Disputare

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14. Ingerimm 1042 BF, Praioskapelle der Burg Efferdwacht

Nachdem sich der Abt verabschiedet hatte, führte ihn Answin zur Kapelle der Feste Efferdwacht. Dabei wählte er nicht den gleichen Weg, den er auch schon auf dem Weg zum Pavillon genutzt hatte, sondern einen der direkt an dessen Pforte führte. Diese stand weit offen und ließ das Licht der Praiosscheibe ins Gebäudeinnere fallen. Hohe kunstvoll gestaltete Glasfenster ließen noch mehr Licht ins Innere und tauchten es in warme Farben, prächtig war die Alveraniare Schelachar, Urischar und Sindayru auf je einem Fenster dargestellt worden. Die Säulen der Halle waren vergoldet, ebenso wie die prächtige, lebensgroße Statue des Himmlischen Richters auf dem nicht weniger prächtigen Altar. Unweigerlich ergriff jeden Besucher der Kapelle Demut, Demut und die Einsicht im Antlitz des Götterfürsten ein Nichts zu sein.

Während Answin am Portal zurückblieb um die beiden Geweihten bei ihrer Unterredung nicht zu stören, konnte Adelhelm ungehindert das Gebäude betreten und bestaunen. Es dauerte nicht lang und Seine Hochwürden, Hofkaplan Ratsburger kam aus seiner Stube und begrüßte den Besucher. „Praios zum Gruße Bruder im Glauben.“ Erklang seine schmeichelnde Stimme. Noch immer war das kurz geschnittene Haar des Geweihten goldbraun, ebenso wie sein wohl gepflegter Vollbart. Seine Augen jedoch wirkten unangenehm, es bedurfte einiger Augenblicke bis der Grund dafür Gestalt annahm – ihr grau war derart hell, dass es sich nur wenig absetzte und es schwer machte den Blickkontakt zu halten.

Adelhelm war schon länger nicht mehr in der Burgkapelle gewesen. Er hatte sich zwar stets um einen guten Kontakt zu den Baronen von Kyndoch bemüht, doch war er dennoch ein nicht allzu oft geladener Gast auf Burg Efferdwacht. Dass man sich die Bannstrahler nicht ins Haus wünscht galt nicht nur fürs Bauernvolk, sondern allem Anschein nach auf für den von Praios selbst emporgehobenen Hochadel. Auch den Hofkaplan kannte der Halberger nur flüchtig. Ein Glaubensbruder war er und hochgeweiht wie der Abt selbst, aber dennoch nicht unbedingt eine Person von besonderem Interesse für ihn. Dies sollte sich erst mit dem Briefverkehr zwischen ihm und Praiofan in der jüngeren Vergangenheit ändern. Adelhelm konnte darin die eine oder andere Aussage herauslesen, die in ihm das Bedürfnis weckte ein persönliches Gespräch zu suchen.

Unter den wenigen in der Gemeinschaft des Lichts die ihn näher kannten, galt Praiofan Ratsburger als Traditionalist. Wie sehr er dieser Strömung angehörte war jedoch nie zu Tage getreten. Bereits in frühen Jahren hatte er feststellen müssen, dass er ohne die notwendigen Unterstützer nie in einer höheres Kirchenamt berufen zu werden. Doch da er nur von bürgerlicher Herkunft war, hatten ihn die adeligen Diener des Götterfürsten nie auch nur als ihren Schützling in Betracht gezogen. Sobald er diese Erkenntnis gewonnen hatte, hatte sich der inzwischen Endfünfziger, um eine Anstellung als Hofkaplan unter Baron Osidor bemüht. Erfolgreich, dennoch noch heute kam er dieser Aufgabe nach, während die Barone gewechselt haben mochten. Er stand für Beständigkeit auf der Baronsfeste. Er war die ordnende Hand. Ginge es nach ihm würden endlich wieder Sonnenvögte regieren, aber diese Gedanken behielt er für sich.

Als Adelhelm vor ihm stand, überlegte er kurz was der Ritter des Bannstrahls von ihm wollte. Suchte er Führung? Suchte er Anleitung? Beider bedurften die Ritter seiner Ansicht nach dringend, waren sie doch lediglich die ausführende Hand der Kirche die ohne die Führung der Geweihtenschaft nicht wusste was sie tun sollte.

