Generationen - Teil 4: Elenvina

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Teil 4: Elenvina: ein Liebestrank für die Flussgarde

Personen:

  • Hilberian Welferich „Welf“ von Schleiffenröchte – Zögling der Kriegerakademie Elenvina
  • Rajalind von Zweibruckenburg – Novizin der Rahja
  • Jonata von Schleiffenröchte – Scolarin der Magierakademie /Candidata
  • Marborad von Winterspitz – Scolarin der Magierakademie /Candidatus
  • Corvinius Praiolan von Blauendorn – Magus/Magister
  • Elissa sal Hana – Adepta Minora/Tutorin
  • Nidari aus Schreingard – Scolara
  • Neetya von Eslamsgrund – Maga/Magistra/Gastdozentin
  • Korina Bächerle – Stadtalchimistin
  • Mika vom Berg – Ritterin, Korporal der Flussgarde
  • Sigiswolf von Flusswacht – Ritter, Hauptmann der Prinzengarde/Flussgarde


Durch das Tor

Mit mehr oder minder mulmigen Gefühlen schritten Kriegerlehrling, Novizin und die werdende Maga auf das Tor nach Elenvina zu. Das Wasser trug sie verlässlich, auch wenn die Oberfläche abseits ihrer Füße alles andere als glatt und stetig zu bezeichnen war.

Die Ansicht der Herzogenstadt, die sich innerhalb des Bogens aus reinem Wasser den Augen der jungen Leute präsentierte, glänzte feucht und schillernd. Das Bildnis besaß eine faszinierende Lebendigkeit: über den Himmel zogen kleine Punkte, Vögel wohl, und größere bunte Punkte – Bewohner, Reittiere, Gespanne – waren zwischen den Häusern auszumachen. Die Konturen überdem bewegten sich gleichwohl Spiegelungen auf Wasser. Vielleicht beschrieb die Sicht durch einen Regenschleier das, was sich den jungen Gästen Grimbertas bot, besser. Dort hindurch sollten sie gehen, um zurück in die Hauptstadt zu gelangen. Doch wie sollte dies von statten gehen, würden sie einfach an den Ort herauskommen, den sie durch das Wellentor sahen? Nein, es kam ganz anders.

Es war den Menschlein so, als würden sie aus ihren Leibern gerissen und augenblicklich in eine Art passive Rolle gedrängt, die sie zu einfachen Zuschauern der Geschehnisse machte. Fischen gleich tauchten sie durch die matt grün-bläulichen Wogen und sprangen durch die Gischt ans Tageslicht. In diesem steten Wechsel von Zeiten, in denen sie durch die Fluten glitten, um dann wieder über das Wasser zu springen, zog die Landschaft jenseits des Ufers in einem rasanten, schier unmöglichen Tempo an ihnen vorüber. Und es schien ihnen, als würden sie dann und wann das helle Lachen der Nixe vernehmen. Nicht lange – doch was spielte Zeit bei diesem wilden Ritt für eine Rolle? – da wurden es mehr und mehr Häuser, wurden es zur Rechten des Stromes städtischer, die Ufer gebändigt durch Bootsanleger, Pfähle im Schlamm, gemauerte Uferkanten. Das Wasser schmeckte nach dem Unrat, den Schiffsverkehr und tausend lebende Herzen in die Wogen spülten. Und als die schroffen Felsen in Sicht kamen, auf denen die Residenz der Herzöge der Nordmarken über allem thronte, war klar, dass das Ziel der Reise erreicht war. Gerade hatten die Reisenden die ehrwürdige Eilenwïd erblickt, als die ‚fliegenden‘ Fische, die sie auf so magische Weise beförderten, abtauchten und das Licht zusehends schwand. Anfangs glitten noch einzelne Strahlen von Praios Antlitz durch das Wasser zu ihnen herab, dann jedoch, nachdem sie schemenhaft erkannt hatten, dass sie auf eine Öffnung in einer Felswand tief unter der Oberfläche des Großen Flusses zuhielten, umfing sie bedrückende Finsternis die Reisenden. Das, was folgte, waren mehr lose Sinneseindrücke, als klare, zusammenhängende Bilder, wie Fragmente eines Traumes, an die man sich nach dem Erwachen erinnert. Da waren Wege im Gestein, ausgespült vor Urzeiten und gefüllt mit klarem, sauberen Nass, dann ein in den Fels geschlagener Schacht, aufeinandergesetzte Ziegelsteine, die nach oben zu einem hellen Rund führten, ein hölzernes Ding, das in die Wasseroberfläche tauchte, mechanisches Surren, entfernt dumpfe Frauenstimmen.

Und dann ging alles plötzlich ganz schnell. Die Wahrnehmung der Reisenden wandelte sich erneut und sie fanden sich in ihren eigenen Körper wieder, wie sie mit dem Haupt durch die Wasseroberfläche stießen und in Schwallen Wasser husteten, während ihre Beine unter ihnen zäh ins Leere traten und das Getöse ihrer Ankunft, ihr Keuchen und das Patschen ihrer wildschlagenden Glieder ohrenbetäubend laut von den umgebenden Wänden widerhallte. Kurz darauf verstanden sie all das Wasser, all den Lärm und die gemauerten Wände vor Augen – die drei jungen Leute steckten in einem tiefen Brunnenschacht und das Gewicht ihrer nassen Kleidung zog sie alle in den dunklen kalten Abgrund unter ihnen. Nicht jeder sah daher im ersten Augenblick die Reihe aus Sprossen, die einer Leiter gleich nach oben führte. Von oben schallten derweil aufgeregten Stimmen herab. Denn die seltsame Ankunft war nicht unbemerkt geblieben.

Als sich Rajalind ihrer verfahrenen Situation bewusst wurde, versuchte sie erst sich an der glitschigen Brunnenwand festzuhalten, aber ohne Erfolg. Von der Panik unterzugehen erfüllt griff sie daher in ihrer Verzweiflung nach Welf, der neben ihr paddelte, und schlang die Arme um seinen Hals, was aber dazu führte, dass sie den Krieger mit einem hysterischen Kreischen erst mal wieder unter Wasser drückte. Rajalind)

Jonata hustete weiterhin das Wasser aus ihrer Lunge und griff nach der Leiter, um Halt zu finden. Sie blinzelte den Brunnenschacht hinauf in Richtung Licht. Mit der anderen Hand, mit der sie sich die ganze Zeit im Wasser an ihrem Stab festgeklammert hatte, versuchte sie sich über Wasser zu halten und sich die nassen Haare aus dem Gesicht zu streifen. Sie sah Rajalind neben sich wie verrückt im Wasser paddeln, doch wo war Welf? War er nicht eben noch hier gewesen? Und wo waren sie überhaupt? Ein Brunnen? Sie hustete erneut, spuckte das restliche Wasser aus. Wo waren sie denn nun schon wieder gelandet? “Hallo?”, rief sie erstickt nach oben “Ist da jemand? Kann uns jemand hier raus helfen? Bitte? Wo sind wir?”

„Halllooo??!“ Die Köpfe zweier Frauen mit weißen Kopftüchern lugten über den Brunnenrand. Eine fasste sich mit der Hand an den Mund, nachdem ihr Schrei des Entsetzens den Raum füllte. Wildem Gebrabbel nach göttlichen Beistand folgte eiliges Gekurbel an jener Winde, die oben über den Brunnenschacht gestülpt war. Daraufhin senkte sich ein Eimer hinab, der an einer Kette hing. „Schnell, greift nach der Kette. Wir holen Hilfe!“

Ein plötzlicher Zug riss Jonatas Stab in Richtung des Wassers herab – wollte man ihr ihr Heiligstes entreißen? Doch es war Welf, der von der baldigen Rahjageweihten unter Wasser gedrückt panisch nach oben wollte. Er zog sich nur kurz daran empor, erreichte dann die Wasseroberfläche und japste verzweifelt. Orientierungslos löste er sich von der unangenehmen Berührung der Novizin, umklammerte stattdessen ihre Hüfte, um sie oben zu halten – durchaus zu Lasten seines eigenen Schwimmens, immer wieder sank sein Kopf herab. Noch war es ein Mechanismus, der junge Krieger dachte nicht darüber nach, wen er da im Arm hatte – ob er es sonst tun würde? Vermutlich schon, aber ohne die übliche Begeisterung, die ein junger sportlicher Mann mit einer sanften sinnlichen Frau im Arm hätte... “Scheiße” hörte man ihn stattdessen fauchen. Dann griff er nach der rettenden Kette und klammerte sich daran fest, Rahjalinds nass-kalten Leib an seinen pressend und Jonatas Stab freigebend. “Scheiße” hörte man erneut, als er das Wasser auskeuchte und hustete.

An der Panik der schönen Albenhuserin änderte sich nichts. Immer noch strampelte sie wild mit den Beinen und hielt sich an ihrem Gefährten festgekrallt. Es wusste ja niemand von den beiden anderen, dass sie Angst hatte zu ertrinken, seit sie als kleines Kind im Badebecken des Tempels fast ertrunken wäre. Planken unter sich zu spüren hatte Rajalind nichts ausgemacht, ebensowenig die Wasserbrücke, die vom Schiff zum Tor führte. Nur das jetzt, der fehlende Boden, die unheilvolle Schwärze des wenig einschätzbaren Abgrunds unter ihnen und das Gewicht ihres durchnässten Kleids lösten verkrampfende Gefühle in ihr aus.

Hustend und prustend hatte Welf sich um den Eimer geschlungen und blickte dann zur panischen Novizin. Verdammt. Wie die Frischlinge im Kampf. Dunkle feuchte Höhlen... war das nicht ihr Metier? Kam es ihm bitter durch den Kopf... “Rahja verzeih” Murmelte der junge Mann dann etwas verkniffen. “Vorsicht” Hallte es kurz durch den Tunnel, dann zog der Krieger die schöne Frau – nicht ohne Anstrengung – empor zu sich und dem Eimer, gab ihr den Platz frei. “Hier, greif die Kette, sie rettet dich!” herrschte er sie an.

Dies zeigte Wirkung. Bibbernd klammerte sich Rajalind statt an Welf nun an die Führkette des Eimers, auf dem sie jetzt saß und irgendwelche wirren Sachen murmelte, auch ein zaghaftes „Dankeschön“ war darunter.

Für Welf wäre kurz darauf kein Platz mehr – doch so langsam hatte er sich beruhigt, eine Hand am Rand des Eimers als Stütze gegen das stets nach unten ziehende Gewicht ließ er sich dann im Austausch für die Rahjanovizin ins Wasser gleiten, ihr Gesäß von unten stützend. “Jonata! Gibt es noch mehr zum Festhalten?“

Die Magierin nickte, merkte jedoch im selben Moment, dass Welf das sicherlich nicht sehen konnte. “Ja, hier an der Seite ist irgendwas”, rief sie erstickt und von der nassen schweren Robe fast unter Wasser gezogen.

Und an die Frauen außerhalb des Brunnens gewandt: „Ihr da oben, könnt ihr die Frau hochziehen? Schafft ihr das?” Als Jäger konnte Welf zwar durchaus klettern. Aber eine nasse Brunnenkette, das würde er niemals schaffen. Vor allem nicht in durchnässtem Rüstzeug. Wenn hier keine echte Stege oder dort oben muskulöse Helferinnen wären... “Scheiße” Hustete er erneut, aber weniger intensiv.

Von oben erklang ein weibliches „Wir versuchen es. Hilfe ist aber schon unterwegs…“ und mit lauten Stöhnen ruckelte die Eimerkette ein paar Fingerbreit nach oben.

Zur gleichen Zeit ging der Scolar Marborad von Winterspitz einem Teil seiner Strafe nach. Sie war ihm aufgebrummt worden und überaus dämlich, aber was sollte er nur machen. Es führte kein Weg daran vorbei, dass er seit einiger Zeit schon Nachttöpfe reinigen musste und Marborad das nicht nur sprichwörtlich ‚stank‘, sondern er das auch anderweitig ungerecht und entwürdigend fand. War doch nicht er es gewesen, der… Und hatte er nicht nur das Beste gewollt? Gegeben? Offensichtlich gingen Meinungen weit auseinander. Und die Ansichten über Gerechtigkeit auch. Gut, andere Studiosi mussten zur Strafe bei Wasser und Brot im Karzer hocken, was ihn, der sich nach wie vor in der Akademie frei bewegen und an den Mahlzeiten teilnehmen durfte, zum Glück nicht tangierte. Trotzdem erschien Karzerhock je nach Geruchsintensität oftmals die angenehmere Strafe.

Marborads Finger schmerzten von der Scheuerarbeit, während er mit der Bürste aus Wildschweinborsten in immer kräftigeren Schüben versuchte den Urinstein und all den anderen Dreck loszuwerden, der sich in dem kupfernen, tönernen und – bei den Göttern - hölzernen Nachttöpfen festgesetzt hatte. Schweiß tropfte ihm von der Stirn, der Geruch biss ihm in die Nase und drohte sich dort bis zur nächsten verdammten Weltzeitwende festzusetzen. Wieso hatte die Akademie nicht einmal genug Geld für einheitliche Nachttöpfe? Er schüttelte den Kopf, versuchte diesen Gedanken loszuwerden, während er nunmehr mit kreisenden Bewegungen versuchte den Unrat zu beseitigen. ‘Steter Tropfen höhlt den Stein’, so sagte man – doch ihm erschien diese Aufgabe als nie enden wollende Demütigung - eine Demütigung die ihn womöglich zu Recht erwischt hatte, hatte er doch geglaubt, er wäre klüger als alle anderen – bei Hesinde, welch Narretei. Er hatte Schande über sich gebracht und dabei beinahe noch Jonata vollends mitgerissen... er schüttelte den Kopf. Selbstmitleid brachte ihn nicht weiter – wenn er seine Kraft auf irgendetwas verwenden sollte, dann darauf weiter zu schrubben – er musste den Stoff, den er verpasste nachholen, zudem wollte er noch einen freiwilligen Aufsatz über das Metaspekulative Spektrum der allgemeinen Beeinflussungsmagie im Bezug auf die Ordnung und Gesetzmäßigkeit des Bund des weißen Pentagramms verfassen – das würde ihn wohl auch noch die halbe Nacht kosten.

Entsetzte Rufe aus der Waschküche nebenan ließen Marborad aufsehen und in seiner Arbeit, und auch den Gedanken, innehalten.

Der junge Magier runzelte die Stirn. Was bei den Zwölfen war denn nun in der Waschküche los? Hatte man dort ein Unrat ungeheuerlichen Ausmaßes entdeckt? Vielleicht eine Ratte oder irgend ein Getier magischer Herkunft? Nein, schüttelte Marborad den Kopf – derlei gab es nicht in Elenvina. Er wollte gerade ansetzen weiter zu putzen, als die Schreie lauter wurden – da schrie jemand nach Hilfe. Mit einem Ruck stand Marborad auf, dass ihm von der plötzlichen Bewegung beinahe schwindlig wurde. Er warf noch einen letzten Blick auf die Nachttöpfe - man hatte ihm angetragen sich nicht von seiner Arbeit zu entfernen, ehe diese getan sei. Doch bei Peraine – war es nicht ein Gebot jemandem zu helfen, der Hilfe bedurfte? So riss sich der junge Magier von seiner Arbeit los, überquerte schnellen und eilenden Schrittes den Flur, nur um in eine Traube aus aufgeregt kreischenden Mägden zu geraten. “Was ist hier los?” versuchte er sich irgends Gehör zu verschaffen, doch ihn schien kaum jemand wahr zu nehmen. Man drängte sich um einen Brunnen und mit einem beherzten Schieben und drücken zwängte sich Marborad durch die aufgewühlten Leiber, die nach Lauge und abgestandenem Wasser rochen, um in den Brunnen hinab zu blicken. Was er da sah benötigte einen Augenblick, um es einzuordnen. „Bei Efferds langem Bart – was treibt ihr dort unten?” rief er in den Schacht hinein, über das Plätschern hinweg. Als ihm eine der Frauen nun einen Ellenbogen in die Seite stieß, wurde sich Marborad gewahr, dass er eine Antwort auf derlei Fragen auch noch erhalten konnte, wenn die Gestalten nicht mehr kurz vor dem Ertrinken standen und er half dabei die Kurbel nach oben zu drehen. Mit einem Ächzen griff der Mechanismus ineinander und Marborads Muskeln protestierten, während er zusammen mit zwei weiteren Freiwilligen die Kette in Bewegung setzte.

Ein kreischender Schrei drang aus dem Mund der Rahjani, als die Zackenwinde ob der ungewöhnlich schweren Last einige Male durchdrehte und die junge Frau wieder etwas nach unten sauste, ehe das Gebilde erneut griff und einhakte.

Gerade hatten Marborad und die Waschfrauen den Höhenverlust mühevoll wieder wettgemacht, als die dritte Wäschemagd zurückkam, eine Magierin mit blondem Pferdeschwanz und Spitzhut im Schlepptau, deren fröhliches Gesicht sich sofort runzelte, als sie das Elend sah.

„Gute Güte, Winterspitz! Versucht er tatsächlich Kraft über Geist zu stellen? Hat er es denn wenigstens zuvor anders versucht?“ Die Zauberin seufze beim Nähertreten. „Wie gut, dass ich hier bin.“ Ein sachtes Lächeln folgte, dann ein Blick über den Brunnenrand.

Für alle im Schacht schob sich nun der Kopf einer Magierin mit klassischem spitzzulaufenden Magierhut und hochgeschlossenem Kragen ins Blickfeld. Jonata erkannte die Magistra Neetya von Eslamsgrund, eine noch junge Lehrkraft, vielleicht so um die Ende 30, Anfang 40, die nicht gänzlich zum Collegium der Magierakademie gehörte, sondern nur immer mal wieder einige Zeit Gastdozentin war. Auch gerade. Und die nicht unbedingt so viel Strenge an den Tag legte, wie so manch anderer Magister. Eigentlich galt die Magistra Neetya als sehr umgänglich und ihre Lehrstunden waren zumeist recht unterhaltsam. Ihr Steckenpferd war die Telekinese, eine besondere Form der fokussierten Anwendung von Geisteskraft.

„Aha. Verstehe. Nun. Wir werden Namen und Gründe später austauschen. Zuerst holen wir euch armen Seele dort heraus.“ Rief die Magistra hinab. Bevor sie sich an ihren Schüler wandte, der immer noch wie ein Ochs an der Eimerkette hing. „Winterspitz, sieh her, da haben wir eine schöne Situation, wie man sie kaum besser hätte simulieren können. Transformation von Körperkraft mittels Motoricus. Zielobjekt, die Winde. Ich frage später was er noch über diesen Zauber weiß.“ Dann hob sie ihren Zauberstab, auf dessen akkurater Spitze ein grünlicher Stein eingelassen war und deutete damit auf die Windenapparatur. „Motoricus Geisterhand“.

Der Stein begann zu Leuchten und der Eimer mit der festgeklammerten Rajalind darauf hob sich ganz von selbst in die Lüfte.

Marborad zuckte unter der Zurechtweisung der Magistra. “Der Herr von Fuchsberg hat mir verboten während meiner Strafzeit Magie anzuwenden, Magistra von Eslamsgrund, verzeiht” erwiderte er etwas kleinlaut, wenngleich er sich auch furchtbar dumm vorkam. Natürlich hätte es ihm einfallen müssen solch einen Zauber anzuwenden - ganz ab von der Tatsache, dass die Aufgabe hier wohl kaum etwas mit den Nachttöpfen zu tun hatte, die noch immer einige Zimmer weiter dräuten.

„Strafzeit, so so?“ Die Magistra runzelte die Stirn und sah konsterniert, wie ein Mädchen dem Brunnen entstieg, das augenscheinlich nicht an diesen Ort passte. Es trug ein triefnasses rotes Kleid, Sandalen, ein ledernes Gürteltäschchen um die Hüfte, eine feine Kette mit einem hellroten Edelstein in Form einer kleinen stilisierten Rosenblüte um den Hals, ihren linken Unterarm wie auch den linken Handrücken zierte ein florales Hautbild aus Rötel. Rosen, Pferde, Weinranken. Ihr langes braunes Haar hing in seinem nassen Zustand unschön an ihr herab. Ihr Körper bibberte und zitterte – eine der Wäscherinnen nahm sich der jungen Frau an und warf ihr ein Tuch über.

„Winterspitz, ich hoffe für ihn er hat mit all diesem hier nichts zuschaffen?“

“Habe ich natürlich nicht Frau Magistra von Eslamsgrund!” erwiderte Marborad kleinlaut, doch mit dem Brustton der Überzeugung - und womöglich einem Mü zu viel ehrlicher Entrüstung in der Stimme. “Ich habe im Zimmer gegenüber gewissenhaft meine Aufgabe erledigt, als -” er hielt inne.

Rajalind war mehr als froh, dem Schacht entkommen zu sein. Nachdem ihr nette Frauen über den Brunnenrand und vom Eimer geholfen hatten, sauste dieser wieder hinab zu Welf und Jonata. Ein fahles „Danke“ auf den Lippen sank sie nieder und zog das Tuch, das man ihr zum Abtrocknen gereicht hatte, enger um sich.

Jonata hingegen hing weiterhin ungelenk an der untersten Leitersprosse. Ihre Arme waren einfach nicht kräftig genug, um ihren etwas fülligeren Körper mitsamt der schweren, vollgesogenen Kleidung nach oben zu ziehen. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte sie die Rettungsmission. Mehrmals fürchtete sie fast, von einer wieder herunterfallenden Rajalind getroffen und unter Wasser gedrückt zu werden, doch dazu kam es- Phex sei Dank!- nicht. Da drangen Gesprächsfetzen von oben an ihr Ohr. Das Wort, das sie aufhorchen ließ war der Name: Winterspitz. “Oh jeh..”, entfuhr es ihr. Konnte das sein? “Marborad?”, rief sie deshalb fragend den Brunnenschacht hinauf “Marborad, bist du‘s?” Sie sah hinüber zu Welf: “Hier, versuch du es, vielleicht schaffst du es hier hoch?”

Hatte er da gerade Jonatas Stimme gehört? Marborad trat an den Rand des Brunnens und sah noch einmal hinein. Dort, wo vorher Chaos und spritzendes Wasser geherrscht hatte, erkannte er nun tatsächlich Jonata. “Jonata? Wie bei Nandus und Hesinde bist du...? Nicht so wichtig, warte!” er schüttelte den Kopf, wandte sich dann wieder um. Marborad blickte kurz zur Magistra. “Edle Magistra von Eslamsgrund – wenn ihr mir bestätigen könnt, dass ich meine Magie nur ob einer Ausnahmesituation angewendet habe, würde ich gerne helfen diese armen Gestalten aus dem Brunnen zu holen!”

Mit einer gönnerischen Handbewegung wich die Frau beiseite. „Es soll der Übung dienen - aber natürlich. Zu bedenkende Komponenten innerhalb der Fokussierung sind Gewicht des zu Bewegenden und die Bewegung, in dem Falle die Rotation der Winde.“ Mit einem Nicken gab die Magistra den Versuch frei.

Marborad nickte der Magistra dankend zu und griff nach seinem kurzen Magierstab, den er mit einer Schlaufe um seinen Gürtel trug, und der ihm bereits das ein oder andere Wort des Hohnes eingebracht hatte. Er drehte den Stab zwischen seinen Händen, rief sich Gestus und Cantus des Zaubers in Erinnerung – er würde den größt möglichen Effekt erzielen, wenn er die Mechanik der Brunnenkette mit in seinen Zauber berücksichtigte. Die Winden und Flaschenzüge würden ihm erlauben mit möglichst wenig Krafteinsatz ein Maximum an Ergebnis zu erlangen. Er richtete somit seinen Stab auf die Winde, bedachte deren Vor- und Rückwärtsläufe und stellte sich das, was geschehen möge so genau er konnte vor, ehe er die Magie unter seinen Willen zwang: “Motoricus Geisterhand!” mit einem leisen Rasseln setzten sich Winde und Kette in Bewegung.

Währenddessen beäugten die Wäscherinnen die Rettungsaktion mit skeptischem Blick. Aber sie schienen alle froh zu sein, dass die Magier die Aufgabe übernommen hatten. Jene, die Rajalind geradezu mütterlich beim Abtrocknen half, murmelte immerzu „Ach du armes Ding… du armes liebes Ding…und das Wasser war so kalt…“ während Rajalind versuchte, die Umstände über ihr Hiersein unter Zittern zu erklären, was jedoch daran scheiterte, dass die besagte Wäscherin ihr lieber wie eine Glucke übers Haar strich, statt ihr ernsthaft zuzuhören.

Allerdings wusste die Rahjani auch auf der anderen Seite nicht so recht, wie sie das mit den Nixen, den Wassertoren und ihrer Reise als…was, Funke?... im Bewusstsein eines…was, Fisches?... erklären sollte. Sie war einfach nur froh, dem nassen Schlund, der sie und ihre Mitstreiter ausgespieen hatte, entronnen zu sein.

Hoffnungsvoll und irgendwie erfreut sah der durchnässte Krieger der Rettung der schönen Frau zu. Einen Moment driftete er ab und freute sich für sie. Dann versteiften sich seine erschöpften Züge aber wieder und er wandte sich Jonata zu. “Cousine!“ Auch wenn sie das natürlich nicht wirklich war. “Was ist mit dir? Dich lass ich nicht zurück. Lass mich an diese Stegen, an denen du dich klammerst. Das geht schon irgendwie! Aber dich verschaffen wir erst auf diesen Eimer. Komm, ich stütze dich.” Kündigte er ihr gegenüber selbstsicherer, an, während er eine Hand um die Sprosse neben ihrem Fuß legte und den Eimer zurecht zog. “Du kannst dich daran lehnen und ihn umschlingen, du kannst auch deinen Stock als Sitzhilfe nehmen.”

Welf war in seiner Heldenhaftigkeit wohl kaum umzustimmen. Sie hatte jedoch keine Ahnung, was er meinte mit der Sitzhilfe und wie sie sich woran lehnen sollte. Ungelenk versuchte sie nun also mit einer Hand an der Leiter und der anderen am Eimer ihre Beine um die Kette zu schlingen, wobei sich sich mit einem Fuß an Welf abstützte, der unglücklicherweise dadurch erneut unter Wasser gedrückt wurde. Auch hatte sie einfach nicht genug Kraft, sich weit genug aus dem Wasser zu stemmen - oder umgekehrt - sich seitlich so gerade zu halten, dass sie den Eimer anständig zu fassen bekam. Womöglich lag es auch daran, dass sie sich weigerte, den Stab loszulassen, was die ganze Sache noch zusätzlich erschwerte. Der arme Welf tat ihr furchtbar leid, als er von ihr und zu allem Unglück auch noch ihrem Stab so behandelt wurde, aber was musste er sich auch so heldenhaft aufführen? Erschrocken ließ Jonata alles wieder los und lag erneut plantschend im Wasser. “So wird das nichts!”, keuchte sie “Geh bitte vor, du kannst mir dann von der Leiter aus helfen...”

Ein Schnauben, ein Blubbern ein Japsen – Welf tauchte wieder auf. “Der Eimer?! So schwer ist das doch nicht. Leg den Stock drum. Nein, nicht so!” Kommentierte der Getunkte, ehe es wieder hinab ging. Als Welf auftauchte schüttelte er sich wie ein nasser Hund. “Verdammte Scheiße.” Da griff er wieder nach der Leiter. “Gut, gut. Ich mach ja schon.” Gab er erschöpft von sich und nahm die Leiter. In einer stärkeren Position bot er Jonata eine Hand, jetzt mit der anderen festgehalten und den Beinen auf der untersten Sprosse. “Komm. Ich stütze dich hoch. Du schlingst dich um den Eimer. Die da oben ziehen dich hoch!” Schnaufte er. Warum war sie auch so unsportlich? Weibliche Rundungen... von wegen... pure Stoppmasse und Hindernis! Aber so ein Zauberer hatte eben nicht viel Auslauf. Welf schüttelte kritisch den Kopf – das es Magie war, die gerade die Kraft ersetzte, sie hier hochzuziehen... war dem praiosgefälligen Kriegerschüler ja nicht bekannt. Noch.

Spätestens als auch Welf dem Brunnen entstiegen war und alle drei mit trockenen Tüchern versogt worden waren, ergriff die weißgewandtete Magierin – deren Kopf vorhin über den Brunnenrand gelugt hatte – das Wort. Ihr Blick fing einen jeden der dreien ein, streifte auch kurz Marborad, und endete auf Jonata. „Schleiffenröchte, das sieht uns nicht nach einem Scherz aus, denn er wäre wirklich sehr merkwürdigen Humors. Ihr kennt euch hier ja bestens aus: bitte sorgt dafür, dass eure Gefährten und Ihr euch angemessen kleidet, und findet euch dann unverzüglich in der Stube eures Tutors ein. Ich werde Magister Blauendorn vorinformieren. Und bin dann auf eine gute Geschichte gespannt.“ Bei der letzten Bemerkung zwinkerte die Frau kurz und lächelte sanft.

Bibbernd schüttelte Jonata den Kopf. Nein, ein Scherz war dies wahrlich nicht. Sie spähte hinüber zu ihren Gefährten. Eine gute Geschichte? Was sollten sie bloß erzählen? Wenn es nach ihr ging, wäre die Wahrheit ja das Mittel der Wahl, doch ob man ihnen glauben würde? “Ich kann Euch versichern, dass dies kein Scherz ist”, antwortete sie etwas lahm “Im Gegenteil, es ist wahrlich ernst. Bitte sagt meinem verehrten Lehrmeister..:”, dann schüttelte sie den Kopf und unterbrach sich selbst “Nein, das werde ich ihm selbst berichten.”, Sie räusperte sich, blickte die Helfer dankbar an und nickte der Magierin zu “Ich danke Euch für die Hilfe. Ohne euch “, dabei sah sie auch Marborad an, “Wären wir kaum aus diesem elendigen Zustand entkommen- oder hätten zumindest viel länger gebraucht.”

Noch immer lächelte die Frau in Weiß. „Gerne.“ Sagte sie, dann wurde ihr Gesicht strenger und der Kopf der Magistra drehte sich Marborad entgegen. „Und Winterspitz – was auch immer ihr zuvor hier in den Räumen der Wäscherei getan habt: es bleibt vorerst liegen, denn wir haben zwei Gäste im Haus. Ihr geht also erstmal der jungen Dame Schleiffenröchte zur Hand. Und für die Stunde übermorgen darf er ein Referat über den gerade angewandten Zauber halten. Bereite er sich gut vor, wir werden es wohlwollend bewerten.“ Auch Marborad bekam ein kurzes Lächeln der Magistra geschenkt, ehe diese noch einmal in die Runde sah und sich dann zügig verabschiedete.

Marborad hatte das Lächeln der Magistra erwidert, stets darauf bedacht freundlich und bescheiden zu wirken und dabei den Kopf in jener Art und Weise zu senken, dass es ehrerbietig war, ohne demütig zu wirken. “Wie ihr wünscht edle Magistra – ich werde mein Bestes geben um den Zauber in seiner Gesamtheit zu erfassen”,

Bald darauf waren die drei Neuankömmlinge und der Winterspitz allein, denn auch die Wäscherinnen nahmen ihre Arbeit wieder auf.

„Wo sind wir hier?“ stellte Rajalind als Erste die Frage in den Raum. Sie hatte zwar eine Vermutung. Doch wie war dies möglich? Sie hatten im Wellentor die Ansicht der Herzogenstadt gesehen, nicht der Akademie. Um ehrlich zu sein überstieg die ganze Reise ihren Geist. Ihr war kalt, das klamme Kleid klebte nur so an ihrem Leib, außerdem brauchte sie bald etwas zu essen – wie ihr knurrender Magen verriet.

Das Tuch weiterhin um sich geschlungen, erhob sich Jonata schwerfällig. War die Geweihte schwer von Begriff?

“Wir sind, wie nur unschwer zu erkennen ist, in den Hallen meiner Heimatakademie: Der Academia dominationis Elenvinensis”, erklärte sie langsam und verständlich. “Geführt durch unsere verehrte Spektabilität Magistra magna controllaria Ruane von Elenvina. “, sie machte eine kurze Pause, damit das Gesagte in die Köpfe der anderen sickern konnte “Ich werde Euch in den Wohntrakt führen, wo ihr euch Kleidung von mir und meinem...”, mit einem Blick auf Marborad hielt sie kurz inne, ihre Stimme klang etwas spitzer als sie weitersprach  “…freundlichen Mitschüler Marborad von Winterspitz leihen könnt. Danach werden wir das Studierzimmer meines verehrten Mentors, des hochgelehrten Herrn Magisters Corvinius von Blauendorn aufsuchen und...uns erklären.” Mehrfach hatte ihr Tonfall sich in diesem Satz verändert, denn kaum dass sie von ihrem Lehrmeister sprach, war die Stimme weich und der Blick etwas verklärt geworden, um kurz daraufhin gequält gen Boden zu wandern, als sie sich schon überlegte, wie eine solche Erklärung wohl aussehen würde. Für einfühlsame Personen würde auch deutlich werden, welche der genannten Personen Jonatas deutliche Verehrung genoss - im Vergleich zu anderen genannten oder nicht genannten hochtrabenden Titeln. 

Zumindest Rajalind horchte auf. Nicht etwa, weil die verschiedenen Zuneigungsbekundungen während des Tempeldienstes gelehrt wurden, sondern weil sie gespannt auf den Mann war, der in Jonata diese Gefühle auslöste.

