als ‚unnatürliche Natur‘ zu beschreiben ist und dass dahinter Hesindes Gabe stecken muss, doch das ändert nichts daran, ihnen Hilfe gewährt wird, sodass ich auf das Urteil von Meister Xalbarosch und Ehrwürden Torod vertraue.“ Argmin schwieg und starrte auf den Rondrakamm. Er verstand Raraxim. Sollte sich herausstellen, dass der Rubin im Knauf tatsächlich jener eine sei, den der Flussvater sein Eigen nennt, dann würde man den Rubin aus dem Knauf entfernen müssen und dabei würde das Schwert erheblichen Schaden nehmen. Die Balance würde nie wieder stimmen und der Knauf würde einen erheblichen Schwachpunkt im Gefüge der Metallstruktur darstellen. Bedauern kam in Argmin hoch. Er atmete schwer aus und schlug das schwere Leinen über der Waffe wieder zusammen, um ihre Pracht zu verdecken. ‚Letztendlich ist es nur ein Werkzeug. Und jedes Werkzeug ist nur so gut, wie die Hand, die es nutzt. Ich bin Rondras Diener. Ich bin ihre Waffe.‘, versuchte der junge Mann sich in Gedanken abzulenken, doch er spürte die Enttäuschung in seinem Herzen und versuchte sich selbst dafür einen Narren für diese Gefühlsduselei zu schelten, was ihm kläglich misslang. Seine Stimme klang monoton, als er sich an den Geweihten wandte. „Euer Ehrwürden – diese Queste der Herzogenmutter über den Flussvater und die Nixe und den Edelstein, sagt mir bitte – ihr meint, dass dieser Rubin im Knauf des Schwertes, jener Stein sein ist, der hier gefunden und dann dem Heerführer des Flussvaters übergeben wurde?“

„Ja“, Torod musste über die Fragen nicht nachdenken. „Ich halte es schlicht für unwahrscheinlich, dass ein zweiter Edelstein nach Calbrozim ‚gebracht‘ wurde. Nein, die Verkettung der Ereignisse ist zu eindeutig. Dennoch“, nun machte der Geweihte eine Pause und wog die nächsten Worte ab. „Ich vermag nicht zu sagen, was nun zu tun ist. Wir müssen ergründen, ob es einen anderen Weg gibt. Dazu sollten wir zunächst herausfinden, was dieser Stein ist und welche Bedeutung er hat. Danach sehen wir den Sachverhalt vielleicht klarer und können zu einer Entscheidung kommen.“ Torod sah vom Schmied zum jungen Novizen. „Einverstanden?“ Raraxim wirkte wenig überzeugt. „Nichts was ihr in alten Schriften finden könnt, wird meinen Standpunkt ändern. Der Stein bleibt im Knauf der Waffe.“

Argmin hörte den Trotz und den Stolz aus den Worten des Schmiedes. Er konnte es dem Zwerg nachfühlen. Sein Blick wanderte zurück zu dem Leinen, in dem der prachtvollen Rondrakamm nun verdeckt lag, und fühlte schweres Bedauern. Was der Zwerg geschaffen hatte, war ein Glanzwerk, das ein jeder Schmied womöglich nur ein einziges Mal im Leben gelang. Den Stein aus dem Knauf zu entfernen, würde das Meisterstück zunichtemachen. „Ja, Euer Ehrwürden, mehr über diesen Stein und die kürzlichen und über die vergangenen Ereignisse zu erfahren, sollte nun unser Anliegen sein. Wenn ich es richtig vernommen habe, dann wurde dieser Stein auch ursprünglich hier an dieser Stelle gefunden und war den Angrosch ein Zeichen. Dennoch wurde er dem Heerführer des Flussvaters übergeben. Dafür wird es einen Grund gegeben haben. Wenn wir diesen erfahren, dann könnte es uns helfen, den Herrn der Muscheln zu überzeugen, den Stein dort zu lassen, wo Meister Raraxim ihn eingearbeitet hat.“ Er drehte sich zu dem Schmied um. „Meister Raraxim, meine Tante bezahlte für diese Waffe, um sie mir als Weihewaffe zu überlassen. Es ist ihr ein Anliegen, mit dieser Geste Wiedergutmachung zu leisten im Angesicht der Zwölfe, auf das die Waffe im Kampf gegen das Böse geführt wird. Ich sage Euch hier und jetzt, Raraxim, dass der Heerführer den Stein lassen soll wo er ist und dafür die ganze Waffe nehmen soll – auch er wird die Waffe gegen das Böse führen und somit dem Wunsch meiner guten Tante nachkommen. Ihr habt ein wahres Meisterwerk geschaffen und ich könnte nicht zulassen, dass der Stein aus dem Gefüge gebrochen wird.“ Der junge Novize blickte kurz mit Wehmut auf das Leinentuch, dann ballte er die rechte Faust und schlug sie sich vor die Brust und sprach zu Raraxim: „Bei der Leuin und dem Donner des Himmels, ihr habt mein Wort: keinen Anspruch will ich auf die Waffe erheben, wenn dieser Anspruch bedeuten müsste, dass der Stein dem Knauf entrissen werden muss.“

Torod nickte bedächtig. „Wir werden sehen, was die anderen machen, ob sie schon etwas in den Hallen der Wahrung gefunden haben, was uns weiterhilft. Kommt.“

In den Hallen der Wahrung

Grimmgasch führte die anderen aus dem Allerheiligsten heraus, durch einige kleine Nebenräume und Flure bis hin zu einer ins Gestein gehauenen, schmalen Wendeltreppe, die hinab führte. Dies war ihr Weg. Nacheinander schritten sie über die engen Windungen in die Tiefe. Grimmgasch, am Kopf der Gruppe, leuchtete mit einer Laterne, die er sich aus einem Lagerraum mitgenommen hatte. Und doch erreichte das Licht entlang des sich windenden Abganges nur sehr spärlich die am Ende Gehenden. Man musste vorsichtig sein, um sicher die kurzen Stufen zu treffen. Ein Gefühl von Beklemmung wollte sich bei den Menschen einstellen, die durchgehend vorgebeugt gehen mussten, da die Höhe der Treppe für sie nicht ausreichend war. Weit unterhalb des Allerheiligsten erreichte die Gruppe schließlich eine in vollkommener Dunkelheit liegende Halle. Grimmgasch entzündete rasch einige vereinzelnd an Ketten herabhängende Öllampen und mehr und mehr wurden die Ausmaße des Gewölbes sichtbar. Reich mit Runen verzierte Stelen standen in einer scheinbar wahllosen Anordnung herum, während jede noch so kleine Fläche der Außenwände mit Vertiefungen versehen war, in denen Steintafeln, Schriftrollen und Bücher lagen oder standen. Bis unter die Decke, welche sicher fünf Schritt hoch war, erstreckte sich die hier aufbewahrte Sammlung an Schriften, die die Geschichte der Zwergen beinhalten mochte. Leitern verschiedener Längen standen alle paar Schritt an die Wände gelehnt. “Dies ist die Haupthalle”, verkündete der Novize des Angrosch. “Sie ist ebenso groß, wie der Tempel über uns. Auch hier gibt es… kleinere Keller, die sich anschließen. Sie jedoch sind verboten und sind folglich verschlossen.” Grimmgasch deute auf ein verloren wirkendes Pult im Zentrum der Halle, auf dem ein sicher zwei Hand breiter Foliant lag. “Dort liegt das Verzeichnis der hier gesammelten Werke.”

Er ging an das Pult heran, öffnete den Folianten und fragte seine beiden Begleiter: "Wonach soll ich zuerst suchen? Ich glaube nämlich nicht, dass ihr die Angram-Runen des Verzeichnisses deuten könnt. Hier ist nur zu den Schlagworten ein Indexverweis hinterlegt, der den Kundigen dann wieder auf ein Regal und ein Buch hinweist. Alles sehr kryptisch und nicht eben selbsterklärend." Dann wartete er auf die Vorschläge der beiden.

Lagorasch war hin und her gerissen, all dieses Wissen, niedergeschrieben und, für jeden der lesen konnte, zugänglich. Eine solche Gefahr, dieses Wissen, diese Bücher prüften nicht die moralische Stabilität des Lesers. Er erinnerte sich an die langen, immer wieder aufkommenden Diskussionen und Ermahnungen auf den Treffen der geodischen Gemeinschaft. Da war zum einen die Gefahr wichtiges Wissen zu verlieren, wenn jemand stirbt, oder Wissen das einfach vergessen wird, wenn man von Generation zu Generation die Erfahrungen weitergibt. Und was passiert, wenn ein Geode keinen Nachfolger findet, der moralisch sicher genug ist? Emmeran hatte ihm ermöglicht, die alte Sprache Angram zu lernen, aber ihm auch deutlich gemacht, dass er dieses Wissen nur in einer Not offenbaren sollte, es führe nur zu weiteren Komplikationen, wenn es irgendwie allgemein bekannt werden würde. In dieser moralischen Zwickmühle, und mit großer Neugier zu erfahren wie dies hier alles funktionierte, trat er so nah an Grimmgasch, wie es ihm angemessen erschien, er wollte ein paar der Runen unauffällig lesen, soweit es nun möglich ist, und so sprach er ihn an: „Tja, wenn wir unsere Queste beendet haben, hätte ich einige Fragen zu diesen Hallen und diesen Schlagworten des Indexverweises, die man anscheinend braucht, um hier die Sicherheitsmechanismen des Wissens zu bedienen. Aber ich glaube, das sollten wir angehen, wenn nicht andere auf uns warten, nicht wahr? Nun denn… am besten wäre es doch wenn wir die Bücher aus der Zeit der Drachenkriege angehen, am besten, wenn es Bücher gibt in denen Feen, Lata, ein besonderer Rubin oder eine Schlacht - die gemeinsam mit Verbündeten gewonnen wurde - beschrieben werden. Oder halt die Texte über alte Sagen. Ich hoffe, das beantwortet die Frage?“

"Nun", gab Grimmgasch zu bedenken, "das sind sehr vage Ansätze, aber vielleicht hilft es ja, wenn wir uns die Einträge aus dem Krieg gegen die Draxo genauer anschauen." Er blätterte ungefähr in die Mitte des zwei Hand breiten Buches zurück und begann mit dem Zeigefinger leise murmelnd über die Zeilen zu fahren. "Hmm … nein … passt nicht … hmm … nee … Ha! Das kön… Nee, doch nicht! … hmm!"

So durchsuchte Grimmgasch mehrere Seiten in dem Folianten, während Deryalla ruhig abwartete. Beeindruckt vom uralten Wissen, das hier gehortet war, gab es doch wenige konkrete Ansätze und das Glück oder ein Fingerzeig der Götter musste ihnen wohl zur Hilfe kommen.

Die Suche nach Schlagwörtern in dem Verzeichnis des Archives brachte mehr als genug Verweise und so arbeiteten sie sich notgedrungen Dokument für Dokument, Buch für Buch und Steintafel für Steintafel durch die möglichen Hinweise auf den roten Edelstein und seinen im Dunkeln der Vergangenheit verborgen liegenden Hintergrund. Nicht alle Texte waren in den uralten Angram-Runen verfasst, auch Stücke, welche in Rogolan geschrieben worden waren, fanden sich darunter. Bei ihrer Suche nach einer Geschichte aus den Drachenkriegen, handelte es sich bei Letzteren natürlich um Sagen und Mythen aus eben jeder Epoche, die in späteren Zeitaltern zusammengetragen worden waren. Als die Stimmung aufgrund ausbleibenden Erfolges schon langsam gereizt zu werden drohte, fand man eine vielversprechende, großflächige Schiefertafel, auf die altertümliche Runen eingeritzt worden waren.

