Eine Harte Schule Bannstrahler

Kaptel 17: Bannstrahler

Leeren Blickes starrte Doratrava vor sich hin, die Geräusche im Inneren des Tempels, leise Musik, Lachen, Gesprächsfetzen, alles verschwamm zu einem unbestimmten Rauschen, in dem sie zu versinken drohte. Sie schreckte hoch, Schweiß stand ihr auf der Stirn, ihr war schrecklich warm. Was war nur mit ihr los? Vielleicht brauchte sie einfach nur frische Luft. Schnell sprang sie auf und lief luftig bekleidet, wie sie in Alegrettas Kleid war, hinaus aus dem Tempel in den kleinen Garten. Die kalte Luft brannte fast auf ihren bloßen Armen, das Gras war jetzt schon glitschig vom Tau, doch die Gauklerin begrüßte diese Sinneseindrücke, die so ganz natürlich waren und ihren rasenden Gedanken ein wenig Linderung verschafften. Sie fand eine hölzerne Bank, auf der sie sich mit angezogenen Beinen niederließ und umschlang die Knie mit den Armen. Fröstelnd starrte sie nach oben auf die Sterne. Sagte man nicht, diese wären die Schätze des Phex? Doch hatten sie keine Antwort für sie, so lange sie auch starrte, während die Kälte lähmend in ihre Glieder kroch.

Die junge Gauklerin war so in den Anblick der Himmelslichter vertieft, dass sie die Schritte neben sich erst im letzten Moment vernehmen konnte. „Wer da …“, kam es in bestimmendem Ton, der die vollendete Stille um sie jäh zerriss. Doratrava wandte sich zu besagter Stimme um und blickte direkt in das junge Gesicht eines Mannes.

Er hatte volles helles Haar, wobei die Seiten und der Hinterkopf rasiert waren. Sein Gesicht zierte ein gepflegter Vollbart. Gekleidet war der junge Mann, der ihr von irgendwo her bekannt vorkam, in einen weißen Wappenrock über einem langen Kettenhemd. Über Schulter und Rücken lag ein langer roter Mantel, an der Seite hatte er ein Langschwert gegürtet.

Der interessierte Blick des jungen Mannes lag einige Momente auf der Gauklerin, dann nahm er seinen Mantel ab und legte ihn wortlos über Doratravas Schultern. Erst jetzt wurde sie sich seines Duftes nach Sandelholz gewahr. „Ihr holt Euch sonst noch den Tod ...“, fügte der Ritter dann an.

Im ersten Moment war Doratrava erschreckt zusammengezuckt, als der Bewaffnete so plötzlich hier im Rahjagarten aufgetaucht war, doch schien er ihr nichts Böses zu wollen. Erst jetzt nahm sie die Kälte bewusst zur Kenntnis und fröstelte umso mehr, so dass sie den Mantel einerseits dankbar enger um die Schultern zog, doch andererseits erwachte nun ihr Misstrauen. „Äh … habt Dank … aber wer seid Ihr? Was macht Ihr hier?“ wollte sie nun wissen. Ihre Stimme war leise und zitterte ein wenig, doch ob das an der Kälte lag oder an etwas anderem, war für ihr Gegenüber schwer zu beurteilen. Was der stattliche junge Mann dagegen trotz der schattigen Umgebung zu bemerken vermeinte, war ein violettes Leuchten tief in den großen, feucht schimmernden Augen der jungen, weißhaarigen Frau.

„Linnart vom Traurigen Stein, Ritter vom Orden des Bannstrahl Praios …“, stellte er sich dann knapp vor und erst jetzt konnte die junge Gauklerin jenes funkelnde Sonnenamulett sehen, das dem Ritter um den Hals hing, „… ich kenne dich …“, bemerkte er dann, „… von der Brautschau zu Herzogenfurt damals, und auch meine Mutter hat mir von dir erzählt.“ Der Ordensritter beließ es dabei. Vorerst. „Was tust du denn hier im Freien und noch dazu so leicht bekleidet?“

Erneut zuckte Doratrava zusammen, durchschoss sie doch im ersten Moment der Gedanke, Adda hätte ihre Drohung wahr gemacht und nach den Bannstrahlern geschickt. Doch sie unterdrückte den Fluchtimpuls gerade noch so eben. Linnart, dessen Züge sie in der Dunkelheit kaum ausmachen konnte, war doch Rahjalinds Bruder, und bei der Brautschau hatte sie diesen als durchaus freundlichen und umgänglichen Mann kennengelernt, zudem sprach seine Reaktion nicht dafür, dass er in dem fest umrissenen Auftrag unterwegs war, eine gewisse Gauklerin festzunehmen.