„Was führt Euch in diese bescheidene Halle unseres Herrn Praios?“

„Salve, Frater Praiofan…“, hob er in Bosparano zum Gruß an, „…Dominus et Lucem tecum.“ Der Abt sah sich noch einmal in der schönen Kapelle der Burg um. „Was für ein würdiger Ort, der hier unserem Herrn Praios geschaffen wurde.“ Er lächelte schmal und begann den Hofkaplan zu mustern. Fein säuberlich studierte er dessen Regungen, sowie die Gestik und Mimik seines Glaubensbruders. Vielleicht gelang es ihm damit eine bessere und gründlichere Einschätzung dessen Mannes zu treffen, der hier in der Baronie ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor war. Der junge Baron vertraute ihm allem Anschein nach blind und er scheute auch nicht davor zurück, ihm ein gehöriges Maß an Verantwortung in die Hände zu legen. Eine kluge Entscheidung dafür einen Diener des Götterfürsten heranzuziehen, doch auch besorgniserregend, da der Halberger diesen Praiofan Ratsburger nicht wirklich einschätzen konnte – zumindest noch nicht.

Das fein säuberlich komponierte Erscheinungsbild des Hofkaplans machte dergleichen schier unmöglich. Aalglatt zeigte es dem Betrachter eben jenes, was er von einem Diener des Götterfürsten erwartete. Ein prächtiges reines Ornat, sowie eine Achtung gebietende Persönlichkeit.

„Interesse und Neugier…“, beantwortete Adelhelm dann die gestellte Frage seines Gegenübers, „…Ihr dient den Baronen nun schon so lange hier auf Burg Efferdwacht…“, er tippte sich nachdenklich auf sein Kinn, „…korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber ich meine dass mein Bruder Euch damals in seine Dienste genommen hat … vor fast 30 Götterläufen. Es ist doch schade, dass wir in dieser langen Zeit nie wirklich miteinander Kontakt hatten. Zwei Würdenträger des Gleißenden, die örtlich nicht weit voneinander leben und niemals den religiösen Dialog oder Disput gelebt hatten. Ich weiß ja fast gar nichts über Euch und da mich mein Weg heute zum Baron geführt hatte, dachte ich, dass sich dies gleich gut miteinander verbinden ließe. Findet Ihr nicht?“

Seit seinem Eintreffen hatte Praiofan sein Gegenüber ebenfalls genauestens beobachtet, hatte versucht in ihm zu lesen und seine Motivation zu ergründen. „In der Tat, diene ich den Baronen dieser wunderschönen Lande schon seit vielen Götterläufen. Wie es aber häufig ist, sind Würdenträge – wir ihr und ich – meist durch ihre Pflichten eingespannt und haben nur selten Gelegenheit außerhalb ihrer unmittelbaren Domäne einen fruchtbaren Disput zu führen.“ Mit einer ausholenden Geste auf den Altar weisend, führte er seine Rede fort. „Lasst uns gemeinsam zum Himmlischen Richter beten und anschließend gern den Disput suchen.“ Eine Antwort wartete er dabei nicht ab, stattdessen wandte er sich bereits um und schritt zum Altar, wo er sich auf einem von zwei brokatenen, weinroten Kissen niederkniete. Mit kräftiger Stimme intonierte er laut und klar in Bosparano.

Sol aureus in Alveran stat,
Coelos semper illuminat.
Arx in aeternum
Contra infernum
Vigilat.

Einen Moment der Stille verstreichen lassend, fuhr er nach dem Kanon zum Gruß der Sonne mit einem Gebet für das Heil der Baronie, des Herzogtums Nordmarken und des Reiche Rauls.

Adelhelm schloss sich seinem Glaubensbruder an und unterstützte ihn, ebenfalls knieend, beim Sonnengruß und dem Gebet für Baronie, Herzogtum und Reich. Nach einem weiteren kurzen Moment der andächtigen Stille, hob der Abt St. Aldecs dann zum Loblied auf den Herrn Praios an.

Praios invictus,
Rex Duodecim,
Gloria Darae,
Aurea Lux.
Da nobis leges
Et veritatem.
Da nobis lucem,
Deorum dux.

Praios invictus,
Regens in Alveran,
Iudex divinus,
Preaclara vox.
Deram proteges,
Contra daimones,
In tua luce
Vanescit nox.

Die Singstimme des Halbergers war tief und klar, was dahingehend überraschend war, bedachte man den fisteligen Ton seiner Stimme im Gespräch. Mit einem knappen „Lux triumphat“ schloss er und erhob sich von seinem Kissen.

Nachdem ihre improvisierte Andacht geendet hatte, erhob sich Ehrwürden Praiofan und schritt das kurze Stück zu den Bänken vor dem Altar ab. Darauf platz nehmend fasste er den Abt der Bannstrahler in Auge.