Dort stand geschrieben:

Der Friede von Erz und Wasser: Als Stein geschlagen, Hallen erbaut und Tunnel gegraben wurden, hier an jenem Ort, da die Wehr gegen den geflügeltem Tod errichtet wurde, als Tolshidur noch von Kraft strotzte, fanden wir den großen, roten Stein. Und wir erkannten das Geschenk Angroschs an seine Kinder. Der fähigste Gemmenschneider unseres Volkes schuf aus ihm den prächtigsten Rubin, zu ehren unseres Königs. Und sie wurde erkoren zu schmücken seine Krone, als Zeichen seiner Herrschaft von des Allvaters Gnade. Zu jener Zeit aber fanden die Kinder des Schmieds auch eine Grotte, die tief unter den hohen Klippen der Schlucht verborgen lag und voller klaren Wassers war, welches sich durch unzählige Drasch Gestein gereinigt dort sammelte. Darin, an jenem Ort, trafen unsere Vorfahren, die Erbauer der ‘Mortarim Grolomthûr’- der Wacht am Großen Fluss auf den Herrn der Fluten. Mit dem schuppenbedecktem, grünlich schimmerndem Leib eines gekrönten Mannes soll er aus dem Wasser aufgetaucht sein und den Angroschim gezürnt haben, was sie es wagten die Ruhestatt seiner Domäne zu schänden, sie auszuhöhlen. In jenen Tagen ertranken viele Kinder Angroschs im Lande um die tiefe Schlucht zwischen Eisenbergen und Ingrakuppen. Und die Trauer und das Klagen waren groß. Die Geschöpfe der Fluten, ja der Fluss selbst schien den Angroschim feindlich gesonnen. Viele Jahre verstrichen und die Kinder des Schmieds fürchteten das Wasser, den Großen Fluss und seine Schrecken verheißenden Bewohner. Der weise Rogmarog war es schließlich, der sich ein Herz nahm, um die Wasser zu besänftigen. Er ging in die Grotte, um mit dem Flussvater - so nannten ihn die Angroschim voller Ehrfurcht, zu sprechen, auf das sein Groll enden solle. Vor den Augen des Herrschers der Fluten brach das ehrwürdige Väterchen den roten, den heiligen Stein aus seinem Reif und überreichte ihn dem Flussvater zum Geschenk. Dieser akzeptierte voller Verwunderung diese Geste großer Ehrerbietung und verkündete voller Freude sein Wohlwollen für das weitere Zusammenleben am Rande seines Reiches. Und so ward es, dass endlich Friede einkehrte zwischen den Kindern von Erz und Wasser.

„Tja, dann haben wir zwei Möglichkeiten… entweder an der Wacht, oder in der Grotte… wobei ich auf die Grotte mit reinem Wasser tippen würde. Also wo ist diese Grotte?“

"Ich bin mir noch nicht sicher", antwortete Grimmgasch und überlegte. "Wir haben hier jede Menge Wasserwirtschaft im Berg, Entwässerungstunnel, Wassersammelschächte und -reservoirs und, und, und. Aber eine natürliche Grotte kenne ich nicht." Nach einer weiteren Überlegenspause fuhr er dann fort: "Aber ich weiß, dass es hier Pläne von den verschiedenen Sohlen der Festung gibt und das auch über die Entstehung und Erweiterungen der Vergangenheit. Vielleicht finden wir auf einem dieser Pläne einen Hinweis, wo es eine Grotte gegeben hat." Es ging wieder zurück zu dem Folianten und fing erneut an, zu suchen. Beim Blättern machte sich der Zwerg hin und wieder Notizen auf einer der kleinen Schiefertafeln, die auf dem Tisch lagen. "So, ich glaube, ich habe ein paar gute Stellen gefunden", meinte er, als die Tafel fast schon vollgeschrieben war und machte sich dann auf die Suche.

Zielsicher schritt Grimmgasch zu einer der Seitenwände der Halle und zog dort eine breite Holzplatte aus einer eingearbeiteten Vertiefung im Gestein hervor. Ein Fuß klappte aus und stützte die nun als improvisierter Tisch zu erkennende Platte durch ein angebrachtes Scharnier im rechten Winkel ab. Im Anschluss zog der Novize mehrere, längliche Röhren aus einem Sammelfach oberhalb des Tisches hervor, welche mit in Rogolan geschriebenen Ziffern auf den Verschlusskappen gekennzeichnet waren. Grimmgasch öffnete sie eine nach der anderen und förderte aufgerollte Tierhäute ans Licht der Laternen. Nachdem der junge Zwerg im Anschluss ebenfalls die Schlaufen gelöst hatte, mit denen sie zusammengeschnürt waren, breitete er die Karten offen auf dem Tisch vor ihnen aus. Die Häute waren mit Schnittzeichnungen der Feste und der darunter liegenden Stadt versehen. Deutlich konnte man die Unterschiede, wohl die einzelnen Aus- und Umbauphasen, durch die Jahrhunderte erkennen. Auf einer der scheinbar ältesten Karten konnte man eine im Vergleich zum Niveau der oberirdisch liegenden Festungsteile tief liegende Höhle erkennen, welche im Gegensatz zu den anderen, unterirdischen Teilen, mit nicht geraden Linien gezeichnet war. Ihre Konturen schienen natürlich, wenn man die unebenen Ränder entsprechend interpretieren wollte.

"Hmm…", brummte der angehende Geweihte als er die Kaverne auf dem Plan betrachtete. "Es scheint wirklich so, als wäre hier eine Grotte." Dann schaute er sich die Umgebung dieser Grotte an und deutete auf die Markierungen, die auf den Wegen zu der Grotte eingezeichnet waren. "Aber seht, hier, hier und hier! Diese Zeichen bedeuten, dass ein Gang oder Bereich versiegelt ist. Und das ist auch bei dem Weg zu der Grotte so. Wer immer diese Bereiche versiegelt hat, hat es nicht ohne Grund getan. Falls wir also – und auch da wäre ich mir keineswegs sicher – überhaupt den Bereich noch so vorfinden, wie er hier eingezeichnet ist, so dürfen wir keinesfalls ein Siegel brechen. Leider geht aus der Markierung nicht hervor, wer das Siegel gesetzt hat, denn nur der Nachfolger dessen, kann uns den Zugang genehmigen. Wenn es also ein Siegel des Bergkönigs ist, dann uns dies kann nur der Rogmarog geben. Wenn es ein Siegel des Grafen ist, dann nur der Graf. Wenn es von den Priesters Angroschs versiegelt wurde, dann kann nur der Ehrwürdige Torod uns die Erlaubnis geben."

"Richtig und doch gibt es dazu etwas anzumerken. Recht und seine Auslegung in der Praxis wandelt sich über die Zeit hinweg und trägt den Umständen Rechnung in denen wir leben." Gebannt hatten die anderen an Grimmgaschs Lippen gehangen, während er die Karte gedeutet und seine Meinung dazu kundgetan hatte. Nun sahen die Gefährten nachdenklich ob des Gehörten und überrascht wegen des Zwischenrufs auf und bemerkten Argmin, an deren Seite Torod und ein weiterer, fremder Angroscho in Lederschürze stand, der einen langen, in Leinen eingeschlagenen Gegenstand über der Schulter trug. Unbemerkt hatten sie die Halle der Wahrung betreten. Unter den Neuankömmlingen befand sich ebenfalls Bordindarax von Nilsitz. Der Vogt hatte im Tempel des Angroschs gebetet, als Torod, Raraxim und Argmin dort angekommen waren. Immer noch etwas blass, schien der junge Angroscho dennoch inzwischen erholt und stand kerzengerade neben dem Geweihten. Die Fahrt auf den Wellen, Boraxs erste, längere Reise auf dem Großen Fluss, die damit einhergehende, lange Übelkeit ohne Essen und Trinken, denn das war ihm schlicht nicht möglich gewesen, hatte an seinen Kräften gezehrt. Die feenhafte Fortbewegung unter den Fluten des Flusses bis nach Calbrozim waren schließlich zu viel gewesen und hatten zu seinem Zusammenbruch vor dem Tor der Grafenfeste geführt. Der Geweihte war es indes gewesen, der die Ergänzung in mildem Ton zu Grimmgaschs Erklärung getätigt hatte und er fuhr nun auch fort. "Da Calbrozim nun das Refugium des Grafen ist, darf der amtierende Herrscher des Isenhag Siegel des Rogmarog brechen oder sein Stellvertreter und der höchste Vertreter der Kirche des Allvaters in Einstimmigkeit. Etwas was du noch nicht kennst, ist darüber hinaus das Verzeichnis der versiegelten Areale, Grimmgasch. Dort wird geschrieben stehen, warum und vielleicht auch von wem das Siegel angebracht wurde. Doch bevor wir diesem Ansatz nachgehen, erklärt uns bitte, was ihr herausgefunden habt und welche Bedeutung diese Grotte hat? Mir scheint, ihr seid auf einen interessanten Text gestoßen."

„Ja, Väterchen“, antwortete der Zwerg. „Wir haben eine Schiefertafel gefunden, die sich ‚Der Friede von Erz und Wasser‘ nennt. Dort haben wir einige Hinweise gefunden. Kommt! Seht es Euch selbst an!“ Er deutet auf die Ecke, in der sie die Steintafel gefunden hatten. „Da, lest selbst!“ Der junge Angrosch-Novize war völlig aufgeregt als er seinem Lehrmeister die Tafel zeigte, dann fuhr er vor: „Und um die Grotte zu finden, haben wir uns dann die Pläne der Feste und vor allem der Binge unter der Feste angesehen. Und da sind wir dann auf den Plan mit dem versiegelten Zugang gestoßen. Und dann wart Ihr schon da.“ Zufrieden über die Kombinationsgabe der Gefährten schaute er seinen Lehrmeister nach Lob heischend an.

Argmin schmunzelte innerlich als er den Zwerg reden hörte. ‚Soso… ‚Binge‘ - wenn Obarax, Sohn des Oxtaglom aus der ehrwürdigen Zruzamorta Sippe, das hören würde…‘ dachte sich der Rondra-Novize

Doch Grimmgaschs Lehrmeister sah für derartige Nichtigkeiten keinen Anlass. Anstelle dessen las Torod interessiert. Das Fragment der Vergangenheit schien auch ihn zu fesseln, jedoch konnten alle deutlich erkennen, dass sich seine Miene zum Ende hin mehr und mehr verfinsterte.

Als er geendet hatte, grunzte er widerwillig und sah dann zu Argmin herüber. „Erzähle es ihnen“, forderte der Geweihte den Rondra-Novizen auf.

Der Angesprochene trat nach vorne und neigte kurz den Kopf zum Gruße. „Geehrte Dame, geehrter Herren. Unser Zusammentreffen vor den Toren der Feste war mir zuerst nur Phexens Laune geschuldet, doch will es mir scheinen, dass mein Anliegen mit Eurer Queste nun untrennbar verbunden ist. Bitte entschuldigt, wenn ich etwas aushole, ich weiß, dass Euch die Zeit und der Wille der Herzogenmutter drängt. Meine Tante, die gute Frau Rondragard von Hartsteig, gab bei Meister Raraxim eine Arbeit in Auftrag, mir ein Schwert zu schmieden, zu Ehren der Leuin – und um Wiedergutmachung zu Leisten im Angesicht aller Zwölfe“, fügte er etwas leiser und mit Blick zu Deryalla hinzu. „Meister Raraxim fertigte nun eine Klinge in solcher Perfektion, wie sie ein menschlicher Schmied nie und – sofern ich die Worte von Ehrwürden Torod richtig verstanden habe – auch ein zwergischer Schmied nicht oft erreicht.“ Argmin deutet mit einem Kopfnicken zu dem in Öl getränktes Leinen geschlagenen Gegenstand, welchen der Zwerg mit der Lederschürze auf dem Rücken trug. „Das Schmieden einer solche Waffe ist ein meditativer, ritueller Prozess. Ein jeder, der den Schmiedehammer schon einmal geschwungen haben mag, wird verstehen, dass die Schmiedekunst weit mehr ist, als das einfache Schlagen von Metall… Ein jeder Schmied, der mit Leidenschaft seiner Kunst frönt, geht einen Bund ein, zwischen Hammer, Metall und Amboss und ist es Schweiß und Blut, die in die Arbeit eingehen…“ Ein Räuspern des Angrosch-Geweihten ließ ihn kurz innehalten, dann fuhr er fort. „Wie dem auch sei… An jenem Morgen, als sich Meister Raraxim der Vollendung der Waffe näherte, befand sich im Wasserbecken der Schmiede plötzlich ein Edelstein. Ein Rubin, um genau zu sein. Meister Raraxim sah – und sieht es weiterhin – als Zeichen des Wohlgefallens des Ingerimm und als seinen Fingerzeig, jenen Stein in die Waffe einzuarbeiten…“ Der Rondra-Novize machte eine kurze Pause. Als er in den Gesichtern seiner Zuhörer nicht das sah, was er sich erhofft hatte, fuhr er fort. „Jener Rubin, der sich unerwartet im Wasserbecken der Schmiede fand, ist nun in den Knauf dieser Meisterwaffe fest eingearbeitet.“ Er ging zu Raraxim hinüber und wickelte das Leinen vom Griff der Waffe, und alle konnten es sehen: Der metallene Knauf des Schwertes, wie eine Löwenklaue geformt, hielt einen roten Edelstein in seiner Pranke. 'So fügt sich ein Steinchen des Weltenplans in das nächste!' dachte Grimmgasch als er den Worten des Novizen lauschte. 'Oh, Ehrwürdiges Väterchen, wie durchdacht Du Deine Pläne verwirklichst und das Geschick Deiner Welt lenkst!' stieß der Zwerg ein Stoßgebet zu seinem Gott aus als Agrmin geendet hatte und der Rubin vor ihrer aller Augen lag. "So wie es scheint, brauchen wir dann das Siegel am Zugang der Grotte dann wohl doch nicht mehr brechen", freute sich Grimmgasch bis ihm auffiel, dass es wohl nicht so einfach werden würde, den Stein aus der Waffe zu entfernen. Und vor allem welchen Schaden – und zwar nicht nur materiell – das Anrichten würde. Schweigend sah er sich nach seinem Lehrmeister um, denn vielleicht hatte Torod ja schon eine Idee.