„Ich ...“, versuchte sie sich an einer Antwort auf die Frage, welche sie sich nun selbst stellte, musste aber erneut ansetzen. „Ich … brauchte ein wenig frische Luft … Zeit zum Nachdenken … du … Ihr habt ja recht, es ist schon ziemlich kalt hier, vielleicht sollte ich wieder hineingehen ...“ Doratrava hielt inne, als sie erneut ein Schauder überlief, der bestimmt der Kälte geschuldet war. „Und Ihr? Was tut Ihr in Rahjas Garten? Und was hat Eure Mutter Euch über mich erzählt?“ Unwillkürlich spannte die Gauklerin sich an. Erstens war das gut gegen die Kälte und zweitens fürchtete sie die Antwort, wollte sie aber trotzdem unbedingt wissen.

Linnart zog ob der vielen Fragen verwundert seine Augenbrauen hoch. Normalerweise war er derjenige, der die Fragen stellte. „Meine Mutter hat mich gebeten, hierher zu kommen … und ja, du bist der Grund dafür.“

Doratrava zuckte erneut zusammen und rückte auf der Bank ein Stück weg von Linnart, was aufgrund der beengten Platzverhältnisse ein wenig erfolgversprechendes Unterfangen war. Ein gehetzter Ausdruck trat auf ihr Gesicht.

Der junge Bannstrahler hob beschwichtigend seine Hand. „Aber du kannst beruhigt sein. Sie hat nichts zur Anzeige gebracht und es ist ein Irrglauben, dass wir Bannstrahler ohne ein Mandat durch Kirchenobere eigenmächtig Zauberkundige jagen und festnehmen.“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Sie hat mich lediglich gebeten, dass ich einmal ein Auge auf dich werfen soll. Aber du hast nichts zu befürchten – keine Angst. Zumindest noch nicht.“ Abermals stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Dass du mir hier im Garten über den Weg gelaufen bist, ist jedoch Zufall. Ich mag den kleinen Park und habe hier bloß auf meine Mutter gewartet.“

Erst wollte die Gauklerin erleichtert aufatmen, doch bei den letzten Worten Linnarts stieg ihre Anspannung schlagartig wieder. „W...was soll das heißen, ein Auge auf mich werfen? Wie soll das gehen? Ich … ich will wieder in den Tempel!“ Doratrava sprang von der Bank auf, zog sich den Mantel von den Schultern, um ihm dem Bannstrahler in die Hand zu drücken, und machte Anstalten, sich an ihm vorbei zu drücken. Plötzlich war ihr heiß, die Kälte vergessen.

Linnart blickte ihr kopfschüttelnd nach, legte seinen Mantel an und stieß einen einfachen Pfiff aus. Dann setzte er sich entspannt auf die Bank und lehnte sich locker zurück.

Denn weit sollte Doratrava ohnehin nicht kommen. Noch bevor sie den Tempel erreicht hatte lief sie förmlich in einen blonden Jüngling, der ebenfalls den weißen Wappenrock der Bannstrahler trug. Mit sachten Bewegungen, die jedoch kein zuwider laufendes Handeln zuließen, schob er die junge Frau zurück zu Linnart, der sie mit einem schmalen Lächeln auf der Bank sitzend erwartete.

Doratrava prallte zurück, als plötzlich der zweite Bannstrahler vor ihr auftauchte. Mit einem erschreckten Laut versuchte sie dessen Händen zu entgehen, was sie unweigerlich zu Linnart zurücktrieb. Im ersten Moment wollte der Fluchtinstinkt von ihr Besitz ergreifen, sie war sich intuitiv sicher, dass der Junge – dem Alter nach war der zweite Bannstrahler nichts anderes, wie sie nach dem ersten Schrecken feststellte – ihren akrobatischen Fähigkeiten nichts entgegenzusetzen hätte, sollte sie es darauf anlegen.

Doch mühsam kämpfte sie die Panik nieder. Sie waren hier im Garten der Rahja, neben dem Tempel der Göttin, hier würde ihr doch hoffentlich kein Leid geschehen?

