Eine Harte Schule Felina

Kapitel 29: Felina

Vor dem Tempel setzte sich die junge Rahjadienerin auf eine steinerne Bank und wartete dort auf ihre Freundin. Es tat ihr gut, einmal ein paar Momente allein zu sein. Ihr Blick fiel auf einen kleinen Spatzen, der vor ihr auf dem Boden herumhüpfte und nach einem Krumen Brot schnappte. Ach was gäbe sie dafür, frei zu sein wie dieses Tier.

Es dauerte eine Weile, bis Doratrava mit allem fertig war und in ihrer Straßenkleidung vor den Tempel trat. Sie winkte Rahjalind lächelnd zu. „Wir können“, rief sie fröhlich, als wäre dies ein Tag wie jeder andere.

Und riss ihre Freundin damit aus deren Gedanken. Rahjalind stand auf, begutachtete das Äußere der Gauklerin und lächelte ihr dann zufrieden zu. „Na dann lass uns gehen“, meinte sie in nun auch wieder etwas fröhlicherem Ton. Die junge Frau nahm Doratrava bei der Hand und führte sie zum Haus von Felinas Eltern.

Das Dorf Linnartstein war nicht besonders groß und der Tempel lag zentral, sodass der Weg kein wirklich langer war. „Die junge Felina wird wohl Liebeskummer haben.“ Rahjalind hatte von Alegretta zwar etwas anderes gehört, aber sie kannte Felina und wusste, dass sie bei den Gründen, mit denen sie sich an den Tempel wandte, oft einmal flunkerte. Wäre sie tatsächlich versprochen gewesen, hätte die Rahjadienerin davon gehört. Wahrscheinlich brauchte die junge Frau einfach nur eine Freundin zum Reden.

Bei einem schmucken Fachwerkhäuschen endete Rahjalinds und Doratravas Weg durch das schmucke Dorf. Die Novizin klopfte gegen die Haustür und wartete auf eine Reaktion. „Ihre Eltern sind Fassbinder und ihr Vater sehr streng“, flüsterte die Novizin ihrer Freundin erklärend zu.

Doratrava nickte zu der Erklärung, schwieg aber erst einmal abwartend.

Auf ihr Klopfen öffnete eine junge Frau von vielleicht achtzehn Götterläufen. Sie war mittelgroß und hatte hübsches, schwarzes Haar, das sie zu einem braven Zopf geflochten hatte. Insgesamt war sie von sehr weiblicher, üppigerer Statur und hatte große Brüste und ein breiteres, rundliches Becken, doch war das Mädchen alles andere als unattraktiv. Wie in den Dörfern üblich war sie sittsam gekleidet. Felina warf einen ängstlichen Blick über die Schulter zurück ins Haus. "Alles in Ordnung, Vater. Das ist der Besuch, von dem ich dir erzählt habe." Hastig schob sie die beiden Frauen in das Haus und dirigierte sie zielsicher und geschwind in eine kleine Kammer. Mehrere Betten standen darin, anscheinend war es das Schlafzimmer der Kinder des Hauses. "Gut, dass Ihr das seid, Euer Gnaden, ich bin so verzweifelt, was soll ich nur tun?" Ihre hellbraunen Augen schwammen in Tränen, als sie zwischen Doratrava und Rahjalind hin und her blickte.

„Ach Süße …“, Rahjalind nahm die hübsche junge Frau tröstend in ihre Arme, „… beruhige dich einmal. Nimm dir dafür soviel Zeit wie du brauchst. Doratrava und ich sind da, wir gehen nicht weg.“ Immer noch hielt die Novizin Felina in ihrem Arm, während sie beruhigend über ihren Rücken streichelte. „Wenn du dann soweit bist setzen wir uns und dann erzählst du uns was los ist, in Ordnung?“

Doratrava fand die Titulierung der jungen Frau als „Süße“ ein wenig irritierend. Warum nannte Rahjalind sie nicht einfach beim Namen? „Süße“ nannten sie irgendwelche Besoffenen in heruntergekommenen Kaschemmen, wenn sie gezwungen war, dort aufzutreten, und es sie nach der künstlerischen Vorführung noch nach etwas anderem gelüstete, so dass dieser Begriff für sie keinen sonderlich vertrauenerweckenden Beiklang hatte.

Außerdem kam es ihr seltsam vor, dass Felina gar nicht weiter auf ihre Anwesenheit reagierte. Immerhin sah sie nicht gerade gewöhnlich aus, auch wenn sie ihre Straßenkleidung, also Hemd, Hose und Stiefel trug, und war völlig fremd für die Frau. Sie wollte gar nicht wissen, welche Farben ihre Augen im Moment hatten. Aber wahrscheinlich vertraute Felina Rahjalind blind und nahm ihre Anwesenheit sozusagen als rahjagegeben hin. Wie auch immer, sie beschränkte sich aufs Zuhören, immerhin sollte sie hier ja etwas lernen.

