Eine Harte Schule Geruechte

Kapitel 27: Gerüchte

Die Novizin verzog kurz ihren Mundwinkel, dann klopfte es an der Tür in ihre Schlafkammer, was die mehr oder weniger liebevolle Diskussion der beiden Freundinnen jäh unterbrach. Auf der Treppe vor dem Zimmer stand Alegretta und Rahjalind fühlte ihre Präsenz sofort.

„Rahjalind. Tut mir leid, Dora …“, ihr Blick fiel ins Zimmer, „… sie darf sich noch etwas länger entscheiden und dann wirst du schon Zeit für sie finden. Heute brauche ich dich bei mir. Man hat mir etwas zugetragen. Das Dererund ist ein kleiner Ort und da du unter meiner Ausbildung stehst, ist es besser, du verbringst die Nacht bei mir.“ Ihre Worte waren freundlich, aber es war klar, dass sie keinen Widerspruch duldete. Sanft, fast entschuldigend wandte sie sich an Doratrava. „Verzeih … Versuch, dich erstmal so zu finden. Morgen wird alles besser. Das Gespräch mit deiner Freundin kann aber gerade unter diesen Umständen nicht fortgesetzt werden.“

Überrumpelt von Alegrettas forsch-bestimmender Art versuchte Doratrava ihre Gedanken zu ordnen. Wie? Was? Nacht verbringen? Es war doch gerade erst Vormittag. Und was für Umstände?

Kurz ging Rahjalinds Blick hilflos zwischen Doratrava und Alegretta hin und her, doch fügte sie sich schnell ihrem Schicksal. Hier im Haus hatte die Hochgeweihte das Sagen. „Du kannst hier schlafen, Dora …“, meinte sie dann an ihre Freundin gewandt, „… ich weiß nicht ob ich heute noch zurück aufs Zimmer kann.“

„Aber ...“, begann Doratrava, noch immer verwirrt. „Was ist denn los? Wir haben doch gerade erst gefrühstückt, bis heute Abend ist doch noch so viel Zeit … was soll ich denn den ganzen Tag allein machen?“ Wenn Rahjalind wirklich den Rest des Tages und auch die Nacht von ihr getrennt sein sollte, würde sie sicher nicht im Tempel bleiben. Eigentlich sollte das hier doch ein Ort der Freude sein, aber sie fühlte, dass sie hier keine unvoreingenommene Entscheidung über ihr weiteres Schicksal treffen konnte, dazu war in den letzten Stunden – ja, länger war es ja nicht gewesen, wie sie erstaunt feststellte – zu viel passiert, das sie aufgewühlt hatte.

Doratrava tat Alegretta leid. „Du siehst sie heute schon noch … aber ich kann nicht sagen, wie lange das dauert. Es kann sein, dass wir in ein Gebet versinken müssen. Lass dir von unserem Novizen etwas zeigen. Der Tempel ist klein, aber wir haben einen hübschen Garten und einen Platz, auf dem kannst du dich beweglich und geschmeidig halten.“

Abermals lag der fragende Blick der Novizin auf der Hochgeweihten. Sie wusste schließlich nicht, was genau Alegretta nun mit ihr vorhatte.

***

Besorgt sah Doratrava den beiden Rahjadienerinnen nach. Was nur passiert war? Alegretta hatte sich ungewöhnlich ernst angehört. Hoffentlich war es nichts Schlimmes für Rahjalind. Einen klitzekleinen Moment war sie versucht, den Beiden hinterherzuschleichen, aber sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Auch wenn sie von Grund auf sehr neugierig war, war das nicht ihre Art. Statt dessen seufzte sie nur und ging den Novizen suchen. Sie musste den Tempel ja nicht gleich verlassen, das bewahrte ihr die Chance, Rahjalind trotz Alegrettas ominöser Andeutungen nochmal zu sehen.

