Eine Harte Schule Ratschlaege

Kapitel 30: Ratschläge

„I...ich?“ fragte die Gauklerin völlig perplex zurück, da sie überhaupt nicht erwartet hatte, aktiv in das Gespräch eingebunden zu werden. Statt dessen hatte sie versucht, den Worten ihrer Freundin nachzufühlen und die Wahrheit darin zu erkennen … doch war es ihr nicht gelungen. Auf ihren eigenen Fall bezogen ließen diese Worte keine Saite in ihr erklingen. Vermutlich hieß das einfach, dass sie das Wesen der Göttin einfach nicht verstand und noch viel zu lernen hatte, wenn sie deren Akoluthin werden wollte.

Aber Doratrava hatte jetzt keine Zeit zu grübeln, denn Felina sah sie mit banger Erwartung an. Einen Rat sollte sie geben, ausgerechnet sie, die erst seit ein paar Monden wusste, was wahre Liebe überhaupt bedeutete und in dieser kurzen Zeit schon zweimal von Rausch und Ekstase in Schmerz und Verzweiflung gestürzt worden war. Sie riss sich zusammen, denn die Stimme drohte ihr zu versagen. „Also … weder Travia noch Praios werden dich strafen, denn du hast nichts falsch gemacht … oder wusstest du vorher schon, dass dein Liebhaber gebunden ist?“ brachte die Gauklerin schließlich heraus. Im Hintergrund ihres Kopfes meinte sie schon die aufgebrachte Stimme ihres Ziehvaters hören zu können, der über diesen Fall sicher ganz anders urteilen würde …

Scheu sah Felina zu der exotischen Frau auf. „Ich war etwas beschwipst, nur leicht, also es war ja eine Feier. Und er hatte mir gesagt, dass er gebunden sei, es seiner Frau aber egal sei." Nervös zupfte sie an ihrem Zopf. Sie hatte auch hübsche Wimpern und ein recht weibliches Gesicht mit niedlichen Backen und sinnlichen Lippen. „Ich dachte, dass der Bund so gut wie zerrissen sei zwischen den Beiden, auch, wenn er das nie so gesagt hat. Denkt nicht schlecht von mir, ich, also es war das erste Mal. Die Trampel aus dem Dorf, die sind so grob."

Rahjalind blieb stumm und blickte hinüber zu Doratrava, wollte sie doch auch abschätzen können, ob ihre Freundin ein Talent für ihre eventuell zukünftige Aufgabe als Seelsorgerin hatte. Wenn die Sache zu sehr aus dem Ruder lief, würde sie wieder übernehmen. Was Felina sagte, beruhigte die Novizin etwas. Würde ihr Bruder diese Worte wirklich gebrauchen? Seine Frau war ja erst 4 Monde an seiner Seite … es dann als ´ihr egal´ zu bezeichnen, würde er wohl nicht tun, auch wenn Rahjalind wusste, dass es ihre Schwägerin nicht störte, wenn ihr Bruder ein Techtelmechtel hatte. Linnart war ein sehr ehrlicher Mensch, trotz aller seiner Fehler – er hätte dem Mädchen keine falschen Hoffnungen gemacht.

„Also“, fuhr Doratrava daraufhin fort, erleichtert darüber, dass die Antwort Felinas ihren Worten nicht den Boden unter den Füßen wegzog, „du hast nichts falsch gemacht. Wenn ein Bannstrahler dir sagt, seiner Frau wäre es egal, wenn er sich anderweitig vergnügt, dann muss es so sein, denn ein Bannstrahler darf nicht lügen. Also hast du keinen Fehler vor Praios begangen. Und auch keinen vor Travia, denn du bist nicht gebunden, und für das Gewissen des Bannstrahlers, der seinen eigenen Frieden mit Travia machen muss, bist du nicht verantwortlich.“ Auch das würde ihr Ziehvater sicher ganz anders sehen, aber Doratrava zog eine gewisse heimliche Freude daraus, Herdbrand über Ort und Zeit hinweg auf diese Weise zu widersprechen. „Der einzige Fehler, den du begangen hast, ist es, zu viel zu erwarten.“ Die Gauklerin verstummte nach dieser langen Rede und spürte den dünnen Schweißfilm auf ihrer Stirn, den die Anspannung hervorrief. Sie wollte nun erst einmal wissen, wie Felina reagierte. Was sie zur drohenden Schwangerschaft sagen sollte, wusste sie nämlich nicht.

