Eine Harte Schule Unstimmigkeiten

Kapitel 11: Unstimmigkeiten

Alegretta blieb ruhig aber ernst, eigentlich hätte sie das, was sie nun tun musste, Doratrava erspart, ein Blick zu Rahjalind aber zeigte ihr, dass die Novizin es alleine nicht schaffte. "Ich mache es kurz, da es mir in der Seele weh tut, jemandem Leid zuzufügen, aber es gibt Zwischenmenschliches, da kann auch die schöne Göttin nicht helfen, es gäbe keinen Liebeskummer und jeder würde den Partner bekommen, den er begehrt. Du hast dich in etwas verrannt und Rahjalind kommt damit nicht klar. Du liebst sie, sie mag dich, aber sie liebt dich nicht. Vielleicht wäre das leichter zu verstehen, wenn sie keine Novizin wäre. Das mit den Bannstrahlern allerdings beunruhigt mich, wir müssen dich in Sicherheit bringen."

Doratrava hätte nie gedacht, dass Geweihte der Rahja denen der Travia so ähnlich waren, aber zumindest diese vor ihr war es. Sie wollte es eigentlich nicht, spürte aber eine kleine dunkle Flamme, die in ihrem Inneren erwachte, doch noch vermochte sie es, diese im Zaum zu halten. Aber wie schon Rahjalind heute morgen schien Alegretta ihr gar nicht richtig zuzuhören, zumindest aber ging sie nicht auf ihre Worte ein. Irgendwie bereute sie es jetzt, all ihren Kummer und Schmerz vor der Geweihten ausgebreitet zu haben, wenn es doch nichts half. Sie hatte sich damit noch verletzlicher, noch verwundbarer gemacht und fühlte sich nun, als hätte sie etwas verloren, was sie nicht mehr zurückgewinnen konnte.

Die Gauklerin nahm nun zwar ihren Kopf von der Schulter ihrer Freundin, behielt aber ihre Umarmung bei, ohne jedoch Kraft hineinzulegen. Rahjalind sollte wissen, dass sie ihren Armen jederzeit entkommen konnte, sollte sie es wünschen. Doratrava fixierte Alegretta nun mit ihren dunklen blauen Augen, in deren Tiefe Stahl aufblitzte, von dem sie allerdings noch nicht Gebrauch zu machen gedachte. Dennoch spürte die Geweihte, dass eine Veränderung mit der Gauklerin vorgegangen war, auch die Novizin nahm das unterbewusst war. „Über Rahjalind - nein, mit Rahjalind rede ich später – allein.“ Die Stimme Doratravas klang seltsam gefasst, distanziert, emotionslos, so hatte Rahjalind ihre Freundin noch nie sprechen hören. „Nun sag‘, was hat es mit diesen Bannstrahlern auf sich? Das hört sich ja an, als stünden diese schon fast vor der Tür.“ Auch diese Worte hatte die Gauklerin gefasst ausgesprochen, doch diesmal mit deutlicher Sorge in der Stimme. „Wie wollt ihr mich ‚in Sicherheit bringen‘?“

Rahjalind verfolgte die Konversation der beiden Frauen mit erst regungsloser Miene, die erst gegen Ende in skeptisches Stirnrunzeln umschlug. Wie oft schon hatte sie gesehen, dass Alegretta Menschen mit Liebeskummer behandelt hatte. Noch nie wühlte sie eine Gläubige so auf wie nun Doratrava. Kurz dachte die junge Novizin an die Ursache dafür und kam schlussendlich zu der Erkenntnis, dass der Grund dafür wohl in ihrer Vergangenheit zu finden war.

Alegretta und Doratrava waren sich nämlich sehr ähnlich … nun ja … nicht charakterlich oder optisch, aber was ihre Vergangenheit anging. Die Hochgeweihte des kleinen Tempels stammte aus einem erzkonservativen Elternhaus, aus dem sie schon früh geflüchtet war. Als junge Frau zog sie das Leben im Dienst der schönen Göttin, den ihre Eltern nie gutgeheißen hätten, dem Leben in Luxus vor. Die Familie von der Heide machte mit ihren Schiffen im Südmeerhandel ein Vermögen und Alegretta galt, hübsch und vermögend wie sie war, als herausragend gute Partie. Das alles ließ sie zurück und tauschte bereitwillig Kleider aus Samt und Seide gegen die einfache Novizenkluft. Nun stammte Doratrava nicht unbedingt aus wohlhabenden Verhältnissen, doch auch sie war aus einem Käfig einer konservativen Familie ausgebrochen.