Der Tempel war wie ausgestorben. Doratrava konnte zu der doch noch eher frühen Stunde lediglich die gute Seele Gelda erspähen, die gerade dabei war, im kleinen Garten Weinlaub zusammen zu kehren. Was der Gauklerin bisher verwehrt blieb war ein Blick in den Tempelgarten bei Sonnenlicht. Sie konnte den schönen weißen Pavillon mit der Statue eines Mannes auf einer Ziege ausmachen. Rund um dieses Monument, das wohl Sankt Linnart und die Weinbeergeiß zeigte, waren schön gepflegte Wein- und Rosenstöcke eingepflanzt. Das Blätterkleid ersterer hatte schon einen orange-roten Farbton angenommen, die Rosen ließen ihre Blüten vermissen. Trotzdem es sonnig und schön war, konnte man den herannahenden Winter bereits fühlen.

Es sollte nicht lange dauern bis die alternde Gelda auf Doratrava aufmerksam wurde. „Rahja zum Gruße, Frau … äh … Dora …“, sie meinte diesen Namen aus Rahjalinds Mund gehört zu haben, „… kann ich Euch helfen?“

„Doratrava heiße ich, aber Dora ist schon in Ordnung“, antwortete diese freundlich. „Rahja zum Gruße. Ich … vertreibe mir nur ein wenig die Zeit, solange Rahjalind und Alegretta etwas zu besprechen haben. Alegretta meinte, der Novize solle mir … etwas … zeigen“, fügte die Gauklerin mit leichtem Zögern hinzu und wurde leicht rosafarben im Gesicht, da sich das so zweideutig in ihren Ohren anhörte. „Aber es würde mir auch reichen, wenn ich hier draußen ein wenig üben könnte“, ergänzte sie schnell.

„Oh der Novize … hmmm … er ist vorhin gerade zum Linnartshof aufgebrochen um unseren Wein zu holen …“, kam es in mütterlichem Ton. „Was möchtest du denn üben? Geht es hier im Garten? Ich bin gleich mit dem Laub fertig, dann gehört er ganz dir.“

„Ach so?“ gab Doratrava zurück, aber eigentlich war sie nicht unglücklich darüber. „Na ja, das macht nichts. Ich bin Akrobatin und Tänzerin, ich muss so oft üben, wie ich kann, damit ich gut bleibe oder besser werden. Aber mir reicht ein freier Platz mit ein paar Schritt Ausdehnung, der Garten ist perfekt dafür geeignet, denke ich.“ Da fiel der Gauklerin etwas ein. „Sag, Rahjalind tanzt doch auch gerne, macht sie das auch hier im Garten?“

„Ja manchmal …“, die Frau deutete auf den Pavillon mit dem Schrein, „… oft spielen hier im Garten Musiker und Rahjalind lehrt die Menschen das Tanzen. Sie tanzt eher selten alleine.“ Gelda lächelte Doratrava schüchtern an. „Darf ich dir bei deinen Übungen zusehen?“

Doratrava wurde sich bewusst, dass sie die dünnen, luftigen Rahjagewänder trug, die sich denkbar schlecht für akrobatische Übungen eigneten. Tanzen konnte man damit zwar, aber alleine und ohne Musik zu tanzen war auch nicht so schön, sie hatte eigentlich schon eher Übungen für Kraft und Beweglichkeit im Sinn gehabt. Vor der ihr fremden Frau wollte sie sich aber auch nicht nackt ausziehen, zudem konnte ja jederzeit jemand kommen. Rahjatempel hin oder her, aber wenn sie nicht sicher war, allein zu sein und zu bleiben, wollte sie ihre Körperertüchtigung nicht nackt durchführen.

„Ja ...“, antwortete die Gauklerin, da die Tempeldienerin sie immer noch erwartungsvoll ansah. „Aber ich brauche erst etwas anderes zum Anziehen. Doch ich muss dich gleich vorwarnen: die Übungen, die man machen muss, um eine gute Tänzerin oder Akrobatin zu werden oder zu bleiben, sind nicht immer etwas für das Auge, sondern oft eher langweilig zum Zuschauen.“ Damit winkte sie der Frau kurz zu und verschwand wieder Richtung Tempel, um bei ihren Sachen ein Brust- und ein Lendentuch zu holen.