„Warum läufst du denn vor mir davon …“, fragte er und konnte ein gewisses Maß an Amüsement nicht verhehlen, „… ich sagte dir doch, dass dir nichts passieren wird. Uns Dienern des Götterfürsten ist die Wahrheit das höchste Gut. Du kannst mir vertrauen.“ Er nickte dem jungen Knappen zu, der Doratrava daraufhin wieder etwas mehr Bewegungsraum ließ. „Um deine Frage zu beantworten; meine Mutter sorgt sich um Rahjalind. Sie meinte, dass du womöglich einen Zauber auf sie gewirkt hast. Ich solle nur sichergehen, dass dem nicht so ist.“ Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des Ritters. „Ich denke, ich weiß bereits, dass dem nicht so ist. Mutter vergisst halt einfach gerne mal, dass Rahjalind ihr sehr ähnlich ist. Sie sieht in ihr wohl immer noch ihr kleines, unschuldiges Mädchen.“

Trotzig blickte Doratrava Linnart ins Gesicht. Leider konnte sie bei den aktuellen Lichtverhältnissen seine Miene nicht gut erkennen, aber am Ton seiner Stimme hörte sie sein Lächeln, was sie im Moment eher als Spott empfand. „Rahjalind kann gut auf sich selbst aufpassen!“ schleuderte sie dem Bannstrahler entgegen. „Und für das Entfachen von Rahjas Leidenschaft braucht es nichts außer den Hauch der Göttin selbst!“ Sie verbiss sich schmerzlich das Wort ‚Liebe‘, dieser Stachel war noch zu frisch, und ganz sicher wollte sie nicht mit Linnart darüber diskutieren. Ganz langsam verwandelte sich Doratravas Angst in Wut, sie blitzte den Bannstrahler an. „Ich schwöre bei Rahja, dass ich Rahjalind nicht verzaubert habe. Und entgegen der landläufigen Meinung von Geweihten des Praios und der Bannstrahler bin ich keine Hexe!“ Aufgebracht stemmte sie die Fäuste in die Hüften und sah Linnart nun herausfordernd an.

Sie konnte es nicht sehen, aber es wirkte in diesem Moment nicht so als würde der junge Ritter den Beginn eines Ausbruchs der Gauklerin ernst nehmen. „Tstststs …“, gab er leise von sich, „… du führst eine scharfe Zunge, Doratrava …“, fast schien es, als beließe er es dabei, doch setzte der junge Adelige noch einmal nach, „… nur ein gut gemeinter Rat, weil ja die Freunde meiner Schwester auch meine Freunde sind … wenn dir ein Mitglied der Gemeinschaft des Lichts oder ein Adeliger gegenüber steht, solltest du dein Mundwerk besser im Zaum halten.“ Immer noch lehnte Linnart entspannt auf der Holzbank. „Vor allem wenn es derjenige gut mit dir meint. Und wenn du mich einmal ausreden ließest, anstatt dich sofort aufzublasen, hättest du es auch erkannt. Ich werde meiner Mutter sagen, dass von dir keine Gefahr ausgeht. Du bist zwar ungehobelt und dein Gebaren könnte dich gut und gerne einmal den Kopf kosten, aber bezogen auf Rahjalind sehe ich keine Gefahr in dir.“

Die Worte Linnarts nahmen Doratrava den meisten Wind aus den Segel. Zwar verharrte sie zunächst in ihrer herausfordernden Haltung, auch ihre Gesichtsfarbe behielt die zarte Röte aus Zorn, Angst und Verlegenheit bei, doch das sah im Dunkeln niemand. Aber sie rang nun sichtlich nach Worten, mehrmals klappte ihr Mund auf und zu. Doch schließlich fiel sie in sich zusammen, ihre Schultern sackten nach unten, sie schlang die Arme wieder schützend um den Oberkörper und drehte sich halb zur Seite. Natürlich wusste sie, dass ihr loses Mundwerk, das gerade in emotionalen Situationen meist schneller war als ihre Gedanken, sie irgendwann in ernste Schwierigkeiten bringen würde, wenn sie nicht sehr aufpasste. Andererseits bereute sie keines ihrer Worte, auch wenn das Linnart nicht schmecken sollte. Aber immerhin hatte seine unerwartete Ansprache gewirkt wie ein Eimer Wasser über ihren Kopf, so dass sie ihre hochschießenden Gefühle zähmen und ihre Gedanken ein wenig ordnen konnte.

