Eine Harte Schule Absicht

Kapitel 33: Absicht

Linnart blickte der Freundin seiner Schwester in die Augen. Während die meisten seiner Brüder und Schwestern bei deren Anblick die Eisen geholt und sie in Gewahrsam genommen hätten, musterte der Ritter sie bloß interessiert. Freunde ihrer Schwester würde er nicht anrühren, es sei denn er musste. Rahjalind hatte eine gute Menschenkenntnis und er verließ sich darauf. „Unser Ver … was?“ fragte er verwundert, und kurz blickte der Bannstrahler hinüber zu Rahjalind, die ihm jedoch nur bestätigend zunickte. „Wir sind ein paar Mal beisammen gelegen …“, meinte er dann offen, „… haben uns bei einem Umzug unten im Dorf kennen gelernt. Ein sehr liebes Mädchen. Ich hoffe es geht ihr gut.“

Seine Schwester schüttelte daraufhin den Kopf, was auf Linnarts Antlitz einen betretenen Ausdruck hervorrief. „Oh …“, meinte er, „… das ist bedauerlich und war nicht meine Absicht.“

Doratrava wurde schon wieder ärgerlich über die nonchalante Art, mit der Linnart über die Sache hinwegging. „Was war denn Eure Absicht? Habt Ihr Felina irgend etwas versprochen?“ wollte sie wissen. „Und warum trefft ihr euch dann jetzt nicht mehr? Ist aus Eurer Sicht etwas vorgefallen?“ Auch wenn sich die Gauklerin nach außen hin kühl gab, brannte sie innerlich. Wenn sie Linnart ansah, musste sie an Adda und ihre Drohungen denken, was ihren eigenen Schmerz wieder an die Oberfläche zu spülen drohte und ihre Bemühungen, sich einzureden, sie wäre darüber hinweg, zunichte machte.. Unwillkürlich biss sie die Zähne aufeinander, dass ihre Backenmuskeln hervortraten.

Linnart wirkt irritiert ob der respektlosen Zunge, die diese Person ihm gegenüber führte. Er wandte sich Rahjalind zu. Seine Lippen zierte ein amüsiertes Lächeln. „Soll das ein Verhör werden?“

Die Novizin schüttelte leicht den Kopf. „Beantworte ihre Frage“, meinte sie dann.

Der Bannstrahler schnaubte, dann fixierte er wieder Doratrava. „Ich habe Felina nie etwas versprochen. Ich habe sie auch nie belogen, so etwas liegt mir als Diener des Gleißenden fern zu tun. Es ist das passiert, was so oft passiert, wenn Rahja die Herzen der Menschen erfüllt. Ich war ihr stets ein selbstloser Liebhaber …“

„… Linnart!“, ermahnte ihn Rahjalind. „So genau wollen wir es nicht wissen.“

Verwirrt sah Doratrava zu ihrer Freundin hinüber. Sie war der Meinung gewesen, dass sie es eben doch so genau wie möglich wissen wollten, um ein vollständiges Bild der Situation zu bekommen. Wie sonst sollte man zu einem vernünftigen Ratsschluss kommen?

„Ist ja gut …“, der Ritter zuckte mit seinen Schultern, „… ich wollte damit sagen, dass es ein Geben und Nehmen war, wie es der Göttin gefällt und ich mich sicher nicht an ihr … bedient habe.“ Er atmete tief durch. „Dass Felina nun leidet, tut mir leid. Es war nicht meine Absicht. Ich liebe meine Frau, Felina wusste sogar von ihr und hat sich trotzdem darauf eingelassen.“ Linnart wandte sich seiner Schwester zu und hob eine Augenbraue. „Aber so Dinge kann dir Rahjalind bestimmt besser erklären. Sie schafft es ja auch, ihre Verlobung mit dem Dienst an der Herrin Rahja in Einklang zu bringen.“

Natürlich hatte Linnart nur die Hälfte ihrer Fragen beantwortet, was hätte sie auch anderes erwarten sollen. So richtig wohl fühlte sie sich in ihrer Rolle als Inquisitorin auch nicht, auch wenn sie gefühlsmäßig nicht guthieß, was der Bannstrahler getan hatte und wie er damit umging. Wie konnte man die eine lieben und doch bei einer anderen liegen? Aber vermutlich hatte sie einfach nicht genug Erfahrung in diesen Dingen, um das richtig beurteilen zu können. Wenn sie sich bisher verliebt hatte, dann war das immer … absolut gewesen. Alles oder nichts. Die eine und keine sonst. Aber dann war da noch … nein, genug dieser Gedanken.

Als Rahjalinds Bruder die Sache mit der Verlobung erwähnte, zuckte Doratrava heftig zusammen. Verlobung … da war ja etwas. Ganz dunkel konnte die Gauklerin sich an die Altenberger Brautschau erinnern … das Bankett … der Mann neben Rahjalind, nach dem sie gefragt hatte, auf den die Novizin aber nicht eingegangen war. Sie hatte das bisher erst vergessen, dann vermutlich unterbewusst verdrängt. Aber auch ihre Freundin hatte diese Verlobung mit keinem Wort erwähnt, seit Doratrava in Linnartstein weilte. Schmerz zuckte über ihr Gesicht, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube erhalten. Für den Moment war sie zu keiner Erwiderung fähig, starrte Linnart nur sprachlos an.

