Eine Harte Schule Akoluthin

Kapitel 15: Akoluthin?

„Du bist so gesegnet, Dora …“, flüsterte Rahjalind ihr zu. Den Zusehern hatte es allem Anschein nach auch gefallen. Selbst auf Addas Gesicht zeigte sich ein Lächeln, doch war nicht erkennbar wem es galt. „Hast du schon einmal daran gedacht der Kirche beizutreten? Du könntest als reisende Laiendienerin Freude unter die Menschen bringen und …“, sie senkte ihre sowieso schon leise Stimme noch weiter, „… du wärst geschützt. Es könnte dir nichts geschehen. Ein Angriff auf dich wäre ein Angriff auf die Kirche.“ Die Novizin suchte den Blick ihrer Ausbilderin. Sie war sich sicher, dass Alegretta helfen würde.

Noch immer ganz in Tanz und Musik gefangen, nahm Doratrava zunächst zwar das Lob und die Freude in Rahjalinds Augen und denen der Zuschauer wahr, aber die Worte drangen nicht gleich in ihren Verstand vor. Als es dann doch soweit war, ließ die Gauklerin verwirrt die von der Abschlusspose noch erhobenen Arme sinken und sah ihre Freundin mit großen Augen an. „Äh, was?“ entfuhr es ihr wenig geistreich.

Rahjalind zog lächelnd ihre Stirn kraus. „Ob du es dir vorstellen könntest, in den Dienst der Kirche zu treten …“, kam es dann etwas lauter, aber in fröhlich ausgelassenem Ton. „Dein Leben würde sich wohl nur sehr marginal ändern. Du bist eine talentierte junge Frau mit ihrem Herzen voller Liebe.“ Abermals blickte die Novizin in die Richtung der Hochgeweihten. Als sie sich dessen gewahr wurde, dass Alegretta sie bemerkt hatte, bat sie ihre Lehrmeisterin mit einer Handbewegung zu ihnen zu kommen. „Rahja hat dich schon längst geküsst. Es würde dir bestimmt leicht fallen.“

Ein Anflug von Schwindel erfasste Doratrava, als ihr Verstand die Worte der Novizin endlich zur Kenntnis nahm und begann, sie zu verarbeiten – womit er sich schwer tat, kam dieser Vorschlag doch völlig überraschend und lag jenseits von allem, über was die Gauklerin jemals nachgedacht hatte. Nach dem ersten Schock haftete der Idee durchaus etwas Verlockendes an … sie wäre dann vielleicht nicht mehr ganz unten in der Nahrungskette angesiedelt, dort, wo sie jeder nach Belieben herumschubsen konnte, aber … hätte sie dann nicht auch Verpflichtungen? Und wenn es etwas gab, das ihr noch mehr zusetzte als jede Ungerechtigkeit hinnehmen zu müssen, weil fahrendes Volk von keinem Gesetz geschützt wurde, so war es die Einschränkung ihrer Freiheit. Bisher war sie niemandes Herr, aber dadurch auch niemandes Diener und konnte frei entscheiden, wohin sie ging und wann sie es tat, und nach ihrer Flucht aus dem Traviatempel vor so vielen Jahren war das eine der größten Freuden ihres Daseins gewesen. Lohnte es sich, diese Freiheit für ein bisschen vermeintliche Sicherheit aufzugeben? Mit sehr gemischten Gefühlen sah sie Alegretta entgegen, welche gerade im Begriff war, sich zu ihnen zu gesellen.

Sichtbar gelöst und entspannter kam die Herrin und oberste Dienerin dieses Tempels zu den beiden. „Sehr schön, Doratrava, vielleicht hast Du im Tanz deine Bestimmung gefunden, diese Figuren und Bewegungen … das ist Talent.“ Sie reichte ihr einen Becher Wein. „Liebchen, du wirst dich um sie kümmern, vergiss aber deine eigentlichen Aufgaben hier nicht ... und , na ja, ich kam nicht umhin, etwas von eurem Gespräch gehört zu haben. Zudem habe ich meine eigenen Gedanken. Der Rest ist erstmal nicht so relevant. Doratrava, rede mit deiner Freundin und überlege, was du wirklich willst.“ Lasziv warf sie ihre vollen Haare über die Schulter. „Ich werde die Gäste beschäftigen, sie sind nur allzu entzückt, aber du ziehst sicher Zweisamkeit vor.“