***

Als die Tür zu ihrer Kammer geschlossen war und Rahjalind mit Alegretta auf den Stufen stand, hob sie fragend ihre Augenbrauen. „Welcher Brief?“

Erst als beide im Zimmer der Vorsteherin waren, fing Alegretta liebevoll, aber mit Sorge an. „Liebchen, ich habe erfahren, dass du bei der Brautschau sagen wir mal ... etwas ausgelassen warst. Du hast dich um dich gekümmert anderen Leid zugefügt, dabei soll es deine Aufgabe sein, Rahja zu dienen. Du sollst den Menschen helfen, sie harmonisieren. Was hast du dazu zu sagen?“

„Ähhh …“, Rahjalind war verwundert. Wer sollte denn sowas behaupten? Nichts davon hatte sie getan. „Ähm Gretta … nichts davon habe ich getan. Was soll denn das überhaupt heißen … ausgelassen?“ Sie runzelte ihre Stirn. „Ich habe versucht gebrochene Herzen zu heilen und habe sie nicht gebrochen. Wer schreibt denn solch verleumderisches Zeug?“

Die Vorsteherin faltete den Brief zusammen und steckte ihn in eine Schublade. „Liebchen, wer genau das ist, spielt erstmal keine Rolle. Auch mir ist das schon ein paar Mal passiert. Es mag stimmen, dass es von einem Neider oder verschmähten Liebhaber stammt.“ Sie stand auf und setzte sich auf die samtenen, rote Couch mit den goldenen Füßchen. „Komm, setzt dich zu mir.“ Sie war lieb und sanft, aber etwas betroffen. „Du bist jung. Wir können uns vieles erlauben, aber wir sind auch keine egoistischen Stuten, die eine Spur der Verwüstung hinter uns lassen. Erzähl es mir … ein paar Beispiele genügen … wie du Rahja auf dieser Feier gedient hast. Und versprich mir – ja, geh in dich, dass du niemandem falsche Hoffnungen gemacht hast. Du weißt was ich meine.“ Alegretta seufzte tief und band ihre Haare zu einem Almadanerzopf. Wasser für beide stand bereit. „Und dann muss ich mit dir über deine Freundin reden.“

„Wie schon wieder …“, rutschte es der Novizin frech raus, „… ich meine … wir haben doch erst über Dora gesprochen. Was hat sich denn seitdem geändert.“ Rahjalind atmete tief durch, sie war derartig erregt gewesen, dass sie nicht wusste auf welche Frage oder Anschuldigung sie als erstes antworten sollte. „Ich habe dort nicht über die Stränge geschlagen, Gretta. Bruder Rahjel hat uns Tharf gereicht, dann habe ich die Männer und Frauen an meinem Tisch geküsst, aber sonst …“, sie tippte sich auf ihr Kinn, „… habe ich einen der Werber mit Liebeskummer überzeugt, die Brautschau nicht zu verlassen und einen anderen, dass er um seine Liebe kämpft. Auch habe ich mich dafür eingesetzt, dass ein junger Mann, der der elfischen Liebe zugeneigt ist, nicht mehr länger vor sich selbst davonläuft.“ Die junge Frau ließ ein Seufzen folgen. „Also was willst du über Dora reden?“