Felina schaffte es, noch weiter zusammen zu sinken. „Ja, das hat ihn dann wohl verschreckt." Sie seufzte tief. „Wir hatten uns ein paar Mal getroffen, er wusste da einen geeigneten Platz. Und er hat mir ein Kettchen geschenkt." Etwas umständlich kramte sie in ihrem Dekolletee und reichte Doratrava ein Silberkettchen mit einem kleinen Rubin in Herzform. "Er meinte, sein Herz könne er mir nicht schenken, das sei stellvertretend für mich. Als ich ihn um ein Treffen anderswo bat, näher am Kloster, wurde er immer abweisender. Und jetzt sehe ich ihn gar nicht mehr." Sie schniefte kurz. "Ich wollte bei ihm sein, wissen, wie er lebt, was er mag. Linnart heißt er."

Das verschlug Doratrava jetzt erst einmal die Sprache. Hilfesuchend blickte sie Rahjalind an. Im Kloster würden ja wohl keine zwei Bannstrahler mit diesem Namen dienen, und das hieße dann …

Felina hätte nicht einmal seinen Namen nennen müssen. Nachdem sie ihre Kette präsentierte, wusste Rahjalind, dass es sich beim unbekannten Liebhaber um ihren Bruder handelte. Es war seine Art – irgendwann packte ihn immer das schlechte Gewissen und er schenkte seinen Geliebten irgendwelches Geschmeide mit Herzen aus Rubinen. Hatte Linnart schon jemals sein richtiges Herz verschenkt? Kurz dachte sie an die Ritterin Andesine auf der Brautschau, dann vertrieb sie diesen Gedanken mit einem Kopfschütteln. Die Novizin streichelte abermals über den Rücken des Mädchens. Es waren Dinge, die in ihrer Familie immer vorkamen und wohl auch immer vorkommen werden. „Wusstest du eigentlich, dass er nicht nur ein Bannstrahler, sondern auch der Erbe dieser Lande ist? Ein Adeliger und darüber hinaus auch mein Bruder“, fragte Rahjalind dann. Die Beziehung zwischen den beiden hatte schon alleine deshalb niemals eine Zukunft, dennoch schoss der jungen Rahjadienerin ein Gedanke in den Kopf.

Felina schrak auf und erbleichte. Deutlich konnte Rahjalind spüren, wie ihr Körper zitterte. „Nein … nein … Rahjalind, das wusste ich nicht. Ich … wir …“ Sie wurde nervös und unruhig, kurz versuchte sie, aufzustehen, blieb aber bei der Novizin. Sie schien ihr wie ein Fels, an den sie sich klammern konnte. „Es wurde nie so recht darüber gesprochen. Er ist so beredt, selbstlos und lieb, aber irgendwie kamen wir dann immer vom Thema ab. Was soll ich denn jetzt machen? Das ist ja furchtbar!“

„Was … es kam nicht zur Sprache? Was habt ihr beiden denn gemacht als ihr zusammen wart …“, Rahjalind brach ab, blickte kurz zu Doratrava und seufzte, „… nein, ich kann es mir schon denken.“ Sie kannte ihren Bruder, es war eine dumme Frage.

Doratrava machte große Augen, als ihre Freundin Linnarts Identität so ohne weiteres preisgab. Doch andererseits … was hätte sie sagen sollen? Außerdem hätte es Felina über kurz oder lang auch so erfahren, das hier war ja keine große Stadt wie Belhanka, wo man in der Anonymität der Menge untertauchen konnte, schon gar nicht als ‚Erbe dieser Lande‘. „Wenn du wirklich von Linnart vom Traurigen Stein schwanger geworden sein solltest, dann wird er sich dieser Verantwortung stellen“, brach es impulsiv und ohne weiter zu überlegen aus der Gauklerin heraus. Dann schlug sie erschrocken die Hände vor dem Mund und schaute Rahjalind an. Hoffentlich hatte sie nun nicht alles noch schlimmer gemacht.