Verwirrt und ratlos sah Doratrava der Geweihten hinterher, als diese sich wieder zu den Gästen gesellte. Dann drehte sie sich zu Rahjalind, hob die Schultern und breitete die Arme aus. Was war das denn eben gewesen? Laut sagte sie: „Ich … muss darüber nachdenken, darüber schlafen, Rahjalind. Alegretta hat ja offenbar nichts weiter dazu zu sagen … ?“ Die Gauklerin ließ ihre Stimme leicht fragend ausklingen und furchte die Stirn. Dann stellte sie zögernd doch die für sie wichtigste Frage. „Rahjalind, Liebste … wäre ich denn dann noch frei?“ Ihre Miene spiegelte ängstliche Erwartung wider, als sie ihrer Geliebten in die Augen blickte. „Könnte ich immer noch gehen, wohin ich will? Würden nicht alle meine Taten auf deine Kirche zurückfallen, im Guten wie im Schlechten?“

Auch Rahjalind runzelte die Stirn, als Alegretta wieder von dannen schritt. Die junge Novizin war wie so oft verwirrt. Sie wandte sich Doratrava zu und hob lächelnd ihre Schultern. Rahja hatte ihre Lehrmeisterin damals als kleines Mädchen erwählt, hatte einen ihrer Diener mittels Visionen zu ihr gesandt und sie in den Schoß der Kirche geholt. Wenigen Menschen wurde solch ein enormes Maß an Gnade zuteil. Vielleicht sprach sie deshalb stets in Rätseln – vielleicht war es ein Ausdruck dessen, dass die Herrin sie auf eine ganz besondere Art und Weise berührt hatte.

„Du wirst nie so frei gewesen sein, Dora …“, antwortete die junge Rahjalind dann aufmunternd, „… die Kirche wird dir Familie und Bestimmung zugleich sein. Wir bringen Harmonie und Freude unter die Menschen, es ist nichts, was du nicht schon jetzt auch tun würdest.“ Die Novizin wandte sich noch einmal zur Tempelvorsteherin um, sah sie für einige Momente lang an und lenkte ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf ihre Freundin. „Es gibt sehr viele reisende Diener unserer Gemeinschaft und es wäre wohl eine Frage, welchem Tempel du zugeteilt wirst. Genau deswegen wollte ich ja Alegretta zu uns holen. Sie könnte dir dabei helfen. Wir könnten dich hier im Tempel lehren und dich dann in die weite Welt entlassen, wenn du dich dazu bereit erklärst, den Geboten der Göttin nie zuwider zu handeln und es dir gelegen ist, Harmonie in ihrem Namen unter die Menschen zu bringen.“

Während der Ausführungen Rahjalinds nahm das Gesicht der Gauklerin einen immer zweifelnderen Ausdruck an. Nachdem die Novizin geendet hatte, brauchte Doratrava ein paar Augenblicke, um sich eine Antwort zurecht zu legen. „Aber ...“, begann sie schließlich, „einem Tempel zugeteilt … wozu? Muss ich dort Rechenschaft ablegen? Aufgaben empfangen? Das … das wäre mir zu viel, glaube ich. Versteh‘ mich nicht falsch, ich … ich bin noch ganz überwältigt von deinem Angebot, von deinem Vertrauen, dass ich eurer Kirche Ehre machen könnte. Aber … ich weiß nicht, ich habe Angst, am Ende in einem Käfig zu sitzen – einem goldenen wahrscheinlich, aber dennoch einem Käfig!“ Unwillkürlich zog Doratrava die Schultern ein, fast strahlte sie etwas aus wie ein in die Enge getriebenes Tier, während ihre flehenden Augen um die Versicherung baten, dass es nicht so sei, dass sie sich irrte. Wie gerne würde sie dieses Angebot annehmen … aber der Preis? Der Preis?



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