Eine Harte Schule Hexen

Kapitel 18: Hexen

Doratrava starrte den beiden Bannstrahlern hinterher, unfähig, sich von der Stelle zu rühren, dennoch erleichtert, hatte sie doch schon eine Verhaftung oder ähnliches befürchtet. Nachträglich wurden ihr die Knie weich und sie begann wieder zu zittern, auch die Kälte machte sich plötzlich wieder mit Macht bemerkbar. Sie sollte endlich wieder in den Tempel gehen, wie sie es sowieso vorgehabt hatte, aber sie schaffte es nicht, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Hatte Linnart recht? Waren ihre Vorbehalte gegen Geweihte des Praios im Allgemeinen und Bannstrahler im Speziellen nichts als haltlose Vorurteile? Aber nein, sie hatte schon so viele Geschichten gehört, vornehmlich von anderem fahrenden Volk. Das mochte alles ein wenig übertrieben gewesen sein, aber hatte im Kern sicher der Wahrheit entsprochen. Und einmal war sie selbst Zeugin eines solchen Vorfalls geworden, als ein Bannstrahler eine vermeintliche Hexe aus der Zuschauermenge einer Aufführung ihrer damaligen Gauklertruppe gepflückt hatte. Sie hatte die Frau am Vorabend jener Vorstellung in der Taverne des Dorfes flüchtig kennengelernt und ein paar Worte mit ihr gewechselt, das war sehr nett gewesen. Daher war in jenem Moment mal wieder ihr loses Mundwerk mit ihr durchgegangen und sie hatte dem Praios-Diener aufgebracht „Was hat sie euch getan?“ entgegengeschleudert. Der hatte nach der ersten Überraschung nicht lange gefackelt und seinen beiden Schergen „Ergreift sie! Sie ist die Komplizin der Hexe!“ zugerufen, und Doratrava hatte sich nur durch eine wilde Flucht retten können. Danach musste sie sich noch mehrere Tage lang die Schelte ihrer Gaukler-Gefährten anhören, hatte doch der Bannstrahler die Wagen der Truppe komplett auf den Kopf stellen lassen, auf der Suche nach ‚unheilig Hexenwerk‘, zudem hatte er alle nach ‚der weißhaarigen Komplizin der Hexe‘ ausgefragt, aber sie hatten sich mühsam aus der Affäre ziehen können, ohne weitere Repressalien zu erleiden. Der Frau, der ‚Hexe‘ hatte das freilich nichts geholfen, die hatte der Bannstrahler mit sich genommen, und Doratrava hatte nie wieder etwas von ihr gehört.

Andererseits waren die Praiosgeweihten und Sonnenlegionäre, denen sie vor einem Jahr in Mendena begegnet war, recht umgänglich gewesen. Ja, sie hatten sie und ein paar Zufallsbekanntschaften (die sie heute durchaus als Freunde bezeichnen würde) in ihren Dienst gezwungen, sich dann aber recht anständig verhalten. Insofern mochte Linnart recht haben, dass sie nicht alle Anhänger des Sonnengottes über einen Kamm scheren durfte. Aber diese machten es einem normalerweise oft schwer, kamen sie doch fast immer so daher, als hätten sie die Wahrheit und das Recht, als einzige einen Sachverhalt richtig beurteilen zu können, für sich gepachtet. So auch Linnart … oder?

Doratrava furchte die Stirn, als sie nochmal versuchte, alle Aussagen des Bannstrahlers durchzugehen. Zu ihrer Verwunderung musste sie aber feststellen, dass er tatsächlich nichts gesagt hatte, was irgend welche Vorurteile rechtfertigte. Nur ihre Angst und sein ihrem Gefühl nach herablassendes, gönnerhaftes Verhalten hatten sie in seine Worte mehr, Schlimmeres, hineininterpretieren lassen. Etwas zerknirscht hob sie nochmals den Blick, den sie während ihrer inneren Einkehr gesenkt hatte, doch die Bannstrahler waren mittlerweile in der Dunkelheit verschwunden. Dafür konnte sie sich nun endlich wieder bewegen. Vor Kälte zitternd flüchtete sie zurück in den warmen Tempel.