„Das wird er …“, bestätigte die Novizin ihrer Freundin, „… und wenn ich selbst dafür sorge.“ Es würde Rahjalind sehr wundern, hätte ihr Bruder beim außerehelichen Rahjadienst auf Vorkehrungsmaßnahmen verzichtet. Nein, so gedankenlos konnte nicht einmal Linnart sein – gerade jetzt, wo er doch ein Eheweib hatte, wäre ein Bastard doppelt schlimm gewesen. Die Rahjadienerin versuchte ihren Gedanken von vorhin wieder zu fassen. „Wenn du wegen dieser Sache Angst vor deinem Vater hast, oder sonst irgendwelche Repressalien fürchtest … nun meine Mutter sucht eine neue Zofe. Madabirg hat um ihre Freistellung ersucht, sie möchte heiraten. Da wäre ein Platz frei. Du würdest schöne Kleider tragen, in einem weichen, warmen Bett schlafen, großen Festen beiwohnen und so in die Gesellschaft eingeführt werden. Mutter ist immer gut zu ihrem Personal …“, Rahjalind biss sich kurz auf ihre Unterlippe, „… du müsstest halt damit leben können, Linnart des Öfteren anzutreffen.“ Sie nahm Felina in ihre Arme. „Ich weiß, dass das wahrscheinlich noch zu früh kommt und dass er dir weh getan hat. Die erste große Liebe ist etwas Besonderes – wir tragen sie stets ein Leben lang in unserem Herzen, doch werden bessere Tage kommen. Die Tränen werden trocknen und dein Herz wird wieder mit Freude erfüllt.“ Die Novizin lächelte aufmunternd. „In Zeiten der Trauer scheint dieser Tag immer in ewig entfernter Zukunft zu liegen, doch kommt er manchmal viel schneller als wir das für möglich gehalten hatten.“ Ihr Blick ging hinüber zu Doratrava, sie war eigentlich ein Musterbeispiel dafür. „Wichtig ist, dass wir unsere Herzen nicht vor den Gaben der Göttin verschließen.“

Doratrava war erleichtert, dass ihre vorschnellen Worte von Rahjalind bestätigt wurden. Linnart wurde ihr durch diese Sache nicht gerade sympathischer. Mit Unbehagen erinnerte sie sich an den gestrigen Abend zurück. Linnarts Auftritt hatte sie da tatsächlich als Drohung empfunden, trotz seiner nach außen hin freundlichen Worte. Wie hatte er sich nur so unverfroren als Wächter der Moral aufspielen können, wenn er es doch selbst nicht so genau nahm damit. Gut, er hatte im Auftrag seiner Mutter gesprochen, aber dennoch …

An Felinas Stelle würde sie allerdings Rahjalinds Angebot nicht annehmen. Mal abgesehen von ihren … Problemen mit Adda könnte sie es wohl nicht ertragen, die Ursache ihres Leids immer wieder aufs Neue vor Augen geführt zu bekommen. Allerdings hütete Doratrava sich, diese Ansicht nun offen zu äußern, das würde Felina nicht helfen und wäre auch nicht fair, da ihre Ansichten zu sehr von ihren persönlichen Erlebnissen mit den Traurigsteinern geprägt waren.

So nickte die Gauklerin lediglich zu Rahjalinds Worten, ihrer eigenen Stimme nicht trauend, konnte sie doch nicht umhin, die Worte der Novizin genauso auf sich selbst zu beziehen, wie sie an Felina gerichtet waren. Und erneut den Schmerz zu spüren. Zwei Tage lag die Ekstase zurück. Und einen Tag die Verzweiflung. Rahjalinds Worte klangen schön und würden sich wohl auch mit der Zeit als wahr erweisen, doch es blieben dürre Worte gegen den Sturm der Gefühle. Es fühlte sich für die Gauklerin an, als würde man sich mit einem blattlosen Zweig gegen die Gewalt der Mittagssonne zu beschirmen versuchen.

