Eine Harte Schule Tanz

Kapitel 14: Tanz

Das nachdenkliche Antlitz der jungen Frau wich einem strahlenden Lächeln. „Sei es drum, was sagst du dazu wenn wir in den Tempelraum gehen und etwas musizieren und tanzen? Das würde mich freuen.“ Kurz dachte Rahjalind an ihre Mutter, die immer noch Gast im Tempel war, doch verdrängte sie diesen Gedanken gleich wieder. Das hier war das Haus der Göttin, hier hatte Adda von Halberg nichts zu melden.

Doratrava hatte auch keine Lust mehr auf tiefsinnige Gedankenspiele, schließlich war das ja der Plan gewesen: zu Rahjalinds Musik zu tanzen. Das mit dem Kleid war eine willkommene Beigabe, die Gauklerin liebte schöne Kleider und hatte auch schon ein paar in ihrem Besitz, aber wenn man viel reiste und kein Zuhause hatte, waren der Menge des persönlichen Besitzes naturgemäß Grenzen gesetzt. Nun waren schöne Kleider meist auch nicht billig, auch das beschränkte deren Vermehrung sozusagen auf „natürliche“ Weise. Doratrava musste ein wenig selbstironisch lächeln bei diesen Gedankenspielen, dann sprang sie leichtfüßig voran. „Ja, komm, lass‘ uns anfangen“, rief sie über die Schulter. Auch ihr kam kurz der Gedanke an Adda, aber wie ihre Freundin beschloss sie, sich davon den Abend nicht weiter vermiesen zu lassen. Schließlich war dies hier der Tempel der Rahja, und dort sollte Freude herrschen, und nicht besorgte Grübelei. Sie freute sich schon und war gespannt, was Rahjalind wohl spielen würde.

Die junge Novizin ging voran und führte ihre Freundin in den Hauptraum des Tempels, wo sich auch die wenigen anderen Gäste eingefunden hatten. Doratrava konnte sehen, dass der Tempel klein und nicht annähernd so gut frequentiert war wie ein Haus der schönen Göttin im Horasreich. Nordmärker waren konservativer, viele fanden den Gedanken, der schönen Göttin außerhalb des ehelichen Schlafzimmers zu opfern, anstößig. Selbst hier, wo Rahja in erster Linie für den Wein und die Kunst verehrt wurde, konnte man das spüren.

Adda hatte es sich indes bequem gemacht und verfolgte die Szenerie interessiert. Sie saß auf einem Polstermöbel, war bloß gekleidet in einen transparenten roten Mantel und schlug ihre Beine übereinander. Beim Eintreten ihrer Tochter begann sie interessiert mit einer honigblonden Haarlocke zu spielen.

Die junge Linnartsteinerin beachtete ihre Mutter jedoch nicht. Sie setzte sich im Schneidersitz vor die Statue der Rahja und begann zu spielen. Es war eine langsame Melodie und schon die ersten Klänge verrieten, dass es sich wohl um eine Ballade handelte. Ihr Spiel begleitete sie mit ihrem eigenen, schönen Gesang.

Halt an den schnaubenden Rappen,
Verblendeter Rittersmann!
Gen
Elenvina fleucht, dich verlockend,
Der luftige Hirsch hinan.

Und vor den mächtigen Türmen,

Vom äußern verfallenen Thor,
Durchschweifte sein Auge die Trümmer,
Worunter das Wild sich verlor,

Da war es so einsam und stille,

Es brannte des Praios´ Mahl so heiß,

Er trocknete tiefaufatmend
Von seiner Stirne den Schweiß.

„Ach, würde des köstlichen Weines
Mir nur ein Trinkhorn voll,

Den hier der verschüttete Keller

Verborgen noch hegen soll!“

Kaum waren die Worte beflügelt
Von seinen Lippen geflohn,
So bog um die Efeumauer

Die sorgende Schaffnerin schon.


Die zarte, die herrliche Jungfrau,
In blendend weißem Gewand,
Den Schlüsselbund im Gürtel,
Das Trinkhorn hoch in der Hand.

Er schlürfte mit gierigem Munde

Den würzig köstlichen Wein,
Er schlürfte verzehrende Flammen
In seinen Busen hinein.

Des Auges klare Tiefe!

Der Locken flüssiges Gold! –

Es falteten seine Hände
Sich flehend um Minnesold.

Sie sah ihn an mitleidig
Und ernst und wunderbar,

Und war so schnell verschwunden,

Wie schnell sie erschienen war.

Er hat seit dieser Stunde,
An der Festung Trümmern gebannt,
Nicht Ruh noch Rast gefunden,

Und keine Hoffnung gekannt.


Er schlich im wachen Traume,
Gespenstig, siech und bleich.
Zu sterben nicht vermögend
Und keinem Lebendigen gleich.

Sie sagen: sie sei ihm noch einmal

Erschienen nach langer Zeit,
Und hab’ ihn geküsst auf die Lippen,
Und so ihn vom Leben befreit.

Doratrava war überrascht, dass sich im Hauptraum ein paar andere Gäste eingefunden hatten, und natürlich war auch Adda anwesend, das war wohl unvermeidlich gewesen. Nach dem ersten Blick auf den undeutbaren Ausdruck im Gesicht von Rahjalinds Mutter versuchte sie diese so gut es ging zu ignorieren. Da fing die Novizin auch schon an zu spielen, und die Lust an Musik und Tanz verdrängte alle anderen Gedanken. Sich des Publikums bewusst, stellte die Gauklerin sich in Positur und begann nach einer Strophe der Einstimmung einen langsamen Reigen durch den Raum zu tanzen, ganz anders als das wenige, was sie auf dem Maskenball der Linnartsteiner aufgeführt hatte. Der Platz war beschränkt, sie musste aufpassen, nicht auf die wenigen Zuschauer zu treten, und die getragene Melodie verlangte Bewegungen, die mehr mit Ausdruck und Gleichgewicht zu tun hatten als mit Kraft und Beweglichkeit.

Obwohl Doratrava die Melodie vorher nicht gekannt hatte, wob sie dennoch in dem aufreizenden Kleid einen anmutigen, farbenfrohen Bogen durch den Tempel, der die Zuschauer in ihren Bann schlug. Zumindest hatte die Gauklerin diesen Eindruck, außer bei Adda, die zwar hintergründig lächelte, sich sonst ihre Gefühle aber nicht anmerken ließ. Als Rahjalind das Stück beendete, hatte Doratrava sich schon wieder so sehr auf die Emotionen eingelassen, die die Musik in ihr auslöste und die sie brauchte, um ihren intuitiven Tanz zu spinnen, dass sie eine einzelne Träne vergoss ob des bittersüßen Themas der Ballade, so vortrefflich vorgetragen von Rahjalind mit Laute und Gesang. Die Gauklerin gab der Freundin einen dankbaren Kuss auf die Wange, dann verbeugte sie sich vor den Zuschauern. Aus den Augenwinkeln warf sie auch Adda einen saphirblau schimmernden Blick zu, als ihre Unsicherheit in der Gegenwart von Rahjalinds Mutter zurückkehrte. Sie hatte die von Alegretta erwähnte Drohung mit den Bannstrahlern nicht vergessen, und wusste noch immer nicht so recht, wie ernst sie diese nehmen sollte.

Kapitel 13: Vergangenheit

Kapitel 15: Akoluthin?