Eine Harte Schule Tempeldienst

Kapitel 16: Tempeldienst

Und dann war da ja noch eine Sache. Mit neuem Schrecken in den Augen sah Doratrava Rahjalind an. „Und … also … müsste ich dann nicht auch … ? Also, mit anderen Männern und Frauen … das … das will ich nicht, das kann ich nicht!“ Ihre Stimme bekam nun einen leicht panischen Unterton, unwillkürlich schlang sie die Arme schützend um ihren Oberkörper.

Rahjalind schob in einer Mischung aus Belustigung und Ärger ihre Augenbrauen zusammen. „Wir sind doch keine Tempelhuren …“, die Novizin kicherte, „… woher hast du denn dieses Bild? Nur weil wir der Göttin der Liebe dienen, heißt das nicht, dass wir uns prostituieren müssen. Ich schlafe doch auch nur mit Frauen und Männern, die mein ehrliches Interesse wecken und ich tue es, weil ich es will und nicht, weil es eine Pflicht ist.“ Der Blick der jungen Frau ging vielsagend hinüber zu Alegretta. „Es mag Brüder und Schwestern geben, die mit vielen Gläubigen das Bett teilen, aber es gibt genauso welche, die noch viel wählerischer sind als ich. Es ist wie jeder mag.“

Sie hob ihre Schultern und wies dann auf ihre Laute. „Es gibt viele Wege, der Göttin zu dienen. Ich male, musiziere und tanze sehr gerne. Ich lehre die Menschen hier das Tanzen und musiziere dann dazu. Ich versuche so, Freude und Harmonie in ihre Leben zu bringen. Dazu muss man nicht die Beine öffnen.“ Kurz huschte wieder ein leicht ärgerlicher Ausdruck über das hübsche Antlitz Rahjalinds. „Du trägst ein Talent für so viele der Rahja gefällige Künste in dir – du würdest sehr gut zu uns passen und was den Tempel angeht … ja, du würdest wohl einem Göttinnenhaus zugeteilt werden, was jedoch nicht heißt, dass du dort leben musst. Es gibt viele reisende Brüder und Schwestern, doch sie alle sind Teil der Hierarchie der Kirche. Deshalb wollte ich ja, dass Alegretta dich unter ihre Fittiche nimmt. Sie ist eine Hochgeweihte, der die Freiheit ein sehr hohes Gut ist. Darüber hinaus hätten wir für eine weitere Dienerin im Tempel auch keinen Platz. Deshalb könnte sie dich, nach einer Zeit des Unterrichts, ohne weiteres auf Wanderschaft schicken und du wärst frei in dem, was du tust. Wichtig ist, dass du die Gebote der Göttin in dir trägst, was du meiner Meinung nach sowieso tust.“

Zweifel stand in Doratravas Gesicht geschrieben, immer noch hatte sie das Gefühl, in eine Falle zu laufen, wenn sie nicht aufpasste. Andererseits vertraute sie ihrer Freundin und war sich sicher, dass diese nur ihr Bestes wollte und sich sichtlich freute, ihr ein solches Angebot machen zu können. Umso schwerer fiel es der Gauklerin, ihre Zweifel in Worte zu fassen, denn sie wollte Rahjalind nicht vor den Kopf stoßen. Dennoch schaffte sie es nicht, den Fragen, die aus ihrem Inneren hochstiegen, Einhalt zu gebieten.

„Aber … in Belhanka … da habe ich doch überall gesehen, dass … ?“ brach es aus Doratrava heraus. „Und ich dachte immer, viele Leute gehen in den Rahjatempel, wenn … sie sonst niemanden haben? Und meine Zieheltern, immerhin waren das auch Geweihte, die haben auch immer schlecht von Rahja gesprochen … äh, also nicht von der Göttin, aber von ihren Dienern und Dienerinnen. Aber da war ich noch klein, vielleicht habe ich das auch nicht richtig verstanden.“ Auch wenn sie keine besondere Freude empfand, wenn sie an ihre traviageweihten Zieheltern dachte, wollte sie ihnen doch nicht Unrecht tun. Es war nun schon bald fünfzehn Götterläufe her, dass sie von „zuhause“ - hah! - weggelaufen war, die Erinnerung an ihre Kindheit dort verschwamm mit den Jahren zusehends, nur die besonders unangenehmen Dinge, die hatten sich ungerechterweise in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Während der Worte ihrer Freundin wanderten die Augenbrauen Rahjalinds immer weiter nach oben. „Du hast in Belhanka … was … gesehen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Dienerinnen der schönen Göttin, die sich prostituiert haben? Oder waren es bloß feiernde Menschen?“ Die Novizin seufzte tief. Allem Anschein nach hatte ihre Freundin ein völlig falsches Bild vom Leben und Wirken ihrer Brüder und Schwestern. „Denkst du wirklich, dass der Tempel ein besseres Bordell ist? Dass jedermann kommen und sich um sich an uns zu bedienen?“ Abermals folgte ein Kopfschütteln. „Gaaaanz falsch. Wohl weil wir leicht bekleidet sind? Oder weil wir den Menschen dabei helfen in ihrem Liebesspiel Rahjas Nähe zu erreichen. Ja, du hörst richtig – meistens kommen Paare zu uns. Oder Menschen, die Liebeskummer haben und seelischen Beistand benötigen. Wir sind Lehrer und Seelsorger. Vergiss den Unsinn, der dir erzählt wurde und frag dich selbst ob eine Göttin, der es am Wichtigsten ist, dass nichts ohne gegenseitiges Einverständnis und gegenseitige Freude geschieht, es wollen würde, dass ihre Dienerinnen und Diener bessere Dirnen oder Lustknaben sind, an denen der Durchschnittsgläubige seinen sexuellen Frust abbauen kann?“ Rahjalind musterte Dora streng. „Ich bin mir sicher, dass du diese Frage für dich selbst beantworten kannst.“