Aber was würden sie denen sagen? Welf hatte die Szene der Magistra und des Schülers still beobachtet, sich getrocknet und gestreckt – endlich raus aus dem Wasser. Dann hatte er die zwei genau betrachtet, während er seine Haar ordnete. Kommentiere musste er nichts davon – aber offensichtlich war ihm der Ort nicht sehr geheuer. Kurz schlug der Krieger die Rechte vor dem Herzen zum Symbol des göttlichen Greifen zusammen – ein kleiner Schutz.

Sie gab den anderen einen Wink und machte sich auf den Weg hinaus aus der Waschküche einen langen Gang entlang, der in eine große eindrucksvolle Halle aus Marmor führte. Über der Gruppe erhob sich die hohe Kuppel mit einem gut erhaltenen Fresko Rohals des Weisen. “Dies ist die Aula Magna”, erklärte Jonata im Vorbeigehen. “Hier angrenzend befinden sich die Bibliothek, Lesesäle und die Schreibstube unserer Spektabilität”, damit deutete sie zu einem verschlossenen Raum zu ihrer Rechten. Die Halle war von hohen Säulen gehalten verströmte eine Aura von Erhabenheit, wie sie selbstbewussten Lehranstalten zu Gesicht stand.

Die Halle hatte etwas Einschüchterndes. Aber Pracht und Herrschaftlichkeit besaßen auch eine Art von Schönheit. „Oh!“ drang es daher bewundernd aus Rajalinds Mund. Das Gemäuer war ganz klar alt, der Baustil von vorvorvorgestern. Dennoch in der Tat erhaben. „Wie wurde das alles hier errichtet?“

„Die Akademie wurde 659 von Kaiser Alrik gestiftet und stieg in kürzester Zeit zu einer der einflussreichsten Lehrstätten der Weißen Gilde auf”, erzählte sie ein wenig über die Akademie, während sie die anderen durch die mit Koschbasalt ausgekleidete Eingangshalle durch das klobige Madator führte.

„So alt??“ Rajalind stellte sich gerade vor, wie viele Füße zusammenkamen, wenn man alle aufzählen würde, die jemals hier gewandelt hatten. Es überstieg ihre Vorstellungskraft.

„Die Akademie unterhielt stets gute Beziehungen zur Praios-Kirche und dem Adel unseres Landes...” Die weniger schönen Kapitel der Geschichte der Akademie sparte sie sich. “Natürlich haben wir oft mit Vorurteilen zu kämpfen, doch wir setzen uns in diesen Hallen vorwiegend mit der philosphischen Auseinandersetzung mit der Magia Controllaria auseinander, es besteht also keinerlei Grund zur Sorge...”

Welf sah Rajalind die Stirn kräuseln. Sie hatte wohl nicht verstanden, was Jonata andeutete, darum kam auch nur ein unschlüssiges „A…so.“ aus ihrem Mund.

Dieser grinste darauf zögerlich. „Gewiss nicht, werte Cousine, warum sollte man auch Sorge in den Hallen der Geisteszauberer haben?” Er schüttelte den Kopf, was sie ihm bisher über die Zauberei hier gesagt hatte, und sein Bruder erst... „Aber wieso sind wir gerade hier gelandet? Ein Hinweis für unsere... Aufgabe?” Dabei sah er etwas ernster zu seinen zwei Begleiterinnen. Als hätte er Gesprächsbedarf... vor allem in Hinblick auf das bevorstehende Gespräch.

„Aber Welf, das liegt doch auf der Hand,“ antwortete Rajalind. „Ein silberner Teller, da wo es stinkt und wo Menschen dennoch leben,“ begann sie aufzuzählen, wobei ihr Gesicht verriet, dass sie das genausowenig verstand und ekelte wie die Nixe, denn sie rümpfte pikiert die Nase. „Das muss Gratenfels sein mit seinen Schwefelquellen…. Der Stein, der wieder an einem Ort ist, wo er war, bevor man ihn fand. Wo findet man Schmucksteine? In der Erde, im Fels? Da kenn ich mich nicht aus, aber wissen da nicht die Angroschim besser darüber Bescheid?... In Albenhus ist ein großer Tempel des Efferd, wo das Wasser besondere Verehrung findet, wie es in der Beschreibung hieß. Es gäbe keinen passenderen Ort für die Waffe des Heerführers, meint ihr nicht auch? Denn das Land, in dem die Fey lebten, das kenn ich. Also nicht direkt, aber wenn man aus Albenhus kommt, wie ich, dann weiß man, dass in früheren Zeiten dort die Alben, die Elfen, sesshaft waren. Das passt auch… Wir hier in Elenvina müssen folglich den Liebestrank finden. Einen Liebestrank, der für die Liebste des Alten bestimmt war, aber den er nie brauchte, weil er ihr Herz ganz ohne und auf ehrlich Art gewann, wie es nur tiefste Gefühle vermögen. Hach, wie aufregend!“ kam sie zum Punkt, nachdem sie einen leidenschaftlichen Exkurs über ihre hesindianischen Fähigkeiten abgegeben hatte, die vor Begeisterung für diese Queste im Allgemeinen und ihrer drei im Speziellen nur so troffen. „Natürlich ist er hier. In der Akademie. Erinnert ihr euch daran, was die Nixe sagte: der Trank ist da, wo viele andere Tränke sind. - Braucht ihr Magier nicht viele Tränke?“ fragte sie, völlig überzeugt, Jonata.

Jonata nickte knapp. Ja, natürlich gab es hier Tränke, jedoch bei weitem nicht so viele wie sie sich gewünscht hätte.

Marborad hörte den anderen zu, blieb jedoch eine ganze Weile stumm. Wovon redeten die anderen? Nixe? Tränke? Heerführer? Der junge Studiosus ließ einen analysierenden Blick von einem zum anderen wandern, blieb für eine kurze Zeit an Rajalind hängen, der die Kleidung noch immer eng am Körper klebte, dann zu Jonata die seinem Blick auszuweichen schien – oder bildete er sich das nur ein? Was auch immer die anderen durchlebt hatten, es war mehr als ein Tauchgang im Brunnen gewesen. “Wer in der Lage ist sich auf die Schwingungen der Magie einzulassen und die passende Meditationstechnik erlernt, der muss nicht auf die Alchemie und Kräutersäfte vertrauen!”

Die Antwort schien die Novizin der Schönen zu verwirren, vor allem, weil sie zuerst von dem anderen, dem Fremden, kam. „Nicht?“

Jonata beschleunigte ihren Schritt, als sie die anderen über den gepflasterten Hof hinüber zu einem der kleineren Gebäude führte. Sie ging mit keinem Wort auf Marborads abwertende Worte ein. Nur kurz streifte ihr Blick ihren Mitschüler. War das Tadel in ihren Augen? “Natürlich gibt es hier Tränke, werte Rajalind. Wir bekommen auch die Zubereitung solcher gelehrt, allerdings haben die meisten ein frühes Verfallsdatum, sodass es nicht allzuviele gibt, die hier gelagert werden.“ Sie deutete auf das Gebäude vor ihnen. “Dies ist das Cerebornsheim, hier liegen die Schlafräume aller Studiosi, Eleven, Tutoren und Novizen.” Drei weitere längliche von Türmen bekrönte Gebäudekomplexe schlossen sich zur Linken an. Hinter einem von ihren war ein gepflegter Garten zu erkennen.

Marborad hatte sich höchst unwohl unter Jonatas noch immer vorwurfsvollem Blick gefühlt, den sie ihm ab und an zuwarf. Zumindest interpretierte er diesen Blick auf diese Weise.

Als sich schließlich die Möglichkeit ergab zusammen mit dem anderen jungen Mann – augenscheinlich jemand, der in keinster Weise seine Profession teilte – in seinen eigenen Schlafsaal zu verschwinden, nutzte er die Möglichkeit liebend gerne. So standen auch Marborad und der ihm Fremde nunmehr in dem großen Saal und der junge Magier suchte in einer der Truhen nach etwas, das dem anderen passen mochte. Die Roben, die er selbst trug und die aus grauem Leinen gefertigt waren, schienen nicht zu dem anderen zu passen, daher nahm Marborad jene Gewandung aus seiner Truhe, die ihm seine Mutter vor einigen Wochen gesandt hatte – mit der Bitte, er möge sie doch bei seinem nächsten Besuch in der Heimat tragen. “Ich hoffe diese Kleidung passt euch,” wandte sich Marborad an Welf. “Verzeiht, wir wurden uns noch nicht vorgestellt und ich wollte der gelehrten Frau von Schleiffenröchte nicht ins Wort fallen – mein Name ist Marborad von Winterspitz. Studiosus dieser Ehrwürdigen Hallen!”

Welf ließ sich in den Schlafsaal führen, er musterte ihn genau – im Vergleich zu dem was er gewöhnt war, war es hier irgendwie... ehrwürdiger? Verwunderlich... sollten die Magier nicht eher heimeliger, weicher, verwöhnter sein? Ordnung wussten sie wohl zu halten! Aber welche Lehrmeister würde auch anderes zulassen? Sein abschweifender Blick fiel wieder auf Marborad und er lächelte verlegen. “Habt Dank, ich bin Hilberian Welferich von Schleiffenröchte, ein Verwandter eurer... Mitschülerin... und selbst Schüler der Kriegerakademie. Die Sachen... nun... sie werden schon irgendwie passen.” Erneut musterte sein Blick den Zauberschüler - es könnte eng werden, aber glücklicherweise war Welf unter seinesgleichen auch nicht der Breiteste. Dann sah er zu Marborad. “Könntet ihr mir kurz behilflich sein? Normalerweise ist eine Kette leicht abgelegt... aber mit den nassen Kleidern und Haaren.” Er schüttelte den Kopf. Wenig später würde er auch die Tunika darunter abstreifen und seinen sehnigen Oberkörper abtrocknen. Die Lokalkleidung der Winterspitz’ blieb so eine Überraschung - hoffentlich würde sie nur an keiner Stelle reißen, dachte er sich – die spannende Enge gab ihm doch einen seltsamen Anblick, womöglich würde man ihn noch für einen Tempeldiener Rajalinds halten! “Haben wir noch etwas Zeit, ich würde meine Brünne abtupfen und wenn möglich fetten wollen. Wenn eure Magistra aber wartet... dann werde ich mich eben später um den Flugrost kümmern.” Winkte er lächelnd ab. “Dieser Magister zu dem wir gehen werden, wer ist er und... was für eine Art Lehrer ist er?” Sie waren zwar Schüler aus extrem unterschiedlichen Schulen, aber waren Lehrer nicht doch immer gleich?

Ja,wie war der Magister? Marborad kannte sein Gegenüber nicht gut, dafür die Etikette und die Spielchen am Hofe umso besser. Die Auswirkung einer falschen Einschätzung hatte er noch immer zu tragen und er roch auch noch danach. Marborand wusch sich mit Seife und einer harten Bürste aus Wildscheinborsten die Hände, bis diese rot und striemig waren. “Der hochgelehrte Herr Magister Corvinius Praiolan von Blauendorn ist ein gestrenger aber weiser Lehrmeister unserer hochwürdigen Akademie. Er weis sowohl mit Worten als auch Taten zu lehren und den Schülern in diesen weisen Hallen Erkenntnis zu geben – so sie diese denn selbst erringen können. Denn geschenkt wird hier nichts und das wäre auch nicht angemessen,” Marborad blickte den anderen an und lächelte freundlich. “Eure Cousine zählt zu seinen direkten Schülern,” fügte er noch anbei. “Und auch ich lese zuweilen mit Eifer jene Traktate und Schriften, die er der Akademie zur Verfügung gestellt hat!” mehr würde er vorerst nicht über den Blauendorn verlauten lassen.

Der Krieger nickte langsam. “Direkter Lehrmeister... Zu was für Themen... ehm... veröffentlicht er?” Fragte er vorsichtig, natürlich würde er mit dem Magiergeschwurbel wenig anfangen können, aber er wollte nicht dumm erscheinen gegenüber dem Fremden.

“Zu zahlreichen,” antwortete Marborad vielsagend. “Magietheorie im Besonderen – gerne führe ich euch die genaueren Umstände zu einem späteren Zeitpunkt bei einer Tasse Tee aus. Aktuell aber fehlt uns dafür die Zeit wie ich befürchte!” er schlug die Augen nieder. “Verzeiht, aber ich muss zurück zu meiner Aufgabe und ihr solltet zum Hochgelehrten Herr Magister.”

Der Krieger nickte erneut. “Habt Dank.” Dann machte er sich auf den gewiesenen Weg.

Kurz darauf stand Jonata mit Rajalind in einem der Schlafsäle der weiblichen Scolaren und kramte in ihrer Bett-Truhe nach Ersatzkleidung. Schließlich erhielt die deutlich zierlichere Rajalind ein grünes Kleid mit einem buschigen Unterrock, hervorblitzender weißer Bluse und einer Art kurzer dunkelgrauer Weste mit hübschen Stickereien, wie sie in den nördlichen Gefilden der Nordmarken zur Tracht gehörten. Das Kleid war schon einige Jahre alt und zeigte deutliche Gebrauchsspuren, war aber davon abgesehen recht hübsch und sauber duftend. "Ich trage es stets auf meinen Heimaturlauben”, erklärte die junge Magerin freundlich. “Probier es ruhig an!”

„Es ist hübsch. Ach, ich schnüre den Rock einfach etwas enger, wenn er rutschen sollte.“ Rajalind war froh, überhaupt wieder etwas Trockenes auf dem Leib zu tragen. Außerdem war sie nicht so anspruchsvoll, wie sie vielleicht aussah. Aber das konnte ja noch niemand wissen.

Jonata selbst streifte sich eine blaue Robe über, die deutlich weniger festlich und offiziell aussah als jene, die sie nun zum Trocknen am Fenster aufhängte. Sie griff nach einem dünnen Mäntelchen und einem Ledergürtel, schüttete das restliche Wasser aus ihren Stiefeln aus dem Fenster und schlüpfte in weichere Pantoffeln. Rajalind bekam ein paar lederne Sandalen zugeschoben. Jonata ärgerte sich ein wenig, denn ihre besseren Kleidungsstücke befanden sich alle noch auf dem Schiff der Herzogin und hier hatte sie nur ihre ungeliebteren und älteren Stücke. Die junge Rahjageweihte musste sich seltsame Gedanken über das fehlende Modebewusstsein der adligen Magierin machen... Mit wenigen Griffen richtete Jonata ihre Haare, die nun zu einem schlichten, nassen Dutt hochgebunden wurden und half Rajalind die vielen Knöpfe des Kleides zu schließen. Schließlich standen die beiden jungen Frauen wieder in dem Gang vor dem Schlafsaal und warteten auf die beiden jungen Männer. Sie sah zu der jungen Rahjani hinüber “Nun, was wollen wir Magister Blauendorn berichten? Soll ich einfach erzählen, was geschehen ist?”

„Gute Idee. Du scheinst ihm ja ergeben zu sein,“ antwortete Rajalind nickend. „Wie ist er denn so, dieser…Blauen…dings …?“ Herrje, Namenmerken waren einfach nicht das Ihrige.

Ergeben. Jonata hielt in ihrer Bewegung inne und starrte Rajalind irritiert an. War es so offensichtlich? Sie schluckte. “Magister Blauendorn ist ein angesehener und vielgereister Mann von großer Kunde in allerlei magischen Belangen und verdient allein durch seinen großen Schatz hesindegefälligen Wissens meinen höchsten Respekt und als mein verehrter Mentor meine große Ergebenheit”, begann sie dann sich zu rechtfertigen und bemerkte auf halbem Wege, wie ihr die Worte entglitten und sie kaum mehr aufhören konnte, sie wurde leider und leiser und verstummte schließlich peinlich berührt. Sie lief rot an und sah betreten zur Seite, wodurch ihr Blick auf eine kleine Gestalt fiel.

Eine der jungen Elevinnen stand im Türbogen des Schlafraumes der Studiosi im Cerebornsheim. Die schwere Eichentüre, welche üblicherweise ein Knarzen der eisernen Beschläge nach sich zog, stand weit offen, sodass der überraschte Blick der in den Räumlichkeiten Befindlichen den wachen Augen eines kleinen Mädchens begegnete. Es mochte nicht viel mehr als acht Götterläufe zählen, ihr langes dunkelblondes Haar war von den Schläfen beginnend seitwärts in strenge Zöpfe geflochten gewesen. Wilde Strähnen hatten sich aus der einstmals artigen Frisur gelöst. Ein blaues Augenpaar traf Jonata. Das Kind in der Türe, biss sich auf die Unterlippe, bevor es Rahjalind eine Antwortet gab: “Dieser Blauendorn …", belehrend schnitt die Stimme einen scharfen Tonfall an, “... ist mein Vater, ... irgendwie.” Jonata, die der Elevin mit dem Namen Nidari aus Schreingard keine Unbekannte war, konnte im anklagenden Tonfall wahrnehmen, dass dieser nicht der jungen Novizin zu gelten schien. Nidari tappte einige Schritte auf die beiden zu, blickte Jonata streng an. “Er hat mich an sich gebunden, indem er dem Bannstrahl des Praios´ entgegen trat. Er stellt die Frage der Schuldhaftigkeit der offenkundigen Schuld entgegen und zwingt mich in seinen Dienst.” Sie hatte Jonatas Blick während sie sich näherte nicht verloren. “Ergeben?”, fragte sie, dass es der jungen Candidata übel werden konnte, weil dieses Mädchen in ihrem Inneren irgendetwas auslöste. Nidari runzelte die Stirn brach den Blickkontakt ab und schaute dann die Rahjani an. “Wer bist Du denn?”

Irgendwie-Vater?….an sich gebunden?...gegen den Bannstrahl?…in den Dienst gezwungen?… Man sah der hübschen jungen Frau, die nun Kleidern der Schleiffenröchte trug, an, dass sie von den Worten des kleinen Mädchens verwirrt war. Mit einem Lächeln kam sie jedoch näher, strich sich das lange, noch immer etwas feuchte hellbraune Haar mit einer Hand übers Haupt, ein lockerer Seitenscheitel entstand, der ihr hübsches Gesicht recht passend rahmte. Ihr Haar besaß leichte Wellen. Ihre Augen umrandeten lange schwarze Wimpern. Grau-grün und freundlich und von einer inneren Wärme glühend blickten sie Nidari an, während sich die junge Frau zu der Kleinen hinabbeugte. Um ihren Hals baumelte eine feine Kette mit einem rosaroten Edelstein, der in Form einer Rosenblüte gearbeitet war. Ihren linken Unterarm und den Handrücken zierte ein mit roter Farbe gemaltes Kunstwerk aus floralen Mustern und rahjanischer Symbolik: Pferde, Weintrauben, ein Kelch, in sich verschlungene Ranken. Freilich nur für jemanden zuordnebar, der um diese Umstände wusste. „Ich bin Rajalind. Und wer bist du?“

Nidari musterte die junge Frau der Rahja, sie lächelte. “Ich bin Nidari aus Schreingard. - Du bist … anders.”, sie hatte nach einem passenden Wort gesucht, wusste nicht, das rechte zu wählen.

„Anders als Jonata?“ Die junge Frau lachte entzückt von diesem kindlichen Vergleich, der doch der Wahrheit entsprach, auf. „Stimmt.“

“Ein bisschen wie Mikail, nur anders. Kennst Du Mikail? Kannst Du auch so schöne Geschichten erzählen?” Sie hatte den Kopf seitwärts geneigt, als würde sie die Frage mit einem bohrenden Blick unterstützen. Sie suchte Antworten im Spiegel der Seele.

Sie besaß ein freundliches Wesen, das ganz anders war als das jener Gleichaltrigen, die in der Akademie lebten. Ihr Blick auf die Welt mochte freier sein, nicht beschränkt durch strenge Vorschriften, oder durch einem nach Vollendung strebenden Kopf, vor allem aber schien sie ohne Vorurteile. Manche mochten es naiv nennen. Ihr Interesse an dem trotzigen Wirbelwind mit den zerzausten Haaren war durchaus wohlwollend. Ihr Bedauern, den Genannten nicht zu kennen, war echt, ja fast so, als mache es sie traurig. „Tut mir leid, einen Mikell kenn ich nicht. Ist bestimmt ein feiner Mann...“ Bei dem Folgenden leuchteten ihre Augen wieder auf. „Oh, aber wenn du Geschichten magst, dann warte, bis wir unsere deinem Vater erzählt haben.“ Ein kurzer Blick über die Schulter zurück zu der Schleiffenröchte. „Wir gehen gleich zu ihm. – Hm, eine Frage!“ Ein fiel der freundlichen jungen Frau an dieser Stelle ein, das konnte Nidari aus dem Gesicht der Novizin herauslesen. Tatsächlich hatte Rajalind eine Bemerkung zu dem, was Nidari ganz zu Anfang über diesen Vater gesagt hatte, machen wollen. Doch ihr fiel ein, dass es nicht Aufgabe einer Dienerin Rahjas war, anzuprangern wie die Diener Praios‘ es beispielsweise taten, sondern Harmonie in die Herzen der Menschen zu bringen. Darum distanzierte sie sich von diesem Thema und sagte stattdessen: „Wer hat dir diese Frisur gemacht? Dein Haar möchte wohl nicht von Bändern festgezurrt sein, wie mir scheint.“ Sie lachte dazu. „Soll ich es dir schön machen?“

Nidari war unsicher in der Gegenwart der Novizin, sie wich aus und suchte Halt im Blick der jungen Magierin. Eine Reaktion, die Jonata so wahrscheinlich nicht von dem geheimnisvollen Wirbelwind erwartete. Was wusste Jonata schon über das Mädchen, das ihrem Lehrmeister vor vier Semestern an die Akademie gefolgt war? Einige Gerüchte über das Mädchen hielten sich hartnäckig: Sie habe einen Hochgeweihten des Praios ermordet, sie sei einem Götterurteil folgend an Corvinius gebunden, … Das Kind stand so da, nestelte mit den Fingern der Rechten unbedacht in einer der befreiten Strähnen. „Das Haar einer Elevin von Stand unserer ehrwürdigen Akademie muss immer streng, in meinem Fall zumindest gebunden sein, sonst lässt Corvinius mir den Topf aufsetzen …", begann sie die Worte des Lehrmeisters rezitierend, um eigene Worte der Entrüstung zu ergänzen: “… also den Nachttopf der Spektabilität, der das Haar so hässlich geschnitten macht. Sie ist eine wirklich hässliche Frau!” Wieder konnte Rahjalind etwas in ihrem Inneren spüren, als ob ein fremder Gedanke nach ihrem Geist drang. Die großen Augen Nidaris waren aufgerissen, als sie sprach: „Aber es will nicht gezwungen sein, deshalb macht es sich immer wieder frei!” Hatte das Mädchen die Lippen bewegt? Nun sprach sie: „Kannst Du mir denn so Haare machen, wie Du hast?” Aufblühende Begeisterung erfasste das kleine Herz, es schlug in schnellem Takt vor Freude und aufkeimender Erwartung.

Jonata verfolgte den Wortwechsel der beiden mit zunehmend verkniffener Miene. Als Nidari die Spektabilität als hässlich bezeichnete, zuckte sie kurz zusammen. Sie mochte Nidari, auch wenn sie sehr merkwürdig war. Das seltsame Gefühl, das die Gegenwart des Mädchens stets in ihr auslöste war nie ganz zur Gewohnheit geworden. Und natürlich wollte sie so schön sein wie Rajalind, wer konnte es ihr verdenken? Jonata schnaubte leise.

„Haare wie ich?“ erwiderte Rajalind, noch ganz von der Erfahrung gefangen, dass sie gerade die kleine Maid sprechen hörte, aber doch kein Ton aus deren Mund gedrungen war. Oder hatte sie sich nur getäuscht.

Nidari nickte eifrig, lächelte aufgeregt.

“Nidari, ich denke, dafür reicht uns die Zeit im Augenblick nicht. Wir sind in einer wichtigen Sache unterwegs und deine Haare können sicher noch ein wenig warten...” Sie wartete nicht auf die anderen, sondern marschierte mit festem Schritt in die entsprechende Richtung davon. Weshalb war sie bloß immer so spröde? Sie ärgerte sich ein wenig über sich selbst, bemühte sich jedoch, die Gedanken in Richtung des anstehenden Gespräches zu lenken.

Die Lippen Nidaris waren zusammengepresst, Enttäuschung stand ihr im Gesicht. Sie hatte die schöne junge Frau gesehen und wollte doch nur … Jonata ist gemein. Sie blickte Jonata wütend hinterher: “Du fährst im Wasser des Missklangs zwischen Jung und Alt, hältst dich für eine der Großen und weißt selbst ein Nichts, den Streit zu schlichten; so blickst du dich um und bist ganz klein, da der Schabernack hier nicht zu finden ist.” Die Elevin war von Emotion ergriffen, die Augen zeigten aufkommende Tränen. In dem Bewusstsein, sich keine Blöße geben zu wollen, ließ sie die Rahjani zurück und rannte Jonata hinterher, drückte sich an ihr durch den Türbogen vorbei und ließ Schluchzen und Bitterkeit nachklingen, als sie verschwand.

Rajalind wollte eben noch etwas sagen, als das Mädchen Jonata rennend folgte. So raffte denn auch die Novizin den bauschigen Rock und machte sich daran, beide einzuholen. „Nidari, warte!... Was du da eben sagtest,“ fing sie an, dem Faden des so abrupt beendeten Gesprächs im Laufen aufzunehmen und folgte an Nidaris Seite den schnellen Schritten Jonatas . „Mit deinen Haaren! – Wie hast du das eigentlich“ gemacht wollte sie sagen, aber sie entschied sich für „gemeint?“ Wobei ihr auffiel, dass auch dies auf mehrere Aussagen der kleinen Magierschülerin passte. Auch auf die unausgesprochene.

Nidari hatte das Eingangsportal von Cerebornheim durchschritten, die Türe noch in der Hand. Sie war nicht stehen geblieben, blickte sich um und sah die beiden jungen Frauen wenige Schritte entfernt hinter sich im Flur. Auf das Wort der Novizin antwortete die Elevin: “Ich habe nichts gemacht, die Kleinen haben keine Meinung!” Dann knallte die schwere Eichentür in den Riegel. Das hatte ihr wenige Sekunden Vorsprung verschafft, während Nidari über den Hof flink davon in Richtung Madator des Hauptgebäudes lief. Sie hatte ihre einfache Robe über die Knie gerafft und hastete davon.

Fragend blickte Rajalind zu Jonata und wirkte erneut betroffen, als täte ihr leid, was passiert war, doch verstünde sie trotzdem kein bisschen von alledem. „Was hat sie denn? Ich habe doch nur… Ich wollte doch nur...“ Die Novizin seufze schwer, während sie den Rest ihrer Fragen verwarf. „Wie macht sie das eigentlich, dieses…Kopfding?“ Deutlich für Jonata gestikulierte die junge Rahjani mit den Händen auf Kopfhöhe. Wie jemand, der gerade im Begriff war zu verstehen, dass ein anderer die eigenen Gedanken lesen konnte, war die Zweibruckenburg entsprechend aufgöst.

Wer hatte nun mit Missklang gesprochen? Jonata zuckte betont unbeeindruckt mit den Schultern. “Sie ist eben...besonders.”, seufzte sie “Und macht sich mit diesem Kopfding - wie du es nennst - nicht viele Freunde. Ich denke, sie wird sich schon wieder beruhigen. Doch keine Sorge, die Worte waren nicht an dich gerichtet, sondern an mich. Du hast also nichts falsches gesagt.”

„Oh, da bin ich aber beruhigt.“ Noch einmal atmete Rajalind aus und schmunzelte dann über die Courage des kleinen Sonderlings. „Die Kleine hat schon einen starken Charakter.“

Die Schleiffenröchte schüttelte missbilligend den Kopf. Nidari hatte sicherlich viele Stärken, aber an Höflichkeit mangelte es ihr leider. Und zu Höflichkeit gehörte nun mal auch, nicht ungefragt in die Köpfe anderer zu blicken. “Nidari hat noch nicht gelernt, dass es einen Unterschied zwischen schönen und unschönen Wahrheiten gibt und letztere aus gutem Grund selten ausgesprochen werden.”, sagte sie dann, ohne den verstimmten Tonfall ganz aus ihrer Stimme bannen zu können.

Rajalind merkte das, darum kam das Folgende vorsichtig aus ihrem Mund: „Du, … sie hat vorhin gesagt, dass sie an deinen Lehrmeister gebunden sei und dass er sie in seinen Dienst zwinge. Was meint sie denn damit? Ist das etwa eine dieser Wahrheiten, von denen du sprichst?“

Jonata zuckte mit den Schultern. “Was genau es damit aufsich hat, weiß ich auch nicht. Ich bin jedoch der Meinung, sie sollte diese Dinge besser für sich behalten. Nicht, dass sie an die falschen Ohren gelangen und ein negatives Bild auf unseren Lehrmeister geworfen wird...” Sie lächelte Rajalind leicht zu. “Das alles hat mit dir aber nichts zu tun, du brauchst dir also keine Gedanken zu machen. Lass uns gehen, hoffentlich kann der Magister uns helfen...”

In der Schreibstube des Blauendorn

Candidata Jonate hatte gewusst, dass eine audiencia bei dem Magister Blauendorn bei Adepta minora Elissa sal Hana angemeldet werden müsse, bevor die jungen Leute vorgelassen würden, dafür würde Magsitra Neetya Sorge getragen haben. So hatten sie sich nach Argelionsheim begeben, um zur Sprechstunde bei der Hilfskraft des Magisters vorstellig zu werden. Jenes der vier Nebengebäude der Akademia Elenvinensiens war für den Lehrkörper bestimmt; das Arbeitszimmer des Blauendorn lag am hinteren Ende. Der Zugang zum Turm der ehemaligen Spektabilität Gaius Cordovan Eslam Galottas war über einen Treppenaufgang in unmittelbarer Nähe der gesuchten Schreibstube gelegen. Jonata mochte die Herausforderung ihrer erfolgreichen Prüfung erinnern, als ihr Lehrmeister intendierte Moral und Tugend einer Adepta der Akademie der Herrschaft an ihr examiniert hatte. Die Candidata Schleiffenröchte saß mit Rahjalind, auf einer harten, abgewetzten Holzbank, welche in Mitten des Flures den Wartebereich markierte. Einem flüchtigen Blick folgend, wann sich die Türe des gesuchten Studierzimmers endlich öffnen würde, war es unerlässlich, dass sich dem Sichtfeld des Betrachters die verschlossene Türe des letzten Raumes am Ende des Flurs eröffnete: Das Zimmer für Gastdozenden der Akademie. Jonata mochte den Adeptus magnus Nohanwoll von Fuchsberg noch auf der Schwelle erinnern, so könnten ihre Gedanken ein unbequemes Gefühl in der Magengegend hervorrufen. Ebenfalls hatte man nach dem jungen Krieger Welf geschickt, welcher sich folgend den Wartenden angeschlossen hatte.

Er war in eher unpassende zivile Kleidung des rettenden Nachwuchszauberer gehüllt, dehnte sie dabei gerade an den Schultern deutlich aus. Wirklich glücklich - in irgendeiner Form glücklich - sah er wirklich nicht aus. Irgendwie deplaziert, gerade da er versucht hatte das meiste seiner wenigen Insignien weiterhin mitzuführen, wie auch das schwere Gehänge über dem Heimatkleid des Nordens... Die schiere Größe dieser Akademie alleine ließ ihn schon etwas kleiner wirken. Geschweige denn die ‘Macht’ ihrer Schüler und Meister. Jeder Gedanke daran brachte den Körper des Kriegers zum kurzen Zucken.

In der schlichten Umgebung des Flures schien ein jedes Sandkorn, das dem Stundenglas vergeht, gespalten in unzählige weitere. Die Blicke fanden an den einfachen Wänden keinen Halt. Die Umgebung eröffnete den Wartenden eine Prüfung ihrer Selbstbeherrschung. Ein gesprochenes Wort im stumpfen Flur würde Widerschall erfahren, sodass Stille gemessen sei.

Anfangs hatte Rajalind die unsägliche Stille noch mit dem Summen eines Liedes bezwingen wollen. Doch hatte sie recht schnell festgestellt, dass das Erdrückende mächtiger war, und aufgegeben. Nun ließ sie lediglich die Füße unter Jonatas Rock hervorblitzen und zappeln.

Jonatas Blick lag auf den zappelnden Zehen. Sie verkniff sich ein amüsiertes Grinsen.

Als die harte Holzbank den Wartenden anhaltend unbequem wurde, die Stille an den Nerven der Gäste zehrte und Gedanken sich ins Innerste gekehrt hatten, öffnete sich die Tür des Magisters.

Eine junge Frau, welche noch keine dreißig Sommer zählen mochte, trat aus der Türschwelle hervor. Ein aufmerksamer Betrachter wusste der Adepta aranische Gesichtszüge zuzuordnen, auch die zierliche kleingewachsene Statur konnte tulamidische Wurzeln bestätigen. Sie trug eine einfache eisgraue Robe ohne Kapuze. Das weiße Unterkleid zeigte Saum von kostbarer Spitze im Ärmelaufschlag der Robe. “Candidata Schleiffenröchte, bitte führt die Besucher in das Zimmer des Magisters.” Die Adepta bot den Besuchern in der Studierstube des Blauendorn einen Platz.