Der Blick des Mannes ging einen Moment zwischen den beiden Frauen hin und her. Auf der einen Seite das leidende, geschockte Antlitz der Gauklerin und auf der anderen Seite die vor Schreck geweiteten Augen seiner Schwester. Er verstand. „Ah … du wusstest noch gar nicht, dass sie verlobt ist und nach ihrer Weihe heiraten wird?“ Linnart schob seine Augenbrauen zusammen und beäugte Rahjalind einige Moment lang mit strengem Blick. „Und trotzdem sitzt du hier vor mir und richtest über mich, Schwester?“ Er seufzte. „Ich habe Felina nichts versprochen. Wir hatten eine schöne Zeit und ich habe ihr viel gegeben. Zuneigung, Aufmerksamkeit und die Nähe zur Göttin. Als sie dann tiefer in mein Leben vordringen wollte, musste ich die Sache beenden. Zu unser beider Schutz. Es wäre nur schwieriger und schwieriger geworden. Aber ich bin mir sicher, Rahjalind kennt so etwas.“ Der Ritter sah Doratrava in ihre Augen. „Sie hat dich doch auch zurückgewiesen, als du ihr gesagt hast, was du empfindest – habe ich nicht recht?“ Es war manchmal erschreckend, wie gut Linnart in anderen Menschen lesen konnte.

Wobei Doratrava es ihm nicht schwer machte, war sie doch noch nie gut darin gewesen, ihre Gefühle vor anderen zu verbergen. „Ich …“, rang sie verzweifelt nach Worten, solcherart brutal mit dem geballten Leid der vergangenen zwei Tage konfrontiert, ihre mühsam aufgebaute Fassade des Selbstbetrugs hinweggewischt im Handstreich, Felina vergessen. Die Tränen schossen ihr in die Augen, Zorn auf den Bannstrahler wallte in ihr auf, ohne bewusstes Zutun sprang sie auf, der Stuhl polterte nach hinten, ihr Körper spannte sich zum Sprung – doch da verließ sie alle Energie. Ihre Arme fielen nach unten. „… Ja“, hörte der Bannstrahler sie flüstern, als sie den Kopf senkte und die Augen schloss, was den Fluss der Tränen aber nicht stoppen konnte. Mit hängenden Schultern stand sie da und fühlte sich wie der einsamste Mensch auf der Welt.

Still und unauffällig stand Meta in der Ecke und beobachtete gespannt das Szenarium. Sie kannte Felina, die etwas jünger war als sie. Skeptisch runzelte sie die Stirn und stellte sich den Herrn Linnart anders vor. Unbekleidet. Er war immer gut und gerecht zu ihr gewesen, als Objekt der Begierde hatte sie ihn noch nicht betrachtet. Sie würde bei ihrem nächsten Besuch im Dorf nach Felina schauen.

Der Bannstrahler beobachtete den Gefühlsausbruch mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Hm … ja, das tut mir leid“, meinte er dann mit ernstem Gesichtsausdruck. Linnart war kein Unmensch, er würde Doratrava nicht unnötig quälen wollen. Ja, ein kleiner Teil in ihm fühlte sogar Mitleid. „Wenn ihr beiden möchtet, werde ich mit Felina darüber reden. Das hat sie verdient.“

Rahjalind, der nun auch schon eine Träne über die Wange lief, nickte wortlos.

„Gut …“, bestätigte der Ritter dann, „… dann lass‘ ich euch beide nun vielleicht alleine.“ Er erhob sich vom Tisch und blickte fragend hinüber zu Meta. „Kommst du mit mir, Meta?“

Die Knappin fasste Linnart kurz vor der Türe sachte am Arm. "Jetzt wird es doch erst richtig spannend." Sie wisperte, obwohl die zwei Frauen sicher mit sich selbst beschäftigt waren. "Felina? Die ist doch... " Meta beschrieb mit den Händen eine deutlich breitere Hüfte, als sie hatte.

Etwas irritiert zwang sich der Bannstrahler zu einem Lächeln. „Ähm … ja, genau die.“ Dann zog er fragend seine Augenbrauen hoch. Wollte ihn Meta jetzt ausfragen? Sie war ja eine Frau, die ihm in ihrer kurzen Zeit hier am Gut noch nie interessierte Blicke zugeworfen hatte. Linnart war deshalb der festen Überzeugung gewesen, dass sie der elfischen Liebe zugetan war.

Meta errötete leicht. "Aber die ist doch jünger als ich und ..." Sie verstummte und wurde bleich. Wo war die Zeit geblieben? Der Herr Linnart war nur einen Götterlauf älter als sie und seine Frau, die Meta bisher wenig interessiert hatte, die war …" Ich bin so alt wie Eure Frau." Tonlos war nun ihre Stimme und sie zog Linnart aus dem Zimmer.

