Eine Harte Schule Linnart

Kapitel 32: Linnart

Rahjalind und Doratrava waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie die junge Frau, welche aus dem Schatten des Eingangs trat, erst jetzt bemerkten. Sie war etwa Anfang 20, eher unauffällig, mittelgroß und schlank. Sicher hatte sie ihre wuscheligen, widerspenstigen blonden, gelockten Haare gekämmt, dennoch wirkte sie etwas zerzaust. „Ah, Rahjalind … und die Dame neben dir ist sicher Doratrava?“ Sie wirkte erstaunlich wenig beeindruckt vom äußeren Erscheinungsbild der Gauklerin, hatte sie doch lange Zeit bei einem Elfen gedient. „Ich bin Meta, die Knappin des Herrn Thymon.“ Hinter ihr schleppte eine dicke braune Katze gemächlich eine Maus durch das Zimmer und suchte sich wohl einen Platz, um diese zu zerlegen. "Das ist Miez, sie ist friedlich. Ihr meintet, ich sollte Euch sagen, wann Euer Herr Bruder pässlich ist, er wird Euch gleich seine Aufwartung machen." Kurz fiel Doratrava etwas Listiges in Metas Blick auf, als würde sie irgendetwas abschätzen wollen.

Die Novizin lächelte Meta freundlich zu und nickte. „Ich danke dir, Meta. Wenn du willst kannst du dich zu uns setzen und etwas essen.“ Sie wandte sich Doratrava zu. „Das hier ist Meta Croÿ. Sie ist die ehemalige Knappin des Barons von Cres …“, erklärte Rahjalind, „… und war gewissermaßen Teil einer vorehelichen Vereinbarung zum Traviabund zwischen Onkel Rahjaman und seiner Frau Verema. Sie ist erst kurz hier bei uns und wird die letzten Züge ihrer Knappschaft in Linnartstein ableisten.“

Auch Doratrava nickte der verwuschelten jungen Frau freundlich zu. „Hallo Meta, ja, ich bin Doratrava.“ Kurz wunderte sich, was denn über sie schon alles für Gerüchte im Umlauf waren hier in der Gegend. Sie hatte sich ja nicht gerade um Unauffälligkeit bemüht, warum auch. Rahjalinds Erklärung zu Metas Hintergrund nahm sie zur Kenntnis, doch da ihr all die Namen nichts sagten, würde sie das vermutlich gleich wieder vergessen. Dafür betrachtete sie interessiert die Katze, waren diese Tiere doch eigentlich nicht dafür bekannt, ihren Besitzern oder denen, die sich dafür hielten, wie ein Hündchen hinterherzulaufen.

***

Linnart hatte sich eilig fertig gemacht und fuhr sich mit seiner Rechten durch den immer noch leicht feuchten Haarschopf. Er hatte sich sehr darüber gefreut, dass Rahjalind mit ihm sprechen wollte, doch wollte er ihr nicht in Rüstung und verschwitzt gegenübertreten. Der Ritter war frisch gewaschen und hatte das Kettenzeug gegen ein körperbetont geschnittenes weißes Hemd, schwarze Hosen und leichte Stiefel getauscht. Einzig seinen Schwertgürtel mit goldenen Verzierungen in Form von Greifen und Sonnensymbolen, sowie sein Langschwert und das Sonnenamulett wiesen ihn noch als Krieger des Herrn Alverans aus.

***

Nicht lange nachdem Meta bei den beiden jungen Frauen angekommen war, öffnete sich die Tür in den Salon ein weiteres mal. Linnart ließ erst die räudige Katze Miez hinaus, dann trat er mit selbstbewusstem Schritt ein. „Schwester …“, begrüßte der Bannstrahler Rahjalind und breitete seine muskulösen Arme aus, „… komm her.“ Die Novizin ließ sich nicht zweimal bitten, stürzte zu ihm, küsste die Wange und umarmte ihren großen Bruder. Erst als die Geschwister sich voneinander lösten, schenkte der Mann auch der Gauklerin seine Aufmerksamkeit. „Und Doratrava …“, er lächelte etwas reservierter, aber immer noch freundlich, „… wer hätte gedacht, dass wir beide uns so bald wiedersehen?“

Doratrava nickte Linnart nicht weniger reserviert zu. Ein „In der Tat!“ konnte sie sich nicht verkneifen, wenn sie auch versuchte, ihren eigentlichen Gedanken, welche sich ungebeten um den vorigen Abend drehten, mit einem Lächeln zu kaschieren versuchte.

Linnart setzte sich an den Tisch. „Meta hat mir erzählt, du möchtest mit mir sprechen?“

Die Angesprochene nickte und blickte dann kurz zu ihrer Freundin. „Wir … haben heute Felina besucht. Die Tochter des Fassbinders.“

Kurz schien es, als würde Linnarts Lächeln ersterben, als der Name der jungen Frau genannt wurde, doch hielt er es in einem wahren Kraftakt irgendwie aufrecht. „Oh … schön. Wie geht es ihr? Habe ja schon einige Zeit nichts mehr von ihr gehört.“

Rahjalind rollte mit ihren Augen. „Ja, das haben wir gehört. Dora?“, übergab sie dann das Wort an die Gauklerin.

Mit Mühe unterdrückte die Gauklerin ein Zusammenzucken, als sie so unerwartet von Rahjalind nach vorne geschoben wurde. Gerade hatte sie noch überlegt, dass Linnart ohne Rüstung und Ornat vom Aussehen her wohl wirklich der Traum einer Jungfrau sein konnte. Umso schlimmer, wenn er dies so schamlos ausnutzte, und das als Diener des Gottes von Recht und Ordnung. Oder tat sie ihm unrecht? Tatsächlich hatte sie bisher ja nur Felinas Version der Geschichte gehört.

Doratrava blickte Linnart in die Augen. Ihre eigenen hatten ohne ihr Wissen die Farbe eines tiefen, lichtlosen Brunnens angenommen, der einen Sog auszuüben schien. Sie holte tief Luft, dann begann sie: „Felina … hat uns erzählt, was zwischen euch vorgefallen ist, und uns gebeten, mit Euch zu sprechen. Aber dazu wäre es hilfreich, wenn Ihr aus Eurer Sicht darstellen könntet, wie Euer … Verhältnis begann … und wie es endete.“ Sie bemühte sich um einen neutralen Tonfall und warf Meta einen Blick zu, die ja immer noch mit am Tisch saß. War das etwas, was man vor der Knappin besprechen konnte? Nun, das war nicht ihr Problem. Aufmerksam sah sie Linnart an, mit diesen beunruhigend schwarzen Augen in ihrem von weißen Strähnen umrahmten weißen Gesicht. Das Lächeln war aus ihren Zügen gewichen, fast konnte man den Eindruck haben, mit einer Statue zu sprechen.



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Kapitel 33: Absicht