Felina schwieg lange und wischte sich die Augen trocken. Dann richtete sie sich im Sitzen wieder mehr auf. Und holte tief Luft. „Also, das klingt nach einer guten Möglichkeit.“ Vielleicht würde er sie doch noch ab und zu besuchen, wenn sie schon vor Ort war. Und sie würde endlich ausziehen können. „Meine Eltern wären froh, da ich dann eine angesehene Stelle hätte. Vielleicht würde er mit mir sprechen, also mir sein Verhalten erklären und nicht einfach so verschwinden.“

Oder auch nicht, dachte Doratrava stumm bei sich.

Felina biss sich in Gedanken auf die Unterlippe und zupfte an ihren Fingernägeln. „Ob ich ein Kind bekomme, das werden wir in ein paar Wochen wissen. Hoffentlich nicht. Rahjalind, äh, redest du mit deinen Eltern wegen der Stelle?“

Sie nickte Felina zu. „Aber erst wenn meine Mutter ihr Einverständnis gegeben hat …“, die Novizin hob beschwichtigend ihre Hand, „… eine Formalität, sie wird mir diesen Wunsch nicht abschlagen können.“ Rahjalind warf ihre Stirn in Falten. „Nur von Linnart darfst du dir nichts erwarten. Du lebst dann faktisch am selben Anwesen wie er und seine Frau, aber wenn du willst, reden wir …“, sie sah hinüber zu Doratrava, „… mit ihm in deinem Namen.“ Innerlich betete sie zu Rahja, Travia und Tsa, dass die junge Frau kein Kind ihres Bruders unter ihrem Herzen trug.

Doratrava zuckte zusammen. Was? Mit Linnart reden? Sie? Sie musste schlucken, klammerte sich dann aber an den Gedanken, dass sie ja nicht allein wäre, Rahjalind käme ja mit. Trotzdem … das konnte ja heiter werden. Langsam beschlich sie der Verdacht, dass Alegretta vielleicht mehr über die Angelegenheit gewusst als sie zugegeben hatte, um sie gleich einer besonders harten Prüfung zu unterziehen. Aber dann schüttelte sie innerlich den Kopf. Alegretta wusste doch gar nichts von Linnarts Besuch gestern Abend und dem Grund dafür. Oder etwa doch? Hatte Rahjalind ihr etwas erzählt? Sie warf ihrer Freundin unwillkürlich einen forschenden Seitenblick zu.

„Danke, Rahjalind und … äh … Doratrava.“ Erstmals lächelte sie etwas. „Ich komme besser nicht mit, ich fühle mich da zu unsicher, aber sagt ihr mir, wann und ob ich vorsprechen darf?“

„Bei Mutter?“, fragte die Novizin nach und sah, dass Felina ihr zunickte. „Ich lasse nach dir schicken, ist das in Ordnung?“ Rahjalind umarmte die junge Frau noch einmal und küsste ihre Wange. „Und was meinen Bruder angeht … Dora und ich werden mit ihm reden, so er heute überhaupt aus dem Kloster zur Villa kommt. Erwarte dir jedoch nichts. Du weißt selbst, dass er dir nichts versprechen kann. Er ist verheiratet und von Stand. Auch wenn es seine Frau nicht stören mag, wenn du bei ihm liegst – offen zu dir bekennen wird er sich nicht … kann er sich nicht.“ Das Lächeln auf den Lippen der jungen Rahjadienerin passte nicht so recht zu ihren Worten. „Umso wichtiger ist es, dass du den Blick nach vorne richtest. So schwer es jetzt gerade auch sein mag. Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.“ Rahjalind erhob sich. „Du hörst von mir, und wenn du willst, spreche ich nach dem Einverständnis meiner Mutter auch mit deinem Vater.“

Ob das wohl gut ging? Doratrava war nicht überzeugt, aber ihr fiel auf die Schnelle auch nichts besseres ein. Au0erdem kannte sie die Frau ja gar nicht, hatte sie gerade zum ersten Mal gesehen und gesprochen, wie sollte sie da wissen, wie sie ihr am besten helfen konnte? So stand sie also ebenfalls auf, allerdings wortlos und ohne Felina zu umarmen. Körperliche Berührungen von Fremden mochte sie nicht, daran hatte sich auch nach einer Nacht im Rahjatempel nichts geändert. Sie beließ es beim einem Kopfnicken und folgte Rahjalind nach draußen.



Kapitel 29: Felina

Kapitel 31: Überlegungen