Der Ritter ließ sich mit verwundertem Gesichtsausdruck mitziehen. Als Meta zum Stehen kam, drehte er sie zu sich. „Du bist doch nicht alt, Meta …“, er lächelte freundlich, „… bald wirst du eine Ritterin sein.“ Eigentlich sollte sie das schon, dachte er, denn die Almadanerin hatte die heiligen 12 Jahre der Ausbildung schon hinter sich. Linnart wusste nicht, was der Grund für ihren verwehrten Ritterschlag war. „Und bis dahin sind wir alle hier froh, dass du bei uns bist. Du bereicherst unser Haus.“

„Danke, Ihr seid ein guter Herr. Nicht so, wie manche behaupten.“ Sie wies mit dem Kinn zur Tür. Noch immer in Gedanken strich sie sich ihre Haare aus einer Gesichtshälfte. Hätte sie sich in dem Moment gesehen, mit anderen Augen, dann hätte Meta eine junge Frau gesehen, ungeschminkt und nachlässig frisiert, aber nicht mehr das Mädchen, das sie in Cres gewesen war. „Ich weiß nicht, das ist seltsam. Felina ist jünger, aber anders. Männer sehen mich nicht so. Und manchmal verstehe ich sie nicht.“

Das Lächeln des Bannstrahlers wurde wärmer. „Würdest du denn wollen, dass dich die Männer so … sehen?“ Er wartete keine Antwort ab. „Oder Frauen? Wie hat dir denn die Feier vor zwei Tagen gefallen?“ Er selbst war nicht anwesend gewesen, die Feierlichkeiten zum St. Gilbornstag ließen es, wie jedes Jahr, nicht zu.

„Frauen? Nein, ganz sicher nicht." Meta schüttelte energisch den Kopf. Das Fest hatte sie nur zum Teil als Fest betrachtet. Sie war bei der ausgelassenen Stimmung etwas von ihrem Kleinzeug losgeworden und hatte etwas verdient. Dann hatte sie dem Tanz zugesehen und etwas Wein getrunken. „Die Feier war sehr interessant und beeindruckend.“ Sie lachte herzlich und strich auch die anderen Haare nach hinten. „In Cres hatten wir nur ab und zu einen bunten Abend, da wurden Gedichte vorgelesen, Laute gespielt und so. Jeder musste sich etwas ausdenken. Ich finde Männer auf jeden Fall anziehender als Frauen. Aber … - nun ja, also. Ich weiß nicht, wie man es macht und ich hab noch keinen getroffen, der mich als Frau sehen würde. Also, der Trampel vom Metzger im Dorf, der zählt nicht, das ist ein Idiot."

Der Ritter zog seine Augenbrauen hoch. „Ein jeder Mann, der dich nicht als Frau wahrnimmt, ist ein Blindfisch.“ Er lachte charmant auf. Ja, Meta war etwas dürr und burschikos, doch bestimmt nicht hässlich. Wenn sie nicht die Knappin seines Vaters wäre und er nicht verheiratet, Linnart würde ihr zeigen, wie schön es sein konnte, bei einem erfahrenen und selbstlosen Liebhaber zu liegen. Aber so … nein, das wäre wenig schicklich. „Wenn du Fragen hast oder Hilfe brauchst, bin ich gerne für dich da, Meta. Also bei Problemen und Unklarheiten theoretischer Natur. Für die Praxis musst du dir einen anderen Mann suchen. Vielleicht schaust du mal in den Rahjatempel ins Dorf?“

„Also wirklich, Herr und Meister. Für die Felina reicht es, für mich natürlich nicht. Ich soll in den Tempel, zu …“ Sie verdrehte die Augen. „Der Hellhäutigen, die wird mir schon helfen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Mit theoretischen Fragen komme ich schon noch, aber für die Praxis werde ich mich anderweitig umsehen.“ Ja, die Fragen, die sie hatte, musste sie erstmal finden, das war das Problem.

Linnart lachte amüsiert auf. „Für Felina reicht es?“, wiederholte er. „Soll das etwa ein Angebot sein? Wenn du neugierig bist, dann komme einfach einmal in meine Gemächer. Du brauchst keine Angst davor haben, dir passiert nichts.“ Ob er dies wirklich ernst meinte, immerhin waren seine Gemächer ja auch die seiner Ehefrau, ging daraus nicht hervor.

Sie hob interessiert die Augenbrauen und biss sich auf die Unterlippe. „Ja, ich bin neugierig. Lasst mich doch noch etwas recherchieren, dann komme ich bei Euch vorbei. Passt es morgen Abend?“ Erwartungsvoll und seltsam aufgeregt sah sie ihn an.

„Wenn du das möchtest, dann gerne …“, Linnart lächelte skeptisch. Er hatte keine Ahnung, wohin das führen würde.



Kapitel 32: Linnart

Kapitel 34: Scherben