Als die Gauklerin in den warmen Tempel eintrat, erblickte sie sogleich Rahjalind. „Dora, wo warst du denn? Ich habe dich gesucht.“ Die Novizin sah, dass die Haut ihrer Freundin von der Kälte gerötet war. „Was machst du denn für Sachen? Dein Zimmer ist fertig.“

Sofort trat ein Strahlen auf Doratravas Züge, war doch der Anblick der Geliebten wie ein Sonnenstrahl im Dunkel nach dem eben Erlebten. Schon wollte sich die Gauklerin in eine Umarmung mit der Novizin stürzen, doch gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass sie dieser damit vermutlich einen Kälteschock verpassen würde bei dem dünnen Gewand, das sie trug. „Rahjalind!“ rief sie statt dessen und fasste nur ihre Hand, was ihre Freundin schon zusammenzucken ließ. „Ich brauchte nur etwas frische Luft … aber draußen hat mich dein Bruder abgepasst. Deine Mutter hat ihn geschickt, damit er überprüft, dass ich ‚keine Gefahr für dich bin‘ oder so ähnlich und dass ich dich nicht verzaubert habe!“ fiel sie mit der Tür ins Haus, um dann spontan mit einem etwas wehmütigen Lächeln hinzuzusetzen: „Dabei hast du doch mich verzaubert!“

Rahjalind schob ihre Augenbrauen verärgert zusammen und suchte den Blick ihrer Mutter. „Ist dir etwas passiert?“ Es war eine Pro-forma-Frage. Sie kannte ihren großen Bruder. Er würde einer ihrer Freundinnen nie ein Leid zufügen.

„Anscheinend konnte ich ihn davon überzeugen, dass nichts dergleichen geschehen ist“, fuhr Doratrava aufgeregt fort, „auch wenn unser … Gespräch … nicht gerade harmonisch verlaufen ist. Auf jeden Fall will er deiner Mutter sagen, dass du nichts vor mir zu befürchten hast.“ Jetzt hatte sie sich doch wieder in Rage geredet und warf die Arme in die Luft. „Pfft! Behandeln die beiden dich immer wie ein kleines Mädchen, das nicht auf sich selbst aufpassen kann?“

Der Ärger der Novizin war so schnell aus ihrem Antlitz verschwunden wie es gekommen war. Beruhigend nahm die junge Adelige ihre Freundin in ihre Arme. „Ganz ruhig, erzähl mir erst ganz genau, was passiert ist. Das Gespräch war nicht harmonisch … was heißt das? Mein Bruder würde meinen Freunden nie etwas antun … er wird doch dieses Mal keine Ausnahme gemacht haben?“

„Ach – ich saß im Garten auf der Bank, da ist Linnart plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht, ich habe ihn gar nicht kommen hören ...“ begann Doratrava mit gedämpfter Stimme zu erzählen. Sie legte keinen Wert darauf, dass die anderen Gäste des Tempels oder gar Adda ihr zuhörten. „Ich bin im ersten Moment furchtbar erschrocken, aber er hat gemerkt, dass ich friere, und mir seinen Mantel geliehen. Ich wollte schon erleichtert aufatmen, doch da hat er mir eröffnet, er sei wegen mir hier, um mich im Auftrag eurer Mutter zu überprüfen, wie ich gerade schon sagte. Da habe ich wieder Angst bekommen, habe ihm den Mantel in die Hand gedrückt und wollte zurück in den Tempel, aber da war noch ein zweiter Bannstrahler, sehr jung noch, und der hinderte mich auf Linnarts Anweisung daran und trieb mich wieder zurück zu ihm. Er meinte, mir drohe keine Gefahr von ihm und ich könne ihm vertrauen. Ich habe ihm aber nicht geglaubt, schon gar nicht, weil er mich nicht gehen ließ und weil ich nicht weiß, wie er mich denn ‚überprüfen‘ will, ohne irgendwie Hand an mich zu legen. Ich bin dann wütend geworden“, auch jetzt steigerte Doratrava sich schon wieder in eine nicht zu übersehende Erregung hinein, schaffte es aber mühsam, ihre Stimme nicht zu erheben, „und habe ihm entgegengeschleudert, dass du gut auf dich selbst aufpassen kannst und für gegenseitige Zuneigung doch eher Rahja denn Zauberei zuständig ist. Und ich habe ihm zusätzlich geschworen, dich nicht verzaubert zu haben. Da hat er mich zurechtgewiesen und mich ungehobelt genannt und dass meine scharfe Zunge mich mal den Kopf kosten könne. Aber deine Freunde seien auch seine Freunde, er sehe keine Gefahr in mir und werde das eurer Mutter berichten.“ Jetzt warf die Gauklerin erneut die Arme in die Luft. „Dabei hat er die ganze Zeit so … gönnerhaft, so herablassend gewirkt, als spreche er wohlwollend und mahnend mit einem kleinen, ungezogenen Kind! Ein schöner Freund ist das! Da bin ich noch wütender geworden und habe ihn rundheraus gefragt, ob er mich auch verdächtigt hätte, hätte ich keine weiße Haut, weiße Haare und spitze Ohren. Aber auch das hat er nur genauso herablassend mit der Gegenfrage von sich abtropfen lassen, ich wolle doch keinem Diener Praios‘ Voreingenommenheit unterstellen.“