Drei Hocker waren platziert worden. So saßen Jonata, Rahjalind und Welf aufrecht vor einem ausladenden Schreibtisch, hinter welchem Magistra Neetya neben dem auf einem Lehnsessel befindlichen Magister Corvinius Praiolan von Blauendorn stand. Die Adepta minora schloss die Türe von außen und war nicht weiter zugegen.

Der Magister nahm sich Zeit, um die Besucher zu betrachten. Dabei ließ er seinen Blick forschend an der jungen Candidata haften, nachdem er die Novizin der Rahja sowie den jungen Krieger gemustert hatte. Corvinius mochte noch keine vierzig Götterläufe zählen, was angesichts seiner Reputation als ausgezeichneter Magus und Magister auf seinen Ehrgeiz und Potenzial schließen ließe. Eindringlich war der Blick seiner graublauen Augen, beinahe als würden sie in den Spiegel der Seele eines Menschen sehen. Er war von mittlerer Statur und trug eine Leinenrobe in einem taupeblau, auf welcher eine Schrift des Nandurion am Saum beginnend quer bis zum Herzen führte. Der Saum der Ärmel und der Kapuze, welche sein Gesicht umrahmte, war von kostbaren goldenen Fäden einer Borte geschmückt. Auf dem Arbeitstisch war ein Spitzhut in einem dunkleren Blau platziert, welcher mit einer großen weißen Schwanenfeder geschmückt war. Sein Magierstab lehnte an seinem Stuhl – eine Kugel war in die Spitze eingelassen, magische Sigillen in das helle Holz gebrannt worden, ein Medaillon an einem Lederband zu Ehren der Herrin Hesinde zierte den Stab zwei Spann oberhalb eines zum Griff umwickelten Bereichs. Am Hals des Magisters hing das Symbold des Praios. Eindringlich hatte er sie gemessen. Dann erhob der Blauendorn das Wort: “So haben Euch die Schicksalsfäden miteinander verknüpft, um …", seine Augen schienen borend, “... eine Prüfung … zu bestehen, ...” Der Magister neigte den Kopf seitwärts, fragend: “ … etwas zu suchen …” Corvinius neigte sich vorwärts und lächelte Jonata zu. “Candidata Jonata von Schleiffenröchte, ich hoffe Eure Exkursion ist Eurem Prüfungsthema zuträglich erfolgreich. Konntet Ihr dem Phänomen, welches dem Sternenfall gleichkommend auf das Sphärenbeben referiert, Gewissheit hinsichtlich der Auswirkungen auf die Globulen feenmagischer Repräsentationen eruieren?” Die rechte Hand bot öffnend die Handfläche zu einer Geste, dass der Lehrmeister seiner Schülerin das Wort gab. Hochgezogene Augenbrauen unterstützen die Mimik. Seine Erwartungen schienen bedeutungsvoll, er war von Magistra Neetya über die Umstände ihrer Ankunft ins Bild gesetzt worden.

Prüfungsthema, Sternenfall, Sphärenbeben, feenmagische Dingens….? Das Gesicht der jungen Rahjani machte deutlich, dass sie gerade kein Wort verstand. Weil allerdings nur Jonata angesprochen war, betrachtete Rajalind lieber entzückt das schöne Ornat des Zauberers.

Die junge Magierin wog ihren Kopf langsam hin und her. “Ich bin der Sache näher gekommen und auf der Spur, vermag aber noch keine konkreten Thesen aufzustellen. Die Vorkommnisse, von denen wir Euch gleich berichten werden, können womöglich aufschlussreich sein vor allem hinsichtlich Globulen, der Bewegung zwischen genannten und ganz allgemein des Astralwirkens der Fae.“

Wäre Jonata allein zu ihm gekommen, hätte er sie an dieser Stelle mit Worten umarmt und der werdenden Adepta sein Wohlwollen ausgesprochen. Die Erfahrungen schienen aufschlussreich und vermochten eine dienliche Grundlage der Facharbeit zu sein. Allerdings war Magistra von Eslamsgrund zugegen, sodass Corvinius sparsam mit Lob und Emotion lediglich ein wissendes Nicken anbot.

„Doch bitte, lasst mich Euch erst einmal die anwesenden Personen vorstellen, die unbeabsichtigt so wie ich Zeugen der Vorkommnisse wurden und sich nun ebenfalls dieser Prüfung stellen müssen.” Sie atmete durch und ließ den Blick schweifen.

Der Magister hatte mit einer Geste sein Interesse an den Gästen bekundet, schien allerdings mit seinen Gedanken parallel der Vorstellung einen anderen Diskurs zu reflektieren.

“Dies ist die werte Dame Rajalind von Zweibruckenburg, die der Herrin der Freuden dient und sicherlich bald ihre Weihe empfangen wird. Verzeiht ihren Aufzug, dies ist meine Schuld. Normalerweise ist sie natürlich standesgemäß gekleidet, doch führten die Umstände dazu, dass ich ihr kurzerhand eine Tracht meiner Heimat zur Verfügung stellen musste.“

„Ach, das ist schon in Ordnung,“ gab Rajalind tröstend von sich und legte Jonata sanft die Hand auf deren Unterarm. Anschließend lächelte sie den Magister an. „ich finde es hübsch.“

„Und dieser junge Herr zu meiner anderen Seite ist mein...”, sie überlegte kurz “…Großcousin Hilberan Welferich von Schleiffenröchte”, unsicher warf sie ihm einen Blick zu. Sie kannte ihn bloß als Welf und war sich bezüglich seiner Vornamen nicht sicher. „Er besucht die Kriegerschule hier in Elenvina und ist außerdem, so man denn den Erzählungen trauen darf, ein tüchtiger Jäger.”

Welf hatte durchaus merklich gezuckt, als Jonata zuerst den Bastard und dann ihren eigenen Verwandten vorgestellt hatte... Bei ihre kurzen Beschreibung neigte er sich bestätigend. “Praios zum Gruße, ehrenwerter Herr Magister.” Grüßte er ihn knapp.

Die Jeweiligen mit einer freundlichen Geste grüßend ließ es sich Corvinius nicht nehmen, sich seinerseits ins Zentrum zu rücken: “Habt Dank, Candidata. Vor Euch befindlich, wie die Gäste sicherlich schon in Erfahrung gebracht haben, namentlich der Magus Corvinius Praiolan von Blauendorn, Magister ordinarius magna controllarius. Ich darf mich glücklich schätzen, Studiosa Jonata von Schleiffenröchte mit meinem Wissen zu fördern und ihre Prüfungen zur Adepta minora als Mentor zu begleiten. So erklärt es sich, dass meine Aufmerksamkeit zunächst ihren magiewissenschaftlichen Fortschritten hinsichtlich ihrer Aufgabenstellung galt. - Eine hesindianische Tugend, welche der Etikette wohlfeil nachsichtig zu ehren ich hinten an zu stellen beschloss. Und ich möchte es mir an dieser Stelle nicht nehmen lassen, hervorzuheben, dass die Academia in dem Ruf steht, einen guten Kontakt mit dem Klerus der Zwölfgöttlichen Ordnung zu pflegen sowie der ehrenhaften Kriegerschule zu Elenvina im respektvollen Umgang Relation definiert. Insbesondere gilt es …”, Corvinius bedachte Magistra Neetya mit einem vielsagenden Blick, “... Candidata von Schleiffenröchte für ihre bisherigen Prüfungsleistungen bisweilen hervorzuheben.”

Die Magistra legte den Kopf schief. „Sicherlich. Es obliegt eurer Entscheidung als Mentor dies entsprechend zu proklamieren.“ Sie selbst schien nichts dagegen zu haben, wie Jonata ihr wohlwollendes Nicken verriet.

Der Magus schlug die Augen nieder. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, seine rechte Hand hielt ein Pergament. Er ließ das ehemals gesiegelte Rechteck des gefalteten Pergaments wie in einem Spiel durch seine Finger gleiten, bis es mit der Kante auf dem Schreibtisch aufkam, dann umfassend an gegenwärtiger Unterkante ergab sich ein gleichmäßiges Kreisen des Briefes in seiner Hand. Es schien bedeutungsvoll, zumindest konnten aufmerksame Beobachter, das Siegel dem Hause vom Großen Fluss und vom Berg zuordnen. “Ich bin gespannt, wie die Schicksalsfäden auf den Fortschritt Eurer Queste einwirken.”

Jonata sah ihre Begleiter allesamt freundlich an “Ich würde nun berichten was geschehen ist, doch bitte - wenn ich etwas falsch in Erinnerung habe oder meine Interpretationen in die falsche Richtung verlaufen oder ich gar etwas vergesse, so hakt bitte ein und korrigiert meine Worte...”

Rajalind wunderte sich über die seltsame Sprache, die diese Magier von sich gaben. Sie verstand von allen die junge Schleiffenröchte noch am ehesten.

Da sie ihren Arm um Jonata gelegt hatte, konnte ihr nicht entgangen sein, wie diese unter dem Lob ihres Mentors angefangen hatte, etwas zu schwitzen. Sie hing an den Lippen ihres Lehrmeisters.

“Sollten die abwesende Magistra oder der Blauendorn die Notwendigkeit einer Vertiefung der Darstellung wünschen, so zeigt Euch bitte nicht eingeschüchtert, da wir eingreifen, um Eure Schilderungen zu unterbrechen. - Bitte Jonata, Ihr habt das Wort.” Jonata kannte Corvinius. Er war gewiss ein Mann vieler Worte und mochte den Geist der Studiosi in komplexer Grammatik und Artikulation verwirren, doch wusste Jonata diese Eigenschaft insbesondere der Anwesenheit der Magistra von Eslamsgrund zuzuschreiben. Im privaten Umfeld war Magister Blauendorn seinen Schülern und Schülerinnen ein aufmerksamer Zuhörer und liebenswerter Unterstützer, zumindest jenen, die er in sein Herz geschlossen hatte. Dass die Magistra in der Sache, der Jonata gemäß Einladung aus Hohem Hause nachkam, hier zugegen bliebe, könnte die Candidata irritieren.

Adepta minora Elissa sal Hana indes war bereits instruiert, den jungen Studiosus Marborad von Winterspitz in das Studierzimmer des Blauendorn zu zitieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass der ehrgeizige Schüler im Schlafraum der Studiosi verblieben war, hatte die Vertraute des Magisters ausgeschlossen – derartiger Müßiggang hatte an der Akademie keinen Raum, würde mit Sicherheit eine Lektion nebst Strafe nach sich ziehen und Marborad war diesbezüglich nachhaltig gezeichnet. Wahrscheinlich würde Winterspitz seine Strafarbeit im Geheiß der Spektabilität vollenden müssen, sodass sie ihre Schritte zuvorderst in Richtung des Madators der Aula magna lenkte. Magistra von Eslamsgrund hatte Corvinius in aller Ausführlichkeit informiert, was in Konsequenz der langen Wartezeit, die sich eröffnet hatte, auf einen anhaltenden Diskurs referierten mochte. Adepta Elissa hatte Stellungnahme zu Positur und Gebaren bestimmter Studiosi abgegeben und der Magister hatte eine Entscheidung durchgesetzt. Ausstehende Konsequenzen standen an, getragen zu werden. Eilenden Schrittes durchquerte Elissa die große Halle und betrat den Praiosflügel. Ihre Stimmlage stand im Gegensatz zu der Zartheit ihres Äußeren, als sie die Türe des Waschraumes aufriss: “Winterspitz, mitkommen!”

Marborad hatte gerade wieder seine Arbeit aufgenommen, die zuvor so schändlich unterbrochen worden war und mit einem tiefen Seufzen auf die noch vor ihm stehenden Nachttöpfe geblickt, die wie ein drohender Berg über ihm aufragten. Er hatte den Großteil der Nachttöpfe bereits gereinigt und wäre mittlerweile wohl längst fertig gewesen, wenn die Störung in Form einer mehr als verstörend auftauchenden Jonata und ihrer klatschnassen Begleitung nicht gewesen wäre. Ein Thema, das zu ergründen ihn in den Fingern juckte, doch seitdem er sich bereits einmal in Jonatas Belange eingemischt und einen hohen, äußerst stinkenden Preis dafür gezahlt hatte, hielt er sich lieber erst einmal zurück. Als nun auch noch die Tür aufgestoßen wurde, hob Marborad den Kopf, strich sich mit dem Handrücken eine lose gewordene Strähne zurück in sein geflochtenes Haar und hob die Brauen, ehe er sich eilends erhob. “Sehr wohl!” erklärte er und trat noch hinüber zu dem Bottich voller klarem Wasser und Seife, wusch sich den Unrat von den Händen, welche er an einem beistehenden Tuch abtrocknete und ging zur Tür.

Elissa sal Hana bedachte den Studiosus mit einem abfälligen Blick. Sie rümpfte die Nase. “Winterspitz, Ihr werdet die Strafe des Fuchsberg bis auf Weiteres aussetzen. Folgt mir, denn Ihr werdet in das Studierzimmer des Blauendorn zitiert, um Euch einer aufgeschobenen Konsequenz zu stellen. Die Nachttöpfe müssen warten!” Die zierliche Adepta machte Anstalten, sofort aufzubrechen: “Keine Zeit, sich fein zu machen!”

Marborad blinzelte, sagte aber nichts. Er hielt es für unklug weitere Anstalten zu machen oder gar aufzubegehren. Es würde sein Ansehen beim Blauendorn zwar wohl nicht positiv aufwerten, wenn er mit einer Robe, die vom vielen Knien an entsprechenden Stellen aufgeraut und hell war bei ihm vorstellig wurde, aber Widerrede gab er bereits seit einiger Zeit keine mehr. Still sein. Höflich sein. Zuhören und lernen. Der Studiosi nickte: “Wie ihr wünscht, ich folge euch auf dem Fuße.”

Gemeinsam kehrten sie der Waschstube den Rücken. Die Adepta minora ging schnellen Schrittes voraus. Die Aula magna erreicht, richtete sie das Wort an Marborad: “Studiosus, wie steht Ihr momentan zu Candidata Jonata von Schleiffenröchte?” Sie hielt inne und blieb stehen.

Marborad hob eine Augenbraue, was ihm einen mehr als skeptischen Ausdruck verlieh. Was war das denn für eine Frage? Doch schnell glätteten sich seine Gesichtszüge wieder. “Die verehrte Dame von Schleiffenröchte und ich hatten Differenzen. Oder zumindest hatte sie Differenzen mit mir. Ich habe einen Fehler gemacht, der ihr zu Lasten ging, wenngleich meine Absichten auch edel und gut gewesen waren. Ich hatte viel Zeit über meine Fehler nachzudenken”, erwiderte Marborad. Und darüber, dass es sich selten auszahlt für andere in die Bresche zu springen, dachte er bei sich. “Und ich hoffe, dass sie mir verziehen kann. Ich selbst hege keinen Groll gegen sie - wofür auch?” Immer positiv bleiben. Wo die Götter eine Tür schlossen, öffneten sie ein Fenster und Marborad hoffte, nein – er würde dafür sorgen, dass auch dieser Rückschlag irgendwann einmal positiv für ihn ausgehen würde.

Elissa ließ Marborad ausreden und hielt ihre Mimik ausdruckslos. “Ein Konflikt ...”, schloss sie, “... in edler und guter Absicht?” Sie hatte es plötzlich wieder eilig. “Ihr werdet noch weitere Zeit über diesen Konflikt nachzudenken haben! - Die Lektion wird Euch zu erreichen wissen, dann … werde ich Euch erneut fragen, wie Ihr zu Jonata steht.” Sie führte Marborad hinüber nach Argelionsheim, wies ihm die leere Bank und besah ihn eindringlich. Dann zwinkerte sie dem jungen Mann zu und meinte: “Ich bin gespannt, wie Ihr die blauendornsche Lektion aufnehmen werdet.”

Marborad gab sich redliche Mühe nicht verunsichert auszusehen, während sein Geist alle Möglichkeiten durchging, die dieses Gespräch womöglich eröffnet oder angedeutet hatte. Eine Lektion vom Blauendorn – war ihm die Bestrafung des Fuchsberg bisher zu milde gewesen? Hatte Jonata noch einmal mit ihm gesprochen – darauf mochte die Frage der Adepta deuten, doch es passte nicht in das Profil, dass Marborad in seinem eigenen Verstand für Jonata angelegt hatte. Es brachte nichts – er würde dieses Rätsel nicht durch herumsitzen lösen, also blieb ihm nichts weiter übrig als zu warten.

Daraufhin trat die Hilfskraft des Magisters an die Türe des Studierzimmers, klopfte dreimal und öffnete die Türe einen Spalt. Einem Blickkontakt nach zog sie die Tür wieder zu. Sie schaute Marborad streng an, seinerseits er auf der Bank sitzend in niederer Position, als sie sich dem jungen Studiosus gegenüber an die Wand lehnte.

Während Marborad aufgefordert war, seine Gedanken um eine ausstehende Straflektion des Blauendorn kreisen zu lassen, was seinen Geist zermürben sollte, wartete Corvinius das Fortfahren des Berichts ab.

Die Anwesenheit der Lehrmeisterin Magistra Neetya von Eslamsgrund, welche im Hintergrund neben dem Magister stand, konnte verschieden gedeutet werden: Sie war den Umständen der Ankunft gemäß beteiligt und hatte ein Recht, einbezogen zu werden.

Welf straffte sich noch ein wenig, immerhin war es ja die Kleidung des Magierschülers, die er gerade ausführte oder ausleierte... Von einem zum nächsten dieser Zauberer, und dem ganzen anwesenden Weibsvolk, wandelten seine Blicke. War er der einzige nicht magisch begabte hier? Nun... die Novizin sicher auch noch. Andererseits sagte man den hübschen Frauen ja so einiges nach... Doch es wäre weder höflich, noch Welfs Interessen zuträglich, wenn er seinen Blick noch länger auf jener ruhen ließe – also riss er ihn herum, und fixierte den Magister, der ihre abenteuerliche Geschichte zu hören bekommen würde. Wachsam, ob er nicht etwas ergänzen könnte... oder eher... etwas von diesem seltsamen Traum verstehen.

Corinius versicherte sich dem gemeinsamen Abkommen mit einem Blick zur Magistra, die nickte auch diesmal. “Entschuldigt die Störung der Adepta Elissa, sie hat mir signalisiert, dass meine Anweisungen bereitet wurden. Bitte lasst uns den Ausführungen der Candidata Jonata aufmerksam zu folgen. – Jonata, sprecht frei.”, Corvinius lächelte ihr milde zu.

Jonata räusperte sich leise, als nun Ruhe eingekehrt war. “Wie Ihr wisst, hatte ich die Ehre, von Ihrer Hoheit, der Herzogenmutter Gimberta vom Berg zu einer Flussfahrt eingeladen worden zu sein. Außer meiner Person und den hier anwesenden beiden waren sieben weitere junge Leute eingeladen. Kriegergesellen, Knappen sowie einige Novizen der Zwölfgötter. Unter jenen der Euch wohl bekannte Novize der Herrin der Weisheit, Quintus von Münzberg, meine Freundin Imma von Schellenberg, die herzögliche Schreiberin, sowie zwei Zwerge: Lagorasch, der in Begleitung einer Schlange unterwegs war, mit dem ich leider jedoch nicht viele Worte wechseln konnte sowie ein gewisser Herr Borax. Vor allem Lagorasch dürfte im folgenden Zusammenhang interessant sein: Er stellte sich als Diener der Erdmutter vor, als Gefährte des Wassers und als ein Lehrling eines Gesandten des Flussvaters persönlich. Ich habe natürlich aufgehorcht, wusste zu diesem Zeitpunkt jedoch mit diesen Informationen noch nicht allzu viel anzufangen…. Der erste Tag der Flussfahrt verlief verhältnismäßig ereignislos, viele Gespräche, freundliches Beisammensein, sich Bekanntmachen...“

Die junge Rahjani, die erst am Morgen des Tages nach Ablegen zu der Reisegruppe um die Altherzogin gestoßen war, atmete an dieser Stelle erleichtert auf. „Oh gut, dann habe ich ja nicht so viel verpasst.“ Sie errötete im Folgenden schamhaft, als ihr auffiel, dass für die anwesenden Magier erst jetzt klar wurde, dass sie später hinzugestoßen war. Aus welchen Gründen auch immer.

Es war die Magistra von Eslamsgrund, die sich vorbeugte: „Ihr reistet also nicht von Anbeginn der Schiffsreise mit Ihrer Hoheit?“

Sie hatte sich gefreut, dass es für die Herzogenmutter nicht weiter von Interesse gewesen war. Nun fühlte sich Rajalind von ihrer Trödelei doch ein ganz klein wenig unangenehm eingeholt. „Ja, ich kam in Elenvina an, als Ihre Hoheit schon abgelegt hatte und… reiste nach.“

„Verstehe.“ Kam es von der Magistra, die im Folgenden mit einer kleinen Geste signalisierte, dass sie keine weiteren Fragen besaß. „Bitte, Schleiffenröchte, fahre sie fort“.

Diese nickte. „Wobei ein Punkt nicht vergessen werden sollte: Die Herzogmutter bat uns, uns einem Test zu unterziehen. Sie hatte in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Vampirismus gemacht, sodass jeder der Anwesenden eine Kette umlegen musste, die von den Zwölfgöttern geweiht worden war und deren Berührung sicherstellte, dass wir selbst keine Vampire waren.” Jonata überlegte kurz, ob irgendwas weiterhin Relevantes vorgefallen war, konnte sich jedoch nicht erinnern.

In der Tat hatte er vorsichtig und militärisch knapp etwas einzuwerfen. Das was Welf am liebsten und voller praiosgefälliger Rechenschaft tat... Standesdünkel schüren und Ehrverletzungen in Erinnerung bringen. Eventuell könnte es hier allerdings auch nutzbringendes Wissen sein. “Wir hatten einen von Tannenfels und eine von Hartsteig an Bord... ob der verruchten Familien’traditionen’ dieser Häuser aus wird diese Vorsichtig zu verstehen gewesen sein. Jedoch reagierte keiner der Anwesenden negativ...” Vor allem nicht das doppelt geprüfte Haus Schleiffenröchte, dachte er sich schmunzelnd.

Der Blauendorn hatte aufmerksam zugehört und rief sich die Ergebnisse der astralen Analyse seines … sollte ich den Diener der Rahja einen Freund nennen? Gemeinsam haben wir im Folgejahr der Ereignisse auf der Concabella dem Rahjawein zugesprochen, doch so weit, Rahjan Bader einen Freund zu nennen, war es nicht gediegen. Corvinius sträubten sich die Härchen auf den Unterarmen, als hätte ihn ein kalter Schauer erfasst. “Ihr solltet sie beim korrekten Namen nennen, welcher diese Existenzen von jenen aus den Märchen ungebildeter Köhler und Dörfler unterscheidet. - Die Wissenschaft heißt jene einen Götterverfluchten. Ein auffälliges Kennzeichen jener Art ist, dass diese eine negative Affinität zu jenen Göttern ausprägen, welchen sie im Leben zuvorderst gedient haben.” Der Magister musterte die Rahjani eindringlich, bevor er fortführte: “Euer Gnaden Rahjan Bader, Diener der lieblichen Göttin reagierte, infiziert mit dem Blut einer Götterverfluchten Seele, als prägten sich ihm unerbittliche Schmerzen aus, so man ihn mit der Nähe einer körperlichen Umarmung prüfte. Infolge ließe sich die These stützen, dass einem Götterverfluchten des Namenlosen der Kontakt zu geweihten Artefakten der Zwölfgötter Schaden mache, da jener in seiner Gesamtheit dem Zwölfgöttlichen Glauben widersagt.” Er erinnerte die Hilflosigkeit der Magie; neben einer ausführlichen Analyse, es hatte sich als wirksames Mittel erwiesen jene Gefallene zu identifizieren und zu überführen, hatte er seinerzeit nichts gegen den Einfluss des verderbten Blutes, welches sich am Sirkaryan des Wirtskörpers nährte, tun können. “Candidata Jonata, bitte erinnert Euren Lehrmeister zu gegebener Zeit daran, Euer Hochwürden Ivetta von Leihenhof um einen Exkurs der magica curativa hinsichtlich der Besonderheiten Götterverfluchter Wesenheiten zu bitten, wenn sie als Gastdozentin erneut an die Akademie herantritt. Fahrt fort mit Eurem Bericht.”

Gespannt horchte Jonata den Ausführungen ihres Lehrmeisters. Einige der Details waren ihr neu und vor allem die Erwähnung eines verfluchten Rahjaeweihten war besorgniserregend. Allerdings schien Magister Blauendorn die Sache unter Kontrolle zu haben, ja sogar erforscht zu haben. Neugierig beobachtete sie Rajalinds Regungen, als Ihro Gnaden Bader erwähnt wurde.

Bei der Nennung des Namens reagierte sie nicht, er sagte ihr wohl nichts. Indes ließen sie die Umstände der vampirischen Verfluchung an einem Mitglied ‚ihrer‘ Kirche den hübschen Mund zuerst weit aufreißen und einen Moment lang sprachlos verharren, ehe sie ihn wieder schloss und sachte den Kopf schüttelte, als wolle sie das alles nicht gehört haben.

Die Schleiffenröchte besann sich also wieder auf den Verlauf der Ereignisse: “Wir fuhren also den Fluss entlang, wobei dieser vor allem morgens in starken Nebel gehüllt vor uns lag. Wir waren kurz vor Klippag, als wir auf einmal Stimmen vernahmen, sie waren laut und klangen...verzerrt. Es war ein Streit zwischen einem Mann und einer jungen Frau. Währenddessen erhoben sich die Wasser um unser Schiff, durchnässten uns alle, schlagende Wellen brachten es zum Schlingern. Unser Schiff war nicht das einzig betroffene, es traf auch einige Kähne von Händlern auf dem Fluss, überall war nun Geschrei und Aufruhr. Dann, der Streit ging noch weiter, die Worte verstand ich jedoch nicht, hörte der Fluss plötzlich auf, zu fließen.”

Erneut ergänzte der Krieger kurz die Ausführungen seiner Großcousine: “Eine starke und voller Mannbarkeit strotzende Stimme schimpfte eine kindlich und kraftlos klingende Stimme eine Kaulquappe und Larve – weil sie wohl etwas Respektloses getan hatte. Sie verteidigte sich meiner Erinnerungen danach damit, dass sie nur Spaß in sein Reich zurückbringen wollte.”

Corvinius schien erneut des parallelen Denkens beflissen, während er zuhörte. Diese Tatsache war seiner Mimik zu entnehmen, indem er einerseits einen wachen Blick ins Diesseitige tat und gleichzeitig Stirnrunzeln und einwirkende Gesichtsmuskulatur die Beschäftigung seines Geistes bezeugten.

Kurz machte die junge Magierin eine Pause, um ihre Worte wirken zu lassen.

„Was meint Ihr mit ‚er hörte auf zu fließen‘?“ Kurz teilte Magistra Neetya einen prüfenden Blick mit ihrem Collegen Corvinius, ehe ihr Augenmerk wieder interessiert zu Jonata fuhr.

Der Magister nickte zufrieden, strafte die Collega mit einem abwertenden Blick. “Collega von Eslamsgrund, Ihr könnt jenen Nebel nicht mit Eurem Geist erfassen, welcher jene Sphären voneinander trennt, wenn Ihr ihn nicht selbst durchschritten seid. Die blauendornsche Schülerin erwägt an dieser Stelle einen Übertritt in …”, er musste kurz überlegen, sich korrekt auszudrücken, “... einen Gradienten, wie man die Verbindung unserer Sphäre in die Anderswelt einer Feenglobule wissenschaftlich definiert.” Corvinius hatte begonnen an seinen Fingerspitzen zu kauen, was die Beschäftigung seines Geistes bewies. Er tat seine Schlussfolgerung mit unverrückbar Selbstsicherheit, während er in Gedanken seine Erfahrungen, während des Durchquerens eines Feentores unter der Führung der – ihm wollte der Name nicht einfallen, die ´Grüne Fee´, eine Torwächterin reflektierte. Seine Augen waren schmal geworden, als fokussiere er seine Gedanken auf ein Ziel. Dann schüttelte er den Gedanken ab. “Wir sollten die Candidata bei der Wiedergabe der Erfahrungen ihrer Feld-Exkursion nicht unterbrechen, Collega.” Dann gestikulierte Corvinius die Bitte fortzufahren.

Die Magistra, die neben dem Blauendorn stand, formte ihre Stirn neu, welche sich bei der tadelnden Ansprache ihres Kollegen vor allem in der Mitte der Stirn in Falten gelegt hatte, da sie nun verdutzt die Brauen hob. Mit einem stummen Nicken trat sie einen Schritt von selbigem fort. Es geziemte sich nämlich wahrlich nicht, vor Schülern über Anleitung und Führung zu diskutieren.

„Es war, als wäre in den Fluss hineingeschnitten worden und auf einmal entstand mitten im Wasser eine Kante, quer durch das Wasser bis hinunter an den Flussgrund!”, erklärte Jonata nun aber dennoch die Begebenheit genauer, nach der gefragt worden war. “Nicht wie ein Wasserfall, sondern wirklich, als hätte der Fluss dort plötzlich aufgehört! Und unser Schiff fuhr darauf zu, die Männer konnten es nicht mehr rechtzeitig verankern, dann gab es einen Blitz, aber ohne Donner und wir wurden umgestoßen. Alle klammerten sich an irgendetwas fest. Als wir wieder zu uns kamen, befanden wir uns noch immer auf dem Schiff, jedoch in einer Höhle mit einem gigantischen Wasserfall. Überall leuchteten Steine wie Sterne und es gab eine kleine Insel...”, Jonata war bewusst, wie merkwürdig all dies klingen musste. “Die Gesetze unserer normalen Welt schienen dort nicht zu wirken. Das Wasser, es verhielt sich widersinnig. Ich vermute, wir befanden uns also in einer Globule!”

Sie räusperte sich erneut und nahm Rajalinds verzücktes Glucksen wahr. Sie besaß augenscheinlich die Fähigkeit, die angstvollen Gedanken um vampirische Umtriebe zugunsten ihrer Begeisterung für das Schöne fortschieben zu können. „Ein wunder-wunderschöner Ort… wie ein lebendiges Kunstwerk,“ konnte man die Rahjani verträumt murmeln hören.

“Dort begegneten wir zwei Flusswesen, die einen menschlichen Oberkörper aber Fischschwänze hatten. Ein Mann und eine Frau, sie stellten sich uns vor als der Fürst der Muscheln, Heerführer des Flussvaters und Herrscher der Lande unter dem Fluss und seine Nichte.”

„Zauberhaft anmutige Wesen… Das Schillern der Schuppen…das wallende Haar, feucht, aber doch wie von Wind bewegt….“ Vor Begeisterung leuchteten die Augen der Rahjani und in ihrem Gesicht stand der Ausdruck von Leidenschaft.

„Es stellte sich heraus, dass sie ihn wohl bestohlen hatte...” So ganz klar über die Motive des Neckermädchens war sich Jonata nicht. War es einfacher Schabernack, oder hatte etwas anders, etwas Bösartiges sie dazu getrieben? “Sie hatte seinen Dreizack entwendet...”

Die Mimik des Blauendorn wirkte fragend.

„Nicht doch, Jonata,“ hakte die Rahjani schmunzelnd ein, immernoch mit offenen Augen träumend, „sie wollte Heiterkeit verbreiten, einem alten Griesgram zum Lächeln bringen, sein verstocktes Herz mit Freude füllen - Welf hat es vorhin schon gesagt – und dafür hat sie sich ein Spiel ausgedacht.“ Es schien ihr das Normalste der Welt. „Hat das denn keiner von euch verstanden?“

Seinerseits war der Blauendorn den Worten seiner Schülerin gefolgt und schlussfolgerte: “Der Konflikt der aufbegehrenden Jugend wider dem Alter ist kein …”, Corvinius betonte sein Missfallen, “... Spiel.” Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen. “Lasst Euch gesagt sein, dass die Hybris der Großen mit Arroganz auf die Kleinen herabblickt, sodann die Kleinen stets aufbegehren, es den Großen einmal anders zu tun. Insbesondere ist es den Großen daran gelegen, die Kleinen klein zu halten. Folglich lässt sich der Ehrgeiz der jungen Neckerfrau begründen, ihre Ansichten wider den Erfahrenen im Streit zu vertreten, welchen Ihr bereits kurz vor Klippag verzerrt vernommen habt. - Von Bedeutung ist, ob jene Neckerfrau besagten Gradienten in freizauberischer feenmagischer Repräsentation geschaffen hat!”

Die Leidenschaft der Rahjani verflog just, als der Blauendorn sie zurechtwies. Vor genau dieser Art von Einfältigkeit hat man dich gewarnt. Verstockte Menschen gäbe es zuhauf, hatte man ihr gesagt. Und ja, dieser Magister und ziemlich verstockt, da änderte auch seine hübsche Robe nichts. Konnte dieser denn selbst auch keine Freude empfinden? Es kam Rajalind zumindest gerade sehr streng, geradezu hart und verurteilend vor. Und sie fragte sich, wenn er doch so klug und gebildet war, warum er dann nicht sah, dass die Nixe es nur gut gemeint hatte.

Welf hingegen stimmte ihm mit einem stillen grimmigen Nicken zu. Irgendwie bereitete ihm das ‘Spiel’ des Alters und der Jugend, wie er es hier vor sich hatte, erneute Freude.