Erst als sich Adelhelm dessen gewahr wurde, dass er Praiofans Aufmerksamkeit hatte, ging er auf dessen vor dem Gebet getroffene Aussage ein. Ein Vorgehen, das vielleicht etwas irritierend wirkte, doch meinte der alternde Bannstrahler, dass eben jene Aussage seines Gegenübers einen guten Aufhänger für jenes Thema darstellt, das er eigentlich ansprechen wollte. „Ihr habt im Übrigen Recht wenn Ihr meint, dass es die Pflicht nicht oft zulässt sich dem Diskurs mit anderen Angehörigen der Kirche zu suchen.“ Er machte eine bedeutungsschwangere Pause. „Ich persönlich finde das schade. Es ist immer interessant und erquickend das Gespräch außerhalb des Ordens mit anderen Geweihten zu suchen. Gerade in den letzten Götterläufen, da der Herr Praios uns hart prüfte.“

Lediglich ein kurzes, Verständnis signalisierendes Nicken war alles was an Gefühlsregungen beim Hofkaplan wahrzunehmen war.

Adelhelm machte eine knappe, wedelnde Handbewegung. „Apropos hart prüfen. Es ist sehr lange her da die Kirchen jenes hohe Maß an Verantwortung innehatten, welches ihnen gegenwärtig zukommt. Eine Zeit des Umbruchs und der Prüfung steht bevor. Sterne fallen und das Zerren an den Ketten dessen ohne Namen wird kräftiger und intensiver.“ Der Gesichtsausdruck des Halbergers wurde von einen auf den anderen Herzschlag noch ernster und verdiente nun die Bezeichnung ´todernst´. „Ihr habt die Meldungen aus Albenhus vernommen?“ Er wartete keine Reaktion ab. „Wenn ich also von Verantwortung spreche, dann meine ich damit nicht nur die Verantwortung gegenüber der Glaubensgemeinschaft und aller Rechtgläubigen, sondern auch als spirituelle und tatkräftige Hilfe für die weltliche Herrscher.“

Der Blick des Bannstrahlers ging für einige Momente beim Portal des Tempels hinaus und lag dann jedoch sogleich wieder auf dem Geweihten. „Ich habe mich eben sehr angeregt mit dem jungen Baron unterhalten. Er führte aus, dass Ihr ihn bei seiner Post unterstützt und auch die Antwort an mich verfasst habt.“ Der Abt zog seine Mundwinkel hoch und Praiofan mochte darin gar den Anflug eines Grinsens erkennen können. „Es steht Euch natürlich frei Eure Meinung zu äußern und diese ist für mich auch zu respektieren, vor allem wenn sie von einem Mann Euren Standes kommt. Dennoch empfinde ich es als fragwürdig, wenn ich aus Eurem Schrieb hinauslesen muss, dass Ihr gewissermaßen der Kirche das Wort verbietet, wenn es um weltliche Belange geht. Wenn das Eure Meinung ist dann frage ich mich, ob Ihr selbst es nicht auch als unangebracht erachtet die Post seiner Hochgeboren zu verwalten?“

Wie in Stein gemeißelt zeigte sich keinerlei Gefühlsregung in den Zügen seines Gegenübers. „Seine Hochgeboren vertraut meiner Expertise, die mit all den Götterläufen Erfahrung die mir zu sammeln vergönnt wurden, bereitwillig und vollumfänglich einbringe. Trotz all der Zeit die seit meiner Aufnahme an diesem Hof verstrichen ist, bin ich auch noch immer der Meinung das wir, als Diener der Zwölfgötter, die Verpflichtung haben Missstände anzuprangern.“ Für einen Moment verharrte sein Blick auf einem großen Fenster, kehrte jedoch fast augenblicklich zurück zu Adelhelm. „Doch zeigt sich in der Art wie wir dies tun letztlich unsere eigentliche, womöglich auch unterbewusste Absicht.“ Stille senkte sich über den Raum, Stille die in Anbetracht der letzten Worte umso schwerer wog. „Mache ich mir Sorgen um die Sicherheit entlang des Großen Flusses, trete ich an die verantwortliche Stelle heran und trage meine Sorgen und Nöte vor. Bemerke ich hingegen eine Verrohung der Sitten oder einen Abfall vom wahren Glauben, so prangere ich dies Öffentlich an und gemahne die Menschen auf den rechten Pfad zurückzukehren. Zweiteres mag ich in der Praiostagspredigt, auf dem Marktplatz oder auch in einer Gazette machen, erstes aber ausschließlich im persönlichen Gespräch. Denn suche ich nicht zu erst das Gespräch, verleugne ich den eigentlich angesprochenen. Dieser mag bei der ersten sich bietenden Gelegenheit eine Gegendarstellung liefern, doch ist gewiss das diese auch wahrgenommen und verbreitet wird? Nein, stattdessen steht die Anschuldigung im Raum das ein angesehenes Mitglied des Hochadels seinen Verpflichtungen nicht nachkäme – selbst dann noch, wenn dem überhaupt nicht so ist.“ Seidig weich umspielte die warmherzige Stimme des Geweihten die Sinne seiner Zuhörer, waren eindrucksvoll Beweis für dessen unglaubliches Redegeschick.