Nach einer Weile hatte sich Felina beruhigt und alle drei Frauen saßen auf den Betten verteilt. Das Mädchen warf Doratrava einen scheuen Blick zu. „Seid Ihr auch vom Tempel? Also Rahjani, oder zu Besuch?"

Rahjalind hob beschwichtigend ihre Hand. „Dora hilft mir heute ein bisschen.“ Sie wollte nicht, dass Felina unsicher wurde weil sie eine kirchenfremde Person mit sich hatte.

„Rahjalind ist meine Freundin“, antwortete Doratrava trotzdem, „und sie sagt, dass ich Rahja nahe stehe.“ Sie lächelte beruhigend, wie sie hoffte.

„Rahjalind, es ist etwas ganz Schlimmes passiert, wenn das mein Vater erfährt, wirft er mich raus ... oder ..." Erst nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatte, konnte sie weitersprechen. „Ich bin bei einem Mann gelegen, ich habe mich verliebt und ich vermisse ihn. Er war so höflich und nett und jetzt ..." Traurig ließ sie die Schultern sinken. „Er kommt nicht mehr. Und ich kann ihn nicht treffen. Bei den Göttern, wenn ich ein Kind erwarte! Das wäre ein Leben in Schande für uns beide, eher soll uns Golgari holen."

Die Novizin nickte mit ernstem Gesichtsausdruck. „Die Liebe ist ein starkes Gefühl, und wenn sie nicht erwidert wird, dann tut sie uns fürchterlich weh, doch ist Rahja keine grausame Göttin.“ Rahjalind schritt hinüber zu Felina, setzte sich an ihre Seite und legte ihr beruhigend ihre Hand auf. „Warum kannst du deinen Geliebten nicht mehr sehen? Ist er fort? Oder hat er dich von sich weg gestoßen?“

Doratrava hörte zu und schwieg. Die Worte Rahjalinds drohten, ihre eigenen Wunden wieder aufzureißen, tatsächlich musste sie einen Anflug von Tränen fast gewaltsam zurückdrängen. Diesen Widerspruch, wie Rahja es zulassen konnte, dass man sich verliebte, dass dann aber diese Liebe nicht erwidert wurde, den konnte die Gauklerin beim besten Willen nicht verstehen, und so war sie gespannt, wie Rahjalind nun Felina vermitteln würde, dass Rahja nicht grausam war.

Sie hatte Vertrauen gefasst, sah Rahjalind nicht direkt an, als sie knapp erzählte. „Er ist schon gebunden." Kurz schwieg sie, als erwarte sie eine traviagerechte Standpauke. „Und er ist was Besseres als ich. Ich … wir … das war auf einem Fest, er meinte, meine Haare wären so hübsch und …" Felina brach an dieser Stelle ab. "Er wohnt da oben, bei den Praioten. Bei den Göttern! Nicht nur Travia, auch Praios wird mich strafen!"

Aber war dort oben nicht nur das Kloster? Doratrava wusste es nicht sicher, aber wenn dem so war, dann gehörte Felinas Kurzzeit-Liebhaber womöglich zu den dort lebenden Bannstrahlern. Bei dem Gedanken lief es ihr kalt den Rücken herunter. Sie musste an ihre Begegnung mit Rahjalinds Bruder vom gestrigen Abend denken, dann wurde ihr schon ganz schlecht, auch wenn das mit Felinas Fall nichts zu tun hatte … oder?

Die Novizin zwang sich dazu ruhig und gleichmütig zu bleiben. „Einer der Bannstrahler?“, fragte sie, während in ihrer die Gedanken begannen zu rotieren. Konnte es … Rahjalind schüttelte ihren Kopf um den eben gefassten Gedanken zu vertreiben. Aber allzu viele gebundene Bannstrahler, die sich auf Festen herumtrieben und … weibliches Haupthaar … mochten, gab es wohl nicht. Sie atmete tief durch. „Rahjas Ruf macht auch vor gebundenen Menschen nicht halt. Auch wenn die Herrin immer ein lohnendes Ziel für gekränkte Seelen darstellt, ist es nicht Rahjas Wesen, einem jeden Menschen jemanden zuzuweisen, der unsere Liebe erwidert. Rahja ist die Liebe … sie schenkt uns das Gefühl und die Fähigkeit dazu zu lieben, doch der Impuls, für wen unser Herz entbrennt …“, die Rahjadienerin legte ihre Hand auf Felinas Brust über ihrem Herzen, „… kommt aus uns selbst. Und dennoch darfst du eines nie vergessen … Rahja liebt dich, egal wie aussichtslos und traurig das hier und jetzt auch scheinen mag. Es kommen Tage, da wirst du wieder lachen und fröhlich sein.“ Rahjalind wandte sich zu Doratrava um. „Dora, was würdest du ihr raten?“



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