Jonata kratzte sich nachdenklich an der Wange. “Nun, es war die Rede von dem Einfluss der Herrin Tsa, die auch von Ihrer Hoheit der Herzogenmutter erwähnt wurde. Sie wies daraufhin, dass solchen Flausen mit Strenge zu begegnen sei...Tatsächlich erwähnte die Nixe zu einem späteren Zeitpunkt ihre ‚Eidechsenfreunde‘ im Hafen der Königsstadt. Ob damit Gefolge der jungen Herrin gemeint waren? Nun, wie es auch sei, um auf Eure Frage zu sprechen zu kommen: Als wir in der...Feengrotte… strandeten, war das Gespräch der beiden Wesen deutlicher zu vernehmen. Tatsächlich klang es so, als habe der Ältere von beiden versehentlich den Gredienten geöffnet. Beide schienen davon wenig begeistert zu sein, sie drohten gar, uns zu ertränken! Zum Glück konnten wir sie davon abhalten...”

Magister Blauendorn schien erfasst von dem magiewissenschaftlichen Potenzial der Erfahrungen, welche seiner Schülerin ausgesetzt war. “Ich hoffe, dass Ihr Euren Blick auf astraler Ebene geschärft eingesetzt habt, um die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet freizauberischer Magie mit neuen Erkenntnissen zu befruchten.- Vielleicht habt Ihr mit jener Neckerfrau einen Austausch der Konversation gepflegt, sodass Eurem Tractat der Abschlussprüfungen ein Aufhorchen im wissenschaftlichen Diskurs nicht ungewiss wäre.” Corvinius fühlte sich erinnert an die ausladenen Gespräche mit Olomorossa, jenem tierischen Feenwesen, mit dem er während der Honinger Turnei im letzten Götterlauf über den Feenkrieg und den drohenden Schatten des Roten Wyrms einen Austausch führen konnte. Er hatte Olomorossa, die Schlüsselwächterin eines Feentores, begleitet und den Übertritt in die andere Ebene mit Astralsicht einer ausgiebigen Analyse erforscht. Die veröffentlichte Abhandlung über die Gebundenheit der Sphärenwesen an ihre Herkunftsphäre am Beispiel der Feenwesen eine Feenglobule hatte Beachtung auf dem letzten Konvent gefunden. Corvinius lächelte zufrieden.

Jonata blickte betroffen zu Boden. “Für eine magische Analyse oder einen Austausch fehlte mir leider die Zeit. Der Disput war so hitzig, die Umgebung so neu und der Übergang in die Globule so heftig, dass ich mich nicht gut konzentrieren konnte - einmal davon abgesehen, dass ich der Debatte nicht mehr hätte folgen können, hätte ich angefangen zu zaubern... Außerdem haben andere Anwesende den Muschelmann provoziert, es hätte jederzeit zu einer Eskalation kommen können und ich musste eingreifen, als Quintus....ich meine, als der Novize der Herrin Hesinde nicht wirklich von Weisheit erfüllt schien und gar mich persönlich bezichtigte, die Diebin des Dreizackes zu sein!”, tatsächlich wirkte Jonata sehr entrüstet. “Es war eine absurde und auch gefährliche Situation.”

Zunächst beschlich Fürsorge für seine Schutzbefohlene die Mimik des Magus. Wie kam dieser Novize dazu! Urplötzlich schoss dem Magister ein Gedanke durch den Kopf: “Glöckchen!”, sprach er ihn aus.

Irritiert hielt Jonata inne.

Auch Rajalind und Welf wirkten verwirrt.

Corvinius wirkte ergriffen von seinem Gedanken und fühlte sich in der Pflicht, sich zu erklären. “Glöckchen. Die Ewig Junge hatte im letzten Sommer die junge Geweihte und ihre Begleiter in die Stadt geführt. - Sie begehrten auf gegen die Ansichten des Göttervaters!” Corvinius lachte in sich hinein. “Hat die Neckerin vielleicht Glöckchen als eine ihrer Freunde genannt? - Wie sich nun alles in ein harmonisches Bild fügt, die Eidechsenfreunde! Wahrscheinlich hat der lebensfrohe Freiheitsdrang der Tsa-Freunde das Necker Mädchen in ihrem Anliegen des belebten Aufbegehrens bestärkt.”

“Glöckchen..”, wiederholte Jonata den Namen leise. “Eine Sekte?”, fragte sie denn an den Magister gewandt.

“Nein, eine junge Geweihte der Herrin Tsa, die …”, der Magister verkniff sich etwas, “... die speziell in ihrem Gemüt besetzt ist. - Sie vertrat unter anderem Position wider der Kirche des Herrn Praios, was – betrachtet man die Ewig Junge Herrin Tsa und den Götterfürsten Praios – eine Parallele zu jenem Disput aufzeigt, in welchem die junge Neckerin und der Heerführer des Flussvaters verflochten sind.”

„Eine Parallele?“ hörten alle die Rahjani fragen, was wahrscheinlich nur laut gedacht war, denn sie zupfte dabei nachdenklich an einer Haarsträhne ihres noch feuchten Schopfes und schien in Gedanken.

“Jener Dissens der Generationen hat also dazu geführt, dass die Neckerin einen … Dreizack entwendet hatte. - Und …?”

“Ja, so könnte man es wohl beschreiben...”, meine Jonata langsam nickend. “Sie hat sich also ein Spiel für ihn ausgedacht”, wiederholte sie Rajalinds Worte. „Doch wir sind nun diejenigen, die es spielen müssen, wenn wir wollen, dass unsere Herzogenmutter unbeschadet in unsere Sphäre zurückfindet...”

Corvinius riss es von seinem Lehnstuhl hoch: “Was? - Grimberta Haugmin vom Großen Fluss ist in jener Globule … des Flussvaters … verblieben?” Seine Hand griff erneut nach dem Brief, der das Siegel des Hauses vom Großen Fluss trug. Er schüttelte den Kopf. “Ein Wollen ist in dieser Sache unabdingbar!”

Erschrocken wich Jonata einen Schritt zurück, als Magister Blauendorn aufsprang.

Auch Rajalinds Aufmerksamkeit war plötzlich wieder bei ihnen im Raum. Unschlüssig blickte sie zwischen Jonata und dem Magister hin und her.

“Ja, so ist es..”, sagte sie etwas kleinlaut. “Daran war nichts zu rütteln..”

“Dieses Spiel …", Corvinius war des taktierenden Spielens nicht sonderlich beflissen, „…was genau gilt es zu tun?” Er erinnerte sich an das Spiel des Flussvaters, das er einst gezwungen war zu spielen. Ebenjener hatte voller Heiterkeit über Wohl und Weh auf dem Großen Fluss verfügt, seine Spielfigur – ein Handelschiff auf dem Weg von Havena nach Elenvina sollte den Zielhafen nicht erreichen, hatte ein schlechter Würfelwurf entschieden. Die Besatzung sei in das Reich des Flussvaters gerissen worden, doch hatte ebenjener versichert, er habe sie unbeeinflusst, bis auf den Verlust des Schiffes, wieder an das sichere Ufer gespühlt. Was für eine Spielfreude dem launischen Ewigtosenden anzumerken gewesen ist. Es macht mich Sorge um die Herzogenmutter!

Ein Moment in dem der Kriegerschüler hervortrat und seine kühlere Art ins rechte Licht rücken wollte... womöglich auch sich selbst? “Unsere höchstgeehrte Majestät verblieb mit grimmigem Stolz und wies uns geradezu an, als Ihre Recken und Boten die Queste des Heerführers zu erfüllen. Sie war in praiosgefälliger Klarheit und firungefälliger Gefühlskälte gefeit gegen die Angst und Verwirrung des Ortes. -- Sie erwartet unseren Erfolg vertrauensvoll.” Er nickte nach dem Einwurf. “Nun...” Ergänzte er dann. “Wir wurden erwählt, in die Königsstadt zu gehen und dort ein Objekt als Teil der Queste aufzutreiben. Andere Gruppen sind in andere Regionen unserer Heimat entsandt worden. Unser... Portal?... es führte uns zu euch in diese Hallen, so ist dieser sicherlich der erste Schritt jener majestätsgegebenen Quest.” Schloss er irgendwie... sanft auffordernd?... auch wenn die Queste streng genommen eher von den Feenwesen kam... aber... nein, schlicht nein. Dann verharrte er wieder schweigend doch aufrecht – hatte er sich zu weit hervorgewagt? Doch die Worte und vor allem die Zuordnungen... sie waren ihm wichtig gewesen – neben all dieser Zaubereitheorie.

Jonata räusperte sich leise, um wieder das Wort zu ergreifen. “So ist es. Ihre Hoheit war sehr entschieden. Um noch einmal auf die Portale zurückzukommen: Es waren fünf an der Zahl. Die Wasseroberfläche war auf einmal wie erhärtet, wie Glas, wenn man daraufzu trat! Danach verflüssigte sie sich wieder. Es war sehr eigentümlich und ich habe derartige Elementarmagie noch nie gesehen! Der Herr der Muscheln zwang die Nixe dazu, diese Portale zu erschaffen, was ihr durch ein einfaches Händeklatschen gelang. Sie zauberte mit einer ungeheuren Leichtigkeit und einer Selbstverständlichkeit...sie konnte einfach über das Wasser gebieten! Es formen wie sie wollte...”, Jonata hielt inne als sie merkte, dass sie abschweifte. “Die Städte, die sich dahinter verbargen waren wohl Elenvina, Calbrozim, Gratenfels und Albenhus. Tatsächlich sind es auch vier Gegenstände, die vermisst werden, nicht nur der Dreizack: Ein Liebestrank – das ist der Gegenstand, den wir zu suchen beauftragt wurden, der sich an einem Ort verbergen soll, wo sich weitere befinden. Es gäbe dort viele bunte schöne Flaschen in allen Formen und Farben. Der dritte Gegenstand ist ein Rubin, ein Geschenk des Flussvaters persönlich. Und das vierte ein silberner Teller. Die Gegenstände haben unterschiedliche Wichtigkeit...doch im Augenblick für uns wichtig ist eigentlich nur der Trank. Natürlich kam mir hier an der Akademie gleich der Giftschrank in den Sinn. Auf die Frage hin, wo sich der Dreizack befände gab die Nixe bloß zurück, sie habe ihn an einem besonderen Ort der Verehrung der Wasser verborgen und das besonders Spannende: “, Jonata hielt inne, ihre Augen blitzten als sie ihren Lehrmeister anblickte “An einem Ort, wo zuerst die Fey lebten, bis ihr Reich unterging, so waren ihre Worte! Sagt Euch das etwas?”

„Natürlich ist das in Albenhus,“ murmelte die Novizin leise und zwirbelte gedankenverloren eine Haarsträhne mit den Fingern. „Da lebten die Elfen in alten Zeiten und der Efferdtempel ist dort“

Corvinius Prailoan von Blauendorn hatte sich in seinem Arbeitsstuhl wieder zurückgelehnt, diesen ein wenig vom Tisch abgerückt. Seine sorgenvolle Überraschung um die Herzogenmutter war seiner Mimik lediglich wenige Momente anhänglich anzusehen gewesen. Sodann die Ausführungen des Kriegers eingesetzt hatten, hielt der Blick des Blauendorn streng an dem des Kriegers fest. “Selbstverständlich wird der Dreizack in Albenhus versteckt sein – ein Ort, an dem die Fey lebten bis ihr Reich unterging …" Alsdann Jonata das auferlegte Spiel zu erläutert hatte, lächelte der Magister diese milde an. “Was meinen die Menschen von den Fey zu wissen?”, ließ Corvinius seine rhetorische Frage im Raum klingen. “Jene, die Simia aus dem Licht folgten, wir nennen sie Hochelfen, hatten auf Dere Stätten von Macht erschaffen. Eine ihrer Städte – Simyala – erbaut zu Ehren jenes legendären ersten Hochelfenkönigs Simia, soll im Reichsforst verborgen sein. Tie´Shianna, die Stadt des letzten Hochelfenkönigs Fenvarian, gilt als ebenso unzugänglich verschollen.” Der Magister fuhr mit der Linken in einer nachdenklichen Geste über das Kinn. “In der magiewissenschaftlichen Darstellung hält sich die These, dass die elementaren Städte der Hochelfen den sechs Elementen geweiht sind. - Ein Ort, welcher ebenfalls einer jungen Necker zugänglich wäre, …”, seine Augenbrauen ließen Erkenntnis vermuten, “... Isiriel, sei den Sagen nach dem Element Wasser verbunden.” Er verwarf den Gedanken. “Nun, da die vier genannten Orte sich derografisch einer regionalen Nähe bestätigen, ist der Bezug auf eine der elementaren Städte nicht aufrecht zu erhalten.”

Auf dem Gesicht der Magistra von Eslamsgrund formte sich ein lobendes Lächeln, während sie die Novizin betrachtete, die vor sich hin träumte und wahrscheinlich gar nicht merkte, dass Hesinde sie ebenfalls geküsst haben mochte. „Albenhus. In der Tat.“

Corvinius drehte sich Jonata zu, blickte sie väterlich an. “Dies wäre eine Gelegenheit gewesen, die ich Euch neidete, meine Liebe. - Sollte sich Euch ein Fragment dieses Wissens eröffnen, nutzt die Gunst des Schicksals, um Euren Horizont auszudehnen und Euer Sein mit magischen Erkenntnissen zu nähren, die Euch in der Forschung Erfüllung sein werden, Jonata!” Dann wurde der Magister sachlich: “Ein Liebestrank solle in Elenvina versteckt sein …”, Corvinius schien im Zweifel, ob die achimistischen Lehrhallen für eine Neckerin zugänglich wären, um einen Trank zwischen jenen anderen im Besitz der Akademie zu verbergen, “... Ihr solltet Urischarsheim aufsuchen, um Gewissheit zu erlangen.” Noch bevor von den Besuchern eine weitere Reaktion erfolgen konnte, wechselte der Gesichtsausdruck des Lehrmeisters: “Vorher steht allerdings noch die Vollstreckung eines Urteils einer aufgeschobenen Konsequenz aus!”

Urteil? Vollstreckung? Rajalind sah entsetzt auf und verlor prompt die Haarsträhne. Hatte sie gerade etwas nicht mitgekriegt?

“Ihr seid nun entlassen, Eure Aufgabe zu bewältigen. Beruft Euch auf den Magister Blauendorn, um Zugang zu den entsprechenden Kammern Urischarsheims zu erhalten“. Corvinius ging zurück zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und entnahm ein vorbereitetes Dokument – einen Trank- und Reagenzien-Schein – und signierte die Bestellung eines potenten Zauberelixiers. Dann schob er das Pergament über den Tisch, auffordernd es ihm abzunehmen. “Damit an der Akademie keine Gerüchte kursieren: ich gebiete Verschwiegenheit in der Sache! Die Umstände Eurer Ankunft werden genug Aufsehen verbreiten. Mit allen Mitteln werde ich, nebst Magistra von Eslamsgrund, Euch unterstützen. Ich erwarte, dass mir das Elixier ausgehändigt wird.” So ließ Corvinius seinen Blick über die Gäste in seinem Arbeitszimmer schweifen. “Bitte, liebe Jonata, richtet dem Studiosus Marborad von Winterspitz aus, er möge zu mir ins Studierzimmer kommen, seine Lehrmeisterin und ich werden ein Urteil der Akademie vollstrecken.”

Die Besucher wurden vom Blauendorn vor die Türe geschoben.

  weiter im Kapitel „Aus 3 mach 4“]

Marborad wurde in das blauendornsche Studierzimmer gerufen. Während Corvinius wieder entspannt in seinem Lehnstuhl saß und Magistra Neetya erhöht hinter dem Schreibtisch stand, wurde ihm von seiner Lehrmeisterin geheißen, sich auf dem verbliebenen Schemel zu setzen, wo zuvor derer drei für die Besucher gestanden hatten.

Corvinius sah Marborad mit aller Strenge eines Beherrschungsmagiers an, band seinen Blick und ließ alle Härte einer scharfen Intensität auf den Studiosus einwirken. “Marborad von Winterspitz, Ihr werdet Kraft Beschlusses der Hochgelehrten Collegae, dem Magister ordinarius mayor controllarius Corvinius Praiolan von Blauendorn, in Absprache mit Eurer Lehrmeisterin der Magistra extra ordinaria minor contraria Neetya von Eslamsgrund, mit sofortiger Wirkung in den Stand eines Candidatus berufen.” Die Stimme des Blauendorn hatte nicht an Schärfe verloren.

Marborad blinzelte. Sein Herzschlag hatte für einige Secundae ausgesetzt, als der Blauendorn ihn mit gestrengem Blick und einem seltsam beunruhigenden Funkeln angesehen hatte. Er hatte alles erwartet – von der Akademie geworfen zu werden, bis ans Ende seiner Tage Nachttöpfe zu putzen oder gar sein Leben auch nach der Akademie für immer zerstört zu bekommen. Sei es nun aus Rache, oder als Lektion. Doch als ihm nun die Wahrheit offenkund getan wurde machte er unfreiwillig einen Schritt zurück und neigte, um nicht unhöflich zu wirken den Kopf. “Ich nehme diesen Rang mit Ehrfurcht und Zuversicht an!” antwortete er leise, doch die Gänsehaut in seinem Nacken verriet ihm, dass das noch nicht alles war.

Corvinius atmete angespannt ein und gab mahnend hinzu: “Der Magister von Blauendorn wird es sich nicht nehmen lassen, Euch Candidatus eine Prüfungsaufgabe zu stellen, die Eurer Haltung eine Lektion sein soll! - Die Moral ist noch vor dem Wissen das bedeutsamste Gut unseres Standes, unserer Akademie im Namen der Weißen Hand. Dieser Magister wird Euch den Dorn dieser Lektion tief ins Mark treiben, infolge die Konsequenzen Eures Verhaltens Euch mahnend der Integrität unseres Standes befähigen sollen!” Corvinius war aufgestanden, hatte seinen Blick in keinem Moment von dem des Schülers abreißen lassen. Seine Stimme ließ einem das Herz stocken.

Er hatte es gewusst – war all dies nun doch nur ein weiteres Spiel? Nein, nein, verbot er sich selbst den Gedanken nur ein Spielball zu sein. Es war eine Herausforderung. Eine Herausforderung an der er wachsen und reifen würde und die ihn über sein jetziges Ich und all die tumben Taugenichtse erheben würde, die nicht willens oder fähig waren ihr eigenes Geschick in die Hand zu nehmen. Marborad drückte den Rücken durch und erwartete die Strafe, die mit der Unausweichlichkeit eines Ignifaxius auf ihn zukam.

“Ein Magier, deren magisches Wirken sich der Gewissheit aller möglichen Konsequenzen abspenstig zeigt, ist für unseren Stand nicht tragbar und hat in der Historie selbst die größten Freigeister unserer Zunft zu Fall gebracht. Ihr werdet Euch in Selbstbeherrschung und Disziplin üben, Winterspitz, indem ich Euch für einige Zeit mit den Fesseln der Magie an eine Verpflichtung binden werden, auf dass ihr euer Verständnis von den altehrwürdigen Werten dieser Akademie miteinander überdenkt. Eure Lehrmeisterin …", er sah wieder zur Collega neben sich, “... bestätigte mir einen Zwist, scharf in Worten und Blicken.” Corvinius Ausdruck unterstützte die Schärfe: “INTEGRITAS - es gilt Makellosigkeit Eures Handelns herzustellen. Die Unverletzlichkeit unseres Standes als Absolvent der Academia dominationis Elenviniensis, fußend auf Redlichkeit und gemeinsamer Moral und Wissen sollt Ihr beweisen!” Wiederum nahm der Magister den Brief mit dem herzöglichen Siegel in die Hand. “Hand in Hand befinden Ihre Hoheit Grimberta Haugmin vom Großen Fluss und vom Berg sowie Eure Lehrmeisterin von Eslamsgrund und der Hochgelehrte Herr Corvinius Praiolan von Blauendorn kraft Diktum unserer Spektabilität Ruane von Elenvina folgendes Urteil: Ihr werdet an Eure Mitschülerin Jonata von Schleiffenröchte gebunden sein, um Integrität Eures Verhaltens wiederherzustellen. Nebst dem erlaube ich mir eine Besonderheit in der Formulierung.“

„Trete er vor Winterspitz!“ schloss die Magistra von Eslamsgrund die Ausführung des Blauendorn.

Natürlich, ein Test. Eine Aufgabe. Eine Bestimmung. Mit einer gemessenen Bewegung trat er nach vorn und erwiderte den Blick des Blauendorn mit so viel Selbstsicherheit und Ehrerbietung, die er aufbringen konnte.

Corvinius trat selbst auch vor den Schreibtisch. Er legte die Hände auf die Schultern des Schülers und blickte ihm tief in die Augen, während er seinem Geist einen Zauberzwang befahl, indem er kaum merklich, ausschließlich für den Bezaubernden zu vernehmen, flüsternd murmelte: “Du wirst gemeinsam mit Jonata von Schleiffenröchte die Herzogenmutter Grimberta Haugmin vom Großen Fluss zurückbringen nach Elenvina; bis diese Aufgabe erfüllt ist, bist du an Jonata gebunden, indem ihr jeweils nicht mehr als fünfzig Schritt der Entfernung zu ertragen vermögt. Neben dieser Aufgabe steht als zweite Bedingung, die resultierenden Schlussfolgerungen Eurer Gebundenheit im vorschriftsmäßigen Umfang einer Magisterarbeit über Moral und Integrität des Standes eines Adepten unserer Akademie zu reflektieren.” Marborad war bewusst, dass der Formulierung die Besonderheit oblag, die Herzogenmutter gemeinsam zurückzubringen nach Elenvina und eine umfangreiche Ausarbeitung des zugrundeliegenden Themas zu verfassen. Er war an Jonata gebunden und dazu gezwungen sie zu unterstützen. Sollte er der Erfüllung nicht nacheifern oder sich entfernen, würden Marborad - der strafenden Hand des Magisters aus der Ferne gleichkommend - Schmerz leiden; bis in den Tod, sollten sich die beiden nicht arrangieren und sie ihn nicht integrieren. Außerdem wurde ihm die Bedeutung seines Verhaltens bewusst, da ihm bekannt war, zu welchen Mitteln in diesem Fall gegriffen wurde. Der Zauberzwang war ein äußerst aufwendiger Zauberspruch, welcher einem Bannzauber auf Basis der Potenz des Magisters und der eingesetzten Astralkraft erheblichen Widerstand bot, sodass keine Option neben der Erfüllung des Gebots blieb. “Ihr solltet nicht zögern, Eure Prüfungsaufgabe hat nunmehr begonnen! - Ihr seid entlassen, Eure Prüfung zu bestehen. In Elenvina gilt das Edikt! Außerhab unterliegt Ihr als Candidatus ob Eures Standes dem Schutz der Akademie und damit der Großen Weißen Gilde. Enttäuscht uns nicht noch einmal!” Damit war der Candidatus Marborad von Winterspitz entlassen und die Tür zum Gang für ihn geöffnet.

"Ich danke euch vielmals Magister von Blauendorn, Magistra von Eslamsgrund. Ich werde es nicht wagen euch und die Akademie noch ein weiteres Mal zu enttäuschen!” erwiderte Marborad und zog sich rückwärts gehend zurück, traute sich erst, als die Tür wieder ins Schloss gefallen war, dem Blauendorn und seinem Büro den Rücken zuzuwenden. Ihm schwindelte – es war zu viel auf einmal passiert und sein Verstand benötigte einige Augenblicke um sich auf die neue Aufgabe und Situation einzulassen. Als er heute Morgen aufgestanden war.... aber nein, das waren Gedanken, die es nicht wert waren gedacht zu werden. In diesem Moment spürte Marborad ein Ziehen – ein Reißen, als wollte sich sein Herz durch seine Brust bohren. Ein feuriges Kribbeln, dass sich in seiner Haut ausbreitete und ihn zog. Er fluchte, stolperte nach vorne und das ziehen hörte auf, nur um kurz darauf erneut zu beginnen. Jonata! Sie musste sich in Bewegung gesetzt haben. Oh bei den Göttern, Marborad hoffte, dass die Architektur der Akademie ihn auf seinem Weg zu ihr nicht mehr als 50 Schritt von ihr abhängte und er eilte von dannen.


Aus 3 mach 4

Die kleine Gruppe junger herzöglicher Ermittler um die Candidata Jonata von Schleiffenröchte konnte dank des ausgestellten Entnahmescheins zwar Nachforschungen im alchimistischen Labor anstellen und auch einen Blick in den Schränken der Asservatenkammer werfen, doch beherbergte vor allem erstere eher Inkredienzenrohware und letztere vor allem eines: Staub. Gefährliche oder suspekte Mittelchen und Artefakte würden der Wehrhalle überantwortet, und was darüber hinaus den Weg in die Regale fand, würde schon bald wieder veräußert, zum Wohle der nur Jonata wusste maroden) Akademiekasse – so der Apothekarius. Jener stand den drei jungen Leuten in seiner Funktion als Herr der Asservatenkammer skeptisch aber hilfreich zur Seite und so wurde Jonata, Rajalind und Welf schnell klar, dass ‚ihr‘ Trank nicht unter denen in der Akademie befindlichen war. War deren Zahl doch äußert übersichtlich und außerdem ein jeder Trank vom Herrn der Asservatenkammer abgezählt, archiviert und deswegen bekannt. Es war auch in letzter Zeit kein neues Elixier dazu gekommen, was auch nur im Ansatz zur Beschreibung der jungen Leute gepasst hätte. Enttäuschung stand den dreien in den Gesichtern, als sie Urischarsheim mit der ‚Alibi-Bestellung‘ für den Blauendorn verließen.

Jonata machte sich sogleich auf, um Magister Blauendorn davon zu unterrichten.

Rajalind und Welf blieben zurück. Sie wollten beide auf dem Hof warten, wo sie sich weniger unwohl fühlten. Wobei es die Novizin in den nahen Garten zog. In akkurat angelegten Beeten blühten dort bunte Pflanzen, die sie sich ansehen wollte. 

„Ich verstehe das nicht,“ murmelte sie, während sie hin und wieder die Nase in einer Blüte vergrub. „Hat die Nixe nicht etwas von vielen schönen bunten Flaschen gesagt? Wieso war da alles leer!“ Sie hatte die Bemühungen im Labor und der Asservatenkammer eher mit stummem Unverständnis verfolgt.

Welf wollte just etwas dazu sagen, da hörten sie hinter sich jemanden rufen:

“Ah, hier seid ihr!” Marborads Schritte führten ihn eilig zu der kleinen Gruppe Akademiefremder und mit jedem Schritt spürte er den Schmerz des Bannes, der nun auf ihm lag. Er hatte sehr gehofft, Jolenta hier endlich anzutreffen, nachdem er sie und die anderen beiden fast überall in der Akademie gesucht hatte. Dass sie nun nicht hier war und so erst einmal wieder keine Linderung seiner Pein in Sicht, malte einen verwunderten, gleichzeitig gequälten Gesichtsausdruck in sein Antlitz. Außer Atem kam er neben ihnen zum stehen. “Werte...” er keuchte... so viel zur formvollendete Anrede.. “Der Herr von Blauendorn hat mir... in Ehre und...” er atmete tief durch, richtete sich auf und versuchte den Schmerz wegzuatmen. “Der ehrenwerte Magister von Blauendorn hat mir getreulich aufgetragen euch bei eurer Aufgabe zu unterstützen und die Herzogenmutter nach Elenvina zu bringen!” Was auch immer dies bedeuten sollte. “Es ehrt mich euch begleiten zu dürfen und ich verspreche euch, dass ich mit all meinem Können und Wissen zur Seite stehen werde! – Wo ist denn Jonata?“

Rajalind verzog mitleidig das Gesicht, als sie sah, dass der junge Magus wegen etwas litt. „Sie ist auf dem Weg zu ihrem Lehrmeister,“ berichtete sie wahrheitsgemäß. Nebenbei zwickte sie eine der Blüten ab und schob sie sich hinters Ohr. Dann trat sie mit sorgenschwerer Miene an Marborad heran. In ihrem von der Schleiffenröchte geliehenen grünen Kleid sah sie ein wenig wie Jonata aus, und doch um so vieles anders. „Was ist mit Euch? Geht es euch nicht gut?“ Sie schien keine Berührungsängste zu haben, weil sie Marborad gleich fürsorglich am Arm fasste. „Holt doch erst einmal Luft!“ Sie machte es vor und sog geräuschvoll Luft in ihre Lungen.

Marborad sah Rajalind erst zweifelnd, dann jedoch mit steigender Dankbarkeit an und spürte ihre Berührung wie einen warmen Schauer am Arm. Ein Gefühl, dass er ganz und gar nicht gewöhnt war und das ihn für einen kurzen Moment Sorge bereitet, ja, ihn sogar an einen Bannbaladin denken ließ, ehe er sich selbst einen Narren schallte und sich in Erinnerung rief wer hier vor ihm stand. Er seufzte – die Zeit an der Akademie trieb die eigene Vorstellung an seltsame Ecken des Verstandes und nicht zum ersten Mal schwor sich Marborad mehr von der Welt außerhalb der Akademie sehen zu wollen, um nicht gänzlich zu verkopfen.

„Winterspitz!“ bedeutend distanzierter klang die Stimme des jungen Kriegers. „Was wisst Ihr von unserer Aufgabe?“ Welfs Blick musterte den anderen kritisch.

Welfs harscher Tonfall brachte Marborad wieder ins Hier und Jetzt. Er blinzelte den Krieger unverhohlen an, ehe er sich eine weitere, bittere Wahrheit eingestehen musste – er hatte keine Ahnung was eigentlich geschehen war. “Um der Wahrheit Genüge zu tun muss ich zu meiner Schande gestehen, dass mir die Einzelheiten der euch gestellten Aufgabe nicht näher mitgeteilt wurden. Meine letzte Information war, dass ich euch dabei helfen sollte die Herzoginnenmutter nach Elenvina zurück zu bringen. Ich vermute also eine Eskorte?”

„Ihr WISST also gar nicht, um was es geht?“ brummte der Kriegerschüler und wirkte für den Moment hin und her gerissen zwischen Ärgernis und Verwirrung. „Bedauerlich, dass Euch das nicht mitgeteilt wurde. Bevor ihr Eure Hilfe versprochen habt, meine ich.“ Welf drückte das Kreuz durch und verschränkte die Arme vor der muskulösen Brust.

„Aber Welf,“ ertönte die sanfte Stimme der Rahjani, während sich die andere Hand Rajalinds auf den Unterarm des Schleiffenröchtes legte. „das ist doch vielleicht ganz gut, dass Marborad uns und Ihrer Hoheit beistehen will. Denk nach! Wir können gerade wirklich Hilfe gebrauchen. Mit all seinem Wissen und Können – hat er gesagt. Geben wir ihm doch eine Möglichkeit, sein Versprechen wahr zu machen. Fragen wir ihn, was ihm zu den vielen bunten Flaschen einfällt, die wir hier leider nicht gefunden haben.“

Welf brummte erneut unwillig. Der Magierschüler war ihm genauso suspekt wie dessen Lehrmeister, der einfach ungefragt Personen in Dinge involvierte, die niemanden sonst etwas angingen und darüber hinaus heikel waren.

Rajalind seufzte. Was gab es nur für Sturköpfe auf der Welt! Sie sah Welf allerdings weiter mit ihrem hinreißenden Lächeln an. „Wir können ihn doch einfach mal fragen.“ Ein ‚und dann entscheiden wir‘ sprach sie nicht aus, sondern warf ein besänftigendes „Nicht wahr?“ hinterher.

Auch der Krieger seufzte, aber aus anderen Gründen. Kein Wunder, dass vieles auf der Dere im Chaos endete, weil Menschen einfach zu gutgläubig waren. Er musste dem hübschen Bastard aber auch Recht geben: Sie wussten gerade beide nicht weiter und konnten einen Hinweis mehr als gut gebrauchen. „Na schön,“ Welf gab sich einen Ruck. Er streifte Rajalinds Hand ab, ignorierte ihr erfreutes Strahlen, das sie ihm zuwarf, und musterte den jungen Magierschüler noch einmal eindringlich. Sie brauchten alle bei dieser Sache einen klaren Verstand und klare Worte würde für Klarheit sorgen. „Hört zu, Winterspitz, wir sind mit einer heiklen Aufgabe hierherkommen. Politisch heikel! Versagen wir, schlägt dies Wellen bis ganz nach oben.“ Ja, ganz passende Worte, fand Welf im Stillen. „Und es handelt sich mitnichten um eine Eskorte. Zumindest nicht derzeitig.“

„Denn wir suchen nämlich einen feeischen Liiiiebestrank!“ kam es als Ergänzung von der Rahjani, ihre Augen leuchteten dabei vor Aufregung und Vorfreude. Dabei drückte ihre Hand Marborads Arm unbewusst etwas fester.