„Wenn man die Geschichte des Rubins betrachtet“, eröffnete Lagorasch mit einem Blick auf die Löwenklaue, „dann fordert die Geschichte einen immer dazu auf, wenn man den Stein weitergeben will, diesen Rubin aus einem kostbaren Kleinod zu entnehmen. Tja… wenn ich die Gedanken und Stimmung richtig deute, dann ist es nicht möglich diesen Stein ohne Beschädigung des Schwertes zu entnehmen. Oder Väterchen Torod? Und die Erdkraft darf ja hier nicht zur Hilfe genommen werden … was wäre dann denn noch als Alternative?“, dachte der Geode laut vor sich her.

„Nein“, entgegnete der Geweihte energisch. „Ein Entfernen des Steins ist nicht möglich, ohne die Waffe zu beschädigen. Aber“, eindringlich sah er Grimmgasch, Lagorasch, Borindarax, Deryalla und Argmin nacheinander an. „Dies- was zu tun ist, ist eure Entscheidung, eure allein. Der Weltenschmied hat das Schicksal von zwei Angroschim und zwei Menschen nicht umsonst mit dem des Almadins verwoben. Nicht ohne Grund, auch wenn wir ihn nicht kennen mögen, wurde euch der Auftrag erteilt, den Stein seinem Besitzer zurückzubringen. Ich werde tun, was in meiner Macht steht euch beizustehen, mit Rat und Tat, doch in euren Händen liegt das Heft des Handelns.“

"Bei Rondra - das Entfernen des Steines aus dem Knauf stellt keine Alternative dar! Diese Klinge zu beschädigen wäre ein Frevel!" Argmins Stimme war laut geworden. „Das Erscheinen des Edelsteines zum Zeitpunkt der Anfertigung dieser Klinge kann kein Zufall sein, egal ob wegen des phexgefälligen Diebstahls einer Nixe, wie Ihr es erzähltet, Lagorasch, oder ob wegen der Fügung des großen Ingerimms, wie Ihr es spürtet, Meister Raraxim – so oder so kann es nur der Wille der Götter sein, dass wir uns hier und zu diesem Zeitpunkt zusammenfinden. Und es war sicher nicht das Ansinnen der Götter, Eurer Handwerkskunst zu spotten, Meister Raraxim. Es muss einen anderen Weg geben, die Queste der Herzogenmutter zu erfüllen, ohne Euer Meisterwerk zu vernichten. Darum uns diesem Fürsten der Muscheln gegenübertreten und ihm des alten Friedens willen das Schwert übergeben. Ich gab Meister Raraxim mein Wort, keinen Anspruch auf die Waffe zu erheben, wenn mein Anspruch bedeuten würde, den Stein aus dem Knauf zu entreißen. Meine Tante wird es mir verzeihen und ein Einsehen haben, ob meiner Entscheidung.“

‚Fragt sich nur, ob die Göttin diese Queste als erfüllt ansehen mag‘, überlegte Deryalla.

"Hach, eine Idee... wie wäre es als Strafe für die Nixe, dass sie für einen geeigneten Ersatz des Schwertes zu sorgen hat? Klar, es müsste innerhalb einer definierten Zeitspanne sein, aber erstmal so als Idee, könnte eine Nixe etwas erbringen, was den Verlust ausgleichen könnte?"

„Nichts wird den Verlust dieser einmaligen Klinge ausgleichen können, ohne die Handwerkkunst von Meister Raraxim herabzusetzen. Doch Rondra hat uns Demut gelehrt - und eine Klinge ist nur der verlängerte Arm, desjenigen, der im Angesicht der Leuin die wahre Waffe ist. Es ist der Wille der Götter, dass der Rubin des Fürsten der Muscheln seinen Weg in diesen Knauf fand. Es ist der Wille der Leuin, dass es nicht ich bin, der diese Waffe führen wird, sondern dass es der Heerführer des Flußvaters ist. Ich bin mir sicher, dass die Leuin großes im Sinn hat, für den Träger dieser Klinge.“ Argmins Blick ruhte auf dem Knauf des Rondrakammes, schluckte schwer und wandte sich an Lagorasch. „Wenn Ihr eine Strafe für die diebische Nixe sucht, Herr Lagorasch, dann soll sie drei Monde lang dem Meister Raraxim in seiner Esse helfen und zwei Monde lang meiner Tante in ihrem Heim, denn die beiden sind es, denen wahrer Verlust verursacht wurde. Dem Meister Raraxim, weil sein Meisterstück nicht den Weg finden, den er ihm angedacht hatte, und der Frau Rondragard, weil sie für ihr Geld nicht das Ziel erreichen konnte, dass sie im göttergefälligen Sinn hatte.“

"Was auch immer die Lösung ist- zunächst müssten wir mit dem Herrn der Muscheln sprechen, um ihm ein Angebot unterbreiten, beziehungsweise um die Bitte an ihn herantragen zu können", warf Borindarax mehr oder minder skeptisch ob der gehörten Vorschläge ein. "Wie sollte dies von statten gehen?"

"Ich denke, dass wir dazu zum Großen Fluss müssen", warf Grimmgasch ein, der bisher zugehört hatte. "Oder vielleicht könnten wir auch zu der Grotte gehen, denn wenn seinerzeit der Stein dort dem Flussvater übergeben wurde, ist er vielleicht auch dort immer noch präsent."

Deryalla nickt beipflichtend.

"Hm… Schade… ein Diener des Erzes sollte an für sich in der Lage sein, den Stein zu entfernen, ohne Stein und Schwert zu beschädigen. Ihn eventuell sogar ersetzen können", grübelte Lagorasch vor sich hin. „Nun es wäre großes Glück, wenn der Herr des Wassers unsere Anwesenheit spüren würde in der Grotte, ist halt die Frage wo und wie die Tore liegen… jedenfalls könnte uns ein Diener des Wassers helfen… aber wir müssten ja auch noch klären wie wir zurück kommen. Eventuell ist das Feentor ja noch offen… dann könnten wir schauen, ob wir da irgendwie zurückkommen. Ist ja auch die Frage wie die anderen Gruppen zurück zu Ihrem Ausgangspunkt kommen wollen. Ist halt nur die Frage, wenn wir einen Diener rufen, was wir zum Tausch anbieten könnten… eine Geschichte, sie mögen alle Geschichten, aber sie muss gut vorgetragen werden.“

"Niemals. Keine zehn Lastenponnys kriegen mich wieder ins Wasser, noch zu diesem Feentor", platzte es aus Borax heraus. Er schien sich wahrlich nicht mit diesem Gedanken anfreunden zu können. "Einmal reicht fürs ganze Leben!"

Zeitgleich war Raraxim rot angelaufen vor Zorn. Eine dicke Ader zeigte sich auf seiner Stirn. "Den Edelstein zu entfernen wäre bereits schändlich, aber dazu auch noch Drachenwerk nutzen zu wollen, das ist… das ist… unerhört."

Torod hingegen beschäftigte etwas anderes. Er ignorierte die empörten Zwischenrufe und sprach besonnen. "Ich möchte bezweifeln, dass dem Herrn der Muscheln eine gute Geschichte als Ersatz für den Almadin reichen wird."

Lagorasch betrachtete zuerst Borax verständnisvoll, dann Raraxim bei dem er nicht wusste, ob es klug war, etwas dazu zu sagen. ‚Zum Einen ist die Kraft der Erdmutter kein Drachenwerk, und dann würde die Erdkraft den Elementar nur rufen und dieser würde dann mittels seiner Gedanken…‘, dachte er sich, brach aber seine Gedanken dann ab. ‚Schweigen ist hier vielleicht doch besser angesagt‘, dachte er so in sich hinein. Dann betrachtete er Torod, „Oh, ähm… ich meinte die Elementare, Nixen, Feen und Elementare sind alle zusammen grundverschieden. Elementare leben in einer ganz anderen Ebene des Seins, und dort gibt es vieles, was wir als Alltägliches kennen, in keinster Weise. Die Elementare kennen zwar Kampf und Streit, aber es gibt selten so etwas wie Liebe und Zuneigung über die Elementaren Grenzen hinaus… und auch selten bis gar nicht betritt ein Elementar eine andere Elementare Ebene, vielleicht noch eine benachbarte… aber nun ja, ist dann natürlich auch die Frage welches Element man vor sich hat. Erz ist da eher sehr zurückhaltend, während Wasser Geschichten über die Dinge, die am Wasserlauf passieren, sehr gerne hört. Aber sie sind dafür sehr launisch, und es kostet viel Kraft, ein Tor für sie zu öffnen und sie zu rufen, wenn man dann noch von den Risiken absieht. Feenwesen sind dagegen Geschichten, und ganz anders, sie leben ja in Gemeinschaften, zumindest die meisten. Nur sind sie halt anders in Ihrer Art“, so brach Lagorasch seinen Monolog ab und betrachtete vorsichtig jeden der Gemeinschaft. „Ähm, also dann dürfen wir zu der Grotte gehen?“

‚Oh Angrosch, was faselt der denn? Ob ihm diese Reise zwischen den Welten verwirrt hat? Oder haben die Geoden schon immer solche Gedanken gehabt? Nun ja, der Verlust eines Bruders ist ein harter Schlag fürs Leben …‘

Torod zuckte mit den Schultern. "Um das zu entscheiden, müssen wir in das Verzeichnis der versiegelten Bereiche sehen. Je nachdem was dort geschrieben steht, fällt die Antwort positiv oder negativ aus." Der Geweihte reichte Grimmgasch einen eisernen Schlüssel mit einem außergewöhnlichen Bart. Gleich drei davon waren im Versatz von je einhundertzwanzig Grad angebracht. Das dazu passende Schloss musste komplex und wichtig sein. "Das Verzeichnis befindet sich unter den Werken, die unter Verschluss sind. Sei so gut und hole es mir", bat er den Novizen. Dieser wusste, was Torod damit meinte.

Grimmgasch nickte kurz, nahm den Schlüssel an sich und machte sich auf den Weg in den Bereich, den die Menschen in ihren Bibliotheken immer nur Giftschrank nennen.