„So frage ich Euch Ehrwürden, wolltet Ihr auf die Missstände am Großen Fluss aufmerksam machen oder wolltet Ihr in Wahrheit nicht doch die Eignung seiner Hochgeboren und des Hauses Fadersberg in Abrede stellen?“ Die Frage oder war es eine Anschuldigung kam unvermittelt und erweckte den Eindruck als würde Praiosfan Ratsburger in seiner Freizeit hochnotpeinliche Befragungen für die Inquisition abhalten.

Wie zwei Statuen begegneten sich die beiden Geweihten. Keiner mochte über die Sprache und den Ausdruck von Körper und Antlitz zu viel preisgeben. Eine Kunstform, die beide Angehörige der Gemeinschaft des Lichts gemeistert hatten. Auch Adelhelm war bei Praiofans Anschuldigung keine Gefühlsregung anzusehen. Er war ein alter Hase was solcherlei Befragungen anging – als Bannstrahler in hoher Position war er bei hunderten Befragungen zugegen, viele davon hatte er selbst geführt. Er wusste ganz genau auf was er zu achten hatte. Demnach sollte ihm kein Gesichtsmuskel entgleiten – sein Antlitz wirkte wie aus einem Block Eternium geschmiedet.

„Ihr hattet ja die Möglichkeit bekommen auf meinen Schrieb zu antworten und es wurde auch abgedruckt…“, seine Stimme kam ruhig, aber bestimmt, „…Ihr hättet ohne weiters darauf eingehen können, welche Maßnahmen seine Hochgeboren gesetzt hatte. Stattdessen habt Ihr Euch darauf beschränkt…“, die Augenbrauen des Abtes wanderten kurz nach oben, „…mir gewissermaßen das Wort zu verbieten und darauf hingewiesen, dass der Große Fluss nicht im Zuständigkeitsbereich des Barons liegt. De iure ist das richtig, aber es ist halt auch eine Aussage, die das Problem bloß zur Seite schiebt, während mit dem Finger auf andere gezeigt wird und eben nicht konstruktiv und lösungsorientiert.“

Der alternde Bannstrahler leckte sich seine Lippen. „Mein heutiges Gespräch mit seiner Hochgeboren war da schon um einiges aufschlussreicher. Ich musste dem jungen Mann mein Lob aussprechen und habe eben auch erfahren, dass eben nicht er, sondern Ihr in seinem Namen seine Post verwaltet. Ich habe ihm im Übrigen auch dazu geraten zukünftig gerade jene Schriebe, die in seinem Namen ergeben zumindest gegenzulesen.“ Abermals zog der Halberger seine Brauen hoch. „Ihr werdet mir bestimmt darin zustimmen, dass ein Herrscher nur so gut sein kann wie es die Informationen sind, die ihn erreichen.“

Adelhelm sollte keine Antwort seines Glaubensbruders abwarten, seine Augen lagen während seiner gesamten Rede auf dem Antlitz des Hofkaplans. „Was Ihr mir in Bezug auf die Familie und Person seiner Hochgeboren versucht zu unterstellen entbehrt sich jeder Grundlage. Ich bin kein Politiker, sondern ein Mann des Glaubens. Mein Kampf gilt all jenem, das sich gegen die Praiosgewollte Ordnung stellt und nicht einem unehelich geborenen, jungen Baron. Den Meldungen aus dem Rahja unseres Herzogtums gilt meine Sorge – den Kampf am und um den großen Fluss müssen andere führen, aber ich erkenne den Willen seiner Hochgeboren und denke, dass jener Kampf bei ihm in guten Händen ist.“