„Zuvorderst…“ nahm Welf Rajalind das Reden ab – denn: wer wusste schon, was sie noch so alles ausplaudern würde in ihrer Unbeschwertheit – und Marborad konnte den tadelnden Blick, den Welf ihr dabei zuwarf, deutlich vernehmen. „…gilt es einen Ort hier in der Stadt zu finden, an dem Tränke gelagert werden. Ein Labor womöglich. Wir nahmen an, dass es hier in der Akademie sein müsste, weil uns unser…Weg… hierher brachte. Leider wurden wir bisher nicht fündig. Habt Ihr eine Idee?“

Marborad hatte die Diskussion der beiden mit interessiertem Blick verfolgt, hin und wieder ein “Ist dem so?” eingeworfen, sich sonst aber höflich zurückgehalten. Die beiden jungen Edelleute vor ihm waren so unterschiedlich wie Rahja und Travia und dennoch schienen sie zusammenarbeiten zu müssen. Eine Tatsache, die die Worte des Welfen, es handele sich um eine politisch heikle Angelegenheit, glaubwürdig machten. Und das ließ ihn hellhörig werden - womöglich würde diese Strafe zu einer Sache werden, die seine eigene Stellung stärken und ihm eine Zukunft nach der Akademie ermöglichen würde. “Tränke sagt ihr?” hakte Marborad nach, wenngleich dies eine rein künstlerische Phrase war um ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Kein Wunder, dass es hier in der Akademie kaum Tränke gab. Sie waren klamm und es half niemandem, wenn gute Tränke im Schrank standen und ihr Ablaufdatum überschritten. Tränke... Tränke... der junge Magier schloss die Augen und versuchte in seinem Gedankenpalast das Wort mit einem Bild zusammen zu bringen, welches er dann durch sein inneres Archiv jagte. Dann schließlich zeigte sich ein knappes Lächeln. “Liebestrank? Für so einen benötigt man glaube ich Biberklötze, Alraunen, Pollen des Schleichenden Todes oder Samthauch und noch einiges mehr...” er wog den Kopf hin und her.

Rajalinds Mund klappte auf und sie fasste sich an den wogenden Busen. „…schleichender…Tod?“ Sie hatte noch nie davon gehört und erschrak daher so sehr. KlAr, in ihrer kirchlichen Welt ging man mit anderen Liebe-erzeugenden Mittelchen um.

“Samthauch ist verboten – derlei findet man daher womöglich gleich in der Wehrhalle von Elenvina...” er schüttelte den Kopf. “Aber um im Praiostempel an einen Liebestrank zu kommen benötigen wir mehr als gute Worte und Zureden!”

Welf zog ebenfalls nachdenklich die Brauen zusammen, schüttelte aber dann auch den Kopf. „Nein. Nein, ich denke, dass wir uns gar nicht erst bemühen müssen im Tempel des Güldenen nachzufragen,“ sagte er mit selbstsicherer Stimme, „denn euer Apothekarius war sich sicher, alle Tränke zu kennen und daher mit Gewissheit sagen zu können, dass er in letzter Zeit keinen besonderen in den Händen hatte. Er wirkte sehr glaubhaft. Deshalb denke ich, dass wir an anderen Orten suchen müssen. Gibt es vielleicht einen Heiler in der Stadt, der über ein Arsenal verfügt?“

Bei dem Wort Heiler wurde Marborad hellhörig - es gab zugleich zwei, einmal eine Doktora mit Kunden in den höchsten Kreisen der Stadt – dort mochte man vielleicht auch abseits ihrer Queste einen Liebestrank finden, aber Marborad hatte sich bereits in genug Schwierigkeiten gebracht und wollte diese Option nun wahrlich nur im äußersten Notfall bedenken. Kaum vorzustellen, was geschehen würde, wenn er noch mehr hohe Herren und Damen erzürnte....

Welfs Überlegung regte in Rajalind wieder Neugierde und Tatendrang. In ihrer Vorstellung sah sie plötzlich wieder die gesuchte Flasche inmitten vieler anderer in fast liebevoller Eintracht. „Oder hat Elenvina einen Parfumierer?“

“Eine Parfumerie?” der junge Magierschüler wurde durch Rajalinds Worte aus seinen Überlegungen gerissen. “Nein, also zumindest nicht dass ich wüsste. Die Stadt ist groß, ich bin kaum außerhalb der Akademie und eine Parfumerie ist nun nicht der erste Ort, der mir in den Sinn kommt, so ich doch mal Ausgang habe...” versuchte er der jungen Rahja-Novizin zu erklären. “Aber... es gibt da Salina Bächerle, eine Medica, die ab und an hier in die Akademie kommt – sie ist die Schwester der Stadtalchemistin. Womöglich weiß sie ja mehr über einen Liebestrank. Zudem wäre mit den Bächerle-Geschwistern wieder eure Verbindung zu unserer Akademie geknüpft und weshalb ihr hier aufgetaucht seid. Wisst ihr, es gibt da ganz fantastische Theorien über Verbindungen transmutaler Ebenen im Bezug auf liquider Geschichtsschreibung in Anbetracht kausaler Nondifferenzen in All-Derischen Einfluss!”

„Ja ja, mag sein, mag sein. Stadtalchimistin sagt ihr?“ Ein Ruck war durch den Kriegerschüler mit dem strengen Blick gegangen und nun rieb er sich nachdenklich das Kinn. „Ein Besuch dort kann zumindest nicht schaden. Mir fällt nämlich auch gerade nichts besseres ein.“ Mit wedelnden Händen scheuchte er dann Rajalind und Marborad in Richtung Ausgang des Gartens. „Na los doch! Lasst uns keine Zeit mehr verlieren! Gehen wir Jonata aufsammeln und verschwinden wir von hier.“ Bei gerade letzterem sah Welf sich missbilligend um. Ja, ihm würde definitiv wohler sein, wenn er nicht mehr auf diesem magiegetränkten Boden stünde. Die sich eröffnete Perspektive nahm er daher nur zu gerne an.

Nachdem sie die junge Candidata aufgelesen und über alles in Kenntnis gesetzt hatten, machten sie sich zu viert auf in die Stadt. Marborad musste noch ein Mal erklären, was es mit seiner Queste auf sich hatte, aber da er die Heilerin Salina Bächerle persönlich kannte, war er auch in Welfs kritischen Augen bald nützlich. Die gute Seele hatte den Magierschüler schon öfters behandelt. Jonata merkte man eine deutliche Anspannung an. Doch weil klar war, dass sie den Winterspitz wegen des auf ihm liegenden Schadenszaubers wohl oder übel nicht einfach in der Akademie zurück lassen konnten auch, wenn Jonata das vielleicht gerne getan hätte), arrangierten sich die jungen Leute notgedrungen miteinander. Auch hatte sich Rajalind für Marborad eingesetzt. Nach seinem Lippenbekenntnis zur Zusammensetzung des Liebestranks hielt sie ihn für einen unverzichtbaren Fachmann.


Bei Bächerle

Das Haus, in dem die Alchemistin Korina Bächerle zusammen mit ihrer Schwester Salina lebte, befand sich außerhalb der Stadtmauern Elenvinas in einem Teil der Vorstadt, dessen Gebäude direkt an den Großen Fluss herangebaut waren. Teilweise floss er sogar unter den Mauer hindurch, was die Entsorgung von Abfällen sehr erleichterte und außerdem mehr Wohnraum schuf. Auch das Haus der Bächerles war halb auf Land, halb auf Stelzen in den Fluss gebaut. Das Dach war mit Schieferschindeln gedeckt. Nicht unüblich, wurde doch so das Risiko von Dachfeuern minimiert. An der Gebäudefront, die zur Straße zeigte, ließen große offene Fenster viel Licht ins Innere eines üppig ausgestatteten Ladens – oder besser gesagt einen für normale Nasen unidentifizierbaren Geruch nach draußen. Wer es dennoch nicht roch, dass er am richtigen Ort war, musste nur Ausschau nach dem Metallschild halten, das eine bauchige Flasche über stilisierten Flammen zeigte. Darunter der Schriftzug „Ges. Bächerle“.

Völlig unbeeindruckt von dem gewöhnungsbedürftigen Nasengenüssen lag ein schlankgliedriger großer Hund mit Schlappohren und glänzend braunem Fell neben der Tür auf einer Decke. Er sah auf, als die jungen Menschen eintraten, schnupperte kurz, schnaubte und legte dann das Haupt wieder nieder.

Rajalinds Herz schlug sicherlich höher, als sie im Laden stand: Drinnen reihten sich in langen dunklen Holzregalen Töpfe und Tiegel aneinander. Alles fein säuberlich etikettiert und geordnet. Von einem Gestell an der Decke hingen Kräuterbüschel, deren heuartiges Aroma sich mit dem Geruch aus dem rückwärtigen Labor zu einer Mischung zwischen würzig, scharf und beißend mischte. Daneben gab es einen langen Schrank mit unzähligen Schubladen, auf diesem standen sicherlich zwei Dutzend zylinderförmige Töpfe aus Steingut. Herzstück des Ladens aber war der Tresen. Er bestand aus einer mächtigen Glasvitrine, die allerlei Arten und Größen von Fläschchen eine Heimat bot. Darauf lag ein dickes, augenscheinlich sehr altes Buch und ein Tuschkästchen mit dazugehöriger Feder. Daneben ruhte eine kleine golden glänzende Handglocke auf einem Samtkissen und harrte ihrer Verwendung. Die Inhaberin war indes nicht zu sehen. Aber aus einem Raum im hinteren Teil des Hauses hörte man Geräusche.

Marborad ließ seinen Blick durch die große Apotheke streifen, betrachtete die unterschiedlichen Tiegelchen und Töpfchen, die mit einer derartigen von Innbrunst kündender Genauigkeit aufgereiht und markiert waren, dass es den Archivar in Marborads Seele zutiefst erfreute. Sein Blick glitt zu der Vitrine und unwillkürlich musste er an Rajalinds Ausführung denken – so mochte wohl jener Schrank voller magischer Mittelchen aussehen, den sich die junge Rahjagläubige vor ihrem inneren Auge vorstellte. Nachdem jeder seiner Weggefährten weiterhin wie gebannt die unterschiedlichen Kräuterchen die von der Decke hingen ansah, gab sich Marborad einen Ruck und trat nach vorne, legte die Hand auf die Klingel und atmete tief ein und aus. Das hier musste einfach funktionieren – er musste beweisen, dass er nützlich war – dass er es wert war seine Ausbildung abzuschließen. Er schloss die Augen und betätigte den kleinen Knopf am oberen Ende, woraufhin ein heller und schriller Ton anschwoll und durch den Laden getragen wurde. Dann wandte sich Marborad zu seinen Freunden um: “Wir könnten Glück haben!”

„Hoffen wir es,“ brummte Welf und stellte sich neben den Magierschüler an den Tresen. Seine Finger trommelten nervös oder ungeduldig auf der Tischplatte.

Unterdessen hatte sich Rajalind dem Hund zugewandt und erzählte diesem von ihrem Anliegen, während sie ihn hinter den Ohren kraulte. Dem Tier schien die Zuwendung zu gefallen, aber eine Antwort bekam die junge Rahjani leider trotzdem nicht.

Der helle Glockenton war kaum verklungen, da trat eine hochgewachsen Frau durch einen schweren Vorhang, der den Durchgang in die hinteren Zimmer abschirmte. Marborad erkannte die Familienähnlichkeit gleich. Korina Bächerle war schlanker als ihre Schwester, hatte aber die gleiche knochige Nase und die gleichen hohen Wangenknochen. Sie war auch nicht mehr die jüngste, viel eher in der Blüte ihres Lebens. Das braune Haar trug sie zu einem hoch angesetzten Dutt, was ihr in ihrer hageren Gestalt ein strenges Aussehen verlieh, das jedoch von dem Lächeln in ihrem Gesicht gemildert wurde. Gekleidet war sie in ein geradlinig geschnittenes graues Gewand, über dem sie eine fleckige lederne Schürze trug. Mit einem Griff an die Nase nahm sie ein kleines Augenglas ab, das sie fortan in einer Tasche des Gewands verwahrte, und sah die jungen Leute erwartungsfroh an. Ihr Blick fing auch das Mädchen ein, das mit ihrem Hund schmuste. „Die Götter zu Gruß. Wie kann ich den jungen Damen und Herren dienen?“

Marborad schickte sich an ein Lächeln auf sein Gesicht zu setzen, überdachte diesen Einfall jedoch und entschied sich stattdessen den ernsten und überaus geschäftstüchtigen Ruf seiner Akademie zu nutzen und neigte daher nur knapp den Kopf. “Hesinde zum Gruße,” intonierte er und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. “Wir sind in einer überaus delikaten Angelegenheit hier, die – in gewisser Weise – von politischer Natur ist,” er warf einen kurzen Blick zu Welf und Rajalind, von denen er sich ein eifriges Nicken ob der Bestätigung seiner Worte erhoffte.

Welf hielt für einen Moment den Atem an. Er schätzte selbst auch das einfach, direkte Wort, aber hier wäre es womöglich besser gewesen, sich langsam vorzutasten. Aber dafür war es ja nun schon zu spät. Also blieb ihm nichts anderes übrig als zu nicken.

“Wir benötigen allsweilen Informationen über mögliche Liebestränke oder andere magische Aphrodisiaka, die womöglich durch eure Hände gegangen sind. Diese Informationen sind für uns wirklich wichtig und wir benötigen sie sofort, protinus consolidatae sozusagen.” Marborad straffte die Schultern und hoffe, dass diese Geschichte – die zwar durch und durch wahr war, jedoch selbst ihn noch immer an der Zurechnungsfähigkeit von Jonata, Rajalind und Welf zweifeln ließ - von der Apothekarin nicht nur akzeptiert sondern auch geglaubt wurde.

Es verging ein Augenblick der Stille, in dem Korina Bächerle die Stirn runzelte. „Politischer Natur? Verstehe.“ Ihr Blick schärfte sich und fuhr gefühlt jede Kleinigkeit in den Gesichtern der jungen Leute ab, als suche sie in ihnen eine Antwort auf diese Frage. „Magische Tränke solltet Ihr doch wohl eher in Eurer Akademie suchen, junger Herr, das hier ist eine Apotheke.“ Sie schmunzelte bei diesem Hinweis. Sie war wohl wirklich nicht so streng wie der Haarknoten auf ihrem Kopf. „Und was sind das genau für…Informationen,…die Ihr benötigt? Meine Schränke sind voller Alchemika für alle Lebenslagen, wie ihr seht, doch versteht mich nicht falsch, meine Rezepturen sind Berufsgeheimnis.“

„Meisterin Bächerle, wir sind auch an keiner eurer Rezepturen interessiert,“ entgegnete Welf noch ehe Marborad oder Jonata etwas erwidern konnten. „Wir sind auf der Suche nach einem Trank. Einem Liebestrank. Er wurde seinem Besitzer entwendet und wir vermuten, dass er Euch zugespielt wurde, um ihn hier bei euch versteckt zu wissen. Es ist von großer,“ der Krieger suchte den Blick seiner Base, dann streiften seine Augen kurz Marborad, „politischer,“ wiederholte er dabei, „Wichtigkeit, dass wir ihn finden. Wir kommen im Auftrag einer sehr hohen Persönlichkeit. Und ich muss wohl nicht betonen, dass es eurem Ansehen und Stand einträglicher wäre, wenn ihr uns helft.“ Kurz ließ Welf die höflichen Worte der kühlen Ermahnung verhallen. Trotzdem, Drohung blieb Drohung. Nun, diese Frau sollte sich seiner Meinung nach der Konsequenzen ruhig von Anfang an bewusst sein, denn noch eine Niederlage wollte er persönlich der Herzogenmutter nicht erklären wollen. Dann fuhr er aber höflich wie eben fort: „Ihr seid schließlich uneingeschränkt die Spezialistin für solcherlei Dinge.“ gab Welf seinen Worten etwas Milderung. „Sagt, ist euch also in letzter Zeit eine Alchemika untergekommen, die nicht von euch gebraut wurde?“

Die Bächerle hatte bei Welfs Worten einen Moment lang gestutz. Nun zeigte sich ein breites, fast mütterliches Lächeln in ihrem Gesicht, während sie um den Tresen herum trat, die Arme ausbreitete und mit dem einen den Krieger, mit dem anderen den Candidatus sanft einfing, ohne, dass ihre dreckige Schürze einen von beiden berührte. Von ihr ging ein merkwürdiger Geruch aus und nun konnten die jungen Leute auch vereinzelte unnatürliche Flecken – Narben? – im Gesicht der Alchimistin erkennen, die wohl von Spritzern bei der Trankherstellung herrühmten. „Die Spezialistin bin ich wohl. Und natürlich bin ich auch genug Geschäftsfrau, um den jungen Herrschaften ein Geschäft vorzuschlagen.“ Sagte sie während sie die jungen Männer sanft aber bestimmt mit in Richtung Tür nahm, zu der sie nun ging. Sie winkte auch Lioba zu, ihnen zu folgen. Auf Rajalind, die mit dem Tier nun sogar zu spielen begonnen hatte, achtete die Apothekarin augenscheinlich nicht.

Marborad hatte mit wachsendem Unglauben Welf angesehen, als dieser aus Marboradas Hinweis auf hohe Stellung und politische Verwicklungen mit der Kunstfertigkeit eines Ogers eine Drohung gezimmert hatte. Er ahnte was alsweilen folgen würde, wagte es jedoch nicht einen weiteren Versucht zu starten und so die Missgunst, die Marborad in den von der Apotherakin ausgehenden Schwingungen fühlen konnte weiter zu befeuern.

Während sie der Tür zustrebte und sie die Männer mit den Händen an deren Rücken vorwärts geleitete, nahm die Bächerle das Gespräch auf. „Ich verstehe den Umstand von Dringlichkeit. Oh ja. Und dass es eine Persönlichkeit von hohem Rang und Namen betrifft, die meiner Hilfe bedarf, das dauert mich einerseits und ehrt mich andererseits natürlich sehr. Es freut mich schließlich immer, wenn ich mit meiner Kunst helfen kann. Egal wem. Es ist auch sicherlich eine überaus ehrenvolle Aufgabe, die Euch da aufgetragen wurde, nicht wahr?“ Vor der Tür angekommen nahm die Bächerle Arme und Handflächen vom Rücken der jungen Männer und drehte beide so, dass Welf und Marborad nun mit dem Gesicht zu ihr blicken konnten. Immernoch trug die Bächerle den Ausdruck einer Art mütterlicher Fürsorge und Verständnis im Gesicht. „Verehrte junge Herren, ich mache gerne folgenden Handel mit Euch,“ sagte sie immernoch lächelnd, und wenn Welf oder Marborad jetzt das Gefühl bekamen, dass sie gerade auf nette Art aus dem Laden geworfen wurden, so sollten sie Recht behalten. „Ich habe Kunden in den höchsten Kreisen, ja selbst aus der Eilenwïd schickt man hin und wieder nach mir. Geht also zurück zu demjenigen, der euch schickt und kommt wieder, wenn er oder sie euch gestattet hat, einen Namen nennen zu dürfen, den ich in mein Stammbuch besser eintragen kann als diese Art von, verzeiht, unangenehm bedürftigen Drohungen, mit denen Ihr herkamt. Und dann, so bin ich sicher, werden wir uns auf ein schönes Geschäft einigen können.“

Korina Bächerle lächelte noch einmal milde, seufzte alsbald theatralisch und machte anschließend auf der Stelle kehrt, um einen Schritt später den jungen Leuten die gläserne Ladentür vor der Nase zu verschließen.

Drinnen gab sie ihrem Hund ein kurzes strenges Kommando, aufgrund dessen das Tier sofort aufhörte mit der Rahjani zu spielen und sich stattdessen wie ein Wachsoldat an die Eingangstür setzte. Die wachsamen Augen durch die Scheibe auf die Besucher draußen gerichtet. Dabei sah der Hund nun alles andere als müde aus. Er fletschte sogar mal die Zähne, als Welf eine Hand an die Klinke legen wollte.

„Potzblitz, diese giftige Alte! Wirft uns raus und hetzt den Köter auf uns!“ schimpfte Welf und trat mit einem lauten „Ogerdreck!“ zornig gegen die Unterkante der Tür, was den Hund dazu veranlasste einmal drohend zu Bellen und noch einmal knurrend das spitze Gebiss zu entblößen, bis der Kriegerschüler in gebührenden Abstand zur Türe trat.

"Was hast du denn bitte erwartet?” zischte Marborad und schüttelte den Kopf. “Das hier ist eine delikate Angelegenheit. Und wie alle Delikatessen gilt es hier mit Fingerspitzengefühl vorzugehen. Eine Eigenschaft die dir wohl vollkommen abgeht. Du kannst doch nicht rechtschaffene und fleißige Leute bedrohen!” er verschränkte die Arme vor der Brust. “Und wenn du sie bedrohst, dann tue es klug. Tue es taktisch. Finde ihre Schwächen heraus – wir wussten zu wenig über sie für eine Drohung. Und in der Hand hatten wir auch nichts! Ich wollte ihr nur die Dringlichkeit unseres Anliegens klar machen. Wollte ihr klar machen, das es von äußerster Wichtigkeit ist über alles was hier vorgeht stillschweigen zu bewahren. Denn die Sache, der wir auf der Spur sind hat Anleihen Wellen zu schlagen. Größere als die im Fluss.”

„Glaubst du, das wüsste ich nicht?“ entgegnete Welf zornig und wollte schon mit gespreiztem Zeigefinger auf Marborad zugehen.

Doch noch ehe beide ihren Disput vertiefen konnten, tippte Jonata die jungen Männern auf die Schulter. „Hört auf und schaut lieber mal her!“ Sie zeigte durch das die Glasfenster des Bächerle-Ladens. „Da, Rajalind!“

Drinnen konnten Welf, Marborad und Jonata beobachten, wie die Bächerle das Wort an Rajalind richtete und beide nachfolgend in ein Gespräch abtauchten, dessen Inhalt natürlich durch die Abschirmung mit dem Glas nur zu erahnen war, Rajalinds ausdrucksvoller Gestik nach wohl aber eine genaue Beschreibung dessen sein musste, was sie erlebt hatten. Mit ihren Händen zeichnete die Zweibruckenburg Fischschwänze, Wassertore und Schwimmbewegungen in die Luft, deutete ein paar Mal nach draußen auf die drei Leute vor der Tür, dann wieder auf die Ansammlung an bunten Fläschchen in der Vitrine. Auch die rahjanischen Muster auf den Unterarmen der Novizin waren wohl Thema, denn sie entblößte sie genauso wie ihre bemalten Füße. Die Bächerle hörte lange Zeit nur zu, nickte hin und wieder oder runzelte verwundert die Stirn. Am Ende schien sie Rajalind eine abschließende Frage zu stellen, auf deren Antwort die Alchimistin nachdenklich, fast mitleidig nach draußen sah, ehe sie schulterzuckend zu dem dicken Buch ging, das auf dem Tresen ruhte, ihr Augenglas aufsetzte und in dem mächtigen Wälzer nachschlug. Anschließend kritzelte sie etwas auf einen kleinen Zettel und übergab ihn mit einem tiefen Seufzen, aber augenscheinlich zufrieden s. der Rahjani. Die lächelte daraufhin und drückte den Zettel freudig an ihre Brust.

Als Rajalind wenige Augenblicke später wieder bei den anderen auf der Straße stand, wollte das Grinsen nicht aus ihrem Gesicht weichen. Immer noch drückte sie einen Zettel gegen ihre aufgeregt bebende füllige Brust. Indessen ward die Tür zum Ladengeschäft der Bächerles hinter der Rahjani erneut geschlossen, auch der Hund hatte wieder Stellung bezogen.

Welf war der erste, der vortrat. „Was hast du da bekommen?“ Er deutete auf das Objekt der Begierde.

Rajalind grinste froh. „Das ist ein Zettel, Welf. Man kann etwas darauf schreiben. Oder malen.“

„Ja ja, das ist mir bewusst,“ grummelte der Krieger. Offenbar war es um die Geduld des Schleiffenröchtes nicht mehr gut bestellt. „Was hatte sie für eine Information? Lass mal sehen…“ Schon streckte er die Hand nach dem Zettel aus.

Doch die Zweibruckenburg drehte sich weg. „He! Das IST eine Information, aber sie hat sie MIR gegeben.“ Mit einem Schmollmund im Gesicht streichelte sie das kleine Papier liebevoll. „Nachdem ihr euch ja so…blöd…angestellt habt. Das war sehr unhöflich. Wolltet ihr Frau Bächerle etwa kränken? Sie ist so eine nette Frau. Ihr hättet ihr gleich die Wahrheit sagen sollen, dann hätte sie euch nicht vor die Tür setzen müssen.“

Welfs Blick verfinsterte sich. Was erlaubte sich dieser Bastard eigentlich. Wollte ihn tadeln! Brummend zog er die Hand zurück und trat wieder in den Kreis und schlug stattdessen eine überzogen freundliche Stimme an. „Rajalind, würdest du uns…bitte…mitteilen, was die Bächerle—“

„Die FRAU Bächerle!“wurde er von der Rahjani unterbrochen.

„Von mir aus.“ Welf verdrehte anhand des erneuten Tadels nur die Augen, während er sich zusammenriss, „…die…Frau…Bächerle dir für Informationen gegeben hat? Wir haben gesehen, dass ihr miteinander gesprochen habt…“

„Ja, ich hab ihr alles erzählt.“

„…Du weißt doch wie wichtig und dringend es ist. Und um was es geht.“ Ein Rajalinds geistige Fähigkeiten anzweifelndes ‚oder?‘ verkniff er sich gerade so. Er besaß hingegen keinen Zweifel daran, dass die Alchimistin nun über sämtliche Details Bescheid wusste. Hoffentlich fiel dies nicht in schlimmer Weise auf ihn und die anderen zurück. Welf wollte nicht Schuld an noch größerem Unglück für die Nordmarken sein, nur, weil dieses Mädchen ihr Plappermaul nicht halten konnte… Er ballte die Fäuste.

…spürte alsbald jedoch die besänftigende Hand Jonatas an seinem Arm. „Verrätst du uns, was auf deinem Zettel steht? Ich habe gesehen, dass Frau Bächerle für dich in ihrem…Auftragsbuch?...nachgeschaut hat.“ Versuchte es die Schleiffenröchte mit freundlichem Ton.

Und siehe da, sie hatte Erfolg. „Ja. Es ist der Name von dem Mann, dem Frau Bächerle den Liebestrank geschenkt hat,“ erzählt die junge Frau stolz, während sie den Zettel nach wie vor wie ein Schatz in Händen hielt und sinnierend seufzte. „Hach, das ist so schön…“ Ihre Augen glänzten dabei und ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet.

„Die hat den doch nicht verschenkt,“ brummte Welf verächtlich, doch erneut fuhr Jonata dazwischen:

„Scht! Lass sie doch ausreden. – Er ist jetzt also bei einem Mann. Gut. Und wie lautet sein Name?“

"Flusswacht. Sigiswolf von Flusswacht.“

Tatsächlich stand dieser Name auf dem kleinen Stück Büttenpapier, das die Zweibruckenburg nun herzeigte. Dazu stand da noch ein weiteres Wort: Flussgarde. „Aber Frau Bächerle hat darauf hingewiesen, dass sie die Namen ihrer Kunden normalerweise nicht preisgibt, und dass sie das nur jetzt in diesem speziellen Fall tue. – Sie fand mich sehr nett.“ Was das in der Umkehrung hieß, ließ sie hingegen offen und sah nur Welf kurz an.

Der sah in dem Moment alle Möglichkeiten, den Trank je wiederzuerlangen, in weite Ferne gerückt. „Was heißt das, Flussgarde?“ grunzte er und riss das Papier doch in einer schnellen Bewegung aus Rajalinds Fingern. Ohne auf den ihren Protest einzugehen, drehte und wendete Welf den Zettel, als suche er noch weitere versteckte Hinweise, die nur sichtbar würden, wenn er sie herausschüttelte. In Wahrheit hielt ihn nur seine große Selbstbeherrschung davon ab, das Ding vor Ärgernis zu zerknüllen. Und Rajalind mit beiden Händen zu schütteln. „Wisst ihr was, wenn dieser Flusswacht in der Garde des Herzogs dient, dann können wir es gleich vergessen und uns im Fluss ertränken gehen. Oder meint ihr, wir können diesen Gardisten einfach so sprechen und dass er uns den Trank einfach so überlässt?“ Er schüttelte den Kopf. Nein, wie absurd. Sie hatten den Trank beinahe gehabt, zumindest hatten sie seinen Aufenthaltsort lokalisiert gehabt. Noch mehr Glück war wahrscheinlich zuviel verlangt.

„Welf!“ Jonata fasste sich an den Kopf. War das denn zu fassen, er redete vom Aufgeben, jetzt schon? „Wenn wir ihm sagen, um was es geht, dann besteht eine gute Möglichkeit, dass auch er uns hilft. Immerhin hat er einen Eid geschworen, den Herzog und die herzögliche Familie mit dem Leben zu verteidigen.“ Sie musste an ihren Onkel Odumir denken, der ebenfalls in der ehrwürdigen Flussgarde diente. Als Hauptmann des 2. Banners.

„Wir sollten zur Eilenwid gehen und mit ihm reden. Oder was meinst du?“ Sie sah Marborad zwar an, schien die Entscheidung aber bereits stellvertretend für alle  getroffen zu haben.

Marborad kannte Jonatas Ton und setzte nur ein widerwilliges und leicht übertrieben freundliches Lächeln auf. Er wollte nicht für noch mehr Ärger sorgen und zudem saß der Stachel des Misstrauens und Zweifelns tief in seinem Herzen. Der Blauendorn, da war sich Marborad beinahe sicher, hatte womöglich auf noch auf mehr Dinge – und Gedanken – Zugriff, als dem Magierlehrling lieb sein konnte. “Ich halte das für eine hervorragende Idee!”

Gesagt getan. Unterwegs zur Eilenwïd, der Herzogenresidenz, fügte Rajalind dem Puzzel noch weitere Bausteine hinzu. So erzählte sie voller Inbrunst, wie die Bächerle den gesuchten Trank laut eigenen Angaben bei denen gefunden habe, die sie zum Auskühlen in den Fluss gehängt hatte. Ein wunderschönes Fläschchen sei es gewesen, anmutig, die Form wie ein großer schillernder Wassertropfen, der Verschluss aus einem geschliffenen Kiesel. Eben ganz anders als die ihrigen, daher habe sie auch gleich vermutet, dass der Inhalt genauso besonders sei. Die Bächerle habe das fremde Elixier natürlich äußert kritischen Tests unterzogen, wusste ja niemand, ob nicht Gift darin war. Etliche Test habe sie unternommen, gewissenhaft analysiert und am Schluss sei sie sich sehr sicher gewesen, was die Wirkungskraft ihres Fundstücks anging. Und so habe sie es ihrem eigenen Warensortiment hinzugefügt, und schließlich, wie der Zufall es will, erst kürzlich sogar für einen entsprechenden Preis an einen zahlbaren Kunden verkauft, der, sofern das Glück ihnrn weiterhin treu war, das Elixier hoffentlich noch in seinem Besitz und noch nicht zum Einsatz gebracht habe.

Was Rajalind nicht wusste, weil die Bächerle es ihr auch nicht gesagt hatte, war die Tatsache, dass die Alchimistin ihre fundierten Versuchsreihen nicht nur an einer Vielzahl verschiedener Gesteine oder Pflanzen machte, die sie beträufelte oder einlegte, sondern durchaus an lebenden Objekten. So manch ein armer Schlucker aus einer verlausten Kaschemme im Güldenschatten nahm gerne glänzende Münze für eine Erfrischung.)

In der Eilenwid

So näherten die vier jungen Leute sich der Herzogenveste Eilenwïd-über-den-Wasser. Denn wo sonst würde man einen Flussgardisten antreffen, wenn nicht dort. Zwei Probleme mussten sie nun angehen, davon war das eine weniger schwierig als das andere, beide jedoch nicht mal eben so zu bestehen. Zum einen: wie sollten sie zu diesem Sigiswolf von Flusswacht gelangen? Zum anderen: würde er den Trank einfach so hergeben? Aber vor allem: wie würde dieser Mann reagieren, wenn ihm vier junge Menschen auf die Nase banden, darüber bescheid zu wissen, dass er im Besitz eines feenmagischen Liebestranks war?

Lioba überlegte angestrengt. Sie kam dabei immer wieder darauf zurück, dass ihr Onkel ebenfalls Flussgardist war. Konnte das nicht eine Hilfe sein? Immerhin war er ja auch nicht einfach irgendein entfernter Onkel, der nur ‚Onkel‘ genannt wurde, weil er über Hundert Ecken verwandt war, sondern er war der jüngere Bruder ihres Vater. „Was, wenn wir meinen Onkel in unsere Queste einweihen? Immerhin geht es nicht nur um uns, sondern um die Herzogenmutter! Da sind wir doch bei der Flussgarde an der besten Adresse.“

Welf seufzte und warf einen besorgten Blick auf das blau-grüne Banner, das immer näherkam. Von den Damen hatte wohl jeder hier eine Idee, die ihnen allen den Kopf kosten konnte. War ihnen das bewusst? Der hübsche Bastard plauderte einer Wildfremden alles aus, seine Base wollte die Garde einweihen. Das konnte ja nur ungut ausgehen. Er stellte sich gerade vor, wie er alsbald Dienern des Praios Rede und Antwort stand, und wie sein Name, ja, wie seine ganze Zukunft den Fluss herunterging – Den Fluss runter… ha ha, welch Ironie. Gerade wollte er selbst den Vorschlag machen, nicht erst dem Anverwandten sondern am besten gleich der Landhauptfrau Bericht zu erstatten, als der andere Zauberer das Wort ergriff:

„Ich halte es für unklug noch mehr Wirbel um die Sache zu machen als ohnehin schon,” erklärte Marborad leise. „Es gibt mit Sicherheit einige Individuen, die das Verschwinden unserer Gesuchten” - Marborad blieb absichtlich vage, da er selbst hier Lauscher befürchtete – „nicht nur interessieren, sondern sich auch zu Nutzen machen würden....” der sonst so strenge Magier biss sich auf die Unterlippe.