Der durch dicke, eiserne Gitter abgetrennte Bereich lag in einer dunklen Ecke der Halle und war vielleicht acht Rechtschritt groß. Außergewöhnlich viele Folianten standen hier auf engstem Raum beisammen. Die Nischen schienen sich vom Gewicht durchbiegen oder gar bersten zu wollen, wären sie nicht in den Stein gehauen gewesen. Grimmgasch benötigte einige Zeit, um das gesuchte Verzeichnis zu entdecken. Sein brauner Ledereinband war schlicht. Nur die Runen auf seinem Rücken wiesen darauf hin, dass er das richtige Buch gefunden hatte. Mit Seiten aus Leder, schien das Buch sehr alt zu sein und war dennoch im tadellosen Zustand. Grimmgasch wusste, dass die Werke in diesem Bereich der Halle von Torod selbst gepflegt wurden, um sie zu erhalten. Bei anderen hatte er in der Vergangenheit oft selbst Hand anlegen müssen.

‚Jetzt muss ich aber sehr vorsichtig sein‘, dachte der Zwerg. Bevor er den Folianten aus dem Regal nahm, wischte er sich die vor lauter Aufregung schon feucht gewordenen Hände an seiner Kutte trocken und griff dann vorsichtig zu, um das Buch möglichst unbeschadet aus dem Regal zu nehmen. ‚Wenn mit dem Buch etwas passiert, dann …‘

Pflichtbewusst verschloss Grimmgasch die Tür des für ihn bisher verbotenen Bereichs wieder und brachte den Folianten zu Torod. Dieser blätterte eine Weile darin, bis er die richtige Stelle gefunden hatte. Laut und deutlich übersetzte er den Eintrag zur Rune auf der Karte von Calbrozim.

Und so steht geschrieben, dass der Rogmarog von Isnatosch- Obarox ‘Drachentöter, Sohn des Obaschox, aus der Sippe der Faxarasch, im Zeitalter des jahrtausende währenden Krieges gegen die Drakka, Frieden schloss mit dem Herrn der Fluten, dem König der Feen, dem Vater des Großen Flusses. Doch der König von unter den Wellen forderte hierzu eine Bekundung der Ehrerweisung des Königs der Angroschim. Es sollte ein Unterpfand der Abmachung sein. Obarax in seiner Weisheit nahm seine Krone vom Haupt und brach mit seinem Drachenzahn einen Amaldin heraus, welcher bei der Errichtung der Mortarim Grolomthûr gefunden worden war. Jener Feste am Großen Fluss, dessen Bau der Stein des Anstoßes gewesen war. Solch einen prächtigen Edelstein hatte der Flussvater noch nicht gesehen. Jedoch war die Geste es, welche ihn überzeugte, dass die Kinder Angroschs seine Herrschaft über die Fluten anerkannten.

Bis hierhin war das vorgetragene den Gefährten bereits aus ‚Dem Frieden von Erz und Wasser‘ bekannt. Nun aber wurde es interessant.

Und so sprachen Herr der Fluten und der Rogmarog: “Solange der rot-funkelnde Stein unter den Wassern verweilt, wird keines meiner Kinder einem Erzgeborenen mutwillig leid zufügen. Sollte Angrosch das Geschenk an seine Kinder jedoch eines Tages wieder einfordern, wird ein neues Unterpfand, eine neue Abmachung geschlossen- auf das nie mehr Krieg seien möge zwischen den Kindern des Wassers und denen des Erzes.” Der Ort dieser beiderseitigen Verpflichtung aber wurde versiegelt, um dem Flussvater nicht wieder zu erzürnen, denn die Grotte, in dem die Angroschim das erste Mal auf ihn stießen, gehört zu seinem unmittelbaren Reich.

Der Geweihte sah auf, als er geendet hatte und verkündete die offenkundige Bedeutung der letzten Runden. „Es ist ein bergkönigliches Siegel, dass heißt, das wir Xalbarosch benötigen.“

‚Na, ob das wirklich reicht?‘ dachte sich der Zwerg. ‚Wäre es nicht doch besser sich direkt an Väterchen Ghambir zu wenden …‘ Nun, Gedanken hin oder her, Grimmgasch wagte es nicht, seinem Lehrmeister zu widersprechen und vielleicht würde der Haushofmeister ja auch sagen, dass es eine Angelegenheit des Grafen sei.

„Ich kann Euer aller Ausführungen nur schwer folgen, zu wenig kenne ich die Geschichte der Zwerge und von Calbrozim und die Verbindung zum Flussvater oder seinem Heerführer. Ob der Heerführer etwas im Austausch zu diesem Rubin akzeptieren würde, werde wir nur erfahren, wenn wir ihn fragen. Wenn es diese zwei Orte zur Wahl stehen, um ihn dort zu treffen, dann würde ich den naheliegensten zuerst aufsuchen, denn wir sollten uns sputen. Da der Rubin nun nicht mehr unter Wasser verweilt, mag der alte Bund nicht mehr gelten und die Zwerge sind in großer Gefahr von den Flussvaters Kindern mutwillig verletzt zu werden.“ Der junge Rondra-Novize schaut in die Runde. „Den Stein zu entfernen, würde die Klinge nicht retten, denn Meister Raraxim tarierte das Schwert genau nach Gewicht, Größe und Form des Edelsteins aus, um diese perfekte Balance zu erhalten. Und den Stein mit Magie zu entfernen oder zu ersetzen, würde die Leuin nicht gerne sehen an einer ihr zur Weihe versprochenen Waffe!“

„Da Ihr selbst vorhin vorgeschlagen habt, die Waffe in gutem Glauben dem Flussvater und besonders dem Herrn der Muscheln zu opfern, scheint es mir nicht notwendig, diesen Vorschlag nochmals zu diskutieren“, meinte Deryalla besänftigend. „Die Waffe muss weder beschädigt noch entehrt werden – im Gegenteil: ihr tut ein gutes Werk am Herzogenhaus, um Abbitte für die Taten unserer Anverwandten zu leisten und könnt den Frieden zwischen den Zwergen sowie den Feen des Flusses halten. Damit zeichnet Ihr Euch auch vor Rondra aus, indem ihr Verantwortung zeigt - einer der weniger bekannten, aber uns beiden nur allzu schmerzlich bewussten Aspekte der Leuin."

An Deryalla gewandt sagte Argmin leiser: „Nichts liegt mir ferner, als mit meinen Worten zu langweilen, doch ist es mir ein Anliegen, Meister Raraxim wissen zu lassen, dass seinem Werk kein Schaden angetan wird, weder mechanischer noch gar magischer Art. Ich kann seinen Schmerz nachvollziehen. Was er hier geschaffen hat, stellt ein Teil seines Lebenswerkes dar. Zu erfahren, dass darin eingefügte Stein nur Teil eines Spiels von Feenwesen ist, hat ihn schwer erschüttert. Dass nun der alte Pakt mit dem Flußvater sogar auf dem Spiel stehen könnte wegen seiner Schmiedearbeit, lässt alles noch schwerer wiegen.“ Er pausierte kurz und blickte zu dem Rondrakamm hinüber. „Letztendlich war es Tante Rondragards Wille, die Schuld ihrer Familie an den Zwölfen durch dieses Schwert zu mindern. Wie könnte es besser dazu beitragen, wenn diese Klinge den alten Bund erneuert? Somit ist den Zwölfen gedient, meiner Tante Schuld gemindert und der Herzogenmutter geholfen.“ An die Zwerge gewandt sagte der Rondra-Novize: „Dann wollen wir uns eilen. Euer Ehrwürden?“

"Dann lasst uns zurück zum Haushofmeister", schlug Grimmgasch vor. "Denn wenn er uns den Weg zu der Grotte freigibt, werden wir erfahren ob und wie die Gabe vom Flussvater angenommen wird. Und je eher wir das wissen, können wir uns auf das folgende stürzen."

"Da gebe ich euch recht", ergriff der Geweihte das Wort. "Grimmgasch, du gehst allein und auf direktem Weg zu Xalbarosch. Erkläre ihm worum es geht. Bitte ihn schlicht, dich zum verschlossenen Durchgang zu begleiten. Er darf sich ruhig auch einmal bewegen", kommentierte Torod bissig. "Ach und bring Hammer, Meißel und Fackeln mit."

Lagorasch betrachtete zwischenzeitlich die beeindruckende Waffe und den Rubin im Knauf. Er betrachtete vorsichtig seine Begleiter, ob sie ihn beobachteten oder nicht. Als er sich sicher war das er im Augenblick keine Aufmerksamkeit seiner Begleiter hatte, berührte er den Rubin und öffnete seinen Geist, er suchte den Kontakt mit dem Rubin. Die Macht der Erdmutter erschuf das Band zu dem Rubin, und er nahm auf einmal die Umgebung aus der Sicht des Edelsteins war. Er erfragte die Erinnerungen des Rubins, und sah zuerst wirre Bilder aus Dunkelheit, Druck und dem umgebenen Gestein, und dann wurde der Stein herausgearbeitet. Und dann stand er im seichten Wasser innerhalb einer Kaverne. Dann kamen sehr schwache, schnelle, unklare und verschwommene Bilder. Es folgen die Erinnerungen wie er bearbeitet, geschliffen und in eine Krone eingesetzt wird. Dann greift etwas den Rubin und er wird aus der Krone herausgelöst. Es folgen Jahrhunderte unter Wasser und es folgt die erneute Verbindung mit verarbeitetem Erz. Lagorasch blickte sich zwischen seinen Gefährten um, denn er hoffte das niemand bemerkt hatte was er hier getan hatte.

Gesagt getan.

Mit einem "Ja, Meister" machte sich Grimmgasch auf den Weg durch die labyrinthischen Gänge und Stollen zurück zur Kammer des Haushofmeisters. Nachdem er dort einige Zeit warten musste bis dieser ihn empfing, erklärte er Xalbarosch in kurzen Worten, was die Gefährten herausgefunden hatten und was diese gedachten, als nächstes zu unternehmen. Auf Grund der doch sehr spannenden und interessanten Geschichte kam Xalbarosch mit, und so machten sich die beiden Zwerge von der Kammer des Haushofmeisters auf den Weg durch Calbrozim bis sie dann mit den anderen viele Ebenen tiefer vor dem versiegelten Durchgang zusammentrafen.

Etwas mehr als ein Stundenglas später trafen sich alle Beteiligten einige Dutzend Schritt unterhalb der niedrigst gelegenen Ebene Calbrozims vor einem zugemauerten Durchgang, der dank der Karte nicht sonderlich schwer zu finden gewesen war. Das Wappen Isnatoschs prangte umringt von uralten Runen auf einer gusseisernen Platte in dessen Mitte. Da das Ansinnen auch für den Stellvertreter des Grafen höchste Priorität besaß, bedurfte es nicht vieler Worte der Abstimmung. Torod und Xalbarosch waren sich einig und stemmten gemeinsam das Siegel aus der Wand. Der Rest war dann nur noch Fleißarbeit, aber nicht eben einfach. Die sorgfältig aneinander gefügten Steine waren schwer und ließen sich nur durch viele, kräftige Schläge aus der Mauer lösen, und hierzu mussten alle anpacken.

Als dann schließlich der Durchgang freigelegt war, kroch abgestandene Luft aus dem nun offenen Tunnel, der weiter in die Tiefe herabführte. "Nach euch", wies Torod seinen Gästen den Weg und drückte jedem eine Fackel in die Hand, die nun nacheinander entzündet wurden.

Von der Anstrengung ein wenig außer Atem nahm Grimmgasch die Fackel von seinem Lehrmeister entgegen und wartete darauf, dass Argmin und Deryalla, die ja am tiefsten mit dem Geschehen verwoben schienen den Gang betraten.


Deryalla nahm beherzt die Fackel von Torod entgegen und schlüpfte an Grimmgasch vorbei in den Durchgang, den wohl seit unzähligen Dekaden keine Seele mehr betreten hatte. Sie leuchtete die Wände entlang und achtete auf den Boden. Dann löste sie ihren Waffengurt und reichte Schwert und Scheide zurück zu den anderen nach draußen: sie waren in Frieden gekommen, und was auch passierte, sie wollte dazu beitragen, dies zu verdeutlichen. Dann schritt sie langsam vorwärts. Sollte sich hier wirklich das Schicksal der Zwerge Calbrozims entscheiden, wenn der alte Zwist mit dem Feen wieder aufflammte? Die Sage vom Friede von Erz und Wasser hatte sich darüber ausgeschwiegen, auf wen die Zwerge damals gestoßen waren – der gekrönte Holde konnte der Flussvater wie auch der Herr der Muscheln gewesen sein, überlegte sie und hoffte, dass sie letzterem begegnen würden.