Auch wenn er dem Bannstrahler ob seiner Einmischungen, in Belange die ihn nicht zu interessieren hatten, am liebsten zurecht gewiesen hätte, so war dennoch nichts in der Miene des Geweihten davon zu lesen. Der Orden des Bannstrahl war ein Befehlsempfänger der Kirche des Lichts, nichts weiter, allerdings schien es als hätte der Abt dies vergessen. „Es erfreut mich, zu hören, dass Ihr eine fruchtbare Unterhaltung mit seiner Hochgeboren führen konntet.“ Gab er stattdessen bar jeder Emotion zurück, auf den Inhalt seiner Retour ging er hingegen nicht ein. Wozu auch, sollte es doch selbst für einen tumben schwertschwingenden Befehlsempfänger, wie einen Bannstrahler, begreiflich sein. Denn hätte er die durch den Baron ergriffenen Maßnahmen aufgezählt, hätte man dies dem Baronshof als schwache Rechtfertigung ausgelegt. Mit seiner Antwort hingegen hatte er den ungerechtfertigten Angriff eines in Ungnade gefallenen und entlehnten Baronsgeschlechts auf seine Nachfolger als schlechte inszenierte Intrige entlarvt. Die Baronie Kyndoch hatte nicht das Recht in dieser Angelegenheit tätig zu werden, womit die Schuld an der Nicht-Lösung dieses heraufbeschworenen Problems auch überhaupt nicht auf der Efferdwacht zu suchen war. Diese Lesart verstanden die Menschen, Entschuldigungen und Rechtfertigungen hingegen waren Zeichen der Schwäche.

„Auch freut es mich, wie vermutlich einen jeden der Treu zu den Zwölfgöttern steht, zu hören, dass Ihr Eure Berufung in der Verfolgung von Ketzern seht. Das von Euch beteuerte Desinteresse an politischen Belangen konnte ich hingegen leider nicht aus Euer Beitrag im Greifspiegel herauslesen, eher im Gegenteil. Wenn Ihr als Ehrwürden Adelhelm von Halberg und nicht als Ehrwürden oder Abt Adelhelm des Kloster St. Aldec namentlich den Baron des ehemaligen Stammlehens Eurer Familie der Unfähigkeit und Untätigkeit bezichtigt, so ist dies ganz klar als eine politische Erklärung zu werten.“ Den Blick zum Altar des himmlischen Richters wendet fuhr Praiofan fort. „Es mag nicht Eurer Intension entsprochen haben, aber genau das ist es was dem Beitrag herausgelesen wird.“ Wenn auch nicht in Mimik, Gestik oder Tonfall, so waren doch die gewählten Worte ein Stückweit das Angebot einer Einigung. Auch wenn diese letztlich darin bestand das der Hofkaplan das Unvermögen eines Befehlsempfängers, besseren Wissens, dieses eine Mal tolerierte und Adelhelm im Gegenzug lernte künftig nur zu tun was ihm die Kirche auch befahl.

Abermals war es nicht möglich gewesen die Gesichtszüge des alten Geweihten zum Entgleisen zu bringen. Sein Blick lag auf seinem Gegenüber – ruhig und erhaben. Er konnte sehr wohl die vorhandene Antipathie aus den Worten des Hofkaplans, versteckt in immer wieder kommenden kleinen Sticheleien und Unterstellungen, heraushören. Simplere Gemüter als jenes Adelhelms würden in Praiofans Worten wohl nicht mehr als die schmeichelnden Worte eines Priesters hören, der sich seinem Dienstherren verpflichtet sah. Der Halberger, bedingt durch seine Jahrzwölfte lange Erfahrung im Verhör, verstand es jedoch etwas mehr daraus lesen zu können. Ob die Abneigung gegen seine Person, seinen Orden oder seine Familie gerichtet war vermochte er jedoch nicht zu sagen. Dennoch wollte er seinem Glaubensbruder die Genugtuung nicht gönnen, irgendetwas seiner plump-provokanten Versuche durch den Panzer seiner vollendeten Selbstbeherrschung zu lassen.

„Wir alle haben unsere Götter-gegebenen Aufgaben“, hob der Abt dann in bestimmenden Ton an, „Die meine ist der Kampf gegen das Chaos, die Eure ist der Dienst hier auf der Burg und die des Adels ist der Schutz deren Schutzbefohlenen. Auch wenn Ihr mir diesen Gedanken gerne in den Mund legen wollt, habe ich nie gesagt, dass seine Hochgeboren allein dafür verantwortlich ist, dass die Piraterie auf dem Großen Fluss ausufert. Auch habe ich nie auch nur ihn selbst an die Kandare genommen, auch wenn er als Baron dieser Lande in der Gazette zuvorderst genannt wurde.“ Der Blick des Alten löste sich nicht von seinem Gegenüber. „Es war ein Aufruf, der so viele Menschen wie möglich erreichen sollte. Ein Wachrütteln, wenn Ihr so wollt. Eine Antwort auf die vielen Stimmen der Menschen in der Baronie, die mich beinahe angefleht haben, dass die Kirche des Königs der Götter in dieser Sache tätig wird. Wer wäre ich, als Priester des Herrn, die Menschen fortzuschicken und sich ihrer Sorgen nicht auf die eine oder andere Art anzunehmen?“