„Da bin ich ja beruhigt“, entfuhr es Doratrava in sarkastischem Tonfall trotz aller Vorsätze. Ärgerlich über sich selbst presste sie die Lippen zusammen, doch dann verlangte eine weitere Frage nach einer Antwort: „Und wird Eure Mutter sich mit dieser Einschätzung zufrieden geben?“ Ihre Stimme klang jetzt eher bitter denn sarkastisch. Sie wandte sich Linnart wieder zu, um trotz der Dunkelheit soviel wie möglich aus seiner Miene lesen zu können. „Und – hättet Ihr eine Frau, die keine weißen Haare, keine weiße Haut und keine spitzen Ohren hat, auf dieselbe Weise verdächtigt?“

Linnart machte keine Anstalten, sich aus seiner bequemen Position zu erheben. Da Doratrava ihm den Mantel wiedergegeben hatte und vor ihm davonlaufen wollte, bot er ihr diesen auch nicht noch einmal an. „Obacht …“, sie konnte erkennen, dass der Bannstrahler seinen Zeigefinger hob, „… dein Mundwerk … du willst doch einem Diener des Herrn Praios nicht nachsagen, dass er voreingenommen ist, oder?“

Doch, genau das wollte Doratrava, aber sie behielt mühsam die Beherrschung. Sie hatte keine Ahnung, ob Linnart selbst sich von Vorurteilen oder Vorlieben leiten ließ bei der Beurteilung von angeblich in Praios‘ Sinne Schuldigen, dazu kannte sie ihn nicht gut genug. Aber sie wusste ohne jeden Zweifel, dass es solcherart Personen unter den Anhängern des Sonnengottes gab.

Der Ritter wartete keine Antwort ab. „Ob sich meine Mutter damit zufrieden geben wird, hängt auch ein Stück weit von dir ab. Was hast du denn für Pläne? Wirst du länger in Rahjalinds Umfeld verweilen?“

„Ich … bin Gauklerin, ein Blatt im Wind, gehe dorthin, wohin mich der Sturm des Lebens treibt.“ Doratravas Stimme war nun deutlich leiser, als sie diese Worte sprach, nur der Stille der sternklaren Nacht war es zu verdanken, dass Linnart sie überhaupt verstand, ohne sich vorzubeugen.

Oh, wie gerne würde sie noch viel länger ‚in Rahjalinds Umfeld verweilen‘! Wir gerne würde sie Rahjalind einfach mitnehmen! Aber es war nicht möglich, der Sturm des Lebens blies vehement in eine andere Richtung. Noch konnte sie sich seinem Druck entgegenstemmen, doch dieser verstärkte sich immer mehr, im Moment in Form eines Bannstrahlers, der lässig vor ihr auf einer Bank im Rahjagarten saß und für einen unbedarften Beobachter so aussah, als plaudere er ungezwungen über das Wetter. Aber noch wollte Doratrava nicht aufgeben. „Solange Rahjalind meine Nähe schätzt, mag ich noch bei ihr bleiben. Aber Ihr - und Eure Mutter – könnt beruhigt sein. Dabei wird es sich eher um Tage als um Wochen handeln.“ Ihre Stimme drohte zu brechen, sie spürte, wie sich eine Träne auf den Weg zu ihrem Kinn machte. Schnell drehte sie sich wieder zur Seite.

Linnart schüttelte den Kopf. „Ich habe kein Problem mit dir. Von mir aus kannst du auch den Rest deines Lebens hier verbringen. Du solltest mich deshalb nicht mit meiner Mutter in einen Topf werfen, wiewohl es dir ja offensichtlich leicht fällt, voreilige und voreingenommene Schlüsse zu ziehen …“, er musterte sie mit erhobenen Augenbrauen, „… vielleicht hinterfragst du dich in dieser Hinsicht selbst einmal. Dass du genau das, was du der Gemeinschaft des Lichts vorwirfst, selbst lebst.“ Der Ritter winkte ab, dann erhob er sich von der Bank. „Also dann …“, ließ er ein grüßendes Nicken folgen, „… schönen Abend noch, und nimm dir das zu Herzen, was ich dir gesagt habe.“



Kapitel 16: Tempeldienst

Kapitel 18: Hexen