„Welche Gesuchte? Wir suchen doch einen Trank.“ Entgegnete Rajalind leicht beschämt und zweifelte kurz an sich selbst. Hatte sie da etwas falsch verstanden?“

„Er meint Ihre Hoheit!“ entgegnete wiederum Welf der Rahjani, seine wachsende Ungeduld schwang in der Art, wie er es sagte, deutlich mit.

Marborad wartete kurz den Worttausch ab. Er dachte derweil an anderes: Womöglich war es Zeit ein wenig Magie anzuwenden. „Bevor wir in das Gespräch mit dem Herr Hauptmann beginnen, sollten wir vielleicht sicher gehen, dass er uns wohlgesonnen ist,” erklärte Marborad und warf Jonata einen verschwörerischen Blick zu. „Nicht umsonst sind wir Gelehrte und in mannigfaltiger Kunst in der Lage uns des Wohlwollens einer Person zu versichern. Nicht umsonst werden wir auch als Diplomaten ausgebildet. Wird uns beigebracht, wie man – neben einem Baron oder Fürsten stehend – dessen Argumente mit kleinen Gesten zu unterstützen weiß. So wie ich das sehe, sind wir im Auftrag unserer Akademie, ja gar in hoheitlichem Auftrag unterwegs, was den Einsatz spezieller Mittel legitimiert. Oder hat jemand einen Einwand?”

Jolenta stutzte. War das Marborads Ernst? Wild mit den Kopf schüttelnd, rümpfte sie vor Empörung die kleine hübsche Nase und trat vor ihren Mitschüler hin. Ihre Augen suchten in denen des Gegenüber nach Anzeichen eines Scherzes. Die Ernsthaftigkeit, die sie stattdessen fand, machte ihr etwas Angst. Zu sehr erinnerte es sie an eine andere Situation, bei der Marborad über seine Kompetenzen …nein, sie musste sich fokussieren. Durfte sich nicht ablenken lassen. Die Sache war zu wichtig. Privates musste ruhen. „Marborad,“ sie sah ihn eindringlich an und hoffte auf Einsicht, „wir haben weder die Befugnis, noch die ERLAUBNIS, Magie anzuwenden! Denk an das Magieverbot! Wir brauchen uns sonst in der Akademie gar nicht mehr blicken lassen, die werfen uns hochkant raus. Und selbst wenn…dann würde wir an meinem Onkel auch keine anwenden. Er ist schließlich mein ONKEL!“

„Du vertraust dem Mann?“ fragte der Krieger, der ebenfalls mit dem Hauptmann verwandt war. Allerdings recht entfernt. Das Haus Schleiffenröchte war weit verzweigt.

„Ja!“ kam es selbstsicher aus Jonatas Mund. „So sehr wie es der Herzog tut.“

Da nickte Welf. Vielleicht war das dann doch keine schlechte Idee.

Nicht das Marborad jemals vorgehabt hatte den Umweg über Jonatas Onkel zu gehen, aber er beherrschte sich. Die Mitschülerin war noch nie bereit gewesen in Zeiten der Not das zu tun was nötig war. Aber er musste sich beruhigen, im Griff behalten. Vor allem, da er befürchten musste, dass Jonata ihn womöglich eines Tages über eben jene Begriffe würde stolpern lassen. Sie hatte Einfluss – das zeigte schon der Onkel. Also nickte der junge Magierschüler, setzte ein freundliches Lächeln auf und ermahnte sich, dass es seine Aufgabe war mit Jonata zusammen zu arbeiten. Was auch Kompromisse bedeuten würde. “Ich habe an das Wort Magie doch noch nicht einmal gedacht Jonata,” erklärte er beschwichtigend. “Ich bin mir der Regeln unserer Akademie durch und durch bewusst!” er deutete in Richtung des Palastes. “Ich würde vorschlagen, wir gehen deinem Ansinnen nach und sollte uns dies wider erwarten nicht weiterführen, dann können wir uns immer noch überlegen was zu tun ist.”

Die Schleiffenröchte zeigte sich zufrieden. „Mein Onkel KANN uns helden. Ihr werdet sehen.“ Sie tatsche Marborads Schulter zum Abschluss des Gesprächs kurz an, denn eigentlich meinte sie ihn, weniger die anderen beiden.

Es fühlte sich seltsam an, als Jonatas flache Hand Marborad traf. Aber eher, weil für eben diesen Moment der latente Druck im Kopf und in der Brust des Magierschülers weg war und dann wieder alles mit umso mehr Wucht einsetzte, als sich Jonata im nächsten Moment abwandte, um mit einem kecken „Na los, gehen wir’s an!“ Richtung der Herzogenveste voraus zu laufen.

Die Burg Eilenwid-über-den-Wassern betraten Besucher wie Beamte durch den Huldigungshof, an dessen zur Herzogenpromenade gelegenen Seite der alte Herzog Jast Gorsam als markante Statue recht lebensecht mit grimmem Blick von seinem Sockel auf alles und jeden hernieder sah. Hier standen die ersten Gardisten, und fragten nach dem Begehr. Zwei davon geleiteten die vier jungen Leute nachfolgend zur Wachstube. Vorbei an dem hölzernen Standbild eines reitenden Sankt Hluthars mit gezücktem Schwert, der Auffälligkeiten mit dem aktuellen Herzog Hagrobald aufwies – oder andersherum. Eine Inschrift besagte, dass die Statue ein Geschenk der Vogtei Oberrodasch sei und anlässlich der Rückkehr der Streiter aus dem Osten gestiftet wurde. Das war im Rondra 1040, als man zuvor an der Seite der Kaiserin in Tobrien gegen den Erzreichsverräter Haffax gekämpft hatte. Wer den Innenhof durchquerte steuerte auf das reich verzierte großen Tor aus schwerem dunklen Holz mit dem Barsch und der Herrschafts-Krone zu, natürlich war es verschlossen. Es befand sich am Ende einer breiten Aufwärtstreppe. Zwei Reihen Pfeiler trugen einen prunkvollen Balkon, der die ganze Stirnseite des Hofes einnahm und das Portal beschirmte – wer schon einmal hier gewesen war, wusste, dass der Herzog vom Balkon aus bei Feiertagen oder Verkündigungen hiervon zu seinem Volk sprach. Und überall war die Flussgarde. Diese war nicht nur im Volksmund eine Einheit der Elite, die aus überaus disziplinierten Kämpfern bestand, nein, der elitäre Charakter war spürbar. Die Uniformen aus blau und grün mit dem silbernen gekrönten Barsch leuchteten den Besuchern von allen Ecken entgegen. Freundlichkeit sah dabei wahrlich anders aus. Pflichtbewusstein, Ansehen und Drill hatten den Gardisten und Gardistinnen einen Gesichtsausdruck ins Gesicht getrieben, den nicht wenige wohl als arrogant bezeichnen würde.


In der Wachstube:

In der Wachstube, in der die vier jungen Menschen sich den musternden Blicken des diensthabenden Weibels stellen mussten, hing ein großes Gemälde Herzog Hagrobalds in herrschafticher Pose, umsäumt von blauem und grünem Stoff. Blau und Grün waren auch die vorherrschenden Farben in der ansonsten nüchternen Wachstube. Nun ja. Der Begriff ‚Stube‘ traf es nicht ganz. Es war mehr ein großer Raum, zweigeteilt in eine Art Schreibstube mit Schreibpulten statt Tischen, in dem auch einige Waffenständer mit blankpolierten Klingen mächtig Eindruck schunden. Die andere Hälfte war für etwaige Besucher mit Wartebänken an den Wänden ausgestattet. Hier wurden sie noch einmal nach ihrem Begehr gefragt. Die Namen Marborads, Jonatas, Welfs und Rajalinds landeten in einem dicken Besucherbuch. Die vier wurden gebeten, auf einer der Bänke Platz zu nehmen.

Nach recht langer Zeit, in der Welf vor Ungeduld wie eine Raubkatze umhergegangen und dafür mehrfach von den anwesenden Soldaten mit einem Räuspern ermahnt worden war, erschien schließlich eine Soldatin aus einer der Türen, die jedoch nur Jonata und Welf mitnahm. Marborad spürte eine Zunahme des Schmerzes, als er und die Albenhuser Novizin zurück in der Wachstube blieben. Sie mussten sich mit der Antwort begnügen, noch einen Moment warten zu müssen

Rajalind war seit Betreten des Palastbezirks von einer sichtbaren Aufregung gezeichnet, die nicht unbedingt davon herrührte, dass sie im Herzogenpalast herumschnüffelten. Ihre Erregung hatte andere Gründe. „Ist aufregend hier zu sitzen. Nicht wahr?“

Marborad hob die Brauen, ob des Kommentars der Rahja-Novizin und unterdrückte nur mühsam ein Seufzen. “Ich sterbe fast vor Aufregung,” ließ er so freundlich er nur konnte verlauten.

Doch noch ehe sich ein richtiges Gespräch entwickeln konnte, trat eine recht schlanke, drahtig gebaute Gardistin mit dunkelbraunen teils ergraute Haaren im Pagenschnitt auf die beide zu. Das Gesicht der Mittvierzigerin konnte man durchaus als attraktiv bezeichnen. Sie hatte vor nicht allzulanger Zeit die Stube betreten, sich kurz mit dem diensthabenden Weibel ausgetauscht, dabei zu Rajalind und Marborad geblickt, dann in das Eintragungsbuch geschaut. Und nun stand sie mit einem interessierten Blick aus rehbraunen Augen vor Marborad und Rajalind. „Rajalind von Zweibruckenburg?“

„Das bin ich.“ Antwortete die angesprochene wahrheitsgemäß und sprang aufgeregt auf die Beine.

„Ihr gabt dem wachhabenden Weibel an, aus dem Tempel der Schönen in Albenhus zu stammen, wo ihr euch im Noviziat der Herrin Rahja befindet. Entspricht das der Wahrheit?“ Beide spürten ein deutliches Mustern, dem aber noch etwas zu Grunde lag, was sich im Moment nur noch nicht erschloss.

„Ja, äh, natürlich.“ Rajalinds Wangen färbten sich plötzlich rot und das aufgeregte Lächeln fiel ihr auf einmal aus dem Gesicht. Was hatte diese Frau? Hatte sie gerade bei der Eintragung etwas falsch gemacht? Sie war sich keines Fehlers bewußt, trotzdem vermittelte ihr die Gardistin das. Der Novizin war daher große Unsicherheit anzumerken.

Auch Marborad stand auf, strich sich die Falten aus dem langen Gewand und hob interessiert den Blick, um jenen der Gardistin zu begegnen. Bei allen Göttern, mussten sie sich denn nun noch mehr Schikane antun. “Werte Dame, gibt es ein Problem mit meiner Begleitung? Ich versichere euch, dass wir womögliche Missverständnisse schnellstens und unkompliziert aus dem Weg räumen können!”

Das zauberte ein Schmunzeln auf die Lippen der Gardistin. Den Kopf leicht schiefgelegt, trat sie zur Seite und deutete den beiden jungen Leuten galant an, mit ihr zu kommen. „Bitte folgt mir. Hier entlang. Dort werde ich Euch alles weitere berichten.“ Und sie zeigte auf eine Tür, die ins Palastinnere führte. Durch diese war sie vorhin gekommen.

Dahinter öffnete sich ein langer Gang, von dem weitere Türen abzweigten. Die Gardistin strebte eine der Türen an, auf die sie mit festen Schritten zutrat. Bevor sie die Hand an die Klinke legte, sah sie vor allem Rajalind an, öffnete dann die Tür mit einem Schlüssel und bat den jungen Magierschüler und die Novizin herein. Es war eine eher schlichte Unterkunft. Ihre persönliche Unterkunft, wie es schien. Mit einem unspektakulären Bett in der einen Ecke, einem kleinen schmalen, mit Glas ausgestatteten Fenster zum Huldigungshof, einem Tisch mit Stuhl in der anderen Ecke und einer schweren Kleidertruhe am Fußende. Auf einem langen Regalbrett an einer der Längsseiten standen Bücher, einige dicke Kerzen und zwei kleine Götter-Statuetten. In einer Ecke neben der Tür hing auf einem Rüstungsständer eine prunkvolle Rüstung mit reicher Ornamentik, üppigen silbern glänzenden Platten und einem grün-blau-geteilten Kurzmantel, dazu ebenso mit punzierten Ornamenten versehene Handschuhe und Vollgesicht-Visierhelm mit einem grün-blauen Pferdeschweif als Helmzier. Nachdem sie die Tür hinter den Besuchern sorgsam zugezogen hatte, zog die Soldatin den Stuhl unter dem Tisch hervor und bot Rajalind gastfreundlich Platz, sie entschuldigte sich auch sogleich, dass sie Marborad keinen Sitzplatz bieten konnte. Aber einen zweiten Stuhl besaß die Kammer nicht. Die Soldatin ließ sich selbst auf einer Ecke ihrer Truhe nieder. „Danke, dass Ihr mir ins Privatim gefolgt seid. Hier können wir sprechen.“ Richtete sie alsdann milde, ja, nun fast dankbar das Wort an die beiden verdutzten jungen Menschen.

Rajalind hatte auf dem einfachen Stuhl Platz genommen und starrte die Fremde nun ungläubig aus großen Augen an. „Ja, aber warum denn?“ Kurz sah die junge Frau hilfesuchend und verwirrt zu ihrem Begleiter auf.

Marborad hatte sich angespannt, bei allem was heilig war – wo auch immer sie sich nun befanden, es musste noch weiter von Jonata entfernt sein als zuvor. Das Ziehen in seinem Nacken begann bereits Kopfschmerzen auszulösen. Und das war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Er musste klar bei Verstand und vor allen Dingen freundlich bleiben, doch das würde ihm mit einem hämmernden Specht im Geiste sicherlich schwer fallen. “Wollt ihr denn nun nicht endlich zur Sache kommen werte Dame? Unsere Gefährten vermissen uns bestimmt, wenn sie zurück kommen und wir ohne jede Nachricht fort sind!”

„Bitte, es besteht keinerlei Anlass zur Sorge. Wenn ich mich nun vorstellen darf. Mein Name ist Mika vom Berg, Ritterin der Nordmarken und Korporal der Flussgarde. Und wenn mich nicht alles täuscht, haben wir einen gemeinsamen – hm, will sagen – Bekannten. Ihr seid doch die Tochter des Flussgarde-Obristen Burghard von Zweibruckenburg?“

„Äh ja,“ stammelte die Angesprochene verdutzt. „Burghard von Zweibruckenburg ist,“ sie errötete noch mehr, verbesserte sich allerdings, „war… mein Vater. Aber wir haben uns nie kennengelernt, denn er ist vor etwa 2 Jahren gestorben und ungefähr genauso lange weiß ich erst, dass ich seine Tochter bin. Ihr…kanntet also meinen Vater?“ Eine eigentlich überflüssig Frage.

Die Soldatin nickte und beugte sich vor, während sie der Waise ein mitleidsvolles Lächeln schenkte und ihre Hand sorgsam auf die Rajalinds legte. „Oja. Ich kannte ihn gut, sehr gut sogar. Euer Verlust traf diejenigen unter uns, die ihn zu ihren Freunden, sogar zum Vertrauten zählen konnten, tief ins Mark. Sein Tod war schändlich! – Praios sei dank siegte am Ende die Gerechtigkeit und man wurde dieser Giftmischerin Saria von Hartsteig habhaft.“

Bei diesen Worten zuckte Rajalind zusammen. Unweigerlich musste sie an Deryalla denken – jene Kriegerin, die mit ihr an der Seite der Herzogenmutter reiste und die sich als Base der Mörderin ihr gegenüber mitverantwortlich gezeigt und bei ihr sogar um Vergebung für die schädliche Tat ihrer Anverwandten gebeten hatte. Ein dicker Klos steckte auf einmal in Rajalinds Kehle. Sie wollte etwas erwidern, doch brachte sie für den Moment nichts heraus.

Die Soldatin Vom Berg fuhr fort: „Ich war bei der Hinrichtung der Hartsteig anwesend. Hört doch, als ihr Leben erlosch, sandte ich ein Gebet gen Alveran, auf dass sich die Herrin Rondra eures Vaters erbarmt haben und ihn an ihre Tafel gehol haben möge. Denn ihr müsst wissen, junge Wohlgeboren, euer Vater war ein rechtschaffener, götterfürchtiger Mann, der seine Pflichten sehr ernst nahm. Er sagte immer selbst, dass er ‚für eine große Sache‘ sein Leben geben würde, doch dass ihn diese verdammte Haffax-Buhle vergiftet und sogar noch verstümelt hat er wahrlich nicht verdient.“

Haffaxbuhle, vergiftet, verstümmelt… in Rajalinds Herz und Verstand überschlug sich gerade alles. Die verschiedensten Gefühle brachen in Wellen übereinander und verwirrten die junge Frau nur noch mehr .

Marborad verzog den Mund. Der Erzverräter Haffax, jenes einstige Genie der kaiserlichen Armee, der den Verlockungen des Sphärenschänders gefolgt war. Es schüttelte ihn ob der Grausamkeiten, die dieser Mann und sein Gefolge noch Jahre nach der Schlacht an der Trollpforte angerichtet hatten. Er blickte zwischen Rajalind und der Frau vom Berg – welch wohlklingender und gewichtiger Name – hin und her. Er fühlte sich einstig unwohl, trat jedoch vor und in dem Bedürfnis irgendetwas zu tun, legte er sanft eine Hand auf die Schulter der Novizin. Sagen würde er nichts, das stand ihm ja wohl auch kaum zu.

„Es dauert mich sehr, dass Ihr erst nach seinem Tod von ihm erfahren habt. Das war meiner Ansicht nach nicht richtig von eurer Mutter…aber verzeiht, es steht mir kein Urteil zu.“

Diese Soldatin war also eine Weggefährtin ihres Vaters Burghard gewesen, in Ordnung, aber nun kannte diese auch ihre Mutter? „Ihr…Ihr kennt meine Mutter?“

Wieder lächelte die Soldatin. Ihr Blick konnte nun fast schon als mütterlich bezeichnet werden. „Ja. Natürlich nicht persönlich denn, nun, ich halte es in Rahjadingen doch eher mit den Mannsbildern,“ sie lachte kurz. Sie war sich jedoch wohl der besonderen Situation wie auch des missverständlichen Kommentars bewusst und fand zu ihrer einfühlsamen Ernsthaftigkeit zurück. „Aber ich kenne sie – sagen wir – vom Sehen. Und später aus Erzählungen Eures Vaters. Ihr müsst wissen, dass er Eure Mutter irgendwann sehr geliebt hat und stolz war, als Ihr, ein Kind der Liebe, geboren wurdet. Nur,“ ihre Stimme, wie ihr Gesicht bekam einen Hauch Ärgernis. „hatte die Familie eures Vaters etwas gegen dieses…Glück.“ Dann klarte es über ihr wieder auf. Ein wärmender Gedanke zerstreute die dunklen Wolken. „Er wusste, dass Ihr eines Tages herkommen würdet. Daher,“ nun stand sie auf und öffnete behende die Truhe, auf der sie bisher gesessen hatte, „gab er mir etwas zur Aufbewahrung. Für eben diesen Moment.“

Die Soldatin barg aus ihren persönlichen Sachen einen Umschlag, betrachtete ihn einen Moment lang, strich dabei sanft mit den Fingern darüber und wirkte einen Augenblick lang sogar unschlüssig. Ihr Blick maß die beiden jungen Leute abermals. Dieses Mädchen, ihren Begleiter, dessen Hand auf der Schulter der Zweibruckenburg. Dann riss sie sich von ihren Erinnerungen und dem Papier in ihrer Hand los, und reichte es zackig und ebenso entschlossen der Zweibruckenburg. „Das ist für euch. Von ihm.“

Rajalind nahm den Umschlag zögernd an. Zuviel ging ihr gerade durch den Kopf. Marborad konnte wahrnehmen, wie ihre Finger ein klein wenig zitterten. Sie war definitiv nicht mit der Absicht hergekommen, mit einem Teil ihrer Vergangenheit so derartig konfrontiert zu werden, dass ihr jetzt gerade kein rechter Gedanke gelingen mochte. Auch ihre Stimme fand sie erst nach dem dritten Räuspern wieder. „Für… mich?“ Ihre Kehle war so trocken wie ein ausgetrunkener Kelch, außerdem sammelten sich jetzt schon Tränen in den inneren Winkeln ihrer Lider.

Tatsächlich stand auf dem gesiegelten Umschlag mit schön geschwungener, fast kalligrafischer Schrift ‚Für meine Tochter Rajalind‘. Das Siegel zeigte deutlich das Zweibruckenburg’sche Wappen: ein blaues vergittertes Burgtor unter einer blauen drei-stelzigen Brücke. Das Papier war eigentlich dünnes Pergament. Anhand der bräunlichen Färbung war es bereits einige Jahre alt.

Marborad, der immer stolz darauf gewesen war sich solch manipulativen Dingen wie Gefühlen entziehen zu können, spürte ebenfalls einen Kloß in seinem Halse wachsen, ohne recht zu wissen, wie dies denn angehen konnte, und ein weiches Lächeln entkrampfte sein sonst so starres Gesicht.

„Ich…ich weiß gar nicht…was ich…sagen soll…“ Rajalind starrte einfach auf die geschwungenen Lettern.

Die Soldatin lächelte. „Nichts. Ihr braucht nichts sagen. Nehmt einfach diesen Brief, er ist euer Eigentum. Mir war es eine große Ehre, mit und unter eurem Herrn Vater dienen zu dürfen, genauso, wie ihn zum Freund gehabt zu haben. Es war mir ebenso eine Ehre und Freude, seine Nachricht an Euch zu verwahren.“

Rajalind schluckte. Sie besaß zwar seinen Namen, durch die Anerkennung nun auch die Zugehörigkeit zum Niederadel und hatte darüber hinaus eine Unmenge an Geld von ihrem unbekannten Vater geerbt – doch jetzt etwas in den Händen zu halten, was wirklich von ihm stammte, greifbar war und persönlich, das musste sie erst einmal verdauen. Völlig unerwartet wandte die Zweibruckenburg sich dem immer noch neben ihr stehenden Magierschüler zu. Ihre Stimme war dabei so zart und brüchig, wie es ihre Augen waren. „Marborad…bitte…erzähl der Frau Mika…warum wir eigentlich hier sind…ja, tust du das?“ Sie lächelte ihn dabei unbeholfen an. Sie entsann sich dann des kleinen Zettels, der ihr in den Schoß gefallen war, als sie das unerwartete Geschenk entgegen nahm, und reichte ihn dem Winterspitz mit zitternder Hand.

Die Gardistin lächelte wohlwollend. „Ich war eures Vaters Freund – ich will auch Euch einer sein, Rajalind. Sagt, wie kann ich euch beiden jungen Menschen helfen?“ Sie verwendeten dabei - vielleicht aus Versehen – eine recht persönliche Ansprache.

Marborad sah Rajalind kurz zweifelnd an – sollten sie tatsächlich einen weiteren Menschen in ihre Queste einweihen? Nun war es ja wohl ohnehin zu spät und der Magier nickte knapp. “Verehrte Frau vom Berg, wir wurden gleich zweisam ausgesandt. Die Herzogenmutter schickte Rajalind und einige unserer Freunde – denn sie wird unter den Wogen des Flussvaters gefangen gehalten. Zudem schickt uns auch die Akademie von Elenvina. Wir... sind auf der Suche nach einem Liebestrank... es ist quasi ein Pfand, das wir besorgen müssen, um die Wesenheit, die unsere geliebte Herzogenmutter gefangen hält zu besänftigen!”

Die Soldatin vom Range eines Korporals legte die Stirn in Falten, sie sagte jedoch kein Wort, sondern ließ den Magierschüler ausreden. Was nicht hieß, dass die Sorgenfalten auf ihrer Stirn nicht

"Es wäre uns schon wohlrecht getan und geholfen, wenn ihr uns Zugang zu dem Besitzer dieses Trankes verschaffen könntet und... wenn es nicht zu viel verlangt ist, euch für uns aussprechen würdet!”

„Gehört ihr beiden zu jener ausgesuchten Gruppe junger Nordmärkern, mit der Ihre Hoheit Grimberta Haugmin vom Großen Fluss und vom Berg, die Mutter unseres Herzogs, just in diesen Tagen eine Schiffsreise in Richtung Kyndoch unternimmt, und von denen seit Klippag keine Spur mehr ist, genauso wie vom Großen Fluss selbst?“ Die Frau sah beide angestrengt an. „Wie könnt ihr dann hier in meiner Kammer sitzen, respektive stehen? Bitte erklärt mir das zu allererst! – Dann werden wir uns um weitere Einzelheiten dieser Geschichte widmen, wie etwa Eurer Aussage, Ihre Hoheit sei im Reich des Flussvaters gefangen!“ Nun lag doch eine gewisse Strenge in der Stimme der Flussgardistin. Sie hatte sich während des Sprechens auch erhoben und blickte auffordernd von einem zum anderen.

Rajalind sah daraufhin auf und legte den Brief, den sie bis jetzt mit Tränen in den Augen angestarrt hatte ohne ihn auch nur zu öffnen, auf ihren Schoß nieder. „Frau Mika,…er sagt die Wahrheit.“ Sie zog laut und seufzend die Nase hoch und wischte sich mit den Fingern über die Augen. „Aber Marborad war nicht dabei. …Auf dem Schiff…mit Ihrer Hoheit, meine ich. Wir…also ich und die anderen beiden, die zu Hauptmann von Schleiffenröchte gingen…schon.“ Ihre Augen leuchteten, als sie im Folgenden von den beiden Necketn erzählte und sie schien darüber auch ihre Trauer zu vergessen. „Zuerst hatten wir laute Rufe gehört, einen Streit, dann gab es einen großen Knall und dad Schiff schwamm plötzlich auf einem See inmitten einer wunderschönen riesigen Höhle, deren Deckengewölbe glitzerte wie ein Schatz. Zwei Wassermenschen waren dort, ein alter Mann und eine junge Frau, die miteinander stritten.“

„Wassermenschen?“

„Ja. Wunderschöne Wesen mit wallendem Haar, glänzenden, geheimnisvollen Augen, glitzernder Haut. Und die Frau hatte einen Fischschwanz. Ob der Mann auch einen hatte weiß ich nicht. Er trug dafür einen Spieß in der Hand, so ein langes Ding mit drei Spitzen am oberen Ende wie Bauern sie haben für ihre Arbeit. Nur viel schöner, majestätischer, sie glänzte wie Gold!“

„Das hört sich wirklich nach Gefolge des Herrn der Wogen an!“ Nur in den Nordmarken war hier nicht der Herre Efferd, sondern der Uralte, der Flussvater, gemeint.

„Der alte Mann stellte sich Ihrer Hoheit als Fürst der Muscheln vor.“

„Was!? Der Heerführer des Flussvaters??“ Jetzt machte Korporal Mika vom Berg ein überraschtes, fast entsetztes Gesicht, sie fing sich allerdings sogleich wieder und machte eine rollende Handbewegung, während sie sich mit einem Räuspern zusammennahm. „Bitte, fahrt fort.“

Marborad hob die Augenbrauen, wurde sich dann jedoch gewahr, dass ein solches Verhalten unschicklich – und zudem auch noch dumm – war. Er bemühte sich erneut um einen neutralen Gesichtsausdruck, wenngleich er auch nicht ganz glauben konnte, dass diese Zauberwesen und Feen – denen Jonata in ihren Studien so zugetan war – der Flussgarde ein reger Begriff zu sein schienen.

Und dann erzählte Rajalind alles, was sie in ihrem hübschen Köpfchen besaß. So erfuhr nun auch der Winterspitz die Zusammenhänge. So bekam auch Marborad einen Einblick in das Spiel, bei dem auf ihnen allen das feste Vertrauen der Herzogenmutter lag. Und die Geschichte war noch fantastischer, als gedacht.

Eine junge Nixe im Reich des Flussvaters hatte sich ein Suchspiel ausgedacht, um mehr tsagefällige Freude in das Herz des Alten – des Muschelfürsten – zu bringen, der ihrer Meinung nach zu steif und verbohrt sei. Deshalb habe sie 4 Gegenstände aus dem Eigentum des Muschelfürsten entwendet und versteck, einen in jeder Grafenstadt. Der Alte aber sei überaus erbost gewesen über solche Kinderei zum einen und den dreisten Diebstahl zum anderen. So war es zum Streit gekommen, der darin gipfelte, dass sich die Wut des Alten in einem gewaltigen Zauber entlud, welcher das Wasser des Flusses in die Welt des Flussvaters riss und das Schiff mit Ihrer Hoheit und deren Begleitern mit. Ihre Hoheit habe dann versichert, bei dem bestehenden Problem zu helfen und alle ihre Begleiter aufgefordert, sich zu beteiligen. Sie hätten sich daraufhin aufgeteilt und durch magische Tore, die sich auf ein Klatschen der Nixe hin aus nichts als Wasser geformt hatten, zu den beschriebenen Plätzen gereist. Rajalind sei mit Jonata und Welf hierher nach Elenvina. Diese Reise beschrieb die Novizin wie aus den Augen von Fischen, den Tieren gleich waren sie durchs Wasser geflitzt, um schließlich im Brunnen der Akademie zu landen. Dort zog man sie gerade noch rechtzeitig vor dem drohenden Ertrinken aus dem Wasser und dabei habe sie Marborad kennen gelernt.

Marborad erinnerte sich, dass es wohl nicht ganz so dramatisch um das Leben der Gruppe bestellt gewesen sein musste, denn Rajalinds Begleiter hatte sich nicht so panisch verhalten wie die Zweibruckenburg.

„Ach so?“ Die Berg horchte auf. „Und weswegen begleitet ihr nun das Fräulein Rajalind und ihre Gefährten genau?“ Die Frage der Korporals enthielt durchaus aufmerksame Skepsis. Etwas in dem Winterspitz ließ ihn selbst aufhorchen, denn eine gewisse Nuance Gefährlichkeit besaß dieser Moment.

Marborad straffte sich erneut und versuchte dabei so viel Würde auszustrahlen wie es seine hämmernden Schläfen erlaubten. “Meine Akademie, deren unerschütterliche Treue der Herzogenmutter und dem Reiche wohl kaum angezweifelt werden darf, befand, dass es unsere unverbrüchliche Pflicht sei so viel zur Rettung der Herzogenmutter beizutragen wie uns möglich ist. Zugleich muss bei so etwas natürlich mit größter Diskretion vorgegangen werden, weshalb man mich und keinen unserer Dozenten zur Aufklärung des Falles beauftragt hat!” dass es zudem Teil seiner Ausbildung war verschwieg er wohlweislich – denn das hätte man der Akademie durchaus falsch auslegen können.

Rajalind erzählte im Folgenden von der Vision, die sie gehabt hatten: dass der gesuchte Trank inmitten anderer bunten Flaschen zu finden sei. Sie wären deshalb auf Erlaubnis des Magisters Blauendorn in der Asservatenkammer der Akademie gewesen, hätten jedoch nichts gefunden. Dann habe Marborad von der Stadtalchimistin Bächerle erzählt. Die hätten sie dann aufgesucht, Welf und Marborad hätten sich ungebührlich verhalten und seien vor die Tür gesetzt worden, woraufhin die Frau Bächerle nur ihr – Rajalind – erzählt habe, den Trank tatsächlich gefunden zu haben. Die Akchimistin habe ihn jedoch an ein Mitglied der Flussgarde verschenkt. – Ja, diesem Irrtum wollte die Novizin immer noch aufsitzen. So sei nur der Namen des Flussgardisten geblieben. Und um ihn zu finden seien sie nun hier in der Eilenwïd.

Marborad nickte während der Ausführung der Raja-Novizin, wenngleich er auch ein missgünstiges Gesicht aufgesetzt hatte, als die Sprache zu Frau Bächerle kam. Er hatte sich keineswegs schlecht benommen – Welf war es gewesen, der mit der Grazie eines Dreimasters seinen vorzüglichen Plan an die nächste Hafenmauer gedonnert hatte.

Nachdem die Berichte zu ende waren, lag ein nachdenklich-kritischer Ausdruck im Gesicht der Offizierin, die mittlerweile an der Wand am Fenster lehnte, die Arme „Eine unglaubliche Geschichte! Meine Sorge schmälert, dass ihr sagtet, Ihre Hoheit Grimberta sei keine Gefangene sondern sie sei freiwillig mit der Besatzung der ‚Concabella‘ zurück in der Obhut des Muschelfürsten gebliebenen. Keine Sorge. Das Herzogenhaus hat sich viele Generationen lang nichts zuschulden kommen lassen.“ Sie atmete erleichtert aus, während sie einen kurzen Blick aus dem kleinen Fenster warf, sogleich das Augenmerk wieder den jungen Leuten zuwandte und diesmal tiefere Falten ihre Stirn zierten. „Was mir weniger gut gefällt, ist, dass einer unserer Offiziere im Besitz eines Liebestranks ist. Abgesehen davon, dass es der Kirche der Rahja – eurer Kirche – doch sehr missfällt, wenn Zuneigung mit magischen oder alchimistischen Mitteln manipuliert wird, muss ich Euch gegenüber doch nicht betonen, dass solche schmutzigen Vorhaben auch dem Herrn des Lichts nicht gefallen. Und mir gefällt es aus Gründen der Sichetheit Ihrer Hoheit überhaupt nicht, dass Meisterin Bächerle nun über Wissen verfügt, das in ihrem Besitz nichts zu suchen hat…aber,“ um aus dem gestrengen Tadel einen sanfteren Hinweis zu machen kam sie her und stellte sich zur Tür, eine Hand schon an die Klinke gelegt. „…das eine werden WIR besorgen,“ dabei stupfte sie sich gegen die Brust auf dem gekrönten Barsch. „Das andere würde ich EUCH überlassen. Schließlich ist es EURE Queste! Und wenn Ihre Hoheit so großes Vertrauen in Euch setzt, sollte die Garde, das heißt ich, das auch. Ich muss einen Blick in den Dienstplan werfen, ob wir den Herrn Sigiswolf in der Eilenwïd antreffen können. Nun kommt. Die Zeit drängt und wir haben schon viel davon verplappert.“ Damit öffnete sie die Kammer.