Er wartete keine Antwort ab und setzte stattdessen gleich nach. „Gerade in diesen Zeiten sollte unsere Kirche ihre Ohren nicht vor den Sorgen der einfachen Menschen verschließen. Gerade in diesen Zeiten sollte die Kirche des Gleißenden Schutz und Geborgenheit bieten und wir uns nicht nur in unseren Tempeln und Klöstern verstecken. Mich wird es in naher Zukunft wohl in die Grafschaft Albenhus ziehen, um dort den Inquisitionsräten und Geweihten beim Kampf gegen die in jenen Breiten entstehende…Plage…zu unterstützen. Das Problem über die Gazette anzusprechen war bewusst deshalb gewählt, um die Menschen in großer Zahl zu erreichen. Um zu zeigen, dass die Kirche des himmlischen Richters zuhört und Ihr könnt versichert sein, dass ich in der nächsten Ausgabe über den Fortschritt hier in Kyndoch berichten und somit auch meine ersten Anschuldigungen ein Stück weit entkräften werde.“ Der Halberger hob seine Augenbrauen. „Ich habe kein Problem damit und ich denke die Menschen sollten wissen, dass ihr Baron sich solcher Probleme annimmt.“

Fast schien es als hätte der alternde Bannstrahler damit geendet, als er sich kurz an die Stirn fasste und dann noch einmal das Wort erhob. „Was meine Familie angeht könnt Ihr versichert sein, dass ich selbst der größte Kritiker meines Neffen bin. Der Bruch des Lehnseides und der Aufruhr gegen die Obrigkeit ist ein nicht zu verzeihendes Vergehen. Ich werde mit Sicherheit nicht durch halbseidene Intrigen versuchen irgendetwas an unserem selbst heraufbeschworenen Schlamassel zu ändern.“

Offensichtlich wollte dieser Befehlsempfänger nicht verstehen, konnte er nicht verstehen welche Auswirkungen seine unbedacht gewählten Worte haben konnten. Hier und jetzt mochte er dem Abt glauben, doch all seine Beteuerungen waren nichts wert da seine Worte nicht die Leser erreichten. Dieser hirnverbrannte Bannstrahler hatte durchaus Recht als er davon sprach das sie ihre praiogewollten Pflichten hatten und die erste Pflicht eines jeden Geweihten des himmlischen Richters ist es die Ordnung zu wahren! Was dieser Hornochse in seiner schier endlosen Dummheit fabriziert hatte, war aber genau das Gegenteil dessen was sie als Götterdiener leisten sollten. Öffentlich, wie dämlich konnte man nur sein, beschuldigte ein Praios-Diener einen Baron der Pflichtverletzung. Es war kein Aufruf an die Allgemeinheit, es war ein Angriff auf den Baron. Er hatte Liafwin namentlich beschuldigt! Er hatte Unsicherheit verbreitet! Von Politik hatte dieser Narr keine Ahnung, er hatte kein Gespür für das feine, das zarte Geflecht des politischen Gefüges.

„Ihr habt Recht, unsere Kirche sollte die Ordnung behüten. Wir sollten das Vertrauen der Gläubigen in ihre Herren bestärken, aber nicht untergraben wie es die von Euch gewählten Worte taten. Ich Glaube Euch das ihr dies nicht familiären Kalkül tatet, das ändert jedoch nichts am angerichteten Schlamassel.“ Erneut richtete er seinen Blick auf den Altar. Musterte ihn und den farbigen Lichtstrahl der sich in diesem Augenblick darauf brach. „Sei es, wie es ist. Es ist angerichtet und nicht mehr zu ändern. Anstatt gegenseitige Schuldzuweisungen auszusprechen sollten wir die Situation für Kyndoch nutzen. Ihr schreibt erneut dem Greifenspiegel und berichtet von den Maßnahmen die Seine Hochgeboren bereits zum Wohl seiner Untertanen ergriffen hat und dann nutzen wir die Aufmerksamkeit um die eigentlichen Verantwortlichen stärker in die Pflicht zu nehmen. Sei es durch eine erhöhte Präsenz der Kaiserlichen oder durch eine Übereinkunft die Kyndoch gestattet sich selbst zu schützen!“ Vielleicht war der Bannstrahler dieses eine Mal fähig einen Befehl auszuführen.