„Ich … ich weiß nicht ...“, stammelte Doratrava, nun schon wieder deutlich rosa angelaufen und sehr verlegen. „Ich habe nicht … also, gesehen habe ich nicht wirklich etwas, aber gehört. Und ...“ Jetzt wurde die Gauklerin noch röter, „so leicht bekleidet … ich muss dich nur ansehen, dann würde ich am liebsten … du kannst ja deine Reize kaum abstreiten, und das kann wohl niemand in solcher Gewandung, und dass man dann auf entsprechende Gedanken kommt ...“ So lange Doratrava nun schon hier war, mit ihrer neuen Freundin zusammen, die sie liebte, und im Tempel der Rahja, so kurz war dieser Zeitraum im Vergleich zum Rest ihres bisherigen Lebens. So schnell konnte sie die Prägung ihrer Zieheltern nicht abstreifen, aller Rebellion zum Trotz, und es würde sicher noch lange dauern, bis sie wirklich offen über ‚solche Dinge‘ sprechen konnte. Auch jetzt, wo nur Rahjalind sie hörte (wie sie hoffte), konnte sie viele Dinge nur andeuten, da sie diese nicht über die Lippen brachte. Das machte die Diskussion nicht gerade einfacher.

„Wie ich schon sagte“, versuchte Doratrava sich nun auf sichereres Gelände zu retten, „ich sollte wohl einmal darüber schlafen … vielleicht kann ich mir über meine eigenen Wünsche und Gefühle dann besser klar werden ...“

Rahjalind nickte ihr knapp zu. „Tu das, höre in dich hinein und bedenke, nur, weil wir unsere Körper freizügig kleiden, heißt das nicht, dass wir Freiwild sind, an dem man sich bedienen kann. Das würdest du ja auch nicht wollen, denn so züchtig kleidest du dich bei deinen Auftritten ja auch nicht.“ Die junge Frau lächelte frech. „Aber wenn du den kleinsten Zweifel hegst, dann wäre es vielleicht besser, wenn du nicht in den Dienst der Kirche trittst.“ Die Novizin blickte sich noch einmal im Raum um. Ihr Blick blieb an der Treppe nach oben hängen. „Du kannst gerne hier im Tempel übernachten. Ich lasse dir ein Zimmer vorbereiten.“

Doratrava sah ihrer Freundin sinnend nach. Eigentlich fühlte sie sich noch nicht sehr müde. Sie schlief morgens gerne lange, man könnte auch sagen, sie war morgens vor der zehnten Stunde normalerweise kaum aus ihrer jeweiligen Schlafstatt zu bringen, ohne dass der oder die Weckende ernsthafte Konsequenzen befürchten musste, dafür konnte sie abends dann auch umso länger durchhalten. Aber nach dieser ganzen Diskussion war ihr irgendwie die Lust vergangen, noch irgend etwas unternehmen zu wollen. Eigentlich war das ja widersinnig. Sie hatte sich nicht mit Rahjalind gestritten, ihr war sogar ein Angebot gemacht worden, dass sicher nicht jedem angetragen wurde, und statt sich zu freuen und glücklich zu sein, fühlte sie … ja was? Anspannung war da, Sorge, Alegretta und vor allem Rahjalind vor den Kopf zu stoßen … das Gefühl, unvorbereitet vor einer Prüfung zu stehen, die unmöglich zu schaffen war … Die Gauklerin schüttelte den Kopf. Sie sollte darüber schlafen und sich nicht verrückt machen. Doch sie fühlte, dass sie nun nicht schlafen konnte. Sie würde sich nur ruhelos im Bett herumwälzen, sinnlosen Gedanken nachhängen, vagen Befürchtungen nachgehen.



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