Der Blick der jungen Linnartsteinerin ging zwischen der Gauklerin und der Hochgeweihten hin und her. Doratrava litt allem Anschein nach unter ihrer Erziehung, während Alegretta damit abgeschlossen hatte – bis heute. Ihre Strenge war wohl ein Indikator dafür, dass hier etwas an die Oberfläche brach, das besser hätte verborgen bleiben sollen. Mit einem Seufzen lenkte sie die Aufmerksam der beiden auf sich.

„Nichts wird dir hier im Tempel geschehen, Dora …“, hob sie in leicht gereiztem Unterton an und kurz schien sie selbst ihre Lehrmeisterin mit einem strengen Blick zu bedenken, „… die Bannstrahler haben hier keine Handhabe. Selbst wenn meine Mutter damit droht und die Geißler wohl gerne ihre Finger an dich bekommen würden, ich werde es zu verhindern wissen. Mein großer Bruder ist einer von denen und mein Großonkel deren … Anführer.“ Die Novizin zögerte etwas. „Das Schlimmste was passieren kann ist, dass du schnell das Land verlassen musst. Der Arm der Praioskirche reicht hier weit und du … wie soll ich sagen … du bist wohl ein magisches, in ihren Augen chaotisches Wesen.“ Ihre Brauen hoben sich etwas. „Und Chaos ist ihnen ein Gräuel.“

Kurz lag der Blick der Linnartsteinerin auf Alegretta. „Diener der schönen Göttin sind auch nur Menschen. Ja, wir fühlen die Göttin bei und in uns, doch machen auch wir Fehler und wir sind unvollkommen und das, was wir sagen, kommt eben aus unseren Mündern und nicht aus dem der Göttin.“ Rahjalind atmete tief durch. „Wir können versuchen zu helfen, doch setzt das auch Göttervertrauen und die Bereitschaft, sich helfen zu lassen, voraus. Haben zu wollen was man begehrt – ohne Wenn und Aber, nur um dann auf die Götter zu schimpfen und sich von allen ungerecht behandelt zu fühlen, ist keine Bereitschaft, sich helfen zu lassen.“

Die Novizin ging auf Doratrava zu und streichelte ihr über ihre Wange. Es war eine vertraute Geste und sollte in erster Linie beruhigend wirken. „Es tut mir leid, Dora …“, flüsterte sie, „… ich habe dir anscheinend weh getan. Freude wollte ich dir schenken und geblieben ist Schmerz. Es war gedankenverloren von mir und sollte so nicht sein.“ Kurz schien es, als würden Rahjalinds Augen feucht. „Ich will dich nicht als Freundin verlieren, und hätte ich gewusst, was diese Nacht in dir auslöst, wäre ich nie so weit gegangen. Ich hoffe, du verzeihst mir, aber ich denke es wäre für unser beider Seelenheil besser, wenn wir … nur … noch Freunde sind.“

Der unterschwellige Anflug eines im Aufzug begriffenen Gewitters verschwand aus Haltung und Blick der Gauklerin, als hätte es ihn nie gegeben. Sie nahm Rahjalinds Hand in die ihren und blickte ihr tief in die Augen. „Ich bin froh, dass Novizen der Rahja nicht allwissend sind“, versuchte sie einen halbherzigen Scherz, auch wenn ihre Stimme eher traurig denn heiter klang. „Um nichts in der Welt möchte ich die Nacht mit dir missen, und du sollst sie auch nicht bereuen.“ Nun strich die ihrerseits mit der Hand über Rahjalinds Wange. „Für mich ist das alles so neu, ich kann nicht voraussehen, was geschieht, wenn die Gefühle mich überwältigen … und das passiert mir sehr leicht, wie ich gelernt habe.“ Wieder teilte ein bittersüßes Lächeln ihre Lippen. „Ich habe doch längst akzeptiert, dass ich dich nicht für mich behalten kann … aber bis gerade eben hatte ich zumindest noch die Hoffnung auf die ein oder andere rahjagefällige Nacht. Doch wenn du – du!“ - kurz glitt Doratravas Blick zu Alegretta hinüber - „denkst, das sei zu gefährlich für mein oder dein Seelenheil, dann muss ich das wohl so hinnehmen.“ Nun stockte ihre Stimme, und es suchte sich doch noch einmal eine einzelne Träne ihren Weg aus ihrem linken Auge zum Kinn. Dann sprach sie mit gespielter Heiterkeit weiter. „Und – was machen wir zwei Nur-Freundinnen nun noch, bevor das unabwendbare Schicksal die rastlose Gauklerin wieder auf ihren Weg in die weite Welt entlässt – abgesehen davon, sich vor Bannstrahlern zu verstecken?“



Kapitel 10: Pläne

Kapitel 12: Nur-Freundinnen