Adelhelm musterte den Hofkaplan eingehend. Kurz blitzte in den Augen des Halbergers eine Emotion auf. War es Abfälligkeit oder Milde gewesen? Praiofan konnte es für sich nicht sagen. Der Halberger jedoch war in der Lage sein Gegenüber immer besser einschätzen zu können. Der Ratsburger war ein Theoretiker - einer jener Geweihten, die mit ihrem Wissen brillierten, doch selbst keinerlei Erfahrung im Feld besaßen und sich stets innerhalb der schützenden Mauern ihres Tempels oder dem Kokon der Unantastbarkeit des Ornats eines Priesters des Gleißenden versteckten. Er verstand nicht. Ja in der Theorie hörten sich seine Worte weise an, doch war die Realität leider etwas anders.

„Mit Euren Worten impliziert Ihr, dass allein ich es bin der in der Baronie Unsicherheit verbreitet hat…“, hob er in unbeeindruckt nüchternem Ton an, „…mitnichten Bruder…“, er schüttelte sanft den Kopf, „…die Unsicherheit bestand schon seit längerem. Der Mangel an Kommunikation mit dem Volk war es, was jene Unsicherheit geschürt hat und nicht die mahnenden Worte eines Hochgeweihten, an den die Menschen hilfesuchend herangetreten sind.“ Der Abt war ein Praktiker und kein Theoretiker. Er war ein Krieger, ein Veteran, der es gewohnt war Verantwortung zu übernehmen und auch bereit war seine Brüder und Schwestern zu führen. Er dachte stets ein paar Schritte voraus, war sich nicht zu schade auf unkonventionelle Mittel zurückzugreifen – sofern sich diese mit seinem strengen Glauben vereinbaren ließen - und versuchte mit seinen Worten und Taten stets die maximale Wirkung zu erzielen.

„Es ist nicht die Aufgabe der Gemeinschaft des Lichts derische Politik zu machen – das ist Sache des vom Herrn erhobenen Adels…“, führte er weiter aus, „…genauso wenig ist es unsere Aufgabe wegzuhören, wenn Rechtgläubige uns ihre Sorgen artikulieren. Ihr könnt mich dafür kritisieren, dass ich den Weg über eine Gazette ging um diesen Missstand anzusprechen. Es steht Euch zu Eure Meinung zu äußern und ich kann damit leben, doch wie schon erwähnt, sollte dies sowieso nur ein erster Schritt gewesen sein.“ Insgeheim war es dem Abt egal was sein Glaubensbruder dazu sagte. Adelhelm ließ ihm seine Meinung, doch der Stand des Hofkaplans berechtigte diesen nicht ihm irgendetwas zu befehlen. Er war ja schließlich kein einfacher Ritter oder Knappe des Ordens mehr – in der Hierarchie der Kirche standen sie auf derselben Stufe.

„Ich werde die Menschen bestimmt nicht darüber im Unklaren lassen was seine Hochgeboren bereits auf den Weg gebracht hat um sich des Problems anzunehmen. Ich werde dies genauso über die Gazette äußern wie ich das schon bei meiner Kritik getan habe. Die Menschen werden sehen, dass ihnen die Kirche des Gleißenden zuhört und dass ihr Baron sich der Probleme des Landes annimmt. Das ist das beste Resultat für alle Beteiligten.“ Die Augenbrauen des Abtes wanderten nach oben. „Dass dies jedoch nur der Anfang ist und wir, wie Ihr richtig sagtet, auch Herzog und Kaiserin in die Pflicht nehmen müssen ist klar. In dieser Sache wird der Baron mit Sicherheit auch Eure Unterstützung brauchen und es erfreut mich zu sehen, dass Ihr bereit seid ihm diese zu gewähren.“

Auch wenn er vorgab sich dem Befehl nicht beugen zu wollen, so gab er ihm letztlich dennoch nach. Wenigstens etwas! Dabei war es Praiofan Ratsburger egal was der Bannstrahler tat oder viel eher glaubte zu tun. Niemand, wirklich niemand würde an den Abt herantreten um ihm sein Leid über die Zustände auf dem Großen Fluss zu künden. Weder seine Klosterlande, noch das umgebende Edlengut hatten überhaupt Zugang zur Wasserstraße. Nur weil das Piratenpack ihm seinen vergoldeten Schnuller gestohlen hatte, hatte er sich nach all den Götterläufen – ja Jahrhunderten in denen seine Familie diesen Missstand ignoriert hatte – dazu entschlossen einen Angriff auf das neue Baronshaus zu fahren! Er wollte Probleme offen ansprechen und aufklären? Einen Dreck tat er, er schaffte nichts anders als Verunsicherung und Angst. Die Menschen wollten doch überhaupt nicht die Wahrheit hören, sie wollten gesagt bekommen was Recht und was Unrecht ist.