Der Stollen führte seicht bergab. Nach der Karte zu urteilen, würde er nach in etwa vierhundert Schritt in die Grotte münden, ihrem Ziel. Tote Abgänge und Abzweige gab es ungefähr zwei Handvoll entlang des Weges, doch was das betraf stellten sich die alten Aufzeichnungen als wenig korrekt heraus. Mit einem Durchmesser von im Durchschnitt wenig mehr als eineinhalb Schritt, war der Tunnel für die Menschen der Gruppe überaus schwierig zu begehen, ja man konnte sagen eine Qual. Schnell schmerzte der Rücken aufgrund der dauerhaft gebückten Haltung oder war der Kopf bei einer unbedachten Bewegung angestoßen.

Grimmgasch hatte sich hinter den beiden Menschen eingereiht und folgte ihnen ohne Probleme, sollten die Großlinge ruhig ab und an mal den Kopf einziehen. Beim Gehen achtete der Zwerg auf die Ausführung des Ganges. Schließlich war das hier etwas Ursprüngliches, das schon lange nicht mehr von Zwergen und Menschen) betreten wurde. Er hoffte auf ein paar Zeichen der Vorväter und war daher ein wenig abgelenkt.

Gerade hatten die vorne gehenden eine nicht verzeichnete, natürliche Höhle von mehreren Rechtschritt Grundfläche auf halben Weg zur Grotte erreicht, als Grimmgaschs Sinne aufgrund eines ihm bekannten Raschelns Alarm schrieben. Die anderen verspürten lediglich einen leichten, dafür aber überaus übelriechenden Windhauch.

"Vorsicht!" rief er den beiden vor ihm gehenden Menschen zu. "Hier in den Höhlen gibt es Asseln! Große Asseln, so wie es sich anhört! Seid auf der Hut, denn die haben scharfe Beißzangen, mit denen sie sehr unangenehm zwicken können. Vermutlich haben sie es sich in einem der Abwassertunnel, denn danach riecht es hier, gütlich getan." Der Zwerg war froh, dass er auf Grund der hektischen Ereignisse noch nicht in seiner Kammer war und deshalb noch das gesamte Gepäck, aber vor allem seinen verstärkten Wanderstab, bei sich trug. Sollen sich die Viecher nur zeigen, er würde ihnen schon auf den Panzer klopfen.

Die Worte des Zwerges rissen Argmin aus seinen Gedanken, über das, was nun vor ihnen liegen würde und er versuchte an Deryalla vorbei in die vor ihnen liegenden Dunkelheit zu sehen, die im flackernden Schein der Fackel nur mühsam zu weichen schien. Der Gestank ließ ihn die Luft durch den Mund einatmen. Er zog mit links den Dolch aus seiner Scheide und griff zu seinem Schwert. „Deryalla, hier!“ Er legte der Kriegerin vor sich die Hand auf die Schulter und reichte ihr die kurze Klinge.

Wortlos griff die Angesprochene nach dem Heft des Dolches, wog ihn prüfend in der Hand und verfluchte ihre Sorglosigkeit: sie war davon überzeugt gewesen, dass es sinnvoll war, in friedlicher Absicht hinabzusteigen und unbewaffnet die Kammer zu betreten. Und nun rächte sich, wenn auch überraschend, ihr vorausschauendes Handeln. ‚Oder, war dies nur eine Prüfung der Sturmherrin?‘

Sie wusste nicht, dass sich Argmin neben ihr ganz ähnliche Gedanken machte: ‚Asseln? Beißzangen? Oh allmächtige Rondra – welche Prüfungen stellst Du uns heute?!‘

„Weiter, weiter“, drängelte Torod von hinten und schob die vor ihm gehenden weiter- in die sich ihnen öffnende Höhle hinein. Sie brauchten Platz. Die größte Sorge des Geweihten war, dass die Vielbeiner sie im engen Tunnel angriffen. Die Menschen hätten kaum eine Chance, sich gegen mehrere der Asseln zu wehren. Er wusste um die von ihnen ausgehende Gefahr und vor allem die Problematik des Kampfes in engen Tunneln gegen die Schaben, die besonders um die Außenbereiche von Calbrozim herum eine wahre Plage waren.

Argmin, Deryalla an der Spitze und kurz dahinter Lagorasch, sahen unterdessen ein, zwei, drei dunkle Schatten über den Boden auf sie zu huschen. Sie waren schnell und erschreckend groß. Über zwei Schritt in der Länge und kurz hinter ihrer ‚Spitze‘ einen halben hoch. Ein kalter Schauer des Grauens beschlich die Menschen, denen derlei Anblick fremd war. Die Scheren, die die Asseln verstörend fremdartig immer wieder klackend und bedrohlich zuschnappen ließen, verhießen eine ernsthafte Bedrohung.

Während Torod fast wie selbstverständlich seinen Schmiedehammer in die Rechte nahm, die Waffe, die ihm neben seiner Sturmlaterne als einen Geweihten des Angrosch auswies, drängelte sich Raraxim zu Argmin vor und stieß ihn mit dem Knauf des Rondrakamms in die Hüfte. „Leg das Spielzeug weg“, forderte er den Novizen der Leuin auf.

Lagorasch stellte sich etwas nach hinten. Was sollte er machen, der Einsatz der Kraft der Erdmutter war hier verboten. Normalerweise würde er Asseln oder andere Tiere einfach verwirrt zurücklassen, warum gegen ein Tier kämpfen, wenn man dem Kampf nicht einfach entgehen konnte… aber vielleicht war es hier einfach die Aufgabe die Waffe ihrer Bestimmung zuzuführen? Abwarten und beobachten, das ist jetzt meine Aufgabe sagte sich der kleine Geode.

Argmin hatte sich umgedreht und blickte mit großen Augen zu Raraxim und dem ihn entgegen gestreckten Knauf herab. Im Schein der Fackel glitzerte der rote Stein in einem mystischen Feuer. Der Novize merkte, dass sein Mund etwas würdelos offenstand und schloss ihn schnell. Bei der Löwin – so hatte er sich das nicht vorgestellt, doch für Rituale oder Worte war keine Zeit mehr und so nickte er dem Schmied dankend zu. Er ließ sein Schwert los und auf den Boden fallen, wo es aufschlug und ein metallisches Klirren in der Höhle unwirklich erklingen ließ. Seine Hände schlossen sich um den Griff der prächtigen Waffe. Seine Finger legten sich um den Knauf, fanden wie selbstverständlich ihren Platz und er zog die Klinge aus dem dicken, öligen Leinenstoff, mit Bedacht, um Raraxim nicht zu verletzten. Kaum verließ die Spitze des Rondrakammes den Stoff, brachte Argmin die Klinge in einem engen Bogen mit einem Kreuzschritt nach vorne, der Dunkelheit und dem Feind entgegen. Es war eine tänzelnde Bewegung, eine elegante, silberne Welle, die die Waffe vollführte, als hätte der junge Mann damit schon sein Leben lang geübt. „Rondra, Leuin – ich bitte Dich, steh uns bei!“ Der Kreuzschritt hatte den Novizen weit nach vorne gebracht, fast links neben Deryalla, die Waffe kam in die linke Terz, deckte seine Seite und damit ihn und die Kriegerin nach links ab. Die Fackel in der Hand der Kriegerin blendete ihn nun nicht mehr und seine Augen versuchten die Dunkelheit vor ihnen zu durchdringen, doch es waren seine Ohren, die ihn als erstes warnten. Chitin kratze über Felsen, er drehte sich und die Waffe weiter zur linken Seite, versuchte dabei, Kontakt zu Deryalla zu halten. Etwas im Fackelschein Glänzendes schob sich mit unmenschlichen abgehakten Bewegungen aus der Finsternis.

Als Grimmgasch sah wie die beiden Menschen und sein Lehrmeister sich kampfbereit machten, suchte auch er sich einen Platz, der groß genug war, um sich mit seinem verstärkten Wanderstab - ohne die anderen zu gefährden - die angreifenden Asseln vom Hals zu halten. Hätte er doch nur schon seine Weihe erhalten, dann hätte auch er einen Schmiedehammer und nicht nur den Stecken – aber das sollte ja bald soweit sein.

Durch den einen Schritt voraus, welchen Deryalla durch Argmins Waffenwechsel erlangt hatte, zog die Kriegerin die beiden angreifenden Asseln auf sich. Die Beißwerkzeuge der Vielfüssler drangen aggressiv auf Deryalla ein. Dem ersten Paar vermochte sie noch durch einen tänzelnden Seitenschritt zu entkommen, das zweite jedoch erwischte schmerzhaft ihr linkes Bein.

Mühelos schlitzten die Zangen ihre Wollhose auf und gruben sich in ihren Oberschenkel. Schmerz flammte in ihr auf und drohte sie zu überwältigen, während ihr Blut im Licht der Fackeln glänzend hervorquoll.

Der riesige, von einem Chitinpanzer geschützte, Leib der Assel befand sich nun unmittelbar zu ihren Füssen und versuchte, sie umzureißen.

Mühsam nahm sie sich zusammen und stieß instinktiv die Linke mit der Fackel in die Mitte zwischen die Zangen, während ihr Bein taub wurde, als würde es nicht länger zu ihr gehören.

Die durch das Feuer aktivierten Instinkte ließen die Assel ihre Gegnerin loslassen. Sie schreckte auf sichere Distanz zurück, weiter fliehen tat sie nicht. Vielmehr ließen ihre zaghaften Bewegungen darauf schließen, dass sie einen Weg um das Feuer suchte, um nachsetzen zu können. Blut sickerte beständig aus der Beinwunde, doch zu Deryallas Erleichterung arbeitete der Muskel trotz der unsäglichen Schmerzen, so dass sie weiterhin einen mehr oder minder sicheren Stand besaß. Übermäßiger Belastung jedoch konnte sie auf unbestimmte Zeit vergessen. Wichtig war, dass die Wunde versorgt und der Blutfluss gestoppt wurde, sobald der Kampf beendet war. Dass Deryalla zwei der Gegner gebunden hatte, eröffnete dem Rondra-Novizen an ihrer Seite einigen Spielraum. Argmin konnte frei und unbedrängt agieren, denn das dritte Tier zögerte, als wenn ihm seine tierischen Instinkte davon abrieten, weiter vorzudringen. Es versperrte vielmehr den weiteren Weg, klackerte jedoch fortwährend bedrohlich mit den Zangen.

Argmin machte einen drehenden Schritt nach vorne, brachte sich damit an die Seite einer der Asseln, deren Fresswerkzeuge nach Deryalla schnappten. Er schlug den erhobenen Rondrakamm in einer fließenden, halbkreisförmigen Bewegung. Die Klinge unterlief die drohend erhobenen Mandibeln und schnitt unterhalb der Fressöffnung in den harten Chitin-Panzer. Ein Knacken erklang, als der Krebspanzer dort brach und ein schrilles Geräusch ertönte aus den Trachaen der Assel. Ihr Kopf zuckte herum, versuchte sich vom beißenden Schmerz abzuwenden. Der Rondra-Novize setze nach, legte sein Körpergewicht in die Waffe und trieb den Stahl tiefer in den Körper der Assel. Es knackte weiter, wie im Winter das Eis auf den Seen knackte, wenn der Frühling kam.

Argmin trat zurück, umfasste den Griff mit all seiner Kraft und zog die Klinge in einer abwärts gerichteten Halbdrehung aus dem Chitin. Ein Stück des Panzers brach heraus, eine schaumige, gelbliche Flüssigkeit tropfte zu Boden, der Kopf der Assel ruckte hoch, das schrille Geräusch steigerte sich. Befreit von der Klinge drehte die Assel sich ihrem Peiniger zu, die Mandibeln zuckte gefährlich, während das Sekret weiter aus ihrem Körper floss. Sie schnellte nach vorne, ihre vielen Füße schabten über den Fels.