Alegretta entging die aufsässige Art nicht. Sie zog ihre Novizin zu sich, nahe zu sich, und gab ihr einen Kuss. Ihre Zunge spielte mit Rahjalinds Mund, bis sie diesen öffnete. Kurz berührten sich beide Spitzen, und die Hochgeweihte umfasste den Kopf der jungen Frau zärtlich. „Ich glaube dir, aber pass auf, noch bilde ich dich aus. Und nun sind wir alleine. Ich merke es. Du spürst es. Doratrava wird, wenn überhaupt, nicht aus Liebe zur schönen Göttin hier bleiben.“ Sie legte die Hände auf Rahjalinds Schultern. „Gehe in dich, meditiere, damit dir klar wird, was du schon weißt. Du magst sie, aber so wie Doratrava dich, liebst du sie nicht. Jeder Tag länger macht sie trauriger und abhängiger. Du musst es beenden. Sie wird es nicht verstehen, eine Szene machen. Aber später wird sie dir dankbar sein.“

Rahjalind schüttelte ihren Kopf. „Das habe ich ihr schon längst klar gemacht, Gretta. Dora weiß, wie ich fühle und dass unsere Beziehung eine Momentaufnahme ist. Unsere Freundschaft, so hoffe ich jedoch, wird Bestand haben.“ Kurz verzog sie ihre Mundwinkel. „Sie meinte, das ginge für sie in Ordnung.“

„Wie du meinst, aber ich glaube es nicht. Sie will dich alleine und würde das, was wir tun, nie verkraften. Probier es aus. Später. Die junge Felina sucht noch Rat. In Liebesdingen. Sie ist versprochen, doch möchte sie noch etwas über die körperliche Liebe lernen, das kannst du machen.“ Alegretta besah sich eine Tafel. „Ja schau. Und dann ist da noch der Parsi … ein junger, hübscher Kerl, der aber etwas Hilfe braucht. Bei Hygiene und Pflege. Traust du ihr das zu? Du musst aber dabei sein, damit sie es nicht verdirbt. Aber überlege bitte. Ich will kein Drama.“

„Wie Hygiene und Pflege …“, fragte die Novizin nach, „… ich soll ihm lehren wie er sich sein Ding zu waschen hat? Ist es dafür nicht schon zu spät, das hätte er doch von klein auf richtig tun sollen. Wie alt ist er?“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich werde Felina besuchen. Ich weiß wo ihre Familie lebt.“

Alegretta reichte ihr etwas Wein. „Zieh dich zurück, denke nach. Du wirst eine gute Dienerin der Schönen sein und hast heute gelernt, mit ungerechtfertigter Kritik ruhig klar zu kommen. Dahinter steckt eine arme, unerfüllte Seele, und dich deinen wahren Gefühlen zu stellen. Schlaf heute bei mir, mein Liebchen.“

Es folgte ein Lächeln und ein Nicken der Novizin. Sie mochte es bei Alegretta zu liegen. „Soll Dora … auch … also wenn ich heute bei dir schlafe … soll sie uns Gesellschaft leisten?“

Alegretta wirkte etwas verletzt. „Ich will sie nicht dabei haben. Aber wenn du willst, dann geh zu ihr. Sie würde uns nur stören.“

„Hmmm, gut ich werde bei dir liegen …“, meinte Rahjalind dann. Sie mochte Alegretta sehr und wusste, dass sich auch ihre Lehrmeisterin öfters einmal nach Nähe sehnte, die nicht ihrer Profession geschuldet war. „Soll ich nun zu Felina aufbrechen? Oder meditieren? Und was geschieht mit Dora?“

Alegretta freute sich. Ja, sie war Ausbilderin und manchmal etwas streng, aber sie wäre von Rahjalind enttäuscht gewesen. „Liebchen, Parsi ist 15 Götterläufe alt und du solltest längst wissen, dass das ein heikles Thema ist, ein Thema, über das oft geschwiegen wird.“ Sie umarmte ihre Novizin zärtliche. Sag Dora, was sie machen soll und hilf ihr etwas. Parsi lasse ich später holen. Und denk an das, was ich dir gesagt habe, ja?“

Sie nickte der Tempeloberen pflichtbewusst zu. „Gut wir werden Felina besuchen. So sie überhaupt zuhause und nicht in den Weinbergen ist.“ Rahjalind wirkte nur bedingt begeistert.



Kapitel 26: Demut

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