„Es ist die Aufgabe der Dienerschaft des Herren Praios, die von ihm gegebene derische Ordnung zu wahren und zu verteidigen.“ Beide Aufgaben hatte dieser Hornochse im Greifenspiegel mit Füßen getreten. „Wir bewahren sie, indem wir dem herrschenden Adel zur Seite stehen. Und wir beschützen sie, indem wir gegen jedwede subversive Kraft vorgehen.“ Eines der vollstreckenden Elemente sollte dabei auch der Orden des Bannstrahl sein, doch verstand Adelhelm dies in dieser Situation offensichtlich nicht. Nicht immer war es das was wir taten oder sagten, was Einfluss hatte – viel häufiger war es das was wir nicht sagten und taten. Bisher hatten die Leute die Situation akzeptiert und mit ihr gelebt, Adelhelms unbedachten, aufrührerischen Worte aber hatten Angst in ihren Herzen gesät und egal was sie von nun an taten, die Saat der Zweifel war ausgebracht und würde nicht mehr getilgt werden könnten. Der Abt hatte in seiner Verblendung geschaffen, wonach die Diener des Rattenkindes trachteten. Er hatte das Handwerk seiner soeben hier vor ihm proklamierten Feinde vollbracht und sah es noch nicht einmal.

„Dieser Verpflichtung folgend, werde ich auch künftig dem Baron mit allen mir verfügbaren Möglichkeiten beistehen.“ Er würde ihm moralischer Kompass und ordnungswahrender Einfluss sein. „… und ich hoffe, auch das Kloster St. Aldec folgt dieser Verpflichtung!“

Adelhelm verfolgte die Rede seines Gegenübers, wie schon die ganze Unterhaltung über, stoisch, gelassen und ohne eine Regung preis zu geben. Dass der Hofkaplan versuchte ihn über die Rechte und Pflichten eines Priesters der Gemeinschaft des Lichts aufzuklären, fand er gelinde gesagt lachhaft. Der Halberger diente der Kirche seit nun schon über 40 Götterläufen. Er kämpfte im Namen seines Herrn gegen den Sphärenschänder und tat auch einige Götterläufe in der Sonnenmark unter der Fürst-Illuminierten Gwidûhenna von Faldahon seinen Dienst. Er lebte und diente sozusagen am Rande der Finsternis und wusste was es hieß zu glauben, aber auch zu zweifeln. Adelhelm wurde des Öfteren versucht und sein Glauben an den Gleißenden mehr als nur einmal auf die Probe gestellt. Es waren Prüfungen, aus welchen er erstarkt und gefestigt hervorgehen sollte. Eben jene Erfahrungen stellten ihn mindestens eine Stufe über einen hochnäsigen Hofkaplan, der meinte hier Politik machen zu müssen.

Es waren Narren wie Praiofan Ratsburger, die die Identitätskrise innerhalb der Gemeinschaft des Lichts ausgelöst hatten und wahrscheinlich auch mit dafür verantwortlich waren, dass der Herr für einige Zeit sein heiliges Licht entrückt hatte. Narren, die meinten über den Dingen zu stehen. Narren, die ein großes Maß an Arroganz gegenüber den Ängsten und Problemen der Menschen an den Tag legten – die unfähig waren zu sehen und jenen die Schuld für Missstände gaben, die es wagten diese anzusprechen. Narren, die aus Angst um ihre Pfründe nicht den Schneid besaßen die derische Obrigkeit zu kritisieren um genau das einzufordern was der himmlische Richter dem Adel als Aufgabe zugewiesen hatte.

„Ich werde das tun was meine Pflicht ist, genauso wie ich es schon über die letzten Jahrzwölfte getan habe.“ Er schmunzelte kurz. „Und wenn das bedeutet, dass mir ein ungehobelter Schreiberling öffentlich unterstellt ich würde Geschmeide aus fernen Landen herankarren lassen, dann sei es so.“ Dann nickte Adelhelm seinem Glaubensbruder zu. „Habt dank für Eure Zeit, Bruder. Die Pflicht ruft, meine Brüder und Schwestern warten in der Vorburg und ich denke ich habe auch Eure Zeit schon lange genug in Anspruch genommen. Möge das Licht des Herrn Euren Weg erleuchten.“

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