Argmin riss den Rondrakamm nun gerade nach vorne, führte ihn zum Stoß gegen das drohende Maul. Der erhobene Kopf der Assel ragte über ihm auf, eine fürchterliche Fratze in der Dunkelheit der Höhle. Die Schmerzen brachte das Wesen zur Raserei und ungeachtet der aufragenden Klinge rannte es auf den Rondra-Novizen zu - und spießte sich regelrecht auf. Die Spitze der zwergengeschmiedete Klinge drang in den Körper ein und dieser schob sich ob der Kraft des Ansturms auf die Waffe auf, durchtrennte Panzer und Innereien. Argmin wurde nach hinten gedrängt, er stemmte sich gegen die sich ihm entgegen drückende Assel, seine Stiefel scharrten über den Boden als er zurückgeschoben wurde, das aufgerissene Maul schob sich ihm weiter entgegen und die Mandibeln klackten vor seinem Gesicht zusammen. Dann warf ihn das schiere Gewicht des Monsters beinahe zu Boden, brachte ihn aus dem Gleichgewicht, doch er konnte seinen Stand wiederfinden und ließ die Waffe nicht los. Verbissen spannte er seinen Muskel, hielt den Rondrakamm fest in beiden Händen, nach oben gerichtet, in den Körper der Assel hinein. Die Mandibeln zerfetzten den Wappenrock, kratzen über den ledernen Harnisch, dann wurden die Zuckungen schwächer und hörten schließlich auf. Argmin drehte die Klinge und zog sie aus dem Chitinpanzer. Das edle Metall war von gelbem Schleim bedeckt und ein Brechreiz auslösender Geruch ging davon aus. Der Rondra-Novize schluckte den bitteren Geschmack hinunter und zwang sich zur Konzentration. Er drehte den Kopf, um sich nach den beiden anderen Asseln und seinen Kampfgefährten umzusehen.

Mit kräftigen Stößen seines Wanderstabs versuchte Grimmgasch, die dritte Assel aus der Reserve zu locken. Wenn sie weiter in den Raum käme, dann wäre Torod mit dem Hammer in der Lage das Tier zu erledigen. Mit diesen Gedanken lockte er die Assel Stoß für Stoß weiter heran. Bei jedem Stoß darauf bedacht, dass er nach hinten ausweichen konnte.

Der Geweihte verstand das Ansinnen des Novizen und trat langsam hinter ihm her, die anderen dabei seitlich umrundend, darauf bedacht Argmin und dem Rondrakamm nicht in die Quere zu kommen. Mit hoch erhobenem Hammer erwartete Torod das Vorpreschen der Assel und wurde nicht enttäuscht. Jedoch schaffte es der Vielbeiner bei seinem Ansturm den Stab Grimmgaschs mit seinen Zangen zu greifen und ihn somit ein Stück weit aus dem Gleichgewicht zu bringen. Während der Novize damit kämpfte, auf den Beinen zu bleiben und nicht zu stürzen, fuhr Torods wuchtiger Schmiedehammer nieder und trat die Assel am vorderen Rumpf. Ein ekliges, schmatzendes Geräusch verriet, das der Chitinpanzer durchdrungen worden war. Eine ganze Handbreit war der metallische Kopf der Hiebwaffe eingedrungen, dennoch drang die Assel weiter vor, weiter Grimmgasch entgegen.

Mit aller Kraft versuchte der Novize den Stab aus den Zangen der Assel zu befreien. Er zog und ruckte und dann war der Stab wieder frei. Jetzt konnte er sich auch wieder des Angriffs des stinkenden Untiers erwehren. Er parierte die vorzuckenden Greifzangen mit seinem Stab und wich dabei noch ein weiteres Stückchen zurück, um Torod die Gelegenheit zu einem weiteren – hoffentlich vernichtenden – Schlag zu geben. 'Möge es Angrosch geben, dass es nur diese drei sind und nicht noch mehr von dieser Größe sich hier unten aufhalten', dachte er während er auf den erlösenden Hieb seines Lehrmeisters wartete.

Mit einem weiteren, kräftigen Schlag auf den Torso der Assel, brachte Torod deren Angriffe wie erhofft zum Erliegen. Dies hieß jedoch nicht, dass die Bewegungen der Vielzahl an Beinen und ebenfalls nicht der Zangen zum Ruhen kamen. Unkontrolliert zuckten die Gliedmaßen weiter, ohne jedoch eine weitere Gefahr darstellen zu können.

Mit einer Mischung aus Ekel, Abscheu und Verachtung blickte der Zwerg auf das zuckende Ungetüm. Dann wandte er sich kurz seinem Lehrmeister zu und bedankte sich mit einem Nicken für die Unterstützung im Kampf. Anschließend versuchte er sich einen Überblick über das weitere Kampfgeschehen zu machen. Würde er helfen können oder sollte er sich besser aus der Reichweite des mächtigen, im Fackelschein immer wieder aufflammenden Rondrakamms halten? Schließlich entschied er sich für das Letztere und begann – da er Deryallas Verletzung wahrgenommen hatte – in seinem Beutel nach den Blättern vom Wirselkraut zu suchen, die er auf seiner Wanderung von Selanosch hierher unterwegs gepflückt hatte.

Der Novize der Leuin atmete tief durch.

Die Assel vor Torod zuckte spastisch, aus den Rissen im Chitinpanzer sickerte gelblich-klarer Schleim. Der Geweihte stand drohend vor ihr, bereit erneut zuzuschlagen und hatte die Situation wohl unter Kontrolle. Argmin sah zu Deryalla hinüber. Die Kriegerin stand, das Gewicht auf dem rechten Bein, das linke schien verletzt sein. Die sie umkreisende Assel versuchte am Feuer ihrer Fackel vorbeizukommen und bedrängte sie weiter. Argmin zögerte nicht weiter und lief auf die Assel zu, den Rondrakamm in der rechten Faust und schrie: „Rondraaa!“, um das Monstrum auf sich aufmerksam zu machen, doch die Assel reagierte in keiner Weise auf seinen Schrei, ihre Mandibeln zuckten weiter in Deryallas Richtung. Der Novize spannte sich und führte den Rondrakamm in einem senkrechten Hieb auf den Rückenpanzer. Im letzten Augenblick drehte er die Klinge und mit dem Geräusch eines Holzhammers krachte die Waffe auf das Chitin. Die Erschütterung brachte Argmins Handgelenk zum Schwingen, doch er hatte erreicht, was er erreichen wollte: die Assel wandte sich von Deryalla ab und ihm zu. Das vordere Chitinsegment drehte sich und einer fließenden, sehr schnellen Bewegung schoben die Beinpaare den gesamten Körper herum und auf den Novizen zu.

Argmin konnte gerade noch einen Schritt nach hinten machen, da klickten die Mandibeln an der Stelle zusammen, an der er eben noch gestanden hatte. ‚Das Vieh ist schneller als gedacht‘, ging es Argmin durch den Kopf, als er sich wappnete und den Griff des Rondrakammes mit beiden Händen fest umschloss. Das Gewicht der Waffe fühlte sich vertraut an und es war ihm, als ob er einen Herzschlag im Metall spüren konnte. Der geneigte Kopfschild der Assel erlaubte ihm keinen zielgerichteten Streich gegen die weniger gepanzerte Unterseite, darum hieb Argmin nach dem rechten Fühler und trennte ihn mit einem lauten Knacken vom Torso. Wieder erklang ein hohes, schrilles Geräusch aus dem Panzer und der ‚Kopf‘ der Assel schnellte herum. Die erhobenen Beingliedmaßen streifen dabei Argmins Oberschenkel und die Wucht reichte aus, ihn zum Straucheln zu bringen. Er stolperte zur Seite. Der Kopf der Assel zuckte unkontrolliert von rechts nach links, sie schien die Orientierung verloren zu haben. Argmin brauchte einen kurzen Augenblick, um wieder sicheren Stand zu finden, und um seinen Gegner zu taxieren. Dann drehte er seine rechte Schulter nach vorne, erhob den Rondrakamm und warte auf den Augenblick, da der Kopf der Assel nach links wippte. Da hieb Argmin mit beiden Händen und mit aller Wucht seine Waffe mit einer Drehung unter das Frontsegment des Ungetüms. Die Schneide zerschmetterte den Panzer, brach ihn auf und schnitt durch das Muskelfleisch. Die Kraft des Schlages ließ die Zwergenklinge durch die Eingeweide der Assel treiben und sie auf der anderen Seite des Segmentes wieder austreten. Mit einem hässlich hohlen Geräusch krachte der abgetrennte Teil des Kopfes auf den Boden der Höhle, dann wurde es still in der kleinen Höhle, das schrille Geräusch war verstummt. Der Körper der Assel zuckte noch, ihre vorderen Beinpaare kratzen durch der Luft, aus dem Panzer spritzte und schäumte widerwärtige Flüssigkeit und besudelte den Novizen, der mit einem Knie zu Boden ging, schwer atmend, und den Rondrakamm vor sich auf den Boden stellte, beide Hände den Knauf gelegt. „Herrin! Dein allein ist die Herrlichkeit des Kampfes! Rondra! Für Dich allein gelobe ich, zu streiten! Sturmbringerin! Dir allein gebührt die Ehre des Sieges!“

Torod nickte zufrieden und entspannte sich, als er erkannte, dass die Gefahr gebannt war. Auch Raxarim traute sich nun aus der Deckung des Tunnels aus dem sie gekommen waren. "Seid ihr ernsthaft verletzt", fragte der Geweihte sogleich in Deryallas Richtung? Ihr galt seine Sorge in diesem Moment. Alle anderen waren wohl mit dem Schrecken davongekommen.

Nach dem Tod der Assel hatte die angehende Kriegerin instinktiv die Hände auf die Wunde gedrückt, um den Blutfluss zu verlangsamen – trotz der Schmerzen. Doch ihr Beinkleid war mittlerweile bis hinab zum Fuß Blut durchtränkt. Wahrheitsgemäß antwortete sie: „Ich weiß es nicht“. Vorsichtig setzte sie sich auf den steinigen Boden der Grotte und entlastete das Bein. Dann nahm sie die Hand langsam wieder von der Wunde.

Grimmgasch hatte in der Zwischenzeit gefunden, was er in seinem Beutel gesucht hatte und förderte neben einer Handvoll frischer Blätter auch noch einen sauberen Stoffstreifen zu Tage. "Lass mich Euch helfen!" bot er Deryalla an, vergrößerte den Riss in ihrer Wollhose, so dass die Wunde offen und frei vor ihm lag.

Anschließend drückte Grimmgasch die Wirselkrautblätter auf ihre Beinwunde, dass sie scharf nach Luft schnappte. Der Druck war nicht stark gewesen, doch die Wundränder brannten und das Pochen in der Wunde nahm zu.

Grimmgasch fixierte derweil die grasartigen Blätter des Wirselkrauts mit einem Verband: Soweit er die Kurzlebigen verstanden hatte, sollte das genügen, um die Blutung zu stoppen und die Heilung einsetzen zu lassen. "So das sollte für das Erste ein wenig zur Heilung beitragen", sagte er zu der jungen Frau als er mit dem Verband fertig war. „Habt Dank für Euer Werk“, nickte Deryalla und stemmte sich ungelenk vom Boden wieder hoch. "Wie passend alle Räder in Angroschs Plan zusammengreifen, dass er mich auf dem Weg hierher die Wirselblätter hat am Wegesrand finden lassen."