Rajalind stand auf, zog sich das fremde Kleid zurecht und schlüpfte dann mit ihrem Schatz durch die Tür. Sie presste das Kleinod mit beiden Armen an sich,

Während Marborad den beiden folgte, verstärkte sich das Hämmern in seinem Kopfe abermals – bei allen Zwölfen, Jonata musste sich noch weiter von ihm entfernt befinden als zuvor. Der Druck auf seinen Augen nahm zu, doch der Zauberschüler biss die Zähne zusammen und folgte ohne ein Wort des Klagens.

Sie wurden zurückgeführt in die Wachstube und durften erneut dort warten. Allerdings erfuhren sie von dem Weibel, der ihre Namen ins Besucherbuch notiert hatte, dass ihre beiden Gefährten bereits gegangen seien. Wohin wisse er leider nicht. Korporal Mika vom Berg kam wenig später mit zackigem Schritt angesprungen. Eine gesiegelte Rolle in den Händen. „Ich habe erfahren, dass der Hauptmann der Prinzengarde heute frei hat. Er wohnt hier in der Eilenwïd, ist aber nicht zugegen, das heißt, er wird um diese Zeit wohl zum Essen in einem Gasthaus eingekehrt sein. Hm…“ Sie überlegte. „Versucht es am besten mal im ‚Alten Krug', er hat des Öfteren schon davon erzählt.“ und sie beschrieb den Weg dorthin. Ihr Auge fingen derweil Rajalind ein, die den Brief ihres Vaters noch immer an sich presste, und erneut gewann der Blick der Offizierin etwas fürsorgliches. „Ihr habt wirklich Glück, dass der Flusswachter mit mir besser bekannt ist, als mit dem Hauptmann von Schleiffenröchte. Eure beiden Freunde suchen sicher gerade jedes Wirtshaus in der Stadt ab.“ War da eben ein Zwinkern in Rajalinds Richtung? „Händigt ihm dieses Schreiben aus und ihr bekommt, was ihr braucht.“ Mit diesen Worten gab sie Marborad das Schreiben und verabschiedete die beiden aus der Burg.

“Rajalind, hör mir gut zu...” erklärte Marborad mit dem Schreiben in der Hand. “Wer weiß wie lange unser Herr Wachtmeister in der Spelunke verbleibt, daher sehe ich unsere Zeit davonfließen und Satinav ist nicht gnädig mit seinem Element. Dennoch – wenn Jonata wirklich an der falschen Stelle sucht, dann entfernt sie sich noch weiter und mit jedem Schritt verstärkt sie meine Pein. Der Zauber des Blauendorns ist stark und wenngleich ich auch viel darum geben würde, dass der Schmerz aufhört, so weiß ich auch, dass meine Pflicht zuvorderst der Herzogenmutter gilt. Lass uns schnell eilen, aber bitte – sprich du. Ich spüre mit jedem Schritt den Schmerz meine Sinne übermannen. Und ich fürchte, ich werde dir keine große Hilfe sein. Doch alleine mag ich dich auch nicht gehen lassen!”

„Marborad,“ entgegnete ihm die Rahjani lächelnd und legte mitfühlend ihre Hand auf die heiße Wange des Candidatus‘. „Ich bin sehr sehr froh, dass du mit mir kommst. Und ich denke, die Herzogenmutter wird es auch sein. Aber wenn ich etwas für dich tun kann,…“ Ehrliche Sorge umspielte ihre Augen, „oder es wirklich nicht mehr gut geht, dann sag es mir. Ja?“ Vielleicht würde die Schöne sie erhören und Linderung durch Rajalinds Hände fließen lassen, wenn sie sie für ihren neuen Gefährten erbat? Sie fühlte sich dem Zaubererlehrling irgendwie seit eben in der Kammer der Flussgardistin mehr verbunden, als sie zu anfangs gedacht hätte.

"Gräm dich nicht,” erwiderte Marborad kopfschüttelnd. „Die mir auferlegte Prüfung ist eben jene, die mich seid jeher in der Akademie erwartete und körperliche Leide schränken meine geistigen Fähigkeiten nicht ein, im Gegenteil: Sie sorgen für einen Zustand höchster Konzentration, so man denn das leibliche hinter sich lässt und – omna in omnibus - über seine eigenen Grenzen zu gehen vermag!”


im ‚Alten Krug‘

Das Wirtshaus „Zum alten Krug“ war keines, das man in den Reiseführern über Elenvina zuvorderst finden würde. Es war unscheinbar, gerade mal so breit wie ein Einspänner lang, der Eingang vom Schatten eines Nachbarhauses verdeckt, lag es im Nordosten der Stadt im Viertel Jastbogen, das bis zum Angriff der Thorwaler vor einigen Jahrzehnten eine lose Absammlung von Häusern und Menschen verschiedenster Couleur war, bis die fremden Plünderer die Bewohner dieses Stadtviertels daran erinnerten, dass sie eine Gemeinschaft unter Praios‘ Auge bildeten. Während anderswo in Elenvina Wert auf praiosgefällige Ordnung im Häuserbau gelegt wurde, waren die Häuserfassaden im Jastbogen bunt und von verschiedenen Baumeistern erdacht, die kleinen Lädchen priesen ein reich gemischtes Warenangebot an, die Schilder der Tavernen und Wirtsstuben hingegen gutbürgerliche Küche. Fremdenzimmer schien es hier vereinzelt auch zu geben, allerdings mochten die Zimmer hinten hinaus wohl nur Reisende mit einem Faible für Stadtmauern verzaubern.

Dank der Wegbeschreibung des Korporals fanden Marborad und Rajalind das kleine Wirtshaus in einer schmucken kleinen Gasse nicht weit vom „Hotel am Triumphbogen“ entfernt, einem renommierten Haus in Spuckweite der Kaserne der Pikeniere. Zwei von ihnen kamen den beiden gerade entgegen, als sie den „Alte Krug“ betraten. Über dem Eingang war ein Krug auf einem Holzschild gemalt. Ein hölzerner Aufsteller vor dem Haus wies das heutige Tagesessen aus: saure Kutteln mit Brot. Ein Gericht, das Rajalind überhaupt nichts sagte und auch das nicht unbedingt zu den Speisen aus der Akademieküche gehörte. Wenn man den kleinen etwas stickigen Gastraum betrat roch es tatsächlich sauer, nach Essig, und nach etwas Fleischigem, was allerdings nicht Fleisch war. Vielleicht Innereien?

Drinnen gab es gerade mal Platz für 7 Tische. Die waren jetzt zur Mittagszeit bis auf einen Tisch alle besetzt. Zu Gast waren einige Pikeniere, wie an den Uniform erkennbar, ein paar Bürger, Kaufleute oder Buchhalter vielleicht, oder Handwerksmeister mit Gesellen, die hier ihre Mittagspause verbrachten. Das Klientel passend zur gut bürgerlichen Küche, denn hochadeliges Volk verirrte sich nicht hierher. Es waren viel eher Leute aus der Nachbarschaft, die hier einkehrten.

Die Uniform der Flussgarde trug hier nur einer – ein Mann, der an einem kleinen Tisch hinter einer gedrechselten Blumenvase, von der ein einzelnes Sommerblümchen trank, saß und auf den die Beschreibung der Ritterin vom Berg sehr gut passte: groß, kurzes blondes Haar, vorn frech über die Stirn reichend, blonder Schnauzbart, kleines Bäuchlein, noch nicht sehr alt. Tatsächlich lehnte auch ein Schwert in der Scheide an der Wand neben ihm, hing ein blau-grüner Umhang über einer Stuhllehne. Der Knauf der Waffe wies eine Verschnürung mit der Schwertscheide auf, den sogenannten Friedensknoten, wie ihn Ritter oft banden. Der Gardist aß aus einem bauchigen Teller. Neben ihm stand ein Humpen. Doch so, wie Marborad und Rajalind des Mannes ansichtig wurden, war auch ihr Erscheinen nicht unbemerkt geblieben.

„Komme gleich zu euch. Tagesessen heut sind Kutteln,“ rief ihnen eine in eine Schürze gekleidete Frau zu, die mit Wassereimer und Lappen gerade einen leeren Tisch gesäubert hatte und die nun an der Novizin und dem Magierschüler vorbeilief, jedoch auf den Tisch deutete, dessen Oberfläche feucht glänzte. Die Frau war in einem Nebenraum verschwunden noch ehe einer der beiden jungen Leute freundlich ablehnen konnte.

„Der da drüben sieht doch wie der Hauptmann aus. Fragen wir ihn, ob er es ist. Komm!“ Raunte Rajalind Marborad zu und trat in Begleitung des Magierschülers an den Tisch des Blondschopf. Ihr Blick fiel unweigerlich in den Teller des Mannes. Der Inhalt sah merkwürdig aus. Schrumplige längliche Fetzen schwammen da in einer bräunlichen Terrine. Unweigerlich verzog sie das Gedicht.

Der Gardist sah interessiert auf, als die beiden jungen Menschen sich näherten.

„Verzeiht, mein Herr, wenn wir euch stören…aber… seid ihr der Flussgardehauptmann Sigiswolf von Flusswacht?“

„Wer möchte das wissen?“ fragte der Mann freundlich und legte seinen Löffel beiseite, um sich ganz den Besuchern an seinem Mittagstisch zuzuwenden.

Rajalind stutzte und aus ihrem Mund drang nur ein dümmliches „Ähm,“ denn irgendwie kam ihr der Mann bekannt vor. Sein Gesicht. Vor allem der blonde Schnauzer. Etwa aus dem Tempel? So brauchte sie einen Moment, um sich zu fangen, ehe sie fortfuhr: „Mein Name ist Rajalind von Zweibruckenburg, ich bin Novizin der Schönen aus dem Tempel in Albenhus.“ Peinlich berührt sah sie zu Boden und für den Moment an sich herab.

Marborad entging die kurze – wissende? – Regung im Gesicht des Mannes nicht. Nur, ob es nun mit dem Name der jungen Dame oder dem Tempel oder etwas anderem zum hatte, ging aus dem Aufblitzen eines schelmischen Lächelns im Mundwinkel des Herrn von Flusswacht nicht hervor.

Marborad selbst bemühte sich keine Miene zu verziehen, straffte sich aber und trat etwas näher neben Rajalind, um dem Tunichtgut seine eigene Anwesenheit ins Gedächtnis zu rufen.

„Ich weiß, das ist klein Gewand, wie es eine Dienerin der Schönen normalerweise trägt, aber ich habe es ausgeliehen, weil meine Sachen nass waren, als wir durch den Brunnen…naja jedenfalls sind sie jetzt in der Akademie und trocknen, weil…ach ja, Akademie, ja richtig,“ besann sie sich und wandte sich ihrem Begleiter zu. „Das ist der gelehrte Herr Marborad von Winterspitz, ein Schüler des Magisters Blauen…dorn. Wir kommen in einer wichtigen Angelegenheit….Daher… erlaubt uns die Frage… Seid Ihr nun der Hohe Herr von Flusswacht?“ Am Ende hatte Rajalinds Stimme leicht verunsichert gelungen. Bitte bitte Herr Phex, sei einer Dienerin deiner lieblichen Schwester wohlgesonnen – bat sie daher im Stillen.

Der blonde Mann hatte bei den beiden Namen aufgehorcht und dann nochmal bei dem Namen des Magisters. Dieser war ihm durchaus von etlichen Adelszusammenkünften bekannt. Nun musterte er die beiden erst einmal von oben bis unten ohne Scham. Schließlich wollten sie etwas von ihm, und das sogar während seiner Mittagspause. "Ja. Der bin ich,“ antwortete er anschließend wahrheitsgemäß mit einem bekräftigenden Nicken.

„Oh, den Göttern sei dank…“ Rajalind atmete seufzend auf und es fiel sichtbar ein Berg Steine von ihr ab. „Wir kommen im Auftrag der—“ sie hielt inne und wartete ab, bis ein Gast an ihnen vorüber gegangen war. „…der Herzogenmutter,“ vollendete sie anschließend. „Es ist seeehr wichtig, dass wir über etwas seehr Wichtiges mit Euch sprechen!“

„So so?“ Der Blick des Mannes war immernoch fordernd und seine Haltung steif. Innerlich schmunzelte Sigiswolf allerdings über die unbeholfene Art der jungen Rahjani. Aber er hörte jetzt etwas genauer hin, wie es vor allem Marborad bemerkte. Er besaß eine charismatische Gestalt, die durchaus mit dem skeptischen Blick, den er gerade trug, respekteinflößend wirkte. Und gerade verfinsterte sich dieser starre Blick auch noch.

„Ja, äh, Ihr, äh, habt etwas in eurem Besitz, das wir, äh, für die Frau Grimberta dringend brauchen.“

Die Miene des Gardisten verdunkelte sich noch mehr. „Ja?“

Marborad zog die kleine Rolle hervor, drehte diese noch einmal in der Hand und blickte dann dem Mann tief in die Augen, schien etwas darin zu suchen, doch schien – was auch immer er gesucht hatte – nicht zu finden. Mit einem tiefen Nicken übergab er den Schrieb.

Der Mann besah sich das Siegel der Flussgarde ohne Regung. Anschließend musterte er noch einmal die beiden jungen Leute, die ihm gegenüber saßen. „Zweibruckenburg und Winterspitz. Eine Dienerin der Schönen aus Albenhus und ein Schüler von Corvinius, sagtet ihr?“

Marborad versteifte sich unmerklich – es gab wenige Leute, die den Blauendorn beim Vornamen nannten und fast schon befürchtete Marborad das dass, wo er hinein geraten war nicht nur Kreise in den höchsten Adel, sondern womöglich auch in die inneren Angelegenheiten seiner Akademie zog. Und noch mehr Ärger konnte er, so kurz vor seiner Prüfung, wahrlich nicht gebrauchen.

Dann brach er das Siegel während er Rajalind und Marborad noch immer ansah und entrollte den Brief. „Wenn das eine gute Fälschung ist, würde ich an eurer Stelle jetzt lieber aufstehen und gehen.“ Mit einem alles erwartenden Blick linste der Mann über den Rand der Nachricht. Beim Lesen der Nachricht verzog er keine Miene. Er behielt stattdessen die beiden jungen Leute im Auge – wie das Spiel seiner Pupillen verriet. Am Ende legte er dann die Briefrolle beiseite und blickte über den Tisch.

Die Gelegenheit nutzte Rajalind für ihre Frage: „Werdet ihr uns helfen?“

„Wenn dies alles der Wahrheit entspricht..hm. Nun, ich weiß nicht, wer Euch gesagt hat, ich hätte —“ Nun hielt der Mann inne, weil die Schankmaid kam. „Wollen die jungen Herrschaften etwas essen und trinken? Wie gesagt wir bieten heute leckere saure Kutteln mit Brot. Zwei Plätze am Tisch des Herrn?“

Rajalinds unentschlossen-verwirrtem Blick begegnete ausgerechnet der Flussgardist, in dem er das Wort ergriff und sich selbst an die Schankmaid wandte. „Danke, aber diese beiden jungen Leute möchten gehen. Und ich möchte zahlen!“ Er fischte eine Münze aus seiner Hosentasche und reichte sie der Schankmaid.

"Soll ich den Rest einpacken?,“ fragte diese mit einem bedauernden Blick auf die noch gut gefüllte Schüssel.

Doch der Gardist schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig.“

„Dann einen schönen Tag noch. Praios mit euch.“ Sagte die Frau, die das Silber zufrieden ins Licht hielt, und im nächsten Augenblick hatte sie sich umgekehrt und sich anderen Gästen zugewandt.

Der Gardist gürtete daraufhin sein Schwert, schlug sich seinen Mantel über den Arm und deutete zum Ausgang: „Gut. Dann reden wir doch bitte draußen weiter! Wegen der Ohren.“ Es mochte aufmerksamen Beobachtern nicht entgangen sein, dass er den Knoten am Schwerknauf nun löste.

„Was für Ohren??“ fragte Rajalind etwas irritiert.

Marborad griff Rajalind am Arm, da er es für gefälliger hielt wenn das schöne Mädchen nicht noch mehr Leuten von der Herzogenmutter erzählte. “Leute, die ihre Nase – oder Ohren – in Dinge stecken, die sie nichts angehen laufen Gefahr ebenjene zu verlieren. Und das wollen wir doch nicht, oder? Peraine und Rahja zum wohlgefallen!”

Nein, das wollte auch Rajalind nicht.

Draußen deutete der Flussgardehauptmann wiederum auf die Gasse vor ihnen. „Gehen wir ein Stück!“ forderte er die Störenfriede seines heutigen Mittagessens unmissverständlich auf, und sie gingen stumm einige Schritte die Gasse hinab. Als niemand in Sicht- und vorallem nicht in Hörweite war, blieb der Blonde stehen. „So. Ich möchte jetzt eine wirklich gute Geschichte hören. Fangen wir damit an, wer ihr beiden noch einmal genau seid, was ihr mit Ihrer Hoheit zu tun habt, die gerade samt Schiff und geladenen Gästen verschwand. Und ich will wissen, woher ihr dieses Schreiben habt,“ machte er eine klare Ansage über das, was er nun erwartete. Dabei blickte er vom einen zum anderen. Eine merkwürdige Situation entstand. „Und untersteht euch mich anzulügen.“ Fügte der Hauptmann noch hinzu.

„Nein nein, wir sagen die Wahrheit. Bei..äh Praios,“ versuchte Rajalind den Vorwurf von sich und Marborad abzuschütteln, in dem sie sogar die Finger der Rechten zur Schwörhand formte. Dass sie dabei den Herrn des Lichts anrief, war ihr selbst neu. Aber vor diesem Kerl mochte sie nicht als Lügnerin dastehen. Eigentlich, wenn sie genauer darüber nachdachte, vor niemandem. Sie trug nun einen klangvollen Namen, und den wollte sie unter keinen Umständen beschmutzt sehen. Also erzählte sie dem Flussgardehauptmann alles. Von ihrer Fahrt, den streitenden Neckern, der Suche im Archiv der Magierakademie, wie Marborad Teil ihrer Gruppe wurde, wie sie von der Stadtalchimistin einen Namen und von Korporal Mika vom Berg die Nachrichtenrolle erhalten, ihre beiden Gefährten Jonata und Welf verloren, aber nun neue Hoffnung erhalten habe, nachdem sie den Hauptmann trafen. Sie selbst hatte sich mit der Geschichte um den Brief ihres verstorbenen Vaters ausgewiesen und erneut ihr Wort gegeben, dass Marborad sei, wer er war.

Dieser nickte bestimmt, um die Geschichte der Novizin zu bestätigen, und versuchte sich ab und an an einem Einwurf, doch die junge Frau, deren Leidenschaft in jeglichen Dingen des Lebens zu stecken schien, übertönte den neben ihr blassen Akademiker bei weitem und so überließ es der Winterspitz seiner neu gewonnenen Freundin die Geschichte zu Ende zu erzählen.

Bei ihrer wilden Erzählung war die Novizin vor leidenschaftlichem Herzblut und ihrer tiefen Identifikation mit dieser Queste ein bisschen außer Atem geraten. Entsprechend abgehakt klang ihre abschließende Frage: „…Den Trank… habt Ihr ihn…noch?“ Sie holte ungeachtet Marborads Bemerkung, dass jemanden des Weges käme, zu einer weiteren Frage Luft: „Wieso…braucht ihr überhaupt einen Liebestrank, hm?...ich meine, Ihr seid Flussgardist…und der Gebrauch solcher … Alchemika… ist nicht gerade sehr göttergef—Aua!“

Marborad trat Rajalind auf den Fuß, entschuldigte sich dann jedoch mit breiter Geste und derart ausladend und rührselig, bis der Handwerker, der die Gasse seitlich passierte gänzlich außer Sichtweite war. Gerade wollte er daraufhin selbst das Wort gegenüber dem Hauptmann ergreifen um Sinn und Zweck zu betonen, als dieser ihn anfuhr.

„Der Sinn und Zweck“, schnitt der Hauptmann in das Gezeter, „braucht an dieser Stelle nicht zu interessieren! Verstanden? Ich bin euch nicht verpflichtet, darüber Auskunft zu geben.“

„Aber die Frau Rahja sieht es nicht gern, wenn Gläubige… mit…dings…äh… Mitteln… gef—“ dieses Mal hörte Rajalind von selbst auf zu sprechen. Allein der stechende Blick des blonden Gardisten, der sich tief und zornig in sie bohrte, ließ sie verstummen.

„Noch einmal zum mitschreiben,“ brummte die tiefe Stimme des Hauptmanns eindrücklich, „es geht niemanden etwas an, warum ich diesen Trank erworben habe. Es reicht, dass anscheinend die halbe Welt weiß, dass ich ihn überhaupt besitze.“

Rajalinds Mund klappte auf. Mehrmals. Aber sie sagte nie etwas. So angefahren zu werdem war ihr offensichtlich neu.

Endlich schien Marborads Zeit gekommen – denn während Rajalind eine gutmütige Dienerin ihrer Göttin war, vor der der Gardist wohl nicht mehr als strenge Worte zu befürchten hatte, war Marborad ein Teil der Akademie zu Elenvina. Und wenn der Gardist den Blauendorn kannte, dann würde er mit Sicherheit auch verstehen, wie erpressbar er gerade geworden war, sofern Marborad ein Wort über diesen Liebestrank und dessen Besitzer in der Akademie verlor. “Mir scheint, ganz gleich welche redlichen Absichten ihr mit dem Aphrodisiakum hattet, dass es aktuell besser wäre, dieses aus eurem Arsenal verschwinden zu lassen, jetzt wo solche Gerüchte die Runde machen. Wir bieten uns hier nur allzu gerne an, so ihr zudem noch eine Praiosgefällige Tat begeht und der Herzogenmutter einen Dienst erweist. Wo ist die Flasche?”

„Natürlich nicht dabei.“ Entgegnete der Gardist und deutete weiter die Straße lang. Kurz überlegte er. Dann fügte er noch hinzu: „Er ist an einem sicheren Ort. Folgt mir.“


Wieder in der Eilenwïd

Jene sichere Ort war kein anderer, als die Herzogenveste Eilenwïd-über-den-Wassern, wohin nun der Weg der dreien führte. Und wieder mussten Marborad und Rajalind in der Wachstube warten. Es schien ihr Los an diesem heutigen Tage zu sein. Gerade dem Magierschüler verging die Zeit viel zu langsam. Jonata war wohl nach den Kopfschmerzen, den beginnenden Schmerzen im Brustkorb sowie einem stetig wachsenden Kribbeln in beiden Händen wussten‘s die Götter wo, und um nur in ein Kämmerchen zu gehen, um eine Phiole zu holen, blieb der blonde Hauptmann schon zu lange weg. Andererseits, der Kopfschmerz ließ ihn manchmal auch schon Dinge doppelt sehen, also war es vielleicht um das Zeitgefühl des Winterspitz auch nicht mehr gut bestellt. Wer wusste schon genau, wie sich dieser Bindungszauber auswirkte. Eine Strafe war er allemal. Das stand fest.

Aber er, Marborad, würde sich nicht kleinkriegen lassen von dieser Queste. Schließlich hatte er nicht umsonst all die Jahre mit den Bestrafungen der Akademie, den schwerwiegenden Meditationsmethoden und dergleichen mehr überstanden. Jonata war schon lange eine Tunichtgutin gewesen und wenn er schon in dem Bestreben ihr zu helfen – und sich selbst zufrieden zu stellen – einen Fehler begangen hatte, dies würde sich nicht wiederholen. Er musste einfach nur durchhalten. Wenn er die Herzogenmutter rettete, wäre jedwede Verfehlung vergessen. Und dann... dann würde er seine Prüfung endlich ablegen können.

Während sie wieder einmal auf dem Bänkchen gegenüber dem Tresen mit dem Eintragungsbuch saßen, und Rajalind zum wiederholten Male über den noch ungeöffneten Brief ihres gemeuchelten Vaters brütete, ereilte sie ein Gedanke. „Du, Marborad?“

Ein gequältes Brummen war die Antwort, als sie sich ihm zuwandte und ihre Hand sich dabei auf seinem Unterarm ablegte.

Schnell nahm sie die Hand fort. Sein Ringen um Selbstbeherrschung war zwar bemerkenswert, dass er litt, ließ ihr das Herz verkrampfen und sie spürte sogar etwas Wut in sich. Wut auf das, was Marborad so peinigte und auf den, der ihm diese Pein auferlegt hatte. „Ach, du armer. Es wird schlimmer, oder?“

“Ein jedweder Schüler der hohen Künste Hesindes ist in der Lage sich über den dolore corpis hinweg zu setzen. Corpore spiritus adversus meine liebe Freundin. Unser Körper, uns von den Göttern gegeben ist doch nicht mehr als der... der...” er schüttelte den Kopf. Seine Gedanken verloren sich in den pulsierenden Kopfschmerzen und er vermochte sie nicht mehr gänzlich zu fassen. Beinahe wurde ihm schlecht, ehe er sich wieder fing und gequält lächelte, als die ganz vorsichtig eine Hand auf sein Schultergelenk legte und ihn dort sanft drückte. Er straffte sich, erinnerte sich an seine Lehren und begann den Schmerz weg zu atmen. “Unser Geist ist es, der uns ausmacht und über alle Grenzen gehen lässt. Und erkennen lässt, welche Grenzen die guten Götter aufgestellt haben und die zu überschreiten ein Greuel für Körper, Geist und Seele ist!”

„Ich glaube, da sind wir leider beide gänzlich anderer Meinung.“ Dabei seufzte sie tief. Er wollte ihre Hilfe nicht, sich lieber weiterquälen und dies lieber mit dummen Lehrsätzen beschönigen. Eine sehr schlechte Idee fand sie. Doch sie hatte gelernt die Wünsche anderer zu akzeptieren. Vielleicht würde ein bisschen innere Liebe ihm helfen… Sie konzentrierte sich auf ihre Hand auf seiner Schulter, griff allerdings den Faden der Unterhaltung auf:. „Also…was ich eigentlich sagen wollte… Hat der Hauptmann vorhin wirklich ‚Corvinius‘ zu deinem Lehrmeister, dem Blauendorn, gesagt? Mir ist das gerade erst aufgefallen.“

Marborads Blick verfinsterte sich noch mehr, was zuvor kaum möglich erschienen war. „Das hat er und bei Hesindes heiligen Schlangen, ich befürchte, wir haben tief in ein Natternest gegriffen. Sie scheinen sich zu kennen und Geheimnisse sind hier viel Wert und können einem teuer zu stehen kommen. Wichtig ist, dass wir, egal was passiert, standhaft und integer bleiben.”

„Alles, was du sagst.“ Murmelte sie und konzentrierte sich weiter auf den Fluss ihres inneren Feuers.

Kurz darauf wurde zumindest eine Sorge der beiden jungen Leute kleiner, denn der blonde Hauptmann kam zurück. Er erschien jedoch nicht allein. Die ihnen bereits bekannte Frau Mika und ein weiterer Mann im Blau-Grün der Flussgarde begleiteten ihn. Der unbekannte Recke mit der muskulösen Brust und einem akkuraten Kinnbart stellte sich als Odumir von Schleiffenröchte, Hauptmann des Zweiten Banners, und als jenen Onkel von Jonata vor, von dem schon früher am Tag die Rede gewesen war. Ja, wenn man sich ihn und Jonata genauer ansah, mochte sogar eine gewisse Familienähnlichkeit vorhanden sein. Er habe bereits einen Trupp Gardisten nach seiner Nichte und dem anderen Anverwandten ausgesandt, ließ er verlauten, und machte vor Rajalind und Marborad eindrucksvoll deutlich, für wie groß er die Ehre hielt, die ihnen und allen anderen durch diese Queste zuteil würde. Auch er ließ es sich nicht nehmen, der Zweibruckenburg nachträglich sein Beileid auszusprechen.

Rajalind war dies sehr unangenehm, wie man ihr ansah. Und als Korporal Mika vom Berg fragte, warum sie den Brief noch nicht geöffnet habe, entlockte das der Albenhuserin nur errötendes Verstummen. Sie hatte sich bisher einfach noch nicht getraut. Das zu sagen traute sie sich aber ebensowenig. Beim Anblick eines kleinen Fläschchens, das beim Öffnen einer Schatulle in der Hand des Flusswachters ans Tageslicht kam, verflog ihre Scheu jedoch schnell wieder.

Das kleine Gefäß lag reisefertig in Wolle gebettet. Gefüllt war es mit einer zauberhaft, ja, geheimnisvoll schillernden roten Flüssigkeit. Das Fläschchen selbst war mehr ein Phiölchen, nicht mehr als fingerdick oben am Hals, nach unten hin breit auslaufend, aber mit 4 Kanten verstehen, so dass man es auch hinstellen konnte. Die Öffnung war mir einem Bügelverschluss geschlossen, über den zur Versiegelung Wachs gegeben worden war. Der Inhalt ausreichend für wohl genau eine Anwendung.

Hatte die Alchimistin Bächerle nicht etwas von einer bauchigen Flasche in Form eines Wassertropfens mit einem polierten Flusskiesel als Verschluss gesagt? Ein bisschen wunderte die Novizin sich, warum das Objekt der Begierde nun so anders aussah. „DAS ist es?“ fragte sie mit großen Augen, als sie des kleinen Gefäßes ansichtig wurde. „Hm. Das hab ich mir irgendwie…ähm…anders vorgestellt,“ kam es geradezu enttäuscht aus dem Mund der Novizin, als sie sich das kleine Fläschchen näher besah und es so gar nicht zu der Beschreibung von Frau Bächerle passen wollte. Hatte die den Liebestrank etwa umgefüllt? Warum? Ihr mochte der Grund nicht einfallen.

„Ja, das ist es. Nehmt es und bringt es zu Ihrer Hoheit.“ Erklärte der blonde Gardist namens Sigiswolf von Flusswacht und drückte die Schatulle dem Magierschüler in die Hand.

Marborads Blick wanderte über das Fläschchen und mochte sein Schmerz auch noch so groß sein, seinen Verstand hatte er noch nicht gänzlich eingebüßt. Er sah auf und sein stechender Blick begegnete dem des Hauptmanns. Er nahm das Kästchen und verbeugte sich knapp. “Ich danke euch sehr, im Name Praios, Hesindes und Phexens!” erklärte er huldvoll. “Eure Ehrlichkeit und Beredlichkeit wird bald in aller Munde sein, dafür werde ich Sorge tragen!” ließ er freundlich durchblicken, dass er diese List nicht vergessen würde.

„Nein, das werdet ihr sein lassen, bitte! Wir sind alle am Wohl des Herzogenhauses interessiert. Nur das alleine zählt.“ Entgegnete der Flusswachter energisch. Korporal Mika vom Berg räusperte sich. „Nun, da die Zeit drängt, schlage ich vor, dass ihr euch auf den Weg macht. Draußen stehen zwei Reiter, die euch zur Akademie mitnehmen. Denn ich denke, dass ihr dort wieder zurückfindet, wo ihr her gekommen seid.“

Rajalind riss entsetzt den Mund und die Augen auf: „Durch den BRUNNEN??“ Dabei schüttelte sie vehement den Kopf, denn sie verband keine schönen Erinnerungen mit ihrem Auftauchen dort. Schließlich ertrank niemand gerne, weder ganz, noch beinahe!

„Außer ihr habt eine andere Idee, junger Mann?“ Dabei sah die Frau Mika den Magierschüler an.

„Notfalls kann euch sicher in der Akademie am besten geholfen werden. Der Magister Blauendorn ist sehr versiert in seinem Fach. Er wird wissen, was zu tun ist. Ich vertraue ihm.“ Ergänzte der Hauptmann von Flusswacht überzeugt.

Auch Korporal vom Berg nickte.

"Der hochgelehrte Herr Magister von Blauendorn wird mit Sicherheit eine Lösung finden, zusammen mit den anderen Hochgelehrten ist unsere Akademie in derlei Dingen sehr bewandert und unter den Augen der guten Götter mag uns die Reise gelingen. Ich danke euch allen!”


zurück in der Magierakademie

Wenig später saßen Rajalind und Marborad jeweils vor einem Mitglied der Flussgarde auf einem Pferd, das sie zur Akademie brachte. Jonata und Welf waren leider, wie beide feststellen mussten, noch nicht angekommen.