Doratrava hielt inne, überlegte kurz, ob sie ihre Meinung dazu äußern sollte, entschloss sich aber, erst einmal nur das Gespräch so gut wie möglich wiederzugeben. „Linnart meinte dann, ob sich eure Mutter mit seiner Einschätzung zufrieden geben würde, läge nicht zuletzt an mir, an meinen Plänen. Ich habe ihm gesagt, dass ich als Gauklerin nicht ewig an einem Ort bleiben würde, aber solange du dich an meiner Anwesenheit erfreust, werde ich bleiben. Ich sagte ihm, dabei würde es sich eher um Tage als um Wochen handeln.“ Erneut brach die Gauklerin ab, diesmal aber nicht, weil sie nachdenken musste, sondern weil ihr der Hals eng wurde, kochte doch der Konflikt ihrer Gefühle bei diesen Worten schon wieder hoch. Wie sie schon beim Gespräch mit Linnart an dieser Stelle gedacht hatte, würde sie Rahjalind am liebsten mitnehmen, aber sie wusste, dass das nicht möglich war, und hatte darüber ja nun schon mehrmals mit der Novizin ausgiebig diskutiert, ja sogar gestritten.

„Er … also Linnart … hat dann noch gesagt, er selbst hätte kein Problem mit mir“, fuhr Doratrava fort, als sie sich ihrer Stimme wieder sicherer war. „Von ihm aus könne ich mein ganzes Leben hier bleiben ...“ Ihre Stimme versagte jetzt doch wieder, sie musste schlucken und spürte ihre Augen schon wieder feucht werden, aber sie riss sich mühsam zusammen und sprach – krächzend – weiter: „Er warf mir vor, ich solle ihn nicht mit eurer Mutter in einem Topf werfen und würde selbst genau so voreingenommen sprechen und handeln, wie ich es den Praiosdienern vorwerfe. Dann ist er einfach gegangen, zusammen mit dem Jungen, als wäre nichts gewesen. Dabei hätte ich erwartet, dass er Adda gleich aufsucht, er wusste doch schließlich, dass sie im Tempel ist, oder?“

Erschöpft beendete Doratrava ihre Erzählung. Die ganze Zeit hatte sie die tröstende Umarmung ihrer Freundin genossen und erwidert. Das, wenigstens das könnte sie noch stundenlang aushalten, und die beißende Kälte war nun dank der engen Berührung auch aus ihren Gliedern gewichen. Sie legte ihren Kopf auf Rahjalinds Schulter und schloss müde die Augen.

Rahjalind hatte die Ausführungen ihrer Freundin aufmerksam angehört. Ja, es bestand auf jeden Fall die Notwendigkeit, mit ihrer Mutter darüber zu sprechen. Nun galt es aber erst noch, Doratrava zu beruhigen. „Deine letzte Frage kann ich dir beantworten, Dora …“, ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen, „… Linnart kann den Tempel hier nicht ausstehen. Er würde wohl nie einen Schritt hier hineinsetzen. Deshalb würde es mich auch nicht wundern, wenn er vor der Tür auf Mutter wartet. Deshalb hast du ihn wohl auch im Park angetroffen.“ Es schien, als hätte die Gauklerin tatsächlich ein nicht zu vernachlässigendes Maß an Vorurteilen gegen die Kirche des Praios.

Einige Momente lang verharrten sich noch in ihrer nun schon länger andauernden Umarmung, dann löste sich die Novizin von ihr und deutete auf einen Beistelltisch. „Möchtest du einen Tee, Dora? Oder etwas anderes? Ich muss mit Mutter sprechen … das erscheint mir als notwendig.“

„Was? Ja … ja, einen Tee, das wäre gut.“ Der kurze Moment der Ruhe auf Rahjalinds Schulter hatte Doratrava ein wenig wegdämmern lassen, so dass sie sich jetzt erst wieder orientieren musste und sogleich die Umarmung der Freundin vermisste. Sie blinzelte. Ja, Tee würde sie auch von innen wieder aufwärmen. Hoffentlich erreichte Rahjalind etwas bei ihrer Mutter. Sie hatte Adda ja eigentlich als glühende Verehrerin von Rahja kennengelernt, warum nur hatte diese dann so viele Probleme, wenn ihre Tochter, noch dazu als Novizin eben jener Göttin, sich auf der Göttin gefällige Weise vergnügte? Wenn auch mit einer einfachen Gauklerin von exotischem Aussehen ohne Rechte, Land und Besitz ...

Ein strahlendes Lächeln huschte über Rahjalinds Züge. „Setz dich doch einfach, ich hole dir Tee.“ Auf flinken Füßen huschte sie zum Beistelltisch mit der Teekaraffe und war sogleich wieder mit einer Schale dampfenden Kräutertees heran. „Hier, trink …“, wider erwarten setzte sich die Novizin nicht zu ihr, sondern verließ den Tisch, wechselte ein paar Silben mit Alegretta, die auf eine geschlossene Tür zeigte, und verschwand dann ebenso darin.



Kapitel 17: Bannstrahler

Kapitel 19: Verhör