Lagorasch brauchte einige Momente bis sein Puls wieder normal war, er hatte noch nie gegen diese Tiere kämpfen müssen. Als er bemerkte, dass Deryalla schon versorgt war, kam ihm noch eine Idee, er kramte in seiner Tasche und fand auch bald seine Sammlung von Kräutern. Er zog ein farnähnliches, dunkelgrünes Kraut hervor. „Ich habe noch getrocknetes Zwölfblatt, man sollte es so heiß wie möglich als Tee zu sich nehmen, aber dafür schützt es gut, wenn man von einem Tier verletzt wird. Insbesondere Tiere, die sich von Aas ernähren, sind sehr ansteckend, vor allem für Menschen. Sobald wir einen guten Platz haben, um Wasser zu kochen, sollten wir den Tee aufbereiten.“

"Ihr seid ebenfalls gut für alles gerüstet!" lobte ihn Grimmgasch. "Es ist immer gut für alle Fälle etwas in seinen Taschen zu haben, nicht wahr?"

"Das hätte schlimmer ausgehen können", stellte der Geweihte infolge nüchtern fest, da der junge Novize an Werk ging. "Ein, zwei Asseln mehr und wir hätten womöglich fliehen müssen. Leider sind die Viecher schnell und besitzen hier unten vor allem in den engen Tunneln einen Vorteil aufgrund ihrer Anatomie."

Torod schüttelte den Kopf, während sein Gesicht Verärgerung andeutete. "Wir haben es nie geschafft all ihre Nester zu vernichten. Ihre Population erholt sich zu unserem Leidwesen in wenigen Jahren. Sie lassen sich nicht ausrotten."

Argmin erhob sich und blickte sich kurz um. Er sah, dass Deryalla versorgt wurde und in fachkundigen Händen war. Torod, Grimmgasch und Lagorasch schienen unverletzt, ebenso Raxarim. Der Page der Leuin schritt zu dem Zwerg hinüber und riss sich beim Gehen den zerfetzten Wappenrock vom Harnisch. Er blieb vor dem Schmied stehen und reinigte mit der Rückseite des Stoffes den Rondrakamm, um ihn vom Sekret der Asseln zu befreien. Dann kniete er vor Raxarim nieder und reichte ihm mit beiden Händen die Klinge. „Habt Dank, Meister Raxarim, für Die Ehre, diese Waffe geführt haben zu dürfen. Ihr habt ein wahres Meisterstück erschaffen. Ich preise Ingerimm und Rondra und Eure Handwerkskunst.“ Argmin stand auf und steckte sich die Reste des Wappenrockes hinter den Schwertgürtel, so dass der Löwinnenkopf sichtbar war, dann suchte er sein Kurzschwert, dass irgendwo in der Nähe des Höhleneinganges liegen musste.

Der Novize der Rondra ließ Raraxim verdattert zurück. Der Schmied fühlte sich geschmeichelt ob der Worte des Novizen, dass aber jemand vor ihm kniete, war ihm fremd.


In der Grotte

Nachdem die Gruppe die natürliche Höhle durchquert hatte, setzten sie ihren Weg in dem weiterführenden Tunnel fort. Dieser führte sie noch einige Dutzend Schritte weiter, wobei der Verlauf nicht mehr so steil abwärts führte wie zuvor. Im Schein ihrer Fackeln eröffnete sich Menschen und Zwergen schließlich Stück für Stück eine riesige, natürliche Kaverne mit einer großen, glatten, reflektierenden Fläche, einem unterirdischen See, der sich am den Bereich anschloss, an dem sie die Höhle betraten und der den gesamten, restlichen Raum dieser einzunehmen schien. Das Licht ihrer Fackeln jedoch konnten dies nicht abschließend klären, reichte es doch längst nicht aus um die Grotte auszuleuchten. "Das ist sie", sprach Torod das offensichtliche aus. "Die Grotte, in der unser Volk und der Flussvater Frieden schlossen, zumindest wenn man den Sagen Glauben schenken will. Was jetzt?"

Argmin blickte auf die vor ihnen liegende Wasserfläche. Er vertrieb den kurzen Drang, sich hier in diesem reinen Wasser das Sekret der Asseln abzuwaschen, aus seinem Kopf. Die gewaltige Höhle und die in ihrem Fackelschein glitzernde Wasseroberfläche ergaben ein beeindruckendes Bild.

„Euer Ehrwürden‘, er drehte sich zu Torod um. „Haben die Aufzeichnungen davon geschrieben, wie Eure Vorfahren hier auf den Flußvater trafen, dass wir nun suchen? Sollen wir ihn… rufen?“ Unwillkürllich senkte er seine Stimme. Er fühlte sich unwohl, denn es war, als ob etwas Schweres, Altes in der Luft liegen würde und er hatte nicht vor, zu früh dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Torod schüttelte den Kopf. "Ich habe nichts gelesen, was dies betreffend als einen Hinweis gedeutet werden kann. Nein."

Einige Momente kehrte Ruhe ein in denen der Angrosch-Geweihte nachdachte. Seine Miene war aufs äußerste angespannt.

"Aber…", setzte er schließlich von Neuem an. "Wir befinden uns hier nicht mehr in Calbrozim. Die Sage spricht davon, dass dies zu seinem Reich, dem Refugium des Flussvaters gehört und ich bin geneigt dem zuzustimmen, immerhin müssen wir uns nahe dem Niveau der Wellen des Großen Flusses befinde. Das heißt, dass unsere Gesetze hier nicht wirksam sind." Der Blick Torods wanderte bei diesen Worten zu Lagorasch und ruhte einige Herzschläge auf ihm. Gerade lang genug, um deuten zu können, dass dies mitnichten ein Zufall, eine willkürliche Wahl war.

Lagorasch trat, auf diese subtile Art und Weise ermutigt, ein paar Schritte vor, bis knapp vor das Wasser. Er befand, dass es an der Zeit sei die Kraft der Erdmutter zu nutzen. Die Grotte stand still, nur ab und an hörte man einen Tropfen, dann legte Lagorasch seine Kleidung ab und seine Schlange ringelte sich um seinen Hals. Nur noch mit dem Goldring bekleidet und seiner Schlange an der Seite ging er ein paar Schritte ins Wasser. Er drehte sich zu seinen Gefährten um. "Macht es euch gemütlich, das dauert einige Zeit. Und bitte haltet mit dem Feuer Abstand zum Wasser, die beiden Elemente vertragen sich nicht so besonders, und wir wollen nicht einen wütenden Diener des Wassers rufen." Darauf hin begab sich der Geode tiefer ins Wasser und begann sich ganz langsam – wie in Zeitlupe – zu bewegen, es sah wie Schwimm- und Tauchbewegungen aus. Während zu Anfang seine Bewegungen extrem leise waren, meinte man, mit der Zeit, das weitere Geräusche hinzukamen. Als ob auf einmal ein kleines Rinnsal ins Wasser fallen würde, und dieses Rinnsal immer größer würde. Auch wurden die Wellen im Wasser immer größer bis das klatschen des Wassers eher einer weit entfernten Brandung glich. Die Geräusche des nassen Elements beherrschten die Grotte, fast wie ein Sturm, und wenn man die Augen schloss konnte man sich schnell fühlen wie auf einem Schiff mit schwankenden Planken unter den Füßen. Es hatte Minuten gebraucht bis das Wasser diese Intensität an Geräuschen aufgebaut hatte, vielleicht sogar ein halbes Stundenglas, die Zeit war in der Dunklen Grotte, seit die Geräusche überhandgenommen hatten, nicht mehr so wirklich wahrzunehmen. Und dann auf einmal bildete sich ein Gesicht im Wasser. Ein Gesicht aus Wasser und Wellen, fast so groß wie der Geode. Eine Gestalt aus Strudeln erhob sich. Die Bewegungen des Geoden wurden langsamer, und auch die Wellen wurden schwächer, hörten jedoch nicht auf. Lagorasch betrachtete das Wesen aus Wasser und sprach es an. "Ehrenvoller Diener des Wassers, ich freue mich, dass Du auf mein Rufen gekommen bist. Ich und meine Freunde sind hier, um Dich um Hilfe zu bitten, und ich bin bereit den typischen Lohn zu entrichten. Unsere Bitte ist einfach, denn sicherlich ist Dir der ehrwürdige Vater der Muscheln bekannt, denn diese Grotte gehört zu seinem Gebiet. Er hat uns beauftragt, seinen Rubin zu finden. Diesen haben wir nun gefunden und würden diesen Ihm gerne übergeben. Dazu würden wir uns hier mit Ihm noch einmal unterhalten. Kannst Du den Vater der Fluten in aller Ehrfurcht, Freundlichkeit und so schnell es Dir möglich ist, aufsuchen und so der Vater der Muscheln zustimmt, ein Tor zu ihm öffnen, so dass wir mit ihm reden können. Das wären die ersten Bitten, die ich an Dich hätte."

Die Reaktion auf den Elementarzauber des Geoden ließ auf sich warten. Auch wenn es so tief unter der Erdoberfläche schwierig war, die Zeit abzuschätzen, so musste sicher ein volles Stundenglas vergangen sein, als sich die Wasseroberfläche von neuem zu bewegen begann. Zur Überraschung Lagoraschs, der das kühle Nass kurz nach seiner Anrufung wieder verlassen hatte, war es jedoch nicht das Elementarwesen, sondern der Herr der Muscheln höchstselbst, welcher aus dem See auftauchte.

Mit fließendem Haar aus grünen Algen, einem bläulichen, geschuppten Leib und einer Rüstung aus unzähligen Muscheln, musste er es sein, auch wenn er bei ihrer ersten Begegnung anders ausgesehen hatte. Doch was bedeutete das schon bei einem Feenwesen? "Ihr habt nach mir gerufen", drang seine tiefe, durchdringende Stimme durch die Grotte und es lag eine gewisse Erwartung darin.

Vor Staunen blieb dem Angrosch-Novizen der Mund offenstehen als sich der Herr der Muscheln aus dem Wasser erhob. Das war seine erste Begegnung mit einem Feenwesen und entsprechend unwohl fühlte er sich – trotz der Geborgenheit der Zwergenfestung, die ihm jetzt auf einmal so weit weg erschien. Er klammerte sich förmlich an seinen Wanderstab und gab sich Mühe nicht laut aufzutreten oder sonst wie aufzufallen. Sollten doch die anderen mit diesem Wesen reden, schließlich 'kanten' sie den Herrn der Muscheln schon.

Misstrauisch und mit dem gewünschten Raum zwischen seiner Fackel und dem See hatte Argmin Lagorasch‘ Treiben verfolgt. Die aufgetauchte Wassergestalt hatte starkes Unbehagen bei dem Rondra-Novizen ausgelöst, doch die Zeiten, da sich seine Kirche vehement solche Kräfte ausgesprochen hatte, waren lange vorbei. Auch eine solche Kraft konnte eine Waffe sein, die gegen den Finsteren Feind helfen konnte. Dann war der Herr der Muscheln aufgetaucht. Unwillkürlich hatte Argmin den Abstand zu dem Wesen mit einem bedächtigen Schritt vergrößert, zuviele Geschichten hatte er über derlei Zaubervolk gehört, dass es ihm lieber war, dass er den Überblick gut halten konnte. Er blickte zu Deryalla und Lagorasch, dann Torod und dann zu Raraxim, welcher das Leinenbündel mit dem Rondrakamm fest umklammert hielt. Der Rondra-Novize meinte zu sehen, wie die Kiefermuskeln des Schmiedes arbeiteten, als dieser zu dem Herrn der Muscheln hinüberblickte. Eine Gefahr schien von diesem nicht auszugehen, sie waren hier, um den Frieden zwischen den Zwergen und dem Flussvater zu erneuern. Und doch fühlte Argmin sich unwohl an diesem Orte und er sah nervös zu den anderen hinüber und wartete ab.

Instinktiv machte die angehende Kriegerin angesichts der greifbaren, feeischen Macht einen kurzen Schritt rückwärts und kämpfte angesichts der aufflammenden Schmerzen für einen kurzen Moment ums Gleichgewicht.