Doch noch einmal warten wollte Rajalind nicht. Immer, wenn sie sah, wie Marborad sich zusammenriss, aber doch krümmte, wenn er dachte, sie würde es nicht bemerken, hatte sein Schmerz ihr in die Brust gestochen. Bei Rahja, das war nicht gerecht und so konnte das nicht weitergehen! Sie mochte Marborad mittlerweile gern. Die gemeinsame Suche hatte sie zu Freunden gemacht – zumindest würde sie es so beschreiben. Darum fasste sie sich ein Herz und ergriff entschlossen die Hand ihres Freundes, als sie sich von den beiden Flussgardisten verabschiedet hatten. „Winterspitz, komm, wir gehen jetzt zu deinem Magister und der soll diesen dummen Zauber von dir nehmen! Er wollte sowieso das Fläschchen sehen, hat er uns gesagt, also lass uns gehen. Wir sind bestimmt zurück, wenn die anderen kommen.“ Und mit diesen Worten zog Rajalind den Candidatus energisch in Richtung des Gebäudes, in dem sie schon einmal an diesem heutigen Tag von dem Magister empfangen worden waren.

Marborad wollte protestieren, doch wo immer Jonata war – beim Namenlosen, seine Brust fühlte sich an, als hätte sie sich nach Khunchom gewandt – mit jedem Schritt verstärkte sich der Schmerz und er brachte kaum einen Ton heraus. Er würde bei allen Dämonen der Niederhöllen vor dem Blauendorn nicht darum bitten, dass sein Zauber gelöst wurde – vor allen Dingen nicht, da er nicht getan wie ihm geheißen. Er hatte nicht zusammen mit Jonata gearbeitet, aber wie auch? Das verdammte Mädchen war ohne ein Wort verschwunden und hatte sich einen Dreck um ihn geschert und als er die Wahl hatte, die Aufgabe wortgetrau zu befolgen, oder aber die Herzogenmutter zu retten, war ihm die Entscheidung nicht schwergefallen – bei Praios, Reich und Recht!

Gemeinsam passierten Freund und Freundin die kleine Brücke, welche bereits den freien Blick auf den Hesindetempel eröffnete, um den kleinen Platz voraus hinter sich zu lassen und Einlass in den Stadteil Gülden zu Ehren des Götterfürsten zu finden. Die Akademie lag in unmittelbarer Nähe zur Wehrhalle des Praios, innerhalb der rückwärtigen Wehrmauer. Man passierte einige alte Bäume und eilte voraus. Der Schmerz des Zauberzwanges hatte seit Abkehr der Candidata Schleiffenröchte einen jeden Tag an der Lebenskraft des Candidatus gezehrt.

Ein Blick über den Akademiecampus ließ Alltag heißen: Einigen Eleven wurde eine Lektion des Herbariums erteilt, wie das geschäftige Dozieren eines Lehrkörpers im Akademiegarten bewies. Der Blick auf Galottas Turm war verbunden mit dem Gedanken an das Studierzimmer des Blauendorn. Marborad wusste korrekt einzuschätzen, dass er in diesen Mauern keine Milde zu erwarten hatte. Die Spektabilität Ruane von Elenvina war für Strenge bekannt und der Blauendorn war einst ihr Schüler gewesen.

Ebenso war dieser strenge Charakterzug des Blauendorn der jungen Novizin der Ewig Schönen Rahja in Erscheinung getreten. In ihrer Vorstellung aber sprach nichts dagegen, den Zauber aufzuheben. Denn ihrer Meinung nach hatte der Winterspitz eindrücklich bewiesen, dass man auf ihn zählen konnte.

Eine junge Elevin eilte soeben mit ausladenden Schritten aus dem Hauptgebäude der Akademie und durchschritt das Madator. Das Mädchen war Rajalind bekannt, es trug kindliche Naivität in sich und schien irgendwie an den Regeln dieser Lehrhallen gebrochen zu sein. Das Haar stand ihr wild im Gesicht, der ehemals streng gebundene Zopf war gelöst. Es biss sich angestrengt auf die Unterlippe, war stehen geblieben. So stand es da in einfacher grauer Robe, welche mit einem Juteband gebunden war. Der Blick wirkte kalt.

Seltsames Unbehagen ergriff die Novizin. Der Blick des Mädchens … der Gesichtsausdruck … eine Emotion rüttelte an den Grundfesten Rajalinds, und wie sie sich dem verstörenden Anblick hingab, reagierten die feinen Härchen auf dem Unterarm der Zweibruckenburg. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der Kleinen ging es schlecht. Den Gesellen Marborad hinter sich herziehend, suchte sie nach weiteren Anzeichen.

Als der Blick Rajalinds von dem des Mädchens angezogen war, stahl sich eine Erinnerung in das Gedächtnis der Rahjani: „…Missklang zwischen Jung und Alt, … eine der Großen und weiß selbst ein Nichts, den Streit zu schlichten …” In dem Moment, als Nidari beinahe unbeholfen eine Hand nach den beiden ausstreckte, rissen Wut und Enttäuschung an den Eingeweiden Rajalinds, während ein aufgezwungener Gedanke an Jonata und den Blauendorn körperlichen Schmerz verursachte.

Vor Entsetzen entfloh der Rahjani ein kurzer Schrei. Sie blieb augenblicklich stehen – zu unerwartet für Marborad, der fast auf sie auflief - und fasste sich an die Brust.

Erschrocken ließ Nidari den Blick fallen, senkte den Kopf, sah wieder auf und tonlose Lippen formten ein Wort: Marborad. Nun eilte es zu dem Schüler. Erst das Wort einer gebrochenen Stimme, dann das Mädchen: “Marborad!”, rief Nidari. Nackte kleine Füße rannten zu ihm.

Die Eleven in den Gartenanlagen richteten ihre Blicke auf die Szene, einige erhoben sich neugierig. Der Gastdozent reagierte verunsichert, rang um Aufmerksamkeit seiner Schüler. Im selben Moment schritt Corvinius Praiolan von Blauendorn eilends in den Innenhof.

Corvinius stand der Schweiß auf der Stirn, er spürte das Pochen seines Herzens in den Ohren. Das Donnern der Herrin Rondra war ihm in die Venen gefahren, als sich die Emotionen Nidaris wider stählerne Ketten des Geistes geworfen hatten. Er hatte gespürt, wie die Gefühle seiner Tochter Kraftfäden zu Willen geflochten hatten und Ihr Willen das komplexe Band zwischen ihnen durchbrach.

“N I D A R I …”, brandete die erregte Stimme des Magisters mahnend über den Innenhof.

Wie machte dieses Mädchen das nur immer? Und was? Welches Zauberwerk tat sie? Rajalind hatte fast ein wenig Angst, denn bei all ihren Fragen, die sie sich bezüglich Nidari stellte, war aktuell auch diese darunter: Was hatte man mit ihr gemacht, dass sie SO fühlte? Den nahenden Magister nahm sie daher nur als Nebensächlichkeit wahr. Allerdings schien sie angesichts dessen, was sie durch das Mädchen erfuhr und mit Marborad erlebte, mehr und mehr zu denken, dass Magie doch nicht ganz harmlos sei.

Nidari hatte im Laufen die Stimme des Magisters vernommen, sodass ihr Schritt stockte. Die ausgestreckte Hand … sie senkte sich, als ob eine Last diese zwang. Die Augenbrauen unterstützten die Mimik der mit Kraft aufeinanderpressenden Kiefer des Mädchens. Willen brach und die nackten Füße rührten sich einen Schritt vor Marborad und Rajalind nicht weiter.

Corvinius trat weiter auf den gepflasterten Innenhof der Akademie, sein Blick war energisch und hieß keinen Widerstand.

Indes hatte sich der Magister ex ordinarius aufgerichtet und hieß seine Schüler Stille. Seinerseits blickte er zu der Elevin aus dem Orte Schreingard, die an der Akademie einen zweifelhaften Ruf genoss.

Sie hatte die Augen geschlossen, ihr Atem ging ruhig und die Gedanken waren nach innen gekehrt. Sie sah durch die Augen ihres lieben Vaters, der ein blutiges Messer in Händen hielt und auf einen toten Mann mit aufgeschlitzter Kehle herabblickte. Ihr Herz brandete in ihrem Brustkorb, nährte Emotionen. “Ein Schritt …", flehte Nidari gedanklich.

Rajalind hatte längst Marborads Hand losgelassen, als die Zauberschülerin auf sie zugeeilt war. Bis dahin hatte sie alles seltsam gefunden. Jetzt, als wieder etwas zu passieren schien, was man – oder zumindest Rajalind – nicht sehen noch greifen oder begreifen konnte, kämpfte in der Zweibruckenburg die Angst vor dem Unbekannten mit Rajalinds innerstem Antrieb, Harmonie und Seelenwärme in das Leben anderer bringen zu wollen. Jemand musste sich um dieses arme Kind kümmern! Balsam auf die Wunden Nidaris legen. Daher fasste die Rahjani sich ihr bebendes Herz und trat auf das kleine Mädchen zu.

Indes brandeten die Emotionen an unbarmherzigen Mauern. Das Einschreiten der Rahjani realisierend dachte Nidari: Nein. Marborad, ich muss zu ihm. Sogleich ließ sie die Umarmung Rajalinds über sich ergehen.

Mit einem wohlwollenden Lächeln, einer großen liebenden Schwester gleich, beugte sich vor und streichelte erst ganz vorsichtig die wilde Haarpracht, bevor sie in einer sanften Berührung über den dürren Hals zu den schmächtigen Schultern strich. „Es ist…alles guuut….alles guuut.“ Raunte sie dabei vielleicht auch, um sich selbst zu beruhigen) während sie die Herrin Rahja um Hilfe für diese aufgewühlte arme kleine Seele bat, die großen Schmerz und noch größeren Kummer litt.

Die Gesichtsmuskulatur des Blauendorn war angespannt, sein Blick war der eines Beherrschungsmagiers - machtvoll, während er schnellen Fußes einige Schritte Abstand verkürzte.

Nidari stand da – steif. Sie ließ die Berührungen zu, ihre Augen sprachen: Innerer Aufruhr. Sie gab die Emotionen, an die sie sich geklammert hatte, auf, ließ die Erinnerung fahren, die Augen fixierten Marborad und blieben unbewegt, als sich die Rahjani in das Sichtfeld schob. Sie hatte nur helfen wollen …

Corvinius war einige Schritt entfernt in die Hocke gegangen, hieß die Arme Willkommen und rief nach dem Mädchen.

Diese schaute Rajalind flüchtig in die Augen, das Feuer darin war erloschen. Feingliedrig machte sie sich von der Umarmung der Rahjani frei und lief Corvinius in die Arme. Die Zuschauer konnten ein aufkeimendes Schluchzen vernehmen, als sich ein bebender Körper dem Magister an die Brust warf. “Vater, es tut mir leid.”, murmelte das Mädchen.

Er streichelte ihren Hinterkopf, sah dann auf zu Rajalind. Seine Augen sprachen einen stummen Dank, er schien beruhigt.

Der Blick des Blauendorn fuhr Marborad wie ein Blitz durch Mark und Bein. Er hatte gehofft, dass Jonata und Welf hier wären und sie gemeinsam zu dem Magister gehen konnten, doch diese Hoffnung wollten ihm die Zwölfe wohl nicht erfüllen. Nun stand er hier, mit des Rätsels Lösung zwar, aber ohne Jonata und fürchtete um Leib und Seele – schlimmer noch, um seine Zulassung für die Akademie. “Hochgelehrter Herr Magister Blauendorn...” brachte er mit trockenem Mund hervor. “Wir... haben wonach unsere Queste verlangte...” Dass Jonata nicht da war erwähnte er nicht einmal. Es musste dem Blauendorn natürlich auffallen, aber weshalb sein Augenmerk nun auch noch darauf lenken?

„Ja. Wir,“ und dabei trat die Rahjani zurück an Marborads Seite und griff wieder seine Hand. „…haben den Trank gefunden. - Und nun müsst Ihr bitte unbedingt diesen schrecklichen Zauber von ihm nehmen.“ Sie sah besorgt zu dem Magierschüler auf, drückte dessen Hand fest. Der Menschenkenner Corvinius vermochte dieselbe warmherzige Regung in der jungen Frau vernehmen, mit der sie eben auch dem Mädchen hatte helfen wollen.

Corvinius hatte, für die anderen nicht zu vernehmen, der jungen Elevin in seiner Umarmung Anweisungen gegeben und entließ diese aus den Armen, zeigte auf das Hauptgebäude in Richtung des Madatores, welches in die große Halle der Aula Magna führte.

Nidari lief los.

Dann stand er auf, straffte sich und schärfte seinen Blick sowie die Mimik. “Was der Blauendorn tun … MUSS …", er zog die Augenbrauen geringschätzig hoch, “... das steht Euch nicht an, zu beurteilen. “ Er sog scharf die Luft ein, atmete schwer. “Die Sanktion des Verhaltens, die Prüfung der Selbstbeherrschung zur Wiederherstellung unabdingbarer Integrität eines Prüfungsabsolventen meiner ehrwürdigen Akademie, dies steht in keinem kausalen Bezug zur erfolgreichen Wiederbeschaffung des gesuchten Gegenstands. - Der Magister sieht genau, welche Prüfungen bestanden wurden ...”, machte der Magus die vorliegende Erkenntnis der Befürchtungen des Candidatus unmissverständlich deutlich. Kalt und Unbarmherzig blickte der gestandene Magus auf die Jugend herab. Sein Blick ging zum Turm des Galotta, wandte sich von den beiden ab und der Beherrschungsmagier lenkte seinen Schritt in Richtung des Gebäudes, in dem die Studierzimmer der Magister zu finden seien. “Mitkommen!”, befahl der Blauendorn, nachdem er unbekümmert zwei Schritt Abstand genommen hatte.

Marborad merkte Rajalind an, dass der Tadel des Blauendorns sie einschüchterte. Sie seufzte schwer, als sie sich ebenfalls in Bewegung setzten und wartete stumm im Zimmer des Magisters darauf, was geschehen würde.

Marborad hatte den Kopf eingezogen, als der Blauendorn in seiner unnachahmlichen – und wie Marborad fand stets sehr anstrengenden Art – ein unangenehmes, ziehendes Gefühl über den Magierschüler gebracht hatte. Ein Gefühl von solcherlei Intensität, dass es einem die Bauchdecke zusammenzog und neben dem der Schmerz ob Jonatas Abwesenheit nur ein müdes Muskelzucken am Abend war. Marborad verbiss sich auch sämtlichen Kommentar, dass die Prüfung durchaus in einem kausalen Zusammenhang stand – war dies doch die Aufgabe des Magisters gewesen und schluckte auch sämtliche anderen Worte hinunter, die er in rhetorischem Genuss bisher stets an Rajalind, Welf und Jonata ausgelassen hatte. Der Adept wusste nur zu gut, welche Stunde geschlagen hatte und konnte nur hoffen, dass die folgenden Ereignisse die Schmerzen beenden – und noch wichtiger – seine Rolle an der Akademie wiederherstellen würden. Das Schicksal der Herzogenmutter, die Probleme die Rajalind noch mit sich herumtrug und selbst der böse Blick des Welfen zogen sich nun wie unwichtige, kaum bemerkenswerte Problemchen in den Hintergrund von Marborads Gedankenwelt zurück. Jeder Schritt tat ihm weh, während er dem Blauendorn folgte, die Treppen in der Akademie beschritt und nur erahnen konnte, wo in Elenvina sich Jonata aufhalten musste. Näher kam er ihr definitiv nicht. Mit dem Gesichtsausdruck eines geschlagenen Schuljungen blieb Marborad vor dem Schreibtisch des Blauendorn stehen.

Der Blauendorn hatte sich hinter seinen Schreibtisch im Arbeitsbereich der Studierstube begeben. Die Ebene des Arbeitsbereiches war mit einer Zwischenstufe um zwei Spann von jenem Eingangsbereich, wo Candidatus Marborad stand, erhöht, sodass der Magister sich in seinen Lehnstuhl setzte, ohne eine herabblickende Position einzubüßen. Der Magister musterte den Schüler, seine Stirn zog Falten, der Blick war durchdringend. Corvinius gestand seiner Mimik ein zufriedenes Lächeln zu. “Ich habe mich nicht in Euch getäuscht, mein Junge.” Sein Tonfall war milde, beinahe väterlich und wohlwollend. Dann klopfte es an der Tür zum Studierzimmer, der Blauendorn räusperte sich, nickte Marborad noch einmal zu, bevor sich seine Mine verhärtete und er rief: “Man möge eintreten!”

Magistra von Eslamsgrund öffnete die Türe und trat ein. Corvinius hatte es so gefügt, dass die Lehrmeisterin des Candidatus zugegen sein sollte. Er hatte Nidari in die Aula Magna geschickt, um die Magistra zu benachrichtigen. Diese trat an Marborad vorbei zum Blauendorn hinter den Schreibtisch und beide wechselten einige Worte im Stillen. 

Der Blauendorn erhob sich sachte und lehnte mit den Händen auf dem Schreibtisch, während er sich zu Marborad über den Tisch beugte. Der Blick des Magisters hatte den Moment der Väterlichkeit von sich gelassen, wirkte unbarmherzig. “Candidatus Marborad von Winterspitz ... I h r h a b t v e r s a g t …", Corvinius wartete eine Reaktion des Schülers ab, erhob die Rechte in einer mahnenden Geste, bevor Marborad das Wort erheben mochte, um ein solches zu unterbinden.

Mit einem Ausruf des Entsetzens fasste Rajalind sich gegen die wogende Büste.

“Winterspitz, …", die Stimme des Lehrmeisters bohrte sich einem Dorn gleich tief ins Mark des jungen Mannes, “... Euer Versagen beschämt Eure Lehrmeisterin Neetya von Eslamsgrund! Euerem Versagen folgt die Enttäuschung unserer altehrwürdigen Akademia zu Elenvina, zieht die Abkehr aller Hoffnung und Zuversicht nach sich, die Ihre Spektabilität Ruane von Elenvina in Euch investiert hatte.” Theatralisch folgte den zusammengepressten Lippen ein verneinendes, vorwurfsvolles Kopfschütteln. Der Blauendorn richtete sich zu voller Größe auf und schaute auf den Candidatus herab. “Wie lautete der Wortlaut Eurer Prüfungsaufgabe?”, fragte er mit Nachdruck seiner aufblitzenden Augen, die sich in den Geist seines Gegenübers zu bohren schienen, gegebenenfalls die Gedankenbilder des Geistes zu prüfen vermochten.

Marborad konnte kaum glauben was der Blauendorn hier sprach – er hatte sich mit allem Wissen und Können redlich darum bemüht die gewünschte Ingredienz zu besorgen – und während er und Rajalind einem Hinweis nachgegangen waren, war Jonata wie vom Erdboden verschwunden. "Ich sollte gemeinsam mit Jonata von Schleiffenröchte die Herzogenmutter Grimberta Haugmin vom Großen Fluss nach Elenvina zurückbringen...” begann Marborad – und den ersten Schritt hierfür hatten sie schon erfüllt. Sie besaßen das Kleinod, das zu ihrer Befreiung nötig war. “Bis diese Aufgabe erfüllt ist, soll ich an Jonata gebunden sein, indem wir jeweils nicht mehr als fünfzig Schritt der Entfernung zu ertragen vermögen....” bei diesen Worten verzog Marborad schmerzhaft das Gesicht. Verdammt noch eins – er konnte nur hoffen, dass Jonata auf dem Weg hierher nur um eine ungünstig gelegene Ecke ging, die ihn gerade noch weiter von ihm fort zog. “Neben dieser Aufgabe stand als zweite Bedingung, die resultierenden Schlussfolgerungen unserer Gebundenheit im vorschriftsmäßigen Umfang einer Magisterarbeit über Moral und Integrität des Standes eines Adepten unserer Akademie zu reflektieren...” erklärte der junge Schüler. “Ich versichere euch, Hochgelehrter Magister, ich werde diese Arbeit schreiben sobald die Herzogenmutter sicher und friedlich wieder in Elenvina weilt!”

Corvinius Praiolan von Blauendorn wog die Reaktion des Candidatus. Er suchte den Blickkontakt zur Magistra von Eslamsgrund, nickte kaum merklich, einem stillen Einvernehmen folgend. Dann entließ der Blauendorn ein Seufzen, schloss die Augen und wandt sich mit einem verneinenden Kopfschütteln von Marborad ab. Der Beherrschungsmagier trat die Schwelle herunter und hielt inne, als er neben den Candidatus getreten war. “In dem, was Ihr soeben zusammengefasst habt, seid Ihr gescheitert, denn Jonata von Schleiffenröchte wird nicht gemeinsam mit Euch in Vertretung unserer Akademia zu Elenvina diese Queste beenden. Blicken wir der Tatsache ins Auge: Sie hat ganz offensichtlich eine folgenschwere Entscheidung getroffen, die Euch ein Scheitern verheißt. - Es tut mir leid! Eine kritische Rekflektion erscheint unter genannten Umständen obsolet.”

Marborad blinzelte, geradezu entsetzt.

Ebenso tat es Rajalind. „Was?...Aber…“ Ihr fehlten die Worte und sie schluckte die aufkeimende Wut nieder. Dieser Magister verstand ja gar nichts! Ihre Abneigung gegen Magie wuchs, als die Erkenntnis in sie drang, dass Zaubernde nicht nur seltsame, ja gar schmerzhafte Dinge zu vermögen im Stande waren, sondern dass sie auch noch zu schnell urteilten und zu hart und zu überheblich waren, grausam und gemein und …und überhaupt war ihre Allwissenheit doch nur Trug. Mehr als ein zaghaftes „Nein, das…muss ein Irrtum sein…“ brachte sie nicht hervor und schluckte alles weitere hinunter.

Marborad schluckte, aber aus anderen Gründen. Bedeutete dies, dass Jonata nicht etwa auf dem Weg zur Akademie sondern von dieser fort war? Ein beißender Schmerz schoss durch seine Eingeweide und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er schluckte den körperlichen und seelischen Schmerz hinunter und blinzelte den Blauendorn an, während sämtliche Emotion aus seinem Gesicht wich. Seine Hände zitterten, aber er verkrampfte diese in sein Gewand. “Und was bedeutet das für mich, Hochgelehrter?”

Der Magister schritt um den Jungen herum, blieb zur Linken des jungen Mannes, verharrend in einer nachdenklichen Pose, stehen. Er nahm die Kapuze aus der Stirn und strich mit der rechten Hand über sein Kinn, während er abwartete, dass Marborad vom anhaltenden Schmerz des Zauberzwangs geschüttelt würde. Sodann erhob er das Wort, Strenge oblag seinem Ton: “Winterspitz, …", er schritt weiter, nun vor den Schüler, legte diesem seine Hand auf die Stirn, schloss die Augen und brach seinen Zauber, wartete das Eintreten der Erleichterung ab. Dann subsumierte er: „…Ihr habt Eure Prüfungsaufgabe nicht korrekt erfasst. Der Blauendorn hieß Euch, Eure Integrität wiederherstellen – Makellosigkeit Eures Handelns beweisen! Ihr habt Eure Prüfung dennoch bestanden, denn redliches Handeln nach den Statuten unserer erhwürdigen Akademie hieß Euch Selbstbeherrschung und Willenskraft zu belegen, welche angesichts des Potenzials des Euch auferlegten Zauberzwangs - dem Stande eines Adeptus gebührend - unter Beweis gestellt wurde. Ihr habt Recht gehandelt, obgleich die Konsequenz den Euch unmöglichsten Weg verlangt hat.” Corvinius trat einen Schritt zurück, sein Blick war ergriffen von jener väterlichen Milde. “Candidatus Marborad von Winterspitz hat die Abschlussprüfung der magica controllaria, die Prüfung der Willenskraft und Selbstbeherrschung, bestanden. Der Magister Blauendorn war selbstverständlich der Unmöglichkeit der Erfüllung des Zauberzwangs gewiss. Ihr habt Integrität unseres Standes bewiesen! Ihr mögt dem Blauendorn fortan von Standes gleich entgegentreten.” Ein Lächeln stahl sich auf seine Gesichtszüge, war getilgt, als der Lehrmeister zur Collega von Eslamsgrund blickte, welche bestätigend nickte.

Marborad blinzelte für einen kurzen Augenblick ungläubig - er war den Ausschweifungen des Blauendorns gefolgt – und ihm war durchaus klar, dass die Art und Weise, wie er die Prüfung gelöst hatte mitnichten vom Blauendorn geplant war. Doch er war klug genug dies nicht durchblicken zu lassen. So behielt der Blauendorn sein Gesicht und Marborad das seine. “Bestanden?” dieses Wort fühlte sich seltsam in seinem Mund an. Er hatte bereits viele Worte vom Blauendorn gehört, die wenigsten waren freundlich gewesen – und ‘Bestanden’ schien der Magister nur selten und ungern zu sagen. Marborad neigte tief den Kopf. “Ich danke euch für diese Auszeichnung und Anerkennung Ehrwürdiger!” flüsterte er.

Die Emotionen im Gesicht der jungen Novizin der Rahja wandelten sich abermals. Nun war er Verwunderung und dann ganz klar Freude gepaart mit einem Lächeln der Erleichterung, mit der sie den Candidatus anblickte, während sie zärtlich mit der Hand seinen Unterarm griff.

Marborad richtete seinen Blick auf das Gesicht des Älteren. Ein Gedanke trieb ihn noch um – wenngleich ihm bewusst war, dass es ihm eigentlich jetzt egal sein konnte. “Wenn mir die Frage erlaubt ist: Welche Entscheidung hat Jonata getroffen?”

Corvinius hatte dereinst, als er dem Band Nidaris mit seinem Geist Gedankenbilder Jonatas abgerungen hatte, eine Entscheidung getroffen und die Uneinbringlichkeit der Schuld, die er dem Candidatus Winterspitz abverlangt hatte, sichergestellt. Die Prüfung von Willenskraft und Selbstbeherrschung hatte dieser bestanden, wenngleich es ihm nicht unlieb gewesen wäre, hätte der Winterspitz Jonata von einer Abkehr abhalten können. Dieser mochte meinen, den Blauendorn zu durchschauen, was Corvinius jenes gezeigte Lächeln in die Mimik gegeben hatte. Er seufzte, als Marborad ihn an Jonata erinnerte. “Jonata von Schleiffenröchte hat mit ihrem Lehrmeister gebrochen, hat sich vom Stand der Gildenmagie abgewendet und gebrochen mit unserer Akademia sowie mit den Werten der Großen Weißen Gilde. Jonata von Schleiffenröchte wird der Zuspruch der Weißen Hand infolge eigenen Begehrens entzogen sein.”

„Eigenen Begehrens?“ Platzte es da aus der Novizin heraus. „Aber wir haben uns doch nur…“ Aufgeteilt, wollte Rajalind weitersprechen, ihr versagte allerdings die Stimme, als der Magister Blauendorn ihr einen eisigen Blick zuwarf. Eigentlich wusste sie ja, dass ihre Rolle hier in der Akademie stumm zu sein hatte, da sie nicht hierher gehörte.

Marborad blinzelte. Wie bei allen Göttern konnte das Mädchen glauben, in diesem Falle eine kluge und Weise entscheidung getroffen zu haben? Er nickte stumm. “Wenn dies ihre Entscheidung ist, dann mögen die Götter sie auf ihrem Weg behüten...” er glaubte nicht, dass er Jonata ein letztes Mal gesehen hatte. Glaubte nicht, dass er ohne weitere Probleme mit der Schleiffenröchte sein Leben würde führen können. Und dennoch empfand er beinahe so etwas wie Mitleid für den Blauendorn. Er wusste, dass sich ihr Bruch auch auf seinen Ruf niederschlagen würde. “Dann wäre da noch die Errettung der Herzogenmutter,” warf der Winterspitz ein. “Wir müssen irgendwie in die Hallen des Flussvaters zurückkehren.”

An dieser Stelle nickte auch die Rahjani nachdrücklich und teilte den sorgevollen Blick, den Marborad ihr zuwarf.

Corvinius begab sich indes wieder an seinen Schreibtisch, hatte die Augenbrauen gehoben. “Wie gedenkt Ihr, jenen Gradienten eines Übergangs in die Globule des Flussvaters zu finden, seid Ihr im Besitz eines Schlüsselsteins oder in Kenntnis eines Feentores?” Das Interesse des Magus war geweckt, er erinnerte den Abschied von Olomorossa und die ergreifende Erfahrung einer magischen Analyse des Feentores, welches das Feenwesen durchschritten hatte. Dann zog ihn die Erinnerung an den Flussvater in die Realität. “Sagt, nennt Eurem Magister fünf Titel des Flussvaters, mit welchen ihm ehrgebietend entgegenzutreten ist!”, fordert er Marborad zur Antwort.

Marborad besah sich Corvinius. Ihm tat alles weh und die Herzogenmutter musste noch immer gerettet werden – eigentlich hatten sie keine Zeit für weitere Lektionen, aber Marborad nickte geflissentlich und pflichtbewusst. “Es kommt darauf an wen man fragt,” erwiderte Marborad. “Er ist der König des Großen Flusses, der Vater aller Fische, die großartige Lebensader der Nordmarken. Man könnte ihn mit vielen Worten bedenken – und wer von uns kann schon von sich behaupten wahrlich zu wissen wie der Flussvater genannt werden will? Aber ich bin mir sicher, dass man stets auf der sicheren Seite ist, so man ihn mit Titeln anspricht – die auch einem König würdig wären. Denn dies ist er letztlich: Herr des Flusses und der Fluss selbst. Majestät würde ich ihn nennen, Herr der Fluten, Meister der Strömungen und Herrscher über Mahlströme. Womöglich würde er sich auch als Fürst der Fische betiteln lassen wollen” führte Marborad seine Ausführungen zu Ende. “Und was den Übergang angeht? Ich kenne keinen direkten - würde aber denselben Zugang nehmen, der auch als Ausgang diente. Der Brunnen in der Waschküche - womöglich ist der Schleier dort noch immer dünn genug um ihn durchdringen zu können.”

Corvinius öffnete eine Schublade seines Schreibtisches, um etwas hervorzuholen während er sprach: “Wohl gesprochen. Ich nannte ihn den Unsterblichen König tosender Wellen. Er war geneigt, sich Sturmbrausende Magnifizenz unseres Lebensquells nennen zu lassen. Ebenfalls akzeptierte der Flussvater den Titel eines Heerführers ehrwürdigster Tierkönige der Unterwasserwelt.” Der Magus überlegte einen Moment, bevor er den Wortlaut erinnerte: “Er ist der Launenhaftigste Meister berauschender Spiele sowie der extatischte Gebieter feierlaunigster Festlichkeiten. - So ließ er sich Titel aufzählen, bevor er sich milde zeigte, mir die Rückkehr in unsere Sphäre zu gewähren.” Der Blauendorn blickte Marborad ernst an, sprach eine Warnung: “Vergesst nicht, dass der Flussvater in seinem Wesen von unstetem Gemüt und wankelmutigster Laune ist!” Dann seufzte der Magister und zog eine Muschel, welche an einem hellblauen Band wie ein Amulett gebunden war, hervor, um diese auf den Schreibtisch zu legen. Bedeutungsschwer lag das unscheinbare Kleinod im Blickfeld des jungen Mannes, als es plötzlich an der Tür klopfte. Das Artefakt sollte Marborad als Beweis gelten, dass des Magisters Warnung ein ernster Hintergrund der persönlichen Erfahrung anzurechnen war. Er nahm es zurück in die Schublade, als der Schüler blicken ließ, dass dieser den Beleg seiner Warnung erkannt hatte, und sprach “Der Brunnen, …", Corvinius nickte wissend und entließ den Candidatus und seine Begleiterin mit einer Geste. Der Junge scheint kein Schlüsselartefakt in Besitz mit sich zu führen … interessant, wenngleich kaum verwunderlich, da er selbst kein Feenwesen ist. Ist nicht jener Schlüssel ein Anker im Diesseits, um eines Feenblütigen Gebundenheit an seine Sphäre zu entziehen?" Corvinius´ Gedanken wogen die Möglichkeiten: Der Gradient wird auf das Sein dieses Jungen reagieren, da ein Echo jener Sphärenkräfte einer Gebundenheit in die Globule des Flussvaters folgt. - Es könnte gelingen. Andernfalls bliebe eine weitere Option. Wir werden sehen, ...”

Wenig später sahen Rajalind und Marborad unter sich das runde Dunkel des Brunnens, welcher in der Waschküche der Akademie in die finstere Tiefe führte.

Rajalind war mehr als mulmig, als sie auf dem Brunnenrand sitzend hinabblickte in die Schwärze. Eigentlich wollte sie nicht noch einmal das Gefühl des Ertrinkens spüren. Aber aus Ermangelung einer Alternative gab es keinen anderen Weg. Sie mussten zurück. In die Kaverne und damit ins magische Reich des Flussvaters. Den Liebestrank zurückbringen zu seinem Besitzer. Und die Herzogenmutter auslösen. Es führte kein Weg daran vorbei, sich also nun in diesen Schlund zu werfen. Zwei Dinge drückte sie seufzed fester: den Brief ihres Vaters an ihre Brust und Marborads Hand.

Der Winterspitz lächelte ihr aufmunternd zu. Er besaß keine Angst. Nicht mehr. Die Euphorie über das Bestehen seiner Prüfung hatte jedweden Zweifel über das Gelingen ihrer Aufgabe erstickt. Es galt nun mehr einen letzten Schritt zu unternehmen. „Rajalind von Zweibruckenburg, liebe Freundin, wollen wir?“

Die Rahjani nickte.

Marborad schmunzelte. Gerne wollte er sich mit diesem Mädchen treffen, wenn alles vorbei war, denn er mochte sie irgendwie . „Auf drei. Eins…zwei…“

Dann sprangen beide.

Und nur Augenblicke später hatte das Tor sie verschluckt.


—> weiter in Teil 5: Gratenfels

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