Lagorasch schaute sich die Gesichter seiner Begleiter an. Er war überrascht das der Herr der Muscheln selbst gekommen war, es zeigte das Interesse des Herrn an dem Rubin deutlich. Die ganze Angelegenheit war Chefsache, warscheinlich war diese Nixe auch nicht einfach nur eine Nixe. War das eventuell seine Tochter, Enkelin oder auch sonstwie mit ihm verwandt? Egal wie sich das Bild ergab, er würde gerne für einige Zeit bei den Feenwesen leben, oder diese zumindest gerne auch über einen längeren Zeitraum besuchen. Es wäre gut für alle Beteiligten, wenn es Leute gibt die in den verschiedenen Welten vermitteln können. Aber wie könnte er diese Bitte an den Herren herantragen? Als Lagorasch sah, dass seine Begleiter in Ehrfurcht oder Angst verblieben, setzte er einen Schritt nach vorne und sprach den Herrn der Muscheln an: "Es freut uns das Ihr euch direkt zu uns begeben habt. Und wir haben den Rubin gefunden. Er trägt die Erinnerungen der Grotte, der Bearbeitung und dessen Zeit in der Krone, die er einst schmückte, in sich. Er wurde gefunden und die Erinnerungen des Rubins wurden erweitert. Der Rubin wurde gefunden als einer unserer Meisterschmiede ein Schwert zur Ehre der Leuin erschuf. Und so deutete unser Meisterschmied dies als ein Zeichen, ein Zeichen um den Rubin in dieses Meisterwerk der Handwerkskunst einzuarbeiten. Nun denn, bitte betrachtet dieses Meisterwerk der Handwerkskunst und macht euch selbst ein Bild wie einzigartig dieses Werk geworden ist." Lagorasch ging zu der Waffe, nahm sie ehrfürchtig in die Hand, und ging damit auf den Herrn zu um sie ihm mit offenen Händen, über sich erhoben, zu präsentieren

Gespannt sah Argmin zu, wie der Zwerg vor den Herrn der Muscheln trat und den prächtigen Rondrakamm mit dem Griff voraus präsentierte. Jetzt würde sich entscheiden, ob der Fee den Rubin in dieser Form wieder akzeptierte und damit der Friede wieder erneuert werden würde.

Grimmgasch fiel in diesem Moment auf, dass er die ganze Zeit mit offenem Mund und angehaltenem Atem dagestanden war und holte erst einmal tief Luft. Wenn der Herr der Muscheln jetzt das Schwert mit dem Stein nahm, wäre dann die ganze Quest schon gelöst? Das kam dem Zwerg jetzt irgendwie zu einfach vor – aber warum sollte eine Aufgabe nicht auch mal einfach sein…

Die Augen des Herrn der Muschen jedenfalls wechselten ihre Farbe von einem tiefen, dunklen blau hin zu einem hellen, klaren azur und leuchteten fast so wie der Himmel bei klarem Sonnenschein, als er des Rubins ansichtig wurde. War er erfreut, dass vermisste Kleinod zu sehen? Das Feenwesen streckte den Arm aus, griff nach der Waffe und hob sie langsam, andächtig aus Largolaschs Händen. Angeregt betrachtete der Herr der Muscheln daraufhin den Rondrakamm und ganz besonders den Stein in seinem Knauf. Langsam hob er schließlich den Blick und fixierte Argmin, musterte ihn mit undeutbarer Miene. Ein, zwei, drei Herzschläge vergingen bis das Wesen aus den Märchen der Lande um den Großen Fluss seinen Blick vom Novizen der Rondra abwandte und ihn über alle schweifen ließ, die ihm in der Grotte versammelt gegenüberstanden. „Habt Dank dafür, dass ihr mir meinen Besitz zurückgebracht habt, auch wenn dies in einer etwas… unerwarteten Form geschieht. Ich muss jedoch eingestehen, dass es eine schöne Klinge ist führwahr. Sie ist des Steines würdig. Und dennoch kann er nicht in der Waffe bleiben. Er wird mit mir unter die Welle zurückkehren. Das musste euch klar sein und dennoch habt ihr ihn nicht herausgebrochen“, sprach der Herr der Muscheln und obgleich seine Stimme zu Beginn voller wohlwollen war, klang am Ende genau das Gegenteil mit. Raraxims Kopf wurde rot. Es war der Zorn über den verlangten Frevel, der in dem Schmied gor. Borindrax trat an ihn und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter, scheinbar aus Befürchtung Raraxim würde dem Feenherren mit einer Wutrede entgegnen, doch er schwieg.

„Edler Herr unter dem Wasser“, sprach Lagorasch den Herrn der Muscheln an, „ich glaube Ihr könnt das Herzen unseres Meisterschmiedes verstehen“, dabei zeigte er auf Raraxim. „Diese Waffe wurde nur aus seiner kunsthandwerklichen Fertigkeit erschaffen. Man könnte sagen es ist für ihn fast wie ein eigenes Kind. Es würde ihm das Herz brechen, denn die Waffe würde unbrauchbar werden, das Gleichgewicht der Waffe würde zerstört. Deswegen wollen wir auch mit euch reden. Wäre es euch nicht möglich diese Waffe zu nehmen? Bestimmt könnten wir auch einen Weg finden das das Wasser der Klinge keinen Schaden zufügen kann. Wenn wir hier eine Gemeinsame Lösung finden könnten, dann würde der Traum von Raraxim, etwas Einzigartiges für die Ewigkeit erschaffen zu haben, nicht verblassen. In meinen Augen sehe ich es als die Bitte um einen Brückenschlag zwischen den Welten und Kulturen der Feen und Zwerge. Habt ein Herz, und vielleicht seht Ihr eine Möglichkeit, wie wir verhindern können, das Herz unseres Meisterschmiedes zu brechen.“ Mit erwartungsvollem Blick betrachtete der kleine Geode die große Gestalt des Herrn der Muscheln.

„Herr!“ Argmin konnte nicht tatenlos zusehen, legte die Fackel auf den Boden, wo das Pech ob des feuchten Bodens zischend weiterbrannte, und trat nach vorne neben Lagorasch. Er verneigte sich vor dem Feenwesen.

Wiederum wanderten die Augen des Feenwesens zu Argmin und dieser hatte das Gefühl, dass der Herr der Muscheln ihm bis hinab in seine Seele sah, seine Gefühle erspührte, seine Motive ergründete.

„Ich bin Argmin von Wirselbach, Page der Göttin Rondra“, begann der Novize. „Die Götter lenkten mein Schicksal, dass ich heute an diesem Tag vor Euch stehe. Nicht viel weiß ich über den Diebstahl des Rubins aus Eurem Besitz, doch ich weiß, dass dieser Stein unerwartet in der Schmiede von Meister Raraxim auftauchte, wohl an jenem Ort, an dem er einst gefunden wurde. Meister Raraxim sah dies als Zeichen des Ingerimm, diesen Stein in die Waffe, die er just zu diesem Zeitpunkt fertigte, einzuarbeiten. Ich trete nun vor Euch, um für Meister Raraxim zu sprechen. Diese Klinge ist ein wahrliches Meisterwerk unter den Waffen der Zwerge. Ich bitte Euch – lasst die Klinge heil und mit dem Stein im Knauf. Ihr seid ein Krieger, Herr. Ihr seid der Heerführer des Flussvaters. Die Kriegskunst in Eurem Reich mag sich grundlegend von der unsirgen unterscheiden, doch auch ihr wisst, dass die Waffe eines Kriegers weit mehr ist als nur ein Gegenstand. Und noch viel mehr ist eine Waffe für denjenigen, der sie mit den eigenen Händen schuf. Wir sind hier, um den Stein an Euch zurückzugeben, um zu zeigen, dass die Zwerge – und wir Menschen – zum Bündnis mit Euch und mit dem Flußvater stehen. Spielt es denn für Euch eine Rolle, ob der Stein dort eingelassen ist in diesem Heft des Schwertes oder nicht? Der Stein wurde von einem Feenwesen entwedet und durch Feenkräfte versteckt. Es ist nicht des Meister Raraxims schuld, dass der Stein aus Eurem Besitz verschwand! Es ist nicht gerecht, ihn zu strafen, weil ein Feenwesen den Stein in seiner Esse auftauchen ließ. Darum bitte: Nehmt die Klinge wie sie ist.‘ Der Rondra-Novize verneigte sich erneut und trat einen Schritt zurück.

Lange herrschte Schweigen nachdem der Wunsch Argmins vorgetragen war. Lediglich der einem kleinen Wasserfall gleich plätschernde, wallende Bart des Herrn der Muscheln durchbrach die Stille. Schwer lastete der durchdringende Blick auf dem Knappen der Göttin. „Nein- es spielt keine Rolle“, beantworte das Feenwesen die Antwort schließlich energischer als erwartet die Frage Argmins. Schreckte die Anwesenden aus ihrem bangen Grübeln. „Mehr noch“, fuhr er fort. „Ich erkenne euer Opfer, da ihr die Waffe um seiner Willen erhalten wollt, auch wenn sie damit für euch verloren geht, und sehe dies mit Wohlwollen.“ Der Blick des Herrn der Muscheln glitt zu Raraxim. „Du hast mein Wort Schmied, Waffe und Edelstein werden eins bleiben, deinem Gott zum Wohlgefallen und zum Ruhme deiner Handwerkskunst.“

Raraxim schloss die Augen, als er dies vernommen hatte und Grimmgasch vernahm das leise Dankesgebet an Angrosch, dass er sprach.

Deryalle war erleichtert, dass so schnell und durch Argmins weise Worte eine Lösung herbeigeführt worden war.

Als der Novize den Schmied beten hörte, schloss er sich an und dankte dem Weltenschöpfer für eine so glückliche Wendung. Aber Angrosch hat es so geplant und daher war es richtig und gut – schließlich ist kein Angroschim bislang zu schaden gekommen. Nun, wenn man es zumindest auf den körperlichen Schaden beschränkte. Nach dem Grimmgasch mit seinen Überlegungen und dem Gebet abgeschlossen hatte, blickte er sich in der Grotte um und fragte dann leise seinen Lehrmeister: "Väterchen, wie geht es jetzt weiter?"

Torod, so angesprochen, zuckte nur mit den Schultern. Seine Miene verriet Grimmgasch indes, dass der Geweihte mit dem Ausgang des Gesprächs mit dem Feenwesen nicht unzufrieden war. „Ich werde alle auffindbaren Quellen zu dem Rubin zu einem neuen Text vereinen und diesen dann ein neues Kapitel hinzufügen“, antworte er lächelnd. „Und du bereitest dich auf deine Weihe vor.“

Der Rondra-Novize lächelte. Er sah die große Erleichterung in Raraxims Gesicht und konnte zwar die Worte nicht verstehen, die dieser murmelte, aber es klang erleichtert und zufrieden. ‚Heiliger Hlûthar! Ich danke Dir für das Beispiel Deiner Taten voller Ehr und folge Deiner Standhaftigkeit in alle Zeit!‘ schickte er ein Stoßgebet zu dem Heiligen. Das Bündnis war erneuert und damit Unbill von der Zwergenfeste abgewendet. Und die Queste der Herzogenmutter sollte damit erfüllt sein. ‚Ich danke auch Dir, oh Herrin, für die Prüfungen dieses Tages. Lehre mich Demut und führe mich auf den Weg der Tugend in Deinem Namen.‘

“Gut“, beschloss der Herr der Muscheln. „Da es offenbar nichts weiter zu bereden gibt…” Eines der Augen des Feenwesens zwinkerte und seine Miene zeigte so etwas wie Belustigung. Dann, vollkommen ohne Vorwarnung schwoll das Wasser in der Grotte einer Springflut gleich an, die alle verschlang. Einzig Torod und Raraxim nicht, sie wurden sanft von den Wellen getragen und aus der Grotte gespült. Die anderen sahen hilflos mit an, wie sie hinfort getragen wurden, auf dieselbe Art und Weise, wie sie vor die Tore Calbrozims gekommen waren.

Mit Entsetzen stellte Grimmgasch fest, dass er auch plötzlich vom Herrn der Muscheln aus der Grotte gespült wurde. 'Oh, Ehrwürdiges Väterchen, warum spülst Du auch mich ins Wasser? Wir Zwerge sind doch für so etwas nicht geschaffen. Ein schöner Stollen oder eine große Höhle, ja, gerne und sofort, aber warum muss es Wasser sein?' waren seine letzten Gedanken.

—> weiter in Teil 4: Elenvina